eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 35/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2024-0062
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2024
354 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

„Viel Kompetenz für Wasserstoff-Projekte“

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2024
Oliver Steeger
Wasserstoff als Energieträger – das ist nicht nur eine Chance für die Energiewende, sondern auch für die Wirtschaft in Bremerhaven. Die norddeutsche Seestadt mit ihrem Welthafen ist schon mehrfach durch den Strukturwandel gegangen. Zunächst verloren die Werften und der Fischfang im internationalen Wettbewerb. Dann dämpften der politische Schlingerkurs und technologische Probleme die Hoffnungen auf das Geschäft mit Offshore-Windkraftanlagen. Doch jetzt lassen Wasserstoff-Projekte wieder Optimismus in Bremerhaven keimen. Dr. Saskia Greiner, Innovationsmanagerin und Projektleiterin (BIS Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbh) erklärt, welche Chancen Wasserstoff für Bremerhaven bietet – und wie die Stadt diese Chancen ergreift.
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4 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0062 Wie Bremerhaven zur Modellregion für Wasserstoff wird „Viel Kompetenz für Wasserstoff-Projekte“ Oliver Steeger Wasserstoff als Energieträger-- das ist nicht nur eine Chance für die Energiewende, sondern auch für die Wirtschaft in Bremerhaven. Die norddeutsche Seestadt mit ihrem Welthafen ist schon mehrfach durch den Strukturwandel gegangen. Zunächst verloren die Werften und der Fischfang im internationalen Wettbewerb. Dann dämpften der politische Schlingerkurs und technologische Probleme die Hoffnungen auf das Geschäft mit Offshore-Windkraftanlagen. Doch jetzt lassen Wasserstoff-Projekte wieder Optimismus in Bremerhaven keimen. Dr. Saskia Greiner, Innovationsmanagerin und Projektleiterin (BIS Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbh) erklärt, welche Chancen Wasserstoff für Bremerhaven bietet-- und wie die Stadt diese Chancen ergreift. Grüner Wasserstoff im Energiemix ist für viele ein hoffnungsvolles, doch abstraktes Thema. Vielfach stehen Konzepte, mit Windenergie Wasserstoff zu produzieren und damit etwa Fahrzeuge anzutreiben, nur auf Papier. Anders in Bremerhaven. Die Stadt veranschaulicht konkret, wie eine Energiewende mit Wasserstoff aussehen könnte. In der Stadt wird die komplette Wasserstoff-Kette modellhaft abgebildet-- von der Produktion mit grünem Strom über die Speicherung, die Verteilung bis zur Verwendung etwa in Bussen. Frau Dr. Greiner, was prädestiniert Ihre Stadt dafür, Vorreiter in Sachen Wasserstoff zu sein? Dr. Saskia Greiner: Das hat mehrere Gründe. Zum einen kommen wir in Bremerhaven aus der Windenergie. Im Stadtgebiet haben wir Windkraftanlagen, die grünen Strom produzieren, den wir für grünen Wasserstoff nutzen. Man muss dafür wissen: Nicht jeder Wasserstoff ist klimaneutral. Manchmal wird Wasserstoff aus Erdgas gewonnen. Doch nur der Wasserstoff, der mit regenerativem Strom erzeugt wird, ist umweltfreundlich. Ja. Vermittels Windenergie und Elektrolyse erproben Forschungseinrichtungen und ein Unternehmen in Bremerhaven, wie wir grünen Wasserstoff herstellen und nutzen können. Bremerhaven ist eine Wissenschaftsstadt. Es sind viele wissenschaftliche Einrichtungen ansässig, die sich schon länger mit Wasserstoff beschäftigen. Hier ist also viel Kompetenz für die Wasserstoff-Projekte zu finden- - von der Erzeugung des Wasserstoffs über Speicherung und Transport bis hin zur