eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 34/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2023-0074
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2023
344 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Wittgenstein und das Projektmanagement: Was wir vom Philosophen für die Praxis lernen

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2023
David Weicht
Was lernen Projektmanager:innen vom Philosophen Wittgenstein für die Praxis? Der Artikel beleuchtet einen Satz aus dem Meisterwerk Tractatus logico-philosophicus des Philosophen Ludwig Wittgenstein und argumentiert für die Bedeutung einer geteilten Projektsprache, die alle Stakeholder verstehen und leben. Hierbei helfen Glossare, der bewusste Einsatz wertvoller Sprache sowie das schnelle und klar dokumentierte Onboarding neuer Stakeholder. Wittgenstein lehrt uns, dass bessere Projektsprache zu besseren Projektergebnissen führt.
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44 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 04/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0074 Wittgenstein und das Projektmanagement: Was wir vom Philosophen für die Praxis lernen David Weicht Für eilige Leser | Was lernen Projektmanager: innen vom Philosophen Wittgenstein für die Praxis? Der Artikel beleuchtet einen Satz aus dem Meisterwerk Tractatus logico-philosophicus des Philosophen Ludwig Wittgenstein und argumentiert für die Bedeutung einer geteilten Projektsprache, die alle Stakeholder verstehen und leben. Hierbei helfen Glossare, der bewusste Einsatz wertvoller Sprache sowie das schnelle und klar dokumentierte Onboarding neuer Stakeholder. Wittgenstein lehrt uns, dass bessere Projektsprache zu besseren Projektergebnissen führt. Schlagwörter | Projektmanagement, Philosophie, Sprache, Psychologie, Change Management, Unternehmenskultur, Praxistipps. Im Bombengewitter des Ersten Weltkriegs schrieb der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein sein Meisterwerk mit dem kryptischen Titel »Tractatus logico-philosophicus«. Es wurde 1921 veröffentlicht und beeinflusst seither Denker, Künstler und Macher. Im Tractatus fragt Wittgenstein, was Sprache ist und zerbricht sie auf ihre Elemente. Für ihn ist Sprache unser Denkinstrument, das wir jedoch oft falsch einsetzen. Wenn wir über die Welt philosophieren und sie mit der Wissenschaft entdecken, nutzen wir unsere Sprache. Wittgenstein wollte eine einheitliche, formale Logiksprache schaffen, die das Philosophieren und das Forschen erst ermöglichen sollte. Inspiration für Ordnungsverliebte und Projektmanager: innen. Trotz der Kürze fassen selbst hartgesottene Philosoph: innen das Werk schwer im Ganzen. Ganz zu schweigen von Laien wie mir. Doch beim Anblick der klaren Struktur des Buches-- die Gedanken sind nummerierte, hierarchisch gegliederte Sätze- - schlägt jedes Herz schneller, das Aufbau und Ordnung liebt. Diese Klarheit erlaubt, Wittgensteins Aussagen einzeln aus dem Werk zu picken und sich von ihrer Stärke faszinieren zu lassen. Auch wenn Wittgensteins Ideen im hohen theoretischen Kontext leben, ziehe ich Essenzielles fürs praktische Projektmanagement heraus. Drei Sätze aus dem Tractatus schätze ich besonders, die ich mithilfe von Erkenntnissen der Wissenschaft, Normen globaler Projektmanagementstandards und persönlichen Praxiserfahrungen in jeweils einem Artikel untersuche. Was lernen wir aus Wittgensteins ausgeklügeltem Werk für das praktische Projektmanagement? „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ (Wittgenstein, 1963, S. 89.) Spricht Wittgenstein von der Welt, meint er mehr als die Erde, auf der wir uns physisch befinden. Die Welt ist alles, was unseren Sinnen erscheint und alle dazugehörigen Gedanken. Ein Projekt sind gebündelte Gedanken, die demnach eine Welt bilden. Die Grenzen dieser Welt erschaffen wir mit Sprache. Idealerweise arbeiten alle Projektteilnehmer an einer Welt. Wir verstehen andere und