eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 34/3

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2023-0048
71
2023
343 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Projektökosystem und Ökoprojekte

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2023
Dirk Fernholz
Barth & Sarstedt vergleichen den Projektmanager mit einem Jäger [1]. Noch mehr jedoch können wir Projektspezialisten von den Förstern lernen. Anders als Jäger, die lediglich auf einen Teilnutzen der Natur fokussieren, sind die Förster gehalten, alle Funktionen der ihnen anvertrauten Ökosysteme zu berücksichtigen. Sie müssen mit Blick auf die Zielvorgaben der Waldeigentümer und der Gesellschaft im Rahmen der Gesetze danach streben, die Wälder in ihrer ökologischen und wirtschaftlichen Substanz zu erhalten, und resilient und klimastabil zu entwickeln. Damit sind sie wahrhaftige „Ökoprojektmanager“.
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22 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0048 Projektökosystem und Ökoprojekte Dirk Fernholz Für eilige Leser | Barth & Sarstedt vergleichen den Projektmanager mit einem Jäger [1]. Noch mehr jedoch können wir Projektspezialisten von den Förstern lernen. Anders als Jäger, die lediglich auf einen Teilnutzen der Natur fokussieren, sind die Förster gehalten, alle Funktionen der ihnen anvertrauten Ökosysteme zu berücksichtigen. Sie müssen mit Blick auf die Zielvorgaben der Waldeigentümer und der Gesellschaft im Rahmen der Gesetze danach streben, die Wälder in ihrer ökologischen und wirtschaftlichen Substanz zu erhalten, und resilient und klimastabil zu entwickeln. Damit sind sie wahrhaftige „Ökoprojektmanager“. Schlagwörter | Nachhaltigkeit, Ökosystem-Projekte, Wald, komplexe Systeme Wald und Ökoprojekte Auf nichts trifft der Begriff der „Komplexen Systeme“ mehr zu als auf die Natur. Die modernen Förster sind diejenigen unter den Naturnutzern, die der nachhaltigen Entwicklung des ihnen anvertrauten Ökosystems insgesamt verpflichtet sind. Genauer gesagt: Sie sind der Erhaltung und Entwicklung aller Funktionen und Leistungen, die dieses Ökosystem erbringt, verpflichtet. Das unterscheidet sie von den meisten anderen Naturnutzern inklusive der Jäger, die jeweils nur eine einzelne Ökosystemleistung im Blick haben- - im Falle der Jäger „das Wild“. Unter Ökosystem-Projekten oder kurz Ökoprojekten möchte ich mich im Folgenden auf solche Projekte beziehen, die nachwachsende natürliche Ressourcen wie Wälder im modernen Sinne nachhaltig bewirtschaften und entwickeln. 1. Wer bist Du? Zustandsbeschreibung Lichtes, im W. lückiges bis räumdiges starkes Buchenaltholz in Verjüngung mit Tanne & Fichte, im W. Traubeneiche, Kiefer und Lärche in Einzelmischung. Vor allem im W. Buchen-Komplexkrankheit, deutliche Anzeichen Trockenstress, teilweise Sonnenbrand und Buchen-Borkenkäferbefall. Geschlossene bis lückige Naturverjüngung Buche im Dickungsstadium auf 90 % der Fläche, im W. Schadflächen, beginnende Sukzession Birke. Verbissschäden an Buche tragbar, Tannen-Naturverjüngung stark verbissen. Winterschäle durch Rothirsch an Buchenstämmen in der Verjüngung, vereinzelt. ➢ Fläche: 5,2 ha ➢ Baumarten Altbestand Buche: 95 %, (Eiche, Fichte, Tanne, Lärche, Kiefer) 5%. Verjüngung ➢ Holzvorräte in Festmeter pro Hektar: Buche 330, Eiche 1,8, Fichte 5, Tanne 5, Lärche 3, Kiefer 1,5 ➢ Zuwüchse in Festmeter je Baumart, pro Hektar und Jahr: Bu 6, Ei 0,5, Fi 1, Ta 1, Lä 1, Kie 0,5 ➢ (…) 2. Woher kommst Du? Bestandesgeschichte Entstanden aus Naturverjüngung, Fichte und Tanne gepflanzt, Kiefer und Lärche aus Naturverjüngung angeflogen (Nachbarbestände im W.) Vorbestand Buche bis 1914 im Großschirmschlag genutzt. Deutliche Spuren mittelalterlichen Bergbaus: Abraumhalde im O und Köhlerplatten. Angenommene historische Vegetation bis c.a. 600 n. C. Hainsimsen- Buchenwald 3. Wohin gehst Du? Prognose der natürlichen Entwicklung für die nächsten 100 Jahre / 10 Jahre Potenziell-natürliche Waldgesellschaft gemäß Standort Mittlerer Buntsandstein, mäßig frisch, am Oberhang im W. bis mäßig trocken: Hainsimsen-Buchen-Wald, im W. Traubeneichen-Buchenwald. Jedoch aufgrund Klimaveränderungen in den nächsten 100 Jahren wahrscheinlich im W. Verschiebung zu Traubeneiche (1,5° C - Szenario). 