PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Der Königsweg über der Klippe
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Steffen Scheurer
Oliver Steeger
Schwindelfrei sollte man sein – dann ist die Aussicht herrlich, die sich von dem filigranen, wie schwebenden Stahlsteg bietet, 122 Meter über der Ostsee. Der Wind pfeift einem auf dem Skywalk um die Ohren, die Sonne liegt warm auf der Haut, die Hände umfassen den kühlen Holzhandlauf des Geländers. Tief einatmen: Das Blau des weiten Himmels und des Meers. Die in der Tiefe wogenden Laubkronen der Buchenhangwälder. Und dann das Weiß der Kreidefelsen rund um den Königsstuhl von Rügen: wie frisch gewaschen, leuchtend, majestätisch.
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4 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0044 Projekt „Skywalk“ am Königsstuhl auf Rügen Der Königsweg über der Klippe Steffen Scheurer, Oliver Steeger Schwindelfrei sollte man sein-- dann ist die Aussicht herrlich, die sich von dem filigranen, wie schwebenden Stahlsteg bietet, 122 Meter über der Ostsee. Der Wind pfeift einem auf dem Skywalk um die Ohren, die Sonne liegt warm auf der Haut, die Hände umfassen den kühlen Holzhandlauf des Geländers. Tief einatmen: Das Blau des weiten Himmels und des Meers. Die in der Tiefe wogenden Laubkronen der Buchenhangwälder. Und dann das Weiß der Kreidefelsen rund um den Königsstuhl von Rügen: wie frisch gewaschen, leuchtend, majestätisch. Der 2023 eröffnete Skywalk am Königsstuhl ist zum Touristenmagnet auf Rügen avanciert. Nach zwölf Jahren Planung und Bau ging dieses Projekt glücklich zu Ende. Foto: Oliver Steeger Manche sagen, der neue Skywalk eröffne einen noch beeindruckenderen Blick auf die Kreidefelsen als die alte Plattform des Königsstuhls. 2023 wurde der neue Skywalk am Königsstuhl eröffnet. Nach zwölf Jahren Planungen und Bau ging dieses Projekt glücklich zu Ende. Der Skywalk avancierte zum sensationellen, touristischen Highlight auf der Insel, zu einem neuen Markenzeichen-- obwohl er als solches gar nicht geplant war. Man hatte keine Effekthascherei im Sinn. Es war eher eine Geburt aus der Not heraus, wie man im Nationalpark Jasmund bescheiden sagt. Unter den Insulanern hat das Projekt mehr Staub aufgewirbelt und Zwist gesät als sich Menschen vom Festland dies vorstellen können. Heute haben die meisten die zarte Stahlkonstruktion mit dem markanten Mast lieben gelernt. Doch anfangs hielten die Kritiker den Skywalk- - eine lange, ovale, noch über den Klippen schwebende Brücke-- für ein Sakrileg an diesem Ort. Zumal der Königsstuhl selbst, Pilgerort für Tausende, endgültig gesperrt worden ist. Der Königsstuhl auf Rügen ist ein Sehnsuchtsort der Deutschen. Über 300.000 Menschen zieht es jährlich zu dem markanten Kreidefelsen, heute Teil eines streng geschützten Nationalparks. Caspar David Friedrich- - der Maler, dessen 250. Geburtstag dieses Jahr ansteht-- malte 1818 die Kreideküste. Das Bild gilt heute als eine Ikone deutscher Romantik. Von fast kristalliner Schönheit umrahmen die weißen Felsen den Blick aufs Meer hinaus. Bis heute berührt dieses Naturerlebnis viele Besucher tief und weckt tiefe Emotionen. „Sogar junge Menschen, von denen sich viele eher mit ihrem Smartphone als der Natur beschäftigen, scheinen ergriffen“, erklärt Mark Ehlers, Leiter des Nationalparkzentrums am Königsstuhl. Er beobachtet, wie zunächst gelangweilte Teenies dann doch verstohlen Selfies machen auf dem Skywalk. Von Hause aus Förster sieht Mark Ehlers dieses Gefühl mit Sympathie- - und als Chance für den Naturschutz. „Solche Erlebnisse sensibilisieren Menschen auch dafür, sich mit dem Schutz der Natur auseinanderzusetzen- - damit sie die Natur auch in Zukunft noch erleben können.