eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 34/5

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2023-0091
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345 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Projekte holen Fachkräfte in kommunale Verwaltungen

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Digitalisierung, Integration, Klimaschutz – die Verwaltungen von Städten und Gemeinden stehen vor großen Herausforderungen. Das gemeinnützige Unternehmen „Lokalprojekte“ hat dafür einen ungewöhnlichen Lösungsansatz entwickelt. Es schlägt Brücken zwischen kommunalen Verwaltungen und Fachkräften aus der Wirtschaft und Zivilgesellschaft – und zwar mit Projekten. Die Idee: Lokalprojekte unterstützt Verwaltungen, Projekte aufzusetzen. Es sucht anschließend nach geeigneten Fachkräften aus der Wirtschaft und Gesellschaft, sogenannte Querwechsler. Zudem unterstützt es während der gesamten Projektlaufzeit mit einem Bildungs-Begleitprogramm. Ein solches Projekt zum Thema „E-Akte“ ist bei der Stadtverwaltung Eschwege gelungen. Querwechslerin Sabrina Hein, vormals selbständige IT-Spezialisten mit Schwerpunkt Automotive, trieb dieses Projekt voran; sie ist heute fest bei der Verwaltung beschäftigt. Im Interview berichten Sabrina Hein und Charlotte Bock (Geschäftsführerin Lokalprojekte GmbH): Weshalb tun sich kommunale Verwaltungen schwer, Fachkräfte aus der Wirtschaft zu binden? Warum sind Impulse aus der Wirtschaft hilfreich für Verwaltungen? Und weshalb macht es Querwechslern Spaß, sich in der Verwaltung zu engagieren?
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28 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0091 Projekt „E-Akte“ mit neuen Ideen für die Stadtverwaltung von Eschwege Projekte holen Fachkräfte in kommunale Verwaltungen Oliver Steeger Digitalisierung, Integration, Klimaschutz-- die Verwaltungen von Städten und Gemeinden stehen vor großen Herausforderungen. Das gemeinnützige Unternehmen „Lokalprojekte“ hat dafür einen ungewöhnlichen Lösungsansatz entwickelt. Es schlägt Brücken zwischen kommunalen Verwaltungen und Fachkräften aus der Wirtschaft und Zivilgesellschaft-- und zwar mit Projekten. Die Idee: Lokalprojekte unterstützt Verwaltungen, Projekte aufzusetzen. Es sucht anschließend nach geeigneten Fachkräften aus der Wirtschaft und Gesellschaft, sogenannte Querwechsler. Zudem unterstützt es während der gesamten Projektlaufzeit mit einem Bildungs-Begleitprogramm. Ein solches Projekt zum Thema „E-Akte“ ist bei der Stadtverwaltung Eschwege gelungen. Querwechslerin Sabrina Hein, vormals selbständige IT-Spezialisten mit Schwerpunkt Automotive, trieb dieses Projekt voran; sie ist heute fest bei der Verwaltung beschäftigt. Im Interview berichten Sabrina Hein und Charlotte Bock (Geschäftsführerin Lokalprojekte GmbH): Weshalb tun sich kommunale Verwaltungen schwer, Fachkräfte aus der Wirtschaft zu binden? Warum sind Impulse aus der Wirtschaft hilfreich für Verwaltungen? Und weshalb macht es Querwechslern Spaß, sich in der Verwaltung zu engagieren? Frau Bock, Frau Hein, kommunale Verwaltungen stehen vor modernen Herausforderungen, etwa die Digitalisierung. Doch die Verwaltungen tun sich schwer, geeignete Fachkräfte für diese Herausforderungen zu finden-- weder junge Menschen noch erfahrene Kräfte mit Spezialkenntnissen. