eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 35/2

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2024-0032
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2024
352 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Gefragt: Projektmanager für technische Produkte

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2024
Hans-Henrich Altfeld
Es wird die persönliche Einschätzung des Autors beschrieben, nach der eine Projektmanagement-Grundausbildung bei weitem nicht ausreicht, um Projekte als Teil von Programmen zu managen, die Nutzen durch die Realisierung technischer Produkte generieren. Der hier präsentierte Vorschlag untersucht, in welche Richtungen die Aus- oder Weiterbildung für Projektmanager für technische Produkte erweitert werden sollte, und wie er umgesetzt werden könnte.
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Wissen | Gefragt: Projektmanager für technische Produkte 52 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0032 Was wir von der Entstehung der Dampfmaschine lernen können Gefragt: Projektmanager für technische Produkte Hans-Henrich Altfeld Für eilige Leser | Es wird die persönliche Einschätzung des Autors beschrieben, nach der eine Projektmanagement- Grundausbildung bei weitem nicht ausreicht, um Projekte als Teil von Programmen zu managen, die Nutzen durch die Realisierung technischer Produkte generieren. Der hier präsentierte Vorschlag untersucht, in welche Richtungen die Aus- oder Weiterbildung für Projektmanager für technische Produkte erweitert werden sollte, und wie er umgesetzt werden könnte. Schlagwörter | Realisierung technischer Produkte, Projektmanager, Aus- oder Weiterbildung James Watt und Matthew Boulton Zunächst möge ein historisches Beispiel das Anliegen dieses Artikels einleiten. Der ‚Erfinder‘ der Dampfmaschine, James Watt, hatte ein bestehendes Dampfmaschinenkonzept durch eine technische Weiterentwicklung, die er sich 1769 patentieren ließ, so weit verbessert, dass ihr Kohleverbrauch um 60 % gesenkt werden konnte. Unermüdlich tüftelte er an Verbesserungen und wollte die Maschine immer weiter perfektionieren, wobei er allerdings (fast) alles andere vernachlässigte und Schulden über Schulden anhäufte. Wenn es dabei geblieben wäre, dann wäre seine Dampfmaschine nur als eine gute Idee unter vielen in die Geschichte der Technik eingegangen und Watt hätte sich finanziell komplett ruiniert. Aber es blieb nicht dabei. 1766 lernte Watt den Unternehmer Matthew Boulton kennen, dessen Firma Metallprodukte herstellte. Boulton hatte zwar nie studiert, sich aber immerhin ein einfaches Grundwissen der Ingenieurkunst durch ‚Learning-by-doing‘ angeeignet. Boulton erkannte viel klarer als Watt die enormen Möglichkeiten der Dampfmaschine. Und er besaß das Industrialisierungswissen, sowie beeindruckende Marketing- und Netzwerkfähigkeiten, um der Dampfmaschine zum kommerziellen Erfolg zu verhelfen. Also investierte er in Watts Manufaktur, indem er zwei Drittel der Anteile am Watts-Patent kaufte und somit Watt in die Lage versetzte, seine Schulden zu begleichen. 1775 wurden Watt und Boulton auch formell Geschäftspartner. Wie ein Terrier drängte Boulton Watt zu ständigen Verbesserungen, die aber nicht der technischen Perfektionierung der Maschine, sondern ihrer Anpassung an die Bedürfnisse des Marktes dienten. Vor allem drängte Boulton Watt dazu, die Dampfmaschine so zu verändern, dass sie sich auch für den Einsatz in Mühlen und Fabriken eignete-- einem viel größeren Markt als nur dem der Minen in Cornwall, wofür die Maschinen bis dato eingesetzt wurden. Das Ende der Geschichte ist bekannt. Erst die Watt-Boulton-Dampfmaschine ermöglichte die industrielle Revolution in Großbritannien ab Ende des 18. Jahrhunderts. [I] Projekt-Unterstützung