eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 34/3

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2023-0063
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343 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

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76 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0063 Aus den DACH-Verbänden | spm intern spm Frühjahrstagung 2023: Verrückte Welt-- unsere Chance! 40 Jahre nach seiner Gründung hielt der Schweizerische Verband für Projektmanagement spm seine diesjährige Frühjahrstagung an einem besonders stilvollen Ort ab, dem Kongresshaus Zürich-- mit Alpenpanorama und mit Sicht auf den Zürichsee. Wer hat in letzter Zeit nicht schon gedacht, wir leben in einer verrückten Welt? Ob und welche Chancen das in Bezug auf Projektmanagement bietet, war der Fokus der Tagung, die mit Rainer Peteks Keynote «Masters of Uncertainty-- Projekterfolg in ungewissen Zeiten» eindrücklich startete. Der Extrembergsteiger berichtete anschaulich, wie er als Student gemeinsam mit einem Freund die Nordwand der Grandes Jorasses erfolgreich bestiegen hatte und was er damals und danach in den vielen Jahren als Profi-Bergführer für extreme Nordwände gelernt hat. Sehr vieles davon lässt sich gut auf die Anforderungen in Führung und Projektmanagement übertragen. So unterscheidet Rainer Petek Wunschvon Willenszielen: Ersteren begegnet man in den gängigen Neujahrvorsätzen, während sich Willensziele im Handeln zeigen. Der «roasroten Brille», mit der manche sich die ungewisse Zukunft schönreden, setzte er den Bewältigungsglauben entgegen, den man als Führungsperson zuerst bei sich selbst finden müsse. Statt eines fix definierten Ziels sollte man in unsicheren Zeiten einen Chancenfokus mit mehreren möglichen Zielen angehen und unterwegs adaptieren und lernen. Experimentieren mit kalkuliertem Risiko und zugleich Hochverlässlichkeit in den Bereichen, die klar sind, ergeben zwei Beine, auf denen man gut steht. Wo Bergführer und moderne Führungspersonen das «lange Seil» lassen und vertrauen, rief Claudia Seefeldt im nächsten Vortrag auf zu: «Neue Autorität-- ja bitte! », was aber nur auf den ersten Blick ein Widerspruch zum langen Seil ist. Der Begriff ‘Autorität’ ist heute meist negativ konnotiert, Frau Seefeldt verwies jedoch auf die Definition von Hannah Arendt, nach der Autorität von Freiwilligkeit und einer externen Quelle zur Legitimität geprägt ist. Die allseits bekannte VUCA-Welt sei schon vorbei, wir leben nun in einer BANI-Welt, die brittle (zerbrechlich), anxious (verängstigt), non-linear (nichtlinear) und incomprehensible (unverstehbar) sei. Heute «blühen» neue Organisationsformen. Es ist viel die Rede von transformationaler Führung, Soziokratie, Unbossing und psychologischer Sicherheit, aber in der Krise ist wieder Unterordnung und Gehorsam gefragt. Die von Gleichwertigkeit geprägten agilen Methoden treffen heute mehrheitlich noch auf Menschen, die in ihren Grundüberzeugungen bezüglich Autorität früher geprägt wurden, dies zu einer Zeit, in der Bildungseinrichtungen noch auf «alte» Organisationsformen trimmten. Das in der BANI-Welt erforderliche neue Autoritätsverständnis muss jedoch Beziehung und Kooperation fördern, was nur mit Vertrauen, Transparenz, Präsenz und Nähe gelingen kann, um nur einige der «Zutaten» zu nennen. Vielfalt und Multiperspektivität sind zwar anstrengend, tragen aber zu besseren Lösungen bei. Agile Methoden in der praktischen Anwendung lernten wir durch Stefan Känzig näher kennen. Er zeigte uns, wie die «Entwicklung von Hightech-Robotern mit agilen Methoden» gelang. Aus einer Prototyp-Entwicklung an der ETH Zürich entstand 2016 die Firma ANYbotics, die inzwischen so erfolgreich ist, dass Stefan Känzig leider keinen ihrer Roboter mitbringen konnte, da alle Roboter-Hunde sozusagen dienstlich unterwegs waren. Beim agilen Vorgehen ist es ganz wichtig, dass man auf jeder Stufe Nutzbares erzeugt. Wann immer man aufhört, muss man einen höheren Wert geschaffen haben. Mit diesem Vorgehen liessen sich bei ANYbotics jeweils nützliche und funktionierende Roboter erstellen, auch wenn zwischendurch Phasen der Investitionsgelder- und Kundengewinnung die Weiterentwicklung unterbrachen. Jeweils nach zwei Sprints erfolgte eine Demo des bis dahin gebauten Roboters, und das Feedback