PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Im Projekt historischen Fund zum Reden bringen
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Oliver Steeger
Der Lübecker Unterwasserarchäologe Dr. Felix Rösch verdankt sein aktuelles Projekt einem Schiffsunglück aus dem 17. Jahrhundert. Auf dem Fluss Trave, der Lübeck mit der Ostsee verbindet, war ein Handelsschiff gesunken – vielleicht durch ein Feuer an Bord, vielleicht wegen der damaligen tückischen Untiefen. Über das Schicksal von Mannschaft und Kapitän, Reeder und Kaufleuten weiß man (noch) nichts. Fest steht: mitsamt dem Schiff ging auch die Ladung – 160 Fässer Branntkalk – komplett unter. Der Branntkalk, eine ätzende, hochreaktive Substanz, muss beim Kontakt mit Wasser große Hitze entwickelt haben.
Dieses Unglück ist für Dr. Felix Rösch und sein Team gewissermaßen ein Glücksfall. Das Wrack hat in rund elf Metern Wassertiefe die Jahrhunderte überraschend gut überstanden. Sogar die Hälfte der Ladung lag noch an Ort und Stelle im Rumpf. Das Wrack öffnet ein einzigartiges Fenster in die nordeuropäische Handelsschifffahrt der frühen Neuzeit. Große Teile des hölzernen Rumpfes und der Fässer sind bereits geborgen, ruhen in Süßwasserbecken in einem Gewerbegebiet und werden Stück für Stück dokumentiert.
Jetzt geht es in dem Projekt darum, den stummen Fund zum Reden zu bringen. Wie sah das Schiff aus? Wo wurde es gebaut? Wem gehörte es? Und weshalb genau ist das Schiff mit dem eindrucksvollen, möglicherweise bis zu sieben Meter hohen Heck gesunken? Ein Projekt, das Unterwasserarchäologie, Naturwissenschaft und Detektivarbeit miteinander verbindet.
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18 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0089 Ein Lübecker Hanseschiff, 160 Fässer Brantkalk - und eine Handvoll Rätsel Im Projekt historischen Fund zum Reden bringen Oliver Steeger Der Lübecker Unterwasserarchäologe Dr. Felix Rösch verdankt sein aktuelles Projekt einem Schiffsunglück aus dem 17. Jahrhundert. Auf dem Fluss Trave, der Lübeck mit der Ostsee verbindet, war ein Handelsschiff gesunken - vielleicht durch ein Feuer an Bord, vielleicht wegen der damaligen tückischen Untiefen. Über das Schicksal von Mannschaft und Kapitän, Reeder und Kaufleuten weiß man (noch) nichts. Fest steht: mitsamt dem Schiff ging auch die Ladung - 160 Fässer Branntkalk - komplett unter. Der Branntkalk, eine ätzende, hochreaktive Substanz, muss beim Kontakt mit Wasser große Hitze entwickelt haben. Dieses Unglück ist für Dr. Felix Rösch und sein Team gewissermaßen ein Glücksfall. Das Wrack hat in rund elf Metern Wassertiefe die Jahrhunderte überraschend gut überstanden. Sogar die Hälfte der Ladung lag noch an Ort und Stelle im Rumpf. Das Wrack öffnet ein einzigartiges Fenster in die nordeuropäische Handelsschifffahrt der frühen Neuzeit. Große Teile des hölzernen Rumpfes und der Fässer sind bereits geborgen, ruhen in Süßwasserbecken in einem Gewerbegebiet und werden Stück für Stück dokumentiert. Jetzt geht es in dem Projekt darum, den stummen Fund zum Reden zu bringen. Wie sah das Schiff aus? Wo wurde es gebaut? Wem gehörte es? Und weshalb genau ist das Schiff mit dem eindrucksvollen, möglicherweise bis zu sieben Meter hohen Heck gesunken? Ein Projekt, das Unterwasserarchäologie, Naturwissenschaft und Detektivarbeit miteinander verbindet. Herr Dr. Rösch, das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Ostsee (WSA Ostsee) untersucht regelmäßig die Fahrrinne der Trave. Man will sichergehen, dass dort nichts Gefährliches für den Schiffsverkehr liegt. Im Jahr 2020 ortete das Amt eine Unebenheit auf dem Grund des Flusses. Daraus entwickelte sich ein archäologischer Sensationsfund: Ein Frachtschiff aus dem 17. Jahrhundert, der Spätzeit der Hanse. Was macht den Zufallsfund für Sie als Archäologe so spannend? Dr. Felix