4 ° C Szenario natürliche Vegetationsentwicklung nicht prognostizierbar. Flächige Bestandesausfälle werden durch Sukzession Birke und einfliegende Lärche (Kiefer, sonstige Pioniere) geschlossen. In den nächsten 10 Jahren weitere Zunahme Dürre / Sturm / Buchenkomplexkrankheit, Borkenkäfer, vor allem im W. am Oberhang. Verbissschutz notwendig für alles außer Buche und Lärche. Abbildung 1: Ein Buchenwald-- ein bewirtschaftetes Ökosystem-- und seine Beschreibung durch den Forstplaner [8] Wissen | Projektökosystem und Ökoprojekte 23 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0048 Planung und Nachhaltigkeit: Das Ökosystem vor lauter Bäumen / Funktionen im Blick behalten Ein Nachhaltigkeitsplan für ein Wald-Ökosystemmanagement wird alle zehn Jahre erstellt. Das nennt sich in der Fachsprache „Forsteinrichtung“. Dabei führt der Nachhaltigkeits-Planer, der sogenannte „Forsteinrichter“, zunächst eine Inventur der Ökosysteme durch. Jeder „Waldbestand“ wird in der Betriebskarte bzw. im Geo-Informationssystem abgebildet. Sodann wird dazu ein „Metadatensatz“ erstellt (Abb. 1). Es folgt eine bestandesindividuelle Planung der Pflegemaßnahmen und Nutzungen (Abb. 2), und hierbei wird insbesondere auch festgelegt, wie viel verwertbares Holz anfällt bzw. entnommen werden darf. Die klassische Form der Nachhaltigkeit, die Holzversorgungsnachhaltigkeit, ist einst unter dem Eindruck der übernutzten Wälder und der Holznot im frühen neunzehnten Jahrhundert entstanden. Wie gesagt ist die Forstwirtschaft inzwischen auf dem Weg von der reinen Holzversorgungsnachhaltigkeit hin zur Nachhaltigkeit aller Ökosystemfunktionen ein weites Stück vorangeschritten. Jedoch hat gerade heute auch die Forderung, dass nicht mehr Holz genutzt werden darf als insgesamt zuwächst, wieder sehr an Aktualität gewonnen. Gemeinsame Sicht auf das „Projektdesign“-- Entscheidungsverantwortung an die richtige Stelle delegiert Wenn es jetzt auf Basis der Nachhaltigkeitsplanung an’s „Doing“ geht, also an die Detailplanung und schließlich Umsetzung der einzelnen Ökoprojekte im Wald, dann ist es mit Blick auf den Charakter der Natur als komplexes System immer eine wichtige Frage, was der „vor Ort verantwortliche Förster“ in einer Situation macht, in der er- - zum Beispiel fünf Jahre nach Abschluss der Arbeiten zur Nachhaltigkeitsplanung- - feststellt: „Hier, beim konkreten Bestand XY, sieht alles ganz anders aus als wir es damals im Planungs-Metadatensatz beschrieben haben“. Das kommt gar nicht so selten vor- - die Natur ist ein komplexes System. Soll er / sie angesichts einer Diskrepanz zwischen wahrgenommenem Waldbild und verbindlichem Nachhaltigkeitsplan- … A. einfach machen was er / sie für richtig hält? Oder B.