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Ursachen? Charlotte Bock: Die jüngere Generation bewirbt sich heute immer seltener auf traditionelle Stellenausschreibungen der kommunalen Verwaltungen. Die Ausschreibung einer Position als Sachbearbeiter: in wirkt offenbar wenig attraktiv auf junge Menschen. Sie bewerben sich eher auf Projektausschreibungen, die definiert sind im Sinne von klaren Projektzielen und am Ende ein greifbares Ergebnis aufzeigen. Das motiviert und stärkt die Selbstwirksamkeit. Was erfahrene Fachkräfte aus der Wirtschaft betrifft: Die Stellenausschreibungen scheinen häufig bei diesen Menschen nicht anzukommen. Weil sich erfahrenen Fachkräfte eher in der Wirtschaft bewerben? Charlotte Bock: Nach meiner Beobachtung nehmen diese Fachkräfte kommunale Verwaltungen für sich als Chance gar nicht wahr. Sie kommen überhaupt nicht auf die Idee, dass kommunale Verwaltungen für sie interessante Herausforderungen bieten. Einige sehen Verwaltungen nicht als attraktive Arbeitgeber. Sie haben ein bestimmtes Bild von unter anderem der Arbeitsweise in Verwaltungen, ein Bild, das jedoch oft nicht mit der Realität einer modernen Verwaltung übereinstimmt. Oder aber das Wissen darüber, warum Verwaltungen manchmal längere Wege aufgrund rechtlicher Situationen haben, ist schlichtweg nicht vorhanden- - wodurch gängige Vorurteile entstehen. Hier setzt unser Unternehmen Lokalprojekte an. Wir schlagen eine Brücke zwischen Fachkräften aus der Wirtschaft und Gesellschaft und kommunalen Verwaltungen. Wir wollen die beiden Bereiche enger zusammenbringen-- und zwar durch Projekte. Reportage | Projekte holen Fachkräfte in kommunale Verwaltungen 29 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0091 Lokalprojekte setzt gemeinsam mit kommunalen Verwaltungen Projekte auf, die zwischen sechs und achtzehn Monate dauern. Diese Projekte sollen dazu beitragen, kommunale Herausforderungen besser zu bewältigen. Für diese Projekte suchen Sie Fachkräfte aus der Wirtschaft und Gesellschaft. Diese Querwechsler sollen die Projekte mit vorantreiben. Weshalb sprechen Sie von Querwechsler? Charlotte Bock: In der Wirtschaft werden häufig andere Herangehensweisen, Arbeitsmethoden und Lösungsansätze als in der Verwaltung verwendet. Man wechselt quasi zwischen zwei unterschiedlichen Welten? Charlotte Bock: Es handelt sich für beide Seiten um einen bereichernden Perspektivwechsel, bei dem das voneinander Lernen im Mittelpunkt steht. Wir wollen, dass beide Seiten von der jeweils anderen Perspektive profitieren- - besonders die kommunalen Verwaltungen von den Sichtweisen aus der Wirtschaft. Denn die Impulse, die Menschen aus der Wirtschaft mitbringen, sind für die Bewältigung neuer kommunaler Herausforderungen sehr hilfreich. Dies zeigt nicht nur die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes auf kommunaler Ebene sehr deutlich auf. Hier würden sich sicher einige Städte über kundige Fachexpert: innen freuen. Das heißt-- Sie bringen Fachkräfte in kommunale Verwaltungen, verstehen sich aber nicht als eine Art Personalagentur. Wie darf ich dies genau verstehen? Charlotte Bock: Als gemeinnütziges Unternehmen haben wir zum Ziel, an der Lösung lokaler Herausforderungen mitzuwirken. Kommunale Verwaltungen sind für die lokale Daseinsfürsorge verantwortlich und sind damit eine wichtige Säule unseres Zusammenlebens als Stadtgesellschaft. Aus unserer Sicht werden Kommunen zu wenig bei ihrer Arbeit unterstützt, besonders bei großen Herausforderungen wie der Digitalisierung oder lokaler Integrationsarbeit. Wir verstehen uns als Projekt- und Bildungsunternehmen, da wir all unsere Projekte vom ersten bis zum letzten Tag mit einem