praktischen Anwendung etwa in Fahrzeugen. Zudem ist Bremerhaven eine Stadt der kurzen Wege etwa bei Genehmigungen. Viele, die an Genehmigungen beteiligt sind, stehen bereits im Austausch mit dem hiesigen Wasserstoff-Netzwerk. Hinzu kommt ein weiterer Standortvorteil. Sie haben vor rund zwanzig Jahren Erfahrungen mit der Offshore-Windenergie gewonnen, Sie wissen, wie herausfordernd die Entwicklung und Einführung einer neuen Energietechnologie sein kann. Das ist richtig- - gleichwohl es mit der Offshore-Windenergie am Ende nicht geklappt hat. Damals aus politischen Gründen? Zum großen Teil aus politischen Gründen. Bremerhaven hat seine Wirtschaft immer wieder neu erfinden müssen. Anfangs waren Werften das wirtschaftliche Standbein. Später die Fischerei und Fischverarbeitung. Dann die Windenergie. Heute ist es Wasserstoff. Langsam. Wir haben auch Konstanten, etwa unseren Übersee-Hafen. Der Containerhafen und der Hafen für den RoRo- Reportage | „Viel Kompetenz für Wasserstoff-Projekte“ 5 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0062 www.junfermann.de - Wir liefern versandkostenfrei! Doris Klappenbach-Lentz Facilitation-Tools Mit Mediativer Kommunikation und Mediation Prozesse in Gruppen ermöglichen Facilitation bedeutet, in der Arbeit mit Gruppen Prozesse zu ermöglichen und zu begleiten. Anlässe zum Einsatz dieses Formats können Konfliktklärungen oder -lösungen sein. Auch in der Gestaltung von Change-Prozessen haben sich Facilitation-Workshops bewährt, ebenso für das Teambuilding, z. B., wenn es darum geht, dass sich eine für eine Projektarbeit international zusammengestellte Gruppe schnell zu einem arbeitsfähigen Team entwickelt. Die Autorin gibt einen Überblick über verschiedene Facilitation- Anlässe. Sie erläutert, wie Kompetenzen und Elemente aus Mediation und Mediativer Kommunikation sowie weitere Tools dabei zum Einsatz kommen. Beispiele aus der Praxis fassen die Buchinhalte anwendungsbezogen zusammen und runden sie ab. 250 S., kart., E-Book inside • € (D) 32,00 • ISBN 978-3-7495-0566-1 • Auch als E-Book erhältlich Doris Klappenbach-Lentz Mediative Kommunikation Mit Rogers, Rosenberg & Co. konfliktfähig für den Alltag werden 2. überarbeitete Auflage Allen, die sich in einer Haltung wertschätzender Kommunikation in Beruf und Alltag weiterentwickeln wollen, bietet dieses Buch eine Fülle an Informationen und Anregungen. Die Autorin stellt ein theoretisch fundiertes und alltäglich anwendbares Konzept vor, mit dessen Hilfe sich aus der Mediation stammende Methoden - unabhängig von einem bestimmten Setting - verwenden lassen. Nach einem Einblick in das Konzept und seine Wurzeln erhalten die Lesenden Möglichkeiten, sich mithilfe praktischer Beispiele und Übungen das wesentliche Handwerkszeug der Mediativen Kommunikation zu erschließen. Hierzu werden Ansätze und Erkenntnisse aus Psychologie, Soziologie, Supervision, Beratung und Gesprächstherapie gezielt für die alltägliche berufliche und private Anwendung aufbereitet, u. a. Elemente aus GFK, Personzentrierter Gesprächsführung, TA, TZI, NLP und aus dem prinzipiengeleiteten Verhandeln nach dem Harvard-Konzept. Für die Neuauflage wurden die Inhalte dieses bewährten Grundlagenbuches überarbeitet und ergänzt. 