“ Der Königsstuhl ist nicht nur ein Sehnsuchtsort, sondern auch ein Problemort. So beeindruckend er sich den Besuchern präsentiert-- so verwundbar sind er und die gesamte Kreideküste Reportage | Der Königsweg über der Klippe 5 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0044 auf Rügen. Dies erklärt sich ausgerechnet aus der Weiße der Kliffe. Regen und Frost nagen am Fels. Die Witterung sprengt immer wieder die oberste Schicht der häufig mürben Felsen ab. Darunter tritt „frischer“, weißer Kalk zutage; das ist wie eine ständige Selbstreinigung. Doch diese Selbstreinigung kostet Felssubstanz. Durch die Erosion weicht die Linie der Kreideküste immer weiter zurück. An einigen Orten gehen jährlich nur ein Fingerbreit Fels verloren, an anderen aber 30 Zentimeter und mehr. Niemand kann vorhersagen, ob sich der Fels nur oberflächlich „häutet“ oder bald größere Felsmasse in Rutschen kommen. Dies gilt auch für den Königsstuhl. Der Zugang zum Königsstuhl war ein beschwerlicher Treppenpfad auf einem steilen Felsrücken. Und dieser Pfad wird immer schmaler. Die bröckelige Konsistenz macht die Rügener Kreidefelsen nicht nur vergänglich, sondern auch gefährlich. Schon der Maler Caspar David Friedrich musste dies erfahren. Er durchwanderte 1815 die Kreideküste mit einem Freund, Friedrich Gotthelf Kummer. Der leichtsinnige Kummer brachte sich beim Klettern in Gefahr. Sich an eine Felsnase klammernd drohte er in die Tiefe zu stürzen. Zu Tode verängstigt rief er seinen Freund, den Maler. Auf Friedrichs drei Jahre später gemalten, heute weltberühmten Werk „Kreidefelsen auf Rügen“ meint man den Maler zum Klippenrand kriechen zu sehen, um seinem Freund zur Hilfe zu kommen. Im Jahr 2016 zeigte sich erneut, wie in der Klifflandschaft Schönheit und Gefahr zusammengehen. Nicht weit vom Königsstuhl führte eine Holztreppe von der Klippe durch den Hangwald hinab zum Strand. Ein Gesteinsrutsch und stürzende Bäume rissen-- aus dem Nichts heraus-- einen Teil dieser Treppe in die Tiefe. Verletzt wurde zum Glück niemand. Die Treppe wurde aus Sicherheitsgründen nie wieder aufgebaut. Dies war für Mark Ehlers auch ein Vorgeschmack darauf, was dem Königsstuhl hätte bevorstehen können. „Es war für mich abzusehen, dass für Besucher früher oder später auch der Zugang auf den Königsstuhl zu gefährlich werden würde“, sagt Mark Ehlers. Bereits beim Sperren der recht unscheinbaren Holztreppe ging ein Aufschrei durch die Bevölkerung, nicht nur unter den Insulanern, sondern bundesweit. Erledigt ist das Thema bis heute nicht. Immer noch treffen bittere Briefe aus ganz Deutschland ein, die die fehlende Treppe beklagen; bis hin zu Staatssekretären soll dieses Thema lanciert worden sein. „Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn der Königsstuhl nicht mehr zugänglich wäre- - ohne Ersatz“, sagt Ehlers. Ersatz war dringend nötig. Und damit ein Projekt. Die Zukunftssorgen um den Königsstuhl waren nicht neu. Ein Projekt für einen Ersatzzugang hatte es bereits in den 1990er Jahren gegeben. Man errichtete eine Holzbrücke über das Nadelöhr am Zugang zum Königsstuhl. Dieses Provisorium- - im Nu als „Monstrum“ unter Einheimischen und Gästen verschrien-- ging nie in Betrieb. Zu stark war der Widerstand gegen diese klobige Lösung. Die Treppe verschwand sehr schnell wieder. Nur ihre Betonfundamente sind bis heute sichtbar. Sie wirken wie die Narbe dieses erfolglosen