eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 34/5

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2023-0097
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2023
345 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Projekte vs. Prozesse – Symbiose oder Widerspruch

121
2023
Erich Dräger
Ralph Riedel
Projekte machen Prozesse, ohne Prozesse keine Projekte – Soll, oder muss man deshalb Projekte und Prozesse als zwei Seiten der gleichen Münze sehen?
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60 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0097 PM Forum Projekte vs. Prozesse - Symbiose oder Widerspruch Erich Dräger, Ralph Riedel Projekte machen Prozesse, ohne Prozesse keine Projekte - Soll, oder muss man deshalb Projekte und Prozesse als zwei Seiten der gleichen Münze sehen? Projekte sind einmalige, komplexe, häufig interdisziplinäre Vorhaben mit einem konkreten Ziel, einem Start und Ende, damit zeitlich abgegrenzt (und endlich), mit beschränkten Ressourcen sowie mit einem internen oder externen Auftraggeber. Prozesse sind häufig wiederkehrend, können aber auch einmalig sein, haben ebenfalls ein erwartetes oder vorgegebenes Ergebnis, Start und Ende, einen internen oder externen Kunden und benötigen (häufig beschränkte) Ressourcen zu ihrer Ausführung. Projekte sind damit nur beschränkt, v. a. auf einem höheren Level standardisierbar. Prozesse versucht man atomar zu standardisieren und damit beherrschbar zu machen. Projekte sind am Output, am Ergebnis, am Kunden orientiert, Prozessdenken orientiert sich idealerweise auch am Kunden(wert) sowie am Wertstrom und am Fluss, d. h. an der unterbrechungsfreien Aufeinanderfolge aller Schritte, die Wert erzeugen. Projekte und Prozesse haben damit viele Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten. Nichtsdestotrotz scheint Prozess- und Projektdenken häufig ein unterschiedlicher Mindset zugrunde zu liegen und bekanntermaßen gibt es für Projekt- und Prozessmanagement unterschiedliche Fachverbände, werden diese als verschiedene Fachdisziplinen gehandhabt und gelehrt. Auch in der Praxis scheinen Projekte und Prozesse durchaus zwei unterschiedliche Welten zu sein. Zwei Beispiele sollten dies illustrieren: • Da ist zum einen das Maschinenbauunternehmen, das in den letzten 20 Jahren fulminant gewachsen ist, stets technologiegetrieben als Problemlöser für seine Kunden wirkte und sich plötzlich mit der Herausforderung konfrontiert sieht, das kundenindividuelle Einzelprojektgeschäft durch Standardprodukte, die in Serienfertigung hergestellt werden sollen, zu ergänzen. Nicht nur im ERP-System, sondern v. a. in der Organisation musste plötzlich eine andere Art von Prozessen etabliert werden, was insbesondere ein Umdenken (bspw. Standardisierung als Chance und nicht als Innovationsbremse) und Verhaltensänderungen (dem Kunden alles recht machen vs. Effizienz) erforderte. • Zum anderen ist da der große Mittelständler mit knapp 2.000 Beschäftigten und einem Dutzend Standorten, der gerade mitten in einer Transformation, getrieben durch die Elektromobilität, steckt. Neben den klassischen Serien- und Linienaufgaben, die im Rahmen eines Projektes verändert werden sollen, steigt das Unternehmen zukünftig verstärkt ins Projektgeschäft ein, indem es als Entwicklungspartner seiner Kunden fungiert. Dazu müssen die Prozesse und Projekte effizient auf die Kundenbedürfnisse ausgerichtet werden. D. h., aus der bisherigen Sicht von innen nach außen muss nun die Sicht vom Kunden, dessen Prozesse und Ziele, nach innen erfolgen und hierbei muss kosteneffizient agiert werden, da der Wettbewerb sehr ausgeprägt ist. Für beide Fälle besteht ein Learning darin, dass nur durchgängige (End-to-End) Prozesse ein effektives, effizientes Projektmanagement gewährleisten können. Was lässt sich nun für die Ausgangsfrage „Symbiose oder Widerspruch“ ableiten? Unstrittig ist sicherlich, dass Projekte wie auch das Projektmanagement aus Prozessen bestehen - dies findet sich in der Literatur, wie auch in den