PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2024-0050
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Projektmanagement-Softwaresysteme – KI – Groupware: Eine kybernetische Betrachtung
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Dennis Krull
Projektmanagement-Softwaresysteme (PMSS) entfalten ihren Nutzen nur bei der Bewältigung bestimmter Aufgaben in der Projektwirtschaft. Darüber hinaus sind bestimmte technologische Voraussetzungen von den PMSS zu erfüllen, damit ein Multiprojektmanagement überhaupt funktionieren kann. Ein Regelkreismodell bzw. die Kybernetik zum Projektmanagement wird im Artikel bemüht, um einen klaren Blick zu behalten und die Funktionsweisen von PMSS an der richtigen Stelle zu verorten. Der Artikel greift auch die im Kontext von PMSS häufig fallenden Begriffe KI und Groupware auf und setzt sie in Beziehung zu PMSS, wobei ebenfalls das Regelkreismodell herangezogen wird.
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43 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0050 Projektmanagement-Softwaresysteme-- KI-- Groupware: Eine kybernetische Betrachtung Dennis Krull Für eilige Leser | Projektmanagement-Softwaresysteme (PMSS) entfalten ihren Nutzen nur bei der Bewältigung bestimmter Aufgaben in der Projektwirtschaft. Darüber hinaus sind bestimmte technologische Voraussetzungen von den PMSS zu erfüllen, damit ein Multiprojektmanagement überhaupt funktionieren kann. Ein Regelkreismodell bzw. die Kybernetik zum Projektmanagement wird im Artikel bemüht, um einen klaren Blick zu behalten und die Funktionsweisen von PMSS an der richtigen Stelle zu verorten. Der Artikel greift auch die im Kontext von PMSS häufig fallenden Begriffe KI und Groupware auf und setzt sie in Beziehung zu PMSS, wobei ebenfalls das Regelkreismodell herangezogen wird. Schlagwörter | Projektmanagement-Softwaresysteme, KI, Groupware, Kybernetik, Regelkreismodell, Collaboration Software, Groupware Die Entwicklung und Einführung der Vielzahl an neuen Produkten und Technologien, aber auch die Transformation der Unternehmensorganisation, wird bekanntlich durch Projekte vorgenommen. Ein erfolgreiches Multiprojektmanagement benötigt zu ihrer Unterstützung Projektmanagement-Softwaresysteme (PMSS). Aber was kann ich unter PMSS konkret verstehen? Ein Verständnis ist wichtig, um beurteilen zu können, was PMSS grundsätzlich leisten bzw. wo sie konkret im Projektmanagement IT-Unterstützung anbieten können. Zur Beschreibung werde ich diesen länglichen zusammengesetzten Begriff analytisch in seine Wortbestandteile zerlegen und sie einzeln aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Am Beitragsende nehme ich dann im Sinne einer Synthese eine Zusammenfassung vor. Im Kontext von PMSS fallen oft die Begriffe KI oder Groupware. Da PMSS dazu angetreten ist, Teile des Projektmanagements zu digitalisieren, fragt man sich, wie diese Systeme zueinander stehen. Dieser Beitrag behandelt auch diese Thematik. PMSS setzt sich aus den Wörtern Projektmanagement (PM), Software (S) und Systeme (S) zusammen. Wir wollen uns zunächst mit dem Begriff des Projektmanagements auseinandersetzen und nehmen dazu eine kompetenzorientierte sowie kybernetische Sichtweise ein. Nach der kompetenzorientierten Sichtweise handelt es sich beim Projektmanagement um einen Oberbegriff für unterschiedliche Handlungsfelder, an denen die zunehmende Professionalisierung des Fachgebietes