eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 34/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2023-0072
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2023
344 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

„Lessons Learned“ aus „Best Practices“ greift zu kurz – warum Lernen im Projekt anders gestaltet werden muss

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2023
Klaus Wagenhals
Henrik Hansemann
Wir kennen alle die Projektauswertungen auf den letzten Drücker – oft zum Ende des Projekts nach einem problematischen Ritual und oft mit einem Team, das sich in Auflösung befindet oder schon neue Projekte im Kopf hat. Nun war die Hoffnung – nicht zuletzt wegen der anderen Vorgehensweise, der größeren Transparenz, der stärkeren Veränderungs-Orientierung – dass im agilen Projektgeschäft besser, schneller, wirkungsvoller gelernt wird. Nach einigen Jahren Erfahrung und vielen Studien, die nachweisen, dass das nur zum Teil der Fall ist, sind wir klüger. Was läuft also schief? Wie kann das im agilen Konzept angelegte, organisationale Lernen (Senge, 1990) genutzt, „entfesselt“ weiterentwickelt werden? Wir zeigen, wie das vorhandene Potenzial für anders Lernen durch Nutzung eines modernen Lern-Begriffs und die Stärkung der Selbstorganisation gehoben werden kann.
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36 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 04/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0072 „Lessons Learned“ aus „Best Practices“ greift zu kurz-- warum Lernen im Projekt anders gestaltet werden muss Klaus Wagenhals, Henrik Hansemann Für eilige Leser | Wir kennen alle die Projektauswertungen auf den letzten Drücker-- oft zum Ende des Projekts nach einem problematischen Ritual und oft mit einem Team, das sich in Auflösung befindet oder schon neue Projekte im Kopf hat. Nun war die Hoffnung-- nicht zuletzt wegen der anderen Vorgehensweise, der größeren Transparenz, der stärkeren Veränderungs-Orientierung-- dass im agilen Projektgeschäft besser, schneller, wirkungsvoller gelernt wird. Nach einigen Jahren Erfahrung und vielen Studien, die nachweisen, dass das nur zum Teil der Fall ist, sind wir klüger. Was läuft also schief? Wie kann das im agilen Konzept angelegte, organisationale Lernen (Senge, 1990) genutzt, „entfesselt“ weiterentwickelt werden? Wir zeigen, wie das vorhandene Potenzial für anders Lernen durch Nutzung eines modernen Lern-Begriffs und die Stärkung der Selbstorganisation gehoben werden kann. Schlagwörter | Agilität, Digitalisierung, organisationales Lernen, Krisen Die Bedeutung von Lernen steigt in diesen (Krisen-)Zeiten-- wird aber gleichzeitig neu definiert Wir beobachten und durchleben in den letzten Jahren massive Veränderungen: Da ist zum einen nicht nur die seit rund 20 Jahren stärker und stärker werdende Agilisierungsbewegung. Auch die weitere Digitalisierung in den Unternehmen und von Projekten, die im Zuge der Pandemie seit 2020 nochmal einen deutlichen Schub bekommen hat, hat mittlerweile sichtbare Folgen in den Bereichen Strategie / Geschäfts-Modelle, Prozesse, Strukturen, Beschäftigung, Zusammenarbeit, Rollen. Und nicht zu vergessen auch in Kultur und Führung. Wir alle wissen: „Veränderung bedeutet lernen, sich anpassen, umgehen mit neuen, anderen Anforderungen“. In allen Veröffentlichungen ist die Rede vom Zusammenwachsen von Arbeiten und Lernen, von der Bedeutung des „Lernens aus Erfahrung“ und aus „Fehlern“. Peter Senge- - einer der Vordenker der „lernenden Organisation“- - postulierte schon in den 90er Jahren, dass Unternehmen in Zukunft nur überleben können, wenn sie bereit