304 S., kart., E-Book inside • € (D) 38,00 • ISBN 978-3-7495-0483-1 • Auch als E-Book erhältlich Konflikte klären - wertschätzend kommunizieren Reportage | „Viel Kompetenz für Wasserstoff-Projekte“ 6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0062 Umschlag, also der Umschlag von rollenden Gütern (Roll on Roll off), sind Knotenpunkte in Europa. Dies macht den Standort wirtschaftlich interessant. Aber Sie haben Recht. Die Vergangenheit war teils sehr wechselhaft. Bremerhaven ist eine Art Stehaufmännchen. Doch die vielfältige Vergangenheit hat auch Vorteile: Jeder Sektor, den wir hatten, hat hier etwas hinterlassen. Noch heute sind fischverarbeitende Unternehmen mit ihrer Produktion ansässig. Neuerdings ist Bremerhaven wieder Heimathafen für einen Fischtrawler. Ähnliches gilt für die Windenergie. Viele dieser Sektoren kann man jetzt gut miteinander verbinden-- wie wir es beim Wasserstoff jetzt tun. Inwiefern verbinden? In Bremerhaven hat beispielsweise das Alfred-Wegener-Institut seinen Sitz. Eines der Forschungsschiffe-- die Uthörn-- soll mit grünem Methanol betrieben werden. Das Forschungsinstitut ttz Bremerhaven wird zukünftig in einem Pilotprojekt grünes Methanol mit grünem Wasserstoff erzeugen, der in Bremerhaven produziert wird. Ein anderes Beispiel: Bedingt durch den Hafen haben wir in unserer Stadt Logistikkonzerne, mit denen wir gemeinsame Projekte aufsetzen können, um Wasserstoff für Fahrzeuge zu nutzen. Sie bringen verschiedene Partner zusammen und entwickeln mit Ihnen Projekte? Ja. Am Anfang stand die Aufgabe, das Umfeld für Projekte und den wirtschaftlichen Einsatz von Wasserstoff zu schaffen. Dazu gehört auch Wasserstoff zur Verfügung zu stellen. Ohne das zuverlässige, lokale Angebot ist es sehr schwierig, Nachfrage für Wasserstoff zu entwickeln und Anwender zu finden. Wer in Bremerhaven Anwendungsprojekte startet, wird erst schauen, ob Wasserstoff am lokalen Markt ausreichend verfügbar ist. Das ist das Henne-Ei-Problem, das bei der Energiewende viel diskutiert wird. Brauchen wir zuerst das Angebot, um Nachfrage zu schaffen? Oder entwickeln wir zunächst die Nachfrage als wirtschaftliches Fundament für ein Angebot? Gut ist es am Anfang Angebot und Nachfrage gemeinsam zu entwickeln. Das Joint Venture hy.city.Bremerhaven hat dieses Henne-Ei-Problem gelöst, indem es sowohl die Erzeugung in wirtschaftlich zu betreibenden Elektrolyseuren als auch die Anwendung in zehn Wasserstoffbussen von Bremerhaven Bus auf den Weg gebracht hat. Dies hat auch die Politik überzeugt, die dieses Projekt von Bremerhaven Bus unterstützt hat. Also im besten Fall Elektrolyseuren, Tankstelle und wasserstoffbetriebene Fahrzeuge wie gleichzeitig auf den Weg bringen-… Das läuft nicht immer lehrbuchmäßig. Die Elektrolyseure sind noch in der Inbetriebnahme, die Wasserstoff-Tankstelle für die Busse ist noch in Bau und wird in diesem Jahr eröffnet. Die Busse sind seit Anfang letzten Jahres in Betrieb. Derzeit werden die Busse noch mit einer Betriebstankstelle betankt, und dieser Tankvorgang dauert recht lange. Ist die Tankstelle in Betrieb, werden die Busse deutlich schneller betankt werden können. Ist einmal das Angebot vorhanden, entwickeln und verbessern sich Anwendung und Versorgung Hand in Hand. Dann kann man iterativ skalieren. Mit dem Skalieren wird auch der Wasserstoff günstiger, was wiederum mehr Nachfrage schafft. Sprechen wir über grünen Wasserstoff selbst. In der Diskussion taucht er als vielseitiger Energiespeicher immer wieder auf. Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile von Wasserstoff? Grüner Wasserstoff ist ein Speicher für erneuerbaren Strom aus Photovoltaik oder Wind, wie Sie eben gesagt haben. Das ist wichtig im Kopf zu behalten. Er ist kein fossiler Brennstoff wie Kohle oder Öl. Kohle oder Öl werden verbrannt. Das setzt Kohlendioxid frei. Grüner Wasserstoff dagegen ist völlig klimaneutral. Wie eine Art-- Batterie? Ja. Ein Energiespeicher. Als Speichermedium ist Wasserstoff einem Akku sogar überlegen. Ein Akku ist zudem groß und schwer und bindet viele Ressourcen. Wasserstoff dagegen können wir komprimieren und auch über längere Zeit in unterirdischen Kavernen speichern-- so, wie wir dies heute bereits mit Erdgas machen. Um dies zu verstehen, muss man sich den Chemieunterricht aus der Schule ins Gedächtnis rufen. Wasser besteht aus zwei verschiedenen Atomen: Wasserstoff und Sauerstoff, H2O. Chemisch betrachtet sind im Wassermolekül zwei Teile Wasserstoff mit einem Teil Sauerstoff fest verbunden. Mit Strom allerdings kann man das Wassermolekül in seine Bestandteile zerlegen, gewissermaßen spalten-- die Elektrolyse. Den Wasserstoff kann man dann wieder mit Sauerstoff verbinden. Energie wird frei-- und Wasser entsteht. Aus dem Chemieunterricht kennen wir das durch die Knallgas-Explosion. Richtig. Wie wird dieses Prinzip in der Praxis genutzt? Wir können Wasserstoff in einem Verbrennungsmotor einsetzen-- oder in einer Brennstoffzelle, in der aus dem Wasserstoff Strom erzeugt wird. Interessant ist dabei, dass wir Wasserstoff gut durch das bestehende Leitungsnetz in Deutschland transportieren können. Das Leitungsnetz, das wir heute für Erdgas nutzen? Ja. Diese Pipelines selbst sind für Wasserstoff in der Regel, geeignet. Die bestehenden Armaturen wie etwa Ventile, Pumpen oder Dichtungen müssen für den Einsatz von Wasserstoff umgerüstet werden. Doch das Rohrnetz selbst ist gut nutzbar. Wasserstoff ist ja nicht nur ein Energiespeicher, sondern auch eine Art Rohstoff oder Ausgangsstoff für die chemische Industrie-… Nicht nur für die chemische Industrie, sondern beispielsweise auch für die Lebensmitteltechnologie. Man kann Wasserstoff etwa zur Härtung von Fett verwenden. Auch bei der Stahlerzeugung ist Wasserstoff einsetzbar. Reportage | „Viel Kompetenz für Wasserstoff-Projekte“ 7 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0062 Also eine klimaneutrale Energiequelle für die Stahlkocher? Nicht nur die Energie, sondern auch das Molekül selbst wird bei der Stahlerzeugung verwendet. Wasserstoff ist ein hochwertiges Reduktionsmittel bei der Stahlproduktion. Bislang setzt man Erdgas ein, was zu Kohlendioxid-Emissionen führt. Bei grünem Wasserstoff ist das anders. Da hat man keinen CO2-Austrag mehr. Wir haben viel über die Vorteile von Wasserstoff als Energiespeicher und als Molekül für die Industrie gesprochen. Betrachten wir die Sache von einer anderen Seite: Wo liegen Grenzen und Nachteile beim Einsatz von Wasserstoff? Ein Nachteil ist, dass beim Wasserstoff der Energiegehalt nicht so hoch ist wie bei den fossilen Energieträgern. Das hat praktische Konsequenzen. Man braucht ein größeres Volumen als etwa beim Erdgas, um den gleichen Energiegehalt zu speichern. Beispielswiese müssen Wasserstoff-Fahrzeuge öfters betankt werden als mit fossilen Treibstoffen betriebene Fahrzeuge. Das ist eine Herausforderung. Wasserstoff ist gefährlich. Kommt Wasserstoff mit Sauerstoff in Berührung, kann sich ein hochexplosives Gas entwickeln. Wir alle kennen die Bilder von der Zeppelin-Katastrophe von Lakehurst, von dem Brand des Luftschiffs im Jahr 1937. Wasserstoff kann bei vielen Menschen Ängste auslösen. Ich glaube, dass es berechtigte Bedenken gibt. Aber: Diese Bedenken wären auch berechtigt beim Einsatz von Diesel und Benzin. Auch diese Treibstoffe sind gefährlich. Doch wir sind schlichtweg an sie gewöhnt und wissen, wie wir sicher mit ihnen umgehen? Etwa, weil viele Menschen schon hunderte Male ihr Auto an der Tankstelle getankt