eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 34/5

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2023-0092
121
2023
345 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Krisenbewältigung und Kirsenarten

121
2023
Patrick Fiebeler
Die Fachgruppe „Turnaround“ der GPM hat sich mit der Frage beschäftigt, wie erprobte Methoden zur Krisenbewältigung praxisnah aufbereitet werden können. Daraus ist eine Prozessbeschreibung entstanden, die für die wichtigsten Arten von Krisen konkrete Schritte und Methoden empfiehlt. Die Ergebnisse werden in mehreren Artikeln in der PM-AKTUELL veröffentlicht. Dieser erste Artikel legt die Grundlagen der Krisenbewältigung und deren Krisenarten und erläutert der Krise zugrunde liegende Ziel- und Beurteilungskonflikte. Auf Basis dieser Klassifizierung werden konkrete Schritte und Methoden zur Krisenbewältigung beschrieben. Ergänzt wird der Artikel um Praxisbeispiele und Arbeitsblätter.
pm3450033
33 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0092 Methodensammlung zur Bewältigung von Projektkrisen Krisenbewältigung und Krisenarten Patrick Fiebeler Für eilige Leser | Die Fachgruppe „Turnaround“ der GPM hat sich mit der Frage beschäftigt, wie erprobte Methoden zur Krisenbewältigung praxisnah aufbereitet werden können. Daraus ist eine Prozessbeschreibung entstanden, die für die wichtigsten Arten von Krisen konkrete Schritte und Methoden empfiehlt. Die Ergebnisse werden in mehreren Artikeln in der PM-AKTUELL veröffentlicht. Dieser erste Artikel legt die Grundlagen der Krisenbewältigung und deren Krisenarten und erläutert der Krise zugrunde liegende Ziel- und Beurteilungskonflikte. Auf Basis dieser Klassifizierung werden konkrete Schritte und Methoden zur Krisenbewältigung beschrieben. Ergänzt wird der Artikel um Praxisbeispiele und Arbeitsblätter. Schlagwörter | Projektkrise, Krisenbewältigung, Turnaround, Krisenarten Einordnung Ein Projekt kann in eine Schieflage geraten. Wird diese nicht korrigiert, führt dies zu einer Krise. Steuerungslosigkeit und Handlungsunfähigkeit sind die Folge. Meist entsteht operative Hektik ohne Zielerreichung. Das Projekt steckt in einer Krise. Die Fachgruppe der GPM „Turnaround“ beschäftigt sich mit diesen Projektkrisen und hat u. a. Kriterien zur Definition einer Schieflage [1, 2] entwickelt und einen Krisenprozess definiert. Demnach entwickelt sich aus einem zunehmend kritischen Status des Projektes eine erkennbare Schieflage. Wird diese nicht aktiv überwunden, läuft das Projekt in eine Krise, die Vorphase tritt ein. Danach folgt die Phase des „Sehen und Anerkennens“. Es sollte nicht verpönt sein, den Krisenstatus zu kommunizieren. Nur wenn dieser anerkannt wird, kann er behandelt werden. Die Krise kann bewältigt werden. Dieser mehrteilige Artikel beschreibt Methoden, die für die Krisenbewältigung nach der Erfahrung der Fachgruppe besonders hilfreich sind. Sie konkretisieren die in der Literatur beschriebenen Wege Auditierung, Sanierung, Neu-Start, Coaching, Abbruch oder Mediation [3]. Klassifizierung Die Fachgruppe hat in mehreren Sessions ihre erprobten Vorgehensweisen und Methoden gegenseitig vorgestellt und abgeglichen. Dabei wurde herausgearbeitet, dass die in der Praxis angewendeten Methoden kategorisiert werden können. Es ließen sich Kriterien der Krise identifizieren, bei denen die Fachgruppe einen Konsens für die Abarbeitung der Bewältigung finden konnte. Für diese Kriterien wurde der Begriff der Krisenarten eingeführt. Die Inhalte dieses Artikels sind in der Fachgruppe „Turnaround“ der GPM entstanden. Über die letzten Monate wurden diverse Diskussionen unter den Experten geführt und diese online visualisiert. So entstand ein Vorgehen, das sich