sind, sich an den Markt anzupassen und sich gemäß den Herausforderungen zu verändern. Er wies schon damals darauf hin, dass die auf Effizienz getrimmten Organisationen mit ihren standardisierten Prozessen und klassischen Strukturen Lernen eher behindern, statt befördern (vgl. Senge, 1990,Kap. 3). Zwar ist diese Erkenntnis auf diesem allgemeinen Niveau bei den allermeisten Firmen angekommen- - sie wird aber häufig nur teilweise und eher mangelhaft umgesetzt. Wir alle kennen den Druck unseres Arbeitsalltages und wissen, wie stark wir üblicherweise „durchgetaktet“ sind- - wann soll da bitte noch Zeit sein für Erproben und Reflektieren? Wenn gesagt wird „Lernen muss auch nebenher gehen“ oder „Lernen findet doch sowieso statt, wenn wir arbeiten“, dann stimmt das nur bedingt: Erfahrungen machen, ohne darüber zu reflektieren, bringt wenig bis gar keine neuen Erkenntnisse. Auch die Lernkonzepte dahinter spielen eine Rolle: Lange glaubte man, der „Best-practice“-Ansatz sei ein Patent-Rezept für die schnelle Veränderung oder die Kopie des „best way“ von „champions“. Dann hat sich aber herausgestellt, dass das bloße Nachahmen von Praxen anderer Unternehmen nicht so häufig erfolgreich war, als gedacht. Aus guter Praxis können zwar durchaus Anregungen gewonnen werden- - man sollte sich aber der Mühe unterziehen, sich mit den eigenen Prozessen und Strukturen auseinanderzusetzen, Wissen | „Lessons Learned“ aus „Best Practices“ greift zu kurz! 37 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 04/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0072 um spezifische Ansatzpunkte zu finden, wo wirkliche Veränderung bewirkt werden kann, passend zur jeweiligen Kultur. Neben der Tatsache, dass Lernen den Raum für Erproben, für Fehler und für die Reflexion braucht, geht es auch darum, über das eigentliche Handeln in der Arbeit zu reden- - also Schleifen für ein konstruktives Feedback einzubauen („das war ja mega“ ist kein Feedback! )- - und die Bereitschaft zu stärken, eigene Fehler zu akzeptieren und dafür die Verantwortung zu übernehmen und die Motivation nicht zu verlieren, neue Anläufe zu probieren / neue Wege zu finden. Ganz wichtig: Auch auf Führungsebene braucht es die Geduld, Fehler von Mitarbeitern auszuhalten, den Mut und die Bereitschaft auch hier mit gutem Beispiel voranzugehen und in Folge die moderierenden Fähigkeiten und Gesprächstechniken, den kritischen Austausch zu fördern und das Selbstbewusstsein zu stärken. Die derzeitigen Krisenzeiten erzeugen bei vielen Menschen Unsicherheit-- ebenso der neu zu lernende Umgang mit neuen Medien, die eingeschränkte „face-to-face“-Begegnung und so weiter. Das wirkt sich natürlich auch auf Lernen aus: Aufgrund der Vielfalt der neuen Anforderungen, des Tempos und der Komplexität der Veränderungen, braucht es heute mehr als zuvor ein „neues“ Lernen. Anders ausgedrückt: es braucht eine steigende Fähigkeit, sich in einer volatilen, widersprüchlichen Welt anpassen zu können, um erfolgreich zu sein. Egal ob Agilisierung, Digitalisierung oder New Work- - wir alle spüren die Herausforderungen, die in der Umsetzung dieser Prozess-Begriffe liegt, reagieren aber unterschiedlich. Die Einen tun so, als ob sie mit dem, was sie in der Schule oder an der Universität gelernt haben, auskommen, die anderen wissen gar nicht, wo sie anfangen sollen und schütten sich zu mit Informationen aus dem Internet oder besuchen viele Community-Meetings und Webinare. Strukturiert man diese Kurzcharakteristik wesentlicher Entwicklungen, lassen sich daraus vier Ebenen des Umbruchs erkennen: 1. Organisationen wissen, dass sie weiterhin viel in Weiterbildung