andere uns aber nur, wenn wir die Wissen | Wittgenstein und das Projektmanagement 45 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 04/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0074 gleiche Sprache sprechen. Das ist die im Projekt herrschende Amtssprache (Lingua Franca). Das sind Begriffe, über deren Bedeutung sich alle Projektteilnehmer einig sind (Shared Language). Das sind Redewendungen, die wir unbewusst ins Team einbringen, täglich nutzen und die fortleben, selbst wenn der Erfinder das Unternehmen längst verlassen hat (Shared Culture). Gleiches gilt für Neue, die das Projekt und die Teamkultur durch eine geteilte Sprache-- häufig in Lichtgeschwindigkeit-- lernen müssen. Ich denke an meinen ehemaligen PM-Meister, der an meinem ersten Arbeitstag meine endlosen Fragen zu den in der Agentur herrschenden Abkürzungen abgewinkt hatte. „Zu viele, um sich alle zu merken“, und ich gab berechtigterweise auf. Fremde Sprache, fremde Welt. Überhaupt betrifft Wittgensteins Aussage Wissen, das uns fremd ist: Fachsimpeln Experten, verstehen wir sie nur so weit unser Wissen über ihr Gebiet reicht. Unsere Welt ist somit begrenzt. Das gleicht einer Auslandsreise, deren Landessprache wir unfähig sind. Grenzen definieren Projekte. Dabei ist es mehr als der Umfang (Scope), der Projekte begrenzt. Wir denken an das Projektdreieck, dass wir Projektmanager: innen mit dem Scope an den Ecken Kosten und Zeit in Grenzen halten und damit die zentral stehende Qualität formen. Lasst uns Wittgensteins Idee ins Extrem ziehen. So können wir sagen, dass Qualität, die aus dem Zusammenspiel des Projektdreiecks wächst, durch Sprache entsteht. Je besser die Sprache, desto besser die Projektqualität. Zur Verbesserung der Projektsprache existiert kein Allheilmittel, aber einige Techniken. Darunter ein praktisches Hilfsmittel, das selbst dem wissensscheuen Mittelalter bekannt war: Glossare. Glossare als Sprachbasis in Projekten. Ein Glossar ist ein Wörterverzeichnis mit Erklärungen der darin aufgeführten Begriffe und bezieht sich auf einen bestimmten Wissensbereich. (Vgl. Duden, 2023) Das sind beispielsweise Wörter eines Buches, die als Anhang in einem alphabetischen Glossar erklärt werden. Das sind technische Begriffe eines Handbuchs. Das sind Abkürzungen, die wir nervraubend vergessen. Das sind wichtige Begriffe unseres Projektes. Die Ziele eines Glossars sind, Konzepte einfach verständlich zu machen, ihr Vokabular zu lernen und Kommunikation zu erleichtern. (Vgl. Morgan, 2000) Form, Farbe und Umfang des Glossars obliegt uns Projektmanager: innen. Das reicht von einer Handvoll Begriffen in einem Briefing für eine Minikampagne, bis hin zu einem breiten Markenglossar, das die Basis unserer Welt bildet. In Anbetracht der etlichen Aufgaben als Projektmanager: innen lautet das pragmatische Mantra entsprechend „So wenig wie möglich, so viel wie nötig“. Ein Glossar lebt und wächst an einem für alle Stakeholder zugänglichen Ort, bestenfalls im Projektplan selbst. Je mehr wir lernen, desto reicher erleben wir unsere Welt. Neue Begriffe notieren wir konform im Glossar. Vage Wörter werden redefiniert. Wir tragen Begriffe aus vergangenen Projekten in neue Welten, die wir mit Stakeholdern kreieren. Die Stärke unseres Glossars bedeutet die Stärke unseres Projektes. Vom philosophischen Ross Wittgenstein auf den knorrigen Besenstiel eines popeligen Glossars? Wirkung von Glossaren auf den Projekterfolg-- von der Malariabekämpfung hin zu Fremdsprachen. Die Wissenschaft bestätigt es jedenfalls. Eine Studie im Rahmen der Non-Profit-Organisation Target Malaria untersuchte den Einsatz von Glossaren im Hinblick auf die Steigerung der Projektergebnisse. Die Resultate zeigen, dass der Einsatz eines gemeinsam gepflegten und gelebten Glossars, positiv auf den Projekterfolg wirkt. So erhöhte das Glossar die Projektbeteiligung bei den Stakeholdern. Da keine neue Sprache erfunden werden musste, konnten komplexe Konzepte