mit der Erfahrung aller Beteiligten deckt und praxistauglich angewendet werden kann. Neben dem Autor waren daran maßgeblich beteiligt: Gunnar Daehne, Siegfried Diekow, Nicola Findeis, Jörg Freese, Kai Rahnenführer, Sabine Schnarrenberger und Jörg Süggel. Wer in Zukunft einen Beitrag zur Fachgruppe leisten möchte, ist herzlich eingeladen, sich hier zu melden: turnaroundpm@gpm-ipma.de Wissen | Krisenbewältigung und Krisenarten 34 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0092 Die Krisenarten orientieren sich in erster Linie an den Ursachen von Krisen [3]: A ungelöste Konflikte B ungelöste Probleme C plötzliche Ereignisse Dabei stellen ungelöste Konflikte aus Sicht der Fachgruppe die wichtigsten Ursachen von Krisen dar. Zwar können unvorhergesehene Ereignisse und ungelöste Probleme ebenfalls auftreten. Diese sind mit den vorhandenen Methoden (z. B. Problemlösungstechniken, Kreativitätstechniken, Notfallpläne aus dem Risikomanagement) des Projektmanagements ohne größere Anpassungen an die Krisensituation anwendbar. Ungelöste Probleme und plötzliche Ereignisse sind außerdem leichter zu kommunizieren und zu bewältigen. Sie können meistens transparent und überwiegend sachlich aufgearbeitet werden. Ungelöste Konflikte hingegen verursachen nicht nur eine Krise, sondern sind schwerer zu lösen und sind tendenziell Hauptursachen dafür, dass eine Krise nicht nachhaltig, sondern allenfalls oberflächlich bewältigt werden kann. Sie sind schwerer zu erkennen und wirklich abzustellen. Sie sind häufig schwelend / latent. Daher konzentriert sich dieser Artikel auf ungelöste Konflikte als Ursache für Projektkrisen. Auf der zweiten Ebene werden die Krisenarten entsprechend weiter klassifiziert: A1 Zielkonflikte A2 Beurteilungskonflikte A3 Verteilungskonflikte A4 Beziehungskonflikte A5 Wertekonflikte A6 Rollenkonflikte Die Hypothese lautet, dass eine Projektkrise besonders effektiv und effizient gelöst werden kann, wenn die ihr zugrunde liegenden und sie immer wieder befeuernden Konflikte gelöst werden. Entsprechend wurde für diese Konfliktarten ein Vorgehen zur Lösung in der Fachgruppe erarbeitet und als Flow-Chart in der Gruppe zusammengefasst. Aus diesem Flowchart wurden die Arbeitsblätter für diesen Artikel abgeleitet. Umsetzung der Krisenbewältigung Eine Analyse und die Klassifizierung der Krise ist also der erste Schritt zur Bewältigung. Häufig sind Zeit und Ressourcen gerade in einer Krise nicht ausreichend vorhanden, um ausführliche Analysen durchzuführen. Die Fachgruppe hat daher ein Modell entwickelt, das auf Basis einfacher Beobachtungen schnelle Empfehlungen geben kann. Krisen beinhalten selten nur einen ungelösten Konflikt, ein ungelöstes Problem oder ein plötzliches Ereignis. Häufig treten gleich mehrere Schwierigkeiten auf. Werden die Krise und vor allem die sie befeuernden Konfliktarten jedoch frühzeitig klassifiziert und so die wichtigsten Symptome einem Schema zugeordnet, wird man schnell feststellen, welche Maßnahmen die größten Erfolgsaussichten versprechen. Man sollte mit der Konfliktart beginnen, die am meisten vertreten scheint. In der Krise ist es wichtig, dass Sofortmaßnahmen gestartet werden, die so fundiert wie möglich sind, statt alle Zusammenhänge umfänglich zu erfassen und geplant abzuarbeiten. Das erzeugte Flow-Chart stellt eine Art Notfallplan mit Vorratsmaßnahmen für das Risiko einer Projektkrise dar. Sobald die Wirkung einzelner Maßnahmen sichtbar wird, können weitere Maßnahmen und weniger vordringliche Konfliktarten in den Vordergrund rücken. Die Maßnahmen einer Konfliktart werden auch Auswirkungen auf andere Konflikte haben. Die Krisenbewältigung ist komplex und volatil. Wenn das Projekt in einer Krise