PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2024-0049
71
2024
353
GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Theory of Constraints zur Optimierung des Multiprojektmanagements
71
2024
Föproam Oldenburg-Tietjen
Rüdiger Krehbiel
Im spezifischen Unternehmenskontext adressiert das Forschungsprojekt die Notwendigkeit, das Multiprojektmanagement so zu optimieren, dass es die Unternehmensphilosophie unterstützt. Pepper verfolgt das Ziel, durch innovative Technologie und nachhaltiges Handeln einen Beitrag zur emissionsfreien Mobilität zu leisten. Die Herausforderung besteht darin, das Multiprojektmanagement so auszurichten, dass es nicht nur die effiziente Umsetzung von Projekten in den Bereichen Nutzfahrzeuge, Personenbeförderung und Gütertransport gewährleistet, sondern auch den Idealen von Nachhaltigkeit, Klimaneutralität und Energieeffizienz treu bleibt. Durch die Integration der Theory of Constraints in das Multiprojektmanagement soll erforscht werden, wie Pepper seine Projekte effektiver priorisieren, Ressourcen optimal zuweisen und dabei seine visionären Ziele verfolgen kann.
pm3530035
35 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0049 Optimierung des Projektportfolios in mittelständischen Unternehmen durch effektives Multiprojektmanagement Theory of Constraints zur Optimierung des Multiprojektmanagements Florian Oldenburg-Tietjen, Rüdiger Krehbiel Für eilige Leser | Im spezifischen Unternehmenskontext adressiert das Forschungsprojekt die Notwendigkeit, das Multiprojektmanagement so zu optimieren, dass es die Unternehmensphilosophie unterstützt. Pepper verfolgt das Ziel, durch innovative Technologie und nachhaltiges Handeln einen Beitrag zur emissionsfreien Mobilität zu leisten. Die Herausforderung besteht darin, das Multiprojektmanagement so auszurichten, dass es nicht nur die effiziente Umsetzung von Projekten in den Bereichen Nutzfahrzeuge, Personenbeförderung und Gütertransport gewährleistet, sondern auch den Idealen von Nachhaltigkeit, Klimaneutralität und Energieeffizienz treu bleibt. Durch die Integration der Theory of Constraints in das Multiprojektmanagement soll erforscht werden, wie Pepper seine Projekte effektiver priorisieren, Ressourcen optimal zuweisen und dabei seine visionären Ziele verfolgen kann. Schlagwörter | Multiprojektmanagement, Theory of Constraints, Changemanagement, Engpassmanagement, Thinking Process, Ressourcenmanagement, Transparenz in Projektorganisationen, Lean Management und Six Sigma 1. Einleitung und Forschungsaufriss Die 2019 gegründete pepper motion GmbH (im Folgenden kurz „Pepper“), ein technologieorientiertes Unternehmen im Automobilsektor mit eigener Produktpalette, beschäftigt rund 140 Mitarbeitende an vier Standorten. Sie kämpft mit Herausforderungen in der Projektorganisation, erkennbar an fünf Problemen: Zunahme parallel laufender Projekte, sich wandelnde Anforderungen, unklare Personalzuweisungen, häufiges Verfehlen von Zeit-, Kosten- und Qualitätszielen sowie Entwicklungsbedarf in Systementwicklung, Anforderungs- und Testmanagement. Das untersuchte komplexe Managementproblem ist eine teilweise dysfunktionale, ineffiziente Multiprojektorganisation. Diese Unzulänglichkeit verursacht, dass Projekte weder termingerecht noch innerhalb des geplanten Budgets und Leistungsrahmens abgeschlossen werden. 