mit bestehenden, den Stakeholdern verständlichen Wörtern aus dem Glossar erklärt werden. Neue Begriffe, die im Laufe des Projektes geschaffen wurden, fanden Einzug ins Glossar. Die Wiederverwendung der Begriffe sparte Zeit und machte die Stakeholder schlauer. Forscher der Universität Las Palmas untersuchten den Einfluss von Glossaren auf die Wirksamkeit des Lernens fremdsprachiger Fachbegriffe. Die Ergebnisse zeigen, dass gemeinsam erarbeitete Glossare autonomes und kollaboratives Lernen vereinen. Glossare helfen Stakeholdern, ihr Wissen einzubringen und zu vertiefen. (Vgl. García-Sánchez & Luján- García, 2020, S. 202) Auch Projektmanagementstandards plädieren für den Einsatz von Glossaren-- sie basieren schließlich selbst auf ihnen. Ein Beispiel für ein ausgewogenes Glossar ist der deutsche Standard DIN 69 901 mit fünf bis hundertfünfzig Begriffen. (Vgl. Grau, 2013, S. 14) Die Norm ISO / TC 258 enthält sogar ein separates Dokument mit standardisierten Begriffen. (Vgl. ISO, 2011) Das Project Management Body of Knowledge sieht Glossare als wesentlichen Teil des Communications Management Plans. (Vgl. Edition, 2018, S. 304) Und im Scrum gehören Definitionen von Entry, Ready und Done in jedes Projektglossar. (Vgl. Schwaber & Sutherland, 2020) Glossare in der Praxis-- Fluch oder Segen? Definitiv ein Segen- - diese Erfahrung mache ich zumindest in der Praxis. Beispielsweise betreute ich die Website einer internationalen Automarke. Das Projekt war mit einer breiten Palette von Stakeholdern gespickt, darunter viele Freelancer, die im Wochenrhythmus wechselten und entsprechend fix aufsatteln mussten. Auch wenn wir mit Scrum einen agilen Projektansatz verfolgt hatten, brachen Lücken auf, die auf einer fehlenden, geteilten Projektsprache basierten. Zwar wusste jeder, dass die Website eine Navigation hatte. Jedoch bestand diese aus drei Teilen, die jeder im Team anders nannte. „Wir reden über die Navigation“, sagte der Kunde. „Welche der drei Navigationen? “, fragte die Konzepterin berechtigterweise konkreter. Speziell hektischer Projektstress macht uns dumm und sprachfaul. Das macht eine dokumentierte, konstante Sprache essenziell. Wissen | Wittgenstein und das Projektmanagement 46 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 04/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0074 Da ich das Projekt geerbt hatte und überhäuft mit fremden Konzepten war, musste ich erst mal den Überblick gewinnen und schrieb im Stillen ein Glossar. So baute ich-- wenn auch erst mal nur meine-- Welt. Die Begriffe aus meinem Glossar nutzte ich in den User Stories. Später klebte ich das Glossar in die Tickets. Als das Glossar meine Notizen überwucherte, errichtete ich eine Confluence-Seite und teilte den Link mit den Stakeholdern. Unklare Begriffe habe ich mir von Experten erklären lassen. Als internationales Team sprachen wir Englisch. Plötzlich sprudelten selbst wortkarge Entwickler vor Erklärfreude. Wir sprechen eine Fremdsprache besser, wenn wir von etwas reden, das wir lieben. Frag einen Experten, dir einen Begriff aus seiner Welt zu erklären-- er holt dich notfalls mit Händen und Füßen ab. Das Team übernahm das Glossar. Hier und da schärften wir Definitionen. Endlich sprachen wir eine Sprache. Nun ging es in Meetings um die „Hauptnavigation“ oder die „Subnavigation“. Da wir parallel an einem Design-System gearbeitet hatten, verheirateten wir das Glossar mit der dazugehörigen Komponentenbibliothek. Aber auch Begriffe, die unabhängig von den Deliverables unsere Welt formten, wurden vereinheitlicht, im Glossar gepflegt und verbesserten unsere Kommunikation. Glossare helfen, Projektbegriffe zu definieren, zu sammeln und Stakeholdern praktisch bereitzustellen. Ein Glossar als Wörterbuch unserer Welt, als Konzeptinventar unseres Projektes, das wir mit dem magischen Werkzeug Sprache in Grenzen halten. Gemeinsame Sprache, gemeinsame Welt. Um Projektgrenzen zu definieren, bedarf es natürlich