der Teilnehmenden floss natürlich in die weitere Entwicklung ein. Als besonders wichtig gab uns Stefan Känzig mit, dass man in der nächsten Demo dann aufzeigen sollte, was aus dem jeweiligen Feedback wurde. Zu den grössten Herausforderungen in seinen Projekten zählten die allseits bekannten Lieferschwierigkeiten, wodurch Standardteile oder mittels 3D-Druck selbst produzierte Teile den Vorzug bekamen. Seine Rolle als Projektleiter sieht Stefan Känzig als eine Art Schiedsrichter im Konfliktfall, ansonsten war das Vorgehen sehr demokratisch geprägt. Einen besonderen «Kick» bekam das Projekt durch die seit 2018 jährlich stattfindende ARCHE Veranstaltung, wo sich Roboter in einem realistischen Umfeld für die Katastrophenhilfe bewähren müssen. Von Robotern zu KI scheint es nicht weit, im nächsten Vortrag beleuchtete Marcus Glowasz «Data Analytics und KI-- Erfolgsfaktoren für das Projektmanagement». Obwohl Projekte immer komplexer werden und die Anforderungen immer höher, wird das Projektmanagement wie bisher geführt, beobachtete Herr Glowasz. Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander, Projektmanager sind «too busy to improve». Daten und KI könnten helfen, aber da KI oft als grosse Transformation angesehen wird, wird sie abschreckend mit hohen Kosten und langer Dauer assoziiert. Die Daten sind jedoch schon da, es braucht gar keine grosse Technik, beruhigt Herr Glowasz. Der Mensch wird auch nicht obsolet, er bleibt der grösste Erfolgsfaktor im Projekt, ist zugleich aber auch ein Risiko. Aus zu grossem Optimismus resultieren falsche Einschätzungen und Entscheide. Mehr Daten bedeuten auch mehr ‘Fake News’-- im Projekt nennt man das Statusbe- Aus den DACH-Verbänden | spm Frühjahrstagung 2023: Verrückte Welt-- unsere Chance! 77 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0063 richt, wie Herr Glowasz ironisch anmerkte. Datenkompetenz oder im englischsprachigen Raum ‘data literacy’ ist gefragt: Daten verarbeiten bedeutet Wissen erfassen und ausbauen, mit Daten kommunizieren erhöht die Transparenz und zusammen mit gesundem Menschenverstand können daraus neue Erkenntnisse gewonnen werden. Aus der Masse von bisherigen Projekten könnte man beispielsweise wertvolle Erkenntnisse zur besseren Planung gewinnen, indem man das sogenannte ‘reference class forecasting’ anwendet. Der Vortrag nach der Mittagspause ist üblicherweise der schwierigste, aber spm hat sich im Jubiläumsjahr dafür eine Überraschung einfallen lassen: mit Stephan Rigert erwartete uns ein ‘Experte für Zwischenräume’, dessen Hauptberuf ‘Schlagzeuger’ ja dasselbe bedeutet. Rasch waren diverse Perkussionsobjekte im ganzen Publikum verteilt und jede Gruppierung bekam von Herrn Rigert spezifische Aufgaben, was zusammen ein harmonisches und bewegendes Miteinander ergab. Danach wurde die Band auf der Bühne mit zwei Mitmusikern von Herrn Rigert zum Trio ausgebaut, und wir durften uns zurücklehnen und die Musik geniessen. «Was die Unternehmen benötigen sind agile Leader! » urteilte im folgenden Vortrag Bruno Jenny. Auch wenn wir es vielleicht gerne so hätten, wir können nicht die Agilität nur von anderen fordern und selbst dabei stabil bleiben, ermahnte er uns. Der Anteil von stabile(re)m ‘run the business’ zu ‘change the business’ hat sich nach seiner Wahrnehmung immer mehr verschoben. Der Anteil projektorientierten Arbeitens ist steigend. Loslassen-Können ist dabei eine der zentralen Eigenschaften, sowohl auf Unternehmensals auch Mitarbeitenden-Seite. Der agile Leader oder PL 5.0 muss so unterschiedliche Rollen wie Scrum Master, Product Owner, Agile Coach, Projektleiter und Linienmanager ausfüllen können und dazu die agilen Prinzipien, Praktiken und die agile Terminologie beherrschen und als Führungsperson den Servant Leadership Ansatz leben. Angesichts der Digitalisierung muss ein PL 5.0 natürlich auch etwas von Informatik verstehen und als Persönlichkeit andere Menschen motivieren und inspirieren können. Wer jetzt denkt, das klingt ja nach ‘eierlegender Wollmilchsau’ liegt falsch: nach Bruno Jenny ist die Ente das agilste Tier, weil es fliegen, schwimmen, laufen und tauchen kann. Mit dem Bild der Ente noch im Kopf ging es als nächstes tatsächlich aufs Wasser: Franziska Steidle-Sailer fragte, «Bringen wir alle ins selbe Boot? ». Die Vision einer luxuriösen, aber