nachgezeichnet werden kann [1]. Die IPMA in der ICB 4.0 folgt dieser Ausdifferenzierung, „ indem sie zum Teil unterschiedliche Kompetenzanforderungen für die verschiedenen Domänen (Projektmanagement, Programmmanagement, Portfoliomanagement; d. Verf.) formuliert “ [1]. In der ICB 4.0 sind beispielsweise für die Domäne Projektmanagement die in der Tabelle 1 ersichtlichen 28 Kompetenzelemente erläutert. Eine IT-Unterstützung durch PMSS der persönlichen und sozialen Kompetenzbereiche, wie „ Perspective“ und „People“, ist nur in geringem Umfang möglich. Es handelt sich um „weiche“ Faktoren im zwischenmenschlichen Miteinander sowie um Elemente die dem Leadership und dem allgemeinen Management zugeordnet werden können. Im Bereich „Perspective“ können lediglich die Kompetenzelemente „Governance, Strukturen und Prozesse“ sowie „Macht und Interessen“ und im Bereich „People“ die Kompetenzelemente „Persönliche Kommunikation“ und „Teamarbeit“ mit IT unterstützt werden. Ein Großteil der Kompetenzelemente des Bereichs „Practice“ bieten allerdings einen ganzen Blumenstrauß an funktionalen Unterstützungsmöglichkeiten. Beispielsweise können die Kompetenzelemente „Ablauf und Termine“ mittels eines Gantt-Charts oder „Chancen und Risiken“ mittels eines funktionalen Grids digital unterstützt werden. Oft bestehen Ab- Wissen | Projektmanagement-Softwaresysteme - KI - Groupware 44 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0050 hängigkeiten zwischen den Elementen, deren Relationen im IT-System einfach hergestellt werden können. Wir halten fest: PMSS können primär den Bereich „Practice“ unterstützen, die anderen Bereiche eher weniger. Das gilt übrigens auch für die Domänen Programm- und Portfoliomanagement in der ICB 4.0. Nehmen wir nun eine kybernetische Perspektive auf das Projektmanagement ein. Diese verdeutlicht gut die Wirkungsweisen des komplexen Systems „Projektmanagement“, da der Regelkreis die Wechselbeziehungen zwischen den Systemelementen sowie zwischen dem System und seiner Umwelt explizit darstellt [3]. Abbildung 1: Kybernetischer Projektmanagement-Regelkreis Perspective People Practice Strategie Selbstreflexion und Selbstmanagement Projektdesign Governance, Strukturen und Prozesse Persönliche Integrität und Verlässlichkeit Anforderungen und Ziele Compliance, Standards und Regularien. Persönliche Kommunikation Leistungsumfang und Lieferobjekte Macht und Interessen Beziehung und Engagement Ablauf und Termine Kultur und Werte Führung Organisation, Information und Dokumentation Teamarbeit Qualität Konflikte und Krisen Kosten und Finanzierung Vielseitigkeit Ressourcen Verhandlungen Beschaffung Ergebnisorientierung Planung und Steuerung Chancen und Risiken Stakeholder Change und Transformation Tabelle 1: Kompetenzbereiche und -elemente der ICB 4.0 [2] Der Regler in Abb. 1 wird durch die Projektleitung ausgeübt. In ihm werden Management-, Planungs-, Steuerungs- und Controllingaufgaben aufgeführt, ggf. mithilfe eines Projektmanagement-Offices (PMO). Der Regler empfängt Informationen in Form des Projektauftrags oder durch Änderungen, die aus der Marktdynamik resultieren (oberer Eingangspfeil am Regler). Der Input wird bewertet, der dann als Soll-Wert bzw. als Maßnahmen an das Stellglied übergeben werden (rechter Ausgangspfeil am Regler). Das Stellglied lastet die Maßnahmen / Soll-Werte in geeigneter Weise (mündlich / digital) in die Regelstrecke ein. Die Fachaufgaben