2. Untersuchungsmethode Für die Analyse der Multiprojektorganisation bei Pepper wurde die aus der Theory of Constraints (auch Engpasstheorie) stammende Methodik des Thinking Process (Denkwerkzeuge) eingesetzt. Diese Methodik wurde speziell für Pepper durch eine Kombination aus Experteninterviews und Workshops weiterentwickelt und auf den Unternehmenskontext angepasst. [1] Diese Methode zielt speziell auf das Lösen komplexer Probleme in Organisationen ab, indem sie Systeme ganzheitlich betrachtet und als zentrales Element einen Engpass (Constraint) identifiziert, dessen Optimierung das Hauptziel ist. [2] Die daraus entwickelten Denkwerkzeuge analysieren das Systemziel (Goal) um den Hauptengpass und unterstützen bei der Planung notwendiger Veränderungen, basierend auf dem Ursache-Wirkungs-Prinzip.[3] Die auf dieser Basis erstellten Logikbäume führen durch eine komplette Analyse bis zur Maßnahmenplanung. [4, S. 748] Abb. 1 stellt die Kernelemente dar. [5] Wissen | Theory of Constraints zur Optimierung des Multiprojektmanagements 36 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0049 3. Zieldefinition und Ist-Zustand Die Intermediate Objectives Map definiert den Standard, die Referenzwerte und die Existenzberechtigung des vorbeschriebenen Systems. Sie listet alle zum Funktionieren des Systems mindestens notwendigen Voraussetzungen auf und verknüpft sie logisch miteinander. An ihrer Spitze steht das oberste Ziel des Systems, dem alle späteren Verbesserungsbemühungen dienen müssen. [6, S. 100] Die Erstellung einer Intermediate Objectives Map erfolgt in fünf Schritten [6, S. 108-118]: 1. Festlegung des Ziels des Systems (Goal). 2. Bestimmung der drei bis fünf kritischen Erfolgsfaktoren (Critical Success Factors). 3. Bestimmung der notwendigen Bedingungen (Necessary Conditions). 4. Verknüpfung der Objekte durch Pfeile. 5. Prüfung der Verbindungen durch informierte Dritte. Die Intermediate Objectives Map der hier untersuchten Multiprojektorganisation umfasst ein Goal, drei Critical Success Factors und neun Necessary Conditions (vgl. Abb. 2). An diese Zieldefinition schließt sich die Ist-Analyse in Form des Current Reality Tree an. Der Current Reality Tree konzentriert sich auf das Aufzeigen der negativen Abweichungen von dem in der Intermediate Objectives Map skizzierten Zielbild. Er bildet also nur den negativen Teil der Realität ab und zeichnet kein komplettes Bild. [7, S. 276] Ein Current Reality Tree (vgl. Abb. 3) ist ein Analysewerkzeug, das innerhalb der Theory of Constraints verwendet wird, um systemische Probleme in einer Organisation zu identifizieren und zu verstehen. Er visualisiert die Verknüpfungen zwischen verschiedenen Problemen (Undesirable Effects) und deren Ursachen in einer logischen Struktur. [7, S. 276] Durch die Analyse dieser Ursachen (Root Causes) können die tief liegenden Probleme, die zu negativen Effekten führen, aufgedeckt und adressiert werden. Ziel ist es, durch das Logikbaum Startpunkt Ergebnis Intermediate Objectives Map (Karte der Zwischenziele) Das Ziel des Systems Ein Set an minimalen Anforderungen Current Reality Tree (Gegenwartsbaum) Ein Set unerwünschter Symptome Der Kern des Problems (=-der Engpass) Evaporating Cloud (Dilemma-/ Konflikt-Wolke) Der Konflikt hinter dem Engpass Eine Win-Win Lösung Future Reality Tree (Zukunftsbaum) Ein Lösungsvorschlag Notwendige Veränderungen, die die Lösung umsetzen und gleichzeitig neue Probleme vermeiden Abbildung 1: Übersicht der Logikbäume Abbildung 2: Intermediate Objectives Map Wissen | Theory of Constraints zur Optimierung des Multiprojektmanagements 37 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0049 Verständnis dieser Kausalzusammenhänge effektive Lösungsstrategien zu entwickeln, die das System verbessern. [8, S. 7] Elemente des Current Reality Tree [hierzu und nachfolgend 6, S. 154-230]: • Undesirable Effects: Beobachtbare, negative Zustände oder Ereignisse innerhalb des Systems, die als unerwünscht gelten. Sie bilden die Ausgangspunkte der