PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Projektmanagement ist so viel mehr als das Managen von Projekten
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Steffen Rietz
Was war noch gleich zuerst da: die Henne oder das Ei? Entsteht die Notwendigkeit des Projektmanagements aus dem Start eines Projektes? Oder sind die Planungs- und Steuerungsnotwendigkeiten minimaler Herausforderungen inzwischen so komplex geworden, dass Projekte definiert und Projektmanager ausgebildet werden? Typische Aspekte professioneller Projektarbeit – Methoden und Arbeitstechniken, Prozesse und Werkzeuge – finden punktuell auch außerhalb formalisierter Projekte Anwendung im Arbeitsalltag.
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59 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0033 Projektmanagement ist so viel mehr als das Managen von Projekten Steffen Rietz Für eilige Leser | Was war noch gleich zuerst da: die Henne oder das Ei? Entsteht die Notwendigkeit des Projektmanagements aus dem Start eines Projektes? Oder sind die Planungs- und Steuerungsnotwendigkeiten minimaler Herausforderungen inzwischen so komplex geworden, dass Projekte definiert und Projektmanager ausgebildet werden? Typische Aspekte professioneller Projektarbeit- - Methoden und Arbeitstechniken, Prozesse und Werkzeuge- - finden punktuell auch außerhalb formalisierter Projekte Anwendung im Arbeitsalltag. Schlagwörter | Methodeneinsatz, Tooleinsatz, Projektphilosophie, projekthaft, projektähnlich Projektmanagement ohne Projekt klingt im ersten Moment etwas gewöhnungsbedürftig. Hat man ein Projekt, sollte man den erwartbaren Herausforderungen mit professionellem Projektmanagement begegnen. Hat man kein Projekt, entfällt dieser Bedarf. Aber Projektmanagement ohne Projekt? Viele junge Menschen lernen in der Hochschulausbildung oder der GPM-Zertifizierung grundlegende Definitionen im Umfeld der Projektarbeit- - für bevorstehende Prüfungen, aber vor allem für den späteren Berufsalltag. Dort werden zunehmend Projekte initiiert, um die Kräfte und Budgets zielorientiert zu bündeln. Diese Bündelung ist zunehmend auch organisatorisch erkennbar in der Definition von Projektportfolios oder Programmen. Es werden Ziele definiert, (Teil-)Ergebnisse zu vereinbarten Meilensteinen erreicht, in der festen Absicht, ein Gesamtergebnis zu erreichen und damit einen Kundennutzen zu generieren. Nicht alles, aber vieles ist dabei planbar oder zumindest durch projektbegleitende Steuerung maßgeblich beeinflussbar. Ein Aspekt ist dabei regelmäßig etwas unterrepräsentiert: Wenn eine Organisation mehrere Projekte zeitlich überlappend startet, diese aber weder in einem Projektportfolio noch in einem Programm zusammenfasst, entsteht eine Multiprojektlandschaft mit besonderen Herausforderungen aus Sicht des Einzelnen, der ggf. seine Arbeitsleistungen in mehrere Projekte gleichzeitig einbringen soll. So z. B. arbeitet Frau Müller aus dem Entwicklungsbereich den größten Teil ihrer Arbeitszeit in einem Projekt zur Produktentwicklung. Gleichzeitig unterstützt sie in nennenswertem Umfang ein Projekt im IT-Bereich, in dem eine neue IT-basierte Planungsumgebung geschaffen wird. Als Mutter zweier Kinder ist sie natürlich auch in die Konzeptphase des geplanten Betriebskindergartens involviert. Einen über den drei Themen koordinierenden Programm- oder Portfoliomanager gibt es nicht, aber zumindest drei Projektleiter mit drei Projektaufträgen, mit denen sie ihre persönlichen Planungs- und Priorisierungsnöte im Arbeitsalltag diskutieren kann. (Siehe Bild 1, Spalte 3) Wenn aber gar kein Projekt gestartet wird? (Siehe Bild 1, Spalte 1) Wenn ganz maßgebliche