umfassenden bildenden Begleitprogramm unterstützen. Von einer Art Personalvermittlung sind wir u. a. durch diese gemeinnützige Dienstleistungskomponente weit entfernt. Sie betonen die Bedeutung von Projekten für die Verwaltung. Vorhin sagten Sie, dass gut definierte Projekte deutlich besser Fachkräfte „anlocken“ als etwa eine Stellenausschreibung. Wie gehen Sie in der Praxis vor, solche Projekte mit kommunalen Verwaltungen aufzusetzen? Charlotte Bock: In der Regel sprechen wir mit Kommunen die uns von einer spezifischen Herausforderung berichten, vor der sie stehen. Beispielsweise wollen sie lokale Integrationsarbeit verbessern oder ein Klimaschutzmanagement einführen. Wir unterstützen die Stadt dabei, daraus ein Projekt zu gestalten: also Anforderungen, Rahmen, Meilensteine und Wirkungsziele zu definieren, sowie die Festlegung eine: r verwaltungsinterne: n Pat: in, die als Sparringspartner für die eingesetzte Macher: in fungiert. Ist das Projekt definiert, leiten wir daraus ein Kompetenzprofil ab für die Person, die wir anschließend in Wirtschaft und Gesellschaft suchen. Ist diese Person von uns gefunden, stellen wir sie flexibel über eine Arbeitnehmerüberlassung in der Kommune ein- - und das Projekt kann beginnen. Wir begleiten das Projekt mit unserem Bildungsprogramm. Dazu gehört auch die Bereitstellung eines Buddy für die reibungslose Projektabwicklung, mit zweiwöchentlichen Jour Fixes mit dem Buddy sowie fachbezogener Bildungsinput über unsere E-Learning Plattform. Ist das Projekt dann also ein Katalysator für die Zusammenarbeit zwischen den beiden Welten Wirtschaft und Verwaltung? Es erlaubt ja, dass sich beide Seiten kennenlernen. Charlotte Bock: Dieser Punkt steht hinter unserer Gründungsidee. Wie vorhin gesagt, eine klassische Stellenausschreibung findet selten den Weg zu den Fachkräften. Stattdessen schreiben wir ein attraktives Projekt aus-… …-weil es mehr Zugkraft hat? Charlotte Bock: Ja, deutlich mehr Zugkraft. Es verringert die Hürden für Menschen, die sich bislang nicht vorstellen konnten, in einer Verwaltung zu arbeiten. Bei uns bewerben sich viele Menschen, weil sie an der Projektidee Gefallen finden, weil sie wirksam werden können, etwas Gutes tun-- und das Ergebnis sehen werden. Natürlich ist es schön, wenn die Kommune nach dem Projekt eine Stelle einrichten kann und die Querwechsler: in dauerhaft in der Verwaltung bleiben- - wie Sabrina Hein. Alles beginnt bei uns mit einem Projekt. Frau Hein, Sie sind Querwechslerin. Sie waren selbständige IT-Spezialistin in der Wirtschaft. Dann haben Sie für sechs Monate ein Projekt der Stadt Eschwege zum Thema E-Akte geleitet. Anschließend sind Sie ganz in die Verwaltung gewechselt, dauerhaft als Mitarbeiterin. War dieser Weg geplant für Sie? Sabrina Hein: Nein, überhaupt nicht. Ich war über viele Jahre erfolgreich im Automotive-Bereich tätig. Durch Zufall habe ich während der Covid-Pandemie die Stellenausschreibung von Lokalprojekte für das Projekt zur E-Akte gefunden. Ich fand die Sache spannend. Es handelte sich offenbar um ein fest umrissenes Projekt mit klarem Fokus, gut beschriebenen Zielen sowie mit einem Termin für den Start und das Ende. Das heißt? Sabrina Hein: Es war ein zeitlich begrenztes Projekt, mit dem ich kein Risiko einging. Ich musste meine selbständige Tätigkeit nicht aufgeben. Ich habe gespürt, dass mir ein Perspektivwechsel guttun würde. Die Gelegenheit, anders zu denken und zu arbeiten, war mir willkommen. Nach dem Projekt hat mir die Arbeit für die Verwaltung