für Ingenieure Während seiner langjährigen Programm- und Projektmanagement-Berufspraxis im Umfeld von technischen Produktentwicklungen musste der Autor immer wieder an die Geschichte Wissen | Gefragt: Projektmanager für technische Produkte 53 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0032 von Watt und Boulton denken. Warum? Weil er viele ‚James Watt‘ Ingenieure kennengelernt hat und beobachten konnte, wie das Arbeiten in Projekten eine große Herausforderung für sie darstellte. Aber es ist nun einmal so, dass technische Produkte heutzutage vielfach durch Programme und Projekte realisiert werden [II], oft mit multi-funktionalen Teams. Dem können sich auch Ingenieure vom Typ ‚James Watt‘ nicht entziehen. Zudem werden immer wieder ‚James Watt‘ Ingenieure, die technisch Hervorragendes geleistet haben, zu Projektleitern befördert, bis man aufgrund schlechter Projektergebnisse erkennt, dass sie dafür weniger gut geeignet sind. Die Frage ist also, wie Ingenieure generell, aber insbesondere die vom Typ ‚James Watt‘, in ihrer Programm- oder Projekt-Arbeit so unterstützt werden können, dass das Produkt nicht nur technisch, sondern auch kommerziell ein Erfolg wird. Im Folgenden wird dieser Frage nachgegangen. Produkt versus Programm Dazu seien vorab einige Definitionen gegeben, was in diesem Artikel mit Produkten, Programmen und Projekten gemeint ist: • Als technisches (End-)Produkt sei hier ein Zusammenbau von technischen Systemen und Strukturen verstanden, welches mit der Absicht realisiert wird, Funktionalitäten für einen Nutzer bereitzustellen (Beispiele: Auto, Flugzeug, Schiff, Kraftwerk, Bürogebäude usw.). • Ein Programm sei hier als eine Gruppe technisch und betriebswirtschaftlich miteinander verbundener Projekte verstanden, welches das Ziel hat, durch die Realisierung eines technischen (End-)Produkts Nutzen für externe Kunden, aber auch für das eigene Unternehmen, zu generieren, und das möglicherweise entlang seines gesamten Lebenszyklus. Während ein Programm also das (End-)Produkt als Ganzes im Blick hat, haben Projekte dessen technische Systeme, Strukturen und Komponenten zum Inhalt. [III] • Hat ein Unternehmen nicht nur ein Programm, sondern mehrere oder viele Programme in seinem Portfolio, so ergeben sich auf der Ebene des Portfolios zusätzliche Management-Herausforderungen, die sich vom Programm- und Projektmanagement unterscheiden. Abbildung 1: Themen und ausgewählte Unter-Themen der Fokusgruppe ΄Produkte΄ Sämtliche in der Abbildung enthaltene Informationen basieren ausschließlich auf der persönlichen Erfahrung und Einschätzung des Autors. Wissen | Gefragt: Projektmanager für technische Produkte 54 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0032 Erforderliche Projektmanager-Kompetenzen Wenn also technische Produkte vielfach durch Programme realisiert werden, dann werden Leiter für solche Programme und Manager für ihre Projekte gebraucht, die entweder direkt als solche ausgebildet oder von anderen Berufsgruppen her rekrutiert und dann weitergebildet werden müssen. Ausgehend von der persönlichen Erfahrung des Autors seien hier vier Berufsgruppen betrachtet. Drei dieser Berufsgruppen betreffen Ingenieure, die naturgemäß bei technischen Produkten eine zentrale Rolle spielen. Egal, ob am Anfang eine technische Innovation steht, für die dann ein Markt entwickelt werden kann, oder ob der Markt zu einer technischen Neuerung drängt: Es ist die Ingenieurkunst, nicht das Unternehmertum oder das Projektmanagement, welche den notwendigen, wenn auch nicht hinreichenden Beitrag im Kontext der oben definierten Projekte und Programme leistet. Der Leser möge bedenken, dass die Einteilung in vier Berufsgruppen naturgemäß sehr pauschal ist und hier nur als Modell fungiert, um das Thema dieses Artikels zu strukturieren: 1. In der ersten Berufsgruppe finden sich die ‚James Watt‘- Ingenieure, die innovativen Tüftler und Perfektionisten, die sich aber schwertun, innerhalb definierter Strukturen und Prozesse zu arbeiten und wenig Interesse an methodischen und betriebswirtschaftlichen Aspekten zeigen. 