eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 35/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2024-0063
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2024
354 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Windstrom, Wasserstoff, Waterkant

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Oliver Steeger
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10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0063 Wie grüne Wasserstoff-Projekte Bremerhaven eine Zukunft geben Windstrom, Wasserstoff, Waterkant Oliver Steeger Bei Regenwetter wirkt der Bremerhavener Flugplatz Luneort wie ein Lost Place. Er liegt auf einer kleinen Insel im Süden der Stadt zwischen dem Hafen, der Weser und dem Flüsschen Lune. Der stillgelegte Tower und die blau-silbernen Hangars scheinen verlassen. Die Startbahn- - von wilden Wiesen umgeben-- läuft auf ein Windrad zu, das später errichtet wurde. An einem Gebäude ist noch ein das Schild „Abflug“ zu sehen. 2016 wurde der Flugplatz geschlossen. Hier sollte ein riesiges Terminal für Offshore-Windenergie entstehen. Aus dem Offshore-Hub wurde bislang nichts. Aus verschiedenen Gründen. Das war damals ein Tiefschlag für die Bremerhavener Wirtschaft. Doch der Eindruck am Flugplatz täuscht. So, wie in den Fugen der Startbahn Löwenzahn sprießt, wachsen auf dem ehemaligen Vorfeld und dem Hangar zarte Pflanzen für die Bremerhavener Zukunft. Es geht um grünen Wasserstoff. Erzeugt aus klimaneutraler Windenergie. Wer genau hinschaut, erkennt auf dem Vorfeld ein eingezäuntes Areal mit weißen Industriecontainern. Das sind Elektrolyseure-- Produktionsanlagen für Wasserstoff. Sie sind im Stresstest. Kevin Schalk, ein hochgewachsener, blonder Wissenschaftler, zeigt an einem regengrauen Tag im Mai einer kleinen Besuchergruppe die Anlagen. Er trägt ein grünes T-Shirt und eine signalgelbe Allwetter-Schutzjacke mit dem Fraunhofer-Symbol. Von einem überdachten Pavillon aus überblicken sie das Areal des ehemaligen Flugplatzes. Pfützen stehen auf dem Asphalt des Vorfelds, wo fensterlose Container mit metallisch-silbernen Lüftungsanlagen in Reihe stehen. Alle paar Meter recken sich Blitzableiter zum Himmel. Kleine Betonfundamente zeigen, dass das Testfeld noch Platz bietet. „Die Schalttechnik ist im ehemaligen Hangar“, sagt Kevin Schalk. Von der Wasserstoff-Produktion in den Anlagen ist weder etwas zu sehen noch zu hören. Der ehemalige Flughafen liegt still. Am Ende der Startbahn ziehen die drei Rotorblätter des Windrads lautlos ihre Kreise. „Diese Windkraftanlage war mit acht Megawatt damals die größte der Welt“, erklärt er. Heute liefert sie klimafreundlichen Windstrom für das Hydrogen Lab Bremerhaven, in dem das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme Elektrolyseure erforscht und hart testet. „Grüner Wasserstoff steht heute dort, wo die Windenergie vor einigen Jahren stand“, sagt Kevin Schalk. Vielleicht nicht am Anfang. Doch die Technologie muss noch Forschungsprojekte durchlaufen, bis sie marktreif ist. Fest steht, dass die Projekte im Hydrogen Lab den Weg Das Windrad an der ehemaligen Startbahn des Flugplatz Luneort liefert Strom für Wasserstoff. Foto: Oliver Steeger Reportage | Windstrom, Wasserstoff, Waterkant 11 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0063 spürbar abkürzen wird. Dem fiebert man in Bremerhaven entgegen. Die Stadt an der Weser ist wie ein Stehaufmännchen, sagen die Menschen hier. Erst gaben in Bremerhaven die Werften auf; Überkapazitäten wurden der hier traditionellen Industrie zum Verhängnis. Dann unterlag die Bremerhavener Fischerei im internationalen Wettbewerb. Der Fischereihafen in Bremerhaven-- einst der größte des Kontinents-- musste schließen; bezeichnenderweise liegt heute die größte