haben? Ja. Der Tankvorgang ist bei Wasserstoff anders. Beim Tanken hat man einen Stutzen, über den das Gas mit bis zu 700 bar in den Tank des Fahrzeugs gepresst wird. Das ist ungewohnt-- und mag Ängste hervorrufen. Faktisch aber gilt: Vielleicht ist im Alltag Benzin sogar noch gefährlicher als Wasserstoff. Weshalb noch gefährlicher? Bricht ein Benzintank, fließt Benzin aus und verbreitet sich. Fängt es Feuer, fangen die Gase über der fließenden Lache an zu brennen. Anders der Wasserstofftank. Ist er beschädigt, gibt es eine Stichflamme nach oben weg, weil der Wasserstoff sehr leicht und damit flüchtig ist. Aber das Feuer verteilt sich nicht flächig. Das Brennverhalten von Wasserstoff ist günstiger. Wir sollten dabei auch im Blick behalten, dass Wasserstoff nichts Neues ist. Als technisches Gas wird es seit über hundert Jahren eingesetzt. Wir haben viel Erfahrung im Umgang damit. Nun wird Wasserstoff in einem anderen Zusammenhang eingesetzt. Das ist alles. Befürworter von Wasserstoff bringen immer wieder das Argument vor, dass wir mit Wasserstoff überschüssigen erneuerbaren Strom sinnvoll verwenden können. Ein Beispiel: In Deutschland drehen sich Windräder 24 Stunden am Tag-- also auch nachts, wenn nicht viel Strom im Netz benötigt wird. Man könnte diesen überschüssigen Strom in Wasserstoff speichern. Klingt zunächst plausibel. Aber ist dies auch realistisch? Bis zu einem gewissen Grad. Der überschüssige Strom wird nicht ausreichen, um annähernd den Wasserstoff-Bedarf in Deutschland zu decken. Auch haben wir noch nicht die Großanlagen, um überhaupt größere Mengen an Wasserstoff produzieren zu können. In Bremerhaven werden kleinere Pilotanlagen betrieben. In diesen Projekten wird erforscht, wie man solche Anlagen skalieren kann- - und auch inwieweit sie zuverlässig und systemdienlich in unserem Energiesystem eingesetzt werden können. Das heißt, wir müssen noch viel forschen und entwickeln, um überhaupt Großanlagen bauen zu können. Ja. Zudem müssten wir Strategien und Technologien finden, solche Anlagen in Serie zu produzieren. Die Elektrolyseure etwa auf dem Hydrogen Lab Bremerhaven des Fraunhofer IWES sind noch keine in Serie gefertigte Anlagen. Sie wurden in Manufakturen gebaut. Da steckt viel Handarbeit drin, und das macht die Technologie teuer. Solche Pilotanlagen reichen, um städtische Fahrzeuge und einige Anwender zu versorgen. Doch für Großanlagen brauchen wir leistungsfähigere, zuverlässige, in Serie gefertigte und preiswerte Elektrolyseure. Wir sprechen von enormen Größenordnungen. Welche Rolle wird Bremerhaven aus Ihrer Sicht bei dieser Skalierung spielen? Ich sehe Bremerhaven als Standort für Forschung, Technologie und Produktion der Anlagen. Ich denke nicht, dass unsere Stadt ein Zentrum für die Wasserstoffproduktion sein wird. Ein Grund dafür ist, dass wir geographisch zu weit weg sind von den Offshore-Windkraftanlagen und dem Haupt-Leitungsnetz. Doch ich sehe gute Chance für Forschungs- und Entwicklungsprojekte, wie wir sie jetzt schon mit unseren Pilotanlagen haben- - und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Erzeugung über Verteilung und Lagerung bis hin zur Anwendung. Das heißt-- in Bremerhaven werden vermutlich keine Produktions-Großanlagen stehen. Aber es werden hier solche Großanlagen entwickelt und gebaut werden? Die deutsche Wasserstoffproduktion wird nicht den kompletten Bedarf decken können. Deutschland wird grünen Wasserstoff importieren müssen. Wasserstoff beziehungsweise seine Derivate Ammoniak oder Methanol haben den Vorteil, dass man sie gut mit Schiffen auch