2. Zu der zweiten Berufsgruppe zählen die ‚Matthew Boulton‘- Ingenieure, die ein gewisses, aber kein tiefes Verständnis des Ingenieurwesens entwickelt haben, und eher geneigt sind, sich den finanziellen, kommerziellen und möglicherweise unternehmerischen Aspekten technischer Produkte zu widmen. 3. In der dritten Berufsgruppe finden sich Ingenieure, die zwischen den Berufsgruppen (1) und (2) anzusiedeln sind, d. h. Ingenieure, die aufgrund einer soliden Ingenieursausbildung hervorragende Arbeit leisten, wenn auch nicht so extrem fokussiert wie in der Berufsgruppe (1). Diese Ingenieure haben aber durchaus auch eine ‚Antenne‘ für die finanziellen und kommerziellen Aspekte, die sie aber mangels Wissen oder Erfahrung in der Praxis oft nicht anwenden. Auch zeigt dieser Typus Ingenieur deutlich weniger Risikobereitschaft als die Ingenieure in der Berufsgruppe (2). 4. In der vierten Berufsgruppe befinden sich Personen ohne Ingenieurkenntnisse, die aber eine solide Ausbildung in den Grundlagen des Projektmanagement erfahren haben (z. B. PMI®-Mindeststandard). Diese Personen haben das Projektmanagement im Hinblick auf eine generische Anwendung erlernt, also keinesfalls nur für Projekte, die technische Produkte zum Inhalt haben. Es sollte bereits ersichtlich geworden sein, dass Berufsgruppe (1) nicht ohne weiteres für Rekrutierungen für die Leitung bzw. das Management von Programmen und Projekten geeignet ist. Um dennoch sicherzustellen, dass Ingenieure dieser Berufsgruppe kreativ arbeiten können, werden sie am besten weitestgehend von administrativen, methodischen und prozessualen Tätigkeiten entbunden. Stattdessen integriert man sie in ein Team mit einem Projektmanager. Damit aber die beiden Rollen, also Ingenieure der Berufsgruppe (1) und Projektmanager, nicht nebeneinander, sondern miteinander und integriert agieren, muss der Projektmanager sehr häufig mit ihnen kommunizieren, muss sie antreiben, und muss Vorschläge zur Verbesserung der Kundenzufriedenheit machen können- - in etwa so, wie Matthew Boultan das mit James Watt getan hat. Abbildung 2: Themen und ausgewählte Unter-Themen der Fokusgruppe ΄Programme΄ Sämtliche in der Abbildung enthaltene Informationen basieren ausschließlich auf der persönlichen Erfahrung und Einschätzung des Autors. Es gilt die gleiche Farbkodierung wie für Abbildung 1. Wissen | Gefragt: Projektmanager für technische Produkte 55 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0032 Darüber hinaus muss der Projektmanager ein sehr solides Ingenieurgrundwissen mitbringen, nicht nur um die technischen Inhalte, die von den Ingenieuren generiert werden, verstehen und beurteilen zu können, sondern auch, um sich den nötigen Respekt zu verschaffen und um sie qualifiziert befragen und prüfen zu können, z. B. wenn es um Kosten geht. Da eine Person der Berufsgruppe (4) im Allgemeinen nicht über ein sehr solides Grundwissen des Ingenieurwesens einschließlich der damit verbundenen methodischen und prozessualen Ansätze (wie z. B. Systems Engineering) verfügt, um auf dieser Basis Einfluss auf Ingenieure der Berufsgruppe (1) nehmen zu können, ist diese Person für den hier gesuchten Typus Projektmanager nicht geeignet, insbesondere wenn es auch an den notwendigen Soft Skills fehlt. Mit anderen Worten: eine übliche Projektmanagement-Grundausbildung reicht bei weitem nicht aus und muss für diese Aufgabe erheblich ergänzt werden. Berufsgruppe (2) eignet sich im Prinzip schon besser für die Rekrutierung von Projektmanagern. Allerdings sind Ingenieure dieser Gruppe eher an strategischen Fragen interessiert. Zwar zeigen sie ausgeprägte Marketing- und Netzwerkfähigkeiten, die ebenfalls für eine Projektarbeit erforderlich sind, aber das Ingenieurverständnis reicht für das Kleinklein der täglichen Projektarbeit häufig nicht aus. Und auch hier trifft man auf Personen, die Schwierigkeiten haben, innerhalb von Strukturen und mit Prozessen zu arbeiten, wie sie nun einmal für die Projektarbeit notwendig sind. Ingenieure der Berufsgruppe (2) kämen aber für die Rekrutierung als Programm- oder Portfolioleiter infrage. Gegebenenfalls ist hier eine Ausbildung zum Wirtschaftsingenieur sinnvoll. Ingenieure der Berufsgruppe (3) bringen das notwendige Ingenieurverständnis mit, um für eine Rekrutierung als Projektmanager infrage zu kommen. Aber sie brauchen Unterstützung in Form von Weiterbildung in einer ganzen Reihe von Themen (siehe weiter unten), bevor sie diese Rolle übernehmen können. Auch ein Coaching mag hier notwendig sein, denn neben dem fehlenden Fachwissen gibt es häufig Ängste um das Agieren in unbekanntem Terrain (Projektmanagement! Risikobereitschaft! ), die abgebaut werden müssen. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass Projektmanager im Umfeld von produktspezifischen Projekten eine Aus- oder Weiterbildung in folgenden Themenbereichen erfahren haben sollten: a. ein solides Grundverständnis des Ingenieurwesens (z. B. entsprechend eines BSc in einer der Ingenieurwissenschaften); b. Methoden und Prozesse für das ganzheitliche Management entlang des Produkt-Lebenszyklus; c. vertieftes Projektmanagement auf der Basis eines betriebswirtschaftlichen Denkens, welches auch Aspekte des Managements von Programmen und Portfolios abdeckt; d. Veränderungsmanagement; e. die Ausgestaltung einer den Projekten förderlichen Kommunikation, Arbeitsweise, Führungsmethodik und Organisation; f. verschiedene Soft Skills, insbesondere Führungsfähigkeit und Kundenorientierung. Mit Ausnahme von (a) seien diese Themenbereiche im Folgenden detailliert beschrieben. Erweiterung der Ausbildung zum Projektmanager Auf der Basis eines adäquaten Ingenieurverständnisses sind Kenntnisse und Fähigkeiten eines Projektmanagers im Kon- Abbildung 3: Themen und ausgewählte Unter-Themen der Fokusgruppe ΄People΄ Sämtliche in der Abbildung enthaltene Informationen basieren ausschließlich auf der persönlichen Erfahrung und Einschätzung des Autors. Es gilt die gleiche Farbkodierung wie für Abbildung 1. Wissen | Gefragt: Projektmanager für technische Produkte 56 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0032 text von produktspezifischen Projekten in einer ganzen Reihe von Themen notwendig, die man zu den Fokusgruppen ‚Produkte‘, ‚Programme‘, ‚People‘ und ‚Policies‘ zusammenfassen kann, den 4P-Fokusgruppen. [IV] Diese werden in den Abb. 1-4 aufgeführt und durch Auswahl typischer Unter-Themen etwas detaillierter beschrieben. Da Produkte und Projekte bestimmten Hierarchien unterliegen, wird in den Abbildungen ebenfalls aufgeführt, ob ein Thema auf eine spezifische Hierarchieebene beschränkt ist (‚spezifisch‘), oder typischerweise auf einer Hierarchieebene angesiedelt ist, aber von dort auch auf mindestens eine der anderen Hierarchieebenen ausstrahlt (‚transversal‘). Ein transversales Thema auf der (End-)Produkt oder Programm-/ Portfolio-Ebene wäre damit auch für Projektmanager relevant. Aber auch Produkt- oder Portfolio-spezifische Themen können für Projektmanager von Bedeutung sein, wenn sie von Projekten Zuarbeit einfordern. Zu den Abb. 1-4 kommen noch die Details des von W. Edwards Deming eingeführten Plan-Do-Check-Act (PDCA) Konzepts hinzu, welches sich