PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2023-0053
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Kollaboratives Projektmanagement in der Praxis
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Jürgen Habenstein
Die Komplexität unserer Produkte steigt immer weiter an. Und nicht nur die Komplexität der Produkte selbst, auch die stetig größer werdende Anzahl an Stakeholdern, Anforderungen und Schnittstellen, stellen uns vor immer größere Probleme. Um diese Herausforderungen souverän zu bewältigen, sind Überblick, Transparenz und Kontrolle für den Projektmanager entscheidend für eine qualitativ hochwertige Entwicklungsarbeit.
Zu diesem Zweck wurde die ebenso einfache wie effiziente Methode der Collaboration-Map entwickelt. Diese „Landkarte“ des Projekts ist automatisch passend für jedes Produkt und für jede Branche.
Mit ihrer Hilfe hat jeder Projektmanager – vom Neueinsteiger bis zum erfahrenen Experten – sein Projekt sicher im Griff und stets die volle Übersicht und Kontrolle.
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48 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0053 Komplexe Produktentwicklungen sicher handhaben Kollaboratives Projektmanagement in der Praxis Jürgen Habenstein Für eilige Leser | Die Komplexität unserer Produkte steigt immer weiter an. Und nicht nur die Komplexität der Produkte selbst, auch die stetig größer werdende Anzahl an Stakeholdern, Anforderungen und Schnittstellen, stellen uns vor immer größere Probleme. Um diese Herausforderungen souverän zu bewältigen, sind Überblick, Transparenz und Kontrolle für den Projektmanager entscheidend für eine qualitativ hochwertige Entwicklungsarbeit. Zu diesem Zweck wurde die ebenso einfache wie effiziente Methode der Collaboration-Map entwickelt. Diese „Landkarte“ des Projekts ist automatisch passend für jedes Produkt und für jede Branche. Mit ihrer Hilfe hat jeder Projektmanager-- vom Neueinsteiger bis zum erfahrenen Experten-- sein Projekt sicher im Griff und stets die volle Übersicht und Kontrolle. Schlagwörter | Collaboration, Projektmanagement, Technical Management, Produktentwicklung, Komplexität Die Aufgabe Die Arbeit eines Projektmanagers für komplexe und hochkomplexe Produkte ist extrem herausfordernd. In meiner Praxis im technischen Projekt- und Angebots-Management für Schienenfahrzeuge wird dies immer deutlicher spürbar. Aus der Einzelverantwortung des technischen Projektleiters wird mehr und mehr eine Teamaufgabe mit mehreren Verantwortlichen-- und zwar nicht zur Optimierung und Effizienzsteigerung, sondern weil die Belastung der Mitarbeiter immer größer wird. Dies ist leicht erkennbar, wenn man sich allein die Vielzahl an zu führenden Rollenverantwortlichen in solchen Projekten vor Augen hält: Mitarbeiter, Kunde, Designer, Lieferanten, mechanische Schnittstellen, elektrische Schnittstellen, Softwareschnittstellen, technische Anforderungen, terminliche Anforderungen, Budgetanforderungen, Prozessschnittstellen, Anforderungen aus Querschnittsthemen usw. Teamgrößen von 30 bis 40 Mitarbeitern, verteilt auf diverse Standorte in mehreren Ländern sind inzwischen keine Seltenheit mehr- - eine enorme logistische und kommunikative Herausforderung. Der Trend in der Produktentwicklung geht deshalb immer mehr zum kollaborativen Projektmanagement. Gant-Charts, Kanban-Boards und andere Tools sind dabei ein erster, wichtiger Schritt, um komplexe Projekte zu beherrschen. Zur Koordinierung und Synchronisierung der komplexen technischen Informationsflüsse selbst fehlte aber bisher noch ein geeignetes Tool. Dieses Tool sollte selbst hochkomplexe Projekte auf einfache Weise darstellbar, überschaubar und kontrollierbar machen. Es sollte Simplifikation ermöglichen, die nichts außer Acht lässt und dennoch sicherstellt, sich einen wirklich vollständigen Überblick zu verschaffen. Eine Art Landkarte, die die Projektstruktur und auch die potenziellen Problemstellen darin sichtbar macht und dabei hilft, geeignete Lösungsmaßnahmen effizient zu koordinieren und zu kontrollieren. Die grundlegende Basis, um ein solches Tool konsequent umzusetzen, sind die Mitarbeiter im Projekt. Denn jede Anforderung, jede Information und jede Schnittstelle benötigt zwingend einen oder mehrere Mitarbeiter, die die Verantwortung dafür tragen. Diese Mitarbeiter zusammenzubringen ist die Aufgabe eines Projektmanagers und damit auch Grundlage der hier vorgestellten Collaboration-Map Methode. Wissen | Kollaboratives Projektmanagement in der Praxis 49 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0053 