Analyse. • Preconditions: Unveränderliche Bedingungen oder Voraussetzungen, die für das Auftreten spezifischer Undesirable Effects notwendig sind. • Root Causes: Grundlegende Ursachen für die Mehrheit der Undesirable Effects. Technisch gesehen haben Root Causes ausschließlich ausgehende Pfeile, da sie andere Elemente im Tree beeinflussen, aber selbst von keinem anderen direkten Einfluss im Tree abhängen. Nach der Analyse der bestehenden Probleme und Herausforderungen mit dem Current Reality Tree, der die Ursachen und ihre Verknüpfungen innerhalb des Systems aufzeigt, bietet die Evaporating Cloud eine natürliche Fortsetzung des Prozesses. Während der Current Reality Tree hilft, die tief liegenden Wurzeln der Probleme zu identifizieren, setzt die Evaporating Cloud an diesen Erkenntnissen an, um die daraus resultierenden Konflikte zu adressieren. Sie dient dazu, die in den Analysen des Current Reality Tree gefundenen Dilemmata und die dahinterstehenden Annahmen weiter zu erforschen und kreative Lösungsansätze zu entwickeln. Die Struktur der Evaporating Cloud (vgl. Abb. 4) umfasst ein Ziel (Objective), zwei Anforderungen (Requirements), zwei Voraussetzungen (Prerequisites), Annahmen (Assumptions), Eingriffe (Injections) und Verbindungspfeile (Arrows). Die Darstellung ist horizontal angeordnet und wird entgegen der Pfeilrichtung von links nach rechts gelesen: Um das Ziel zu erreichen, müssen bestimmte Anforderungen erfüllt sein, die auf bestimmten Voraussetzungen basieren, welche wiederum durch bestimmte Annahmen begründet sind. [6, S. 207-230; 9, S. 2] Die Anwendung des Current Reality Tree und der Evaporating Cloud erwies sich trotz ihres hohen Zeitbedarfs als effektiv für das Change Management bei Pepper. Diese Methoden stimulierten engagierte Diskussionen und etablierten eine einheitliche Grundlage für das Projektmanagementteam. Dies trug entscheidend zur Entwicklung einer klaren Vision und einer positiven Haltung gegenüber den erforderlichen Veränderungen bei. 4. Der Soll-Zustand: Was soll geändert werden? Nachdem der Current Reality Tree und die Evaporating Cloud den Ist-Zustand des Multiprojektmanagements bei Pepper aufgezeigt und analysiert haben, liegt der nächste Schritt in der Entwicklung eines Soll-Zustands. Dieser wird definieren, welche Änderungen notwendig sind, um die identifizierten Probleme zu adressieren und die Projektorganisation effektiv zu verbessern. Der Future Reality Tree (vgl. Abb. 5) ist ein Planungswerkzeug, das bevorstehende Veränderungsprozesse simuliert und deren Umsetzbarkeit prüft. Er basiert auf der Logik des Abbildung 3: Ausschnitt des Current Reality Tree Wissen | Theory of Constraints zur Optimierung des Multiprojektmanagements 38 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0049 Current Reality Tree, erweitert diese jedoch um wünschenswerte Zustände (Desirable Effects) und aus der Evaporating Cloud bekannte Eingriffe (Injections). [2, S. 34-41; 6, S. 243-261] Zur Erstellung eines Future Reality Tree werden zunächst die Desirable Effects als positiv formulierte Aussagen festgelegt. Anschließend fügt man Injections hinzu, die mit der vorhandenen Logik verbunden werden, um die gewünschten Zustände zu erzeugen und die Desirable Effects zu realisieren. Es wird dabei sorgfältig darauf geachtet, dass die Injections keine unerwünschten Nebeneffekte produzieren. [10, S. 33] Im Soll-Zustand von Pepper eliminieren vierzehn Injections die im Current Reality Tree identifizierten negativen Abweichungen und verbessern die Steuerungsfähigkeit einer Multiprojektorganisation. Die Analyse identifizierte Intransparenz und defizitäre Ressourcensteuerung als zentrale Problembereiche