eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 35/3

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2024-0045
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2024
353 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

„Der Steg sollte möglichst filigran bleiben“

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Oliver Steeger
Der 2023 eröffnete Skywalk am Königsstuhl auf Rügen gilt als technische Meisterleitung. Ein Ingenieurteam hat ihn behutsam in ein empfindliches Naturschutzgebiet eingefügt und sicher im Kreidefelsen verankert. Im Interview erläutert Projektkoordinator Carsten Schwarzlose (BIG Städtebau GmbH) die Herausforderungen dieses ungewöhnlichen Projekts, die Vorteile enger Zusammenarbeit der an Planung und Bau beteiligten Partner – und weshalb er die Begriffe „touristisches Highlight“ und „Skywalk“ vermeiden möchte.
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10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0045 Projektkoordinator Carsten Schwarzlose über den Bau des Skywalks „Der Steg sollte möglichst filigran bleiben“ Oliver Steeger Der 2023 eröffnete Skywalk am Königsstuhl auf Rügen gilt als technische Meisterleitung. Ein Ingenieurteam hat ihn behutsam in ein empfindliches Naturschutzgebiet eingefügt und sicher im Kreidefelsen verankert. Im Interview erläutert Projektkoordinator Carsten Schwarzlose (BIG Städtebau GmbH) die Herausforderungen dieses ungewöhnlichen Projekts, die Vorteile enger Zusammenarbeit der an Planung und Bau beteiligten Partner-- und weshalb er die Begriffe „touristisches Highlight“ und „Skywalk“ vermeiden möchte. Der Skywalk am Königsstuhl gilt bei vielen als neues touristisches Highlight auf Rügen. Als Projektkoordinator hören Sie die Begriffe „Skywalk“ und „Highlight“ nicht so gerne. Weshalb? Carsten Schwarzlose: Meiner Ansicht nach können solche Begriffe das eigentliche Highlight verstecken- - nämlich den Königsstuhl und das Naturerlebnis selbst: das Kliff, die Buchenwälder und die Weite des Meeres. Der Nationalpark sollte das Ziel der Besucher sein. …-und der Skywalk nur ein Mittel zum Zweck? Ja. Als eine Brücke oder Steg zum Naturerlebnis. Wie verändert diese Brücke das Naturerlebnis? Er ermöglicht Blicke und Perspektiven, die es bisher nicht gab. Besucher können beispielsweise über der Schlucht stehen. Sie können seitlich auf die Klippen und auf den markanten Königsstuhl schauen-- was früher kaum möglich war. Das Planungsteam wollte aber kein Bauwerk inszenieren, das für sich wirkt und die Menschen anzieht. Es sollte möglichst filigran bleiben und sich dem Landschaftsbild unterordnen. Also den wunderbaren Blick nicht beeinträchtigen, den man vom Meer oder der Victoriasicht aus auf den Königsstuhl hat. Während der Bauphase sind wir häufig um die Baustelle herumgelaufen und haben immer wieder die verschiedenen Ansichten kontrolliert- - schon fast besorgt-ängstlich. Wie dominant würde das Bauwerk sein? Wie sehr würde man seinen Mast sehen? Im Sommer, wenn die Buchenwälder in vollem Laub stehen, ist das vielleicht kein Problem; der Steg verschwindet optisch. Die Sorge galt eher dem Winter, wenn das Laub den Steg nicht mehr verhüllt. An der Konzeption dieses Skywalks wurde lange gearbeitet. Was waren die Herausforderungen dabei? Eine Herausforderung war mit Sicherheit der Naturschutz und die naturschutzrechtlichen Auflagen. Für uns war es das erste Mal, dass wir in der Kernzone eines Nationalparks gebaut haben. Dies wird nur in sehr seltenen Ausnahmefällen erlaubt-- und dann nur unter sehr strengen Regeln. Zum einen gelten hier komplexe Genehmigungsverfahren. Zum anderen muss man im Naturpark sehr umsichtig vorgehen. Buchstäblich mit jedem Baum? Nicht nur mit jedem Baum, sondern auch ein Auge haben für die Details. Beispielsweise