investieren müssen, um den state-of-the-art ihrer Profession/ ihrer Fachlichkeit mindestens zu erhalten. Sie wissen aber auch, dass es dabei nicht nur um Fachlichkeit, sondern auch um andere Kompetenzfelder, wie soziale und personale Kompetenzen gehen muss. 2. Gleichzeitig wurde in den vergangenen Jahren immer deutlicher, dass die herkömmliche Fortbildungskultur mit dem klassischen Seminar als Flaggschiff in vielen Unternehmen längst nicht die Wirkung erzeugt hat, die man sich davon versprochen hatte, weshalb eine deutliche Abkehr zu beobachten ist. Das wird natürlich unterstützt durch die weite Verbreitung elektronischer Hilfsmittel wie Smartphones und Tablets und den tausenden Lern-Apps und Online-Dienstleistungen. 3. Damit steigt die Verantwortung für den Einzelnen und die Teams, sich die Lerninhalte selbst zu wählen und sich „on-the-Job“ die entsprechenden Themen bzw. deren Hintergründe anzueignen oder zumindest Angebote einzuholen, wo man sich günstig in einen Online-Kurs einklinken kann - was sich gut ergänzt mit dem ebenfalls beobachtbaren Trend zum selbstorganisierten Arbeiten (z. B. im agilen Kontext). 4. Dies wiederum bedeutet für Führungspersonen, dass sie zunehmend in die Rolle eines „Lern-Coachs“ hineinwachsen sollten, um ihre Mitarbeiter*innen nicht nur durch die Einrichtung lernförderlicher Strukturen und die Zuteilung entsprechender Aufgaben zu unterstützen, sondern auch- - je nach Kompetenz- und Energie-Level- - bei der Auswahl von passenden Lerninhalten und -Anbietern und bei der Zusammenstellung von Peergroups. Bisherige Lernerfahrungen im Projektkontext Im Projektgeschäft hatte Lernen theoretisch und praktisch immer einen hohen Stellenwert. Die besondere Form der Vorhabens-Bearbeitung forderte das Lernen geradezu heraus- - weshalb es schon früh entsprechende Formate wie Reviews gab, die Lernen ermöglichen und fördern sollten. Teilweise hat das funktioniert und die Erwartungen wurden erfüllt-- obwohl die Verortung des Lernformats am Ende des Projekts mitunter dazu verführte, nur noch abzuhaken, was erreicht worden ist, um sich schnell dem neuen Projekt zuwenden zu können. Teilweise verkamen die Reviews aber auch zu reinen Show- Veranstaltungen, in denen es nur noch darum ging, möglichst „unbefleckt“ rauszukommen. Einige Jahre wurde auch Lernen verwechselt mit Wissens- Sammlung und -Weitergabe-- also gab es zahlreiche Projekte, die sich damit beschäftigten, Wissens-Datenbanken zu erstellen. Erfolgreich waren derartige Initiativen oft nur dann, wenn es gelungen ist, ein kleines Wiki mit Begriffsklärungen und Situationsschilderungen mit Lösungsalternativen aufzubauen. Es stellte sich dann immer wieder die Frage, wie man den Lernprozess im Projekt besser organisieren kann, wie man die Menschen stärker dazu motiviert bekommt, sich über ihre Erfahrungen auszutauschen und diese auch weiterzugeben; bei der Standardisierung gab‘s dann aber häufig Grenzen. Wissen | „Lessons Learned“ aus „Best Practices“ greift zu kurz! 38 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 04/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0072 Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, dass es hier einer Neu- Definition und eines innovativen Vorgehens bedarf. Gleichzeitig sind im Zuge von Corona digitale Tools in unseren Berufsalltag etabliert worden, die nicht nur für den Austausch nützlich sind, sondern eben auch für das Lernen in Projekten. Was braucht es also, wenn man traditionelle Vorgehensweisen verlassen und die Lern-Potenziale wirklich heben will? Wir greifen dafür natürlich die Anregungen aus der agilen Praxis der letzten Jahre auf und die Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und anderen einschlägigen Disziplinen. Bestandteil der agilen Konzepte ist bekanntermaßen das inkrementelle Abarbeiten der Aufgaben aus den User-Stories; dies und die zunehmende Durchdringung dieser Aufgaben durch Elektronik erfordert ständiges experimentieren- - was Fehler machen einschließt- -, nachsteuern oder verändern und damit eben Lernen provoziert. Dies zeigt den hohen Stellenwert, den Lernen in diesem Kontext bekommt, was sich nicht nur in den agilen Werten und Prinzipien wiederfindet, sondern auch in der Einführung eines neben den klassischen Reviews zweiten Lern-Formats: der Retrospektive. Dazu kommt, dass sich die weitere Digitalisierung-- nicht erst seit der Corona-Pandemie mit ihrem massiven Homeoffice-Schub- - auch in einer zunehmenden Verlagerung der Projektarbeit auf elektronische Austauschplattformen und in die Cloud ausdrückt, was ebenfalls neue Anforderungen generiert und angepasste Lernaktivitäten nach sich zieht. Allerdings zeigen Studien (z. B. die jährlich von Komus u. a. für die GPM durchgeführte Studie „QuoVadis agile? “, 2020), dass diese Möglichkeiten oft nicht genügend genutzt werden, weil auch im agilen Projektalltag Stress herrscht und die Bedeutung der Kultur für eine erfolgreiche Umsetzung des Konzepts agilen Arbeitens geringgeschätzt oder gar nicht erkannt wird. Leider ist davon dann auch das kritische Hinterfragen des in den Reviews und Retrospektiven verfolgten Lern-Konzepts betroffen: es findet-- außer über den Hinweis auf die Nutzung elektronischer Medien kaum statt. Insofern ist es uns hier wichtig, kurz einige grundlegende Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und der Psychologie sowie der Medien- und Erwachsenenpädagogik zu referieren. Wir wollen damit verdeutlichen, dass ohne die Berücksichtigung dieser Erkenntnisse keine wirkliche Innovation beim Lernen in und aus Projekten erreicht werden kann. Neue und alte Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und anderen Disziplinen zu „Lernen“: • Wir Menschen sind tatsächlich lebenslang in der Lage zu lernen und unser Gehirn passt sich ständig neuen Anforderungen an. • Das Gehirn ist für das langfristige Lernen geschaffen („es tut nichts lieber“ (Spitzer, 2003)). • Am besten lernen wir, wenn Neues erprobt wird durch Handeln (action-learning, Eigen-Projekte, u. a.)-- allerdings braucht es Wiederholungen und Feedback-- auch auf der „Meta-Ebene“. Insofern ist „verzögertes“ oder „Voraus“- Lernen ungünstig. • Je mehr Erfahrung, desto mehr können neue Erkenntnisse mit bereits vorhandenem Wissen verknüpft werden-- man hat eine „Einordnungs-Folie“; für unbekannte Situationen/ Krisen braucht es einen B-Plan und selbstsicheres Erproben neuer Wege. • Lernen ist eng mit allen Sinnen verbunden- - also ist die vielerorts noch anzutreffende Wissensvermittlung (Behaltens-Quote liegt bei ca. 12 %) Zeitverschwendung; insbesondere der emotionalen Bewertung von Informationen kommt zentrale Bedeutung zu. • Lernen bleibt ein sozialer Akt (Hüther, Singer u. a.)-- aber er verändert sich durch den Einsatz digitaler Medien (wie z. B. Twitter u. ä.) teilweise gravierend. • Selbstorganisiertes Lernen muss gelernt werden und braucht passende mediale Unterstützung-- sonst erzeugt es Stress. • Viele hilfreiche und flexibel einsatzbare Tools harren der Anwendung in der Projektarbeit-- die Anstrengung ist, sich parallel zum Arbeitsprozess didaktisch hilfreiche Lerndesigns je nach Bedürfnis auszudenken und die Lernpfade dann gemeinsam zu begehen und sich die dazu nötigen Kompetenzen „on-the-fly“ anzueignen • Lernen geht dann besser, wenn