innerhalb der untersuchten Einheit. Diese Aspekte sind gleichzeitig entscheidend für die Effektivität des Multiprojektmanagements, welches als zyklischer Prozess aus Projektauswahl, Priorisierung, Planung, Ressourcenzuweisung, Realisierung, Controlling und Repetition definiert wird. [11, S. 36] 5. Veränderung realisieren: How to change? Der letzte Schritt verwandelt die im Future Reality Tree definierten Injections in konkrete Umsetzungsmaßnahmen. Diese Injections werden zeitlich und logisch sequenziert, um eine systematische Realisierung zu ermöglichen. Abweichend vom Thinking Process verzichtet dieser Abschnitt auf die Erstellung von Prerequisite Trees, da sie wenig zusätzlichen inhaltlichen Mehrwert bieten. Komplexe Prozesse werden stattdessen durch anschauliche Grafiken dargestellt. 5.1 Umsetzungsphase 1: Einheitliche Informationsstruktur Zu Beginn der Forschungsarbeit gab es beim Untersuchungsobjekt verschiedene Tools und Systeme, die ähnliche Informationen speichern. Nach Einführung dieser Maßnahme nutzen alle Projekte einheitliche Tools und Ablagesysteme, was das Risiko mangelnder Datenintegrität verringert. Die wichtigsten Punkte sind [hierzu und nachfolgend 12, S. 205-249; 13, S. 174-271]: • Projektübersicht: Ein separater Bereich im Intranet für jedes Projekt sammelt alle relevanten Informationen, zugänglich für das gesamte Unternehmen. • Dateiablage: Es existiert für jedes Projekt eine spezifische Ablage, deren Struktur von der Projektleitung vorgegeben wird (z. B. MS SharePoint). • Projektplan: Der Projektplan wird dargestellt, genutzt von Teamleitungen zur Ressourcenzuweisung und Überwachung des Fortschritts (z. B. Jira). Projektcharta Vor Projektbeginn müssen Ziel und Umfang in einer Projektcharta definiert werden. Zukünftig ist die Charta auf eine Seite beschränkt und zentral abgelegt, um jederzeit als klare Arbeitsgrundlage zu dienen. Die Erstellung erfolgt durch den Projektleiter in einem Stakeholdermeeting. Änderungsmanagement Der Projektleiter verwaltet Änderungen am vereinbarten Projektumfang aktiv. Änderungswünsche werden gesammelt, analysiert und dem Steering Committee (Lenkungsausschuss) zur Entscheidung vorgelegt. Das Steering Committee setzt sich aus dem Topmanagement, ausgewählten Führungskräften sowie Fachexpertinnen und Fachexperten zusammen. Diese Gruppe ist verantwortlich für strategische Abbildung 4: Aufgelöste Evaporating Cloud „Flexibilität vs. Konstanz“ Wissen | Theory of Constraints zur Optimierung des Multiprojektmanagements 39 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0049 Entscheidungen bezüglich des Projektportfolios, einschließlich der Priorisierung potenzieller Projekte, der Entscheidung über den Abbruch von Projekten und der Abstimmung über Änderungsanträge. Der Prozess wird softwareseitig abgebildet und durchläuft mehrere Status von der Erstellung bis zum Abschluss (z. B. in Jira). [14, S. 208-217] Projektplan Der Projektplan wird so gestaltet, dass er den maximalen Nutzen für das Unternehmen bringt und übersichtlich bleibt. Wichtige Aspekte sind die späte Startzeit von Vorgängen, das Vermeiden von Ressourcenkonflikten und die klare Darstellung aller Projektabhängigkeiten. Kommunikationsfluss Die Kommunikation ist entscheidend für den Projekterfolg. Die Projektleitung nutzt eine softwaregestützte Plattform für Chat, Besprechungen sowie Notizen und stellt sicher, dass alle Informationen aktuell und zugänglich sind. [15, S. 33-41] Regelmäßige Meetings und spezielle Eskalationswege, wie in Abb. 6 exemplarisch dargelegt, sorgen dafür, dass alle Beteiligten informiert bleiben und schnell auf Veränderungen reagieren können. [7, S. 76] Nach der Herstellung von Transparenz in der Projektlandschaft kann die Ressourcensteuerung umgesetzt werden. 