PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2024-0064
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Eine ganze Stadt für Wasserstoff
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Oliver Steeger
Steffen Scheurer
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16 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0064 Unternehmen in Bremerhaven treiben Wasserstoffprojekte voran Eine ganze Stadt für Wasserstoff Oliver Steeger, Steffen Scheurer In der Werkstatthalle geht es die Treppe aus blitzblankem Aluminium hinauf. Von der Arbeitsbühne aus-- in gut vier Metern Höhe- - liegt das „Kraftwerk“ des Busses offen: Klappen im Dach sind geöffnet. Wir blicken auf die schwarzen Tanks vorne, jeder Tank für sieben Kilogramm Wasserstoff, mit 350 bar hineingepresst. Weiter hinten die Brennstoffzelle: sie wandelt Wasserstoff in Strom um, Energie für den Busmotor. Dazwischen rote Leitungen, Sicherheitstechnik, ein Behälter für Flüssigkeit. Alles wie neu. Wow! So also sieht der Wasserstoffbus der Zukunft aus. In Bremerhaven sind solche Busse der Zukunft seit gut einem Jahr unterwegs. Der Wasserstoff für die Busse kommt ebenfalls aus Bremerhaven. Er ist durch und durch klimaneutral, erzeugt aus Windenergie. Darauf sind Robert Haase, Geschäftsführer des Verkehrsunternehmens „Bremerhaven Bus“ und sein Werkstattleiter Jens Wefer stolz. Grüner, sauberer und lokaler geht’s kaum, sagen sie. Lokal heißt: Der Verkehrsbetrieb ist Teil der Bremerhavener Wasserstoff-Prozesskette. Seit einiger Zeit konzentriert sich die norddeutsche Seestadt darauf, Wasserstoff als Energieträger zu erforschen und anzuwenden. Hier ist heute im Kleinen zu sehen, wie morgen im Großen der Wasserstoff Deutschlands Energiewende voranbringen kann: angefangen bei der Erzeugung grünen Wasserstoffs über die Produktion und Lagerung bis hin zu Verteilung und Anwendung. In kaum einer anderen deutschen Stadt laufen so viele Projekte zu Wasserstoff. Beispielsweise betreibt das Fraunhofer Institut am stillgelegten Flugplatz Luneort ein Testfeld für Elektrolyseure; Wissenschaftler und Ingenieure erforschen, wie die empfindlichen Produktionsanlagen für Wasserstoff mit der schwankenden Stromleistung aus Windrädern klarkommen. Im ehemaligen Fischereihafen treibt das Forschungsinstitut ttz ein Pilotprojekt voran, grünes Methanol zu produzieren- - und zwar mit grünem Wasserstoff „made in“ Bremerhaven. In anderen Entwicklungsprojekten wollen Forscher Wasserstoff erzeugen aus Ammoniak, das sie wiederum aus Industrieabwässern gewinnen. Das Forschungsschiff Uthörn des in Bremerhaven beheimateten Alfred-Wegener-Instituts ist eines der ersten Schiffe, das mit grünem Methanol angetrieben werden wird. Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen, sagt man in Afrika. Ähnliches gilt auch für den Energieträger „Wasserstoff“. Es braucht eine ganze Stadt als Modellregion. Es braucht als Akteure nicht nur Politiker, Wissenschaftler und Ingenieure. Sondern auch Geschäftsführer und Entrepreneure: Macher mit scharfem Blick für das Ökonomische. „Bremerhaven Bus“ ist einer der Partner aus der Wirtschaft. Für Robert Haase liegt es auf der Hand, dass sein kommunales Unternehmen bei der Wasserstoff-Initiative mit vorangeht. Dies gehört zu seinem Selbstverständnis als kommunaler Geschäftsführer: mithelfen, den politischen Willen umzusetzen. Auch, wenn das Projekt „Wasserstoff-Busse“ alles andere als einfach ist. Allein die Beschaffung der Wasserstoff-Busse war kompliziert. Bremerhaven Bus betrat damit Neuland. In Europa gibt es nur zwei Hersteller für solche Busse, keiner davon aus Deutschland. Die Ausschreibung für die erste Bus-Garnitur vor drei Jahren war ein Kraftakt. Das Lastenheft umfasste 430 Positionen und musste von den internationalen Lieferanten verstanden werden. Bremerhaven