über lange Strecken transportieren kann. Ob Bremerhaven ein geeigneter Importstandort sein kann, wird sich zeigen. Bremerhaven ist ein Technikstandort in Verbindung mit einem Seehafen. Es bietet damit beste Bedingungen für den Export, insbesondere von großen Anlagen oder Maschinen. Reportage | „Viel Kompetenz für Wasserstoff-Projekte“ 8 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0062 Also ein Teil unseres Wasserstoffs wird aus dem Ausland kommen… Deutschland wird bis zu siebzig Prozent des benötigten Wasserstoffs importieren. Es ist denkbar, dass die Großanlagen zur Erzeugung von Wasserstoff dann in sonnenreichen Gegenden Afrikas oder des Nahen Ostens stehen. Von Bremerhaven aus könnten wir diese Länder mit der erforderlichen Technologie versorgen. Bremerhaven könnte als Standort interessant werden für Unternehmen, die etwa Elektrolyseure, Brennstoffzellen oder Tanks herstellen. Wir verfügen hier über alles, was diese Industrie braucht: Angefangen von der Infrastruktur für Forschung und Entwicklung über die erforderlichen Fachkräfte bis hin zur Logistik. Eingangs haben wir über die Offshore-Windenergie gesprochen. Bremerhaven war einige Zeit ein Hub für die großen Windkraftanlagen auf dem Meer. Sie sagen, dass Sie von dieser Erfahrung heute profitieren. Die Rückschläge damals hingen zum einen mit einem Wechsel in der Politik zusammen, zum anderen auch mit der Technologie der Windenergie selbst. Noch heute stehen in Bremerhaven viele Offshore- Windräder-… Ja, für Langzeittests. Wer genau hinsieht, wird beispielsweise verschiedene Fundamente erkennen, die damals erprobt wurden-- etwa Jackets oder Tripods. Jackets? Was darf ich darunter verstehen? Jackets sind eine Art Stahlgerüst. Äußerlich sehen sich diese Windräder ähnlich, doch innen sind sie technologisch verschieden. Diese vor zehn oder fünfzehn Jahren errichteten Windräder sehen heute vergleichsweise klein aus. Damals waren es allerdings die größten und leistungsfähigsten, die man bekommen konnte. Diese damals zur Verfügung stehende Offshore-Technologie war noch nicht marktreif. Sie war vielfach störanfällig und noch nicht für den Langzeitbetrieb getestet. Das war damals eine schmerzhafte Erfahrung für alle Beteiligten, mit einer Technologie offshore zu gehen, von der man nicht wusste, ob sie selbst an Land zuverlässig funktioniert. Aus dieser Erfahrung haben wir gelernt. Wir müssen Technologien ausführlich testen bevor wir sie an den Markt bringen? Selbstverständlich. Deshalb hat das Fraunhofer IWES in Bremerhaven das Testfeld etwa für Elektrolyseure und deren gesamte Peripherie aufgebaut. Sie erproben dort die Technologie auch in Stresstests: Was leisten die Pilotanlagen wirklich? Welche Anforderungen haben sie für den Betrieb? Welches Umfeld brauchen sie, um zuverlässig zu arbeiten? Ähnliches gilt für die Anwendung des Wasserstoffs. Inwiefern für die Anwendung? Ein Beispiel dafür sind die Wasserstoffbusse. Es reicht nicht, einfach Wasserstofftanks und eine Brennstoffzelle in die Busse einzubauen. In den Bussen arbeitet ein sehr komplexes System, das auch unter kritischen Verhältnissen einwandfrei funktionieren muss. Die Forscher, Hersteller und Anwender wollen wissen, wo die technischen Herausforderungen liegen-- und an diesen Herausforderungen arbeiten. Solche Projekte zu Forschung und Umsetzung, die die Grundlage für die Nutzung grünen Wasserstoffs legen, sind schwierig: nicht nur technologisch, sondern auch vom Projektmanagement her. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Herausforderungen? Eine wesentliche Herausforderung liegt darin, dass es sich um komplett neuartige Anlagen handelt. Ein Beispiel: Bald wird das ttz Bremerhaven einen Seegangssimulator haben, also einen Versuchsstand, der den Wellengang auf dem Meer simuliert-… …-und auf der empfindlichen Technologie realitätsgerecht „durchgeschaukelt” wird, bevor sie aufs Meer hinausgebracht wird? Ja. Solch eine Anlage hat bislang noch niemand gebaut. Die Anlage muss komplett neu konzipiert werden. So etwas kann man nicht von der Stange kaufen, sondern muss es kleinteilig konstruieren. Das Institut, das den Seegangssimulator entwickelt, betritt also absolutes Neuland. Ähnliches gilt für Elektrolyseure auf den Testfeldern. Vergleichbare Anlagen, auf die man zurückgreifen könnte, gibt es kaum. Dies wirkt sich auf das Projektmanagement aus. Beispielsweise bei Bauprojekten hat man immer einige bekannte Faktoren-- und vielleicht auch ein zumindest grobes Schema für das Management. Bei den Bremerhavener Wasserstoff-Projekten dagegen muss auch das Projektmanagement immer wieder neu betrachtet werden. Sie haben eingangs einen Vorteil von Bremerhaven angesprochen. Es ging um die Dichte der Institute, um die vielen Experten und die kurzen Wege. Es hat sich, vermute ich, in Bremerhaven ein Kompetenz-Netzwerk für Wasserstoff entwickelt. Ist dieses Netzwerk hilfreich für das Projektmanagement? Ja, definitiv! Unser Netzwerk funktioniert sehr gut. Die meisten, die in dieser Branche hier tätig sind, kennen sich ohnehin persönlich. Wir bieten außerdem Netzwerkveranstaltungen oder Innovationswerkstätten an, etwa zum Thema Meerwasserelektrolyse. Auf diesen Veranstaltungen lernen sich die Akteure besser kennen und bleiben in Austausch. Bremerhaven ist mit seinen knapp 115.000 Einwohnern eine überschaubare Stadt. Ist die Größe günstig für solch ein Netzwerk? Im Prinzip kennen sich alle Akteure. Man kann einfach den Telefonhörer in die Hand nehmen und mal eben etwas mit Kolleginnen oder Kollegen besprechen. Die Motivation, Agilität und Innovationskraft der Beteiligten sind enorm. Wie erklärt sich aus Ihrer Sicht diese Motivation? Weil Wasserstoff ein spannendes Thema ist und man mit den Projekten zu den Pionieren gehört? Das mag ein Grund sein. Doch es geht hier auch um pure Notwendigkeit: Ohne Wasserstoff schaffen wir die Dekarbonisierung nicht. Wir müssen uns überlegen, wie wir grünen Wasserstoff einsetzen, um dem Klimawandel entgegenzutreten. Auch aus diesem Motiv speist sich die Motivation in Bremerhaven, grünen Wasserstoff voranzubringen. Reportage | „Viel Kompetenz für Wasserstoff-Projekte“ 9 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0062 Eingangsabbildung: In Bremerhaven entwickelt sich eine Modellregion für die Nutzung des Energieträgers Wasserstoff. © BIS / Scheer Dr. Saskia Greiner Dr. Saskia Greiner ist gebürtige Bremerhavenerin und seit 2020 Innovationsmanagerin für Wasserstoff bei der BIS Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbh. Sie hat Chemieingenieurwesen mit Schwerpunkt Umwelttechnik studiert, dann den Master in Umwelttechnik erworben und in Wirtschaftsinformatik promoviert. Master und Promotion befassten sich vor allem mit dem Betrieb von Offshore-Windparks. Dr. Saskia Greiner hat als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Umwelttechnik an der Hochschule Bremen gearbeitet. Zudem hat sie ihr Wissen über Prozesse in einem Ingenieurbüro im Bereich Building Information Modeling eingebracht. Foto: BIS © esser-fotografie … mehr als Technik Individuell. Flexibel. Zertifiziert. 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