der Stadt Eschwege so gut gefallen, dass ich ihr Stellenangebot angenommen habe. Ich habe diesen Schritt nicht bereut! Für viele Menschen aus der Wirtschaft ist solch ein Schritt ungewöhnlich, für einige sogar undenkbar. Weshalb scheuen aus Ihrer Sicht Fachkräfte die Arbeit für kommunale Verwaltungen? Sabrina Hein: Vielleicht eine Klarstellung: Ich habe die Tätigkeit für kommunale Verwaltungen nicht gescheut. Ich hatte die Verwaltungen bei meiner beruflichen Planung überhaupt Reportage | Projekte holen Fachkräfte in kommunale Verwaltungen 30 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0091 nicht auf dem Schirm. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass dort Menschen wie ich gesucht werden und dass es in Verwaltungen Positionen gibt, die ich ausfüllen kann. Wie viele andere Bürgerinnen und Bürger auch hatte ich wenig Berührungspunkte mit der Verwaltung. Ich wusste nicht, dass es dort spannende Tätigkeitsfelder gibt. Woher auch? Wie häufig sehen Sie ein Rathaus von innen? Offen gesagt, selten. Sabrina Hein: Das ist der Punkt. Als Bürger: innen meldet man sich mal an oder um, verlängert einen Pass oder beantragt ein Führungszeugnis. Ansonsten erfährt man wenig. Ich wusste beispielsweise nicht, wie vielfältig eine kommunale Verwaltung ist und wie viele interessante Themen dort zusammengefasst sind- - angefangen bei sozialen Themen wie Kindergärten und Tagesstätten über Bauwesen bis hin zu Klimaschutzmanagement. In meinem vorherigen Beruf habe ich solch eine Vielfalt kaum erlebt. Dies ist heute zum einen spannend für mich, zum anderen auch positiv herausfordernd. Inwiefern positiv herausfordernd? Sabrina Hein: Wie gesagt, ich arbeite an der Digitalisierung von Verwaltungsabläufen. In der Softwareentwicklung war es schon immer meine Aufgabe, mich in Prozesse hineinzudenken und die Menschen hinter den Prozessen zu verstehen. Man kann viel lernen-- besonders bei einer kommunalen Verwaltung mit ihren vielen unterschiedlichen Berufsgruppen und Aufgaben. Ein letzter Punkt: Es geht bei der kommunalen Verwaltung um Arbeit, die direkt oder indirekt vielen Menschen zugutekommt. Wir entwickeln Lösungen, die anderen helfen. Hinzu kommt: In der kommunalen Verwaltung entstehen gerade viele neue Bereiche. Die Digitalisierung von Prozessen ist nur einer davon. Ich komme hier in den Genuss, etwas völlig neues aufzubauen, von ganz unten auf. Wir entwickeln Digitalisierungsstrategien und denken über Smart City nach. Das ist Pionierarbeit. Viele Fachkräfte aus der Wirtschaft werden von langsamen und umständlich Verwaltungsabläufen abgeschreckt. Bürokratie hat bekanntlich einen schlechten Ruf-… Sabrina Hein: Dies stimmt. Die Verwaltung hat in dieser Hinsicht leider kein gutes Image nach außen. Verwaltungsabläufe gelten als langsam, manchmal auch sperrig. Wer je wegen einer Baustelle eine Straße hat sperren lassen, kennt dies. Aber? Sabrina Hein: Bürger: innen nehmen dabei nicht wahr, weshalb dies so ist. Weshalb bestimmte Abläufe einem festen Muster folgen müssen. Weshalb bestimmte Schritte, die das Gesetz vorsieht, abzuarbeiten sind. Kürzlich wurde die Meldung veröffentlicht, dass bis 2028 in einer großen deutschen Stadt alle Faxgeräte abgeschafft werden sollen. Die Meldung hat für erstaunte Heiterkeit gesorgt. Immer noch Faxgeräte in Betrieb? Sabrina Hein: Aber kaum jemand weiß, weshalb in der Verwaltung Faxgeräte bis vor Kurzem noch notwendig waren, beispielsweise aus rechtlichen Gründen. Als Bürger: innen oder Unternehmer können