eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 34/5

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2023-0090
121
2023
345 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Iterativ vorgehen, in Szenarien denken und Stakeholder einbinden

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2023
Oliver Steeger
Steffen Scheurer
Dr. Ingrid Sudhoff ist Abteilungsleiterin Archäologie bei der Hansestadt Lübeck. Ihr Herz schlägt für Denkmalschutz, für die Bewahrung historischer Spuren – und für die Hilfe von modernem Projektmanagement. „In unseren archäologischen Projekten laufen viele Fäden zusammen“, sagt Dr. Ingrid Sudhoff, „wir müssen die Vorhaben systematisch angehen.“ Die Lübecker Archäologin setzt auf iterative Vorgehensweisen: Archäologen können ihre Vorhaben kaum bis zum Ende durchplanen. Zu früh oder falsch gestellte Weichen gefährden den wissenschaftlichen Erfolg. Im Interview erklärt Dr. Ingrid Sudhoff, weshalb sie Projektmanagement für die Archäologie empfiehlt, wie es bei der Bergung eines Schiffswracks aus dem 17. Jahrhundert geholfen hat – und weshalb Archäologen Funde eigentlich lieber unter der Erde lassen.
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25 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0090 Projektmanagement als modernes Werkzeug der Archäologen Iterativ vorgehen, in Szenarien denken und Stakeholder einbinden Oliver Steeger, Steffen Scheurer Dr. Ingrid Sudhoff ist Abteilungsleiterin Archäologie bei der Hansestadt Lübeck. Ihr Herz schlägt für Denkmalschutz, für die Bewahrung historischer Spuren - und für die Hilfe von modernem Projektmanagement. „ In unseren archäologischen Projekten laufen viele Fäden zusammen “ , sagt Dr. Ingrid Sudhoff, „ wir müssen die Vorhaben systematisch angehen. “ Die Lübecker Archäologin setzt auf iterative Vorgehensweisen: Archäologen können ihre Vorhaben kaum bis zum Ende durchplanen. Zu früh oder falsch gestellte Weichen gefährden den wissenschaftlichen Erfolg. Im Interview erklärt Dr. Ingrid Sudhoff, weshalb sie Projektmanagement für die Archäologie empfiehlt, wie es bei der Bergung eines Schiffswracks aus dem 17. Jahrhundert geholfen hat - und weshalb Archäologen Funde eigentlich lieber unter der Erde lassen. Frau Dr. Sudhoff, über Archäologie gibt es landläufig viele populäre Fehlurteile. Eines ist: Archäologen sind auf „Schatzsuche“ und wollen Spektakuläres ausgraben. Als Archäologin sehen Sie diesen Punkt vermutlich anders? Dr. Ingrid Sudhoff: Mit Sicherheit. Wir wollen nach Möglichkeit nicht ausgraben. Wir Archäologen müssen uns ein Stück weit zügeln - auch, wenn wir den Drang spüren, an manchen Orten nachzuschauen und Erkenntnisse über die Vergangenheit zu gewinnen. Doch es ist besser, wenn Funde im Boden bleiben. Das Bodenarchiv ist die beste Option für uns. Es ist der beste Schutz für die Funde. Weshalb die beste Option? Ausgrabungen sind immer eine Zerstörung der Originallage. Wir versuchen, so viel wie möglich unter der Erde zu bewahren für die Zukunft. Man muss wissen, dass Archäologen nicht nur von den Fundstücken selbst lernen, sondern auch davon, wie sie genau im Boden gefunden werden. Jede Kleinigkeit dieser Originallage kann Erkenntnisse über die Vergangenheit liefern. Richtig. Deshalb ist die Dokumentation der Fundstätte ein so wichtiger Prozess in unseren Projekten. Wir können beispielsweise aus dem Boden, in dem Fundstücke liegen, viele Erkenntnisse ziehen. Besonders in den vergangenen Jahren haben naturwissenschaftliche Methoden uns ganze neue Möglichkeiten gegeben. Das ist der entscheidende Punkt. Die technologische Entwicklung geht weiter. Vielleicht haben künftige Generationen ganz andere Möglichkeiten, durch uns heute unbekannte Technologien über die Vergangenheit zu lernen. Dafür muss man natürlich das Material haben, also die Proben. Wenn sie heute ausgraben, nehmen Sie vielleicht künftigen Generationen