Versuchs. Im zweiten Anlauf gingen die Verantwortlichen gründlich an das Projekt heran. Wenn wohl nicht der Zugang zum Königsstuhl selbst gerettet werden kann (der Kampf gegen die Natur ist aussichtslos)-- dann doch die herrliche Aussicht. Den Initiatoren schwebte eine dauerhafte Lösung vor. Sie sollte mindestens für die nächsten hundert Jahre Bestand hat. Zudem: Auch Menschen mit Gehbehinderung sollten barrierefreien Zugang haben, was gegen Treppen sprach. Die Lösung sollte sich ästhetisch in die Klippenlandschaft einpassen und auch den Blick von der Seeseite her nicht stören. Vor allem sollte sie das Naturschutzgebiet entlasten, in dem strenge Auflagen die Pflanzen und Tiere vor Eingriffen schützen. „Was die Langlebigkeit betraf, so kam für uns nur eine Lösung in Frage, die nicht vorne an der Klippe verankert ist“, sagt Mark Ehlers, „durch die ständige Erosion sind alle an der Klippe installierten Lösungen nicht von langer Dauer.“ Geologische Untersuchungen ergaben: Erst rund 25 Meter hinter der Küstenlinie war sicherer Grund, auf den man bauen konnte-- und selbst dort musste das Fundament tief in den Felsen Blaues Wasser, grüne Buchenwälder und weiße Kreidefelsen-- in Rügen erleben Touristen Natur pur. Foto: Oliver Steeger Reportage | Der Königsweg über der Klippe 6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0044 hineinreichen. Schwierig! Hinter geschlossenen Türen entwickelten Naturschützer, Ingenieure und Politiker unterschiedliche Ideen und Modelle- - und verwarfen sie wieder. „Durch den Fehlschlag mit der mächtigen Holzbrücke waren wir alle gebranntes Kind“, sagt Mark Ehlers, „über Jahre haben wir jedes Detail durchgespielt, jeden Baum und Busch berücksichtigt, jede Blickrichtung überlegt, den Untergrund immer wieder erwogen.“ Irgendwann stand die Idee eines Skywalks im Raum, einer freitragenden, über den Königsstuhl hinausragenden Konstruktion, die an Stahlseilen hängt und von einem Mast weit genug im „Hinterland“ gehalten wird. Einige im Team, darunter auch Mark Ehlers, fremdelten mit dem Anglizismus „Skywalk“. Sie wollten keinen Hype hier im Naturpark Jasmund, keine touristische Effekthascherei. Sie rangen mit dem Begriff und dem Konzept. Gaben nur zögernd nach. 70 Prozent der Menschen, die im Nationalpark arbeiten, kommen aus dem Naturschutz. „Effekte um der Effekte willen hätten wir nicht mit uns vereinbaren können“, sagt Mark Ehlers, „wir hatten hier seit zwanzig Jahren gegen viele Widerstände Naturschutz gepredigt. Wir konnten nicht mit einem Tourismus-Prestigeprojekt auftreten, bei dem sich Naturschützer nur an den Kopf fassen.“ Je mehr sich das Team mit bereits bestehenden Skywalks beschäftigen, desto mehr verstand es: Die Lösung konnte funktionieren. Sie war technisch machbar. Natürlich, die Fundamente für den Mast und die Halterungen der Stahlseite musste man wegen der auftretenden Zugkräfte bis zu 20 Meter tief im Fels verankern. Aber das fand im rückwärtigen Bereich statt, wo nach Geologenmeinung das Gestein auf Generationensicht stabil ist; auf die bröselige Küste selbst würden keine Kräfte wirken. Doch es gab viele Details zu bedenken. Etwa den Naturschutz. Zuerst sah der Plan vor, den Skywalk an einer anderen Stelle zu errichten, weiter rechts von dem jetzigen Standort. Der Skywalk hätte den Königsstuhl attraktiv in seine Mitte genommen. Damit wäre der Zugang zum Skywalk vielleicht noch spektakulärer geworden. Aber: Für diesen Plan hätte man eine Gruppe alter Buchen opfern müssen. „Wir haben jeden einzelnen Baum vermessen, sorgfältig überlegt- - und dann