PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2024-0013
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.KGSt-Vorstand Dr. Klaus Effing im Interview
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René Mittelstädt
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56 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 01/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0013 KGSt-Vorstand Dr. Klaus Effing im Interview Aus den DACH-Verbänden | GPM intern René Mittelstädt Sehr geehrter Herr Dr. Effing, vielen Dank, dass Sie die Zeit für dieses Interview gefunden haben. Sie sind der Vorstand der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt). Einige Leserinnen und Leser, die bisher noch nicht in Kontakt mit der KGSt gekommen sind, mögen sich vielleicht fragen, was die KGSt denn genau macht. Könnten Sie die maßgeblichen Aufgaben und Aktivitäten der KGSt kurz erläutern? Dr. Klaus Effing: Die KGSt ist ein kommunaler Verband, der vor fast 75 Jahren in Köln als Entwicklungszentrum des kommunalen Managements gegründet wurde. Mitglieder sind rund 2.500 Städte, Kreise und Gemeinden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, darunter alle kreisfreien Städte Deutschlands und 93 % der deutschen Landkreise. Daneben gehören der KGSt zahlreiche korrespondierenden Mitglieder an, wie z. B. kommunale Spitzen-Verbände, Behörden, kirchliche und gemeinnützige Einrichtungen sowie Stiftungen. Gemeinsam mit Praktikerinnen und Praktikern aus Kommunen erarbeiten die Expertinnen und Experten der KGSt Strategien und Lösungen für Kommunalverwaltungen im Finanz-, Organisations-, Personal- und Informationsmanagement. Zentrale Aufgabe der KGSt ist die Weiterentwicklung der Managementkompetenz ihrer Mitglieder und deren Beschäftigten. Wir helfen, das kommunale Management jeden Tag etwas effektiver und effizienter zu gestalten. Wir haben die Verwaltungsevolution im Blick! Kommunen sind ein maßgeblicher Akteur bei der Gestaltung konkreter Lebensumstände der Bürgerinnen und Bürger. Viele Dinge, die auf anderen Ebenen beschlossen werden, müssen letztendlich auf kommunaler Ebene umgesetzt werden. Nichtsdestotrotz werden in vielen politischen Debatten Kommunen und ihre Perspektiven neben der Bundes- und Landesebene vernachlässigt. Teilen Sie diese Einschätzung? Und falls ja, wie kann der Stimme von Kommunen in der politischen Debattenkultur mehr Gewicht verliehen werden? Auch wir als KGSt haben die Erfahrung gemacht, dass bei vielen Themen der Fokus vor allem auf Bundes- und Landesebene gerichtet ist und die Situation der Kommunen nicht ausreichend berücksichtigt wird. Verbesserungen können erreicht werden durch eine frühzeitige und umfassende Einbindung der Perspektiven und Bedürfnisse von Kommunen in Entscheidungsprozesse auf höherer politischer Ebene. Auch der regelmäßige Dialog und Austausch sollte gefördert werden. Eine Stärkung der Autonomie von Kommunen durch Neubewertung von Zuständigkeiten, Ressourcenverteilung und finanzieller Ausstattung würde für Kommunen mehr Handlungsspielraum bei der Umsetzung politischer Entscheidungen bedeuten. Zusätzlich sollte die Bedeutung der kommunalen Ebene stärker in der Öffentlichkeit kommuniziert werden, um das Bewusstsein für die Rolle der Kommunen als unmittelbare Gestalter des Lebens der Bürgerinnen und Bürger zu schärfen. Nun fand im September 2023 das KGS t-Forum als zentraler Kommunalkongress in Hamburg mit über 4 . 