gab es während des Genehmigungsverfahrens Hinweise auf seltene Flechten an einem Baum. Wie bitte? Seltene Flechten? Die Flechten waren schützenswert-- und damit war auch der Baum gesondert zu schützen. Dies war zum Glück kein Problem für uns; der betreffende Baum wurde nicht beeinträchtigt. Doch dieses Beispiel zeigt die erforderliche Sensibilität Reportage | „Der Steg sollte möglichst filigran bleiben“ 11 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0045 mit allem, was mit Natur zusammenhängt. Diese hohe Sensibilität war auch für uns nicht alltäglich. Wie haben sich die Belange des Naturschutzes auf Ihr Projekt ausgewirkt? Beispielsweise haben wir während des Planungsprozesses aus Gründen des Naturschutzes die Lage des Stegs komplett verändert. Wir haben ihn gedreht und neu ausgerichtet-- was übrigens auch den Blick auf die Kreidefelsen verbessert hat. Am Ende haben wir nur einen Baum herausgenommen, der ohnehin am Ende seiner Lebensdauer war. Einige andere Bäume und Gehölze wurden ausgeästet oder behutsam zurückgeschnitten. Fiel es Ihnen schwer, in solch einem sensiblen Bereich zu bauen? Der Naturschutz bringt einerseits einen hohen Anspruch mit sich. Man muss aufpassen, mitdenken und sehr umsichtig vorgehen. Andererseits bringt der Schutz auch Vorteile mit sich. Naturschützer und Umweltexperten hatten das Areal zuvor mehrfach begutachtet. Alles war untersucht und dokumentiert. Beispielsweise kannten wir den Vitalzustand jedes einzelnen Baums. Wir wussten also, was dort wächst und was wie zu schützen ist. Dies macht wiederum Planung und Bau einfacher. Neben dem Naturschutz-- welche Herausforderungen gab es für Ihr Projekt? Eine Herausforderung für uns war mit Sicherheit der hohe Besucherandrang am Königsstuhl, besonders zur Hochsaison im Sommer. Die Umgebung des Königsstuhls ist, wie gesagt, streng geschützt. Am Königsstuhl selbst befindet sich das Naturpark-Zentrum auf einer Erholungsfläche. Ein recht begrenzter Raum für viele tausend Besucher am Tag-… Ja. Und diese Zone musste nun auch die Baustelle aufnehmen. Wir hatten die Besucher gefahrlos um unsere Baustelle herumzuleiten. Und dann war natürlich eine weitere Frage: Wie würden die Besucher mit einer Baustelle am Königsstuhl umgehen? Die Baustelle für den Steg war ja nicht nur groß, sondern vielleicht auch nicht so sauber, wie dies von einem touristischen Highlight vielleicht erwartet wird. Besonders bei den Gründungsarbeiten kaum es auch einmal zu Dreck. Die Menschen wollen intensiv Natur erleben-- und treffen auf eine Baustelle-… Das ist genau der Punkt. Natürlich wurde die Baustelle vorab der Öffentlichkeit mitgeteilt. Nur sehr wenige Gäste waren unvorbereitet. Und? Zu unserem Erstaunen haben sich viele Besucher für die Baustelle sogar interessiert-- für die Technik und für das entstehende Bauwerk selbst mit den verschiedenen Zwischenbauzuständen. Das Nationalparkzentrum hat Baustellenführungen organisiert. Auch hat es in einem Info-Container über die Bauarbeiten informiert; dort gab es eine Visualisierung des Steges, und man konnte ihn sogar virtuell begehen. Das Nationalparkzentrum hat es verstanden, Vorfreude auf den Steg zu wecken. Das, was den Königsstuhl zu einem Publikumsmagneten macht, ist auch der weiße Kreidefelsen des Kliffs. So faszinierend der Kreidefelsen ausschaut-- unter Bauingenieuren gilt er als äußerst heikler Baugrund. Kreidefelsen ist sehr weich-… Langsam! Das stimmt so nicht. Kreide kann sehr hart sein, wenn sie trocken ist. Bei Bauarbeiten im benachbarten Stadthafen haben wir teils Rammwerkzeuge wechseln müssen, weil wir die Spundbohlen nicht in den Baugrund hineintreiben konnten. Die Kreide war wie massiver Fels. Das ändert sich aber schlagartig, wenn sie mit Wasser in Berührung kommt. Aha? Dann wird sie weich, wie Sie