eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 34/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2023-0069
81
2023
344 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Die Ideen junger Menschen aufgreifen

81
2023
Oliver Steeger
Das Hochtechnologieunternehmen TRUMPF investiert in Lernen und Ausbildung. Die Zahl der Auszubildenden und Dualen Studenten soll von derzeit 180 auf 300 steigen. Für das Unternehmen, das mit seinen 16.554 Mitarbeitern auf Werkzeugmaschinen und Lasertechnik spezialisiert ist, ist Ausbildung nicht nur ein Weg aus dem Fachkräftemangel. Das Familienunternehmen sieht darin auch eine soziale Verantwortung. Jüngst hat es sein neues Aus- und Weiterbildungszentrum am Stammsitz Ditzingen eröffnet, ein Projekt, an dessen Ende ein zukunftsweisender, dreistöckiger Neubau stand. Herzstück des neuen „TRUMPF Education Centers” ist eine kleine Smart Factory. Dort werden Auszubildende und Studenten künftig Schlüsseltechnologien und Vernetzungsangebote von TRUMPF hautnah erleben. Das Besondere bei diesem Vorhaben für Aus- und Weiterbildung: Die Auszubildenden haben einige Gebäudeelemente selbst (mit-)entwickelt. In Projekten gestalteten sie beispielsweise Flächen für Kreativität und Kollaboration. Marco Klein (Leiter Aus- und Weiterbildung) sowie Stefan Oberrieder (Leiter technische Ausbildung) berichten, wie sie junge Menschen in die Entwicklung des Aus- und Weiterbildungszentrums einbezogen haben – und weshalb sich die Ideen der jungen Menschen für ihr Unternehmen lohnen.
pm3440021
21 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 04/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0069 TRUMPF-Projekt: Zukunftsweisendes Education Center Die Ideen junger Menschen aufgreifen Oliver Steeger Das Hochtechnologieunternehmen TRUMPF investiert in Lernen und Ausbildung. Die Zahl der Auszubildenden und Dualen Studenten soll von derzeit 180 auf 300 steigen. Für das Unternehmen, das mit seinen 16.554 Mitarbeitern auf Werkzeugmaschinen und Lasertechnik spezialisiert ist, ist Ausbildung nicht nur ein Weg aus dem Fachkräftemangel. Das Familienunternehmen sieht darin auch eine soziale Verantwortung. Jüngst hat es sein neues Aus- und Weiterbildungszentrum am Stammsitz Ditzingen eröffnet, ein Projekt, an dessen Ende ein zukunftsweisender, dreistöckiger Neubau stand. Herzstück des neuen „TRUMPF Education Centers” ist eine kleine Smart Factory. Dort werden Auszubildende und Studenten künftig Schlüsseltechnologien und Vernetzungsangebote von TRUMPF hautnah erleben. Das Besondere bei diesem Vorhaben für Aus- und Weiterbildung: Die Auszubildenden haben einige Gebäudeelemente selbst (mit-)entwickelt. In Projekten gestalteten sie beispielsweise Flächen für Kreativität und Kollaboration. Marco Klein (Leiter Aus- und Weiterbildung) sowie Stefan Oberrieder (Leiter technische Ausbildung) berichten, wie sie junge Menschen in die Entwicklung des Aus- und Weiterbildungszentrums einbezogen haben-- und weshalb sich die Ideen der jungen Menschen für ihr Unternehmen lohnen. Im Hochtechnologiebereich ist ständiges Lernen und Weiterlernen unverzichtbar. Im Juli haben Sie Ihr neues Aus- und Weiterbildungszentrum eröffnet-- ein Gebäude, das auch dem Kulturwandel bei jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern folgt. Was hat Sie zu dem Neubau bewogen? Marco Klein: Dafür gab es drei wesentliche Gründe. Erstens, unser Unternehmen ist stark gewachsen. Als ich meine eigene Ausbildung 2006 gestartet habe, waren wir 6.500 Mitarbeiter weltweit. Heute sind wir fast 6.500 Mitarbeiter allein an unserem deutschen Standort. Unsere Ausbildung ist entsprechend mitgewachsen. Wir bilden heute in 17 Bereichen aus, verstärkt im digitalen und IT-Bereich, etwa Cybersicherheit. Die Zahl der Auszubildenden ist gestiegen, und sie wird weiter steigen. Wir