diese Variante abgewählt“, sagt Mark Ehlers. Das gesamte Bauwerk wurde etwas verschoben; jetzt wird die geschützte Natur nicht mehr berührt. Der Skywalk überspannt sie nur- - ohne jeden Einfluss auf Bäume oder Felsen. „Für mich war es eine zentrale Entscheidung, dass wir uns da zurückgenommen haben,“ sagt Ehlers. Rügenurlauber wissen, dass das Wetter an der Ostseeküste ungemütlich sein kann. Vor allem der Wind. Für den Skywalk versichern die Ingenieure, dass selbst ein seltener Ostsee-Orkan die Konstruktion nicht zerstören wird. Bedenkli- Der neue Skywalk erlaubt einen Blick auf den engen, alten Zugang zum Königsstuhl, einem markant vorspringenden Kliff. Der Zugang ist heute gesperrt. Stattdessen erlaubt der Skywalk den Blick ins Weite. Foto: Oliver Steeger Reportage | Der Königsweg über der Klippe 7 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0044 cher sind gefährliche Schwingungen, die bei einer steifen Brise auftreten können. Sie können Menschen auf dem Skywalk straucheln und stürzen lassen. Das Team testete ein Modell des Skywalks im Windkanal und passte die Konstruktion so an, dass der Wind wenig Angriffsfläche hat. Dann die Frage nach den Features: Beispielsweise achtete das Team sorgfältig auf die Barrierefreiheit des Sykwalks-- damit endlich etwa auch Rollstuhlfahrer ungehindert die Natur erleben konnten. Die Treppen des alten Zugangs zum Königsstuhl sperrten die meisten Rollstuhlfahrer aus. Es kam immer wieder zu entwürdigenden Versuchen, die Menschen über die Stufen und durch Engen zu tragen. „Heute sehen wir hier viele Menschen, die im Rollstuhl den Ausblick vom Skywalk genießen“, sagt Pressesprecherin Gesine Häfner. Sie berichtet von anrührenden Szenen, wie schwerstkranken Menschen der Wunsch erfüllt, hier von einer Liege aus einen letzten, langen Blick auf den Himmel, das Meer, die Buchen und die Kreidefelsen zu werfen. Wie der Königsstuhl zu seinem Namen kam-- darüber erzählen sich die Menschen hier verschiedene Geschichten. Die eine Geschichte besagt, dass der schwedische König Karl XII. 1715 von dem Plateau des vorspringenden Felsens aus das Seegefecht gegen die Dänen geleitet habe. Eine andere Geschichte kommt aus älterer Zeit: Derjenige, der vom Strand aus als erster diese Klippe hinaufgeklettert und sich auf einen dort wartenden Stuhl gesetzt hatte-- der sollte König werden. Fest steht, dass die Romantiker den Königsstuhl bekannt machten und er im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem Pilgerort avancierte. Von der Terrasse eines nahe dem Felsen gelegenen Hotels aus ließ sich bei Kaffee und Kuchen der Ausblick genießen. Später zum militärischen Sperrgebiet erklärt, ergriffen nach der Wende Naturschützer die Initiative und regten an, die Kreidefelsen mit ihren teils 300 Jahren alten Buchen zum Nationalpark zu erklären. Im erhaltenen Hotelgebäude wurde das Nationalpark-Zentrum mit Ausstellung eingerichtet. Dies alles verlief nicht so reibungslos wie es heute wirken mag. Der Nationalpark führte zu Einschränkungen. Weder das einst beliebte Pilzesammeln noch das Angeln von Lachsen ist mehr erlaubt. Das wertvolle Holz umgestürzter Bäume wird nicht genutzt; für viele kaum verständlich, dass die Stämme auf natürlichem Wege verrotten dürfen. Dennoch zeigen heute Akzeptanzuntersuchungen, dass mittlerweile mehr als 75 Prozent der Bevölkerung hinter dem Nationalpark stehen-- eine echte, aufrichtige, nachhaltige Akzeptanz, wie Mark Ehlers meint. Viele Menschen schieben den Naturschutz nicht nur vor, wenn sie sich hier gegen bestimmte Veränderungen wehren. Sie meinen es ernst. „Das Argument des Naturschutzes“, sagt er, „ist hier häufig tiefempfunden und im Bewusstsein verankert.