5.2 Umsetzungsphase 2: Ressourcensteuerung Die Implementierung der Ressourcensteuerung folgt der initialen Schaffung von Transparenz in der gesamten Projektlandschaft. Diese Phase erfordert die Einführung von spezifischen Maßnahmen, den Injections aus dem Future Reality Tree in Abbildung 5, die zwei separate Prioritätensysteme in der Organisation etablieren. Das erste System wird eingesetzt, die Starts von Projekten basierend auf strategischen Diskussionen mit dem Topmanagement zu priorisieren. Das zweite System ordnet die Bearbeitungsreihenfolge von Einzelaufgaben innerhalb der laufenden Projekte. Es dient insbesondere dem Ressourcenmanagement und adressiert die Frage, welcher Projektaufgabe die nächste verfügbare Ressource zugewiesen werden soll. [16,17] Ergänzend dazu tragen die Injections zur signifikanten Erhöhung der Flexibilität der Projektlandschaft bei, indem sie größere Projekte in kleinere Einheiten aufteilen und diese zu Produktentwicklungsprogrammen zusammenfassen. Dies ermöglicht eine dynamischere Anpassung an veränderliche Marktanforderungen und interne Kapazitäten. Die Synthese der Literaturrecherche zeigte eine Forschungslücke im Dilemma zwischen Flexibilität und Konstanz in der Ressourcensteuerung. Um dieser Problematik zu begegnen, wurde eine Softwareanwendung eingeführt und in die Multiprojektorganisation von Pepper integriert. Dieser Ansatz zielte darauf ab, Abbildung 5: Ausschnitt des Future Reality Tree Wissen | Theory of Constraints zur Optimierung des Multiprojektmanagements 40 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0049 eine ganzheitliche Lösung für Pepper auf Basis der vorliegenden Daten und Bedarfe zu entwickeln. [15, S. 31; 18, S. 9] Priorisierte Projektliste Die priorisierte Projektliste spielt eine zentrale Rolle in der Festlegung der Startreihenfolge der Projekte innerhalb des Unternehmens. [17] Sie umfasst alle geplanten Projekte und ordnet diese in einer klaren und verbindlichen Reihenfolge. [15, S. 47-53] Die Entscheidung über die Reihenfolge obliegt dem Topmanagement, während einzelne Projekte bei verfügbarer Kapazität durch das Steering Committee freigegeben werden. [19, S. 244] Die Festlegung der Reihenfolge von Projekten sollte nach transparenten und nachvollziehbaren Kriterien erfolgen, die sowohl die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften als auch die strategische Bedeutung und den wirtschaftlichen Nutzen der Projekte berücksichtigen. [7, S. 207; 20, S. 131] Projekte, die primär gesetzlichen Anforderungen dienen (Due-date-Projekte), sollten zur Schonung der Liquidität so spät wie möglich initiiert werden, während Projekte mit direktem wirtschaftlichem Nutzen (Money-making-Projekte) prioritär und gestaffelt nach ihrem erwarteten Wertbeitrag zu starten sind. [21, S. 21] Projektkapazität Die Steuerung des Projektstarts wird so durchgeführt, dass der Ressourcenengpass der Organisation stets optimal ausgelastet ist, ohne Überlastungen zu verursachen. Diese Herangehensweise vereinfacht die gesamte Ressourcenplanung, indem nur noch der Bedarf an der Engpassressource detailliert geplant wird. Projekte werden dann so getaktet, dass sie diesen Engpass nacheinander erreichen. Dieses Vorgehen ermöglicht es der Organisation, sich auf die Erweiterung der Kapazität zur Beseitigung dieses Engpasses zu konzentrieren. [17] Ressourcensteuerung auf Vorgangsebene Sobald ein Projekt startet, wechselt die Priorisierung von der projektorientierten zur aufgabenbasierten Sichtweise, wodurch das zuvor erwähnte zweite Prioritätensystem zum Tragen kommt. Dieses