Fischauktion am Frankfurter Flughafen. Zuletzt zerstob die Hoffnung auf Offshore-Windenergie wegen des energiepolitischen Schlingerkurses, verlorenem Vertrauen und fehlenden Projektaufträgen für die Bremerhavener Wirtschaft. Doch die Menschen hier haben etwas von der norddeutschen Art Stürmen zu trotzen. Kevin Schalk ist Leiter des Hydrogen Labs und gehört zu einer Bremerhavener Gruppe von Ingenieuren, Wissenschaftlern und Projektmanagern: einige von ihnen nennen sich „Wasserstofflotsen“. Sie kämpfen für Wasserstofftechnologie „made in Norddeutschland“. Gewiss, ihnen geht es auch darum, der Bremerhavener Wirtschaft eine Zukunftschance zu eröffnen. Doch sie zielen auf mehr: auf die Energiewende in Deutschland und den Klimaschutz weltweit. Die Idee, Wasserstoff als Energieträger zu nutzen, ist älter als die meisten vermuten. Vor 150 Jahren beschrieb der Science-Fiction-Autor Jules Verne seine Wasserstoff-Vision im Roman „Die Geheimnisvolle Insel“. Dort nutzen Ingenieure Wasserstoff für Lokomotiven, Schiffe und Fabriken. Heute zollen Wissenschaftler dem Autor Respekt für seine revolutionäre Weitsicht, die um 1800 entdeckte Elektrolyse aufzugreifen. Jules Verne verstand, dass Wasserstoff als Energieträger sauber, fast elegant ist-- und Kohle gut ersetzen kann. Doch wusste er nichts davon, dass Kohlendioxid das Weltklima aufheizt-- und Wasserstoff ideal ist, grünen Strom zu speichern. Strom aus Wind und Sonnenlicht gilt als Zauberformel für die Energiewende. Doch die regenerativen Energien haben einen Nachteil. Sie sind nicht berechenbar (Stichwort: „Dunkelflaute“). Und man kann sie bislang kaum in großen Mengen speichern. Drehen sich beispielsweise nachts die Windräder und wird der Strom nicht abgenommen, geht er verloren. An diesem Punkt kommt Wasserstoff ins Spiel. Seine Verfechter sagen: Wir können überschüssigen Strom als Wasserstoff speichern-- und dann nutzen, wenn wir die Energie brauchen. Wir könnten sogar das bestehende Netz von Gas-Pipelines verwenden, um Wasserstoff in Deutschland zu verteilen. Klingt so plausibel, dass sich daraus ein Hydrogen- Hype entwickelt hat. Doch dieser Hype hat einen Haken. Und den bringt Kevin Schalk mit der zwingenden Logik eines Ingenieurs auf den Punkt. Die Technologie muss unter Realbedingungen einwandfrei und im großen Maßstab funktionieren. Auf Kevin Schalks Prüffeld am stillgelegten Flugplatz trifft der Hype auf die Realität. Es braucht etwas Chemieunterricht, um dies zu verstehen. Wasser besteht aus Wasserstoff und Sauerstoff. Ein Weg, Wasserstoff zu erzeugen, besteht darin, Wasser aufzuspalten in seine Bestandteile- - und zwar mit Strom. Für das Experiment im Chemieunterricht reicht es, den Strom mit zwei Elektroden in das Wasser zu leiten. Die Elektrolyse: Der Sauerstoff wird zu der positiven geladenen Anode „gezogen“ (zum „Pluspol“), die Wasserstoff-Atome zu der negativ geladenen Kathode. Unter den staunenden Blicken der Schüler steigen kleine Gasbläschen im Wasser auf. Ähnliches geschieht in den Elektrolyseuren-- allerdings im größeren Maßstab. Die heute gängigen Technologien (es gibt mehrere Ansätze) sind auf gleichmäßige Stromversorgung ausgelegt. Windenergie aber unterliegt den Launen von Wind und Wetter. Die Stromproduktion ist ungleichmäßig; es kommt zu Unterbrechungen und Schwankungen im Netz. Für Elektrolyseure kann dies Gift sein. Sie können vorzeitig altern. Wie genau und wie stark-- dies erforscht Kevin Schalk mit seinem Team am Flugplatz. Die elektrische Schaltanlage im Hangar simuliert Schwankungen. Auf dem Testfeld untersuchen die Die Pilotanlage löst Wasserstoff aus Ammoniak heraus. Das Ammoniak selbst stammt aus Industrieabwässern oder Kläranlagen. Foto: Oliver Steeger Reportage | Windstrom, Wasserstoff, Waterkant 12 