Rösch: Zum einen haben wir aus der Spätphase der Hanse relativ wenig Schiffsfunde, schon gar nicht in Binnengewässern. Zum anderen ist der Fund überraschend gut erhalten. Nach meinem Wissen gibt es kaum einen vergleichbaren Fund. Vermutlich gibt es ähnlich gut konservierte Schiffe auf dem Grund der Ostsee; unter den anaeroben Bedingungen in dieser Wassertiefe haben sie oft in hervorragendem Zustand überdauert, manchmal sogar mit vollständiger Takelage. Aber diese Wracks kann man nur mit Robotern oder technischen Tauchern erforschen. In unserem Fall ist das anders. Wir können wirklich in das Schiff hineintauchen. Wir können die Bauweise verstehen und es Stück für Stück untersuchen. Sie sagten, dass das Wrack in der Trave gut erhalten ist - trotz der geringen Wassertiefe von etwa 11 Metern … Das ist ein wichtiger Punkt. Bei Funden in ähnlich flachen Gewässern sind häufig nur die Bodenschalen havarierter oder absichtlich versenkter Schiffe erhalten. Alles andere fehlt, häufig auch die Ladung. In unserem Fall haben wir die Bord- Reportage | Im Projekt historischen Fund zum Reden bringen 19 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0089 wände, den Heckbereich und das riesige Ruder gefunden. Und wir haben die komplette Ladung! Sie bergen - laienhaft gesagt - auch die Teile des Schiffes, die früher über Wasser lagen? Richtig. Die Bordwände sind abgebrochen, aber sie sind noch stellenweise vorhanden, links und rechts zur Seite gefallen. Wir haben wesentliche Teile des Hecks gefunden. Hölzer vom Inneren des Schiffs sind ebenfalls vorhanden; meistens sind sie um das Wrack herum verstreut. Durch diese Funde lernen wir viel über die Bauweise und Aussehen der Handelsschiffe aus dieser Zeit. Wir können die Schiffsbautechnik studieren. Das, was wir bislang darüber wussten, war immer etwas hypothetisch. Wir haben beispielsweise einen Deckbalken entdeckt, der von Backbord nach Steuerbord ging … … also quer über das Schiff … Ja. Dank dieses Balkens können wir auf die Breite des Schiffes schließen. Das Ruder, das wir geborgen haben, ist mehr als fünf Meter lang. Wir können davon ausgehen, dass das Heck mindestens fünf Meter hoch war, vielleicht sogar bis zu sieben. Das alles wird sich mit weiteren Forschungen konkretisieren. Das Schiff muss beeindruckend gewesen sein. Wie groß war es? Es war gewiss beeindruckend. Da das Schiff mindestens 160 Fässer transportieren konnte, lässt sich auf eine Ladungskapazität von 75-90 t schließen. Wir haben den 17,2 Meter langen Kiel komplett freigelegt. Damit dürfte das Schiff vom Bug bis zum Heck zwischen 21 und 23 Metern lang gewesen sein. Die Breite wird zwischen fünfeinhalb und sechs Metern gelegen haben, wie uns der vollständig erhaltene Decksbalken verrät. Die Ausmaße standen also im Verhältnis von etwa 1 zu 3,5 oder 4. Damit handelt es sich um ein mittleres bis großes Handelsschiff, das über eine eindrucksvolle Takelage verfügt haben muss und absolut hochseetauglich war. Wir haben Fensterglas gefunden; vermutlich hatte das Schiff hinten eine Kajüte mit Glasfenstern, etwa für den Kapitän oder den Eigner. Es gab Funde hochwertiger, bemalter Keramik und Flaschen, darunter eine Weinflasche sowie eine Schnapsflasche aus London. Also handelte es sich vermutlich um eine Kajüte mit gehobenem Komfort. Was ist mit der Ladung? Das Schiff transportierte Branntkalk, den man für den Häuserbau braucht - genauer: für Mörtel und Putz. Bei Berührung mit Wasser entwickelt Branntkalk Hitze. Also eine gefährliche Ladung? Mit Sicherheit! Wie viele Masten hatte das Schiff? Wahrscheinlich drei Masten. Wir haben den Rumpf näher untersucht, nachdem wir die Ladung geborgen haben. Wir haben im Kielschwein, also dem oberen Teil des Kiels, der auf den Spanten aufliegt, einen Mastschuh in der Mitte entdeckt und einen weit hinten. Vieles spricht dafür, dass