steckt, hilft ein parallel aufgesetztes Turnaround-Projekt, die Krise zu bearbeiten und im besten Fall zu überwinden. Dabei kann auch Scrum für die Steuerung dieses Turnaround-Projektes genutzt werden: Das Flow-Chart kann durch den Krisenmanager in ein Backlog für ein Krisenbewältigungsprojekt umgewandelt und genutzt werden. Die verschiedenen Aufgaben werden als Anforderungen durch den Krisenmanager anhand der Klassifizierung der Krisenart priorisiert und dann in Sprints umgesetzt. Die Ergebnisse der Maßnahmen können am Ende des Sprints regelmäßig besprochen und reflektiert werden und so u. a. die konkreten Maßnahmen an den Verlauf der Krise angepasst werden. Viele Maßnahmen werden in einer Krise auf eine Veränderung hinwirken. Changemanagement mit seinen Methoden und Kompetenzen bietet hierfür ergänzend viel Potenzial für eine erfolgreiche Bewältigung. Krisenbewältigung bei Zielkonflikten Das Kompetenzelement „Anforderungen, Nutzen und Ziele“ und „Chancen und Risiken“ bilden die Grundlage dieses Abschnittes. Ein Arbeitsblatt mit den wichtigsten Fragestellungen und Schritten ist Teil dieses Artikels. Krisenarten-- Einordnung Krisenursachen und Konfliktarten Wissen | Krisenbewältigung und Krisenarten 35 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0092 Wenn bei der Grobanalyse der Krise immer wieder Symptome ins Auge fallen, die darauf hindeuten, dass Ziele nicht vorhanden, unklar, unterschiedlich oder nicht erreicht werden, liegt eine Krise vor, die durch Zielkonflikte befeuert wird. In einer Krise ist die Tatsache, dass Ziele nicht erreicht werden, wenig überraschend. Die meisten Projektbeteiligten würden nicht behaupten, dass sie gerade erfolgreich sind. Interessant ist jedoch, genauer herauszufinden, was die Projektbeteiligten als Erfolg (für sich) definieren. Sind diese Definitionen unterschiedlich oder unklar, ist dies ein sehr gutes Indiz für einen Zielkonflikt. Ziele sind die Kriterien des Erfolges. Wenn nicht einmal die Ziele klar sind, ist Erfolg nicht definiert. Die Projektergebnisse, egal mit welchem Einsatz und in welcher Geschwindigkeit „passen“ nicht. Insofern ist zur Bewältigung der Krise zunächst wichtig herauszufinden, ob diese Erfolgskriterien (=Ziele) überhaupt definiert und bekannt sind. Die erste Frage lautet also: a) Existiert eine dokumentierte Zielhierarchie? Für die Krisenbewältigung ist es einfacher, wenn eine Zielhierarchie vorliegt. Wenn nein, sollte diese möglichst in einem Workshop erarbeitet werden. Dabei sollte das ganze Team eingebunden sein und eine eher einfache Herangehensweise sollte gewählt werden. Es reicht evtl. schon 5-10 textliche Ziele im Team zusammenzutragen und als Präsentation aufzubereiten. Natürlich sind die Qualitätskriterien wie SMART sinnvoll. Wenn das Projektteam aber in einer Krise ist und nicht schnell die wichtigsten Ziele nennen kann, wäre ein Team mit einer detailliert, SMART formulierten Hierarchie und Zielunverträglichkeitsmatrix wahrscheinlich überfordert. Weniger ist hier mehr. Nun gibt es also eine Zielhierarchie, diese sollte näher untersucht werden und die nächsten Schritte durchgeführt werden: b) Zielhierarchie aktuell, abgestimmt, priorisiert und Zielerreichung sachlich dargestellt? Eine umfangreich theoretisch richtige Zielhierarchie nützt wenig, wenn diese veraltet ist, das aktuelle Umfeld nicht abbildet, wichtige Stakeholder nicht eingebunden sind oder Zielunverträglichkeiten nicht aufgezeigt und nicht priorisiert werden. Selbst wenn dies alles vorliegt, ist interessant, nachzuvollziehen, wie aktiv mit den Zielen gearbeitet wurde. Gibt es etwa pro Ziel einen „Botschafter des Zieles“, wurden Kennzahlen zur Zielerreichung erhoben, wurden Ziele formell