mehr als ein Glossar. Weitaus wichtiger ist unsere Anwendung der Sprache. Klingt simpel, doch wir kennen die Tücken der Sprachfaulheit. Wenn wir unsere Welt durch unsere Sprache begrenzen, so gilt dies auch für unsere Mitmenschen- - in diesem Falle die Stakeholder unserer Projekte. Mit unserer Sprache bringen wir Menschen in unsere Welt, laufen aber auch Gefahr, sie auszugrenzen. Unsere Sprache wirkt so unweigerlich auf unser Denken und Wohlbefinden. Besonders interdisziplinäre Teams stehen vor der Herausforderung, Wissen unter instabilen Bedingungen schaffen zu müssen. Treffen zahlreiche Köpfe aus unterschiedlichen Zweigen und Wissensstufen aufeinander, bedarf es einer gemeinsamen Sprache zur erfolgreichen Kollaboration. (Vgl. Butler et al., 2021, S. 2) Denken wir in einer gemeinsamen Sprache, sehen wir bestenfalls eine gemeinsame Welt- - wenn auch eine verzerrte Welt, die wir durch persönlichen Filter wie Vorurteile, Wissensstand oder Erfahrungen individuell erleben. Auch hier zeigt die Wissenschaft den positiven Einfluss einer Shared Language auf das Projektmanagement. Eine Studie der ETH Zürich zeigte, dass Verständnis und Anwendung einer gemeinsamen Sprache zu besserer Kollaboration, höherer Qualität und höherer Jobzufriedenheit unter Mitarbeitern führte. (Vgl. Stühlinger et al., 2019, S. 7) Anderweitig untersuchte Corvello das Nutzungsverhalten akademischer Forscher in wissenschaftlichen Sozialen Medien. Er fand heraus, dass eine geteilte Sprache und der Nutzen von Wissen positiv aufeinander wirken. Verständliche Sprache können wir einfacher in unser bestehendes Wissen integrieren. Damit nutzen wir erlangtes Wissen mit größerer Wahrscheinlichkeit. (Vgl. Corvello et al., 2020, S. 11) Und wenn wir ohnehin die gleiche Sprache sprechen, fällt es uns leichter, Wissen mit anderen zu teilen. Geteilte Sprache und das Teilen von Wissen gehen Hand in Hand und schaffen Vertrauen. (Vgl. Corvello et al., 2020, S. 5) Das ist gerade bei frischen Teams wichtig, deren Mitglieder erstmals zusammenarbeiten. Eine gemeinsame Sprache ist ein unabdingbarer Indikator für den Projekterfolg. Das Gute: Menschen, die über einen Zeitraum zusammenarbeiten, schaffen zwangsläufig eine geteilte Sprache. Und Menschen, die eine Sprache teilen, kollaborieren auch wahrscheinlicher in der Zukunft wieder. Gleiche Sprachen ziehen sich an und schaffen Chancen für neue Ideen, gute Projekte und positives Wohlbefinden. (Vgl. Stark et al., 2020, S. 446) Der bewusste Einsatz von Sprache fördert also das Teamengagement. Die Sprache muss aber auch gelernt und gesprochen werden. So wie wir eine Fremdsprache besser lernen, wenn wir reisen oder verliebt sind, lernen wir eine geteilte Sprache, indem wir Sozialisieren. In einer der Effizienz verfallenen Welt scheuen wir uns leider zu oft, an der Kaffeemaschine zu plaudern oder mit Stakeholdern, die man sonst meidet, eine Mittagspause zu genießen. Damit gehen die Chancen des Sprechens und des größeren Projekterfolgs verloren. (Vgl. Martin, 2022, S. 11) Wertvolle Sprache-- Projektmanager: innen im Sprachgarten. Wir sollten daher Wert auf unsere Sprache legen. Das gilt natürlich für eine respektvolle Sprache, schließlich sind wir Menschen. Aber auch technische und projektbezogene Begriffe sollten wir eindeutig nutzen. Besonders wenn uns der Projektalltag entgegenschießt, sollten wir Wörter bewusst wählen. Wortakrobatiken kosten Platz (in Zeichenlänge) und Zeit (in Geld), also wählen wir allgemein verständliche, kurze Wörter. Als Projektmanager: innen ist es unsere Aufgabe, Stakeholder mit Informationen zu versorgen, wann immer und in welcher Form sie benötigt werden. (Vgl. Edition, 2018, S. 292) Abgesehen von projektspezifischen Wörtern holen wir Stakeholder mit einfacher Sprache ab. Wir nutzen unsere geteilte Sprache bewusst, um Grenzen zu definieren. Worüber reden wir, wenn wir über X reden und worüber reden wir nicht? Genauso erweitern wir Grenzen. Wörter und Redewendungen