die Chance, ihre Technologien wissenschaftlich einzusetzen? Das ist die entscheidende Überlegung. Wir graben und bergen häufig nur, wenn Funde und Fundstätten akut gefährdet sind - etwa durch Baumaßnamen, landwirtschaftliche Nutzung oder wie beispielsweise jetzt bei dem Schiffswrack aus dem 17. Jahrhundert, das wir in der Trave gefunden haben. Dann können wir den Fund nicht an Ort und Stelle behalten. In diesem Fall müssen wir sorgfältig planen, wie wir das Ausgrabungsprojekt durchführen, Funde konservieren und die Lage dokumentieren. Alles so, damit möglichst auch künftige Generationen Erkenntnisse daraus ziehen können. Das heißt beispielsweise, dass wir Makroreste, die wir heute noch nicht Reportage | Iterativ vorgehen, in Szenarien denken und Stakeholder einbinden 26 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0090 untersuchen können, fachgerecht aufbewahren. Wir müssen also für die Zukunft mitdenken. Dies dürfte ein archäologisches Projekt recht komplex machen … Das ist einer der Gründe, weshalb archäologische Projekte Projektmanagement erfordern. Als Archäologin habe ich mich unlängst im Projektmanagement weitergebildet. Archäologische Ausgrabungen bedeuten auch, Projekte zu planen, Kalkulationen durchzuführen, Verträge zu machen oder Ressourceneinsätze zu ermitteln. Wie verläuft ein typisches archäologische Projekt? Es beginnt häufig damit, dass uns etwas gemeldet wird. Beispielsweise setzen uns andere Behörden über einen Verdachtsfall in Kenntnis. Bei dem Schiffswrack in der Trave, das wir derzeit bergen, hat uns das Wasser- und Schifffahrtsamt Beobachtungen einer routinemäßigen Sonaruntersuchung mitgeteilt, die auf einen archäologischen Fund hindeuten können. Durch solche Meldungen erfassen wir ein Kulturdenkmal und stellen es unter Schutz. In der Umgebung darf dann nichts mehr passieren. Was das Wrack in der Trave betrifft: Wir haben nach der Meldung erste Tauchgänge unternommen zusammen mit den Universitäten Kiel und Göttingen, um den Verdacht zu bestätigen. Wichtig in dieser frühen Projektphase ist die ständige Kommunikation und Zusammenarbeit mit allen, die mit dem Fund in Verbindungen stehen. Also auch die Öffentlichkeit und die Politik? Dies sind zwei sehr wichtige Stakeholder. Aber: Wir haben nach der Entdeckung des Wracks versucht, den Fund zunächst „unter dem Deckel“ zu halten. Der Bürgermeister und die zuständigen städtischen Bereiche waren informiert. Doch der Öffentlichkeit haben wir zu diesem Zeitpunkt noch nichts mitgeteilt. Wir wollten erst sehen, um was es sich wirklich handelt und wie wir weiter vorgehen. Auch mussten wir verhindern, dass der Fund durch Neugierige gefährdet wird. In der Frühphase eines solchen Projekts weiß man noch wenig … Natürlich! Es gibt Vermutungen und Hypothesen zu dem, was man vorfindet. Aber bei unserem Schiffswrack sind schon einige Monate ins Land gegangen, bis wir sagen konnten, dass es sich wirklich um ein historisches Wrack aus dem 17. Jahrhundert handelt. Dies haben dann die ersten Gutachten ergeben. Dann haben wir gemeinsam mit dem Bürgermeister die nächsten Schritte beraten. Was war aus unserer Sicht notwendig? Wie kann man vorgehen? Ein bedeutender archäologischer Fund ist gleich auch politisch. Inwiefern politisch? Zum einen wegen der historischen Bedeutung, zum anderen wegen des Geldes, das benötigt wird, um so ein Wrack zu bergen und zu untersuchen. Also Geld der öffentlichen Hand? Ja. Und dieser Aufwand muss gerechtfertigt werden. Außerdem besteht generelles öffentliches Interesse an Geschichte und archäologischen Funden. Wird ein Fund bekannt, kommen Fragen auf, die wir stichhaltig beantworten müssen. Was kostet das Projekt? Wie lange dauert es? Solange wir Ein Anker des Schiffs nach der Bergung. Noch kennen die Archäologen weder den Namen des Schiffes noch seine ehemaligen Eigner. Doch die Chancen stehen gut, diesen Geheimnissen