eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 35/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2024-0011
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2024
351 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Chinas neue Herausforderungen im F&E-Projektmanagement

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2024
Karl Waldkirch
Verklärt, am Ende, desillusioniert, so sieht die westliche Welt die wirtschaftliche Supermacht China. Die Bundesregierung und die EU-Zone schwelgen in der Vorstellung, China sei nur Werkbank für die Welt. Doch China strebt nach mehr, eine globale Rolle im Bereich Forschung und Entwicklung. Zielbezogen wurden allein im Geschäftsjahr 2022 insgesamt 456 Milliarden US-Dollar diesem Bereich zugeführt. Das entspricht 2,55 Prozent des Bruttosozialprodukts und ist im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung von mehr als zehn Prozent.
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51 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 01/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0011 Chinas neue Herausforderungen im F&E-Projektmanagement Karl Waldkirch Für eilige Leser | Verklärt, am Ende, desillusioniert, so sieht die westliche Welt die wirtschaftliche Supermacht China. Die Bundesregierung und die EU-Zone schwelgen in der Vorstellung, China sei nur Werkbank für die Welt. Doch China strebt nach mehr, eine globale Rolle im Bereich Forschung und Entwicklung. Zielbezogen wurden allein im Geschäftsjahr 2022 insgesamt 456 Milliarden US-Dollar diesem Bereich zugeführt. Das entspricht 2,55 Prozent des Bruttosozialprodukts und ist im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung von mehr als zehn Prozent. Schlagwörter | High-Tech, Auslandskapital, Konflikte, Nachforderungsmanagement, Innovationsmanagement, Knowhow-Transfer, Agiles Projektmanagement, Scrum Innovationen sind in China politisch prioritär und werden mit weitreichenden Maßnahmen landesweit umgesetzt. Chinas Ziele sind sehr ambitioniert: Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben sollen sich im Rahmen des 14. Fünfjahresprogramms der wirtschaftlichen Entwicklung (2021-2025) jährlich um mehr als sieben Prozent erhöhen und damit einen Prozentpunkt über den Vorgaben für die Wirtschaftsleistung von mehr als sechs Prozent. Allein für die Grundlagenforschung will das Land noch in diesem Jahr knapp elf Prozent mehr Geld bereitstellen. Für die künftige Entwicklung wurden verschiedene Schlüsselbereiche definiert, die gezielt gefördert werden: Künstliche Intelligenz der nächsten Generation, Quanteninformation, Hirnforschung, Halbleiterproduktion, Genforschung und Biotechnologie, klinische Medizin und Gesundheit. Ferner sollen auch mehr Labore zur Erforschung von Quanteninformation und künstlicher Intelligenz eingerichtet werden. Elektrofahrzeuge und der neue Mobilfunkstandard 5G haben ebenfalls Priorität. Die 5G-Durchdringung soll in den kommenden fünf Jahren auf 56 Prozent steigen. Zudem wird die Erforschung des Weltraums, der Tiefsee und der Polargebiete vorangetrieben. Die jüngsten Erfolge in der Luft- und Raumfahrt können sich sehen lassen: China landete im Mai dieses Jahres erstmals auf dem Mars. Bislang haben es nur die Vereinigten Staaten geschafft, ein Erkundungsfahrzeug auf dem Roten Planeten zum Einsatz zu bringen. Gleichzeitig wird seit einigen Monaten eine bemannte Raumstation aufgebaut. Die- Raumstation, die mindestens zehn Jahre lang in Betrieb sein soll, ist Teil einer ehrgeizigen Weltraum-Strategie Chinas, mit der die Volksrepublik zu den USA aufschließen will. High-Tech aus dem Ausland wird honoriert. Für innovative Auslandsunternehmen gibt es erhebliche Steuererleichterungen bzw. andere Investitionsanreize. Seit 2017 soll Spitzentechnologie aus dem Ausland nach China fließen, flankiert mit massiven Steuervergünstigungen. Als Steueranreiz für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten chinesischer Unternehmen können qualifizierte F&E- Ausgaben während eines Steuerjahres mit einem 50%igen Superabzug vom steuerbaren Einkommen der chinesischen Körperschaftsteuer abgezogen werden. Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Wie die Übersicht über die Forschungs- und Entwicklungszentren internationaler Unternehmen in China (seit dem Jahre 2019 bis heute) zeigt, sind mittlerweile alle Weltunternehmen mit Rang und Namen aktiv oder bauen deren F&E-Basis stark aus. Wissen | Chinas neue Herausforderungen im F&E-Projektmanagement 52 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 01/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0011 Positiver Domino-Effekt Intelligentes Auslandskapital garantiert der chinesischen Volkswirtschaft einen riesigen Wettbewerbsvorteil. Denn Chinas Innovationsmanagement setzt wie in anderen Wirtschaftsbereichen auf Know-how-Transfer und intelligentes Kapital aus dem Ausland. Die Strategie ist nachvollziehbar: Die mehr als 300.000 Beschäftigten in den ausländischen Forschungseinrichtungen sollen in der angewandten Forschung und im Forschungsmanagement einen Schneeballeffekt bewirken. Viele Forschungseinrichtungen in den Staatsbetrieben leiden unter Überbesetzung und ineffizientem Management. Ähnlich wie bei den 100-prozentigen Auslandsunternehmen kann von westlichen Lohn- und Anreizsystemen und anderen Vergütungsmodellen für Diensterfindungen profitiert werden. Steuerliche Vorteile für Innovationen und Zollerleichterungen sollen den Zuzug von Auslandsinvestitionen nachhaltig sichern. Für ausländisch investierte Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen greift die besondere Rolle des chinesischen Staates bei der Förderung von Innovationen. Seit 2010 stieg die Zahl der Forschungs- und Entwicklungszentren um 40 Prozent. Laut der offiziellen Quelle des Ministeriums für Wissenschaft und Technologie der VR China hat sich die Beschäftigtenzahl der Researcher von 595.000 im Jahre 2012 auf 716.000 im Jahre 2021 erhöht. Dementsprechend stiegen auch die Investitionen von 26 auf 45 Milliarden USD im gleichen Zeitraum. Auch die Anzahl der Patentanmeldungen ausländischer Forschungseinheiten erhöhten sich von 68.000 (2012) auf 241.000 im Jahre 2021. Shanghai kristallisiert sich immer stärker als Chinas Think- Tank heraus. Die Zahlen für die Jahre 2019 bis 2023 belegen eindeutig diesen Trend. Bemerkenswert ist: Die Hälfte aller privaten Forschungseinrichtungen wurde im Wirtschaftsraum Shanghai angesiedelt. Zwei weitere Forschungscluster entstanden in Nordchina rund um Peking sowie im südchinesischen Perlflussdelta, mit jeweils einem Viertel der chinesischen Forschungszentren. Mit intelligentem Auslandskapital an die F&E- Weltspitze Das Reich der Mitte setzt auf unternehmerische Investitionen aus dem Ausland. Durch die globale Werkbank müssen ausländische Unternehmen auch F&E-Fachabteilungen vor Ort installieren, um mit den lokalen Firmen konkurrieren zu können. Schätzungsweise jedes DAX-Unternehmen verfügt im F&E- Bereich einen Outpost in China. Der europäische Mittelstand durch sämtliche Branchen adaptiert seine Produkte vor Ort an die chinesischen Marktgegebenheiten. Von Produktanpassung bis Parallelentwicklung In der Zusammenarbeit mit China können Erfolge erzielt werden, obwohl sich der Markt, die Kultur und auch der Entwicklungsprozess von Europa unterscheiden. Soll in China für den chinesischen Markt kostengünstig produziert werden, ist es sinnvoll, dass die Produkte zum einen nicht „over engineered“ sind und andererseits Bauteile enthalten, die lokal günstig eingekauft werden können. Um solche Produktanpassungen zu realisieren, ist eine profunde lokale Marktexpertise notwendig. Und es müssen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen in China aufgebaut werden, die solche Modifikationen an einem bestehenden Produkt vornehmen können. In China wird erfahrungsgemäß schneller entwickelt. Die Risikobereitschaft, mit einem Prototyp in den Markt zu gehen, ist höher, während die Projekte in Europa je nach Vorgehensweise in der Regel von Beginn an sehr strukturiert durchgeplant werden und der Prototypen-Test im Feld erst am Ende der Entwicklung erfolgt. Durch eine Parallelentwicklung zusammen mit chinesischen Partnern kann von beiden Vorgehensweisen profitiert und am Ende ein marktgerechtes und erfolgreiches Produkt angeboten werden. Projektmanagement entscheidet über Erfolg In staatlichen Entwicklungseinrichtungen erstickt noch viel Innovation in verknöcherten Hierarchien des Staatsapparates. Zu wünschen wären flache Entscheidungsstrukturen mit hoher Transparenz. Oft ist es schwierig, ein spezielles Forschungsprojekt in eine bestehende Organisationsstruktur zu integrieren. Die Projektorganisation wird horizontal in die Linienorganisation eingebettet. Die Mitarbeiter bleiben disziplinarisch in der Linie, jedoch bekommt der Projektleiter für die Dauer des Projektes Zugriff auf die Ressourcen. Weisungs- und Entscheidungsbefugnisse liegen allein in seiner Hand. Im chinesischen Umfeld ist es gewöhnungsbedürftig, wenn ein Mitarbeiter neben der Projekttätigkeit weitere Tätigkeiten ausübt, gleichzeitig der Linienvorgesetze jedoch die Weisungs- und Entscheidungsbefugnis hat. Der Konflikt ist vorprogrammiert, da die Linienvorgesetzten