eben sagten. Dies kann man an den Kreidekliffs gut beobachten. Es kommt immer wieder zu Abbrüchen. Dann können mehrere hundert Kubikmeter Kreidefelsen ins Meer rutschen. Im Wasser sind diese abgerutschten Gesteinsmassen schnell abgetragen, oft in kürzester Zeit. Sie bröseln auseinander? Ja. Und durch das Auflösen des Gesteins entsteht übrigens auch der milchig-grüne Effekt, den man im Meer dann beobachten kann. Es dauert nicht lange, bis die Kreide komplett verschwunden ist. Diese Tendenz zur natürlichen Erosion hat letztlich auch am Königsstuhl genagt, an dem markant vorstehenden Kliff. Wasser und Wetter tragen dazu bei, dass immer wieder Felsmassen sich lösen. Aus diesem Grund musste die Aussichtsplattform auf dem Felsen geschlossen werden. Der Skywalk hat die Aussichtsplattform ersetzt. Zur Präzisierung ein Detail: Der Königsstuhl selbst ist recht stabil, aber der Zugang zu dem markant vorstehenden Kliff wurde immer schmaler. Eine Engstelle, die von rund 300.000 Besuchern jährlich passiert wird. Diesen Zugang hätte man in absehbarer Zeit sperren müssen. Nochmals zu dem schwierigen Baugrund. Was hat er für Ihr Projekt bedeutet? Eine Anforderung an den Steg ist Nachhaltigkeit. Dies heißt, dass das Bauwerk mindestens für 100 Jahre genutzt werden kann. Wir mussten das Bauwerk also so gründen, dass es für diesen Zeitraum sicher verankert ist. Eine Problemzone bei dem Kliff ist der Bereich der Kante, also der vordere Bereich der Felsen, die offen zum Meer sind. Sie haben eben beschrieben, dass sich häufig größere Gesteinsmengen lösen und abrutschen. Das Kliff weicht immer weiter zurück. Besonders der vordere Bereich ist ohnehin sehr angegriffen und weich. Dort konnte man beispielsweise nicht das Fundament für den Skywalk legen. Das ist richtig. Wir konnten und wollten diesen vorderen Teil des Kliffs nicht durch unser Bauwerk belasten. Der Steg musste quasi über der Kante schweben. Das ist eine geostatische und bautechnische Herausforderung. Reportage | „Der Steg sollte möglichst filigran bleiben“ 12 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0045 Der Skywalk reicht ein gutes Stück weit über das Kliff hinaus. Dort, wo er schwebt, wird er von Seilen gehalten. Wo ist das Bauwerk gegründet-- und wo wird sein Gewicht gehalten? Der Steg wird von einem Zentralfundament und einem Mast mit rückverankerten Stahlseilen gehalten. Das Gewicht wird dadurch weit nach hinten geleitet. Wir wissen, dass der Kreidefelsen rund dreißig Meter hinter der Kliffkante auf lange Sicht stabil ist. Also weit hinten, im Binnenland wird das Gewicht des Skywalk gehalten? Ja. Zudem tragen wir die Gewichtslasten sehr tief in den Boden ab. Die Gründungspfähle reichen bis zu 50 Meter tief in den Kreidefelsen, die Anker der Rückverspannungen bis zu 25 Meter. Dieses Konzept der Baugrund Stralsund GmbH ergibt zusätzliche Sicherheit; der rechnerische Gleitkreis, also der theoretische Abbruchkörper des Kliffs, wird nicht belastet. Der Skywalk ist ein sehr filigranes Stahlgebilde. Wer sich auf ihm aufhält, merkt, dass er schwingt. Nicht stark, doch wahrnehmbar. Die Stahlkonstruktion scheint überraschend elastisch zu sein. Jeder Metallkörper ist in gewisser Weise elastisch. Das ist völlig in Ordnung. Natürlich kann man solch einen Steg versteifen durch zusätzliches Material. Aber dies hätte den Steg deutlich voluminöser gemacht- - was das von der sbp gmbH angeführte Planungsteam nicht wollte. So haben wir versucht, eine Schnittmenge zu finden zwischen einer möglichst filigranen Gestaltung der Brücke selbst und einer ausreichenden Steifheit, sodass sich die Besucher auf ihm wohlfühlen. Das Schwingen, das manche Besucher spüren, ist also ein kleiner Preis für das zarte Erscheinungsbild der Konstruktion? Ja, ein guter Kompromiss, wie wir finden. Diesen