Elemente der Projektarbeit fehlen? Kein Kunde und kein Auftraggeber! Kein Projektmanager und kein Projektteam! Kein formulierter oder gar dokumentierter Projektauftrag! Kein handlungsleitendes Projektziel! Kein terminiertes Projektende und / oder kein bereitgestelltes Projektbudget! Einfach nur ein Wunsch, an deren Realisierung eine oder mehrere Person(en) beteiligt sind, die über eine unbekannte Zeit Ressourcen und Geld benötigen werden-- ebenfalls in Art und Menge unbekannt. Eine Termingrobplanung und eine Quantifizierung des Budgetbedarfs machen aus der Situation noch kein Projekt. Wenn die Überlegungen der Bedenkenträger punktuell Elemente des Risikomanagements erkennen lassen, auch noch nicht. Einzelne Aspekte der Information und Kommunikation sind innerhalb von Personengruppen erkennbar, ein Reporting oder Formen der Eskalation oder Mediation oft schon nicht mehr, weil keine Strukturen, Untergruppen oder gar Hierarchien definiert sind. Deutlich überdurchschnittlich ausgeprägt sind hingegen oft eine persönliche Identifikation mit dem Wunsch bzw. dem Ziel, ein persönlicher Vorteil durch die Zielerreichung und Spaß bei der Arbeit. Die persönliche und intrinsische Motiva- Wissen | Projektmanagement ist so viel mehr als das Managen von Projekten 60 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0033 tion ist nicht zu unterschätzen, weil üblicherweise keine klassische monetäre Entlohnung für geleistete Arbeit erfolgt. In diesen Situationen werden im beruflichen wie auch im privaten Umfeld oft Methoden des Projektmanagements intuitiv angewendet. Aktivitäten- und Terminketten bestimmen unseren Alltag, z. B. 17: 00 Uhr das Büro verlassen, Heimfahrt, unterwegs noch einkaufen, das Kind vom Training abholen, der Nachbarin die geborgten Sachen zurückbringen, aufräumen, noch schnell duschen, den Tisch decken, um 20: 00 Uhr den angekündigten Besuch empfangen und bis dahin alles fertig haben. Wie werden solche Abende geplant? Im Grunde mit exakt den gleichen Überlegungen der Vorwärts- und Rückwärtsplanung, wie sie aus der Netzplantechnik bekannt sind, nur eben ohne Netzplan. Basis sind unbewusste und undokumentierte Überlegungen inkl. der intuitiven Bestimmung von Puffern und Reserven. Niemand käme auf die Idee, diese intuitiven Mini-Planungsszenarien Projekt zu nennen. Ähnliches ist in der Kosten- und Budgetplanung zu beobachten. Schritt eins im Kindesalter beginnt damit, die Preisschilder im Süßigkeitenregal mit dem verfügbaren Kleingeld zu vergleichen. Später vergleicht man Preise im Reiseprospekt oder im Autohaus mit dem eigenen Kontostand und leitet daraus Kaufoptionen, Sparpläne, Kosten- und Liquiditätsüberlegungen ab bis hin zu ersten Lösungsalternativen, einen kürzeren Urlaub zu buchen oder ein kleineres Auto zu kaufen, damit das begrenzte Budget dann doch reicht. Deutlich projektähnlicher wird es, wenn nicht nur Aktivitätendauern bis zur Ermittlung des Endtermins oder Kostenpositionen bis zur Ermittlung der Gesamtkosten aufaddiert werden, sondern mehrere Projektmanagementkompetenzen ineinandergreifen. Gut sichtbar wird dies in der Verbindung von Ressourcen-, Zeit- und Kostenplanung. Geplante Ressourcen kosten Geld. Begrenzte Zeit oder ein gedeckeltes Budget limitieren den Ressourceneinsatz. Daher werden in zahlreichen Planungstools (MS Project, SAP u. ä.) kalkulatorische Stundensätze hinterlegt. Wird dieser Grundzusammenhang auch außerhalb IT-basierter Planung berücksichtigt, wird aus den Überlegungen nicht gleich ein Projekt (Siehe Bild 2). Auszubildende, Studenten und Lehrgangsteilnehmer wollen angestrebte Abschlüsse in der prognostizierten Zeit bestmöglich erreichen. Paare und