geändert? Wenn all diese Fragen mit „Ja“ beantwortet werden können, kann es nicht mehr an der Zielhierarchie selbst liegen. Der Zielkonflikt resultiert dann evtl. aus Risiken. Risiken sind Ereignisse, die einer Zielerreichung womöglich entgegenstehen. Bei einem Zielkonflikt, der nicht auf die Zielhierarchie selbst zurückzuführen ist, lohnt ein Review des Risikomanagements. Die Kernfrage lautet: Wie reif ist es in dem Unternehmen insgesamt und wie wird es im Projekt gelebt? In einer Krise mit unreifem Risikomanagement sollte zunächst im Team eine einfache Risikoliste erstellt und die Maßnahmen und deren Wirkung visualisiert werden. Parallel sollte Risikomanagement als Disziplin eingeführt werden. Wichtig ist, dass Risikomanagement besonders in dieser Situation als integrale Management-Aufgabe wahrgenommen wird und nicht etwa Externe alleinig Risikolisten schreiben. Auch hier gilt, dass eine einfache Risikoliste, die allen präsent ist und gelebt wird ausreichen kann, um den Krisenmodus zu verlassen und das Projekt zumindest zu stabilisieren. Aus dem Risikoreview kann auch eine strategische Empfehlung für den weiteren Verlauf des Projektes bis hin zum Abbruch erfolgen. c) Ist auch jetzt die Krise, die vor allem durch einen Zielkonflikt befeuert wird, nicht bewältigt, sollte man sich auf die „Suche nach der Nadel im Heuhaufen“ begeben. Neben der Problemlösung als separate Krisenart kann hier eine Root Cause Analyse zur Anwendung kommen. Im Zentrum sollten hier die bisher nicht erreichten Ziele und eventuell ein Abgleich der Risiken mit anderen Projekten im gleichen Unternehmen erfolgen. d) Die zentrale Maßnahme zur Bewältigung eines Zielkonfliktes ist, dass mit dem Projektteam und (wichtig) dem Auftraggeber eine schriftliche Zielhierarchie für die nächsten 3 Monate inkl. Ziele für Krisenbewältigung erstellt werden. Je nach vorherigem Verlauf liegen hier schon Projektziele und Risiken vor oder müssen erstellt werden. In den meisten Fällen sollten die Ziele und Risiken in einer Krise angepasst werden. Dies ist der Startpunkt eines Krisenbewältigungsprojekts und kann auch Elemente / Ziele für die anderen Konfliktarten beinhalten. f) Das Krisenbewältigungsprojekt ist der Pilot für ein verbessertes Ziel- und Risikomanagement. Es sollte entsprechend Strahlkraft auf die anderen Projekte haben und z. B. durch das PMO auf andere Projekte angemessen übertragen werden. Fallbeispiel „Krise aufgrund eines Zielkonfliktes“ Peter soll ein bereits laufendes Projekt mit sechs Kernteammitgliedern übernehmen. Er wird direkt vom Topmanagement informiert und vorgestellt. Hintergrund des Einsatzes ist, dass man nicht glaubt, dass das Projekt gut vorankommt und es bereits im mittleren Management Unzufriedenheit gibt, weil sowohl Ausrichtung und Weg des Projektes als unzureichend benannt werden. Nach kurzer Vorstellung wird er mit dem Team allein gelassen und dieses empfängt ihn sogleich mit den Worten: „Peter, wir wollen nicht wieder von 0 anfangen. Wir wissen, was wir wollen, und Du sollst uns lediglich helfen, das umzusetzen.“ Peters Antwort ist kurz und knapp: „Das ist ja dann viel einfacher als gedacht! Da ich aber noch nicht genau weiß, „Ziele als Kriterium des Erfolges“ mit freundlicher Unterstützung von Wolfgang Irber (https: / / wirber.de) Wissen | Krisenbewältigung und Krisenarten 36 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0092 was erreicht werden soll, würde ich gerne von euch wissen, was in einem Jahr hier stehen soll-…“ Daraufhin fängt die erste Projektmitarbeiterin an, der zweite fällt ihr kurz ins Wort und korrigiert sie, worauf das dritte Projektmitglied die Situation wieder etwas anders darstellt. Alle sechs haben unterschiedliche