-…wider besseres Wissen machen, was im Plan steht? Soll er / sie C… lieber abwarten und den Chef („Oberförster“, Forstbetriebsleiter) entscheiden lassen? Oder etwa D… gar nichts machen und die Sache in den nächsten Planungszeitraum verschieben? Neben der Nachhaltigkeitsplanung ist es also der Umgang mit solchen Entscheidungssituationen, der das „Ökoprojektmanagement“ im Wald mit seinem Informations- und Führungssystem so modern und „agil“ macht. Die Option D „verschieben“ ist im Wald manchmal sogar eine gute Option. Oft aber ist sie das gerade auch nicht, zum Beispiel wenn bei Nichtstun unaufholbare Pflegerückstände aufliefen, oder wenn, zum Beispiel durch fortschreitende Holzfäule, Verwertungsrisiken untragbar würden. Es sind also auch viele Situationen denkbar, in denen „Aufschieben“ falsch wäre. Dann bliebe nach Schema ABCD, „den Chef“ zu fragen. „Der Chef“ aber ist natürlich immer dann besonders weit weg, wenn man ihn gerade dringend braucht, das ist im Wald nicht anders als in Großprojekten in kritischen Phasen-(…). Aus diesem „Dilemma“ haben die Förster eine Tugend gemacht und sorgen dafür, dass der für die Umsetzung verantwortliche Förster auf jeden Fall selbst in der Lage ist, nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden, und zwar ganzheitlich. In Analogie zu Günter Faltins Begriff vom „Entrepreneurial Design“ als Ausfluss einer konzeptkreativen Definitionsphase für Start-ups [5, S. 38ff] kann man von einem eigenen „Projektdesign“ sprechen. Das geht so: als Richtschnur für solche Entscheidungssituationen hat der Schweizer Waldbauprofessor Hans Leibundgut [2, S. 24] die folgenden Fragenkomplexe formuliert: 1. Wer bist Du? (ökologische und wirtschaftliche Bestandes- = Ist-Zustandsbeschreibung) 2. Woher kommst Du? (Rekonstruktion der bisherigen Entwicklungsgeschichte des Waldbestandes) 3. Wohin gehst Du? (Einschätzen der ökosystemaren Dynamik und künftigen Eigenentwicklung ohne weitere Eingriffe, Risikoabschätzung) 4. Wo will ich Dich hinhaben? (Rekapitulieren des Zwecks und des betrieblichen Zielsystems, und der Bewirtschaftungsziele für den konkreten Bestand) 5. …und welche Impulse-= Maßnahmen muss ich dafür setzen? Abbildung 2: Buchenbestand und Ziel- / Maßnahmenplanung [8] Wissen | Projektökosystem und Ökoprojekte 24 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0048 Für den betrachteten Buchenbestand ist im Textteil in Abb. 1 und Abb 2. das „Ökoprojektdesign“ dargestellt, wie es durch den Forsteinrichter im Metadatensatz der Nachhaltigkeitsplanung hinterlegt sein mag. Der verantwortliche Förster kann dann das Schema vor Konzipierung einer Hiebsmaßnahme leicht noch einmal durchspielen. Kommt er zum selben Ergebnis wie seinerzeit der Einrichter, ist alles klar. Bei Abweichungen gibt es die Chance der Rückkoppelung. Aber in Fällen, in denen etwas passieren muss, ohne dass noch einmal eine Rückkoppelung möglich ist, ist die Entscheidungsverantwortung dann auch so delegiert, dass der Förster mit seinem eigenen „Ökoprojektdesign“ mit gutem Gewissen weiterarbeiten kann. Auf diese Weise ist garantiert, dass die Bewirtschaftung „in line“ mit dem „großen Ganzen“ des einst formulierten Nachhaltigkeitskonzepts bleibt. Die Nachhaltigkeitsplanung, das auf sie aufbauende forstbetriebliche Informationssystem, vor allem aber das sinnvolle Delegieren der Entscheidungskompetenz möglichst nahe ans „Projektökosystem“, das sind die Säulen eines modernen Ökoprojektmanagements im Wald. Ganz ähnlich wie die Forstplaner und Förster einen Waldbestand „ansprechen“ und sich dann ein „Ökoprojekt-Design“ überlegen, sprechen wir Projektmanager neue Projekte an („Ansprechen“, synonym taxieren-- Begriff aus der Jägersprache): Habermann und Schmidt zum Beispiel haben für den Start in die Projektarbeit- - analog zu dem was Leibundgut zum Start in Waldpflegeprojekte vorgeschlagen hat-- Fragenkomplexe formuliert, insgesamt 11 [3, S. 56 ff., verändert]: 1. Wer ist „der Kunde“? 2. Was ist der übergeordnete Nutzen des Projekts? 3. Welche Ergebnisse werden erwartet? 4. Was ist der Zeitrahmen? 5. Welche Qualität wird erwartet? 6. Welches Budget steht zur Verfügung? 7. Von welchen Umfeldfaktoren sind positive bzw. negative Auswirkungen auf das Projekt zu erwarten? 