in der Regelstrecke werden durch interne Linien- oder Projektmitarbeiter und Lieferanten ausgeführt. Hier findet die eigentliche Leistungserstellung statt. Immer wieder wirken Störgrößen (z. B. technische Probleme, Ausfälle, aufgrund von Krankheiten) auf die Aufgabenbearbeitung ein (rote untere Pfeile an der Regelstrecke), wodurch die Soll-Werte (Zeit, Kosten, Inhalt) gegebenenfalls nicht eingehalten werden können. Das Messglied erfasst (mündlich / digital) die Ist-Werte an der Regelstrecke und meldet diese an den Regler. Die Information wird dort zusammen mit dem ursprünglichen Projektauftrag (bzw. den mittlerweile vorliegenden Auftragsänderungen) bewertet und über das Stellglied neue Soll-Werte beziehungsweise Maßnahmen in die Regelstrecke eingesteuert, um das Projekt wieder in den gewünschten Zustand zurückzubringen. Wo im Regelkreis entfaltet ein PMSS nun seinen Nutzen? Im Regler bietet ein PMSS das größte Spektrum an funktionaler Unterstützung an. Das sind überwiegend die in Tabelle 1 in der Spalte „Practice“ aufgeführten Aufgaben. Insbesondere für das Management sind hier geeignete Reporting-Funktionalitäten der PMSS erforderlich. Im Stellglied werden die Maßnahmen / Soll-Werte digital oder persönlich in die Regelstrecke eingesteuert. Im digitalen Fall kann es über das PMSS oder andere Tools (Groupware; dazu später mehr) erfolgen. Bei einem PMSS werden diese Informationen über entsprechende Clients / Oberflächen mit geringerem Funktionsumfang den ausführenden Mitarbeitern in der Regelstrecke zur Verfügung gestellt, da hier überwiegend nur ein lesender Zugriff mit einigen wenigen Eingabemöglichkeiten erforderlich ist. In der Regelstrecke kommen, da hier Facharbeiten ausgeführt werden, spezialisierte IT-Systeme zum Einsatz, wie CAD-/ CAM-/ Wissen | Projektmanagement-Softwaresysteme - KI - Groupware 45 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0050 PDM-/ ERP-Systeme, Programmierplattformen, Task-Management-Systeme (z. B. Jira), etc. Schnittstellen zur Übernahme von Daten aus diesen Systemen in das PMSS können sinnvoll sein, um den Fortschrittsgrad zu erhalten (z. B. Füllungsgrad der Stückliste oder Erledigungsgrad vom Task-Managementsystem). Im Messglied können über Eingabemöglichkeiten im PMSS oder auch via Schnittstellen aus den spezialisierten IT-Systemen Ist-/ Werte an den Regler übermittelt werden. Vielfach sind das Daten in Statusberichten, die in der Regelstrecke von den Fachverantwortlichen im PMSS eingegeben und so an die Projektleitung übertragen werden. Ansonsten erfolgt die Rückmeldung klassisch über E-Mail oder mündlich, z. B. im Jour fixe. Kommen wir nun zum Begriff der Software. Software ist ein Sammelbegriff für die Gesamtheit der Programme, die zugehörigen Daten und die notwendige Dokumentation, die es erlauben, mit Hilfe eines Computers Aufgaben zu erledigen [4]. Sie wird mittels einer Programmiersprache geschrieben (Quellcode) und in System- und Anwendungssoftware unterschieden, wobei in unserem Fall die Anwendungssoftware zutreffend ist. Zur Abbildung der Geschäftslogik wird sie unmittelbar auf die Lösung von Aufgaben des Benutzers ausgerichtet [4]. Man unterscheidet weiterhin Standard- und Individualsoftware. Standardsoftware ist fertig programmiert und kann am Markt bezogen werden, wie beispielsweise Textverarbeitungs-, Tabellenkalkulations- oder Präsentationsprogramme. Sie muss käuflich erworben werden (Lizenzen), wenn