eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 35/2

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2024-0024
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2024
352 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

„Die Sturmfluten bleiben heute länger“

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2024
Oliver Steeger
Steffen Scheurer
Küstenschutz ist für Schleswig-Holstein essenziell. Mehrfach in seiner Geschichte haben Sturmfluten Not gebracht, Land geraubt und Ortschaften ausgelöscht. Heute verstehen Ingenieure den Küstenschutz hier als ein Zusammenspiel aus Deichen, Wattenmeer und vorgelagerten Inseln. Im Gespräch erklärt Projektleiter Jan Stolzenwald, wie dieses Zusammenspiel funktioniert, von welchem Standard man ausgeht – und weshalb der jüngeren Bevölkerung das Bewusstsein für Deichbau und Küstenschütz verlorengeht.
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10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0024 Projektleiter Jan Stolzenwald im Gespräch „Die Sturmfluten bleiben heute länger“ Oliver Steeger, Steffen Scheurer Küstenschutz ist für Schleswig-Holstein essenziell. Mehrfach in seiner Geschichte haben Sturmfluten Not gebracht, Land geraubt und Ortschaften ausgelöscht. Heute verstehen Ingenieure den Küstenschutz hier als ein Zusammenspiel aus Deichen, Wattenmeer und vorgelagerten Inseln. Im Gespräch erklärt Projektleiter Jan Stolzenwald, wie dieses Zusammenspiel funktioniert, von welchem Standard man ausgeht-- und weshalb der jüngeren Bevölkerung das Bewusstsein für Deichbau und Küstenschütz verlorengeht. Herr Stolzenwald, Sie arbeiten an einem Deich nahe dem größten deutschen Küstenschutz-Bauwerk-- dem Eidersperrwerk. Wie steht Ihr Deichprojekt in Verbindung mit dem Eider-Sperrwerk? Jan Stolzenwald: Die Eider, die hier am Sperrwerk ins Meer mündet, ist der größte Fluss Schleswig-Holstein. Er entwässert weite Teile des Hinterlands. Wir haben hier einen Mündungstrichter von fünf Kilometern Breite. Über viele Jahrhunderte wurde bei Sturmfluten Meerwasser in die Eider hineingedrückt. Zuletzt bei der großen Sturmflut 1962: Die Eider ist im Hinterland über die Deiche und Dämme getreten und hat das Land zerstört. Nach dieser Sturmflut sah man zwei Möglichkeiten. Entweder, man verstärkt 70 Kilometer Deich entlang der Eider- - oder man schließt den Mündungstrichter mit einem fünf Kilometer langen Deich und baut ein riesiges Sperrwerk in die Mitte, das bei Sturmfluten geschlossen wird und das eindringende Meerwasser zurückhält. Man hat sich damals für das Sperrwerk als Schutz entschieden-… Richtig. Aber Küstenschutz ist immer ein Zusammenspiel von vielen Maßnahmen, nicht nur von einem Sperrwerk. Das Wattenmeer, vorgelagerte Inseln, die Halligen, die Deiche- - dies alles und mehr trägt zu einem heute gutem und hohen Schutzniveau bei. Sie haben am Sperrwerk einen Tidenhub von etwa zwei Metern. An anderen Küsten Europas schwankt die Wasserhöhe zwischen Ebbe und Flut noch mehr, teils bis zehn Meter. Ich war unlängst in Großbritannien. Da sind fünf bis acht Meter Tidenhub normal. Doch man sollte die Wirkung des Tidenhubs hier am Sperrwerk nicht unterschätzen. Gerade bei auflaufendem Wasser kann man die starken Strömungen beobachten. Da ist Musik drin! Wo liegt derzeit die Herausforderung beim Küstenschutz? Die Sturmfluten bleiben heute länger als früher. In einem der letzten Jahre hatte wir drei oder vier Tage lang Höchststände. Das heißt, in dieser Zeit war auch das Sturmflut-Niedrigwasser noch über dem normalen Hochwasserstand. Augenblick-- während dieser Sturmflut war über mehrere Tage die Ebbe noch so hoch wie die übliche Flut? Genau! Und dies machte es