8. Welche Chancen und Risiken ergeben sich? 9. Welches Team steht zur Verfügung? … 10. …-und welche Ressourcen? 11. …und wie ist der Weg zum Ziel inklusive zu erreichender Meilensteine? Je größer und komplexer, sprich unvorhersehbarer Programme, Portfolios oder große Projekte („Projektökosysteme“) ausfallen, desto wichtiger ist es, dass alle Beteiligten, bevor sie sich in die Arbeit stürzen, eine tragfähige gemeinsame Sicht auf die grundsätzlichen Fragen des Projektdesigns entwickelt haben. (Öko-)Projektnachhaltigkeit auf Unternehmens-/ Betriebsebene Das Programm für die Waldbewirtschaftung auf Betriebsebene wird grundsätzlich aus den Maßnahmenrepertoires für die verschiedenen Lebensphasen eines Waldbestandes abgeleitet (Abb. 3). Dabei werden die Maßnahmen aber nicht einfach zugeordnet, sondern aufgrund der Individualität der Natur wird jede Maßnahme als Ökoprojekt „designed“. Wie bereits angedeutet, nimmt die Nachhaltigkeitsplanung nun nicht nur die Ebene der „Waldbestände“ in den Fokus. Ein großer Forstbetrieb mag über viele, oft mehrere Hundert oder gar Tausend, Bestände („Waldorte“) mit Wald in den unterschiedlichsten Entwicklungsstadien verfügen, und somit über ein entsprechend dichtes Programm bis zur nächsten Nachhaltigkeitsplanung. Dieses einfach zu konsolidieren, reicht-- wie im Management komplexer Projekte oder Programme, zum Beispiel Unternehmensgründungen-- nicht aus. Bereits eingangs wurde angemerkt, dass die formale Umfeld- und Stakeholderanalyse und die Formulierung des betrieblichen Zielsystems zur zehnjährigen Nachhaltigkeitsplanung für Forstbetriebe gehört und besonders anspruchsvoll ist, weil sie vielen zum Teil konfligierenden Interessen gerecht werden muss. In der Vergangenheit war es bei der Bewirtschaftung der Wälder gesetzt, dass der Eigentümer eines Waldes natürlich Holz nutzen und wirtschaften möchte, und das ist auch heute noch so. Immer größere Teile der Gesellschaft machen sich allerdings indessen Sorgen um Klimawirkungen und um das Artensterben, ja überhaupt um Wald-Themen. Die Ansprüche an die „waldwirtschaftliche Good Governance“ und damit die Nachhaltigkeitsplanung werden zunehmend komplexer. Ökosystem-, Klima- und Schutzfunktionen werden neben den klassischen Nutzfunktionen immer wichtiger, aber Abb. 3: Bestandesentwicklung (oben) und Maßnahmenrepertoire. Im oberen Teil ist die Entwicklung eines „Waldbestandes“ sozusagen als „Vorratsganglinie“ abgebildet. Das wirtschaftlich definierte Bestandesleben dauert zum Beispiel 120 Jahre. In jeder Lebensphase kann der Förster bestimmte Maßnahmen (=-Ökoprojekte) setzen, um die Entwicklung im Sinne des formulierten Zielsystems zu beeinflussen (Blockpfeile im unteren Teil der Abbildung) Wissen | Projektökosystem und Ökoprojekte 25 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0048 auch neue Einkommensfunktionen wie die Bereitstellung von Bestattungswäldern oder Windkraftstandorten- - bis hin zur Möglichkeit „Ökologischer Investments“ zum Ausgleich von Treibhausgasemissionen Dritter-- kommen hinzu. Und schließlich ist die Erholungsfunktionen nicht zu übersehen. Unter all diesen Aspekten für einen modernen Forstbetrieb eine gute Definition des Zielsystems zu finden, die möglichst auch noch für zehn Jahre Bestand haben soll, ist eine anspruchsvolle Aufgabe und an sich oft schon ein Projekt für sich. Für unsere hiesige Betrachtung ist vor allem von Bedeutung, dass die Festlegungen zur Gewichtung der einzelnen Waldfunktionen auf Betriebsebene mit dem „Wo will ich Dich hinhaben? “ beziehungsweise mit dem „Was ist der übergeordnete Nutzen- …? “ auch wieder in das Öko-Projektdesign auf Waldbestandsebene Eingang finden. Werfen wir nun einen Blick in das Informationssystem, das