vorne am Bug auch noch ein Mast gestanden hat - auch wenn wir weder Mast noch den Mastschuh bisher gefunden haben. Mastschuh? Um was handelt es sich dabei? Ein Mastschuh ist eine ausgeprägte Vertiefung im Kielschwein, in der der Mast befestigt worden ist - in der der Mast gewissermaßen steht. Wie ein Tannenbaum in Ständer? Wenn Sie so wollen, ja. Haben Sie eine Idee, weshalb das Schiff havariert und untergegangen ist? Das Schiff befand sind wahrscheinlich auf der Fahrt nach Lübeck. Es fuhr die Trave aufwärts. Die Stelle, an der es sank, war herausfordernd für Schiffer. Die Tiefe nahm schnell von acht auf unter drei Meter ab. Es gab Muschelbänke und scharfe Kurven dort. Die Untiefen reichten weit in die Fahrrinne hinein; damals war die Trave insgesamt schwierig zu befahren. Für den Weg von Travemünde nach Lübeck brauchte man manchmal bis zu drei Wochen, wie Quellen berichten. Man hat immer wieder auf den richtigen Wind warten müssen oder das Schiff in mühsamer Arbeit getreidelt. Also ist das Schiff auf Grund gelaufen? Gestrandet und Leck geschlagen? Das wissen wir noch nicht. Viele der geladenen Fässer befinden sich noch an Ort und Stelle. Dies zeigt, dass das Schiff wahrscheinlich weder gekentert ist noch Schlagseite hatte. Außerdem haben wir auch verkohltes und verbranntes Schiffsholz vorgefunden. Es hat also ein Feuer an Bord gegeben. Wir wissen aber nicht, ob das Feuer wirklich ursächlich für die Havarie des Schiffes war. Solche Fragen sind noch offen. Das Schiff, das Sie bergen und untersuchen, stammt aus dem siebzehnten Jahrhundert. Damals hatte die Handelsstadt Lübeck ihre glanzvollsten Zeiten hinter sich. Dies gilt auch für den Städtebund Hanse, dem Lübeck angehörte. Andere aufstrebende Länder, etwa die Niederlande oder England, stellten die Hanse in den Schatten. Wie war es um die Hanse und um Lübeck selbst bestimmt im 17. Jahrhundert? Die Vormacht der Hanse war da bereits so gut wie ausgelaufen. Wir sprechen von der Spätphase des im Mittelalter so mächtigen Bundes. Doch dieses Auslaufen war weder ein gleichmäßiger noch aprupter Prozess. Es gab immer wieder Höhen und Tiefen. Die Niederlande wurden, wie Sie richtig sagen, zu einem Rivalen. Niederländer drangen damals mit neuen, erfolgreichen Schiffstypen wie die Fleute in den Ostseeraum vor. Sie machten der Hanse den Rang streitig. Lagen die Niederländer aber im Krieg und waren damit ihre Kräfte gebunden - dann erlebte die Hanse auch in ihrer Spätphase wieder bessere Tage. Dann wurden hier in Lübeck wieder mehr Schiffe gebaut, auch größere Schiffe mit den neuen Techniken aus den Niederlanden. Schiffbau in Lübeck? Die Hansestadt Lübeck war der größte Schiffsbauer im südlichen Ostseeraum, noch vor Danzig. Allein die schriftliche Überlieferung der in Lübeck zwischen der Mitte des 16. Jahrhunderts und 1800 gebauten Schiffe beläuft sich auf über 2.500 - und das sind nur die Fahrzeuge, von denen wir Kennt- Reportage | Im Projekt historischen Fund zum Reden bringen 20 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0089 nis besitzen. Je nach Konjunktur waren das bis zu zwanzig Schiffe im Jahr … … also in Spitzenzeiten lief rein rechnerisch im Sommerhalbjahr jede Woche ein Schiff vom Stapel? Womöglich! Leider ist uns davon kaum ein Schiff bekannt. Zumindest im siebzehnten Jahrhundert gab es doch erste Kupferstiche oder Zeichnungen von den damals alltäglichen Schiffen? Ja, solche Dokumente gibt es. Kupferstiche zeigen unterschiedliche Schiffstypen, und daraus kann man vielleicht etwas ableiten. Man muss aber vorsichtig sein. Die Chronisten und Zeichner dieser Zeit wussten nicht unbedingt, welchen Schiffstyp sie vor sich hatten. Manchmal ist auf den Stichen oder Zeichnungen gar nicht zu erkennen, ob es sich bei den abgebildeten Schiffen etwa um eine Fleute oder ein anderes Handelsschiff handelt. Die Künstler und