Bus tat sich mit zwei weiteren Verkehrsbetrieben zusammen, aus Oldenburg und dem Ruhrgebiet. Gemeinsam, sagt Robert Haase, ließ sich die Ausschreibung besser stemmen. Schon ein Jahr später standen die ersten Busse auf dem Hof-- neu, vielleicht einen Tick zu neu. „Unsere Wasserstoffbusse haben noch zweistellige Fahrgestellnummern“, erklärt uns Jens Wefers. Die Kinderkrankheiten der Busse hat der Werkstattleiter gelernt zu akzeptieren. Gemeinsam mit dem portugiesischen Hersteller ermittelt er ihre Ursachen; man lernt zusammen. Am Anfang war es schwierig, überhaupt eine gemeinsame Sprache zu finden und sich auf Englisch zu verständigen. Das funktioniert jetzt immer besser, sagt Jens Wefers. Doch vorläufig stellt er jedem seiner sieben Wasserstoffbusse in Bremerhaven einen Dieselbus zur Seite. Als „Back-up“, bis die Kinderkrankheiten kuriert sind. Reportage | Eine ganze Stadt für Wasserstoff 17 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0064 Für die Wasserstoffbusse musste der Verkehrsbetrieb seine gut vierzig Jahre alte Werkstatthalle umrüsten. In der Halle gelten nun Hochsicherheitsstandards. Wasserstoff ist hochexplosiv, und das Gas ist leichter als Luft. Kommt es zu einer Leckage, steigt das ausströmende Gas auf. Es sammelt sich unter der Hallendecke. Dann kann das simple Einschalten des Lichts der buchstäblich zündende Funke sein. „Wir haben eine hochpräzise Sensortechnik unter der Decke installiert“, sagt Jan Wefers, „sie schaltet den Betriebshof automatisch stromlos, wenn mehr als 100 ppm Wasserstoff gemessen werden.“ An einem Cockpit-ähnlichen Schaltbrett erkennen wir: Derzeit sind es 10 ppm. Bevor die Busse in die Halle fahren, wird ohnehin der Wasserstoff aus den Tanks abgelassen. Die Pufferbatterie ist ausgelegt für dreißig Kilometer. Das reicht für das Rangieren. „Für uns waren diese Sicherheitsstandards völlig neu“, berichtet uns Jan Wefers, „damit kannte sich hier niemand in der Werkstatt aus.“ Speziell geschulte Mechaniker warten von der Arbeitsbühne aus die „Kraftwerke“ der neuen Busse. Die Mechaniker haben dafür eine spezielle Ausbildung durchlaufen, sogenannte Gas-Lehrgänge, die sie auf den Umgang mit Wasserstoff vorbereiten. „Wir haben diese Spezialisten aus der eigenen Mannschaft gewonnen, darunter auch Azubis“, sagt Robert Haase. Die Leute mitzunehmen bei solchen Innovationen ist ihm wichtig. Es ist nicht selbstverständlich, dass Mechaniker und Busfahrer neue Technologien mit offenen Armen empfangen-- schon gar nicht so etwas wie einen Systemwechsel bei der Antriebstechnik. Doch die rund 180 Mitarbeiter haben mitgezogen beim Projekt „Wasserstoff-Busse“. Auch, weil Robert Haase es ihnen als Zukunftschance erklärt hat-- so, wie er, der Ingenieur, Wasserstoff sieht. Hinzu kommt: Er ist ein Macher. Seine norddeutsche Direktheit, mit der er Probleme löst, steckt an. Die Menschen folgen ihm, auch wenn es schwierig werden könnte. Vielleicht, weil er beides denken kann: Technik und Ökonomie. Das schafft Vertrauen. Aus ähnlichem Holz ist der Entrepreneur André Kiwitz geschnitzt-- mit dem Unterschied, dass er der freien Wirtschaft entstammt. Für ihn ist Wasserstoff nicht nur ein technologischer Weg nach vorne. Er ist auch eine ökonomische Chance. André Kiwitz ist es gewohnt, zwei Schritte vorauszudenken. Vor zehn Jahren hatte er die Idee, ein Windrad dorthin zu stellen, wo der Strom verbraucht wird: Mitten ins Industriegebiet. „Es gab damals Zweifel und Bedenken dagegen“, sagt er, „heute macht es jeder.