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0063 Wissenschaftler, wie bei ungleichmäßiger Last beispielsweise die Kathode altert und was man dagegen tun kann. Damit ist Kevin Schalk mitten im Thema. In seinen Forschungsvorhaben und Entwicklungsprojekten geht es um Fragen, wie man die das Gesamtsystem der Elektrolyseure für den rauen Einsatz verbessert. Wie man Schwankungen abfedert. „Vielleicht sind kleinere Schwankungen nicht schlimm“, sagt er. Längere Abschaltung dagegen könnten schwierig sein. „Wir arbeiten hier im Hydrogen Lab Bremerhaven mit zwei Technologien“, sagt Kevin Schalk, „wir vergleichen diese Technologien und wollen sie unter Realbedingungen besser einschätzen.“ Welche Technologie eignet sich besser für welche Einsatzbedingungen? Welche Betriebszustände und Betriebsübergänge, wie Kevin Schalk sagt, bringen Vorteile? Welche sind zu vermeiden? Nicht, dass die beiden Technologien völlig neu wären. „Sie arbeiten bereits auch im großen Maßstab, etwa im Megawattbereich“, sagt er, „allerdings funktionieren sie noch nicht unter den Bedingungen und in der Zuverlässigkeit, die gebraucht werden.“ Die Herausforderungen liegen häufig im Detail. Das Wasser für Elektrolyseure muss derzeit noch hochrein sein. Im Laborexperiment ist das kein Problem. Aber in „Daily life“? Und: Bei der Elektrolyse geht viel Strom verloren, oft rund 40 Prozent. Je nach Elektrolyse-Technologie können Ingenieure den Verlust vielleicht in Zukunft reduzieren. Selbst ein paar Prozentpunkte würden sich lohnen. Wenige Prozentpunkte, dies mag zunächst bescheiden klingen. Doch dieser Gewinn an Effizienz kann eine Menge bedeuten für zukünftige Großanlagen, die Deutschland mit Wasserstoff versorgen. „Mit der Technologie befinden wir uns oft in einer gehobenen Prototypenphase“, sagt Kevin Schalk, „wir arbeiten an gesicherten Qualitätsstandards und den Grundlagen dafür.“ Er stellt klar: Von der Serienfertigung von Elektrolyseuren ist man noch ein gutes Stück entfernt. Daraus spricht nicht Skepsis, sondern die Vorsicht des Wissenschaftlers und Ingenieurs. Auf dem Testfeld ist Kevin Schalk täglich in Kontakt mit der neuen Technologie. Projekte zu Forschung und Entwicklung helfen ihm, sichere und gangbare Wege für die neue Technologie zu finden. „Die Herausforderungen sind groß“, meint er und fügt sofort an: „Aber nicht so groß, dass man sie nicht gemeinsam lösen könnte.“ Der Energieträger Wasserstoff ist heute nicht mehr utopisch, anders als bei Jules Verne. „Es gibt viele Gründe, weshalb Wasserstoff funktionieren könnte für die Energiewende“, sagt Kevin Schalk, „auch wenn wir noch einiges erforschen müssen.“ Noch fehlen beispielsweise Standards für diese Technologie. Bei der Messtechnik gibt es viele offene Fragen. Die Kalibrierungsforschung ist „terra incognita“. Das Fraunhofer Institut sucht Wege, diese Technologie näher an den Markt zu bringen und durch Forschung Vertrauen etwa bei Investoren aufzubauen. „Wir unterstützen Unternehmen beim Testen und Validieren dieser Anlagen.“ Also als unabhängiges Institut einen Stempel geben und Transparenz schaffen? „Ja“, sagt Kevin Schalk, „das hilft bei der Akquise und Firmierung.“ Eines will er nicht: Halbreife Technologie beim Kunden testen. „Wir müssen das Thema strukturiert angehen“, sagt der Wissenschaftler, „die mögliche Fallhöhe ist enorm.