Planung und Vollzug im Wald auf Betriebsebene unterstützt (Abb. 4 a. bis d.). Abgebildet ist jeweils eine denkbare Auswertung der Forsteinrichtungsdaten für einen Forstbetrieb, welche innerhalb der jeweils zehn Jahre umfassenden Altersstufen die inventarisierte Fläche und den Holzvorrat wiedergibt. Ein Forstbetrieb, für den eine solche Auswertung aussieht wie in Abb. 4 a, kommt dem sogenannten „normalen Zustand“ bzw. „idealen Zustand“ besonders nahe. Denn der Anteil der Waldbestände ist über alle Altersstufen hinweg ausgeglichen. Es wächst also jedes Jahr bzw. Jahrzehnt genauso viel Wald(-Fläche bzw. Holzvorrat) aus der jeweils vorhergehenden Altersstufe nach, wie aus jeder Altersstufe in die nächsthöhere Altersstufe abgegeben wird. Eine ideale Nachhaltigkeit nach Holznutzungsmengen ist damit erfüllt, und auch die Nutzungsaussichten und das „Bewirtschaftungsprogramm“ bleiben gleich. Nicht zufällig ähnelt dieser „ideale Betriebsaufbau“ dem Modell in Abb. 3 für den Vorratsgang eines Bestandes im Zeitablauf, aus dem wir die möglichen Öko-Arbeitspakete oder -Projekte abgeleitet haben. Das Bild in 4b zeigt einen Betrieb mit einem Überhang an alten Beständen. In einem solchen Betrieb wird, wenn man rein wirtschaftlichen Überlegungen den Vorrang gibt, der im Rahmen der Nachhaltigkeitsplanung beschlossene „Hiebsatz“ für die nächsten Jahrzehnte wahrscheinlich eher höher liegen als in der „Idealwelt“ der Abb. 4a., denn bei allem Streben nach einem „idealen Waldaufbau“ will man in der Regel doch das Risiko einer Holzentwertung-- etwa durch fortschreitende Stammfäulen-- vermeiden. Insbesondere Forstbetriebe in privater Hand, die in besonderem Maße auf das Erwirtschaften „Schwarzer Zahlen“ angewiesen sind, werden so entscheiden. Abbildung 4a: „Normaler“ bzw. im forstökonomischen Sinne „idealer“ Waldaufbau nach Altersklassen: Nutzungsaussichten und Bewirtschaftungsprogramm bleiben im Zeitablauf gleich. Abbildung 4b: Forstbetrieb mit einem Übergewicht bei den hohen, für die Einkommensfunktion besonders interessanten Altersstufen. Erläuterung im Text. Wissen | Projektökosystem und Ökoprojekte 26 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0048 Insbesondere in Forstbetrieben im öffentlichen Besitz werden inzwischen oft andere Aspekte höher priorisiert als die reine Nutzfunktion. Zum Beispiel lässt man Wälder bewusst über die wirtschaftlich ideale Lebensdauer hinaus bestehen (Abb. 4c). Ein Buchenwald wie der in Abb. 1 ist ja im biologischen Sinne nicht alt, und könnte unter natürlichen Bedingungen gut und gerne weitere zweihundert Jahre geschlossen und vital überleben. Erst wenn ein solcher Buchenwald über 100 Jahre alt ist, wird er für den Arten- und Biotopschutz so richtig interessant. Lässt also ein Betrieb einen Bestandsaufbau wie in Abb. 4c dargestellt zu, so hat zum Beispiel auch der vom Aussterben bedrohte Knochenglanzkäfer Trox perisii [6] eine Überlebenschance. Er braucht Schwarzspechthöhlen und faules Holz in alten, dicken Buchen, und zwar solche, die nach dem Schwarzspecht auch noch von Hohltauben, Siebenschläfern oder Fledermäusen besiedelt waren-(…). Ein Traum für den Artenschützer-- ein Alptraum für den Forstökonomen. Was richtig ist, entscheidet nach Umfeld- und Stakeholderanalyse durch den Forstplaner letztlich der Besitzer des Forstbetriebes für den anstehenden Nachhaltigkeits-Planungszeitraum. Wie gesagt: auch Natur- und Artenschutzfunktionen werden immer wichtiger. Für den Waldbesitzer ökonomisch besonders schmerzhaft schließlich ist ein Betriebsaufbau wie in 4 d. dargestellt: Ein derartiger Überhang an sehr jungen Waldbeständen in Verbindung mit einem Fehlen der alten Wälder ist mindestens eine ökonomische Bürde. Denn hier wird der Hiebssatz, also