wir schnell unser Faxgerät durch eine IT-Lösung ersetzen. Das ist eine individuelle Entscheidung. Doch eine kommunale Verwaltung ist kein Unternehmen. Sie ist die kleinste ausführende Einheit des Bundes. Sie ist eingebettet in ein hierarchisches Konstrukt. Die Arbeitsweise mag von außen als umständlich und langsam gesehen werden. Sie ist aber historisch gewachsen und hat ihren Sinn. Frau Bock, Lokalprojekte will Menschen aus der Wirtschaft mit kommunalen Verwaltungen zusammenbringen. Vorhin sprachen sie vom Perspektivenwechsel. Wie genau profitieren Verwaltungen von den Fachkräften, die aus der Wirtschaft oder dem zivilgesellschaftlichen Sektor kommen? Charlotte Bock: Zum einen nutzt der kommunalen Verwaltung das spezifische Fachwissen der Querwechsler: innen. Zum anderen profitiert die Verwaltung aber auch von der mitgebrachten Methodik aus der Wirtschaft, beispielsweise Projektmanagement, design thinking oder Scrum. Unternehmen müssen sich den Märkten ja immer wieder neu anpassen. Sie haben eine enorme Flexibilität entwickelt etwa bei Lösungssuche, Arbeitsweisen oder fachbereichsübergreifender Zusammenarbeit. Genau diese Flexibilität bei der Zusammenarbeit können heute Verwaltungen gut brauchen, um kommunale Projekte anzugehen und um wichtige wie dringende Zukunftsaufgaben zu lösen. Sabrina Hein: In der Praxis muss man natürlich differenzieren. In einigen Bereichen wird man die Vorgehensweisen der Wirtschaft nicht oder nur wenig anwenden können, etwa bei Bürgerservices oder Baugenehmigungen, bei denen Prozesse präzise nach Gesetz abgearbeitet werden müssen. Dort würde agiles Arbeiten nur bedingt einsetzbar sein . Kann sich öffentliche Verwaltung dennoch in Richtung Wirtschaftsunternehmen entwickeln? Beobachten Sie Veränderungen seit Sie dabei sind? Sabrina Hein: Für mein Digitalisierungsprojekt habe ich in unserer Verwaltung nach einem Besprechungsraum gesucht, der New Work begünstigt. Ich brauchte einen Raum mit digitalem Equipment wie Whiteboards oder Smartboards. Solch eine Umgebung lädt etwa zum Brainstorming ein und bildet einen willkommenen Kontrast etwa zu Büros. In der Wirtschaft ist es ja normal, beispielsweise für gemeinsame konzeptionelle Arbeiten das Büro zu verlassen, Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Fachbereichen zusammenzuholen und in einem New Work Space kreativ zu arbeiten. Und? Haben Sie einen solchen New Work Space vorgefunden? Sabrina Hein: Vorgefunden habe ich zunächst nur Besprechungsräume, die bestenfalls ein klassisches Flipchart mit Moderationskarten geboten haben. Heute aber sind wir dabei, diesen New-Work-Space aufzubauen- - als einen Ort, an dem man Team-Gespräche führen kann. Natürlich dauert es, bis der Raum wirklich eingerichtet ist und genutzt werden kann. Das ist der Unterschied zu Wirtschaft-… Sabrina Hein: Langsam! Wenn sich ein Unternehmen entscheidet, in solch einen Raum zu investieren-- dann geht es um privates Geld. Entsprechend schnell kann entschieden Reportage | Projekte holen Fachkräfte in kommunale Verwaltungen 31 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0091 und realisiert werden. Wir in der Verwaltung jedoch arbeiten anders. Hinter Entscheidungen stehen häufig politische Entscheidungsträger. Sie befinden darüber, für welche Zwecke und Ziele investiert wird. Es gibt Regularien, die ein sorgfältiges Abwägen bei solchen Investitionen sicherstellen. Die Investition in einen solchen Raum kann man nicht von heute auf morgen beschließen. Die Prozesse brauchen