schwierig, das Hinterland zu entwässern. Auf der einen Seite des Deiches die Höchststände, auf der anderen Seite das Wasser, das zum Meer drängt. Bei so langen Sturmfluten nimmt das Wasser die Deiche von beiden Seiten her in die Zange? Ja. Das ist eine unserer Herausforderungen für die Zukunft. Wir sollten dabei bedenken, dass Küstenschutz sich nicht auf Deiche und Sperrwerke konzentriert. Er findet auch vor und Reportage | Die Sturmfluten bleiben heute länger hinter dem Deich statt. Sogar ich habe anfangs unterschätzt, wie breit gefächert der Küstenschutz ist. An der Nordseeküste kam es immer wieder zu verheerenden Flutkatastrophen. Beispielsweise die grote Mandränke von 1362 raubte Schleswig- Holstein weite Landstriche. Die Stadt Rungholt ging buchstäblich im Meer unter. Husum-- heute an der Küste-- lag damals im Landesinnern. 21 Deiche sollen damals gebrochen sein. Eine ähnliche Katastrophe ereignet sich 1634, die Burchardiflut. Für welche Jahrhundert-Ereignisse dieser Art sind unsere Deiche heute ausgelegt? Wir konzipieren den Deichbau mit der Annahme, dass der Küstenschutz einem zweihundertjährigen Hochwasser standhält. Wir sind also gewappnet für ein Hochwasser, zu dem es statistisch gesehen nur einmal in 200 Jahre kommt. Das ist Statistik-… Natürlich! Wir müssen ja eine Annahme für unseren Schutzstandard treffen und Abwägungen machen. In den Niederlanden liegt der Schutzstandard sogar noch höher. Dort bereitet man sich für Ereignisse vor, die statistisch nur alle eintausend Jahre vorkommen. Hinter den noderländischen Deichen liegen Metropolen wie Amsterdam oder Den Haag. Dort lebt der Hauptteil der Bevölkerung. „Wer nicht deichen will, muss weichen“-- dies ist seit jeher ein mahnender Spruch an der Nordseeküste. Seit der Strumflut von 1962 ist es aber relativ ruhig geblieben. Ist das Thema Deichschutz im Bewusstsein der Bevölkerung noch präsent? Gerät der Spruch in Vergessenheit? Präsent ist der Deichschutz mit Sicherheit bei den Menschen, die 1962 miterlebt haben. Bei den Generationen danach-- ich denke, dass manche Jüngeren die Wichtigkeit des Küstenschutzes nicht erkennen. Einige akzeptieren auch nicht mehr die Wichtigkeit der Deichbauprojekte. Bei meinem Projekt am Eiderdamm sind keine Siedlungen betroffen. Niemand wohnt hier am Deich. Doch wir haben auch Projekte mitten in Gemeinden. Diese Projekte können für zwei oder drei Jahre Lärm und Dreck mit sich bringen. Die ältere Generation sieht die Notwendigkeit ein und findet sich mit den Baustellen ab. Sie haben teils selbst gesehen oder wissen es von ihren Eltern, was es bedeutet, wenn Haus und Hof bei einer Sturmflut unter Wasser stehen. Wir kämpfen aber mit Widerständen von denen, die dies nicht erlebt haben. Zyniker sagen, man bräuchte mal wieder eine massive Sturmflut, um den Küstenschutz zurück ins kollektive Gedächtnis zu rufen-… Dies mag sein. Wir haben hier zum Glück ein hohes Schutzniveau, und wir hatten seit Langem keine außergewöhnliche hohe Sturmflut mehr. Aber trotzdem wäre es hilfreich, wenn Menschen hier mehr einsehen, dass wir für ihre Sicherheit die Deiche verstärken. Eingangsabbildung: Baustelle auf dem Deich am Eidersperrwerk. Foto: Oliver Steeger Die medienübergreifende Publikation Transforming Cities berichtet über Städte im Wandel, über die weltweite Urbanisierung und ihre Auswirkungen. Anspruch ist die ganzheitliche Analyse und Aufbereitung von Kernfaktoren zur aktiven Gestaltung der Stadt von morgen. www.transforming-cities.de Das sind unsere Themen 2024: 1 Kommunale Wärmewende 2 Offene und sichere Städte 3 Prinzip Schwammstadt 4 Transformation urbaner Mobilität Call for Papers 2024 Wir freuen uns über Ihre Beitragsvorschläge. Anzeige