Sichten auf die Ziele und stellen sie entsprechend unterschiedlich dar. So richtig zusammen passt gar nichts. Nach fünfzehn Minuten Diskussion tritt betretenes Schweigen auf. Alle gestehen, dass man wohl doch besser wieder von vorn anfängt und die Ziele gemeinsam überarbeitet. Nach dieser Runde erhält Peter ein Budget, um in einem zweitägigen Workshop mit diesem Team die Ziele, den Strukturplan, den Projektplan und die Risiken zu diskutieren und zu dokumentieren. Die unterschiedlichen Ziele der einzelnen Teammitglieder hätten früher oder später im Projekt zu Konflikten geführt. Die Frage, welche Ziele jedes Mitglied mit dem Projekt identifiziert, entlarvt genau dies ganz am Anfang des Projektes. Aus der Beratungspraxis von Gunnar Daehne (www. gdpmc.eu) Krisenbewältigung bei Beurteilungskonflikten Das Kompetenzelement „Planung und Steuerung“ bildet die Grundlage dieses Abschnittes. Ein Arbeitsblatt mit den wichtigsten Fragestellungen und Schritten finden Sie als Teil dieses Artikels. In einer Projektkrise ist häufig unklar, was der tatsächliche Sachstand ist. Die Informationen sind unvollständig oder politisch bewertet und geprägt. Je mehr die Krise sichtbar wird, desto weniger transparent werden die handelnden Personen und Abteilungen den Sachstand aufzeigen und ggf. Fehler präsentieren. Es liegt ein Beurteilungskonflikt vor. Die Basis der Projektbeurteilung sollten die verabschiedeten Projektziele und deren Erreichungsgrad sein. Ohne Ziele ist eine sachliche Beurteilung des Projektstandes in einer Krise nicht möglich. Entsprechend sollten die Schritte des Zielkonfliktes ggf. vorangestellt werden. Bei einem Beurteilungskonflikt geht es um das Finden von aussagefähigen Informationen und Daten, deren Bewertung und den daraus abgeleiteten transparenten Prognosen, Szenarien und Maßnahmen. In einer Krise sollten folgende Schritte durchgeführt werden, wenn Beurteilungskonflikte diese befeuern: a) Zunächst sollte die vorhandenen Key Performance Indikatoren [4] und Dashboards gesichtet werden. Diese sollten dem Krisenmanager einen repräsentativen Gesamteindruck verschaffen, ohne umständlich und von verschiedenen Personen erklärt werden zu müssen. Und sie sollten leicht für alle Stakeholder zugänglich sein. b) Die vorhandenen Berichte sollten dann zunächst auf Relevanz für die Stakeholder und korrektem Input geprüft werden. Für die Krisenbewältigung sollte im Mittelpunkt stehen, dass die Berichte sich an den Zielen und den wichtigen Stakeholdern und deren Interessen orientieren. Vor allem sollte geprüft werden, welche Sachstände gar keine Zielgruppe haben und inwiefern die Information so aufbereitet ist, dass die Erwartung der Zielgruppe erreicht wird. Interviews mit den Empfängern von Berichten können hierfür eine gute Grundlage bilden. c) Sind die zielgruppenrelevanten Informationen definiert, ist wichtig, dass neben der unbewerteten Darstellung der aufbereiteten Informationen fachlich nachvollziehbare Bewertungen erfolgen. Die unterschiedlichen Sichtweisen des interdisziplinären Teams sollten als sehr wertvoll angesehen und nicht verwässert werden. Dabei sollten singuläre Interessen, Abteilungen und Hierarchien keine Rolle spielen. Die Bewertung sollte abgestimmt erfolgen und alternative Handlungsempfehlungen aufzeigen. Die Entscheidung zu den Maßnahmen sollte auch strategischen Überlegungen des Unternehmens berücksichtigen, ohne strategische Entscheidungen vorwegzunehmen oder einzuengen. Eine interdisziplinäre Gesamtbewertung der Informationen ist notwendig. Die Mängel und Erfolge der unterschiedlichen Funktionen und Organisationseinheiten sollten ausgewogen dargestellt werden. Die Visualisierungen sollten einen repräsentativen Eindruck