als so fundamental erwiesen hat, dass es auf alle möglichen Prozesse und Themen, insbesondere auch auf die Themen in den Abb. 1-4, angewendet werden kann. [V] Zum Beispiel basiert der im Projektmanagement sehr bekannte Planung-Durchführung-Steuerung-Prozess auf dem PDCA-Konzept. [VI] Während im Planungsvorgangs eines Projektes ganz allgemein Referenzlinien gebildet und eingefroren werden, wird im ‚Check‘ deren Einhaltung überwacht und, falls es zu Abweichungen kommt, im ‚Act‘ gegengesteuert. Typischerweise werden dazu Aktionen gestartet und verfolgt (‚Action Management‘) oder, falls das nicht ausreicht, wird die betreffende Referenzlinie in einem kontrollierten Verfahren geändert, was dann als ‚Änderungsmanagement‘ bekannt ist. ‚Action Management‘ und ‚Änderungsmanagement‘ müssen daher als inhärent zu allen Themen in den Abbildungen 1-4 mitgedacht werden. Eine Aus- oder Weiterbildung zum Projektmanager muss also nicht nur die Themen selbst abbilden, sondern auch ihr PDCA-Management. In den Abb. 1-4 wird mittels eines Farbcodes auch eine persönliche Einschätzung des Autors darüber abgegeben, inwieweit mindestens eine der gängigen Projektmanagement-Zertifizierungen, also PMI®, IPMA® oder Prince2®, ein als notwendig erachtetes Thema bereits abdeckt. [VII] Wer allerdings an einer Hochschule Projektmanagement belegt hat, der wurde nicht notwendigerweise in allen Bereichen ausgebildet, die die Projektmanagement-Zertifizierungen umfassen, sondern möglicherweise nur in den Grundlagen entsprechend der Definition der Berufsgruppe (4). Da hier die Rede ist von produktspezifischen Projekten, stehen zunächst einmal Themen der Fokusgruppe ‚Produkte‘ zur Diskussion, und zwar Themen entlang des Lebenszyklus eines Produkts. Nach Einschätzung des Autors gehören dazu die Themen in Abbildung 1. Für die Qualifizierung als Projektmanager werden des Weiteren vom Autor Themen der Fokusgruppe ‚Programme‘ als notwendig erachtet, die in Abbildung 2 dargestellt sind. Die Themen der Fokusgruppe ‚People‘ konzentrieren sich auf die an einem Programm und Projekt beteiligten Menschen und sind typischerweise auf der Ebene eines Portfolios angesiedelt, von wo aus sie auf die gesamte Produkt- und Programm-Hierarchie ausstrahlen. Nach der Erfahrung des Autors sind das Themen, wie sie in Abbildung 3 aufgeführt sind. Hinter dem Thema ‚Kompetenzmanagement‘ verbergen sich Aus- und Weiterbildung zu allen in diesem Artikel genannten Themen, aber zusätzlich auch zu Soft Skills wie z. B. Personal- Abbildung 4: Themen und ausgewählte Unter-Themen der Fokusgruppe ΄Policies΄ Sämtliche in der abbildung enthaltene Informationen basieren ausschließlich auf der persönlichen Erfahrung und Einschätzung des Autors. Es gilt die gleiche Farbkodierung wie für Abbildung 1. Wissen | Gefragt: Projektmanager für technische Produkte 57 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0032 führung, Verhandlungstaktik, Konfliktmanagement, Ethik und Compliance, Multikulturelles Management, Diversität, Zeitmanagement, Präsentationsfähigkeit usw. Schließlich sind auch einige Themen für Projektmanager relevant, die sich der Fokus-Gruppe ‚Policies‘ zuordnen lassen. Diese Themen sind in Abbildung 4 aufgeführt; auch sie sind typischerweise auf der Ebene eines Portfolios angesiedelt. Ein Vorschlag zur Umsetzung Wie bisher gezeigt wurde, reicht eine Grundausbildung in Projektmanagement nicht aus, um Manager für Projekte im Kontext von Produkt-Lebenszyklen heranzubilden. Es ist daher zu fragen, was getan werden kann, um die Ausbildung von Ingenieuren zu Projektmanagern zu verbessern und zu fördern. Egal, wie die Details eines Verbesserungsvorschlags aussehen könnten, es wird klar, dass nur ein integrierender Ansatz infrage kommt, um alle Themen für