Kompromiss zu finden hat Sie Mühe und einigen Aufwand gekostet. Sie haben sogar verschiedene Modelle für den Skywalk im Windkanal getestet-… Richtig. Je nach Wetter wirkt der Wind auf das Bauwerk und lässt es schwingen. Dies hängt übrigens nicht nur mit der Windstärke zusammen. Da spielen die gesamten Strömungsverhältnisse an der Steilküste eine Rolle. Starker Wind gleich starke Schwingung-- diese Gleichung geht nicht auf? Nein, häufig nicht. Manchmal kann der Steg auch bei schwachem Wind deutlich schwingen-- abhängig davon, woher der Wind gerade kommt. Ich habe Wetterlagen erlebt, da gleicht der Gang über die Brücke ein wenig einer Bootsfahrt. Es entstehen leicht kreisende Bewegungen, die sich aber schnell wieder einfangen. Die Windsituation am Kliff ist erstaunlich komplex. So können beispielsweise Aufwinde entstehen. Dann kommt der Wind von unten an der Küste hinauf. Und manchmal steht man auf dem Königsstuhl wie im Auge des Orkans: Drumherum stürmt es; man sieht sogar kleine Kreidebröckchen fliegen. Doch man selbst spürt kaum etwas von dem starken Wind. Für unser Projekt hieß dies: Wir mussten die Besonderheiten dieser exponierten Lage rechnerisch und experimentell erfassen und Ableitungen für die Konstruktion entwickeln. Und dies galt dann auch noch für Zwischenbauzustände während der Montage. Wie sind Sie generell an die Planung dieses Projekt herangegangen? Am Anfang stand eine Machbarkeitsstudie. Damit ist das Projekt gestartet. In dieser frühen Phase sind wir als Projektkoordinatoren dazugekommen. Unter der Regie des Planungsbüros entstanden dann verschiedene Ideen und Formen für den Steg. Wir haben uns an die jetzige Form schrittweise herangetastet. Eine der Planungsalternativen für den Skywalk soll mehr eine Zick-Zack-Form gehabt haben als die jetzt schmale, leicht ovale-… Das stimmt. Man hat mit Ideen gespielt- - und auch mit der Lage des Stegs. Doch wir sind dann relativ schnell zu dem Schluss gekommen, dass die heutige, länglich-ovale Form ideal ist-- zumal sie einen Rundweg erlaubt und dadurch auch eine hohe Kapazität hat und auch großen Besucherzahlen das Naturerlebnis bietet. Dieses Konzept für den Steg, das schon sehr nahe am heutigen Bauwerk war, hatte allerdings eine andere Lage für die Brücke vorgesehen. Die Idee war damals, ihn eher über dem Königsstuhl als seitlich von ihm zu positionieren. Was sprach gegen diese Lage? Ein Veto der Weltkulturerbe-Behörde kam: Ihr Einwand war, dass wir mit Teilen der Verankerung des Stegs die Kernzone des Naturparks tangiert hätten. Wir hatten mithilfe des Nationalparkzentrums die für uns zuständigen Behörden und auch viele andere Organisationen und Verbände sehr früh eingebunden. So hatten wir früh die Chance, die geplante Lage des Steges zu präzisieren und aus der Kernzone herauszuhalten. Später gab es nochmals Erörterungen über die Länge der Brücke. Ursprünglich sollte der Steg bis zur Spitze des Königsstuhls gehen. Wir sind aber zu der Erkenntnis gekommen, dass der direkte Blick auf den Königsstuhl nicht das zentrale Erlebnis ist. Für das Naturerlebnis hätte ein längerer Steg keinen zusätzlichen Gewinn gebracht. Wie viele Partner waren an der Planung beteiligt? Einige! Wir hatten bei der Planung ein Ingenieurbüro für die Konstruktion und für ingenieurtechnische Fragen sowie einen Sachverständigen für den schwierigen Baugrund. Hinzu kamen Prüfstatiker, Vermesser- - und dann natürlich die ausführenden Unternehmen, die wiederum ihre Koordinatoren, Planer und Sachverständigen hatten. Diese Planungsstäbe haben dann sehr intensiv zusammengearbeitet. Intensiv zusammengearbeitet-- wie darf ich mir dies genau vorstellen? Das Bauwerk ist hinsichtlich Konstruktion und insbesondere der Lage kompliziert. Das wussten alle Beteiligten. Mit dem Vorschlag des