brauchten also mehr Platz. Der zweite Grund ist, dass wir mit der Ausbildung junger Menschen unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden wollen-- und dafür brauchen wir das Aus- und Weiterbildungszentrum. Und drittens: Wir stellen uns mit dem Zentrum weiter auf die Anforderungen der Generation Z ein. Für diese Generation ist ein modernes Arbeitsumfeld ausschlaggebend bei der Wahl des Arbeitgebers. Dazu gehört auch ein modernes Aus- und Weiterbildungszentrum, das den Erwartungen, Ideen und Werten junger Menschen gerecht wird. Ein Ausbildungszentrum ist mehr als nur eine Hülle für das Lernen. Das Gebäude mit seinen Möglichkeiten prägt auch die Art und Weise, wie junge Menschen an ihre künftigen beruflichen Aufgaben herangeführt werden. Was ist neu oder anders in ihrem soeben eröffneten Aus- und Weiterbildungszentrum? Marco Klein: Eine Idee war früh klar: Wir wollten einen Ort der Ausbildung für alle Nachwuchskräfte schaffen- - also sowohl für duale Studenten, Auszubildende als auch etwa für Werkstudenten oder Fachkräfte, die hier promovieren. Wir haben uns überlegt: Was braucht es für solch ein Aus- und Weiterbildungszentrum? Da waren Themen wie Technologie. Wir bringen in unserem Bildungszentrum unserem Nachwuchs unsere Technologie nahe-… …-die erwähnte kleine Smart Factory in Ihrem Zentrum, die jetzt Schritt um Schritt ausgebaut wird. Marco Klein: Richtig. Da spielt auch Künstliche Intelligenz hinein. Unser Bestreben war es, nicht nur einzelne Maschinen Reportage | Die Ideen junger Menschen aufgreifen 22 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 04/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0069 im Aus- und Weiterbildungszentrum einzusetzen, sondern diese auch zu vernetzen. Unser Unternehmen entwickelt sich zu einem Lösungsanbieter. Wir versorgen unsere Kunden vermehrt mit Services rund um Prozessketten. Unsere Mitarbeiter müssen deshalb die komplette Prozesskette verstehen, nicht nur einzelne Maschinen. Das heißt beispielsweise, dass sich angehende Industriemechaniker oder Mechatroniker mit vernetzten Systemen auseinandersetzen sollten. Stefan Oberrieder: Für unsere Ausbildung hatten wir schon immer einen Maschinenpark. Der Nachwuchs lernt dort beispielsweise das Drehen oder Fräsen. Die Arbeit an einzelnen Maschinen wird weiterhin ein Element in der Ausbildung bleiben. Die Vernetzung kommt jetzt hinzu. Also: Wie gelingt es, die Maschinen, Laser und 3D-Drucker digital stärker zu vernetzen? Wie kann man die Vernetzung vermehrt in Projekten verankern? Mit diesem Hintergrund haben wir uns zum Aufbau einer kleinen Smart Factory im Aus- und Weiterbildungszentrum entschlossen und die Studierenden dabei auch einbezogen. Inwiefern einbezogen? Stefan Oberrieder: Wir bauen in Projekten immer neue Elemente in die Smart Factory ein. Eine unserer dualen Studentinnen schreibt beispielsweise eine Bachelorarbeit über unsere Trackingtechnologie. Es geht darum, bestimmte Materialien während einer Prozesskette nachzuverfolgen. Wir werden mit ihr in einem Projekt diese Technologie in unserer kleinen Smart Factory implementieren. Wir kooperieren also mit unseren Auszubildenden und Studenten, um neue Technologien, an denen bei TRUMPF gerade gearbeitet wird, bei uns in die kleine Smart Factory der Ausbildung hineinzuholen. Manche Studenten halten bei uns Vorträge oder schulen sogar, manchmal sogar für die Weiterbildung unserer Mitarbeiter. Das heißt, das neue Aus- und Weiterbildungszentrum ist mehr als nur ein Schulungszentrum. Es ist ein Ort für Austausch-… Marco Klein: Richtig. Wir wollten in dem Aus- und Weiterbildungszentrum Orte der Begegnung geschaffen, in denen beispielsweise Werkstudenten mit Promovierenden interagieren können. Wir bringen die verschiedenen Gruppen des Nachwuchses zusammen. Wir geben ihnen