Chronisten kamen nicht aus dem Schiffsbaubetrieb. Sie haben die Schiffe häufig falsch bezeichnet. Und manchmal waren sogar die damaligen Schiffbauer ungenau mit den Bezeichnungen. In der Hansestadt Lübeck wurde fast jedes Schiff als Galiot bezeichnet. Unwahrscheinlich, dass damals ausschließlich Galioten gebaut wurden … Lübeck gilt als Keimzelle der Hanse. Fest steht, dass sich der Städtebund von hier aus entwickelt hat. Im 14. und 15. Jahrhundert stand der Bund in voller Blüte. Zeitweilig gehörten 300 Städte der Hanse an, auch viele im Binnenland wie etwa Göttingen oder Soest. Köln war zeitweilig einer der südlichsten Vorposten der Hanse. Führend waren vor allem Küstenstädte Hamburg, Bremen, Rostock, Wismar, Stralsund, Danzig, Riga und Lübeck. Gegründet wurde der Städtebund, um gemeinsam wirtschaftliche Interessen zu verfolgen. In juristischen Konflikten oder bei Krieg stand man zusammen, ergriff füreinander Partei und finanzierte gemeinsam auch kriegerische Unternehmungen. Als Hansebund konnte die Gemeinschaft machtvoll in anderen Ländern auftreten und sich dort Privilegien für ihre Händler sichern. Die Hanse unterhielt Dependancen - die berühmten Kontore - in Brügge, London, Bergen oder Nowgorod - also ein Netzwerk von Niederlassungen mit weitreichenden Vorrechten. Lübeck wurde 1143 durch Heinrich den Löwen gegründet. Was machte die Stadt als Handelsknotenpunkt so attraktiv? Langsam! Lübeck wurde 1143 nicht auf der grünen Wiese gegründet, wie es einige Mythen vielleicht nahelegen. Schon vorher gab es an der Mündung der Schwartau einen Fürstensitz mit Handelsgeschehen. Lübeck war schon in frühester Zeit ein Seehandelsplatz mit Verbindungen in die Ostsee. Doch die Gesetzgebung Heinrich des Löwen verschaffte der Stadt Privilegien - und damit Vorteile für Kaufleute. Und so wurden Kaufleute vor allem aus Westdeutschland angelockt. Ein großer Vorteil Lübecks war die Verbindung zur Elbe und damit nach Hamburg. Dies machte den Weg vom Westen zum Ostseeraum frei. Bis dahin war der Ostseehandel stark von Dänemark beherrscht. Nun, im späten zwölften Jahrhun- Eindrucksvoll und hochseetüchtig: Eine alte Grafik - sie zeigt eine dreimastrige Galiot - vermittelt eine Idee, wie das Schiff ausgesehen haben könnte. Stich: J.F. Endersch dert, begann Lübeck Dänemark den Rang abzulaufen - über die Achse Hamburg, Lübeck und Lüneburg. Lüneburg? In Lüneburg wurde Salz gewonnen. Salz brauchte man, um Fische zu konservieren. Die Christianisierung der slawischen Länder wirkte sich positiv auf den Handel mit Fisch aus; Fisch war christliche Fastenspeise. So handelten Kaufleute mit in Lüneburger Salz konserviertem Stockfisch aus Bergen und anderen Nordatlantikgebieten. Das ist ein gutes Beispiel für die einträglichen Geschäfte, die hier getätigt wurden! Die Handelsmargen waren groß, und trotz aller Risiken und Gefahren rentierte sich schnell die Kapitalinvestition in Mannschaft, Schiff und Ladung. Die Handelsflotte wuchs. Immer mehr Schiffe wurden hier in Lübeck auf Kiel gelegt - bis ins 17. Jahrhundert hinein, aus dem unser Fund stammt. Vorhin sagten Sie, dass keines der in Lübeck gebauten Schiffe heute bekannt ist. Macht dies Ihren Fund für Lübeck so bedeutsam? Wir wissen noch nicht bestimmt, ob das Schiff aus Lübeck stammt. Wir werden die Schiffbautechnik und die Holzherkunft untersuchen. Beides lässt darauf schließen, ob das Schiff überhaupt in Lübeck gebaut worden sein könnte. Sie können wissenschaftlich herausfinden, woher das Holz stammt? Sehr gut sogar. Über die Jahrringe können wir auf die Herkunft schließen und die Jahre, in denen es geschlagen wurde. Wenn viele Hölzer aus dem norddeutschen Raum stammten, liegt es nahe, dass das Schiff hier gebaut worden ist. Bei der Schiffsbauweise erkennen wir schon jetzt, wie stark im 16. Jahrhundert die Niederländer den weltweiten Handel bestimmt