“ Unlängst kam André Kiwitz der Gedanke, neben sein Windrad einen Elektrolyseur zu stellen. Diese Zwei-Megawatt-Anlage wird demnächst aus grünem Unter speziellen Klappen liegen die schwarzen Wasserstoff-Tanks der Busse. Foto: Oliver Steeger Wasserstoff-Busse in der Werkstatthalle. Foto: Oliver Steeger Reportage | Eine ganze Stadt für Wasserstoff 18 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0064 Strom grünen Wasserstoff produzieren, genug, um bis zu 35 Busse zu betanken. Solch eine Produktionsanlage stemmt niemand allein: nicht nur wegen des benötigten Kapitals, sondern auch wegen des erforderlichen Know-hows. Die Elektrolyseure- - das Herzstück der Anlagen- - werden noch in Manufakturen erstellt, in Handarbeit. Man braucht Leute, die sich mit der jungen Technologie auskennen. Solche Partner hat André Kiwitz für sein Konsortium HY.City.Bremerhaven gewonnen. Er selbst ist Gesellschafter des Unternehmens „Green Fuels“, einem Partner dieses Konsortiums. „Wir sind gewissermaßen ein Senior-Start-up“, witzelt er. Der Elektrolyseur am Windrad erzeugt grünen Wasserstoff aus regenerativen Energien. Foto: Oliver Steeger Wasserstoff ist in Bremerhaven „sichtbar“: Informationen auf einem Trailer. Foto: Oliver Steeger Für sein Projekt hat HY.City.Bremerhaven den „Bremer Umweltpreis 2023“ gewonnen. Doch André Kiwitz will mehr als nur einen Fuß in den entstehenden Wasserstoff-Markt bekommen. Sein Ziel ist, dass das aufkommende Geschäft mit Wasserstoff nicht nur Großunternehmen überlassen wird. „Wir benötigen in Deutschland auch dezentrale Erzeugung von Wasserstoff von kreativen mittelständischen Unternehmen mit kleineren Anlagen“, sagt er. Kleine und mittlere Unternehmen, sagt er, stecken voller Ideen. Sie haben einen guten Sinn für das ökonomisch Machbare. Dieser Sinn für das ökonomisch Machbare verbindet ihn mit Robert Haase. Haase startete vor 19 Jahren bei Bremerhaven Bus als Restrukturierer und Sanierer. Mit damals acht Millionen Euro Verlust war der defizitäre Betrieb für die Stadt zu teuer geworden. Robert Haase halbierte den Verlust mit teils harten, unpopulären Maßnahmen. Dann kam Corona, begleitet von Inflation und steigenden Energiepreisen. Kostet der Diesel 30 oder 35 Cent pro Liter mehr, erhöhen sich bei Bremerhaven Bus aufs Jahr gesehen die Energiekosten um über 700.000 Euro. Gleiches gilt für den Lohn. „Ich bekam keine Busfahrer mehr für unseren üblichen Stundenlohn“, erzählt Robert Haase. Berufsstarter sagten ihm, sie würden sogar im Einzelhandel mehr verdienen. Bremerhaven Bus musste Fahrern und Mechanikern mehr Geld bieten. Damit begannen die Kosten davonzulaufen. Das Defizit kehrte zurück, die Verluste, mit denen fast alle Verkehrsbetriebe in Deutschland ringen, teils noch verzweifelter als Bremerhaven Bus. Robert Haase müsste eigentlich die Fahrpreise um 30 Prozent erhöhen. Das will die Politik nicht. Auch er selbst sieht solche Preissprünge kritisch. Öffentlicher Nahverkehr ist ein Stück Daseinsvorsorge. Für viele sozial Schwache muss diese Basis-Mobilität finanzierbar bleiben. Passen Wasserstoff-Busse in dieses Bild? Nein- - und ja. Zwar bewirbt der Verkehrsbetrieb seine neuen Busse mit Slogans wie „Prima-Klima-Bus“ oder „Luft und Liebe“. Doch die gepriesenen Busse sorgen bei Ökonomen zunächst für dicke Luft. „Für einen Wasserstoffbus haben wir Mehrkosten von 50.000 Euro“, erklärt Robert Haase rundheraus, als wir die Werkstatthalle mit der Arbeitsbühne verlassen und den Betriebshof überqueren. Das sind 25 bis 30 Prozent mehr Kosten verglichen mit einem Dieselbus. Im Augenblick gleichen häufig die Kommunen solche Mehrkosten aus. Klimaneutraler Nahverkehr wird politisch gewünscht. Dass Dieselbusse eher früher als später aus dem Straßenbild verschwinden- - daran gibt es unter Fachleuten kaum Zweifel. Streit entzündet sich an der Frage, ob Wasserstoff- Busse oder Batteriebusse die Lösung sind. Die Antwort teilt die deutschen Verkehrsbetriebe in zwei Lager. Die Batteriebus-Fraktion und die Wasserstoffbus-Fraktion. Die Batteriefans sind derzeit in der Mehrheit. Das kann Robert Haase nicht nachvollziehen. Wir sprechen mit ihm im