Zeit. Haben Sie sich zunächst daran gewöhnen müssen, dass solche Prozesse Zeit kosten? Sabrina Hein: Natürlich! Ich kam von außen. Ich musste mein Denken anpassen und mir immer wieder bewusst machen: Wir arbeiten hier mit Steuergeldern. Hier muss genau überlegt und gerechtfertigt werden, für was man diese Gelder einsetzt. Misslingt eine Investition in der Wirtschaft, dann trägt das Unternehmen den Schaden. Misslingt sie in der Kommune, dann ist es zum Schaden der Bürger. Das ist ein Unterschied! Wie hat Lokalprojekte Sie bei Ihrem Wechsel von der Wirtschaft in das kommunale Projekt unterstützt? Sabrina Hein: Unter anderem durch einen sehr spannenden und informativen Workshop. Es ging um das Thema, wie eine Verwaltung genau arbeitet und weshalb sie auf diese Weise arbeitet. Da habe ich auch den Ausdruck „Historisch bedingt“ kennengelernt. Ich habe verstanden, weshalb die Abläufe so sind, wie sie sind- - eben aus gesetzlichen, politischen oder historischen Gründen. Die Regularien können ja auch etwas Gutes haben. Etwas Gutes-- zum Beispiel? Sabrina Hein: Nehmen wir zum Beispiel die Aktenführung. Sie folgt festen Mustern. Vorgänge in der Verwaltung sind sorgfältig dokumentiert, die Unterlagen nach einheitlichen Regeln in Akten abgelegt. Dies hat durchaus Vorteile. Man kann sich in Sachverhalte schnell einlesen. Hat man die Regeln, nach denen Akten aufgebaut sind, verstanden- - dann weiß man jederzeit, wo man welche Informationen finden kann. Der Workshop hat damit gewissermaßen Ihr Mindset für die Arbeit in der Verwaltung vorbereitet? Sabrina Hein: Ja. Ich habe durch die beiden Workshoptage gelernt, eine kommunale Verwaltung besser zu verstehen. Zusätzlich wurde mir der Einstieg durch eine Patin bei der Stadt Eschwege erleichtert. Sie ist heute eine Bürokollegin. Wir beiden kamen zwar aus sehr verschiedenen Bereichen; ich bin IT-Fachfrau, sie ist Fachfrau für Öffentlichkeitsarbeit. Menschlich haben wir uns aber sofort verstanden. Frau Bock, wie unterstützen Sie diesen Onboarding- Prozess über den Workshop hinaus? Charlotte Bock: Wir verstehen uns als Sparringspartner nicht nur während der Definition des Projekts, sondern auch während der Abwicklung. Wir unterstützen bei der weiteren Ausarbeitung und der Durchführung des Projekts, vermitteln Methodik oder spezifisches Wissen oder stehen zur Seite, falls der „Kulturschock“ mal zu groß ist und Querwechsler: innen persönliche Unterstützung durch jemanden von außen brauchen. Konkret: Wir stellen dem Projekt einen Ansprechpartner aus unserem Unternehmen an die Seite, einen Buddy. Er begleitet das Projekt von Anfangen bis Ende-- und ist Ansprechpartnerin für alle Beteiligten. Vermitteln Sie bei dieser Vorbereitung auch das Handwerkszeug für Projektmanagement? Charlotte Bock: Projektmanagement vermitteln wir sehr praktisch, direkt durch die Anwendung. Wir haben zudem auf unserer ständig wachsenden E-Learning-Plattform Kurse zu Projektmanagement und Methodiken. Den Nutzen von Querwechslern für Verwaltungen habe ich verstanden: Sie bringen die neuen Arbeitsweisen, Lösungsstrategien und Methoden mit. Was ist aber mit der Wirtschaft selbst? Wie können etwa Unternehmen davon profitieren, wenn sie beispielsweise einen Mitarbeiter für ein halbes Jahr für eines Ihrer Projekte an die Verwaltung „ausleihen“. Charlotte Bock: Querwechsler: innen verstehen während ihrer Projektlaufzeit, wie eine kommunale Verwaltung funktioniert. Davon profitieren auch Unternehmen. Die Querwechsler: innen erweitern das Blickfeld