haben. Aufgrund des niederländischen Erfolgs ko- Reportage | Im Projekt historischen Fund zum Reden bringen 21 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0089 pierten Schiffsbauer auch anderswo die holländischen Baumethoden und Schiffstypen Aha? Inwiefern? Die Niederländer entwickelten Techniken, um die aus dem Mittelmeerraum und von der Atlantikküste bekannte und sehr effektive Kraweellbauweise mit ihren eigenen Methoden umzusetzen. So umgingen sie die Skelettbauweise, die ein hohes Maß an Planung und mathematisches Wissen erforderte und bei der das Spantengerüst zuerst errichtet wurde. Stattdessen entwickelten sie die seit dem frühen Mittelalter bekannte Schalenbauweise zur sogenannten niederländischen Bodenbautechnik weiter. Dabei entstand zunächst unter Einsatz von Klammern, temporären Leisten und Stützen die aus Kiel, Steven und Planken bestehende Bodenschale des Schiffs, bevor darin die Spantenteile eingebracht wurden, an denen dann die Bordwände konstruiert werden konnten. Diese damals modernen Ansätze konnten auch gut von den Lübeckern mit ihren tradierten Techniken adaptiert werden. Wobei man wissen muss: Im Gegensatz zur Skelettbauweise mussten dafür von den Schiffsbaumeistern keine Pläne gezeichnet und darauf basierend der Bau ausgeführt werden. Die Baumeister haben Erfahrungswissen genutzt und quasi drauflosgebaut. Im Bauprozess wurde das Schiff immer weiter angepasst. Man wusste anfangs nicht genau, wie das Schiff später mal aussehen würde. Es konnte durchaus von den Spezifikationen des Auftrags abweichen, beispielsweise mehr Platz für Ladung bieten als beauftragt - oder auch weniger Platz. Lübeck hat ein reiches Archiv an mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Handelsdokumenten. Ist es denkbar, dass Ihr Fund darin erwähnt wird und wir durch schriftliche Quellen mehr über das Schicksal des Schiffs, der Mannschaft und der Eigner erfahren? Ich rechne damit. Das Schiff war quasi vor dem Toren der Stadt unrettbar untergegangen. Seine Ladung ging komplett verloren. Da hat jemand sehr viel Kapital verloren. Dieser Vorfall dürfte seine Spuren in den Archiven hinterlassen haben. Doch wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht einmal, wann genau das Schiff im 17. Jahrhundert erbaut worden ist und wie lange es im Einsatz war. Solange wir da noch keine Ergebnisse haben, brauchen wir die Suche in den Archiven nicht zu beginnen. Wir müssen gezielt nachschauen können. Sie haben in den vergangenen Monaten das Wrack Stück für Stück unter Wasser auseinandergenommen. Weshalb haben Sie diese Strategie für die Bergung gewählt? Auf diese Weise können wir am meisten über das Schiff lernen. Entscheidend für uns sind ja nicht nur die Funde selbst, sondern auch die Lage, also die Fundsituation, die wir sorgfältig dokumentieren. Wir haben zunächst im Umfeld des Schiffes begonnen und dort Sedimente abgesaugt. Dabei haben wir die abgebrochenen Bordwände und weitere verstreute Fässer gefunden. Danach haben wir uns dem Schiff gewidmet, es Schicht für Schicht freigelegt, den Fund dokumentiert mit Fotos und Videos - und dann das Schiff auseinander genommen; die Einzelteile werden markiert, katalogisiert und an Land gebracht. Hätten Sie die Überreste des Schiffs auch als Ganzes heben können? Theoretisch ja. Vor allem zwei Gründe sprechen dagegen. Zum einen ist unser Ansatz logistisch einfacher. Für das Bergen im Ganzen müsste man ein riesiges Gerüst bauen, eine Art riesigen Käfig, in dem das Schiff hochgehoben würde. Diesen Käfig müsste man exakt ausmessen; beim Heben des Wracks muss die Gewichtsverteilung richtig sein, damit nichts abbricht oder durchbricht. Und auch bei guter Gewichtsverteilung wäre das Heben im Ganzen eine gewaltige Belastung für das Holz gewesen. Der zweite Grund ist vielleicht noch wichtiger: Indem wir das Schiff