PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2023-0079
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Dabei sein ist alles
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Jens Köhler
Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch – Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben.
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61 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 04/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0079 Jens Köhler Priesberg betritt verwirrt das Büro von Ehrlich, der die ganze Zeit mit einer App auf seinem Smartphone kämpft. „Ich bin seit kurzem Teil eines Projekts und habe den Eindruck, die Teammitglieder unterhalten sich munter über die Inhalte“, legt Priesberg los. Ehrlich wundert sich über die banale Aussage seines Kollegen und fragt ihn: „Ja, was sollen sie denn sonst machen? Über das schlechte Herbstwetter reden? “ Er schaut aus dem Fenster und wirkt missmutig, da es seit Tagen regnet. Priesberg reagiert pikiert: „Das meine ich nicht. Ich habe den Eindruck, dass ihnen nicht mehr klar ist, wofür sie das alles machen. Man ist einfach dabei und redet mit.“ Ehrlich ahnt den Punkt: „So nach dem Motto: ‚Dabei sein ist alles.‘“ „Schön, dass du mich endlich wahrnimmst“, antwortet Priesberg. „Ich komme mir in dem Projekt nämlich seltsam vor: Keiner scheint sich an mir zu stören. Es geht um viele Schnittstellen zwischen Datenbanken zur Eliminierung von analogen Abläufen.“ Ehrlich fragt: „Was ist denn deine Rolle? Wer hat dich denn in das Projekt geschickt? “ Priesberg antwortet: „Ich soll bald die Leitung übernehmen. Weil es fachlich passt. So hat es der Lenkungskreis entschieden.“ „Was würdest du denn am liebsten tun? “, fragt Ehrlich. „Am liebsten würde ich erstmal eine Bestandsaufnahme machen und schauen, wer die Auftraggeber sind, was der Zeithorizont ist und was es kosten wird“, antwortet Priesberg spontan. „Warum machst du das dann nicht? “, fragt Ehrlich. „Na ja, das ist einfach. Wenn ich jetzt alles hinterfrage, dann denken die Kollegen doch, ich hätte keine Ahnung. Das tut meiner Autorität als zukünftiger Projektleiter nicht gut“, denkt Priesberg laut nach. „Du bist unverbraucht und kennst die ganzen Details nicht. Das ist doch das beste Argument, dein Projekt einer Revision zu unterziehen. Schon auf der nächsten Sitzung würde ich genau das machen“, insistiert Ehrlich. Priesberg überlegt: „Vielleicht hat jeder Angst, als inkompetent angesehen zu werden und keiner fragt daher, weshalb man das Projekt macht.“ Ehrlich fasst zusammen: „Gewöhnung an die Inhalte und Verlust des Bezuges. Das kommt leider sehr häufig vor. Ich behaupte, dass in einer Organisation einer bestimmten Größe diese Geisterprojekte als emergente Phänomene auftauchen.“ Priesberg rätselt: „Meinst du damit, dass in großen Organisationen projektähnliche Gebilde aus dem Nichts, ohne Auftraggeber entstehen können? “ Ehrlich grinst: „Ja, genau das meine ich. Eine Fragestellung steht im Raum, Leute interessieren sich dafür, aber jeder, der die Leitung freiwillig übernimmt, wird früher oder später ein Problem haben.“ „Weil er auch die Verantwortung für Dinge übernimmt, die er nicht beeinflussen kann wie die Ressourcen aus einer anderen Abteilung, die plötzlich auch ‚mitmachen‘ will? “, fragt Priesberg, der jetzt voll dabei ist. „Ja, ganz genau. Plötzlich ist da etwas, was als Projekt angesehen wird und liefert Dinge ab, die am Ende mit hoher Wahrscheinlichkeit so keiner haben will. So etwas kann bei deinem Projekt auch passieren“, ergänzt Ehrlich. „Also ist es geradezu zwingend, dass ich mein Projekt einer Revision unterziehe. Und nach den Regeln spiele, die dann erarbeitet werden“, betont Priesberg. „Um es konkret zu machen: Auftraggeber und Auftrag kennen, Stakeholder benennen, Budget und Zeit festlegen“, will Ehrlich abschließen. Priesberg wirkt etwas enttäuscht: „Das ist aber sehr ‚Old School‘. Wenn wir sonst über das Thema sprechen, dann betrachten wir das doch aus dem systemischen Blickwinkel.“ „Aber das haben wir doch“, widerspricht Ehrlich und fährt fort: „Der Ordnungsparameter, der das Verhalten ‚dabei sein ist alles‘ ermöglicht, den können wir ruhig ‚Wartezeit‘ nennen.“ Priesberg überlegt: „Warum ist das so? “ Ehrlich antwortet: „Ganz einfach: Weil es in Organisationen möglich ist. Niemand ist zu einhundert Prozent ausgelastet. Organisationen erzeugen Wartezeiten, da man auf Entscheidungen, oder auch benötigtes Material oder was weiß ich warten muss. Jeder hat noch etwas Zeit, sich in Geisterprojekten zu verlieren. Und diese bilden einen Schutzraum, niemand fragt nach, man trifft sich gerne.“ Priesberg fasst zusammen: „Also muss jeder ein Gespür für solche Projekte entwickeln und darf sich nicht scheuen, nach dem Sinn und Zweck zu fragen.“ „Ganz genau. Ein Weckruf wird nicht schaden. Und darüber hinaus kann nur so der Erfolg, nämlich zufriedene Auftraggeber, erreicht werden. Und das macht viel mehr Spaß, als sich an Details festzuklammern“, schließt Ehrlich. Eingangsabbildung: © iStock.com / Comeback Images Kolumne Dabei sein ist alles Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch-- Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. Sein Spezialgebiet ist die Regulation sozialer Komplexität zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams. Anschrift: BASF SE, RGQ / IM, 67 056 Ludwigshafen, eMail: Jens.Koehler@basf.com