Kollaboration im Projekt-- wer mit wem Ein wichtiges Erfordernis, um ein komplexes Projekt zu starten ist es, sich einen Überblick über die benötigten Rollen, die dafür benötigten Mitarbeiter und deren Verantwortungsbereiche zu verschaffen. Ein zweckmäßiger Weg dorthin ist die Erstellung eines Organigramms, in dem die beteiligten Rollen im Projekt aufgezeigt und in einzelne Verantwortungsbereiche gegliedert werden. Es geht also zunächst einmal um das „wer macht was“. Ein solches Organigramm lässt sich in vier Themenbereiche gliedern: 1. Komponenten: das sind die Verantwortlichen für die Einzelprodukte, die für das Gesamtprodukt notwendig sind, z. B. mechanische Komponenten, elektronische Komponenten, Software, Schaltpläne, etc. Die Komponenten spielen in der Collaboration-Map die zentrale Rolle, weil in ihnen alle Anforderungen und Schnittstellen final umgesetzt werden. 2. Kundenanforderungen: das sind die Verantwortlichen für alle technischen Anforderungen und alle Kosten- und Bild 1: Beispiel Projektorganigramm Bild 2: Methode zur Umwandlung des Organigramms in die Collaboration-Map Terminanforderungen des Auftraggebers an die Komponenten und das Gesamtprodukt. Organisation und Verantwortung darüber obliegen in der Regel dem Projektmanager. 3. Querschnittsthemen: das sind die Verantwortlichen für alle weiterführenden Anforderungen, die mehrere Komponenten betreffen, z. B.: Akustik, Brandschutz, Zulassung, Gewicht. 4. Prozesspartner / Stakeholder: das sind die weiteren Verantwortlichen in der Prozesskette, die Einfluss auf die Komponenten haben, z. B. der Projekteinkäufer, der Ansprechpartner in der Fertigung, Testabteilung etc. Aus dieser Struktur wird nun die Collaboration-Map erzeugt. Mit ihr wird das „wer macht was“ des Organigramms zu einem weitaus effektiveren „wer mit wem“ erweitert. Die Erzeugung der „Landkarte“ Ziel dieser Methode ist es, die komplexen Kommunikationswege im Projekt in einer vollständigen, dabei aber möglichst einfachen und übersichtlichen, also wenig komplexen Struktur darzustellen. Diese Struktur sollte eine a) vollständige und b) einfach strukturierte Darstellung der Anforderungen und Schnittstellen im Projekt bieten. Punkt a) die Vollständigkeit wird durch die Auswahl der „Rollenverantwortlichen“ sichergestellt, denn es gibt in einem Projekt keine Information und keine Anforderung, die nicht einem solchen Rollenverantwortlichen zugeordnet ist. Punkt b) die Struktur wird durch die logische Anordnung der Schnittstellen zwischen diesen Rollenverantwortlichen erreicht. In der Praxis werden mit dieser Methode die Inhalte des Organigramms nach dem folgenden Muster in eine einfache Matrix übertragen: Diese „Collaboration-Map“ zeigt nun einfach und strukturiert, die vom Projektleiter auszusteuernden und überwachenden Kommunikationswege und Schnittstellen im Projekt an. Die Logik hinter dieser Anordnung besteht in der Erkenntnis, dass alle Anforderungen letztendlich in den Komponenten „materialisiert“ werden. Es genügt daher für das Basisquadrat (blau), nur die Komponenten zu verwenden. Die Schnittstellen der weiteren Rollenverantwortlichen zueinander müssen nicht abgebildet werden. Mit dieser Collaboration-Map hat der Projektmanager nun eine Checkliste mit der vollständigen Übersicht der Schnittstellen und damit der potenziellen Problemstellen im Projekt zu Verfügung. Er ist damit nicht mehr allein auf die Meldung von- - in der Regel bereits entstandenen- - Problemen durch die Mitarbeiter angewiesen. Er kann jetzt proaktiv und frühzeitig Probleme aufspüren und Lösungen anstoßen, und das meist schon bevor der Schaden entstanden ist. Wissen | Kollaboratives Projektmanagement in der Praxis 50 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0053 Arbeiten mit der Collaboration-Map Die Arbeit mit der Collaboration-Map ist ebenso einfach wie die Erstellung: In kurzen Einzelinterviews bespricht der Projektmanager die potenziellen Problemstellen mit seinen Mitarbeitern. Die Schnittstellenfelder werden dabei einzeln betrachtet und nacheinander abgearbeitet. So geht in diesem Beispiel die Frage des Projektmanagers an den Konstruktionsverantwortlichen des Chassis: „gibt es an den mechanischen Schnittstellen mit dem Konstruktionsverantwortlichen Motor derzeit Probleme? “ Auf diese Weise wird die gesamte technische Kommunikation im Projekt, Schnittstelle für Schnittstelle, strukturiert und vollständig durchgearbeitet. Bei der Beantwortung der Fragen gibt es dann vier Antwortmöglichkeiten nach einem einfachen