auseinandernehmen, können wir sowohl die Fundstücke als auch die Fundstelle systematisch untersuchen. Wir können beispielsweise jedes einzelne Holzstück von allen Seiten untersuchen. Von jedem geborgenen Einzelelement wird ein 3D-Modell berechnet. Später können wir die einzelnen Stücke wieder zusammenbauen - sowohl virtuell in einem Modell als auch ganz praktisch. Dadurch kann man am Ende zu einer Vollrekonstruktion kommen. Grafsche Darstellung, wie auf der Trave das Bergungsschiff über dem Wrack steht. Foto: P. Stencel/ Archcom Reportage | Im Projekt historischen Fund zum Reden bringen 22 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0089 Das klingt nach Detektivarbeit. Selbst winzige Details müssen aufgenommen und dokumentiert werden, damit später aus den Puzzleteilen ein Gesamtbild entsteht - und die Fragen beantwortet werden, die das Wrack aufgibt? Richtig. Wir erarbeiten zum Beispiel auch ein 3D-Modell der Fundsituation. Das Modell zeigt, wo genau was an der Fundstelle unter Wasser gelegen hat. Jeder Schritt der Bergung wird dabei hochauflösend dokumentiert. Vorhin, als wir über die Herkunft der Bauhölzer sprachen, haben Sie es bereits angedeutet: Moderne naturwissenschaftliche Analysemethoden tragen heute viel dazu bei, aus archäologischen Fundstücke zu lernen. Schon kleinste Spuren können ein Fenster in die Vergangenheit öffnen. Richtig. Wir sind beispielsweise mehrfach auf Stroh- oder Heureste, wohl eine Art Dämmmaterial zwischen den Fässern, gestoßen. Auch konnten wir im Schiff Knochen finden. Sie stammen höchstwahrscheinlich von Nutztieren, die an Bord gegessen worden sind. In den Sedimentproben vermuten wir zudem Überreste von Nagetieren, Fischen und Insekten. Quasi der Abfall der damaligen Zeit? Solche Alltagsreste lagerten sich häufig ganz unten im Schiff ab. Wir finden sie heute in den Sedimenten zwischen den Hölzern. Diese Alltagsreste sind für uns gute Geschichtsquellen: Bei Knochen kann man durch die Isotopie beispielsweise mehr über die Herkunft der Tiere erfahren. Wo hat das Tier in seinen ersten Lebensjahren gelebt? Man könnte feststellen, ob beispielsweise in Schweden eine Kuh mit an Bord genommen worden ist. Oder Geflügel als Proviant. Ähnliche Untersuchungsmethoden existieren auch für Pollen. Man kann einzelne Pollen aus dem Sediment gewinnen und etwas über ihre Herkunft lernen - was technisch allerdings recht aufwendig ist. Die Fundstelle selbst offenbart also sehr viel über die Vergangenheit. Entscheidend ist, dass man solche Untersuchungen früh genug im archäologischen Projekt plant. Projekt mit Tiefgang: Im trüben Wasser der Trave bergen Archäologen die wertvollen Fundstücke. Foto: P. Stencel/ Archcom Geborgene Funde werden in wassergefüllten Becken gelagert - und warten auf die weitere Untersuchung. Foto: P. Stencel/ Archcom Inwiefern früh genug plant? Wir überlegen uns schon bei der ersten Projektplanung, welche naturwissenschaftlichen Verfahren wir einsetzen wollen. Wir müssen wissen, welche Proben wir nehmen wollen, wie und wo wir diese analysieren können, und was bei der fachgerechten Entnahme der Proben zu beachten ist. Dies kann man nicht erst entscheiden, wenn man bereits Funde birgt oder das Wrack gar komplett an Land geholt worden ist. Reportage | Im Projekt historischen Fund zum Reden bringen 23 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0089 Ist dies der Grund, weshalb Archäologen eigentlich ungerne Funde dem sogenannten Bodenarchiv entnehmen? Weil jede Ausgrabung oder Bergung zugleich auch eine Zerstörung ist? Ja. Wir können natürlich die Teile des Schiffes nach der Untersuchung wieder zusammensetzen. Doch die Sedimente, die so viel über die Vergangenheit sagen, sind dann verloren. Archäologen haben sehr viele neue naturwissenschaftliche Analysemethoden hinzugewonnen. Viele Untersuchungen, die wir heute