“ Doch der Langmut einiger Menschen hat Grenzen, besonders, wenn es um ihre Sehnsuchtsorte geht, an denen sie mit ihrem Herzen hängen. Der Königsstuhl ist einer dieser Orte: für viele emotional aufgeladen, etwa mit kostbarer Kindheitserinnerung verknüpft, Spaziergänge mit Großeltern, der Vater, der einem das Fischen beibringt, die erste Liebe, Badefreuden im Sommer, Abenteuer im Hangwald. „Viele haben offenbar den Wunsch, dass sich das, was sie aus ihrer Kindheit her kennen, nicht verändern darf“, meint Mark Ehlers. Dieser Schatz muss unberührt bleiben. Nichts darf verloren gehen, nichts darf hinzukommen. Er scheint unverhandelbar. Es kam, was kommen musste. Der Proteststurm gegen das Projekt „Skywalk“. Er war sogar noch heftiger, als es sich das Team vorgestellt hatte. Als wir mit dem Plan unseres Skywalks erstmals an die Öffentlichkeit gegangen waren, hatten wir die Planungen schon sehr weit vorangetrieben“, berichtet Mark Ehlers, „wir hatten offene Fragen, bei denen wir uns selbst lange nicht sicher waren, beantwortet und entschieden. Wir hatten alles technisch überprüft und auch die Finanzierung gesichert.“ Die Beteiligten standen geschlossen hinter dem Projekt. Alles ein gutes Fundament für die Kommunikation mit den Insulanern, den Gästen und der Öffentlichkeit. Dafür, ihnen den Skywalk schmackhaft zu machen. Mark Ehlers und die Beschäftigten des Nationalparkzentrums, anfangs die Bauherren des Skywalks, starteten ihre Informationskampagne. „Wir haben versucht, die Fragen aus Sicht der Einheimischen und Gäste aufzunehmen und zu beantworten“, erklärt Gesine Häfner, die diese Kampagne leitete. Man ließ Flyer drucken, Websites schalten, Info-Container aufbauen, Projektwände installieren. Ansprechpartner gaben im Nationalpark Auskunft über die Planung, über die Nachhaltigkeit dieses Projekts und seine Verträglichkeit, über praktische Einschränkungen während der Bauzeit und vor allem das, was der künftige Skywalk bieten werde. „Wir haben uns vorgenommen, immer transparent und ehrlich zu kommunizieren“, sagt sie. Fair sollte die Kampagne sein-- aber auch stark und strategisch. Beispielsweise vereinte das Projekt auf Rügen prominente Fürsprecher hinter sich, etwa ehemalige Bürgermeister, Unternehmer oder Naturschützer. „Mit diesen Befürwortern waren wir schon im Gespräch, bevor wir die Kampagne gestartet haben“, sagt Gesine Häfner. Die Größen machten sich öffentlich stark für das Vorhaben, erhoben ihre Stimme etwa auf der Website oder in Bürgerversammlungen. „Diese Persönlichkeiten sind als kritische Geister bekannt, die deutlich ihre Position beziehen und auch verteidigen“, erklärt Gesine Häfner. Die Gruppe der Befürworter war gute gemischt, unter ihnen Menschen etwa aus Politik, Handwerk oder Kultur. Alles Idealisten mit hoher Glaubwürdigkeit, denen man zuhört, wenn sie sich für etwas einsetzen. Indes, Jubelarien waren von ihnen selten zu hören. Einige bekannten: Die beste Lösung wäre natürlich, wenn nichts gebaut werden müsste. Doch der Königsstuhl könne nicht so bleiben, wie er ist-- sofern die Aussicht erhalten bleiben sollte. So gesehen sei der Skywalk als zweitbeste Lösung doch die beste. „Diese differenzierte Ehrlichkeit hat uns weitergeholfen“, sagt Mark Ehlers. Doch auch die Glaubwürdigkeit der Fürsprecher konnte nicht verhindern, dass die Stimmung auf Rügen zunächst kippte. Kritik und Zweifel brandeten auf. Einige warfen dem Projekt vor, mit zweierlei Maß zu