die 4P Fokus-Gruppen abzudecken. Dabei müssen nicht exakt die in den Abb. 1-4 angegebenen Themen und Unter-Themen in eine integrierte Aus- oder Weiterbildungsform eingebracht werden, sondern können im Verlauf eines integrierenden Diskussions- Prozesses verändert und / oder präzisiert werden. Die hier gemachten Themen-Vorschläge sollen lediglich einen ersten Denkanstoß geben und beruhen auf der persönlichen Erfahrung des Autors, die selbstverständlich eine noch zu objektivierende Sichtweise darstellt. Eine offensichtliche Möglichkeit für einen Verbesserungsvorschlag wäre eine spezifisch auf die Bedürfnisse der Projektmanager vom hier beschriebenen Typus abgestimmte Zertifizierung, die gemeinsam und integriert von verschiedenen Zertifizierungs-Organisationen erarbeitet wird. Das könnte zum Bespiel in enger Zusammenarbeit von IPMA mit der Gesellschaft für Systems Engineering (GfSE) erfolgen. Da es sich aber um vier Fokus-Gruppen handelt, müssen mehrere solcher Zertifizierungs-Organisationen an einen Tisch kommen. Sie müssen bereit sein, sich ein Stück weit vom Geist und Inhalt ihren genuinen Zertifizierungen, die ja parallel erhalten bleiben sollten, zu entfernen, um zu einer integrierten Lösung zu kommen. Das ist naturgemäß eine große Herausforderung. Eine weitere Möglichkeit wäre die Einrichtung eines Master-Studiengangs ‚Projektmanager für Technische Produkte‘ an Universitäten oder Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Idealerweise wären dies Hochschulen, an denen bereits Technik und Betriebswirtschaft gelehrt wird, da dort viele der in den Abbildungen 1-4 angegebenen Themen und Unter-Themen bereits als Kurse angeboten werden- - wenn auch meist nicht in integrierter Form. Im Prinzip existiert ja schon der Berufsstand der ‚Projektingenieure‘, welcher die Erwartungen des Autors an die Qualifizierung von Projektmanagern des hier beschriebenen Typs zu einem nicht unwesentlichen Teil abbildet. Da aber die Herstellung und die wettbewerbsfähige Vermarktung von technischen Produkten so wichtig sind für die wirtschaftliche Erfolgsbilanz eines Landes [VIII], verwundert es schon sehr, dass es anscheinend nur eine Hochschule in Deutschland gibt, die einen Master-Studiengang zum Projektingenieur anbietet. [IX] Darüber hinaus wird vom Verein Deutscher Ingenieure ein Zertifikatslehrgang ‚Projektingenieur‘ angeboten, dessen Inhalt aber nicht an die hier beschriebenen Anforderungen heranreicht, vgl. [6]. Zusammenfassung Die heute gängigen Lehrgänge und Zertifizierungen im Bereich Projektmanagement reichen nach Ansicht des Autors nicht aus, um hinreichend kompetente Manager heranzubilden, die im Rahmen von Programmen Projekte leiten sollen, deren Ziel es ist, Nutzen durch die Realisierung technischer Produkte zu generieren. Dazu sind bestehende Lehrgänge und Zertifizierungen zu breit aufgestellt, denn sie haben natürlicherweise den Anspruch, alle Arten von Projekten abdecken. Stattdessen fehlen Themengebiete, deren Verständnis für Projektmanager des hier beschriebenen Typus unabdingbar sind, um erfolgreich technische Projekte zu leiten. Eine erste Liste der Themen mit einer Einschätzung des Autors, inwieweit diese durch bestehende Projektmanagement-Zertifizierungen abgedeckt werden, ist in diesem Beitrag aufgeführt. Selbstverständlich wäre die Liste zu präzisieren und ist hier nur als erster Vorschlag zu verstehen. Um also die Ausbildung von Projektmanagern des hier beschriebenen Typus zu verbessern, könnten integrierte Zertifizierungen oder auch deutlich mehr Master-Studiengänge als bisher geschaffen werden. In jedem Fall muss aber zunächst eine solide Ingenieurausbildung erfolgen. Die ‚Projektingenieur‘-Grundidee, dass nämlich die unbedingt notwendige Ingenieurausbildung mit einer