die planmäßige Nutzungsmenge und damit die Einkommensperspektive, auf lange Zeit sehr viel niedriger ausfallen, als in der „Idealvariante“. Zudem sind die jungen Wälder Investitionsobjekte- - sie belasten die Liquidität und bringen so gut wie keine Einkünfte aus der klassischen Holzverwertungsfunktion. Aber auch bei Variante 4d ist nicht alles nur ungünstig zu bewerten: Aus Klimaschutz-Sicht etwa sind gerade junge Wälder vorteilhaft, weil in der schnellen Jugendwachstums- und Vorratsaufbauphase aufgrund des schnellen Wachstums die CO2-Bindungswirkung am höchsten ist. Das könnte Berücksichtigung finden, wenn die Politik künftig Klimaschutz- und andere Ökosystemleistungen finanziell ausgleicht [9]. Das Projektökosystem skizzieren Jetzt verlassen wir erneut die Welt der Förster-= Ökoprojektmanager und schauen ein weiteres Mal, wie wir uns das dort gesehene in der eigenen Projektmanagement-Welt nutzbar machen können. Zu diesem Zweck greife ich noch einmal die Ableitung des Maßnahmenprogramms aus Abb. 3 auf Abbildung 4c: Forstbetrieb, der einen Teil seiner alten Bestände zu Naturschutzzwecken aus der Nutzung genommen hat. Erläuterungen im Text. Abbildung 4d: Forstbetrieb mit einem Schwerpunkt bei den niedrigen Altersstufen. Diese Verteilung der Altersstufen ist wirtschaftlich besonders ungünstig. Es werden hier allerdings in den nächsten Jahrzehnten besonders viele Waldbestände in die Phase des schnellen Zuwachsaufbaus eintreten. Weitere Erläuterung im Text Wissen | Projektökosystem und Ökoprojekte 27 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0048 und wende das dazu gesagte auf ein Projekt / Programm in der Welt der Tech-Gründungen an, wie wir sie in Beratungsmandaten der Firma Innovald in den letzten Jahren begleitet haben: Abb. 5 zeigt eine Projektökosystemskizze für die Gründung eines MedTech Start-ups, das ein Online-Assistenzangebot für Mediziner zur EKG-Befundung in den Markt bringen will. Wie dem Forstplaner im Wald, so ist auch den Gründern am Anfang eines solchen Vorhabens ziemlich schnell klar, auf ein wie komplexes System sie sich da einlassen: sie können nie alles wissen. Überraschungen garantiert. Wie im Wald, so helfen auch hier die Leitfragen für die Abstimmung einer gemeinsamen Sichtweise auf das Projektdesign- - und zwar auf allen Ebenen: Programm, Projekte, Teilprojekte- (…). Wie in einem großen Forstbetrieb mit Tausenden Waldbeständen, so wird auch hier im Projektökosystem schnell die Situation eintreffen, in der die beiden Gründer zu weit weg von den einzelnen „Revieren“ und „Beständen“ sind: Es werden also „Revierförster vor Ort“ gebraucht: Offensichtlich wird in der Fallstudie in Abb. 5 ein Team Softwareentwickler benötigt, offenkundig ein Vertriebsteam, sowie einige andere Spezialteams. Und offenkundlich ist für das Start-up der Fallstudie von Anfang an klar: Es wird immer wieder zu Situationen kommen, in denen an vielen Stellen zur gleichen Zeit wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen. Manchmal wird dabei eine Abstimmung „mit der Gesamtleitung“ nicht rechtzeitig möglich sein wird. Es muss also wie oben im Ökoprojektmanagement dafür Sorge getragen sein, dass es „Verantwortliche vor Ort“ gibt, die nicht einfach nach dem ABCD-Schema vorgehen (siehe vorne: A. Einfach machen damit’s gemacht ist. B. wider eigenes Bauchgefühl machen was im Plan steht C. Grundsätzlich den Chef entscheiden lassen D. Gar nichts machen-…). A. „Einfach machen“ ist nicht gut: die Anzahl der Software- Projekte, bei denen am Schluss ideale IT-Lösungen übergeben wurden, welche aber im- - von den Entwicklern nicht verstandenen- - Arbeitsumfeld derjenigen, für die das ganze eigentlich programmiert wurde, völlig nutzlos waren, ist Legion. B. wenn einem das Bauchgefühl schon sagt, dass der Plan schlecht ist-- oder vielleicht von einer Veränderung der Umfeldbedingungen oder der Stakeholderprioritäten überholt, wie in der Fallstudie durch die neue EU-Regelung-- dann sollte man dem Bauchgefühl auch ein Stück weit vertrauen dürfen [7, S. 142 ff.]