durchführen, waren vor Jahren- - geschweige denn vor Jahrzehnten- - nicht einmal ansatzweise denkbar. Wir wissen nicht, welche bahnbrechenden Methoden die Zukunft noch für uns bereithält. Wäre es auch eine Option gewesen, dieses Schiffswrack in der Trave zu lassen? Nein, in diesem Fall war das keine Option. Das Wrack war in Gefahr. Wir mussten es bergen. Es war ja bereits durch Eingriffe von außen beschädigt. Wir gehen davon aus, dass ein Saugbagger massiv in das Schiff hineingegriffen und ihm womöglich sogar die Bordwand abgerissen hat. Das ganze Schiff ist etwas verschoben, einige Spanten sind komplett abgebrochen. Und: Die Schiffsbohrmuschel bedroht solche Wracks immer mehr. Sie zersetzt das Holz. Die Schiffsbohrmuschel? Hier? Die Schiffsbohrmuschel ist seit den 1990er Jahren tiefer in die Ostsee vorgedrungen und hat sich an den hiesigen, niedrigen Salzgehalt des Wassers angepasst. Sie kann ein Wrack innerhalb weniger Jahre vollständig zersetzen. Sie bohrt sich tief in das Holz ein und durchlöchert es komplett. Solange das Die Hanse im Schlaglicht Es war ein mittelalterlicher Entwicklungsschub: Binnen weniger Jahrhunderte verdreifachte sich die Bevölkerung im damaligen regnum thetonicum. Lebten um das Jahr 1.000 geschätzt rund vier Millionen Menschen in dem Gebiet, das heute mehr oder weniger Deutschland ist - so waren es um 1300 bereits 13 Millionen Menschen. Eine wirtschaftliche Blüte folgte. Landauf, landab wurden Städte gegründet und mit Privilegien ausgestattet, die das Fundament für späteren Reichtum legten. Bei den höheren Ständen wuchs der Wohlstand und mit ihm die Nachfrage nach Luxusgütern. Der Fernhandel wurde intensiviert, professionalisiert, die Routen über den gesamten Kontinent hinweg ausgebaut. Händler tauschten Rohstoffe aus dem Norden und Osten Europas (Getreide, Holz, Wachs, Stockfisch, Felle oder Pelze) gegen Fertigprodukte aus dem Westen (wie Tuche, Keramik, Waffen, Schmuck und Weine). Einer der Gewinner dieses Aufschwungs war die Hansestadt Lübeck. Ab etwa Mitte des 13. Jahrhundert dominierte die Stadt an der Trave den Warenaustausch zwischen Ost und West und Nord und Süd. Sie war Drehscheibe für die Waren aus dem Ostseeraum mit den angrenzenden Gebieten sowie aus den reichen, westlichen Gebieten, etwa Südengland, Nordfrankreich und den Niederlanden sowie dem Rheinland. Von Lübeck aus wurde dann auch die Hanse ins Leben gerufen, eine Allianz für den Handel. Die Initiative dafür ging von den Fernhandels-Kaufleuten aus. Sie schlossen sich zusammen, um eine sichere Überfahrt ihrer Handelsschiffe zu erreichen - und um ihre wirtschaftlichen Interessen in der Ferne zu behaupten. Aus der (persönlichen) Kaufmanns-Hanse entwickelte sich später die (politische) Städtehanse, der zeitweise 300 Städte an der Küste und im Binnenland angehörten. Zwischen 1250 und 1400 blühte die Hanse auf. Handelswege wurden sicherer. Der Kaufmannsstand etablierte sich in der Gesellschaft und gewann an Einfluss. Neue Wege des Bezahlens lösten den bis dahin üblichen Tauschhandel ab. Kreditfinanzierung und Schuldscheine kamen auf. Die Kaufleute begannen Vertreter auf Handelsreise zu entsenden statt selbst ihre Waren an Bord der Schiffe zu begleiten. Diese „kaufmännische Revolution“ hatte den Nebeneffekt, dass Kaufleute in den Handelsstädten sesshaft wurden. Von dort aus konnten sie mehrere Handelsgeschäfte gleichzeitig „managen“ - und langsam zu einflussreichen Ämtern und Positionen in der Stadt kommen. Manche Historiker veranschlagen die Gründung der Städtehanse auf das Jahr 1241, als die Städte Lübeck und Hamburg ihre schon länger andauernde Kooperation vertraglich besiegelten. Zunächst entwickelten sich solche Städtebünde regional. Doch bis spätestens 1400 war die Hanse zu einer nordeuropäischen Großmacht herangewachsen - mit dem gemeinsamen „Hansetag“, auf dem sich die