“ An dieser „Fallhöhe“ sind in der Vergangenheit schon viele Hoffnungsträger für die Energieversorgung gescheitert. Kohle und Erdöl? Dreckschleudern und Klimakiller. Atomkraftwerke? Gefährlich und politisch kaum durchsetzbar. Dem Fall vorausgegangen war jeweils der Hype. Einen solchen Hype haben die Bremerhavener selbst erlebt bei der Offshore-Windenergie. Es war auch die Technologie selbst mit ihren Kinderkrankheiten, die Offshore-Windenergie damals ein vorläufiges Ende bereitete. Die Marktreife fehlte. Häufig kamen Prototypen hinaus aufs Meer. Fernab der Küste erwiesen sich viele Windräder als störanfällig und unzuverlässig. Schwierig war es, nicht nur die technischen Probleme zu beheben, sondern auch verlorenes Vertrauen wiederherzustellen. Diese Lektion hat man in Bremerhaven gelernt. Ihre Erfahrung wirft die Stadt in die Waagschale, wenn sie sich zur europäischen Modellregion für grünen Wasserstoff aufstellt. Man will keine Schnellschüsse, sondern sorgfältig durchgeführte Projekte und Testvorhaben, die eine Brücke schlagen zwischen Forschung und Anwendung. Die Bremerhavener Hochschule und Dutzende von Forschungseinrichtungen sind gut vorangekommen, in der Stadt eine komplette Wasserstoff-Kette aufzubauen- - von der Stromerzeugung und Wasserstoffproduktion über Lagerung und Verteilung bis hin zur Anwendung. Beispielsweise fahren Busse der örtlichen Verkehrsbetriebe mit grünem Wasserstoff „made in Bremerhaven“. Zudem haben sich Expertennetzwerke und Initiativen gegründet, die die Verbreitung von Wasserstoff vorbereiten. Wissen wird ausgetauscht. Partner finden in Projekten zusammen. Kreative Allianzen entwickeln sich. Auch dies macht Fachleute optimistisch. Derzeit gilt der hohe Preis von Wasserstoff als Hürde für eine Verbreitung. Beispielsweise kostet es mehrere zehntausend Euro im Jahr mehr, Wasserstoffbusse statt Dieselbusse zu betreiben. Mit der Skalierung der Elektrolyse-- also industrialisierter Großproduktion-- könnte der Preis fallen. Grenzen setzen die Stromkosten. Deshalb suchen Wissenschaftler andere Wege, Wasserstoff zu erzeugen. Am ehemaligen Fischereihafen-- acht Autominuten vom Flugplatz Luneort entfernt-- versuchen sie es mit Industrieabwasser. Bremerhavens Fischereihafen umfasste einst die größte Fisch- Auktionshalle Deutschlands. Einer der Backsteinbauten-- Halle X genannt-- zieht sich mehrere hundert Meter entlang der Knurrhahnstraße. 1928 bis 1929 errichtet, steht der 390 Meter lange und 28 Meter schmale Backsteinbau heute unter Denkmalschutz. Auf seiner Rückseite legten die Schiffe an; nach vorne hin wurde der verkaufte und verpackte Fisch verladen. Nach wie vor gibt es in dem Industriegebiet Lebensmittelfirmen, eine Reminiszenz an die große Zeit der Fischdampfer. Doch heute siedeln hier auch Forschungsinstitute, beispielsweise das ttz Bremerhaven, ein unabhängiger und gemeinnütziger Forschungsdienstleister. Eines seiner Projekte könnte den Schlüssel liefern, Wasserstoff günstiger herzustellen. Auf der Rückseite von Halle X liegt das Hafenbecken-- und davor die asphaltierte Fläche, auf der früher kistenweise Fisch angelandet wurde. Heute wirken die Flächen verlassen. Der Asphalt glänzt regennass. Als einziges Schiff liegt die „Akke“ vor Anker, ein Motorschiff mit blauem Rumpf und gelbem Mast, das Schlick im Hafen beseitigt. Industriehallen und ein mächtiger Verladekran zeichnen sich im Regenschleier auf der anderen Seite des Hafens ab. In einer Ecke, nahe am Backsteingebäude, stehen drei Industriecontainer. In ihnen Reportage | Windstrom, Wasserstoff, Waterkant 13 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0063 läuft eine Pilotanlage, um Wasserstoff aus Ammoniak herauszulösen: Ammoniak, das aus Industrieabwässern oder Kläranlagen stammt. Malte Fredebohm ist ein Norddeutscher, wie man ihn sich vorstellt. Direkt und klar. „I became an engineer to find solutions, not to look for problems“, schreibt er auf seinem Social-Media-Profil. Ein Macher. Ein Projektmanager. Malte Fredebohm war lange bei der Fraunhofer Gesellschaft. Heute leitet er das Kompetenzfeld Wasserstoff beim ttz. Er öffnet die Türen zu den drei Containern. Einen Blick auf die Armaturen werfen darf