des tatsächlichen Fortschritts ermöglichen. Werden Ampeln zur Visualisierung genutzt, sollten die dahinterliegende Definition klar sein. d) Im nächsten Schritt können einzelne, kritische KPI s qualitativ verbessert werden [3]. Es bietet sich an, besonders kritische Themen in einem “deep dive” zu beleuchten und Kennzahlen daraus zu entwickeln, die die Stabilisierung der Krise anzeigen. e) Die Daten, Informationen und Bewertungen des Sachstandes beziehen sich zumeist auf die Vergangenheit. Ein besonderes Augenmerk bei Beurteilungskonflikten sollte auch auf die Trends und Prognosen gelegt werden. Neben der Fragestellung, ob es überhaupt methodisch professionelle Prognosen gibt, sollte ein Augenmerk auf die Annahmen und den Kontext gerichtet werden. Sind diese realistisch und passen z. B. zur Kontext- und Umfeldanalyse zum Start des Projektes. Genauso sollten die Risiken und Chancen berücksichtigt werden. Besonders in einer Krise sollte nicht auf ein Wunder gehofft werden und kritisch gefragt werden, mit welchen Maßnahmen und Gründen eine positive Prognose zulässig ist. f) Der letzte Schritt der Bewältigung von Beurteilungskonflikten ist gleichfalls eine Chance, die nicht nur in einer Krise, sondern permanent existiert: In einem Projektteam sind diejenigen Mitarbeiter vereint, die am meisten über das Projekt wissen. Sie tauschen sich in einer Organisation am engsten fachübergreifend aus und haben für das Projekt ein gutes Gefühl, was gerade gut und schlecht läuft. Selbst in einer Krise ist die Beurteilung des Projektteams wahrscheinlich die beste, die das Unternehmen zu bieten hat. Daran zu arbeiten, dass den Empfehlungen des Projektteams gefolgt wird und diese frei von politischen Einflüssen ist, kann Krisen verhindern und lösen. Fallbeispiel: „Wie ein Verteilungskonflikt einen Bewertungskonflikt überdeckt“ Projektleiter Peter steuert seit einiger Zeit ein komplexes Projekt, in dem an über 60 Standorten eine komplexe Lösung an Produktionslinien installiert und innerhalb eines Jahres ITtechnisch an die Zentrale angebunden werden soll. Das Projektkernteam besteht aus sechs Personen aus unterschiedlichsten Bereichen wie Logistik, IT, Qualitätsmanagement etc. Nachdem Peter das Gefühl bekam, dass ein Teammitglied sich zurückzieht und in letzter Zeit nicht mehr so engagiert Wissen | Krisenbewältigung und Krisenarten 37 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0092 erschien, beschloss er, sich mit dem Mitglied unter vier Augen zu unterhalten. Das Gespräch eröffnete zunächst, dass das Mitglied sich aus dem Projekt zurückziehen möchte. Begründet wurde dies mit zu viel Arbeit in der Linientätigkeit. Peter genügte die Antwort nicht, weil ihm diese Ressource offiziell zu 50 % garantiert war. Im weiteren Gespräch offerierte das Mitglied die Wahrheit, dass sich der Vorgesetzte seit geraumer Zeit gegenüber dem Mitglied über das Projekt negativ äußert und der Mitarbeiter diesem beständigen Druck nicht mehr standhält, obwohl er eigentlich gerne im Projekt weiterarbeiten würde. Peter schlägt dem Mitglied vor, persönlich mit dem Vorgesetzten zu sprechen. In der Vorbereitung zu dem Gespräch überlegte Peter, was wohl die Gründe sein könnten für die Ablehnung des Projektes: Hat er den Vorgesetzten nicht genug eingebunden? Hat er einen falschen Lösungsansatz verfolgt und der Vorgesetzte hat eine bessere Idee? Sind die falschen Leute involviert im Kernteam? So richtig erklären konnte Peter sich das nicht und beschloss, gleich zu Beginn des Gespräches, dem Vorgesetzten die Fakten auf den Tisch zu legen. Den Vorgesetzten kannte Peter natürlich schon als aktiven Stakeholder aus anderen Gesprächen und Meetings. Nach kurzer Begrüßung kam Peter zum