auf die Fährte zu kommen. Foto: P. Stencel/ Archcom nichts genaues wissen, informieren wir nur die engsten Stakeholder. Beim Wrackfund ist erst nach einem Dreivierteljahr der Bürgermeister an die Öffentlichkeit getreten und hat die Entdeckung vorgestellt. Da war es dann auch klar, dass wir das Wrack bergen mussten, weil es akut gefährdet war. Nach allen Untersuchungen und auch Kostenanalysen hat die Bürgerschaft dann diesem Plan zugestimmt. Die Öffentlichkeit, die letztlich die Bergung finanziert, wird möglicherweise Ansprüche anmelden. Vielleicht will man das Wrack später in einem Museum sehen, wo es auch für Nicht- Wissenschaftler zugänglich aufbereitet ist. Diese Fragen kommen. Gibt es eine Ausstellung? Verschwindet der Fund im Archiv? Solche Fragen kann man vermutlich zu einer solch frühen Projektphasen noch gar nicht beantworten. Vieles ergibt sich aus dem Verlauf der weiteren Bergung. In welchem Zustand sind die Hölzer? Wie kann man sie konservieren? Aber wir müssen diese Fragen von Anfang an mitdenken und mitberücksichtigen. Das heißt, sie haben nicht das Fernziel, in einigen Jahren das Schiff in einem Museum auszustellen? Das kann man so nicht sagen. Es ist gefährlich, wenn man sich bei solchen Projekten zu sehr auf ein Fernziel versteift. Sollte sich das Ziel als unrealistisch herausstellen, muss man kleinlaut zurückrudern. Deshalb machen wir bei solchen Projekten einen Schritt nach dem anderen. Aber es ist wichtig, dass man die Optionen von Anfang an im Kopf hat und die Alternativen im Blick behält. Muss wirklich das gesamte Schiff ausgestellt werden? Gibt es die Möglichkeit, das Schiff später auch nicht komplett im Museum zu zeigen? Welche Varianten kann man sich vorstellen? Wir liefern das „ Material “ zur Entscheidungsfindung, geben fachliche Einschätzungen, äußern vielleicht auch Wünsche - doch die Entscheidungen selbst werden an anderer Stelle getroffen. Sie werden als Denkmalschützer sicherlich eigene Erwartungen oder Anforderungen mitbringen. Reportage | Iterativ vorgehen, in Szenarien denken und Stakeholder einbinden 27 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0090 Natürlich ergibt sich aus unserem Auftrag heraus ein Rahmen. Es kann nicht sein, dass wir das Schiff nach der Bergung so lagern, dass es erneut gefährdet wäre. Aber theoretisch wäre auch denkbar, einen Platz für das Schiff zu finden, an dem man es ohne Konservierung sicher einlagern kann. Vielleicht unter Wasser im Schlick. Denkbar! Wir hätten dann die Dokumentation des Fundes und die wissenschaftliche Auswertung. Wir hatten in der Frühphase des Projekts auch überlegt, den Fund an Ort und Stelle in der Trave zu belassen und ihn konservatorisch abzudecken. Diese Abdeckung wäre allerdings ein Hindernis für die Bundeswasserstraße gewesen. Das war also keine Option. Dieses Szenario ist früh ausgeschieden aus unseren Überlegungen. Um die Bergung kam man nicht herum. Dies heißt: In Ihren Projekten denken Sie in Szenarien und gehen iterativ vor. Sie sind darauf vorbereitet, dass die Politik sich in die eine oder andere Richtung entscheiden kann. Sie antizipieren Optionen und sorgen dafür, dass bestimmte Wege nur ausgeschlossen werden, wenn dem Hindernisse entgegenstehen. Dies macht Projektmanagement für unsere Arbeit so wichtig. Auf der einen Seite müssen wir intensiv mit Stakeholdern kommunizieren, Interessengruppen einbeziehen und Entscheidungen herbeiführen. Auf der anderen Seite müssen wir die Alternativen im Projekt entwickeln. Wir müssen achtgeben, dass wir Weichen nicht falsch stellen; dies kann immense Konsequenzen für solch ein Projekt haben. Die iterative, offene Vorgehensweise trägt dazu bei, dass wir nicht zu früh Entscheidungen treffen, die wir später bereuen. Sie sagten vorhin, dass Sie selbst einen Projektmanagement-Lehrgang absolviert haben … Ich habe bei einem Projekt erlebt, wie viele Fäden bei solch einem