entstehen im Projektverlauf, variieren, bekommen neue Bedeutungen. Als gute Projektmanager: innen nutzen wir bestehende Sprache und kultivieren neue Sprache. Sprachgärtner: innen sozusagen. Was wunderbar zu Wittgenstein passt, der neben seiner Professur in Cambridge Gärtner und Architekt war. Bei letzterem musste er den Bauleiter in den Wahnsinn getrieben haben-- die Decke lag ihm zu niedrig und musste im Nachhinein um drei Zentimeter höher gelegt werden. Onboarding: Willkommen in unserer Welt. Unser Garten steht- - die Welt existiert. Plötzlich klingelt es. Am Tor zu unserem Projektgarten steht ein neuer Stakeholder. Oft ein neues Mitglied im operativen Team. Es obliegt Wissen | Wittgenstein und das Projektmanagement 47 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 04/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0074 uns Projektmanager: innen, Neuankömmlinge in unsere Welt einzuführen. Wie helfen wir Neuen, Grenzen zu überschreiten und sich in unserer Welt zurechtzufinden? Blicken wir zurück: Wir besitzen ein Glossar, eine geteilte Projektsprache. Dazu weitere Dokumente, die Teil unseres Projektplanes sind-- die Karte unserer Welt, das Wörterbuch. Alles, was dazugehört. Neue ins kalte Wasser zu werfen und zu hoffen, dass sie von selbst schwimmen, kostet. Unternehmen verlieren Unsummen, weil Mitarbeiter ihren Job missverstehen. Dazu gehören sowohl Frustrationen der neuen Mitarbeiter als auch bestehender Experten. (Vgl. Liu et al., 2018, S. 52 083.) Wir Projektmanager: innen kennen die Herausforderungen des Tagesgeschäftes. Uns fehlt immer Zeit. Den Unternehmen fehlen oft Prozesse und Wissensträger. Auch wenn wir unser Flugzeug im Flug bauen, sollte jeder Passagier- - wie bei üblichen Flugreisen schließlich auch-- ein gutes Onboarding genießen. Folgen Sie bitte den Anweisungen des Bordpersonals. Onboarding ist ein Prozess, um neuen Mitarbeitern den Einstieg in die Unternehmenskultur, in die Arbeitsstelle und in die Projektwelt zu erleichtern. Ziel des Onboardings ist, Neuankömmlinge schnell und bestmöglich in den Job zu integrieren. (Vgl. T. Y. Gura et al., 2022, S. 359) Schließlich zahlen Unternehmen hohe Preise, indem sie Mitarbeiter rekrutieren, trainieren und-- besonders in Zeiten hohen Personalwechsels-- pflegen. Müssen regelmäßig viele Neue gleichzeitig an Bord gebracht werden, ist ein durchdachtes Onboarding höchst essentiell. (Vgl. T. Y. Gura et al., 2022, S. 358) Forscher der Universität Heidelberg untersuchten den Einfluss von Faktoren, welche die Transaktionskosten eines Projektes senken. Transaktionskosten sind Kosten, die wir zahlen, um eine Dienstleistung oder ein Produkt zu erwerben. Das können Kreditkartengebühren beim Bezahlen der Ware, aber auch die Zeit selbst sein, die wir benötigen, um Neues zu lernen. Die Studie ergab, dass das schnelle Onboarding aller Stakeholder ein kostensenkender Faktor ist. Onboarding hat einen positiven Einfluss auf den Projekterfolg, indem es Transaktionskosten senkt. (Vgl. Schulze et al., 2021, S. 6) Gutes Onboarding zeichnet sich durch drei Faktoren aus: Im Unternehmen existieren Dokumente und definierte Prozesse zum Onboarding; Mentor: innen und Neuankömmlinge kommunizieren produktiv und Mentor: innen besitzen professionelle Kompetenz. (Vgl. T. Y. Gura et al., 2022, S. 371) Reiseführer: innen auf Weltenwegen. Hier glänzt der Wert guter Mentor: innen. Kundige Reiseführer: innen, die uns in neue Welten leiten. Sie beraten, formen die Umstände, damit Mitarbeiter sich entwickeln und wachsen können. (Vgl. T. Y. Gura et al., 2022, S. 361) Zu den wichtigsten Eigenschaften guter Mentor: innen zählen vor allem Geselligkeit und Freundlichkeit, Toleranz und Geduld sowie eine innere Ruhe und emotionale Reife, die sich in Selbstvertrauen und Beherrschung in Stresssituationen widerspiegelt. (Vgl. T. Y. Gura et al., 2022, S. 369) Auch der Projektmanagementstandard des PMI plädiert für gutes Onboarding. Pläne, Prozesse und