Baubetriebes, mit einem Horizontalvorschub eine abweichende Herstellungstechnologie anzuwenden, haben wir die herkömmliche Weise, nämlich die Fortschreibung und Präzisierung des Bauentwurfes bis zu Umsetzung modifiziert-… Reportage | „Der Steg sollte möglichst filigran bleiben“ 13 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0045 Vereinfacht gesagt: Am Anfang plant der Architekt und reicht seine Pläne an Ingenieure weiter. Sie planen wiederum Details und reichen diese Pläne an das bauausführende Unternehmen weiter. So gehen die Pläne von Station zu Station. Doch es kann sinnvoller sein, dass alle Beteiligte möglichst von Anfang an gemeinsam zu planen. Vom Architekten bis zum Ausführenden-- jeder bringt seine Perspektive und Expertisen ein. Genau darum geht es. Mit Beauftragung des Unternehmens begann eine gemeinsame Planungsphase aller Beteiligten in der die Detaillösungen und Vorschubtechnologie weiterentwickelt worden sind. Davon hat das Projekt sehr profitiert. Was meint Vorschubtechnologie genau? Es gibt mehrere Möglichkeiten, solch einen Steg in diese schwebende Lage zu bringen. Entweder baut man den Steg senkrecht, quasi wie ein Turm. Dann klappt man ihn nach vorne. Man bringt ihn dabei von der Vertikalen in die Horizontale. Die fertige Konstruktion wird wie eine Zugbrücke herabgelassen-… Genau! Bei der anderen Vorgehensweise-- der Vorschubtechnologie-- baut man den Steg waagerecht und schiebt ihn nach vorne. Dabei gibt es komplizierte Details zu lösen, wie beispielsweise die Passage des Mastes, der die Brücke hält. So, wie man beispielsweise ein Lineal über die Tischkante hinausschiebt? Ja. Wir hatten anfangs geplant, den Steg auf dem Plateau des Nationalparkzentrums 80 Meter in die Höhe zu bauen und dann nach vorne abzuklappen. Das Stahlbauunternehmen hat als Alternative die Vorschubtechnologie ins Gespräch gebracht: Der Steg wird im Hinterland des Kliffs montiert und dann auf Gleitschienen stückweise nach vorne geschoben. Dies hat einige Vorteile. Beispielsweise verzichtet man auf ein nur einmalig genutztes Gelenk und man kann die Brücke nahezu komplett vormontieren und konservieren. Und die Nachteile? Nachteile sind der größere Platzbedarf und komplexe temporäre Aussteifungen. Hinzu kommt ein sehr definierter Vorschubvorgang mit abschließender Absenkung auf die Sollhöhe. Diese Probleme wurden von den Planungsteams von Bauherr und Auftragnehmer gemeinsam gelöst. Die feierliche Eröffnung des Skywalks im April 2023. Foto: Nationalpark-Zentrum KÖNIGSSTUHL / Mirko Boy Grundlagen- und Vertiefungswissen für Mitarbeitende aller Branchen mit Praxisbeispielen und Anwendungsfällen aus der Versicherungsbranche Individuelle Wünsche? Gerne entwickeln wir gemeinsam mit Ihnen die für Sie, Ihr Unternehmen und Ihre Branche passende Weiterbildung. versicherungsakademie. de Qualifizierung im Bereich Projekt- und Prozessmanagement Anzeige Reportage | „Der Steg sollte möglichst filigran bleiben“ 14 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0045 Die einzigen, die solch eine enge, frühe Zusammenarbeit beim Bau nicht gerne sehen, sind ausgerechnet Juristen. Ein Jurist würde sagen: Lasst die Finger von diesem im Bauwesen unüblichen Weg der Planung. Wenn es hinterher Streit gibt, wird es schwierig, die Verantwortlichkeiten auseinanderzuhalten. Und dies macht mögliche juristische Auseinandersetzungen später komplizierter? Möglicherweise! Wir halten dem aber entgegen, dass die konstruktive Zusammenarbeit der Sache wegen wichtiger ist als juristische Vorsichtsmaßnahmen. Ich persönlich bin überzeugt, dass Bauen eine Gemeinschaftsaufgabe ist und dies, wenn die Beteiligten zur engen Zusammenarbeit bereit sind, ein gangbarer Weg ist. Dieses Prinzip hat sich zumindest bei unserem Projekt gut bewährt. Die an dem Projekt