Weiterbildung verknüpft wird, bleibt bestehen. Das ist allein schon deshalb wichtig, weil Studenten noch nicht wissen können, in welche Richtung sich ihr beruflicher Werdegang eines Tages entwickeln wird. Es steht jedenfalls zu erwarten, dass die Industrie gegenüber dem Vorhaben einer verbesserten und auf technische Programme zielenden Projektmanager-Ausbildung sehr positiv eingestellt wäre, denn die Vorteile liegen auf der Hand. Auch James Watt und Matthew Boulton hätten wahrscheinlich ihre Freude daran. Literatur [1] h t t p s : / / d e . w i k i p e d i a . o r g / w i k i / J a m e s _ Wa t t ; Stand 15. 11. 2023 [2] https: / / intriguing-history.com / matthew-boulton/ ; Stand 15. 11. 2023 [3] GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.: Projektifizierung 2.0, Zweite Makroökonomische Vermessung der Projekttätigkeit in Deutschland, UVK Verlag, München 2023 [4] https: / / bdi.eu / der-bdi / ueber-uns; Stand 15. 11. 2023 [5] https: / / studieren.de / studiengangsliste.t-0.group-I.s-37. html; Stand 15. 11. 2023 [6] https: / / www.vdi-wissensforum.de / lehrgaenge / projektingenieur-vdi/ ; Stand 15. 11. 2023 Wissen | Gefragt: Projektmanager für technische Produkte 58 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0032 Endnoten [I] Für diese Zusammenfassung der Watt / Boulton-Geschichte vgl. [1] und [2]. [II] Für Hinweise dazu vgl. [3]. [III] Ein Projekt kann hier klassisch definiert werden als eine Ansammlung von Aktivitäten, die innerhalb eines Zeit- und Kostenrahmens abgearbeitet werden müssen, um vorab definierte technische Lösungen in der vorgesehenen Qualität zu generieren-- es sei denn, ein Programm besteht nur aus einem Projekt; in diesem Fall kann das Projekt auch als Program angesehen werden. [IV] 4P umfasst im Englischen: ‚Products‘‚ ‚Programs‘, ‚People‘ und ‚Policies‘. Um den 4P-Charakter beizubehalten, werden hier die englischen Begriffe ‚People‘ und ‚Policies‘ nicht übersetzt. [V] PDCA wird häufig als zyklische Kreisbewegung dargestellt, weswegen man von einem PDCA-Zyklus spricht. In Wirklichkeit handelt es sich aber nicht immer um einen echten Zyklus. Daher sei PDCA hier so verstanden: wo geplante Tätigkeiten ausgeführt werden, müssen auch ‚Check‘ und ‚Act‘ zum Einsatz kommen, um die gewünschten Ziele zu erreichen. [VI] Wobei allerdings noch Projektstart und Projektabschluss hinzukommen. [VII] Dabei wird berücksichtigt, dass die Ansätze dieser Zertifizierungen unterschiedlich sind: während der IPMA®- Standard den Fokus auf eine ganzheitliche und umfassende Qualifikation der Berufsgruppe legt (inkl. soft skills), betonen das PMI® und Prince® stärker die Terminologien und Prozesse. [VIII] Immerhin tragen in Deutschland Industrieprodukte ca. 30 % zum Brutto-Inlandsprodukt und 86 % zu den Exporten bei; vgl. [4]. [IX] Auch wenn man berücksichtigt, dass es andere Begriffe als ‚Projektingenieur‘ geben mag, mit denen der hier beschriebene Typus eines Projektmanagers gemeint ist, lassen sich mit einer Suche mittels [5] nur weniger als eine Handvoll Hochschulen finden. Eingangsabbildung: © iStock.com / gorodenkoff Dr. Hans-Henrich Altfeld 30-jährige Erfahrung als Projektleiter und Leiter von Project Control Offices und Project Management Offices im Umfeld komplexer und internationaler Produktentwicklungs-Programme in der Luftfahrt, Raumfahrt und der Automobilindustrie, sowie im nuklearen Kraftwerksbau. Mitglied der GPM und im Verein Deutscher Ingenieure (VDI); Ehrenvorsitzender der Royal Aeronautical Society Hamburg. Zudem ist er Autor des Buches ΄Commercial Aircraft Projects: Managing Complex Product Developments΄, welches in englischer und chinesischer Sprache erschienen ist. Internet: www.novo-artifact-consulting.com eMail: novo.artifact.consulting@gmail.com