eine Heimat. Stefan Oberrieder: Als ich meine Ausbildung als Wirtschaftsinformatiker gestartet habe, habe ich an der Hochschule studiert. Parallel habe ich die Ausbildung in unserem Unternehmen durchlaufen. Meine Ausbilder hat dies zwar koordiniert, aber eigentlich wurde ich ausgebildet in den Fachbereichen, die ich durchlaufen habe. Eine Art Heimat, einen Fixpunkt hatte ich nicht, wo ich beispielsweise andere Auszubildende treffen konnte. Das hat sich verändert? Stefan Oberrieder: In dem neuen Aus- und Weiterbildungszentrum können sich unsere dualen Studenten austauschen mit Peers aus der gleichen Altersgruppe oder ähnlichen Studiengängen. Dies ist ein wichtiges Element im modernen Lernverständnis. Im informellen Austausch wird viel Wissen vermittelt, gelernt oder durch Anwendung gefestigt. Deshalb wollen wir im Aus- und Weiterbildungszentrum an bestimmten Orten Auszubildende und Lehrende informell zusammenbringen. Menschen zusammenbringen-- spielt da auch die Erfahrung aus der Pandemie eine Rolle, als persönliche Begegnungen erschwert oder gar unmöglich waren? Marco Klein: Natürlich! Wir wollen Menschen jetzt wieder zusammenholen, um gemeinsam Innovationen zu generieren-- vor Ort und nicht in virtuellen Räumen. Mit unserer Ausbildungsabteilung gehen wir als Vorbild voran. Vorhin haben Sie über die Erwartungen und Bedürfnisse der Generation Z gesprochen. Sie haben für die Entwicklung und den Bau des Aus- und Weiterbildungszentrums Ihren Nachwuchs nicht nur nach ihren Anforderungen befragt-- sondern sie auch durch eigene Projekte mitwirken lassen. Ein Student hat mit vier Kommilitonen beispielsweise ein Konzept für Besprechungsräume entwickelt, das Kollaboration und Kreativität im Arbeitsalltag erleichtern soll. Weshalb hatte diese Mitwirkung einen so hohen Stellenwert in Ihrem Projekt? Stefan Oberrieder: Wir wollten ein Gebäude schaffen, das sich von den anderen Gebäuden bei TRUMPF abhebt. Das Gebäude sollte bewusst anders sein und eine eigene architektonische Handschrift zeigen. Dies war einer der Gründe, die Auszubildenden und Studenten einzubeziehen. Wir suchten Impulse von außen, um das Aus- und Weiterbildungszentrum wirklich neu denken zu können. Impulse von außen? Stefan Oberrieder: Viele bei uns kennen unsere Architektur seit Jahren. Ich bin seit zehn Jahren bei TRUMPF, und ich habe eine gewisse Grundvorstellung, wie bei uns ein Gebäude auszusehen hat. Das ist ein normaler Vorgang. Aber es ist nicht leicht, sich von solchen Grundvorstellungen zu lösen, wenn man völlig neu denken will. Und da ist es sinnvoll, junge Menschen einzubinden-…? Stefan Oberrieder: Junge Menschen, die erst seit einem Jahr oder kürzer bei uns sind. Von ihnen bekommt man völlig neue Impulse. Sie sind noch nicht geprägt von der Denkweise bei TRUMPF, wie Räume optimalerweise auszusehen haben. Sie hätten theoretisch auch eine klassische Stakeholderanalyse durchführen können-- mit Fragen, Interviews und Workshops. So, wie es in vielen Projektmanagement-Lehrbüchern steht. Stefan Oberrieder: Natürlich, diesen Weg hätten wir gehen können. Doch ich denke, dass es besser ist, die künftigen Nutzer durch Partizipation in das Projekt hereinzuholen. Davon profitieren wir am Ende mehr als durch eine Stakeholderanalyse. Wir bekommen einen frischen Blick auf das Projekt: Den Perspektivwechsel, die Kreativität und die Innovation. Marco Klein: Diese Vorgehensweise ist für uns nicht ganz neu. Wir haben beispielsweise mit unseren Auszubildenden einen Lieferanten-Award entwickelt- - um frische Ideen und Impulse zu bekommen. Bei uns ist zudem das Reverse-Mentoring Praxis. Wir bringen beispielsweise Führungskräfte und duale Studenten zusammen. Unser Nachwuchs bringt neue Sichtweisen in die ältere Generation unserer Führungskräfte. Reportage | Die Ideen junger Menschen aufgreifen 