wir belohnt werden, wenn an unsere Kompetenzen geglaubt wird. Es macht Sinn, sich vor diesem Hintergrund und mit Bezug auf modernes Projektmanagement (PM) wie dem agilen Ansatz erneut mit folgender Frage auseinanderzusetzen: Wie nutzen Teams die Möglichkeiten im Projektablauf, gemachte Erfahrungen so gemeinsam zu reflektieren, dass sowohl das aktuelle als auch zukünftige Projekte und nicht zuletzt die Organisation davon profitieren können? Und zwar im Sinne von KVP und Verbesserung der Performance der Projektbeteiligten sowie im Sinne des Change des gesamten Unternehmens. Wenn sich nun-- wie wir das derzeit erleben-- die Notwendigkeit abzeichnet, Arbeiten und Lernen sehr viel schneller und konkreter auf die momentane Aufgabensituation und Rollenübernahme zu beziehen, und beides viel enger zusammenzubinden als dies bisher der Fall war, dann muss sich sowohl der Rahmen von Lernprozessen als auch das dazugehörige Konzept inkl. Methodik-Didaktik ändern. Und dies unter Berücksichtigung des organisationalen und beziehungsmäßigen Umfeldes jedes Projekts. In diesem Sinne sollten schleunigst die Potenziale von Reviews, Retrospektiven und anderen Zusammenarbeits- und Reflexions-Formate gehoben werden, um so die Projekt- und damit auch die Lern-Praxis entscheidend zu erneuern und im Sinne des Change zu nutzen. Erste Schlussfolgerungen für anders Lernen Es braucht eine nützliche Lernumgebung für „anders Lernen“ in Projekten Viele Unternehmen haben mittlerweile die Zeichen der Zeit verstanden und bemühen sich sehr, neue Lernformate wie working-out-loud oder lego serious play und andere innovative Methoden einzuführen. Lernen wird damit aus der Ecke „das ist ja wie in der Schule“ herausgerissen und als selbstverständlicher Bestandteil der Arbeit etabliert. Auch die Mitarbeiter*innen haben verstanden, dass sie nicht nur warten können, bis jemand etwas für sie und ihre Entwicklung tut, sondern dass sie auch eine Verantwortung dafür haben und sich ebenfalls darum bemühen müssen, sich weiterzuentwickeln. Ausdruck eines wachsenden Bewusstseins in diese Richtung dürften die zahlreichen Austausch- und Lern- Communities, die sich in den letzten Jahren gegründet haben, sein. Für besonders wertvoll halten wir die Tatsache, dass einerseits vielerlei Lern-Formate, die aus den Sozialwissen- Wissen | „Lessons Learned“ aus „Best Practices“ greift zu kurz! 39 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 04/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0072 schaften bekannt sind (wie z. B. kollegiale Beratung), auch im Projektgeschäft rasch um sich greifen, andererseits aber auch Erfahrungen mit neuen Lernformaten ausgetauscht und deren Wirkung auf das Projekt und den Lernfortschritt der Menschen kritisch diskutiert werden. Dazu gehört z. B. die Debatte über die Integration von Lernen in die Leistungsbewertung, die Klärung der neuen Rollenanforderung an die PL / PM bzw. den SM oder den PO oder das PMO „Lern-Coach“ oder „Mentor“ für die Team-Mitglieder zu sein. Wie häufig stehen der Umsetzung jedoch leider Glaubenssätze, die das lebenslange Lernen in Frage stellen, entgegen oder Kulturen, die jeden Fehler monieren und nach wie vor auf Schuldzuweisung setzen und von Misstrauen und Unwirksamkeitsunterstellungen geprägt sind. Wenn letzteres der Fall ist, dann sollten betroffene Firmen in der Tat mit der oft relativ abgehobenen Werte-Diskussion den Lernanspruch verbinden und die dazu nützlichen Rahmenbedingungen (genügend Raum für Experimente, für die Erprobung neuer Lösungen, neuer Wege usw.) für die Reflexion klären und vereinbaren. Ein nächster Schritt-- mit einer etwas weiteren