messen. Jedem sei es verboten, im Nationalpark auch nur Brennholz zu sammeln-- und ausgerechnet das Nationalparkzentrum schiebt ein Millionen- Bauprojekt an. Andere beklagen, dass hier Millionen für ein Prestigeprojekt versenkt würden, die an anderer Stelle fehlten, bei Kindergärten und Schulen, für Gehwege und Turnhallen. Wieder andere befürchteten, der Skywalk werde zehntausende Besucher mehr auf die Insel ziehen, deren Infrastruktur jetzt bereits unter dem Tourismus ächze. Reportage | Der Königsweg über der Klippe 8 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0044 „Solche Argumente lagen auch auf der Hand“, sagt Mark Ehlers, „die Menschen haben sie nur aufgegriffen.“ Und dann gab es noch eine gewichtige Befürchtung: Der Skywalk verschandele einen Sehnsuchtsort der Menschen. Der geplante Mast rage wie ein Funkturm in die Höhe. Der Skywalk versperre die Sicht. Von der Seeseite oder der berühmten Victoriahöhe aus wäre das Bild, das die Menschen seit Generationen von dem Königsstuhl kennen und lieben, auf lange Zeit verloren. Der Widerstand formierte sich schnell. Zeitweise nahmen zwei Bürgerinitiativen das Projekt in die Zange. Organisierte Veranstaltungen und Demonstrationen folgten. Sogar auf dem Gelände des Königsstuhls selbst kam es zu Kundgebungen. Und die Initiativen waren gut aufgestellt. Sie verstanden sich auf Kampagnen und Pressearbeit. „Sie waren gut organisiert und deutlich hörbar“, sagt Mark Ehlers, „ihr Ziel war es, das Projekt zu kippen.“ So, wie man bereits das „Monstrum“ gekippt hatte, den unseligen Versuch mit der Holzbrücke. Zum Höhepunkt der Proteste gingen Unterschriftenlisten herum, die auf einen Bürgerentscheid zuliefen. Dieser Entscheid kam aus formalen Gründen nicht zustande. Doch das Klima auf Rügen war in puncto Skywalk aufgeheizt. „Wir haben uns auf Versammlungen immer wieder erklärt, was wir bezwecken und planen“, berichtet Mark Ehlers. Das Team kalkulierte: Es werde nicht die überzeugten Gegner umstimmen können, wohl aber die breite Masse der Indifferenten, die noch zu keiner Meinung gefunden hatten. Das war die Hoffnung. Sie könne man in intensiven Gesprächen vielleicht erreichen und überzeugen-- oder zumindest dazu bringen, die Sichtweise des Projekts zu verstehen. Diese Gespräche kosteten Zeit und Kraft. Sie wirkten häufig wie ein Kampf gegen Windmühlen. Am Ende schließlich rentierten sich die vielen Abende, die Mark Ehlers und sein Team vom Nationalpark in Bürgerversammlungen und Kommunikation investierten. „Manchmal sprachen mich Menschen nach Versammlungen an und teilten mir mit, dass sie endlich das Projekt verstanden hatten“, sagt Mark Ehlers. Stakeholdermanagement begreift er als Aufgabe, die auch in seine Rolle des Auftraggebers dieses Projekts fällt. Er hielt damit denjenigen den Rücken frei, die das anspruchsvolle Projekt technisch umsetzten, etwa Ingenieuren und Baufirmen. Wie er selbst wiederum Rückendeckung für sein Projekt von der Politik hatte- - bis hinauf in die Ministerien in Schwerin. Und zwar aktive Rückendeckung, wie Mark Ehlers betont. Man stand wohlwollend zu ihm-- und hat auch ihm geholfen, die Kohlen aus dem Feuer zu holen, wenn es auf Bürgerversammlungen heiß herging. Dieses ebenso systematische wie vorbildlich orchestrierte Stakeholdermanagement bezeichnet er als nicht nur als einen bedeutsamen Erfolgsfaktor für das Projekt, sondern auch eine „schöne Erfahrung“. Letztlich, meint Mark Ehlers, handelte es sich um eine Minderheit der Bevölkerung, die sich mit aller Macht gegen den Skywalk stemmte. Viele in den Ortschaften, die