systematische Vorgehen priorisiert jeweils die Aufgaben mit der höchsten Kritikalität für die nächste Bearbeitung durch verfügbare Ressourcen. Der detaillierte Projektplan ordnet generische Ressourcen den Vorgängen zu, statt individuell zuständige Personen zu benennen. Die tatsächliche Zuteilung des Personals erfolgt dann dynamisch und situationsabhängig über ein Aufgabenpriorisierungssystem, das die Vorgänge nicht nach einer festgelegten Projektliste, sondern nach der Dringlichkeit der Aufgaben sortiert. [14, S. 195-208] 5.3 Umsetzungsphase 3: Projektpuffer Die finale Ausbaustufe der Multiprojektorganisation dieser Arbeit führt zwei abschließende Injections ein. Eine Injection macht die Varianz im Projekt durch explizite Puffer sicht- und steuerbar, die andere setzt das Ergebnis der Evaporating Cloud um und erhöht Konstanz sowie Flexibilität durch begrenzte Projektdauer und Programmgestaltung. Begrenzung der Projektdauer und Programmgestaltung Diese Maßnahme zielt darauf ab, die Flexibilität in der Projektdurchführung zu erhöhen, ohne die Fokussierung auf die Projektziele zu verlieren. Die Begrenzung der Projektdauer auf etwa sechs Monate ermöglicht es, schneller auf Veränderungen zu reagieren sowie die Projektergebnisse zeitnah zu evaluieren und zu implementieren. Kürzere Projektzyklen fördern eine dynamische Anpassung an Marktbedingungen und interne Anforderungen. Sie erlauben es auch, Lernzyklen zu beschleunigen und schneller auf Feedback zu reagieren.[hierzu und nachfolgend 22, S. 3-4] Nach der Aufteilung großer Projekte in kleinere, überschaubare Einheiten, werden diese kleineren Einheiten zu Programmen zusammengefasst. Dies stellt sicher, dass alle Teilprojekte kohärent auf das übergeordnete Unternehmensziel ausgerichtet sind. Programme integrieren die Aktivitäten und Ergebnisse der einzelnen Projekte und sorgen für eine strategische Bündelung der Ressourcen und Anstrengungen. Projektpuffer Die Einführung von Projektpuffern ist eine strategische Entscheidung, um die Unwägbarkeiten in der Projektplanung zu managen. Diese Puffer dienen dazu, Zeit- und Kostenvarianzen abzufedern, die während der Projektlaufzeit auftreten können. Die expliziten Zeitpuffer sind essenziell für die sogenannte kritische Kette (sog. Critical Chain) des Projekts und für einzelne Nebenpfade. Sie helfen, Verzögerungen zu Abbildung 6: Erneuerter Kommunikationsfluss Wissen | Theory of Constraints zur Optimierung des Multiprojektmanagements 41 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0049 antizipieren, ohne die Gesamtzielsetzung des Projekts zu gefährden. [23, S. 163 ff.] Kostenpuffer wiederum decken unerwartete Kostensteigerungen ab, die durch verschiedene Unsicherheitsfaktoren während der Projektlaufzeit entstehen können. Beide Puffertypen werden strategisch eingesetzt, um die Flexibilität im Projektmanagement zu erhöhen und gleichzeitig das Risiko von Budget- und Zeitüberschreitungen zu minimieren. Durch die Implementierung dieser Maßnahmen wird die Fähigkeit einer Organisation gestärkt, ihre Ziele effektiv zu erreichen und gleichzeitig die Ressourcenauslastung zu optimieren. [24, S. 100 ff.] Implikationen Die Implementierung dieser Puffersteuerung stellt hohe Anforderungen an die verwendete Projektmanagementsoftware. [15, S. 31] Es wird empfohlen, eine Software einzuführen, die speziell für das Critical-Chain-Projektmanagement entwickelt wurde. [20, S. 480-486] Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde bei Pepper die Software Allex.ai eingeführt. Diese bietet neben dem Puffermanagement auch ein angepasstes Berichtswesen sowie Funktionen zur Vorgangspriorisierung (und somit zur Ressourcensteuerung), um alle vorgenannten Umsetzungsschritte vollständig zu unterstützen. Abschließend sei erwähnt, dass die Einführung expliziter Puffer eine Anpassung von Kennzahlen erfordern kann, um den Pufferverbrauch im Verhältnis zum Projektfortschritt darzustellen. 