Perspektive- - wäre die Verknüpfung des Lernens im Projekt/ aus dem Projekt mit der Optimierung der Projekte Richtung „Excellence“ und Richtung „weniger ist mehr“ und damit ggf. mit laufenden oder geplanten Change-Prozessen mit dem Ziel die Anpassungsfähigkeit von Prozessen, Strukturen, Kulturen und damit auch Menschen zu erhöhen. Fördernde Lernformate einsetzen und entwickeln Eine schon alte Erkenntnis, aber gerade in der Kompetenzforschung nochmal neu untermauert, ist die Tatsache, dass nötige Kompetenzen und dazu passende Werte am besten bei der Bewältigung von realen Herausforderungen in agilen Arbeitsprozessen selbstorganisiert durch die Mitarbeiter aufgebaut werden können (vgl. Erpenbeck et. al. 2017, Reinmann 2017). Insbesondere im agilen Kontext ist die Entwicklung einer gemeinsamen Vision, eines gemeinsamen Entwicklungsverständnisses im Team, aber auch im Austausch mit der Führungsebene mit Konkretisierung auf die Bewältigung realer Herausforderungen sowie der Team-Performance gerichtet, sinnvoll. Dazu ist die Visualisierung aller relevanten Informationen hilfreich. Zudem sollten die Anforderungen an die Kompetenz im Team unter Einbeziehung der jeweiligen Führungsebene(n) und der aktuellen Bedürfnisse sowie des Entwicklungsstands definiert werden. Während der selbstorganisierten Bewältigung aktueller Herausforderungen im Arbeitsprozess sollte die Entwicklungs- Journey („Lern-Landkarte“) immer wieder durch regelmäßige Reflexion und Feedback daraufhin überprüft werden, inwieweit sie noch den Bedürfnissen der Team-Mitglieder sowie des Projekts entspricht, und wo von den Führungspersonen (z. B. Scrum Master oder Projektleiter oder durch die Personalabteilung) unterstützt werden kann. Das Format Daily Stand-up, in dem das Team sich synchronisiert und relevante Informationen austauscht- - sollte ebenso auf seine Lernpotenziale reflektiert werden wie die Retrospektive, wo sowohl die Zusammenarbeit, die Team- Entwicklung, als auch die persönliche Entwicklung zentrales Thema sind. Gerade hierin liegen nach unseren Erfahrungen die größten Entwicklungschancen, weil eine gut funktionierende Retrospektive ein wichtiger Anker für den Umbau der Kultur in Richtung „agil“ darstellt. Das Review schließlich hat eine andere Ausrichtung: Dort geht es um den Austausch nach den Sprints von Arbeitsergebnissen und Lösungsvorschlägen- - u. E. sollte dort aber eine Runde zur Kommunikation und zum fachlichen Lernen mit Blick auf die fachlichen und methodischen Kompetenzen integriert werden. Pilotprojekte und -Teilprojekte können ebenfalls ein wichtiges Lernformat darstellen, weil dort schnell Ergebnisse und Erfahrungen im Rahmen von praktischen Projektaufgaben in der Praxis sichtbar gemacht und mit „positivem“ Feedback gestärkt oder mit „negativem“ Feedback und weiteren Lern- Schleifen zum nachhaltigen Musterwechsel genutzt werden können. Dabei können auch unterschiedliche Methoden angewandt und überprüft werden- - u. a. auch angeregt durch das PMO. In allen vier Formaten können auch Feedback-Prozesse mit Anwendern, externen Experten oder auch Entwicklungspartnern sowie natürlich Kunden und anderen Stakeholdern integriert werden. Methodisch-didaktisch Lernen „on-the-job“- - der Kern moderner Lernkultur Grundsätzlich sollte klar sein, dass es im Projektzusammenhang wesentlich wirkungsvoller ist, wenn „on-the-job“ im Projektablauf anhand konkreter Beispiele im Rahmen obiger Formate und darüber hinaus gelernt wird; dabei steht folgender Dreischritt im Zentrum: 1. Machen / Erproben- - wo sinnvoll ergänzt durch einen kurzen Planungsschritt vor dem „Machen“. 