einschlägigen Standards. Allerdings wird dort, wie auch in der Ausbildung, wenig auf das Prozessmanagement in Projekten eingegangen, sondern es werden primär die Kompetenzen eines Projektmanagers thematisiert. Projekte verändern Prozesse, man denke nur an ein Business-Reengineering-Projekt oder an die Einführung einer komplexen Unternehmenssoftware. Die Anforderungen an das Projekt werden dabei in nicht unerheblichem Maße durch die vorhandenen Prozesse gestellt. Der Prozessmanager ist dabei jedoch nicht immer auch ein Projektmanager. Am Ende fokussieren sowohl Projektals auch Prozessmanagement doch aber auf die gleichen Dinge: die Kunden, die zufriedengestellt und begeistert werden sollen, die Planung von Abläufen, Tätigkeiten in einer sinnvollen Reihenfolge, die Zurverfügungstellung der richtigen Ressourcen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sowie deren Zusammenspiel, die Definition von Verantwortlichkeiten, das rechtzeitige Erkennen und der Umgang mit Risiken sowie mit Dynamik, Änderungen usw. Dafür sind im Grunde übergreifende Managementkompetenzen erforderlich, die - je nachdem - einen speziellen Fokus haben können, gleichzeitig aber - aus den oben genannten Gründen - stets auch Wechselwirkungen bzw. das Zusammenspiel von Projekten und Prozessen im Blick behalten müssen. Im Workshop (vgl. Abb. 1) wurden viele weitere Beispiele dafür gefunden, dass sich Projekte und Prozesse gegenseitig beeinflussen; es kann aber auch vereinzelt Projekte geben, welche die Geschäftsprozesse eines Unternehmens nicht tangieren bzw. hat nicht jeder Prozess ein Projekt als Ursache. PM Forum | Projekte vs. Prozesse - Symbiose oder Widerspruch 61 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0097 Es wurde die Notwendigkeit bestätigt, dass Projektmanager Prozesskompetenz haben müssen und umgekehrt - eine integrative Sicht von Projekt- und Prozessmanagement bietet eindeutige Vorteile. Insbesondere werden dadurch sowohl die Kundenzufriedenheit als auch der Unternehmenserfolg positiv beeinflusst. Für die favorisierte Symbiose ist es erforderlich, das Knowhow sowie Methoden aus beiden Disziplinen zusammenzubringen - die „Wirkrichtung“ muss dabei klar durch Kunden und Ziele vorgegeben sein. Grundvoraussetzung ist eine gemeinsame Sprache. Die Integration von Projekten und Prozessen bzw. von Projekt- und Prozessmanagement sollte praxisorientiert erfolgen. Sinnvoll ist vermutlich ein Zusammenspiel aus akademischer Ausbildung, Best Practice und interdisziplinärem Austausch. Abbildung 1: Arbeitsergebnisse aus dem Workshop Prof. Dr.-Ing. Erich Dräger Prof. Dr.-Ing. Erich Dräger hat als Geschäftsführer, Interims-Manager, Business Coach mehr als 20 Jahre Erfahrung im Projekt- und Prozessmanagement. Im Mittelpunkt seiner Tätigkeit stehen die kompetenzorientierte und wertschöpfungsorientierte Führung von Projekten und Prozessen. Erich.draeger@resultance.de Prof. Dr.-Ing. habil. Ralph Riedel Prof. Dr.-Ing. habil. Ralph Riedel ist Professor für Logistik an der Westsächsischen Hochschule in Zwickau und beschäftigt sich in Lehre, Forschung und Praxis mit der nachhaltigen und aufeinander abgestimmten Befähigung von Menschen, Technik und Organisation, nicht nur im Kontext der Logistik. Foto: Helge Gerischer ralph.riedel@fh-zwickau.de Für die Standards im Projektmanagement, speziell für das (neue) Element „Geschäftsprozesse“ innerhalb der ICB 4.0, wurde in diesem Zusammenhang entsprechender Handlungsbedarf identifiziert - hier spielen Konzepte und Methoden des Prozessmanagements bislang noch keine große Rolle. Die GPM selbst hat einen Standard zum projektorientierten Prozessmanagement im Roll-out und auch erste positive Feedbacks von Teilnehmern - dies ist sicher ein guter erster, operativer Ansatz. Prinzipiell muss festgehalten werden: Die Kompetenz der Projektleiter muss um organisatorische Aspekte, Geschäftsprozesse wesentlich erweitert werden - dies ist Aufgabe für Unternehmen, Fachverbände, Ausbildungseinrichtungen - und für die handelnden Personen selbst.