den Königsstuhl umgeben, ließen durchblicken: Der Protest steht nicht auf breiten Schultern. Die Mehrheit schweigt. Sie versteht den Plan und trägt ihn mit. Die Mehrheit lebt vom stetigen Gästestrom- - und weiß, was es bedeutet, wenn dieser Strom am Königsstuhl versiegt. Bekam das Team auch konstruktive Vorschläge von den Kritikern zu hören? Mark Ehlers denkt über diese Frage nach, bevor er sie beantwortet. Nein, keine Vorschläge, die man hätte aufgreifen können. Dies lag allerdings nicht an den Vorschlägen selbst. „Wir hörten viele Dinge, die wir vorher selbst schon durchdacht hatten“, sagt er, „wir hatten während der gründlichen Planung vieles durchgespielt, was später vorgebracht wurde.“ Die optimale Lösung lag auf dem Tisch. Es ging nicht mehr um das „was“, sondern um das „ob“. Und es ging darum, dass sich die Menschen überhaupt ein Bild von dieser optimalen Lösung machen konnten. Was bei solch einem innovativen Skywalk keine einfache Sache ist. Zwar gibt es anderswo auf der Welt bereits Skywalks, auch in Deutschland. Doch die wenigsten haben jemals die Aussicht erlebt. Einer der mächtigen Anker des Skywalk: Bis zu 50 Meter reicht die Verankerung in den Felsen hinein. Die Anker halten die Stahlseile, die über einen Mast das Gewicht des Skywalks halten. Foto: Oliver Steeger Reportage | Der Königsweg über der Klippe 9 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0044 „Wir haben deshalb auch auf die Überzeugungskraft von Bildern und auf Computeranimationen gesetzt“, berichtet Mark Ehlers. Aus Baudaten und Bildern von Drohnenflügen ließ das Team eine aufwändige, dreidimensionale Simulation erstellen. Sie zeigte sowohl den geplanten Skywalk als auch die Aussicht von ihm. Ein Großrechner war Tage damit beschäftigt, die Animation zu berechnen. „Wir haben viele Einzelaspekte bei dieser Simulation berücksichtigt“, sagt Mark Ehlers, „etwa die Frage, wie sich der Skywalk beim Blick von der Seeseite oder der berühmten Victoriahöhe auswirkt, wie Gäste ihn wahrnehmen, wie er aus der Vogelperspektive das Bild verändert.“ Die Animation war nicht preiswert-- doch für die Kommunikation gab sie ein entscheidendes Werkzeug an die Hand. Sie erdete die Diskussion und setzte Vieles ins rechte Verhältnis. Kritiker, die sich über den zu hohen Mast ereiferten, wurden auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Ein Funkmast, der seit über zwanzig Jahren unweit vom Königsstuhl unwidersprochen emporragt, ist deutlich dicker und höher als der zierliche Mast des Skywalks. Die Sorge, dass der Skywalk zur Sommerzeit vielleicht zwischen den grünen Baumkronen optisch verschwinde, nicht aber im Winter, wenn diese Kronen kahl sind-- auch diese Befürchtung wurde entkräftet. „Wir haben eigens Winterbilder in die Simulation aufgenommen“, sagt Ehlers. Dann war da noch die Sache mit der Bauzeit. Während des Baus des Skywalks würde der Königsstuhl geschlossen werden müssen. Damit hingen zwei Probleme zusammen. Erstens: Die Touristen konnten den Ausblick für einige Zeit nicht genießen. Zweitens: Die Arbeiten auf der Baustelle riefen nochmals unversöhnliche Kritiker auf den Plan. Ging dort wirklich alles mit rechten Dingen zu? „Den Besuchern haben wir unter anderem eine alternative Aussichtsplattform, ein virtuelles Erlebnis mit VR-Brillen und Führungen über die Baustelle angeboten“, erklärt Mark Ehlers. Er erinnert sich an Kinder mit Bauhelmen, die in bunten Gruppen von Mitarbeitern aufs Baufeld geführt wurden. Erstaunlich, sagt er, welches Talent manche Baubeteiligten entwickelten, der jüngsten Zielgruppe