sie von einem kommerziellen Softwarehersteller vermarket wird oder ist zumeist unentgeltlich nutzbar, wenn sie von einer Community als Open Source entwickelt wurde. Von Individualsoftware spricht man, wenn ein Unternehmen das Softwareprodukt für ihre Zwecke durch eigene Programmierer oder durch ein externes Softwaredienstleistungsunternehmen entwickeln lässt. Es stellt sich nun die Frage, um welche Software es sich bei PMSS handelt. Es gibt viele Standardsoftware-Produkte am Markt, die über ein unterschiedlich gelagertes Leistungsspektrum verfügen. Jeder Softwarehersteller bzw. jede Community hat bestimmte Stärken und folglich in der Software bestimmte Schwerpunkte gesetzt. Sie ist in einer großen Anzahl am Markt verfügbar und nur mit einem strukturierten Vorgehen kann das für das eigene Unternehmen geeignete PMSS identifiziert werden. Ein solches Vorgehen findet sich beispielsweise in Meyer [5]. Projektmanagement-Software gibt es als kommerzielle- und nur in geringer Anzahl als Open-Source- Software. Die Lizenzbestimmungen der Open-Source-Software sollten gründlich studiert werden, da ein unentgeltlicher Einsatz im kommerziellen Bereich unter Umständen nicht möglich ist. Individualprogrammierte Projektmanagement- Software ist in der Unternehmenspraxis selten anzutreffen. Es wird überwiegend auf Standardsoftware gesetzt. Anschließend noch der Begriff System. Nach dem Etymologischen Wörterbuch des Deutschen versteht man darunter ein „aus Einzelteilen zusammengefügtes und gegliedertes Ganzes“ [6]. Der System-Begriff kann ebenfalls aus mehreren Perspektiven beleuchtet werden, um ihn holistisch zu erfassen (siehe die Literatur zur Systemtheorie). In unserem Kontext ist die betriebsorientierte Sichtweise, die ein Informationssystem fokussiert, hinreichend. Nach Hansen / Neumann [7] handelt es sich bei einem rechnergestützten Informationssystem um ein System, bei dem „die Erfassung, Speicherung, Übertragung und / oder Transformation von Informationen durch den Einsatz der Informationstechnik teilweise automatisiert ist“. State-Of-The-Art sind sogenannte 3-Schicht- Architekturen. Die Erfassung und Anzeige der Informationen erfolgt über Benutzeroberflächen, die den Anwendern via WebBrowser oder Rich-Clients angeboten werden (Schicht 1). Die Daten verarbeitende Software bildet die Business-Logik ab und läuft auf Application-Servern (Schicht 2). Die Daten persistierende Senke erfolgt über einen Datenbank-Server (Schicht 3). Die Schichten 2 und 3 können im Rechenzentrum des eigenen Unternehmens (On-Premise Lösung) oder bei einem Provider außerhalb des Unternehmens (Off-Premise, in der Regel als Cloud-Lösung) betrieben werden. PMSS-Hersteller bieten in der Regel beide Lösungen an. Hansen / Neumann betonen, dass die Bezeichnung Informationssystem, insbesondere für „umfassende, integrative IT-Anwendungen“ [7] verwendet wird, wobei hier unter IT die Infrastruktur, d. h. die zur Realisierung der betrieblichen Informationsstruktur benötigten Komponenten (Hardware, Software, Netze), verstanden werden soll [8]. Demzufolge werden unter einem Informationssystem keine dateibasierten Software-Einzelplatzlösungen verstanden, wie beispielsweise MS Project, MS Excel, MS Powerpoint etc. Mit diesen Lösungen ist kein Multi-User-Betrieb möglich, wonach mehrere Anwender-- mangels einer Datenbank-- auf zentrale Projektdaten zugreifen können. Zudem können auch keine projektübergreifenden