500 Präsenz-Teilnehmenden aus zahlreichen Kommunen statt. Auch die GPM hat sich als einer von vielen Partnern beteiligt. Das Motto des Forums lautete: „Willkommen in der Netzwerkkommune“. Während des Forums wurde oftmals betont, dass dies das zentrale kommunale Leitbild darstelle. Was genau können sich die Leserinnen und Leser unter der „Netzwerkkommune“ vorstellen? Der Begriff Netzwerkkommune beschreibt ein modernes, ganzheitliches Verständnis des kommunalen Handlungs- und Aufgabenbereichs. Angesichts tiefgreifender Transformationsprozesse, denen Verwaltungen entgegensehen, liegt der Netzwerkkommune ein systemisches Denken zugrunde. Das beinhaltet den Einbezug aller relevanten Akteure des „Ökosystems“ sowohl innerhalb der Verwaltung und kommunaler Betriebe als auch außerhalb beispielsweise mit Blick auf die jeweilige Stadtgesellschaft sowie Nachbarkommunen, Land und Bund. Die Kommune der Zukunft nutzt das Potenzial ihres gesamten Netzwerks. Eine Netzwerkkommune 1. handelt wirkungs- und ergebnisorientiert sowie strategiekonform. 2. entscheidet evidenzbasiert. 3. ist handlungs- und anpassungsfähig. 4. handelt flexibel in unterschiedlichen Rollen. 5. denkt und handelt kollaborativ. 6. setzt Methoden kompetent ein. 7. handelt potenzialorientiert. 8. arbeitet nutzendenzentriert. 9. richtet sich daten- und prozessorientiert aus. 10. handelt souverän und offen. Auf der einen Seite sind systemische Betrachtungen wichtig und helfen dabei komplexe Systeme verständlich und nachvollziehbar darzustellen. Auf der anderen Seite neigen diese Betrachtungen auch zur Oberflächlichkeit, insbesondere wenn es darum geht, Probleme und Potenziale zu identifizieren. Wo sehen Sie gegenwärtig die maßgeblichen Probleme der Kommunen? Würden Sie diese Probleme als eher systemisch bezeichnen? Gibt es maßgebliche Unterschiede zwischen großen und kleinen Kommunen? Die größten Herausforderungen der Kommunen liegen aus unserer Sicht sowohl für große und kleine Kommunen in folgenden Problemfeldern: Wissen | KGSt-Vorstand Dr. Klaus Effing im Interview 57 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 01/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0013 Finanzielle Herausforderungen: Viele Kommunen stehen vor finanziellen Belastungen, insbesondere im Kontext der Pandemie und steigender Ausgaben für soziale Dienstleistungen, Bildung und Infrastruktur. Es handelt sich um ein systemisches Problem. Demografischer Wandel: Der demografische Wandel berührt in unterschiedlicher Ausprägung nahezu sämtliche Fachbereiche einer Kommune. Deshalb erfordert seine Bewältigung ein übergreifendes, integratives und nachhaltiges Demografiemanagement. Notwendig ist sowohl die Entwicklung und Umsetzung fachlich-inhaltlicher Handlungsprogramme als auch ein managementfeldbezogenes Handeln. Dies geschieht aus den Perspektiven des Organisations-, Personal-, Informations- und Finanzmanagements. Es handelt sich ebenfalls um ein systemisches Problem. Digitalisierung: Digitalisierung ist in Deutschland noch immer ein schleppender Prozess. Die Digitalisierung des Status quo, also bestehender analoger Prozesse, verändert nicht zwangsläufig und vor allem nicht flächendeckend etwas und bleibt weit hinter den Möglichkeiten der Digitalisierung zurück. Es braucht mutige, konsequente und einschneidende Veränderungen. Ein weiteres systemisches Problem. Wir müssen in Deutschland auch darauf achten, dass wir im öffentlichen Bereich nicht nur Risiken und Gefahren der KI sehen, sondern insbesondere deren Chancen und Vorteile für die Gesellschaft und auch die Kommunalverwaltungen nutzbar machen. Umwelt und Nachhaltigkeit: Die Bewältigung von Umweltproblemen, der Klimawandel und die Förderung nachhaltiger Entwicklung sind wichtige Herausforderungen für Kommunen. Dies erfordert oft systemisches Denken, um langfristige Lösungen zu entwickeln. Innerhalb dieser Problembereiche gibt es durchaus auch unterschiedliche Herausforderungen für große und kleine Kommunen. Große Kommunen haben möglicherweise mit komplexeren Verwaltungsstrukturen und vielfältigeren Bedürfnissen zu kämpfen, während kleinere Kommunen möglicherweise begrenztere Ressourcen und weniger Handlungsspielraum haben. Seit Jahren wird deutlich, dass die klassische Linienorganisation, die