. Wenn der Mann oder die Frau vor Ort jedoch im Sinne von C oder D die Übernahme von Entscheidungsverantwortung grundsätzlich vermeiden möchte, dann wird der Projekterfolg am Ende nie besser sein als das, was sich die beiden Gründer vorstellen konnten, und das reicht eben oft nicht, um nachher mit einem Angebot wie dem in der Fallstudie am Markt zu bestehen. Abb. 5: Projektökosystemskizze für ein Med-Tech Start-up. Das betrachtete Unternehmen ist eine aus den Erfahrungen mit mehreren entsprechenden Gründungsprojekten abgeleitete „Fallstudie“, die in Innovald-Workshops und -Schulungen zum Einsatz kam [4]. Zwei programmierkundige Medizinstudenten haben einen Prototyp für ein EKG-Diagnoseassistenzsystem entwickelt und wollen jetzt, Anfang Februar 2023, die Markteinführung wagen. Aus Ideen werden sehr schnell Projekte, ja ein wahrhaftiges, über mehrere Jahre angelegtes Gründungsprogramm. Vieles, was am Anfang eine einfach zu lösende Aufgabe zu sein scheint, wird schnell selbst zum „Projekt“, das zusätzliche Spezialisten benötigt. Das gilt bereits für die Durchführung einer Investmentrunde 1 mit dem Ansprechen und Interessieren möglicher Startfinanzierer und der Erstellung eines geeigneten Pitch Decks. „Überraschungen" kommen hinzu, vielleicht weil die Gründer zu Beginn die Einführung eines formellen Qualitätsmanagements eher als Aufgabe für die Zeit nach dem erfolgreichen Markteintritt gesehen hatten, jetzt aber mit neuen EU-Regeln konfrontiert werden, die ein solches bereits zwingend als Zulassungsvoraussetzung vor Markteinführung verlangen. Mit dem Wachsen des Teams und dem Hinzuziehen weiterer externer Spezialisten verändert sich die Führungsspanne für die beiden jungen wilden Gründer innerhalb kürzester Zeit enorm. Wird es am Ende gelingen, mit dem notwendigen Vorsprung vor konkurrierenden Gründungen den Markt zu erobern? Wissen | Projektökosystem und Ökoprojekte 28 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0048 Nein-- je komplexer und unausrechenbarer das Vorhaben („Projektökosystem“), desto wichtiger ist es, dass an allen entscheidenden Stellen der Projektorganisation („Projektorten“) Entscheider am Werk sind, die sich darüber bewusst sind, dass sie nicht alles wissen können, aber dass sie das nötige Verständnis zum „Projektdesign“ nach bestem Wissen und Gewissen verinnerlicht haben. Anstatt das ABCD-Schema sklavisch anzuwenden, werden sie vorsichtig genug sein, immer wieder die Rückkoppelung mit dem Projektplan („Projekt-Nachhaltigkeitsplan“) zu suchen, und die Abstimmung mit dem oder der Gesamtverantwortlichen. Das kann in Projektteam-Meetings geschehen oder in Einzelgesprächen, und für Meetings mit mehreren Personen mag die Darstellungsform „Projektökosystem-Skizze“, wie in Abb. 5 für jene Start-up-Fallstudie ausgeführt, eine gute Hilfe sein. Für die Projektökosystem-Skizze gilt: „Keep it simple“. Keiner kann sich die Details einer viel-seitigen, in die letzten Details gehenden PPT-Präsentation merken. Und Hand auf’s Herz-- wer kann sich aus seiner Projektarbeit nicht an Situationen erinnern, in denen gerade so viel gleichzeitig passieren musste, dass man die Projektakte nicht im Detail und intensiv befragen konnte. Einfache Visualisierungen des Projektökosystems in Verbindung mit einer einfach gehaltenen Rekapitulierung des „Projet designs“ können für solche Rückkopplungen sehr hilfreich sein. Und kommt dann die eine für den Erfolg des