der Unternehmen. Sie können den Kunden „ Öffentliche Hand “ besser verstehen. Dieses Wissen kann hilfreich sein etwa bei öffentlichen Aufträgen. Sabrina Hein: Kommunale Verwaltungen haben in der Gesellschaft- - und in Unternehmen- - ein gewisses Image. Darunter kann die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Verwaltung leiden. Angenommen, eine Kommune baut ein Informationsportal auf, das junge Menschen erreichen soll. Sie beauftragt eine Grafikagentur mit Entwürfen für die Website. Wir wissen, dass beispielsweise peppige Farben und dynamisches Design junge Menschen anspricht. Lassen Sie mich raten! Die Agentur würde solch einen peppigen Entwurf vielleicht Unternehmen aus der Wirtschaft vorlegen. Nicht aber einer Verwaltung. Sabrina Hein: Vielleicht! Peppige Farben und Verwaltung-- das geht im Kopf vieler Menschen nicht zusammen. Man assoziiert eine Verwaltung eher mit geraden Linien, gedeckten Farben und unauffälligen Website-Elementen. Dienstleister sollten versuchen, dieses Image aus ihren Köpfen herauszubekommen, wenn sie mit der Verwaltung in Projekten zusammenarbeiten wollen. Ich denke, dass sich der Perspektivwechsel lohnt- - und sowohl Verwaltungen als auch Unternehmen von Querwechslern profitieren. Eingangsabbildung: © sdecoret-- stock.adobe.com Reportage | Projekte holen Fachkräfte in kommunale Verwaltungen 32 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0091 Sabrina Hein Sabrina Hein ist derzeit Digitalisierungsbeauftragte der Kreisstadt Eschwege und bringt langjährige Erfahrungen aus der freien Wirtschaft mit. Ihre Reise begann mit einem Studium der Allgemeinen Informatik, Schwerpunkt Softwareentwicklung, an der Technischen Hochschule in Köln, welches Sie 2008 als Dipl. Informatikerin erfolgreich abgeschlossen hat. Bereits während des Studiums war sie an der TH angestellt und arbeitete in den Bereichen Softwareentwicklung und Webtechnologien in der Automatisierungstechnik. Nach Abschluss des Studiums übernahm Sabrina Hein am Institut für Automation and Industrial IT, ebenfalls an der TH Köln, die Stelle als Leiterin der Softwareentwicklung für die Schwerpunkte Industrielle Kommunikationstechnik und Industrial Security. 2008 - 2011 absolvierte sie parallel zu ihrer Anstellung den internationalen Master für Automation & Industrial IT. Von 2012 bis Februar 2023 war sie Gründerin und geschäftsführende Gesellschafterin der AIT Solutions GmbH. Als international tätiger Dienstleister im Bereich Automation & Industrial IT unterstütze das Unternehmen Hersteller und Anwender der PROFINET-Technologie. Foto: Stadt Eschwege Charlotte Bock Charlotte Bock ist Co-Geschäftsführerin bei Lokalprojekte gGmbH und Initiatorin des Programms „Integrationsmacher: innen“, gefördert von der Robert Bosch Stiftung. Sie ist gelernte Wirtschaftswissenschaftlerin und schloss ihren Master of Public Policy mit Spezialisierungen in Social Entrepreneurship und Open Government ab. Möglichkeiten staatlicher Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft über die Nutzung von Offenen Daten zum Zwecke sozialer Innovationen sowie die Bedeutung der Inkorporation von Social Entrepreneurship-Lehre und -Praxis in die Curricula von u. a. Public Policy Studiengängen zur Lösung komplexer Zukunftsherausforderungen, waren Fokusse ihrer wissenschaftlichen Lehre und Arbeiten an zwei Universitäten, bevor sie zu Lokalprojekte wechselte. Foto: privat BEA | SCHEURER | HESSELMANN Projektmanagement Der Klassiker endlich neu aufgelegt. uvk.de Anzeige