Abhängigkeiten ohne großen Aufwand realisiert werden. Häufig setzen Unternehmen jedoch, im Microsoft Fall, MS Project zusammen mit SharePoint (Schicht 2) und einer Datenbank (Schicht 3) ein, was dann wieder ein Informationssystem ergibt und einen Multi-User-Betrieb ermöglicht. Nachdem ich nun den Begriff Projektmanagement-Softwaresystem in seine Wortbestandteile zerlegt und einzeln erläutert habe, soll im Sinne einer Synthese eine kurze Zusammenfassung, wenn nicht sogar ein Definitionsversuch, erfolgen: Bei PMSS handelt es sich um Informationssysteme, die primär den PM-Kompetenzbereich „Practice“ (ICB 4.0) unterstützen und ihren größten Nutzen im Projektleitungsteam (Regler im Regelkreismodell) entfalten. Sie wird überwiegend als Standard-Software von darauf spezialisierten Unternehmen am Markt angeboten. Es handelt sich bei PMSS größtenteils um 3-Schicht-Architekturen, die als Cloud- oder On-Premise-Lösungen betrieben werden. Normalerweise wäre der Artikel nun am Ende, wenn es nicht gerade einen großen Hype um das Thema KI gäbe. Dieser Hype ist zunächst einmal vollkommen berechtigt, weil KI unsere Arbeitswelt in signifikanter Weise verändern wird und damit auch das Projektmanagement tangiert. Wir haben durch die obigen Ausführungen das Wesen von PMSS nun sehr gut kennengelernt, aber wie spielt KI da rein? KI ist zunächst einmal eine Abkürzung für Künstliche Intelligenz. Eine in unserem Kontext gut passende Definition von KI liefert das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) [9]: „KI ist ein Oberbegriff für Methoden, die auf die Automatisierung von Entscheidungsvorgängen abzielen, die traditionell den Einsatz menschlicher Intelligenz erfordern. KI-Systeme benötigen zum Aufbau ihrer selbstständigen Lösungskompetenz- […] große Mengen an Daten, d. h., KI-Systeme können immer nur so gut sein wie die zum Training benutzten Daten.“ Im Regler, dem Projektmanagement, unseres kybernetischen Regelkreises (Abb. 1) finden fortwährend Wissen | Projektmanagement-Softwaresysteme - KI - Groupware 46 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0050 „Entscheidungsvorgänge“ statt, um das Projekt zu planen, zu steuern bzw. um auf Störungen im Projektverlauf zu reagieren. KI könnte hier also helfen. Die „großen Mengen an Daten“, so wie es in der Definition des BSI heißt, sind jedoch eher begrenzt verfügbar. Freilich gibt es im Projektmanagement eines Unternehmens Daten aus Terminplänen, Projekthandbüchern, Statusberichten, Lessons Learned-Dokumenten usw. Die Menge und Qualität der Daten, um ein KI-System trainieren und damit Intelligenz aufbauen zu können, ist jedoch überwiegend im geringen bis mittleren Bereich einzustufen. Das liegt schlichtweg daran, dass im Projektmanagement traditionell wenig Daten generiert werden, da überwiegend mit Menschen interagiert wird. Anders sieht es allerdings in der Regelstrecke aus. Hier findet die eigentliche Leistungserstellung im Projekt statt. Es sind „große Mengen an Daten“ in der Konstruktion (PDM-Systeme), Softwareentwicklung (Open-Source-Quellcode) oder Fertigung (CAM-Systeme) verfügbar. KI kann hier aus dem „Vollen schöpfen“ und zu enormen Produktivitätssteigerungen in der Projektwirtschaft führen. Schwieriger sieht es hingegen mit der Art der Daten bzw. ihrem Speicherort aus. Strukturierte Daten liegen nur dann vor, wenn diese über PMSS oder andere Informationssysteme eingespeist und folglich an einem