23 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 04/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0069 Dies hilft unseren Führungskräften letztlich auch, die Haltung der Generationen Y und Z besser zu verstehen. Wie war diese Partizipation konkret gestaltet? Stefan Oberrieder: Wir haben zu Wettbewerben eingeladen. Wir haben einzelne Bereiche in dem Aus- und Weiterbildungszentrum herausgegriffen, beispielsweise die Besprechungsräume. Dann haben wir Vorgaben formuliert, beispielsweise die Vorgabe, dass die Räume so gestaltet sein sollen, dass unsere Azubi-Band dort auch ihre Instrumente versorgen kann. Viele Vorgaben hatten wir nicht. Anschließend haben wir einen mehrwöchigen Wettbewerb ausgeschrieben, in dem Teams unseres Nachwuchses eigene Raumkonzepte entwickeln und einbringen konnten. Die Teams mussten multidisziplinär zusammengesetzt sein, also beispielsweise aus Betriebswirten und Mechatronikern bestehen. Wir wollten eine Vielfalt von Sichtweisen im Team mischen. Und? Wie war die Beteiligung? Am Ende haben fünf oder sechs Teams Konzepte eingereicht und beim Pitch vorgestellt. Am Ende hat eine hochkarätig besetzte Jury über die Konzepte entschieden. Wir haben eines ausgewählt und aus den anderen einige Elemente hinzugenommen. Die Konzepte haben wir dann in die Planung mitgenommen. Natürlich kann man solche Konzepte nicht einszu-eins umsetzen. Das funktioniert nicht immer so, wie man das eigentlich will. Aber das Konzept ist in der Gestaltung der Räume gut wiederzuerkennen. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Herausforderungen bei dieser Form der Partizipation? Marco Klein: Man muss damit rechnen, dass sich die jungen Menschen etwas befangen fühlen. Da gab es bei den Teilnehmern eine spürbare Zurückhaltung. Wie frei dürfen sie wirklich denken? Mit welchen Vorschlägen dürfen sie kommen? Darf man alles in die Diskussion einbringen? Zum Beispiel einen Wunsch etwa nach einem Fitness-Center im Aus- und Weiterbildungszentrum? Stefan Oberrieder: Ja, zum Beispiel. Die Studierenden denken von sich aus out-of-the-box. Doch man muss sie dazu bringen, diese Ideen auch zu äußern. Das ist mit Sicherheit eine Herausforderung. Eine weitere Herausforderung ist die Zeit. Diese Projekte laufen quasi nebenher. Azubis und Studierende sind stark eingebunden. Sie verbringen beispielsweise viel Zeit in Fachbereichen, um unsere Technologie dort zu erleben und zu lernen. Das heißt, es kann einfach an Zeit für die Beteiligung fehlen? Stefan Oberrieder: Daraus können sich für den Einzelnen praktische, nachvollziehbare Fragen ergeben: Ist es wichtiger, an einer Präsentation im Fachbereich teilzunehmen- - oder ein paar Stunden in die Gruppenarbeit zu investieren? Wir haben unsere Teams unterstützt, sich die nötige Zeit zu nehmen. Marco Klein: Eine weitere Herausforderung ist, diejenigen zu betreuen, die den Wettbewerb gewonnen haben. Augenblick! Dies verstehe ich nicht ganz. Inwieweit ist dies eine Herausforderung? Marco Klein: Es handelte sich um ein Bauprojekt. Viele Einflussfaktoren spielen eine Rolle. Wie vorhin gesagt, wir konnten die von den Studententeams entwickelten Konzepte nicht eins-zu-eins umsetzen. Trotzdem bringen die Gewinner des Wettbewerbs gewisse Erwartungen mit? Sie wollen Ergebnisse sehen-… Marco Klein: Richtig. Da besteht eine gewisse Erwartungshaltung. Sie erwarten, dass das im Konzept Beschriebene auch umgesetzt wird. Mit dieser Erwartungshaltung muss man umgehen. Man muss erklären können, weshalb am Ende vielleicht nur eine abgespeckte Variante realisiert werden kann. Die Entwicklung von Konzepten in Studententeams setzt auch ein gewisses Maß an Projektmanagement voraus. Haben Sie die Teams vorher mit den Basics des Projektmanagements bekannt gemacht? Stefan Oberrieder: Bei dem Bauprojekt des Aus- und