2. Reflektieren, auch mit „anderen Brillen“ schauen (gemeinsam im Team), und dann noch mal oder neu probieren. 3. Auswerten, vorläufig fixieren, aber dabei flexibel genug bleiben für weitere Veränderungen. Später dann in eine neue Routine überführen. Wir setzen uns mit diesem Drei-Schritt explizit von dem PDCA-Zyklus von Deming, der im PM eine hohe Anerkennung genießt, ab. Und wichtig: Reflexion wird nach unserer Wahrnehmung häufig verwechselt mit „Nachdenken“ oder „Grübeln“. Es geht dabei aber vielmehr darum, sich darüber klar zu werden, welche Erfahrungen man mit welchem Handeln, welchen Vorannahmen usw. gemacht hat, und wie man das nächste Mal besser wird, sein Verhalten ändern kann- - und auch sollte. Dazu braucht es Selbstbewusstsein, Verantwortungsübernahme für das eigene Handeln, Einsicht zur Selbstwirksamkeit, Bereitschaft zu lernen und neue Wege zu gehen, verbunden mit konstruktivem Feedback und einer Offenheit für Kritik, denn hierin liegen die besten Chancen zur Verbesserung. Abschließend kann gesagt werden, dass das Lernen im Projekt wichtiger wird denn je. Denn moderne Projekte stehen unter einem immer größer werdenden Zeit- und Erfolgsdruck. Die Dauer eines Projekts wird kürzer, die Erwartungen der Stakeholder immer größer, die politischen Einflüsse immer spürbarer. Und wenn man noch Aspekte wie Nachhaltigkeit, Energie, Klima und Umwelt mit einbezieht, werden die Projekte auch immer wichtiger für die nachfolgenden Generationen. Daher kann es nicht nur eine Empfehlung sein, die Lern- und Verbesserungsprozesse zu überarbeiten, zu er- Wissen | „Lessons Learned“ aus „Best Practices“ greift zu kurz! neuern und dabei auch neue Wege zu gehen, um den immer volatiler und gewichtigeren Rahmenbedingungen moderner und künftiger Projektlandschaften noch gerecht zu werden-- es ist aus unserer Sicht sogar eine Pflicht, dies zu tun. Und besser heute als morgen. Eingangsabbildung: © iStock.com / BeritK Dr. Klaus Wagenhals Dr. Klaus Wagenhals, metisleadership, gelernter Industrie-Soziologe und Organisations-Psychologe, hat einige Jahre in Projekten in unterschiedlichen Rollen gearbeitet, war dann 10 Jahre Geschäftsführer einer mittelständischen Beratungsfirma und ist seit 1998 freier Berater mit den Schwerpunkten Begleitung von Change-Prozessen in Richtung „agil“, Optimierung von Projekten Richtung „excellence“ sowie Unterstützung von Führungspersonen vorwiegend im mittleren Management. 2007 gründete er zusammen mit KollegInnen das Netzwerk metisleadership. Dr. Wagenhals hat sich in zahlreichen Disziplinen und Methoden weitergebildet und engagiert sich sowohl als Autor und Speaker als auch ehrenamtlich z. B. für die Gesellschaft für Projektmanagement, für die Wirtschaftspsychologen Rhein-Main u. a. Henrik Hansemann Henrik Hansemann, geb. 1972 in Heidelberg, ist von Haus aus Diplom-Geograph. Er konnte umfassende Erfahrungen im Healthcare-Sektor in der Öffentlichkeitsarbeit und später als Leiter der Vorstands-Geschäftsstelle des Uniklinikums Heidelberg sammeln. Nach einem Abstecher als Head of Communications eines deutschen Stromwechselportals wechselte er als Senior Project Manager zur Ludwigshafener Firma Project Solutions GmbH. Dort betreute er vor allem Kunden im Medtech-Umfeld bei komplexen Projekten. Heute ist er Geschäftsführer der Firma, die sich unter ihm nicht nur im Umfeld Medtech / Pharma, sondern auch zunehmend in der Metropolregion Rhein-Neckar, vor allem mit Fokus auf dortige Maßnahmen zum grünen Wasserstoff, engagiert. Max L. J. Wolf Projektarbeit bei kleineren und mittleren Vorhaben Orientierung schaffen für die Praxis mit dem Projektmanagement-Kompass! expertverlag.de Anzeige