Projekts maßgebliche Entscheidungssituation, in der „der Chef“ zu weit weg oder gar nicht greifbar, und somit die Rückkoppelung unmöglich ist, dann ist es gut- - und oft genug für den Projekterfolg entscheidend- - wenn der örtliche Entscheidungsträger im Sinne des großen Ganzen trotzdem die relevanten Maßnahmen setzt. Dieses Prinzip können wir bei den Förstern und anderen Ökoprojektmanagern in Anwendung erleben. Was können die Förster / Ökosystem-Manager von uns Projektprofis mitnehmen? Spätestens seit 2018, angesichts der für alle sichtbaren Klimafolgen durch Dürre, Stürme und Borkenkäfer, ist Forstwirtschaft vielerorts nicht mehr so wie sie einst war. Wer heute eine Nachhaltigkeitsplanung alter Schule macht und vielleicht erfreut feststellt, dass er mit einem Betriebsaufbau wie in Abb 4b (Überhang alter Bestände, gut für die Einnahmenfunktion) wirtschaften darf, der kann sich angesichts der Klima-Wirkungen nicht mehr sicher sein, dass ihn nicht schon der nächste Wintersturm in eine Situation versetzt, die eher der Abb. 4.d (jahrzehntelanger „Forstlicher Investitionsstau“) entspricht, bei gleichzeitigem Wegbrechen der Holzpreise, weil solche Stürme heute gerne Millionen von Festmetern auf einmal in den Markt blasen. Für derartige Unwägbarkeiten haben die herkömmlichen Systeme der Forsteinrichtung bis heute keine wirkliche Antwort. Es entwickeln sich auch erst langsam Förder- und Ausgleichsinstrumente, die einem Waldbesitzer in solchen Situationen helfen können, die Nicht-Holz- Nutzungsfunktionen ökonomisch zu verwerten, zum Beispiel die CO2-Bindung. Hier ist viel Raum für Ökoprojektmanagement. Literatur [1] M. Barth & M. Sarstedt (2022): Der Projektmanager als Jäger. Projektmanagement aktuell Heft 5 / 2022. GPM. Tübingen. S 48-53. [2] H. Leibundgut (1984): Die Waldpflege. Verlag Paul Haupt, 3. Aufl., ISBN 3-258-03 415-X, Bern, Stuttgart: 214 S. [3] F. Habermann & K. Schmidt (2018): Over the Fence. Projekte neu entdecken, Neue Vorhaben besser durchdenken und gemeinsam mehr Spaß bei der Arbeit haben. Verlag Becota, Version 1.0, ISBN 978-3-00-059325-3, Berlin: 255 S. [4] D. Fernholz / Innovald Project Consulting (2020): Projekt- Ökosystem-Management. Workshopformat. www.innovald.com unveröffentlicht. [5] G. Faltin (2008): Kopf schlägt Kapital. Verlag Carl Hanser, 7. Aufl. ISBN 978-3-446-41564-5, München: 252 S. [6] K. Cichosch (2019): „Die Wildnis liegt vor Deiner Haustür“. Interview mit Manuel Schweiger. URL https: / / www. schirn.de / magazin / interviews / 2018_interview / interview_manuel_schweiger/ , abgerufen am 10. 02. 2023. [7] G. Gigerenzer (2013): Risiko. Wie man die richtigen Entscheidungen trifft. C. Bertelsmann Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, ISBN 978-3-570-10103-2, München: 379 S. [8] D. Fernholz (2021): Bestandesbeschreibung und Rahmenplan für einen Buchenaltbestand. Fallstudie im Rahmen eines Workshops Ökoprojektmanagement, unveröffentlicht. [9] Bundesregierung (2022): Neues Förderprogramm „Klimaangepasstes Waldmanagement“. „Wer den Wald stark macht, macht starken Klimaschutz“. https: / / www. bundesregierung.de / breg-de / suche / klimaschutzwald-2 139 262, abgerufen am 28. 01. 2023. Eingangsabbildung: © iStock.com / no_limit_pictures Dirk Fernholz Dirk Fernholz ist Forstexperte und Projektmanager (und bildet Jäger aus und coacht Projektteams) und war von 2018 bis 2022 als Berater mit der Firma Innovald selbständig. Während der Corona-Lockdowns entstanden die Ideen des Projektökosystems und Ökoprojektmanagements , die er unter anderem bei der Gründung eines Landschaftspflegeverbandes und beim Thüringer Sonderprogramm Waldumbau und Wiederbewaldung einbrachte, aber auch bei der Start-up-Beratung und in Digitalisierungsprojekten.