Weiterbildungszentrums haben wir dies frei gehalten. Wir haben den Teams gesagt, sie sollen einfach starten und loslegen. Wir haben dann Hilfe angeboten. Wenn sie Unterstützung brauchten, konnten sie sich diese bei uns holen. Ich möchte mit Ihnen auch über die junge Generation selbst sprechen. Ich höre häufig, dass die Generation Z völlig andere Bedürfnisse, Werte und Haltungen haben als beispielsweise ältere Mitarbeiter. Aus ihrer Erfahrung heraus: Sind Berufsstarter, die jetzt um die zwanzig sind, wirklich so anders und speziell? Stefan Oberrieder: Ich würde dieses „Anderssein“ nicht überbetonen. Manchmal merkt man, dass die junge Generation etwas anders tickt. Sie kennt beispielsweise ihren Wert auf dem Arbeitsmarkt. Junge Berufseinsteiger haben verstanden, dass Nachfrage nach ihnen herrscht. Dies beobachten wir deutlich etwa bei der Rekrutierung und im Bewerbungsprozess. Zudem wird in der jungen Generation viel mehr hinterfragt- - was aber eigentlich nicht neu ist. Das haben wir auch bei der Vorgänger-Generation schon festgestellt. Marco Klein: Ich beobachte generell einen Trend zu mehr „Sesshaftigkeit“ in der Organisation- - und weniger Bewegung. Die junge Generation will nicht unbedingt nach der Ausbildung Karriere machen. Viele wollen zunächst Fuß fassen und sich orientieren. Manchmal ergibt sich dann der Wunsch, nochmals zu studieren oder in der Freiwilligenarbeit sich zu engagieren. Aber kaum jemand möchte durchstarten mit dem, was wir Karriere nennen. Das ist bei der älteren Generation anders? Marco Klein: Bei den Mitarbeitern ab 50 herrscht häufig noch das Mindset vor, dass die junge Generation sehr interessiert sein sollte an Karriere und Aufstieg. Sie sind häufig überrascht, wenn sie den Jüngeren etwa Auslandsaufenthalte mit zusätzlicher Vergütung anbieten-- und die Jüngeren dann ablehnen. Die Jüngeren entgegnen häufig, dass ihnen derzeit anderes wichtig ist als Karriere. Diese Tendenz zur Zu- Reportage | Die Ideen junger Menschen aufgreifen 24 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 04/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0069 rückhaltung gegenüber Karriere spüren wir übrigens generell in der Belegschaft. Wir spüren allgemein, dass der Reiz von Führungsrollen geringer geworden ist. Es ist schwierig geworden, zur Führung zu motivieren-- vereinzelt auch bei älteren Mitarbeitern. Wenn sie nicht führen und aufsteigen will-- was sucht die junge Generation stattdessen? Stefan Oberrieder: Wir fragen Bewerber im Gespräch, weshalb sie zu TRUMPF kommen wollen. Wir hören vor allem zwei Gründe: Die Sicherheit des Arbeitsplatzes und die Geborgenheit in einem Familienunternehmen. Es gibt gelegentlich auch junge Menschen, die uns als globales Unternehmen als Chance sehen, ins Ausland zu kommen- - doch die meisten suchen diese Sicherheit und das Gefühl, in einem Familienunternehmen gut aufgehoben zu sein. Angesichts des Fachkräftemangels spielen die Erwartungen von Bewerbern heute für Unternehmen eine große Rolle. Trotzdem möchte ich diesen Punkt auch aus der anderen Perspektive her betrachten. TRUMPF ist ein Hochtechnologieunternehmen. Es hat vermutlich dezidierte Erwartungen an seine jungen Fachkräfte. Welche Kompetenzen und Skills sind für Sie in Ihrer Branche wichtig? Marco Klein: In unserem Kompetenzmanagement haben wir dafür sechs Kompetenzen ermittelt, aus denen wir Skills ableiten. In unserem Verständnis sind Kompetenzen eine Art übergreifendes Cluster, das beispielsweise ein Mindset oder eine Haltung beschreiben kann. Aus diesen Kompetenzen lösen wir Skills-- oder Fähigkeiten-- heraus. Skills konkretisieren also die Kompetenzen. Eine der sechs Kompetenzen, die wir identifiziert haben, nennen wir “collaborate to drive change”. Die Skills, die sich daraus ergeben, ist die beispielsweise Fähigkeit, zielgruppenspezifisch