Familien wollen sich ein Auto kaufen, eine (Welt-)Reise machen und / oder ein Haus bauen-- vielleicht alles gleichzeitig. Sportler wollen Deutscher Meister oder Olympiasieger werden, Schauspieler die Goldene Kamera oder den Oscar gewinnen und arbeiten jeweils gezielt darauf hin. Vertreter von Vereinen, Verbänden und Stiftungen agieren arbeitsteilig und zielorientiert-… usw. Es sind täglich tausendfach Aspekte der Planung und Steuerung zu beobachten, die sich in vielen Belangen, oft sogar sehr detailreich an ausgewählten Aspekten des Projektmanagements orientieren, aber nicht Bestandteil typischer Projektarbeit sind. In kleinen oder größeren Alltagsplanungsszenarien finden dann trotzdem z. B. folgende Überlegungen notwendigerweise Berücksichtigung: • Ermitteln des Nutzens, der durch das abgestimmte Managen einzelner Aspekte erzielt werden kann / inkl. der Sicherstellung der Nutzenerzielung aus den Investitionen • Ausrichtung auf ein oder mehrere strategische und operative Ziele • Optimierung der Nutzung von Ressourcen • Optimierung von Art und Umfang der Kosten, Zeiten und Ergebnisqualität • Managen von Problemen, Gefahren, Risiken und Fehlern • Managen der Engagements der Stakeholder • Festlegen von Strategien und Aktivitäten im Zusammenhang mit Änderungen • …-usw. Abbildung 1: Methoden und Strategien des Projektmanagements anzuwenden, ist nicht nur in der Projektarbeit möglich Wissen | Projektmanagement ist so viel mehr als das Managen von Projekten 61 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0033 Auch wenn all dies-- als Einzelmaßnahme oder gesamthaft-- sehr konsequent getan wird, entsteht nicht zwangsläufig ein Projekt. Wir möchten dies zum Anlass nehmen, in einer losen Reihe von Fachaufsätzen Szenarien und Beispiele zu schildern, in denen umfänglich Methoden des Projektmanagements angewendet werden, ohne Auftraggeber, ohne Projektauftrag, ohne Budget, mehr einem Wunsch als einem Ziel folgend, aber ggf. gemeinsam, arbeitsteilig, kooperativ, unterstützend, ausdauernd, diszipliniert, professionell. Wir wollen damit u. a. auch einem Trend entgegenwirken. Hasskommentare im Internet, Beleidigungen aus der Anonymität, aggressive Opposition ohne substanzielle Alternativvorschläge sind in wachsender Anzahl und mit steigender Negativität zu beobachten. Ist es nicht viel sinnvoller, auch für jeden Einzelnen viel befriedigender aus der Deckung der zweiten Reihe hervorzutreten und zu helfen? Fehler anderer nicht kritisieren, sondern korrigieren und damit selbst ein aktiver Teil der Lösung werden. Unrealistische Planungen nicht belächeln, sondern mit Unterstützung, Kreativität und Enga- Abbildung 2: Wann werden Überlegungen entlang der Zeitachse zur professionellen Terminplanung? Wann werden Überlegungen zum Material- oder Personaleinsatz zur professionellen Ressourcenplanung? Wann wird eine Szenarioplanung in Abwägung von materiellen, finanziellen oder zeitlichen Investitionen zur komplexen Projektplanung? Prof. Steffen Rietz Prof. Dr.-Ing. Steffen Rietz • Hochschule Offenburg, Fakultät für Wirtschaft • Studiendekan für das MBA-Programm Part-time General Management • Seit 25 Jahren Erfahrung im Projektmanagement, inkl. Groß- und internationaler Projekte • inzwischen auch als Coach, Autor, in der Normung und einer Projektmanagementfördernden Stiftung ehrenamtlich aktiv eMail: Steffen.Rietz@hs-offenburg.de gement die Realisierung ermöglichen. Teil des Erfolgs wird man nicht erst, wenn man vom ernannten Projektmanager als Personalressource angefordert wird, sondern auch schon, wenn man einfach hilft zu planen, zu steuern, zu realisieren. Eingangsabbildung: © peshkova-- stock.adobe.com