Wissen des Unternehmens sind Teil der Organizational Process Assets, deren Einführung im Communications Management Plan angedacht ist und durch die konstante Schaffung neuen Wissens des Knowledge Managements gefüttert wird. (Vgl. Edition, 2018, S. 58) Praxisnah empfiehlt das PMI auch ein Buddy System. Persönliche Pat: innen führen neue Mitarbeiter: innen in die Teamkultur ein, stehen bei Fragen zur Seite und helfen, wenn die Last des Neuen erdrückt. Auch hier ist ein formal dokumentierter Onboarding-Prozess relevant. Ein guter Buddy spornt Neue an, Wissen mit dem Team zu teilen. Und mit jedem Neuankömmling hat das Onboarding die Chance auf Feedback und damit auf Verbesserung, womit wir wieder bei der agilen Philosophie landen. (Vgl. Cooper, 2014) Von der Atomphysik bis zum Projektmanagement-- die Fallen und Gemeinsamkeiten des Onboardings. Die Tiefe des Onboardings variiert nur mit der Projektgröße. Letztlich ist jedes Onboarding gleich. Vom Hobbyprojekt bis zu hyperkomplexen Projekten wie dem Teilchenbeschleuniger im Forschungsinstitut CERN. Die Atomphysiker verwalten mit überschaubaren Mitteln eine begehrte Ressource und lösen dies unter anderem mithilfe eines klaren Onboardings. (Vgl. David et al., 2019, S. 1) Zwar liege ich weit weg vom Atomphysiker, fühlte mich aber an meinem ersten Agenturtag von tausenden Informationen genauso überwältigt- - als wäre ich durch einen Teilchenbeschleuniger gejagt worden. Glücklicherweise halfen mir zum einen eine Broschüre der Agentur, gespickt mit Überlebenstipps für die ersten Wochen, zum anderen eine detaillierte Präsentation mit zeitnahen Informationen wie Projekten der Agentur und einem Kundenüberblick. Zudem kümmerte sich mein Chef bestens, mich Schritt für Schritt in die neue Welt zu leiten. Doch auch als Profis kennen wir die Probleme des Neueinstiegs. Dazu zählen Festangestellte genauso wie Freelancer, wobei ich oft miterlebe, dass letzteren seltener die Hand zum Einstieg gereicht wird. Auch wenn freie Mitarbeiter Schnellaufsprünge gewohnt sind, bedarf es dennoch Dokumente, einem Ansprechpartner für Fragen und natürlich auch der eigenen Muße des neuen Mitarbeiters, sich ins Onboarding einzulesen und das Gelernte anzuwenden. Wie üblich lauern die Täter hinter den Barrikaden fehlender Zeit. Dazu halblose Dokumente mit alten Informationen, für die sich niemand zuständig fühlt und für die wahrscheinlich niemand verantwortlich berufen wurde. Aus praktischer Sicht verständlich und schade. Hier ist Raum zur Verbesserung. Wenn wir Projektmanager: innen unseren Fokus ein wenig, so gut es geht, vom täglichen Projektgeschäft aufs Onboarding legen, erhöhen wir auf Dauer die Qualität des Projektes. Hierbei sprechen wir neben dem Projektumfang, der Zeit und der Ressourcen, auch von allen Stakeholdern, einschließlich uns selbst. Die Grenzen meiner Sprache bedeuten also die Qualität meiner Welt als Projektmanager: in? Exakt-- mit einem klaren und schnellen Onboarding aller Stakeholder sowie einer geteilten Sprache, die auf einem für alle Projektteilnehmer verständlichen, transparenten Glossar beruht. Wittgensteins Satz „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“ bringt Klarheit in unsere Projekte. Er kreiert Verbindungen und geteilte Erfolge, gemeinsame Welten, über die wir gerne sprechen und in die wir andere gerne mitnehmen. Wissen | Wittgenstein und das Projektmanagement 48 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 04/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0074 Literatur Butler, E. P., Bliss-Ketchum, L. L., de Rivera, C. E., Dissanayake, S. T. M., Hardy, C. L., Horn, D. A., Huffine, B., Temple, A. M., Vermeulen, M. E. & Wallace, H. (2022). Habitat, geophysical, and eco-social connectivity: benefits of resilient socio-ecological landscapes. Landscape Ecology, 37, 1-29. https: / / doi.org / 10.1007 / s10 980-021-01 339y Cooper, J. & Wight, J. (2014). 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