Speicherort in Datenbanken persistiert sind. Damit die Daten durch die KI richtig interpretiert werden können, müssen Ontologien zu den Daten herstellbar sein. Eine Ontologie ist eine Methode zur Wissensrepräsentation, die Begriffe innerhalb eines Bereichs sowie die Beziehungen zueinander definiert. Sie sorgen dafür, dass alle Mitglieder eines Teams (einschließlich der KI-Systeme) dieselbe Sprache sprechen [10]. Das ist bei strukturierten Daten unproblematisch, da diese vom Informationssystem bzw. dem Programmierer bereits definiert wurden. Unstrukturierte Daten sind in Dateien enthalten, die beispielsweise über Software-Einzelplatzlösungen erzeugt wurden (siehe den Abschnitt „Software“). Eine Interpretation der Daten bzw. die Herstellung von Ontologien in Dateien ist schwierig, aber nicht ausgeschlossen. Hinzu kommt, dass sich die Daten überwiegend nicht an einem Ort befinden, sondern auf diversen lokalen Rechnern (Laptops, PCs etc.) und Servern. Das Problem der verteilten Speicherorte hat sich aber überwiegend erledigt, weil die meisten Unternehmen in den letzten Jahren diese Daten in einer Cloud zusammengezogen haben (z. B. in der Azure Plattform von Microsoft: SharePoint, Office365, etc.). KI kann somit auf das gesamte explizite Wissen eines Unternehmens zugreifen und darauf trainiert werden. Unter anderem zum Projektmanagement, auch wenn hierzu nur ein eher kleiner Teil des „Unternehmenswissens“ benötigt wird (Abb. 2). Ein KI-gestütztes PMSS zeigt beispielhaft obige Prinzip- Skizze (Abb. 2). Die KI sammelt Unternehmensdaten in der Cloud und wird auf diesen trainiert. Das PMSS besitzt ein KI- Modul welches den Datenaustausch zwischen dem PMSS und der KI ermöglicht. Idealerweise steht das PMSS selbst in der Cloud (wie in Abb. 2), damit die KI „einfacher“ die PMSS-Daten einsammeln kann. Das PMSS kann aber auch außerhalb der Cloud stehen. Dann muss eine entsprechende Schnittstelle zwischen der KI und dem PMSS erzeugt werden. Eine „Automatisierung der Entscheidungsvorgänge“ im Projektmanagement ist technologisch einfach möglich. Mit Hilfe der KI ist dann beispielsweise folgendes Szenario denkbar: Über einen Sprachassistenten diktiert der Projektleiter: „Erzeuge einen Terminplan im PMSS auf Basis des Vorgängerprojektes und passe alle Termine auf den neuen Fertigstellungstermin an. Übersende ihn an den Projektmitarbeiter Müller mit der Bitte um Überprüfung und Retoure.“ Der Sprachassistent transkribiert diesen Auftrag und übergibt die Informationen an die KI des PMSS. Da die KI für solche Aufträge bereits trainiert wurde, wird ein entsprechender Plan mit seinen Elementen generiert bzw. berechnet und an Herrn Müller gesendet. Ohne dass der Projektleiter es gesagt hat, legt das KI-basierte PMSS den Plan in der Projektablage ab und organisiert eine Besprechung mit dem Projektteam, wenn Herr Müller den Terminplan zurückgeschickt hat. An dem Beispiel sieht man recht eindrucksvoll, dass zum einen ein Terminplan auf Basis vorhandenen Wissens „intelligent“ entstanden ist und viele Entscheidungsvorgänge von der KI übernommen wurden. Zum anderen sieht man, dass viele prozessuale manuelle Arbeitsschritte (Mail schreiben, Ablage des Plans, Organisation einer Besprechung etc.) automatisiert werden konnten. Fazit zur KI: Eine Integration von KI in PMSS ist sinnvoll, auch wenn sich der Nutzen eher im intermediären Bereich einpendeln wird. Im Regelkreismodell wurde deutlich, dass