beteiligten Planungsbüros, Stahlbauer und Sachverständigen haben eine lange Liste erfolgreicher Projekte. Dennoch handelte es sich für alle bei dem Skywalk um ein besonderes Projekt, ein Ausnahmeprojekt. Allen war bewusst, dass wir hier nichts von der Stange bauen. Es handelte sich um ein Unikat an einer besonderen Stelle-… …-weil dieser besondere Ort auch ein Sehnsuchtsort der Deutschen und ein Wahrzeichen von Rügen ist? Ja, natürlich. Das am Steg beteiligte Unternehmen und wichtige Zulieferer kamen aus der Region. Es hat Vorteile, wenn man Kenntnisse der Region hat- - wobei dies natürlich auch eine gewisse Verpflichtung mit sich bringt: Die Augen der Region sind auf die Firmen gerichtet. Ihr Projekt war in der Öffentlichkeit nicht unumstritten. Es gab Protest. Sogar Bürgerbewegungen haben sich gegründet mit dem Ziel, den Skywalk zu verhindern. Haben Sie diesen sozialen Gegenwind im Projekt gespürt? Es gab anfänglich Widerstand. Er war allerdings mit einer anderen Problematik vermischt worden, nämlich einem gewünschten Abstieg vom Steilufer hinab zum Meer. Der größte Teil der Diskussion in der Öffentlichkeit hat bereits in der Planungsphase vor der Ausschreibung und den eigentlichen Bauarbeiten stattgefunden. Wir haben diese Bürgerveranstaltungen mit technischen Erläuterungen unterstützt. Den weit überwiegenden Teil der Öffentlichkeitsarbeit hat das Nationalparkzentrum übernommen. Insgesamt haben wir wahrgenommen, dass offene Kommunikation und Information über die Projektziele und die Herangehensweise bei den meisten Menschen Interesse und Zustimmung für den Steg in seiner jetzigen Ausführung generiert hat. Carsten Schwarzlose Carsten Schwarzlose, Jahrgang 1969, leitet seit 2018 das Regionalbüro Stralsund der BIG Städtebau GmbH. Die BIG Städtebau, ein Unternehmen der BIG-BAU, ist einer der Marktführer im Bereich der Stadtentwicklung. Sie berät Städte und Gemeinden bei allen Fragen der zeitgemäßen Stadt- und Quartiersentwicklung. Dabei verbinden wir städtebauliches und förderrechtliches Fachwissen mit hoher städtebaulicher, architektonischer und immobilienwirtschaftlicher Kompetenz und gewährleisten so den Prozess von der strategischen Konzeptionierung bis hin zur baulichen Realisierung. Carsten Schwarzlose absolvierte die Bauhausuniversität Weimar und schloss dieses Studium mit dem akademischen Grad des Dipl.-Ing. Bauwesen ab. Nach Zwischenstationen in verschiedenen Ingenieurbüros ist er seit 2002 in Sanierungs- und Infrastrukturprojekte verschiedener Kommunen, welche durch die BIG Städtebau GmbH betreut werden, involviert. Ich möchte nochmals auf einen Punkt zu sprechen kommen, den wir eingangs erwähnt haben. Sie haben in einem Naturpark gebaut. Strikte Naturschützer halten daran fest, dass man in einem Naturpark grundsätzlich nicht bauen darf. Sie halten entgegen, dass der Skywalk dem Naturschutz dienen kann. Sie sehen ihn eingebettet in ein Gesamtkonzept, das bereits vor 30 Jahren beschlossen worden ist. Vor dreißig Jahren hat man beschlossen, das Nationalparkzentrum nicht an den Rand des Naturparks zu bauen, sondern mittendrin. Und zwar direkt am Königsstuhl. Dort ist es möglich, interessierte Besucher direkt zu erreichen: An diesem Sehnsuchtsort kann man viele Menschen für den Naturschutz sensibilisieren. Hinter dem Konzept des Nationalparkzentrums steht letztlich auch ein Bildungsauftrag. Dieser Auftrag wird durch den Steg und damit durch den Erhalt der Zugänglichkeit des Königsstuhls verstetigt und wesentlich unterstützt. Damit dient er letztlich gerade an diesem Ort dem Schutz unserer Natur. Dies belegen die stabilen Besucherzahlen und begeisterte Gästebucheinträge im Nationalparkzentrum. Eingangsabbildung: Der Skywalk aus der Vogelperspektive. Foto: Nationalpark-Zentrum KÖNIGSSTUHL / Timm Allrich