6. Fazit und Ausblick Diese Untersuchung hat sich mit der Entwicklung und Evaluierung von Strategien zur Optimierung der Multiprojektorganisation mittels der Theory of Constraints befasst. Es wurde ein systematischer und umfassender Maßnahmenplan vorgestellt, um die identifizierten Dysfunktionalitäten innerhalb des untersuchten Systems zu adressieren. Der Prozess umfasste eine detaillierte Beschreibung des Systems und seiner Ziele, gefolgt von der Identifikation kritischer Abweichungen und der Entwicklung von korrektiven Maßnahmen durch gezielte Injections. Die dargestellten Ergebnisse tragen dazu bei, das Verständnis für effektive Projektorganisationen zu erweitern und liefern praktische Ansätze für die Umsetzung in ähnlichen organisatorischen Kontexten. Zusammengefasst liefert die Forschungsarbeit folgende Ergebnisse: 1. Sie identifiziert Transparenz und Ressourcensteuerung als zentrale Engpässe in der Multiprojektorganisation eines deutschen Mittelständlers und schlägt gezielte Maßnahmen zu deren Überwindung vor. 2. Die Implementierung der Engpassbetrachtung sowie die Anwendung des Thinking Process ermöglichen die Entstehung einer belastbaren (Unternehmens-)Strategie, das die Optimierung der Projektabwicklungsprozesse und die Steigerung der systemischen Effizienz bei Pepper unterstützt. Ferner zeigt der Beitrag Lösungsansätze auf, die für die Steuerung von Ressourcen sowie das betrachtete Dilemma (Flexibilität vs. Konstanz) in der existierenden Literatur zum Multiprojektmanagement bislang nur am Rande behandelt werden. 3. Der Beitrag zeigt letztlich auch, dass weitere Anknüpfungspunkte für zukünftige Forschungsvorhaben im Bereich der Engpasstheorie bestehen, die beispielsweise die Integration der dargestellten Erkenntnisse in agilen gegenüber klassischen Projektmethoden fokussieren. 7. Literatur [1] Goldratt-Ashlag, Efrat: The Layers of Resistance-- The Buy-In Process According to TOC. In: James F. Cox / John G. Schleier (Hrsg.). Theory of Constraints Handbook. McGraw-Hill Professional, New York 2010, S. 571-586. [2] McNally, Wolf: Thinking with Flying Logic (v4). Arciem LLC 2023. Online verfügbar unter https: / / docs.flyinglogic.com / thinking-with-flying-logic (Stand: Abrufdatum 02. 05. 2024). [3] Goldratt, Eliyahu M./ Cox, Jeff: Das Ziel. Ein Roman über Prozessoptimierung. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2013. [4] Scheinkopf, Lisa J.: Thinking Processes Including S&T Trees. In: James F. Cox / John G. Schleier (Hrsg.). Theory of Constraints Handbook. McGraw-Hill Professional, New York 2010, S. 729-786. [5] McNally, Wolf: Thinking with Flying Logic (v3). Arciem LLC 2021. Online verfügbar unter https: / / docs.flyinglogic.com / thinking-with-flying-logic (Stand: Abrufdatum 02. 05. 2024). [6] Dettmer, H. William: The Logical Thinking Process. A Systems Approach to Complex Problem Solving. ASQ Quality Press, Milwaukee, Wisconsin 2007. [7] Kendall, Gerald I./ Austin, Kathleen M.: Advanced Multi-Project Management. Achieving outstanding Speed and Results with Predictability. J. Ross Publishing 2013. [8] Nowak, Hannah / Burkhard, Rudolf G.: Geht nicht gibt‘s nicht- - TOC in der Praxis. Mit dem Voraussetzungsbaum Unmögliches möglich machen. In: Projekt Magazin 2019 / 2. [9] Nowak, Hannah: Theory of Constraints in der Praxis. Konfliktwolke Light- - ein schneller Ausweg aus dem Dilemma. In: Projekt Magazin 2018 / 