Sitzungszimmer des Verwaltungsgebäudes. Die Fenster gehen auf den Betriebshof und die Werkstatt hinaus. An einem Kompressor wird im Hof ein Wasserstoffbus betankt. Das dauert derzeit mehrere Stunden. Reportage | Eine ganze Stadt für Wasserstoff 19 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0064 All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. AboPlus: Print + ePaper + Archiv www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren | abo@narr.de expert verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Foto von Jon Tyson auf Unsplash Reportage | Eine ganze Stadt für Wasserstoff 20 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0064 Wenn ein paar Straßen weiter die neue Wasserstofftankstelle eröffnet wird, tanken die Busse dort. Dann braucht der Tankvorgang nur noch zehn Minuten. Schneller als jeder Bus-Akku laden kann. Für Robert Haase sind Wasserstoffbusse die erste Wahl. Weil sie sich im Vergleich mit Elektrobussen besser rechnen, wie er sagt.- - Augenblick! Der Ladestrom für Batteriebusse ist deutlich günstiger als Wasserstoff. Denn Wasserstoff muss erst aus grünem Strom erzeugt werden. Das ist ein Prozessschritt mehr (bei diesem Schritt geht sogar Energie verloren! ). Schneiden in punkto Effizienz Batteriebusse nicht besser ab? Das bestreitet Gerhard Haase nicht. Doch er betrachtet den ganzen Business Case hier am Betriebshof, nicht nur den einzelnen Bus. Batteriebusse haben für ihn einen entscheidenden Nachteil. Der ist ihre Reichweite. In punkto Reichweite sind Wasserstoffbusse klar überlegen. Robert Haase kalkuliert so: Jeder Bus macht täglich einen „Umlauf“, bevor er zum Betriebshof zurückkehrt. Der Durchschnitt beim Umlauf liegt hier in Bremerhaven bei rund 280 Kilometern. Das Problem der Batteriebusse: Im Winter, unter „normalen“ Echtzeitbedingungen, schaffen sie die Umläufe nicht komplett. Dann müssten sie aus dem Verkehr gezogen werden und zurück zur Ladestation. „Ich bräuchte für viele Umläufe zwei Batteriebusse, um einen Dieselbus zu ersetzen“, rechnet Robert Haase vor, „der eine Bus ist unterwegs, der andere wird geladen.“ Die Flotte von Bremerhaven Bus besteht aus rund 80 Dieselbussen. Bedeutet dies, dass der Verkehrsbetrieb dafür 160 Batteriebusse anschaffen müsste? „Das ist ein wesentlicher Punkt“, sagt Robert Haase. Hinzu kommen drei weitere Punkte. Sie zeigen, dass Ökonomen einen anderen Blickwinkel haben als etwa Umweltwissenschaftler. Erstens: Batteriebusse müssen häufiger zurück zur Ladesäule. Sie sind mehr unterwegs zwischen ihrem Einsatzort und dem Betriebshof. Das bedeutet Leerfahrten. Bei dieser Betrachtung ist nicht der Bus entscheidend, sondern sein Fahrer. Produktiv ist ein Busfahrer, wenn er Fahrgäste befördert-- nicht, wenn er leere Busse auf Zubringerfahrten steuert. Also führen Batteriebusse zu einem Verlust an humaner Produktivität? „Ja, zumindest in unserem Fall. Ich bräuchte mehr Personal für die gleiche Leistung“, sagt Robert Haase, „bestimmt 30 Busfahrer mehr. Außerdem bräuchten wir mehr Mitarbeiter in der Werkstatt, um die dann doppelte Zahl der Busse zu warten.“ Zweitens: Der Betriebshof in Bremerhaven wäre zu klein. Er ist nicht ausgelegt für die 160 Batteriebusse, die dort nachts parken würden. „Wir bräuchten einen neuen Betriebshof“, sagt Robert Haase. Zudem bräuchte er eine Armee von Ladestationen. „Jede Ladesäule wäre auf vermutlich 50 bis 80 Kilowatt ausgelegt“, argumentiert er, „und wir bräuchten weit über 100 dieser Ladestationen- - das ist eine sehr hohe Anschlussleistung.