die Arbeiten zu erklären. Indes, den Kritikern nahm er mit einer Baustellen-Webcam ein Stück weit den Wind aus den Segeln. Rund um die Uhr war der Baufortschritt im Internet zu sehen-- mit fast einer Million Zugriffen der Interessier- Der Skywalk ist oval und überspannt wie schwerelos das Kliff. Foto: Oliver Steeger Eingangsabbildung: Rund 300.000 Besucher im Jahr genießen den Ausblick am Kliff. © Oliver Steeger ten. E-Mails aus ganze Deutschland erreichten das Team: Was genau geschieht gerade auf dem Baufeld? Was macht der LKW im Bild? Auf was wartet eine Gruppe der Bauarbeiter, die um eine Grube steht? „Wir haben uns dadurch nie dem Vorwurf ausgesetzt, dass wir etwas tun, was nicht vereinbart ist“, erklärt Mark Ehlers, „wir haben alles transparent gemacht.“ Als der Skywalk im April vergangenen Jahr von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig eröffnet wurde, waren die Kritiker nicht nur verstummt- - sondern standen auch in der ersten Reihe der Besucher. „Man weiß dies eigentlich alles vorher“, sagt Mark Ehlers, „diejenigen, die sich am meisten gegen die Dimensionen des Skywalks gestemmt haben, finden ihn am Ende eher zu klein, zu kurz, nicht spektakulär genug.“ Damit will er nicht nachkarten, ganz im Gegenteil. Der Stimmungswandel zeigt ihm nur, dass eigentlich alles richtig gemacht worden ist. Mit dem Skywalk- - und mit dem Stakeholdermanagement, das so essenziell für dieses Vorhaben war. Wer heute über den Skywalk geht, sieht die Kreidefelsen erodieren. Aus der Vogelperspektive des Skywalks lässt sich erkennen, wie fragil der Übergang zum Königsstuhl geworden ist. Wie unrettbar schmal der Grat war, über den jährlich 300.000 Besucher gingen. Wie schroff es rechts und links des Treppenpfades hinabging in die Tiefe. Den Kampf gegen Verwitterung kann man am Königsstuhl nicht gewinnen. Dies liegt in der Natur der Kreidekliffe. Ohne ständige Erosion würde ihr Weiß einem unscheinbaren Grau weichen. Dass der Zugang zum Königsstuhl heute gesperrt ist- - diesen Preis fordert die Natur für das Naturerlebnis des Menschen ein. Das Projekt Skywalk gab der Natur ihren Lauf. Stattdessen rang es mit der öffentlichen Meinung.“ Wir haben uns über Jahre den Mund fusselig geredet“, entfährt es Mark Ehlers manchmal rückblickend. Doch es schwingt kaum Ärger mit, eher die Gewissheit, das Richtige getan zu haben. Was trieb ihn und sein Team an, diese Mühen auf sich zu nehmen? Sie sind bis in die Fasern überzeugte Naturschützer. Idealisten. Sie wollen Menschen gewinnen für die Natur. Das Erlebnis am Königsstuhl öffnet die Menschen emotional für dieses Anliegen, sagt Mark Ehlers. Für ihn ist diese emotionale Offenheit seiner Besucher etwas Kostbares. Fakten und Argumente vermögen kaum das zu erreichen, was solch ein Erlebnis kann: Besucher im Herzen berühren. Das Nationalpark-Zentrum, kaum 100 Meter entfernt vom Königsstuhl, lädt ein zu einer Ausstellung. Doch statt zu belehren, unterstützt sie diese Ausstellung dieses Erlebnis: durch großartige Bilder, Videos, eigens komponierte Musik. „Wir wollen den Menschen nahebringen, wie einzigartig, wertvoll und faszinierend die Natur ist“, sagt er. Hier schließt sich auch der Kreis zu den Romantikern wie dem Maler Caspar David Friedrich, die an der Kreideküste und am Königsstuhl die Natur für sich wiederentdeckten. All dies zeigt das Projekt Skywalk nochmals in einem anderen Licht: Der Skywalk bietet weit mehr als die herrliche Aussicht. Er bringt Menschen tief wieder mit dem in Verbindung, was unsere Lebensgrundlage ist. Das Wunder der Natur um uns herum.