PMSS ihren größten Nutzen im Regler bzw. beim Projektleitungsteam entfaltet. Ergo wird KI zum Projektmanagement überwiegend für das Projektleitungsteam nutzenstiftend sein. KI wird in der Regelstrecke bzw. im Leistungserstellungspro- Abbildung 2: Prinzip-Skizze PMSS und KI (Beispielhafte Konfiguration) Wissen | Projektmanagement-Softwaresysteme - KI - Groupware 47 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0050 Abbildung 3: PMSS- und Groupware Funktionalitäten (in Anlehnung an F. Fuchs- Kittkowski et al. [11]) zess einen hohen Nutzen haben, allerdings in den dort spezialisierten Tools. Abschließend soll noch auf die Groupware-Software eingegangen werden, da sie in der Projektwirtschaft eine große Rolle spielt und mit PMSS oft in einer engen Beziehung steht. Groupware (Synonym: Collaboration Software) ist eine Software zur Unterstützung der virtuellen Zusammenarbeit, beispielsweise durch Videokonferenzräume, Whiteboards, Chats, Wikis etc. Beispielhaft kann MS Teams oder Zoom genannt werden. Groupware hat in der Corona-Zeit einen enormen Aufschwung erfahren, da die Beschäftigten, aufgrund der damaligen Kontaktbeschränkungen und Lockdowns, zur virtuellen Zusammenarbeit gezwungen waren. Wie aber lässt sich Groupware von PMSS abgrenzen? Die Abb. 3 soll dabei helfen: Die Matrix spannt zwei Dimensionen auf. Die Ordinate zeigt den „Grad an strukturierten Informationen“. Ein hoher Grad liegt vor, wenn Informationen in Datenbanken oder ähnlichem persistiert und deren Semantik klar ist. Er ist gering, wenn die Informationen nicht strukturiert abgelegt sind und der Informationsinhalt (noch) unsicher ist. Die Abszisse repräsentiert den „Grad der Kommunikation“. Er ist hoch, wenn der Informationsaustausch sehr zeitnah erfolgt, z. B. in einem Gespräch. Gering ist er, wenn dieser eher zeitverzögert erfolgt oder nicht vorhanden ist. PMSS sind in der Matrix im oberen Bereich angesiedelt (blauer Kasten). Die Informationen sind valide und liegen in strukturierter Form vor. Sie können damit in einem Informationssystem verarbeitet werden, z. B. im Rahmen der Aufwandserfassung, der Terminplanung oder des Taskmanagements. Der Grad der Kommunikation erstreckt sich von gering bis hoch. Beispielsweise findet in der Aufwandserfassung keine Interaktion zwischen Projektbeteiligten statt (=-gering), im Taskmanagement werden Aufgaben an Beteiligte delegiert und der Status zurückgemeldet (=- mittel) und im Chat findet der Informationsaustausch relativ hochfrequentiert statt (=-hoch). Die Groupware (grüner Kasten) ist in der Matrix im unteren, rechten Bereich positioniert. Groupware-Funktionalitäten weisen einen mittleren bis sehr hohen Kommunikationsgrad auf, aber einen geringen bis mittleren Grad an strukturierten Informationen. In Audio-/ Videokonferenzräumen findet der Informationsaustausch in Echtzeit statt und ist damit sehr hoch, aber die Informationen sind nicht verschriftlicht und damit sind keine strukturierten Daten vorhanden. Im Falle eines Wikis sind strukturierte Daten im mittleren Grad vorhanden und der Kommunikationsgrad liegt ebenfalls im mittleren Bereich, weil Anwender ihre Texte mit einem gewissen Zeitversatz ergänzen. Die Abbildung zeigt eine Schnittmenge zwischen den Funktionalitäten der PMSS und der Groupware. Es ist zu beobachten, dass beispielsweise das Taskmanagement, Wiki- und Chat-Funktionalitäten sowie Diskussionsforen in beiden Produkten