man, aber keine Fotos machen. Hier sind Innovationen am Start. Nochmals Chemieunterricht. Ammoniak (giftig! ) besteht aus Stickstoff und Wasserstoff. In einem Reaktor kann man die beiden Elemente voneinander trennen. Die drei Container bilden die drei Prozessschritte ab, in denen Ammoniak zerlegt wird in Wasserstoff und Stickstoff. Im ersten Container wird das Ammoniak aufkonzentriert, also vorbereitet für den weiteren Prozess. Im zweiten Container werden Wasserstoff und Stickstoff aus dem Ammoniak herausgelöst, im dritten Container die Gase separiert. „Wir können sogar den Stickstoff sinnvoll verwenden, etwa als Reinigungsmittel, um Elekrolyseure durchzuspülen“, erklärt Malte Fredebohm. Er zeigt auf ein unscheinbares Kabel, das die Container mit dem Backsteingebäude verbindet. „Das ist das Stromkabel“, sagt er, „viel Strom brauchen wir für den Prozess nicht.“ Natürlich braucht auch die Wasserstoffgewinnung aus Ammoniak Energie- - aber möglicherweise nicht solche Strommengen, wie sie bei der Elektrolyse erforderlich sind. Malte Fredebohm will keine verfrühten Hoffnungen wecken. „Das sind alles noch Vermutungen“, sagt er ernst. Die Frage ist, wie man die ganze Sache rechnet. Mit Blick auf die gesamte Energiebilanz kann dieser Ansatz günstiger sein. Denn in solche eine Bilanz fließt auch ein, dass das Wasser für Elektrolyseure speziell aufbereitet werden muss. „Man kann für Elektrolyseure nicht Wasser aus dem Wasserhahn verwenden“, erklärt der Wissenschaftler. Auch diese Aufbereitung kostet Energie. Es ist nicht leicht, die beiden Verfahren nebeneinander zu stellen und zu vergleichen. Auch lässt das Ammoniak-Pilotprojekt noch nicht erkennen, wie rein der gewonnene Wasserstoff sein wird. Daran wird einiges hängen. Malte Fredebohm sagt mehrfach: „Das wird die weitere Forschung zeigen.“ Daraus spricht die Entschlossenheit des Wissenschaftlers, der Sache schrittweise auf den Grund zu gehen. Allgemein gefragt-- lohnt sich dies überhaupt? Wir werden, sagt Malte Fredebohm, Wasserstoff in jedem Fall brauchen: Um Energie länger zu speichern. Als Grundstoff in der Industrie. Oder als Transportmedium. Doch was ist mit Mobilität und Straßenverkehr? Schwer zu sagen. Batterien sind nach wie vor ideale Stromspeicher für einige Minuten, Stunden oder Tage. Auch wirtschaftlich haben Batterien im Straßenverkehr großes Potenzial. Sie sind womöglich dem Wasserstoff überlegen. Anders sieht es aus etwa bei Baumaschinen oder Spezialfahrzeugen. Ihr Energiebedarf ist hoch. Die heutige Batterietechnologie ist für diese Fahrzeuge kaum eine Option-- oder nur mit Schwierigkeiten einsetzbar. Wasserstoff, sagt Malte Fredebohm, wäre da eine Alternative. Doch wir wissen nicht, wo die Batterietechnik in zehn oder fünfzehn Jahren stehen wird. Womöglich haben wir in Zukunft leichte und langlebige Batterien, preiswert, klein und ökologisch unbedenklich. Obwohl Malte Fredebohm Wasserstoff erforscht: Er zeigt sich bemerkenswert technologieoffen. Gut möglich, dass die Zukunft die leistungsfähigeren Batterien bringt-- und Wasserstoff dann auf den Straßen eine geringe Rolle spielt. Doch bis dahin, sagt er, können wir nicht warten. Wir müssen jetzt forschen, entwickeln und handeln. Dem Wissenschaftler geht es um etwas Größeres: nämlich Lösungen für die Energiewende und den Klimaschutz zu finden. Die Nähe zur See und der Hafen könnten sich für Bremerhaven auch in anderer Hinsicht auszahlen: Treibstoffe für Schiffe. Fachleute vermuten, dass die Schifffahrt fast drei Prozent des weltweiten Ausstoßes an Kohlendioxid verantwortet (mehr Blick ins Labor des ttz Bremerhaven. Foto: Oliver Steeger Reportage | Windstrom, Wasserstoff, Waterkant 14 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0063 Kohlendioxid, als in ganz Deutschland