Vorhaben zusammenlaufen. Zwischen 2009 und 2016 hatten wir eine große Ausgrabung in der Lübecker Innenstadt. Wir waren damals der Vorhabenträger. Das heißt: Wir haben das Projekt selbst geleitet. Der damalige Weltkulturerbe-Koordinator hat uns nahegelegt, einen professionellen Projektsteuerer hinzuziehen. Der Koordinator machte deutlich, dass wir dieses Projekt allein nicht bewältigt konnten. Wir haben dies verstanden - und später gesehen, wie schnell sich die Investition in Projektmanagement rentiert hat. Nach diesen Erfahrungen habe ich einen Projektmanagement-Kurs belegt und mir das Handwerkszeug angeeignet. Für mich war es wichtig, mir die Ansätze und Methoden zu verdeutlichen. Einiges von diesem Handwerkszeug kannte ich ja vorher schon. Doch ich habe gelernt, Projektmanagement bewusst als Hilfsmittel anzuwenden. Als Hilfsmittel - inwiefern? Projektmanagement bringt aus meiner Sicht Systematik in die Projekte. Beispielsweise bei Kommunikation und Stakeholdermanagement hilft es, keine Interessengruppe zu vergessen und jeden ins Boot zu holen. Dies mag zunächst unspektakulär klingen, doch für uns ist es entscheidend, dass wir jede erforderliche Genehmigung und Einwilligung einholen - und Menschen auch wirklich mitnehmen. Vielleicht, weil die Belange des Denkmalschutzes draußen auch als „Störung“ empfunden werden? Die Gesetze haben sich zugunsten des Denkmalschutzes verändert. Vielfach gilt das Verursacher-Prinzip. Etwa bei Bauprojekten muss Archäologie mitgedacht werden. Der Vorhabenträger muss archäologische Untersuchungen dann auch im Rahmen des Zumutbaren bezahlen. Das heißt, wir Archäologen sind ein Teil von Bauprojekten geworden. Wir werden beispielsweise beteiligt, wenn etwa neue Gewerbegebiete oder Wohnareale erschlossen werden sollen. Wir können uns als Bodendenkmalpfleger den Baumaßnahmen natürlich nicht generell verschließen mit der Begründung, dass wir in den Gebieten, die bebaut werden sollen, archäologische Funde vermuten. Welche Möglichkeiten haben sie? Wird ein Flächennutzungsplan aufgestellt, können wir steuernd eingreifen. Falls wir stark bedeutsame Funde erwarten, können wir vielleicht erreichen, dass alternative Bauflächen gesucht werden. Aber in der Regel kooperieren wir mit Bauprojekten. Da ist es sinnvoll, wenn wir Bauprojekte mit ihren Abläufen verstehen - auch seitens des Projektmanagements. Wir können uns in solche Projekte dann ganz anders einbringen - also wirklich mitdenken und mitreden. Projektmanagement erleichtert also auch die Kooperation? Einige meiner Kolleginnen haben schon an so vielen Bauprojekten mitgewirkt, dass sie sogar vernünftige Vorschläge zu den Projekten selbst machen können. So etwas hilft uns dabei, nicht als Hemmschuh oder Störung gesehen zu werden, sondern eher als Partner. Projektmanagement ist dafür eine gemeinsame Sprache. Ich empfehle jedem in unserem Fach, sich zumindest Grundkenntnisse im Projektmanagement anzueignen. Wir haben es in der Archäologie ständig mit Situationen zu tun, in denen uns dieses Wissen helfen kann. Eingangsabbildung: Die hochauflösende Fotodokumentation zeigt, wie der Schiffsrumpf im Boden der Trave liegt.-© Foto: P. Stencel/ Archcom Dr. Ingrid Sudhoff Dr. Ingrid Sudhoff ist seit 2023 Leiterin der Abteilung Archäologie bei der Hansestadt Lübeck, aber schon seit 2001 in der Lübecker Archäologie tätig. In diesen 22 Jahren hat sie viele verschiedene Projekte geleitet, von archäologischen Ausgrabungen im Zusammenhang mit großen Bauvorhaben wie Autobahnbau oder Erschließung von Baugebieten, über Stadtkerngrabungen in der Lübecker Innenstadt bis hin zu mehrjährigen grenzüberschreitenden Projekten mit dänischen Partnern. Seit 2019 betreut sie alle bodendenkmalpflegerischen Maßnahmen im Lübecker Landgebiet und den Vorstädten und vertritt somit auch die Belange der Archäologie in allen Bauplanungsverfahren und Bauvorhaben. Foto: Olaf Malzahn