meist andere Interessen als die Projektmitglieder haben. Intensive Kommunikation sowie ein gekonntes Konfliktmanagement sind erforderlich. Agiles Projektmanagement und Scrum Agiles Projektmanagement basiert auf Selbstabstimmung und Koordination anstatt auf starren Richtlinien, detaillierten Planungen und Dokumentationen. Das Projektteam muss zu Flexibilität und ständiger Anpassung bereit sein. Voraussetzung ist eine regelmäßige Absprache und Abstimmung im Team. Wissen | Chinas neue Herausforderungen im F&E-Projektmanagement 53 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 01/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0011 Scrum ist eine Form des agilen Projektmanagements mit besonderen Regeln und Rollen. Es setzt auf Transparenz der Projektfortschritte und die Beseitigung von Hindernissen im gesamten Projektteam inklusive Kunden. Die Ergebnisse werden in regelmäßigen Abschnitten kontrolliert. Hierbei werden nicht nur die Ergebnisse überprüft, sondern auch die Vorgehensweisen. Des Weiteren werden Zieldefinitionen, Pläne und Vorgehen nicht komplett festgelegt, sondern ständig angepasst und detailliert. Die sozialistische Plan- und Kommando-Wirtschaft ist die etablierte Organisationsform in China - mit rigider Planung von oben nach unten. Dies lässt - ähnlich wie in der fünf Jahrtausende währenden feudalistischen Monarchie - der Eigeninitiative keinen Freiraum. Hinzu kommt, dass die konfuzianische Doktrin meistens stark durch autoritäre Arbeitsstrukturen dominiert ist. Die beschriebenen Managementprozesse setzen bei den Projektmitgliedern jedoch ein hohes Maß an Eigenverantwortung, Selbstabstimmung und Entscheidungsfreudigkeit voraus. Eskalationsmanagement und Konfliktlösungspotenziale Als eine weitere Methode im Projektmanagement ist das Eskalationsverfahren eine festgelegte Vorgehensweise, die klar definiert, in welcher Form und mit welchen Vorarbeiten an welche nächsthöhere Stufe der Organisationshierarchie die Entscheidung weitergegeben wird. Konflikte im Projektmanagement gehören zum Tagesgeschäft, sie belasten und fordern. Bei unterschiedlichen Meinungen und Vorstellungen, die als Konflikt aufeinandertreffen können, hat professionelles Konfliktmanagement das Ziel, Konflikte erst gar nicht eskalieren zu lassen. Es muss Verständnis füreinander geweckt und gesichtswahrende Kompromisse müssen gefunden werden. Neben dem möglichen Gesichtsverlust spielen die Kollektivität und auch das Bedürfnis nach Harmonie eine große Rolle. Des Weiteren wird in China stark auf Hierarchien geachtet. Einen Ranghöheren zu kritisieren oder gar zu übergehen ist ein unverrückbares „No-Go“. Änderungs- und Nachforderungsmanagement Bei der Durchführung eines Projekts können immer auch Änderungswünsche auftreten. Diese können einerseits durch die Marktanforderungen, anderseits vom Auftraggeber selbst, beispielsweise dem Mutterkonzern, verursacht werden. All diese Änderungen müssen exakt erfasst, beschrieben, bewertet, genehmigt und dokumentiert werden. Hierfür ist das Änderungsmanagement zuständig. Dem professionellen Projektmanagement widerstrebt es, wenn Ziele bewusst schwammig ausgelegt werden, um viel Spielraum bei der späteren Auslegung zu haben. Außerdem wird der Projektfortschritt durch die fehlende Entscheidungsfähigkeit und Dr. Karl Waldkirch Dr. Karl Waldkirch ist CEO der ASC- Asia Success Company, Neustadt/ Shanghai/ Hongkong, und berät, coacht und gewinnt Personal im Asiengeschäft. eMail: karl.waldkirch@ascwaldkirch.de Internet: www.asc-seminar zentrum.de | www.asc-waldkirch.de langwierige Verhandlungen behindert. Bei Forschungsprojekten sind in der Termin- und Budgetplanung planerische Reserven für auftretende Änderungen unbedingt einzukalkulieren. Formal folgt auf die Änderungsgenehmigung das Nachforderungsmanagement, das eine Budgeterhöhung und Terminverschiebung bedingt. Zu den besonders Herausforderungen gehört, dass bei chinesischen Projekten zum eigentlichen Kick-off allzu oft noch keine genauen Zieldefinitionen und Leistungsbeschreibungen vorhanden sind. Das ist der dortigen Schnelligkeit und Flexibilität geschuldet. Präventiv ist es zudem unerlässlich, sich mit dem Knowhow-Abfluss konstruktiv auseinanderzusetzen. In China kommt es immer wieder zu Abwerbungen von Spitzenkräften durch Mitbewerber. Hier sollten ein geeignetes Bindungsprogramm mit Bonussystem und leistungsorientierter Entlohnung greifen. Auch das Thema Industriespionage ist zu beachten. Ausgeklügelte Sicherheitssysteme und eine rigide HR-Governance können dem mit wachsamen Augen entgegenwirken. Eingangsabbildung: © iStock.com/ Igor Kutyaev