Punkt seines Anliegens und der klaren Aussage, dass er den Mitarbeiter nicht aus dem Projekt gehen lassen möchte und dieser auch gern dort weiter mitwirken würde. Relativ schnell platzte dem Vorgesetzten der Kragen und es sprudelte heraus, dass Peters Projekt viel zu groß aufgestellt ist, er würde das gleiche mit zwei Personen abwickeln. Dieses aufgeblähte Projektmanagement führt zu nichts, belastet die Organisation und erreicht die Ziele nicht. Es werden viel zu viele Abstimmungsmeetings durchgeführt und zu viele Dokumente produziert. Es zeigt sich hier, dass der Vorgesetzte das Vorgehen des Projektes völlig anders bewertete als Peter und das Projektteam. Es erwies sich auch als aussichtslos, den Vorgesetzten von der planvollen Vorgehensweise des Projektes zu überzeugen, da er grundsätzlich von einer solchen Projektvorgehensweise nicht überzeugt war. Ganz tief im Innern erkannte Peter auch eine gewisse Angst, dass Peters planvolle Vorgehensweise zeigt, dass man dieses komplexe Projekt tatsächlich in Zeit und Budget erledigen kann und damit die bisherige Praxis von koordinativem Projektmanagement dem Matrixprojektmanagement unterlegen ist. Peter schlug vor, dem Vorgesetzten die Vorgehensweise offenzulegen und über den Mitarbeiter, der im Team bleiben sollte, regelmäßig Bericht zu erstatten, wie man im Detail vorankommt. So sollte der Mitarbeiter auch etwas über Matrixprojektmanagement lernen. Das Projekt endete mit drei Monaten zeitlichem und 10 % finanziellem Verzug. Nach offiziellem Ende des Projektes sagte der Vorgesetzte unter vier Augen zu Peter, dass er jetzt verstanden habe, was er in seinen Projekten bisher falsch gemacht habe-… Aus der Beratungspraxis von Gunnar Daehne (www. gdpmc.eu) Schluss Mit den zuvor genannten Methoden kann eine Projektkrise, die sich vor allem aus Ziel- und Beurteilungskonflikten ergeben, gelöst werden. Es sind keine Garantien für den Projekterfolg, aber Sie geben Auftraggebern und Projektteams wichtige Anreize, um den Turnaround zu schaffen. Zentral ist dafür auch die Kompetenz des Krisenmanagers. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass die hier genannten Kompetenzelemente besonders ausgeprägt sind und die Krise als Chance gesehen wird. Eine Krise kann zu einer positiven, revolutionären, Veränderung führen, die ohne sie nie möglich gewesen wäre. Weitere Krisenarten werden in der Fachgruppe analysiert und sukzessive in der PM-AKTUELL vorgestellt. Literatur [1] Rahnenführer, Kai / Radin, Goran: Projekte in der Krise-- oder doch nicht? Teil 1: Definition und Herleitung. Projektmanagement Aktuell 05 / 2017, S. 57-62 [2] Rahnenführer, Kai / Radin, Goran: Projekte in der Krise-- oder doch nicht? Teil 2: Checkliste zur Einschätzung der Situation eines Projektes. Projektmanagement Aktuell 02 / 2018, S. 37-45 [3] GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement, Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM4): Handbuch für Praxis und Weiterbildung im Projektmanagement [4] A Guide to the Project Management Body of Knowledge (PMBOK® Guide), 7th Edition by Project Management Institute Published by Project Management Institute, https: / / pmi.org, 2.7.1.1 Seite 95 ff. Eingangsabbildung: © iStock.com / Andranik Hakobyan Patrick Fiebeler Unter dem Markennamen „Projektmanagement mit Tiefe“ hat Patrick Fiebeler seine Erfahrung und Passion für Projektmanagement zusammengefasst. (www.pm-tiefe.de). Ein ausführliches Porträt ist in der PM-AKTUELL 02 / 2020 über ihn erschienen. Wissen | Krisenbewältigung und Krisenarten 38 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0092 Arbeitsblatt: Beurteilungskonflikte Bei einem Beurteilungskonflikt geht es um das Finden von aussagefähigen