6. [10] Kopmann, Julian / Ekrot, Bastian / Kock, Alexander / Gemünden, Hans Georg: Multiprojektmanagement. Not oder Tugend? Ergebnisse der aktuellen MPM-Benchmarking-Studie. In: PM AKTUELL 2015 / 2, S. 31-38 [11] Jonen, Andreas: Erfolgsfaktoren eines strategischen Multiprojektmanagements. Ein revisionsorientierter Ansatz. In: PM AKTUELL 2018 / 3, S. 30-39. [12] Meyer, Helga / Reher, Heinz-Josef: Projektmanagement. Von der Definition über die Projektplanung zum erfolgreichen Abschluss. Springer, Wiesbaden 2020, 2. Auflage. [13] Dittmann, Karen / Dirbanis, Konstantin: Projektmanagement (IPMA®). Lehrbuch für Level D und Basiszertifikat (GPM). Haufe Lexware, Planegg 2020. [14] Simon, Claudia / Techt, Uwe: Simulationen-- projects that flow. Mehr Projekte in kürzerer Zeit. Die Geheimnisse erfolgreicher Projektunternehmen. Ibidem-Verlag, Stuttgart 2020. [15] Lörz, Holger: Der Turbo für das Projektgeschäft. Ihre Produkte schneller am Markt. Haufe, Stuttgart 2019, 2. Auflage. [16] Techt, Uwe / Schumacher, Jens-Olaf / Stix, Gerhard: Pragmatisches Ressourcen-Management in einer Multiprojektumgebung. Teil 1: Einfache Prinzipien für mehr Effizienz. In: Projekt Magazin 2011 / 22. Wissen | Theory of Constraints zur Optimierung des Multiprojektmanagements 42 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0049 [17] Techt, Uwe / Schumacher, Jens-Olaf / Stix, Gerhard: Pragmatisches Ressourcen-Management in einer Multiprojektumgebung. Teil 2: Projektportfolio und Ressourcenkapazität managen. In: Projekt Magazin 2011 / 23. [18] Hirzel, Matthias: Herausforderungen des Projektportfolio- Managements. In: Matthias Hirzel / Wolfgang Alter / Cornelia Niklas (Hrsg.). Projektportfolio-Management. Strategisches und Operatives Multi-Projektmanagement in der Praxis. Springer Gabler, Wiesbaden 2019, 4. Auflage, S. 3-12. [19] Küster, Jürgen / Bachmann, Christian / Huber, Eugen / Hubmann, Mike / Lippmann, Robert / Schneider, Emil / Schneider, Patrick / Witschi, Urs / Wüst, Roger. Handbuch Projektmanagement. Agil- - klassisch- - hybrid, Springer Gabler, Berlin 2022, 5. Auflage. [20] Rietsch, Jörg: Strategisches Projektportfolio-Management. Wie sich Projektlandschaften ausrichten und steuern lassen. Haufe Lexware, Planegg 2023, 3. Auflage. [21] Walker, Ed: The Problems with Project Management. In: James F. Cox / John G. Schleier (Hg.). Theory of Constraints Handbook.McGraw-Hill Professional, New York 2010, S. 13-44. [22] Eichten, Michael / Kohler, Bastian: Weg von den „Tankern“! Bessere Steuerung durch Projektportfoliomanagement und Planungskonferenzen. Projekte fokussieren und Ressourcen abstimmen und managen. In: Projekt Magazin 24 / 2020 [23] Goldratt, Eliyahu M./ Pyka, Petra: Die kritische Kette. Ein Roman über das neue Konzept im Projektmanagement. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2002 [24] Leach, Lawrence P.: Critical Chain Project Management. Artech House, Boston 2014, 3. Auflage. Eingangsabbildung: © iStock.com / baona Rüdiger Krehbie Rüdiger Krehbiel ist ein versierter Projektmanagementspezialist. Als MBA- Absolvent der HFH ∙ Hamburger Fern- Hochschule hat er unter anderem in der Funktion eines Head of Program Management umfangreiche Erfahrungen in der Führung und Beratung von Schlüsselprojekten gesammelt. Prof. Dr. rer. pol. Florian Oldenburg-Tietjen Florian Oldenburg-Tietjen ist BWL-Professor und Studiengangsleiter an der HFH ∙ Hamburger Fern-Hochschule. Er leistete wichtige Beiträge zu strategischer Unternehmensplanung und -entwicklung, speziell in IT-Infrastruktur und Betriebsaufspaltungen. Sein Fokus im MBA General Management liegt auf Change- und Innovationsmanagement in digitalisierten Geschäftsfeldern.