vorkommen. Das wird vermutlich aus technologischen Gründen wohl künftig auch so bleiben. Fazit zur Groupware: PMSS unterstützen funktional mittels strukturierter Daten primär den Regler bzw. das Projektleitungsteam. Sie stellen aber auch Kollaborations-Funktionalitäten zur Verfügung, die sich im mittleren bis hohen Kommunikationsgrad einpendeln. Groupware unterstützt alle Projektbeteiligten im Regelkreismodell (Regler und Regelstrecke) im Sinne der Zusammenarbeit und weist einen hohen bis sehr hohen Kommunikationsgrad auf. Groupware erzeugt jedoch nur geringe bis mittlere strukturierte Daten. Gegebenenfalls sind technische Schnittstellen zwischen PMSS und der Groupware sinnvoll. Literatur [1] Gessler, M./ Thyssen, D. (2019): Kompetenzbasiertes Projektmanagement. In: Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM4), S. 30, GPM, Nürnberg. [2] IPMA (2017): Individual Competence Baseline für Projektmanagement, Version 4.0 / Deutsche Fassung, GPM, Nürnberg. [3] Bernecker, M./ Eckrich, K. (2003): Handbuch Projektmanagement, S. 31, Oldenbourg-Verlag, München. [4] Lassmann, W. (2006): Wirtschaftsinformatik, Gabler-Verlag, Wiesbaden. [5] Meyer, M. M. (2022): Software-Systeme für Projektmanagement, 10. Auflage, BARC, GPM, Prometicon. [6] Kluge, F. (2002): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. Auflage, De Gruyter Verlag, Berlin. [7] Hansen, H.-R./ Neumann, G. (2009): Wirtschaftsinformatik 1, 10. Auflage, Lucius & Lucius Verlag, Stuttgart. Wissen | Projektmanagement-Softwaresysteme - KI - Groupware 48 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 03/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0050 [8] Stahlknecht, P./ Hasenkamp, U. (2002): Einführung in die Wirtschaftsinformatik, Springer-Verlag, Berlin. [9] https: / / www.bsi.bund.de / DE / Themen / Verbraucherinnenund-Verbraucher / Informationen-und-Empfehlungen / Technologien_sicher_gestalten / Kuenstliche-Intelligenz / kuenstliche-intelligenz_node.html am 24. 02. 2024 [10] Schelter, N. (2024): KI-Methoden im Projektmanagement: Einführung; in: KI in der Projektwirtschaft, S. 120, UVK, München. [11] https: / / publica-rest.fraunhofer.de / server / api / core / bitstreams / 0d6ca2a5-c457-4343-a846-a3e8 410 940e0 / content am 12. 04. 2024 Eingangsabbildung: © iStock.com / MrJub Dennis Krull Dennis Krull ist promovierter Wirtschaftsingenieur (TU Hamburg) und leitet seit dem Jahr 2020 die GPM Fachgruppe „Software für Projektaufgaben“. Im ProSTEP iViP Verein, Darmstadt hatte er zwischen 2008 und 2012 den Vorsitz der Arbeitsgruppen „Collaborative Project Management“ und „Schedule Management“ inne. Hauptberuflich ist er als Produktmanager in der Volkswagen Group IT in Wolfsburg unterwegs und Inhaber der Unternehmensberatung Project Pier 17. Christoph Zahrnt Projektverträge Ein Leitfaden für Projektmitarbeiter: innen 1. Au age 2023, 302 Seiten €[D] 34,90 ISBN 978-3-7398-3240-1 eISBN 978-3-7398-8240-6 Bei der Arbeit in Projekten hat man auf verschiedene Weise mit dem Vertragsrecht zu tun. Das Buch unterstützt unter anderem dabei, was bei der Erstellung einer Leistungsbeschreibung aus rechtlicher Sicht beachtet werden sollte. Die Leistungsbeschreibung kann den größten Teil eines Vertragsdokuments ausmachen. Der Autor erklärt zudem, was bei der sachgerechten Projektdurchführung in rechtlicher Hinsicht zu beachten ist. Hier spielt insbesondere die Abnahmeprüfung eine zentrale Rolle. Anzeige
