eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 35/2

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2024-0037
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2024
352 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Im Hamsterrad der Prozesse

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2024
Jens Köhler
Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch – Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben
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74 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0037 Ehrlich und Priesberg machen nach der Mittagspause einen Spaziergang in der Firma. Priesberg lästert: „Wir sollten uns aber nicht verlaufen.“ Ehrlich geht schweigend neben Priesberg her, bis er plötzlich ausruft: „Das kann uns nicht passieren, denn hier macht der Weg eine einhundertachtzig Grad Wendung und führt uns wieder zum Ausgangspunkt zurück.“ „Offenbar ein Weg, der mit einem durchdachten Prozess geplant wurde“, lästert Priesberg weiter und fährt fort: „Alle reden über Prozesse, also das ‚Wie‘. Zum Beispiel erlebte ich in einem Projektteam, wie sehr die Umstellung auf agile Prozesse gelobt wurde, aber dennoch alles beim Alten geblieben ist.“Beide setzen sich auf eine Bank im Schatten. Es scheint wohl eine längere Diskussion zu werden. Priesberg fragt: „Warum interessiert man sich nur noch für das ‚Wie‘ und nicht mehr für das ‚Was‘, also die Inhalte? “ Ehrlich entgegnet: „Weil die Inhalte schwer zu vermitteln sind. Das braucht Zeit und daher ein Aufmerksamkeitsfenster. Und das haben wir nicht mehr.“ Priesberg stutzt: „Das reicht mir als Erklärung nicht. Seit wann gibst du dich mit einer Allerweltserklärung wie Zeitmangel ab? “ Ehrlich hat eine Idee: „Vielleicht ist es das: Prozessdarstellungen haben stets ein Happy End, alles sieht lecker aus, wie auf einer Speisekarte. Das lässt sich mental viel leichter konsumieren als die dazugehörigen Inhalte, also die Speisen selbst. Da weiß man immer erst hinterher, ob es geschmeckt hat.“ Priesberg stimmt zu: „Die Inhalte sind doch entscheidend und bestimmen den Erfolg. Der Prozess, dargestellt durch das Prozessdiagramm oder einen leichten Text, wie aus der Belletristik, ist nur eine Hülle. Haben wir ein Beispiel, bei dem Prozess und Inhalte nicht übereinstimmen, sozusagen ein warnendes Beispiel? “ „Klar“, antwortet Ehrlich. „Stell‘ dir eine Buchhandlung vor, in der es mehrere Verkäufer gibt, die auf Provisionsbasis arbeiten. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten will die Geschäftsführung sicherstellen, dass alle Verkäufer eine Chance auf die Verkaufsprämie haben. Sie führt einen neuen Vergütungsprozess ein und stellt ein Schild in den Laden: ‚Bitte nehmen Sie keine Bücher aus den Regalen und warten Sie, bis Sie bedient werden.‘ Und jetzt die Aufgabe an dich: Lässt sich das gut verkaufen? “ Priesberg antwortet: „Das Beispiel scheint mir arg konstruiert. Aber es könnte gehen: ‚Wir haben ab heute die Entlohnung der Mitarbeiter gerechter gestaltet.‘“ Ehrlich antwortet mit einem selbstgewissen Grinsen: „Wer möchte in einem solchen Laden nicht einkaufen? Ist doch jetzt alles perfekt.“ Priesberg überlegt: „Erstens nimmt man den Kunden das Erlebnis, selbst in Büchern zu stöbern und zweitens funktioniert das nur, wenn das Verhältnis Kunde zu Verkäufer nahezu eins zu eins ist, also keine Wartezeit besteht.“ Ehrlich nickt zustimmend: „Jetzt gehen wir tiefer auf das ‚Was‘ ein: Kunden wagen es dennoch, Bücher aus den Regalen zu nehmen, sei es aus Neugier, oder weil sie das Schild übersehen haben. Schon kriegen sie von dem nächsten Verkäufer einen bösen Blick, denn diese Person hat ja tatsächlich Anrecht auf die Prämie.“ Priesberg ergänzt: „Und das führt nicht gerade zu Begeisterung unter den Kunden. Am Ende suchen sie andere Buchhandlungen auf oder wechseln ins Internet.“ Ehrlich kann sich ein Lachen nicht verkneifen: „Der Prozess ‚gerechte Entlohnung‘ führt am Ende ins Gegenteil, im schlimmsten Fall sogar in die Insolvenz, da womöglich keine Kunden mehr kommen. Dies findet man aber nur heraus, wenn man sich mit dessen Inhalt tief auseinandersetzt. Und nein, das Beispiel ist nicht konstruiert-- du musst nur mit offenen Augen durch die Welt gehen.“ „Gibt es denn eine Variante, die gerecht ist und die Kunden im Geschäft hält? “, stutzt Priesberg erstaunt. „Ja klar“, fällt ihm Ehrlich ins Wort. „Den Topf für die Prämien einfach über alle Mitarbeiter gleich verteilen, mehr nicht.“ Priesberg stimmt zu: „Damit ist das Verhalten der Kunden von internen Vorgängen entkoppelt.“ Ehrlich übernimmt: „Die dazugehörige Geschichte ist aber langweilig und daher nicht so eindrucksvoll. Also neigt man unbewusst dazu, den spannenderen Prozess zu nehmen, ohne genau auf die Inhalte zu schauen.“ Priesberg presst die Lippen zusammen: „Das ist aber eine ganz böse Wendung-… diejenigen gewinnen, die den tollsten Prozess haben, koste es was es wolle! “ „Und genau so sollten wir in Zukunft auch auf Prozesse schauen, die uns besonders geschmackvoll serviert werden“, schließt Ehrlich. Eingangsabbildung: © iStock.com / Comeback Images Kolumne Im Hamsterrad der Prozesse Jens Köhler Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch- - Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. Sein Spezialgebiet ist die Regulation sozialer Komplexität zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams. Anschrift: BASF SE, RGQ / IM, 67 056 Ludwigshafen, eMail: Jens.Koehler@basf.com