maßgeblich durch Struktur und Hierarchie geprägt ist, nicht mehr allen Problemstellungen der Verwaltung gerecht werden kann. Immer mehr Kommunen setzen dabei auf eine zunehmende Projektorientierung in ihren Strukturen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung? Und welche Potenziale sehen Sie in einem professionellen Projektmanagement für die kommunale Verwaltung? Projektmanagement ist aus dem kommunalen Alltag nicht mehr wegzudenken. Generell wird mit der Einführung von Projektmanagement-- unabhängig davon, ob klassische oder agile Methoden verwendet werden-- die interne und externe Zusammenarbeit verbessert, da ein gemeinsames Vorgehen klar definiert wird. Ein einheitliches Verständnis von Projektarbeit entsteht, da die Regeln und Erwartungshaltungen transparent dargestellt werden. Sein volles Potenzial entfaltet Projektmanagement in Krisensituationen. Durch gefestigte Kommunikations- und Arbeitsstrukturen bei gleichzeitiger Flexibilität und kurzen Interaktionszyklen ermöglichen insbesondere die Methoden des agilen Projektmanagements eine verlässliche, kollaborative und zielgerichtete Zusammenarbeit. Das Agilitätskonzept sorgt für einen praxisnahen und effektiven Umgang mit Komplexität, weil es kürzere Zyklen als das klassische Projektmanagement verwendet und in diesen kurzen Zyklen fortlaufend reflektiert, ob sich die Rahmenbedingungen und Anforderungen in Bezug auf das Ziel geändert haben. Agiles Projektmanagement eignet sich daher besonders für Projekte, in denen die Lösung weitgehend unbekannt ist und völlig neu entwickelt werden muss. In zahlreichen Gesprächen und Veranstaltungen wurde auf dem KGS t-Forum deutlich, dass Kommunen im Bereich des Projektmanagements an sehr verschiedenen Stellen stehen. Einige beginnen erst, sich diesem Thema zu nähern, während andere schon dezidierte Projektstrukturen aufgebaut und ihr Personal entsprechend qualifiziert haben. Welchen Rat würden Sie Kommunen geben, welche auf organisationaler Ebene mit der Etablierung neuer Strukturen beginnen? Welche Tipps würden Sie insbesondere kleineren Kommunen geben? Für eine erfolgreiche Projektarbeit sind vor allem zwei Dinge notwendig: Verantwortungsübernahme und Rollenklarheit! Die wichtigste Voraussetzung ist, dass Führungskräfte die Organisation von übergreifenden Vorhaben mittels Projektmanagement überhaupt zulassen! Ebenso wichtig ist Rollenklarheit. Nur wenn Führungskräfte ihre Steuerungsverantwortung und ihre Rollen in Projekten kennen und ausfüllen, können sie den Projekterfolg maßgeblich unterstützen. Durch gefestigte Kommunikations- und Arbeitsstrukturen bei gleichzeitiger Flexibilität und kurzen Interaktionszyklen ermöglichen insbesondere die Methoden des agilen Projektmanagements eine verlässliche, kollaborative und zielgerichtete Zusammenarbeit. Zum Abschluss möchten wir auf die Zukunft blicken. Wo sehen Sie gemeinsame Anknüpfungspunkte für die KGSt und die GPM bei der Mission, die Kommunen in Deutschland bei der Bewältigung von Zukunftsaufgaben zu unterstützen? KGSt und GPM arbeiten bereits seit vielen Jahren erfolgreich zusammen, unter anderem im Innovationszirkel „Projektmanagement in Kommunen“. Gemeinsam geht es darum, die Situationen in den Kommunen zu reflektieren und Zukunftsthemen zu identifizieren. Die KGSt steuert relevante Arbeitsergebnisse und Erkenntnisse bei und gewinnt Anhaltspunkte für die Weiterentwicklung kommunaler Managementthemen. Vonseiten der GPM werden Hintergründe, Standards und aktuelle Entwicklungen im Projektmanagement sowie Ergebnisse relevanter gesellschaftspolitischer Diskussionen eingebracht. Es geht um die Förderung des interkommunalen Erfahrungsaustausches, um Vernetzung und den Blick „über den Tellerrand“ und die Weiterentwicklung von Methoden, Strategien und Qualifizierungen des kommunalen Projektmanagements. Vielen Dank für das Interview.