“ Die Investitionen in solch einen Betriebshof mit der elektrischen Infrastruktur? Kaum abzuschätzen. Drittens: Batteriebusse „tanken“ deutschen Strommix, der auch nicht-grünen Strom umfasst (etwa aus Gaskraftwerken). Der Wasserstoff für die Bremerhavener Busse dagegen ist allein aus Windenergie gewonnen. Also absolut klimaneutral. „Da sind wir wirklich ganz weit vorn“, sagt Robert Haase selbstbewusst. Für ihn lag die Entscheidung auf der Hand: Wasserstoffbusse. Dies ist häufig so bei der Diskussion von neuen Energieträgern. Was zunächst plausibler Weg erscheint, kann sich als Sackgasse herausstellen- - wenn man es aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Deshalb braucht man eine ganze Stadt, um die Chancen, Hindernisse und Herausforderungen von Wasserstoff zu studieren. Ihre Vielfalt an Perspektiven und Erfahrungen. Und Menschen, die trotz allem dranbleiben. André Kiwitz hat diesen Dreiklang aus Chance, Hindernis und Herausforderung schon öfters kennengelernt. Die Idee, einen Elektrolyseur neben ein Windrad zu stellen, ist bestechend. Beides mit einem Kabel verbinden und fertig, denkt der Laie. Doch so einfach ist es nicht. Um wirtschaftlich produzieren und zu marktgerechten Preisen anbieten zu können, braucht André Kiwitz Zuschüsse. Die Wasserstoff-Busse werden betankt. Foto: Oliver Steeger Reportage | Eine ganze Stadt für Wasserstoff 21 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0064 Ohne diese Zuschüsse wäre der Betrieb defizitär, zumindest auf absehbare Zeit. Nicht, dass es solche Zuschüsse nicht gäbe. Sie zu bekommen ist das Problem. Ohne in die Details zu gehen-- komplizierte Verordnungen und noch fehlende Regularien machen André Kiwitz das Leben schwer. „Es gibt derzeit nur eine Handvoll privatwirtschaftlicher Anlagen, die Wasserstoff herstellen und vertanken“, sagt er. Das Kernproblem ist: Die Technologie ist so jung, dass beispielsweise der Gesetzgeber mit Bestimmungen nicht hinterherkommt. Was für Forschungsinstitute und Unternehmen Neuland ist, ist oft auch „terra incognita“ für Politik und Verwaltung. Viele Behörden wissen nicht, wie sie solche Produktionsanlagen überhaupt genehmigen sollen. „Wir versuchen, die Behörden zu unterstützen, sich mit dem Thema vertraut zu machen oder sich mit anderen Behörden zu vernetzen, die beispielsweise eine Anlage bereits genehmigt haben“, sagt André Kiwitz. Sein Problem derzeit: Um Zuschüsse zu bekommen, muss André Kiwitz Zertifikate beibringen. Er muss beispielsweise von unabhängiger Seite zertifizieren lassen, dass er tatsächlich grünen Strom zu Wasserstoff verarbeitet. Oder dass der Wasserstoff tatsächlich grün ist. Solche Zertifikate fehlen noch; es gibt nicht einmal Kriterien und Regularien dafür. Derzeit weiß niemand genau, wie was zertifiziert werden kann. André Kiwitz setzt auf Zwischen-Lösungen wie die sogenannte Prä-Zertifizierung: Die Zertifizierer schauen sich seine Anlage schon einmal an-- und sind vorbereitet, wenn Regularien in Kraft treten. Rund 40 Prozent seiner Arbeitszeit wendet der Ingenieur André Kiwitz für Regulatorik auf. Eigentlich ein Unding! Doch bei André Kiwitz spielt auch viel Idealismus mit-- und die Lust daran, dicke Bretter zu bohren. Komplexe und schwierige Projekte wecken seinen Ehrgeiz. „Wenn es zu einfach ist, geht mir manchmal das Interesse aus“, sagt er, „ich liebe die Herausforderung, andere zu überzeugen und Projekte voranzubringen.“ Menschen, die sich mit Wasserstoff-Projekten befassen, sind häufig ähnlich gestrickt wie er: die Lust, Projekte zu starten-- gepaart mit dem robusten Sinn für das ökonomisch Machbare. Bei André Kiwitz kommt hinzu die persönliche Faszination für das Technische. Mit Blick auf sein Windrad sagt er: „Es hat mich immer begeistert, bei einer solchen 4000 PS Anlage zu sehen, wie der Wind in die Rotorblätter greift-- und das Rad anfängt sich zu drehen.“ Das bereitet ihm heute noch Gänsehaut. Zu sehen, dass am Ende Dinge in Gang kommen. Trotz allem. Eingangsabbildung: Auf der Arbeitsbühne erreicht man das Dach der Busse-- wo das „Kraftwerk“ der Fahrzeuge liegt. Foto: Oliver Steeger Anzeige