Ampelsystem: • Keine Schnittstelle ->-schwarz • Keine Probleme zu erwarten ->-grün • Probleme ->-gelb • Schwerwiegende Probleme ->-rot Ist zur Lösung eines Problems eine Maßnahme notwendig, wird diese anschließend vom Projektmanager auf einem weiteren Tabellenblatt dokumentiert, terminiert und einem Verantwortlichen zugewiesen. Von dieser Liste aus kann sie dann-- ebenfalls vom Projektmanager-- verfolgt und kontrolliert werden. Bild 4: Eintrag der Maßnahmen Bild 5: Arbeiten mit der Collaboration-Map (2) Bild 3: Arbeiten mit der Collaboration-Map (1) Nach dieser Systematik wird nun der Rest der Collaboration-Map Schnittstelle für Schnittstelle vom Projektmanager zusammen mit den einzelnen Rollenverantwortlichen durchgearbeitet. Zuerst die Spalten mit der Frage „Gibt es bzw. erwarten wir an dieser (Schnitt-)Stelle Probleme? “ an den jeweiligen Komponenten-Verantwortlichen (rote Pfeile Bild 5): Im Anschluss dann-- als Gegenprobe-- die Zeilen mit derselben Frage an die restlichen Schnittstellenpartner (rote Pfeile Bild 6) Wissen | Kollaboratives Projektmanagement in der Praxis 51 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0053 Eine Frage des Projektmanagers an den Verantwortlichen Fertigung wäre z. B.: „erwarten wir bei der Montage der geplanten Komponente Probleme? “ Eine Frage des Projektmanagers an den Verantwortlichen Aerodynamik wäre z. B.: „erfüllt die Komponente die aerodynamischen Anforderungen oder gibt es hier Probleme? “ Als Ergebnis besitzt der Projektmanager nun eine vollständige, strukturierte und übersichtliche Ansicht über die aktuellen Schnittstellenprobleme im Projekt. Das obige Beispiel ist nur eine stark vereinfachte Ansicht. Erst in der praktischen Umsetzung in wirklich komplexen und hochkomplexen Projekten zeigt sich die enorme Effizienz der Collaboration-Map: vom Smartphone bis zum Flugzeugträger-- die Collaboration-Map bildet auf einfachste Weise jede noch so hohe Komplexität ab und behält dabei stets eine bisher nicht gekannte Übersicht (siehe nächste Seite). Download Excel Vorlage Mit Hilfe der beschriebenen Anleitung und der unter diesem Link hinterlegten Vorlage können Sie selbst eine Collaboration-Map ihres Projekts erzeugen: https: / / elibrary.projektmanagement.digital/ article/ 10.24053/ PM-2023-0053 Fazit Mit der Collaboration-Map steht dem Projektmanager ein hocheffizientes Tool zur Verfügung, um Projekte jeglicher Komplexität in den Griff zu bekommen. Er hat damit zum einen den vollständigen Überblick über alle wichtigen Schnittstellen. Zum anderen ist die Collaboration-Map ein höchst effizientes Frühwarnsystem für drohende Probleme, denn sie kann bereits in der Frühphase eines Projekts angewendet werden und bei Bedarf beliebig oft wiederholt werden. Die Vorteile dieser Methode stehen dabei nicht nur dem Projektmanager zur Verfügung. Jeder einzelne Mitarbeiter hat mit ihr einen zuverlässigen Überblick über seine Schnittstellen und deren aktuellem Stand. Und auch die Firmenleitung hat mit der farblich priorisierten „Projekt-Landkarte“ einen schnellen und zuverlässigen Überblick über die laufenden Aktivitäten und Probleme in den Projekten. Bereits die Excel-Lösung ist eine sehr praktikable und hilfreiche Lösung. Noch weitaus größere Vorteile lassen sich mit dieser Methode aber erreichen, wenn sie als eigenständige Software umgesetzt wird. Von der Nutzung als zentrales Datencenter über die automatisierte Verfolgung und Bearbeitung von Maßnahmen, bis zum Einsatz als Requirement- Management-Tool oder als vollwertiges Qualitätsmanagement-Tool. Die logische Oberfläche der Collaboration-Map bietet eine Reihe von ganz neuen, hocheffektiven Möglichkeiten die Projektinformationen zu finden, einzusehen, zu bearbeiten und zu kontrollieren. Die Collaboration-Map wird damit zu einem PDM / PLM Navigationssystem, das dem Projektmanager ganz neue Möglichkeiten verschafft. Diese Möglichkeiten werde ich in Kürze in einem weiteren Artikel vorstellen. Eingangsabbildung: © iStock.com / Giuseppe Lombardo Jürgen Habenstein Arbeitet bei Siemens Mobility. Zu den Aufgaben gehörten bisher u. a. das technische Angebotsmanagement, Termin- und Budgetüberwachung komplexer Schienenfahrzeugprojekte. Seit 2019 tätig als Qualitätsmanager in der Produktentwicklung. eMail: habenstein@gmx.net Internet: www.rbse.info Bild 6: Arbeiten mit der Collaboration-Map (3) Wissen | Kollaboratives Projektmanagement in der Praxis 52 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0053 Bild 7: Vollständige Collaboration-Map in einem großen Projekt