nachhaltigen und abgasfreien Yacht führte zum Projekt, die Aquon One zu bauen. Nicht die Ente, sondern der Mantarochen war dafür das Vorbild. Er reist grosse Distanzen, ist dabei elegant und sportlich, effizient und lautlos. Solarenergie und Wasserstoff machen das im Yachtbau theoretisch möglich, aber die Umsetzung erfordert eine kluge Personalwahl. Nur die besten Expertinnen und Experten in ihrem jeweiligen Fach kamen ins Projekt, aber nur, wenn auch die soft Skills passten. Dadurch ergab sich automatisch ein virtuelles Projektsetup, da diese Personen nur in verschiedenen Ländern zu finden waren. Klare Regeln und fixe Routinen waren laut Frau Steidle-Sailer ein weiterer, wesentlicher Faktor zum Erfolg und so konnte in einer Rekordzeit von vier Jahren das Ziel, ein zertifiziertes Schiff, erreicht werden. Wenn man bedenkt, dass 2018, zum Start des Projektes, Wasserstoff noch nicht populär war und weder Zertifizierungsstellen noch Versicherungen Erfahrung mit neuen Antrieben und Komponenten hatten, lässt sich nachvollziehen, welche grosse Hürden das Projekt zu nehmen hatte. Zum Abschlussvortrag wurde es wieder musikalisch, die Dirigentin Graziella Contratto sprach über «Flow und Charisma- - oder wie Orchester und Teams geführt werden». Videos veranschaulichten unterschiedliche Dirigier- und somit Führungsstile, von Sergiu Celibidache über Antonio Pappano zu Alondra de la Parra. Aber auch das Orchester spielt eine wichtige Rolle, so zeigte ein Video mit einem jungen Dirigenten Kleiber, wie Innovation an Behäbigkeit und Widerstand des Orchesters scheitert, während ein späteres Video desselben Dirigenten den idealen Flow zeigte. Als nächstes betrat ein professionelles Streichquartett Experten für Zwischenräume: das Team von Drumevents Aus den DACH-Verbänden | spm Frühjahrstagung 2023: Verrückte Welt-- unsere Chance! 78 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0063 die Bühne und mutige Menschen aus dem Publikum durften selbst ausprobieren, ob und wie Führung mit dem Dirigierstab gelingt. Beiden Freiwilligen gelang das ausgezeichnet und zum Dank erhielten sie einen Dirigierstab von Frau Contratto und grossen Applaus von Streichquartett und Publikum. Der Denkpinsel Michael Meier visualisierte im sogenannten Resonance Painting live in Echtzeit auf einer Grossleinwand, was in den Vorträgen zwischen den Zeilen schwang. So eine Tagung ist immer auch eine gute Gelegenheit für das Knüpfen von neuen und Pflegen von alten Kontakten aus dem Projektmanagement-Umfeld. Und noch intensiver gefeiert und vernetzt wurde im Anschluss, bei der 40-Jahre-Jubiläumsfeier des spm, musikalisch umrahmt und nach dem Essen zum Tanz animiert von der Band Barbie Q. Margarete Nuber spm Frühjahrstagung 2023 kompakt: Highlights und Zusammenfassung: https: / / www.youtube.com/ watch? v=6sXB5_mkqiE Jubiläumsfest: 40 Jahre spm am 6. Juni 2023 im Zürcher Kongresshaus https: / / www.youtube.com/ watch? v=PPjz7beOru4 40 Jahre spm: Wir haben miteinander gefeiert! 79 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0063 Grusswort von Dr. Hans Knöpfel (ehemahliger spm-Präsident von 2001- 2009) zum 40-jährigen spm-Jubiläum Ich bin kein Strategiespezialist. Das ist typisch für Projektmanager und Projektmanagerinnern. Sie sind nicht Spezialistinnen oder Spezialisten in wenigen Projektmanagementkompetenzen, sondern Spezialisten für das ganze Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement. Ich möchte versuchen, ein Beispiel für eine spm-Strategie zu erstellen. Es dürfte dem spm darum gehen, in den verschiedenen Ökosystemen Nutzen zu generieren, der im Verhältnis zum Aufwand, der dafür nötig ist, gut aussehen. Das könnten die spm-Mitglieder erreichen, indem sie in Organisationen arbeiten, die im Projekt-, Programm und Portfoliomanagement auf gutem Niveau professionell arbeiten bzw. arbeiten werden. Insbesondere werden die spm-Mitglieder darauf schauen, dass für die vielfältigen Projekte, Programme und Portfolios geeignete, spezifische Projektziele im betreffenden Kontext definiert und dann mit adäquaten Anpassungen erreicht werden. Ich bin kein spontaner Mensch. Deshalb habe ich versucht, meine Botschaft TV-like vorzubereiten. Das wär’s, von meiner Seite, zu einer spm-Strategie. Ich freue mich, wenn ihr weitere Beispiele erstellt und wünsche euch damit viel Erfolg!