Mitgliedsstädte koordinierten. Trotz des machtvollen Auftritts nach außen: Im Innern handelte es sich bei der Hanse um keine formale Organisation, sondern um ein gut funktionierendes, freies „Netzwerk“ ohne Verfassung oder Mitgliederlisten. Weshalb die Hanse im 16. und 17. Jahrhundert niederging - dazu gibt es mehrere Erklärungen. Fest steht, dass sich das Wirtschaftsgefüge in Europa veränderte: Territorialstaaten verfestigten sich und gewannen Macht. Neue Konkurrenz kam auf, sowohl im Handel selbst als auch in der Produktion. Einer der Gründe für den Niedergang waren innovative, schnelle Schiffe, die vor allem in den Niederlanden entwickelt wurden und den Handel revolutionierten. Die Hanse büßte ihre Innovationskraft ein und gab ihre führende Position als Schiffsbauer an Länder in Westeuropa ab. Der technologische Rückstand führte auch dazu, dass die Hanse nicht am entstehenden Welthandel teilhaben konnte, etwa in amerikanischen oder asiatischen Gebieten. Die Hanse zerfiel langsam in der frühen Neuzeit und spielte Ende des 17. Jahrhunderts kaum mehr eine Rolle. Doch ihr Erbe blieb. Die die eindrucksvollen Stadtbilder vieler norddeutscher Hansestädte, darunter die UNESCO Welterbestätten Bremen, Lübeck, Stralsund, Wismar, Rostock und Greifswald gehen vielfach auf den Reichtum der Hansekaufleute zurück. Bis heute haben einige ehemalige Hansestädte die Hanse-Farben „rot-weiß“ in ihrem Wappen. Darunter auch Lübeck: Der Doppeladler im Stadtwappen führt ein kleines, rot-weißes Schild. Oliver Steeger Reportage | Im Projekt historischen Fund zum Reden bringen 24 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0089 Dr. Felix Rösch Dr. Felix Rösch ist seit Anfang 2023 als Unterwasser- und Feuchtbodenarchäologe im Bereich Archäologie und Denkmalpflege bei der Hansestadt Lübeck angestellt und koordiniert die Bergung und weitere Auswertung des Wracks. Darüber hinaus ist er mit denkmalpflegerischen Aufgaben im Bereich der Gewässerflächen Lübecks betraut. Felix Rösch hat an den Universitäten Kiel und Basel Ur- und Frühgeschichte studiert und 2015 in Kiel im Rahmen des Projekts „Zwischen Wikingern und Hanse“ über das mittelalterliche Hafenviertel von Schleswig promoviert. Während seines Studiums wurde er zum Forschungstaucher ausgebildet und hat zahlreiche Unterwasserarchäologische Projekte im In- und Ausland begleitet. Vor seiner Tätigkeit in Lübeck war er Wissenschaftler und Dozent für Historische Archäologie und digitale Methoden an den Universitäten Halle und Göttingen. Foto: Olaf Malzahn Wrack im Sediment „ vergraben “ liegt, besteht keine Gefahr. Doch sobald nur ein Stück des Schiffes aus dem Grund herausragt, hat die Schiffsbohrmuschel einen Angriffspunkt, von dem aus sie das gesamte Wrack zerstört. Ihr Wrack wurde bislang davon verschont? Leider nicht ganz. Auch an unserem Wrack hat die Schiffsbohrmuschel Spuren hinterlassen. Einige Hölzer, die wir geborgen haben, sehen von außen gut aus. Doch von innen sind sie massiv geschädigt. Archäologen können mit solchem Holz wenig anfangen für weitere Untersuchungen. Schon bei den ersten, frühen Tauchgängen haben wir nicht nur erkannt, wie faszinierend dieses Wrack für die Archäologie ist, sondern wie akut gefährdet es auch war. Wir mussten handeln und das Wrack sichern, um es für die Nachwelt zu erhalten. Eingangsabbildung: Ein Anker wird geborgen. © Foto: P. Stencel/ Archcom Die neue Buch-Reihe aus der Kooperation von UVK und der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Die Reihe behandelt insbesondere neue Fachthemen und neue Herangehensweisen in der Projektmanagementpraxis. Dabei steht der konkrete Nutzen für die praktische Anwendung im Vordergrund. Leser: innen dürfen sich sowohl auf einen Wissenszuwachs als auch Tipps für den Praxisalltag freuen. Bestellen Sie unter www.uvk.de . Projektmanagement neu denken Anzeige