zu kommunizieren und aktiv ein Netzwerk aufzubauen. Wir sind ein großes Unternehmen mit vielen Spezialisten. Es ist gut Menschen zu kennen, die einem im Unternehmen weiterhelfen können. Netzwerken dürfte der jüngeren Generation nicht schwerfallen-… Stefan Oberrieder: Ja und nein. Ich beobachte, dass sich viele junge Menschen damit schwertun, direkt auf andere zuzugehen und sie etwa anzurufen. Sie schreiben lieber E-Mails. Ich halte entgegen, dass die direkte Kommunikation wichtig ist. Bei direkter Kommunikation sieht man das Gesicht anderer und hört ihre Stimme. Daraus ergibt sich eine gute, stabile Verbindung im persönlichen Netzwerk. Nochmals zu den Kompetenzen. Welche weiteren Kompetenzen sind für Sie als Unternehmen im High-Tech-Umfeld wichtig? Marco Klein: Zwei ergänzende Beispiele. Das erste, “Become digitally Proficient”, dreht sich um das Thema Digitalisierung. Da geht es um Skills, Daten zu sammeln, aufzubereiten und mit ihnen zu arbeiten. Dies ist nicht nur für das technische oder das IT-Umfeld wichtig, sondern etwa auch für den kaufmännischen Bereich. Das zweite Beispiel ist die Kompetenz, die sich auf das Lernen richtet. Wie gelingt es dem Einzelnen, ein neues Lernverständnis zu entwickeln? Wie kann er am besten lernen? Welche Bedeutung hat das formelle Lernen- - und auch informelle, dem wir in unserem neuen Aus- und Weiterbildungszentrum Raum geben. Die Methoden des Lehrens und Lernens entwickeln sich bekanntlich schnell weiter. Die Ausbildung hat sich in den vergangenen Jahren verändert-- nicht nur, weil jüngere Generationen neue und veränderte Bedürfnisse mitbringen, sondern weil auch pädagogische Konzepte Fortschritte gemacht haben. Meine Abschlussfrage: Wie stellen Sie sicher, dass Ihr Aus- und Weiterbildungszentrum, das Sie gerade erst bezogen haben, auch noch dem Lernen in zehn oder zwanzig Jahren gerecht wird? Stefan Oberrieder: Durch Flexibilität. Wie unser Aus- und Weiterbildungszentrum gestaltet wird- - dies geschieht nicht auf Basis einer Idee, die wir vor zwei oder drei Jahren hatten. Die Gestaltung und Ausgestaltung gehen immer weiter. Das Unternehmen entwickelt sich ja weiter. Und, wie Sie gesagt haben, auch die Mittel und Wege der Bildung. Was bedeutet diese Flexibilität für Sie praktisch? Stefan Oberrieder: Wir haben viele Räume so gestaltet, dass man sie neuen Bedürfnissen oder Lernformen anpassen kann-- so, wie wir sie es gerade brauchen. Da sind beispielsweise keine Tische fest verschraubt oder Geräte fest verkabelt. Das gilt vielfach auch für Werkstätten: Sie sind so eingerichtet, dass sie jederzeit umgerüstet werden können. Auf den Flächen kann im Grunde alles entstehen und passieren, was dem Lernen und der Ausbildung dient. Diese Offenheit ist vielleicht das Neue an unserem Aus- und Weiterbildungszentrum. Wir glauben, dass wir diese Offenheit brauchen in einer sich schnell verändernden Welt. Eingangsabbildung: © iStock.com/ Chinnapong Marco Klein Marco Klein leitet seit Februar 2023 Global Human Resources Laser Technology. Zuvor war er Leiter des Bereichs HR Services Learning & Growth, wo er unter anderem Talent Programs, Employer Branding & Development und Recruitung verantwortete. Marco klein hat Wirtschaftsinformatik studiert mit Schwerpunkt Business Information Systems und war zuvor unter anderem als Consultant tätig. Foto: TRUMPF SE + Co. KG Stefan Oberrieder Stefan Oberrieder hat 2007 bei TRUMPF Hüttinger eine Ausbildung zum Elektroniker für Geräte und Systeme gemacht. Für das Bachelorstudium Wirtschaftsinformatik hat er TRUMPF verlassen und ist danach wieder zu TRUMPF in die Business IT in Ditzingen zurückgekehrt. 2019 hat er ein halbes Jahr in der TRUMPF Smart Factory in Chicago verbracht. 2020 ist Stefan Oberrieder Leiter der technischen Ausbildung geworden. Foto: TRUMPF SE + Co. KG