Informationen und Daten, deren Bewertung und den daraus abgeleiteten transparenten Prognosen, Szenarien und Maßnahmen. In einer Krise sollten folgende Schritte durchgeführt werden, wenn Beurteilungskonflikte diese befeuern: a) Prüfen der Key Performance Indikatoren und Dashboards Verschaffe Dir einen Überblick anhand des vorhandenen Materials c) Fachliche Nachvollziehbarkeit der Bewertungen − Werden die fachlichen Bewertungen als nachvollziehbar wahrgenommen? − Werden Mängel und Erfolge ausgewogen dargestellt? − Erfolgen die fachlichen Bewertungen abgestimmt im interdisziplinären Team? − Zeigen diese Bewertungen auch alternative Handlungsempfehlungen auf? − Beziehen die Handlungsempfehlungen strategische Überlegungen ein? − Werden Entscheidungen in der Bewertung vorweggenommen? − Sind Visualisierungen enthalten, die einen Eindruck des tatsächlichen Fortschritts vermitteln? d) Optimierung kritischer KPIs − Schaue Dir die KPIs an, die eine Stabilisierung der Krise anzeigen würden und prüfe ob diese verbessert (Relevanz, Genauigkeit, Darstellung, ...) werden müssen. e) Trends und Prognosen − Werden bereits Trends und Prognosen verwendet? − Sind die Annahmen realistisch und im Kontext realistisch? − Werden positive Prognosen geprüft? Wenn ja, wie? f) Wird Empfehlungen des Projektteams geglaubt? − Wenn nicht, solltest Du daran arbeiten. b) Prüfen der Relevanz des vorhandenen Materials und der Berichte − Prüfe die Relevanz für die Stakeholder − Wird auf die Ziele orientiert berichtet? − Gibt es für alle Sachstände auf Zielgruppen? − Treffen die Berichte die Erwartung der Stakeholder? Check Check Check Check Jörg Freese Arbeitsblatt: Zielkonflikte Wenn nicht einmal die Ziele klar sind, ist Erfolg nicht definiert. Wie definieren Projektbeteiligte (für sich) Erfolg. Sind diese Definitionen unterschiedlich oder unklar, ist dies ein sehr gutes Indiz für einen Zielkonflikt. e) Anpassen der Ziele und Risiken an die Krisensituation Zur Bewältigung eines Zielkonfliktes ist es wichtig, mit dem Projektteam und dem Auftraggeber eine schriftliche Zielhierarchie für die nächsten 3 Monate inkl. Ziele für Krisenbewältigung zu vereinbaren. a) Existiert eine dokumentierte Zielhierarchie? Nein? Erstelle eine einfache Zielhierarchie. 5-10 textliche Ziele im Team zusammentragen und als Präsentation aufzubereiten. Do b) Zielhierarchie aktuell, abgestimmt, priorisiert und Zielerreichung sachlich dargestellt? Aktuell, vollständig und genutzt? − Ist die Zielhierarchie aktuell? − Ist das derzeitige Umfeld abgebildet? − Sind die wichtigen Stakeholder eingebunden? − Werden Zielunverträglichkeiten aufgedeckt und priorisiert ? − Ist pro Ziel definiert wie die Zielerreichung gemessen wird (KPI)? − Wurde aktiv mit den Zielen gearbeitet? − Wurden ‚Botschafter des Ziels‘ definiert und nehmen diese ihre Aufgabe wahr? − Wird ein Verfahren zur Zieländerung genutzt? Check c) Stehen Risiken einer Zielerreichung im Wege? − Wie reif ist das Risiko Mgmt in dem Unternehmen insgesamt und wie wird es im Projekt gelebt? − Wird das Risiko Mgmt als integrale Management Aufgabe wahrgenommen? − Erstelle eine einfache Risikoliste, die Maßnahmen und deren Wirkung visualisiert − Führe parallel ein Risikomanagement ein und stelle sicher, dass es als integrale Management-Aufgabe wahrgenommen wird − Ableitung strategischer Empfehlungen zur Zukunft des Projektes ableiten Sonst d) Ist die Krise noch nicht bewältigt? − Beginne die Suche nach der Nadel im Heuhaufen − Problemlösung als separate Krisenart − Führe ggf. eine Root Cause Analyse durch. Fokus auf noch nicht erreichte Ziele und Abgleich mit Risiken mit anderen Projekten Do Jörg Freese Arbeitsblätter Beurteilungskonflikt und Zielkonflikt