emittiert wird). Hinzu kommt: Die Schifffahrt verursacht weit über zehn Prozent der globalen Emissionen an Stickoxid und Schwefeldioxid; etwa für Hafenstädte sind diese Schadstoffe eine schwere Bürde. Methanol, so weiß man seit Längerem, wäre eine saubere Alternative zu Schweröl und Diesel. Große Reedereien wie Maersk haben bereits methanolbetriebene Schiffe geordert. Völlig klimaneutral wären Schiffe mit grünem Methanol unterwegs, erzeugt aus regenerativen Energien und natürlichem, nicht-fossilem („biogenem“) Kohlendioxid. Ein solches Schiff hat das Bremerhavener „Alfred Wegener Institut“ 2023 erstmals auf Forschungsreise in die Nordsee geschickt. Auf der „Uthörn“ entnehmen und untersuchen Wissenschaftler Meeresproben, oder sie vermessen das Meer. Auf dem 35 Meter langen Forschungsschiff mit dem meerblauen Rumpf und den blendend weißen Aufbauten lernen beispielsweise Meeresbiologen ihr Handwerk. Bahnbrechend an der Uthörn ist der sogenannte methanol-elektrische Antrieb. Zwei auf Methanol umgerüstete Dieselmotoren sind mit Stromgeneratoren gekoppelt; das Schiff selbst wird von elektrischen Fahrmotoren angetrieben. Eine Sache macht das grüne Methanol interessant: Der Treibstoff ist „made in Bremerhaven“. Gemacht aus grünem Wasserstoff etwa vom Flughafen Luneort und Kohlendioxid aus einer örtlichen Kläranlage. Das Forschungsinstitut ttz Bremerhaven entwickelt derzeit in einem Projekt die Methanol-Pilotanlage, um den Treibstoff für die Uthörn zu produzieren. „Methanol ist ein flüssiger Kohlenwasserstoff“, erklärt Institutsleiter Professor Gerhard Schories. In den Augen der Chemiker und Ingenieure ist Methanol dem Benzin, Kerosin oder Diesel nicht unähnlich- - und das macht es so attraktiv. „Anwender haben für flüssige Treibstoffe eine Infrastruktur“, sagt Gerhard Schories, „im Grunde können wir die Lager oder Tankanlagen leicht verändert weiterverwenden.“ Dies mache Methanol unter anderem für die Schifffahrt so spannend. Für Gerhard Schories ist Methanol eine niederschwellige Alternative, eine Brücke in die Zukunft nicht-fossiler Treibstoffe. Flüssiger Treibstoff ist Abnehmern und Anwendern vertraut. Er ist vermittelbar. „Wir sind ja in unserer Mobilität auf flüssigen Treibstoff gewissermaßen gepolt“, sagt er. Ein weiterer Vorteil ist: Anders als Öl löst auslaufendes Methanol im Meer keine Umweltkatastrophe aus. Es ist wasserlöslich und wird von Mikroorganismen abgebaut. Eine letzte Chemiestunde, dieses Mal für Fortgeschrittene. Es gibt mehrere Wege, an Methanol zu kommen, chemische und biologische. Beispielsweise entsteht Methanol als ein Nebenprodukt bei der alkoholischen Gärung; es gehört „zur leichten Fraktion“, wie Gerhard Schories erklärt. Ein anderer Weg für die Gewinnung von Methanol ist, Kohlenstoff und Wasserstoff in einem Reaktor zu verbinden. Der Ausgangsstoff grüner Wasserstoff lässt sich in Bremerhaven mittlerweile gut beschaffen. Bleibt die für die Wissenschaftler die Frage, wo das grüne Kohlendioxid herkommt. Es sollte dem natürlichen Kreislauf entstammen, „biogenen“ Ursprungs sein, wie Gerhard Schories erklärt, also nicht aus fossilen Quellen kommen. Er fand dieses biogene Kohlendioxid beispielsweise in der Bremerhavener Kläranlage. Es stammt aus der Abwasserreinigung. So unlogisch es beim ersten Hinhören klingt-- für die Produktion von grünem Methanol ist Kohlendioxid der Engpass, nicht der Wasserstoff. Weshalb ausgerechnet Kohlendioxid? Es ist Bestandteil unserer Luft. Wir sind davon umgeben. Ein Allerweltsstoff. Das Problem liegt im Detail. „Nur circa 0,042 Prozent des Luftvolumens ist Kohlendioxid“, erklärt Gerhard Schories. Genug für einen Klimawandel. Aber nicht genug, um es wirtschaftlich aus der Luft zu filtern. Da gibt es Quellen mit besserer Ausbeute: Günstig sind beispielsweise Abgase aus Gasmotoren. Sie haben 250 Mal mehr Kohlendioxid als unsere Umgebungsluft. Zudem sind die Gase heiß, wenn sie aus dem Motor kommen: Die Hitze kann man verwenden, um das Kohlendioxid aus dem Gas abzutrennen (Fachsprache: separieren) und rückzugewinnen. Doch diese Abgase haben einen Nachteil. Ihr Kohlendioxid ist fossilen Ursprungs. Es entstammt nicht einem natürlichen Kreislauf. Bessere Quellen für sind etwa Müllverbrennungsanlagen (Hausmüll ist häufig biogenen Ursprungs). Noch besser: Kläranlagen, wo in Faultürmen in biologischen Prozessen entstehendes Methan in Gasmotoren zur Stromerzeugung verbrannt wird. Ziel des Vorhabens des ttz ist es, mit seiner Pilotanlage jährlich 180 bis 200 Tonnen Methanol herzustellen-- genug für die Uthörn. „Gemessen an einer industriellen Anlage ist das natürlich nichts“, sagt Gerhard Schories, „eine solche Anlage sollte bei bis zu 100.000 Tonnen pro Jahr liegen.“ Solche Anlagen sind sein langfristiges Ziel. Die Herausforderung ist die Skalierung. „Skalierung kann man nicht erreichen, indem man den vorhandenen Apparat einfach auf das hundertfache Volumen vergrößert“, sagt er. Mit seinem Team wird er seine Anlage Schritt für Schritt ausbauen. Im nächsten Jahr wird sie vielleicht schon mehr als 10 Liter pro Tag liefern, übernächstes Jahr einige 100 Liter-- und dann kommt man schrittweise zur Großanlage. Also in drei Schritten zum industriellen Maßstab. „Für die Entwicklung solcher Anlagen erarbeiten wir zunächst ein Reaktor-Konzept“, erklärt Gerhard Schories die Vorgehensweise, „wir nutzen dabei heute stark mathematische Modellierungen, fluid-dynamische Simulationen und auch Simulationen zu Wärme und Stoffübergang.“ Damit studieren die Forscher die chemische Reaktion, lernen den Prozess kennen-- und entwickeln den Reaktor auf dem Papier. Versuche liefern dann erste Daten, das Konzept zu validieren. „Auf dieser Basis modifizieren wir das Modell und optimieren es in seinen Betriebsbedingungen“, sagt er, „im Grunde bleibt der Reaktor bei jedem Schritt gleich. Er wird nur insgesamt größer und leistungsfähiger.“ Nach den drei Schritten gehen die Forscher davon aus, dass sie wissen, wie die Anlage optimal funktioniert. Der Schlüssel sind die Modellierungen und Simulationen. „Früher hatten wir diese Hilfsmittel nicht“, sagt Gerhard Schories, „als ich Doktorand war, haben wir viele Versuche mit verschiedenen Apparaten gemacht.“ Diese Apparate wurden auf Basis der Versuchsergebnisse verändert-- und damit dann erneut Versuche durchgeführt. „Dies haben wir so oft wiederholt, bis das Ergebnis stimmte“, sagt Gerhard Schories, „das hat deutlich länger gedauert als heute.“ Wo liegen die wesentlichen Knackpunkte solcher Reaktoren? „Das größte Problem sind die Katalysatoren und ihre Zusammensetzung“, antwortet er, „wir haben uns entschlossen, unseren Katalysator selbst zu entwickeln und dafür nicht auf Lieferanten zurückzugreifen.“ Reportage | Windstrom, Wasserstoff, Waterkant 15 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0063 Wie sieht der Experte die Zukunft von Energieträgern wie Wasserstoff oder Methanol? Schaffen wir damit die Energiewende? „Entscheidend aus meiner Sicht ist, dass wir den Weg, den wir jetzt gesellschaftlich eingeschlagen haben, nun auch weitergehen“, antwortet er, „wir sollten nicht erneut beginnen, die Richtung zu hinterfragen.“ Auch wegen des Klimawandels, aber nicht nur. In Deutschland liegen die Probleme mit der Energieversorgung auf der Hand. Zuletzt hat sie uns der Ukraine-Krieg vor Augen geführt. Mit Blick auf die Verfügbarkeit von Energie zu niedrigen Kosten sagt Gerhard Schories: „Wenn wir am Industriestandort Deutschland vor der Schwierigkeit stehen, dass wir die Produktion nicht mehr aufrechterhalten können-- dann haben wir wirklich ein Problem.“ Die Industrie brauche Planungssicherheit. Wie lange wird es dauern, bis die Forschungen zu neuen Energietechnologien nutzbar werden? „Es ist vieles angeschoben worden“, sagt er, „aber es wird sicherlich noch fünf oder zehn Jahre brauchen.“ Wichtig sei, dass die Industrie sich auf neue Technologien einstellen kann. Dann werde sie mitgehen. „Sobald die Wirtschaft sieht, dass man mit diesen Technologien Geld verdienen kann, wird sie sie nutzen.“ Aber- - wird Wasserstoff je wirtschaftlich sein? „Als die Bahn vor Jahrzehnten Dampflokomotiven durch Diesellokomotiven ersetzt hat, gab es auch Diskussionen über die höheren Kosten“, sagt er. Und? Der Diesel setzte sich durch-- und der Preis fiel. So werde es auch beim Wasserstoff und Methanol kommen. Beim Preis spielt die Zeit für die Energiewende. Wie die Bremerhavener Wirtschaft von der Wasserstoff-Technologie in Zukunft profitieren kann- - dazu entstehen gerade erste Modelle, Pläne und Projekte. Sollte sich grüner Wasserstoff als Energieträger durchsetzen, könnte Bremerhaven als Standort für Technologie ins Rennen gehen. Eher unwahrscheinlich, dass hier riesige Wasserstoff-Fabriken stehen werden. Die Stadt liegt zu weit weg von den Stromtrassen, die Offshore-Strom transportieren. Es wäre vermutlich schwierig, hier industrielle Wasserstoff-Produktionsanlagen mit grünem Strom zu versorgen. Doch für die Forschung und Entwicklungsprojekte solcher Anlagen bietet sich die Stadt an- - zumal sie über ihren Überseehafen verfügt. Fachleute rechnen nicht damit, dass Deutschland seinen Wasserstoffbedarf allein decken kann. Als Faustformel gilt, dass Deutschland siebzig Prozent seines Bedarfs wird importieren müssen. Professor Gerhard Schories macht eine Rechnung zur „Windernte“ auf. In Deutschland produzieren die Windräder vielleicht 2.500 Stunden pro Jahr auf Voll-Last. Offshore, auf dem Meer, können es 4.000 Stunden sein. Doch es gibt Gegenden anderswo in der Welt, wo 6.000 Stunden und mehr möglich sind. Logischerweise, dort müssten die Produktionsanlagen stehen. In Bremerhaven könnten in Projekten die Anlagen für diese Länder entwickelt werden. Dort würde Wasserstoff produziert und etwa nach Europa verschifft. Gerhard Schories bringt Überlegungen ins Spiel, Wasserstoff dann nicht als Gas über die Ozeane zu transportieren, sondern „flüssig“ als Methanol. Chemisch gesehen ist Methanol nichts anderes als mit Kohlenstoff und Sauerstoff flüssig gemachter Wasserstoff. Ob Methanol in ferner Zukunft tatsächlich hier am Hafen umgeschlagen wird, dies steht auf einem anderen Blatt. Fest steht aber, dass die Wasserstoff-Modellregion vorbereitet sein will, wenn die Karten für neue Energieträger gemischt und ausgeteilt werden. Und zwar gründlich vorbereitet. Derweil arbeiten Menschen wie Kevin Schalk, Malte Fredebohm und Gerhard Schories daran, den Weg in die Anwendung des Wasserstoffs zu bahnen und diszipliniert die wissenschaftlichen Fundamente zu legen. „Ich bin optimistisch aus zwei Gründen“, sagte Kevin Schalk am Flugplatz Luneort mit Blick auf sein Testfeld. „Wir können gar nicht anders als Wasserstoff für die Energiewende nutzen. Mit dieser Technologie sind wir weiter als mit anderen Technologien“, erklärt er, „und wir haben sehr gute und authentisch engagierte Unternehmen hier in Bremerhaven. Erste Projekte der Privatwirtschaft lassen hoffen.“ Seine signalgelbe Schutzjacke leuchtet im Regengrau. Seine Augen auch. Eingangsabbildung: Das Testfeld des Fraunhofer Instituts. Foto: Oliver Steeger Für jede Branche die passende Lösung projektron.de/ branchen PROCESSES Projektportfolio Ressourcenmanagement Multiprojektcontrolling Angebote und Rechnungen Scrum, Kanban, PRINCE2 ® , IPMA, BPMN Anzeige