PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2024-0065
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Die rote Insel will grün werden
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Steffen Scheurer
Oliver Steeger
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22 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0065 Weshalb Helgoland ein Brennglas für Nachhaltigkeit ist Die rote Insel will grün werden Steffen Scheurer, Oliver Steeger Die Helgoländer geben sich nur einmal die Hand: Wenn sie sich kennenlernen. Die Insel mit den rund 1.500 Bewohnern ist so klein, dass sie sich ständig über den Weg laufen. Man kann sie in einer guten Stunde zu Fuß umrunden: Vom Hafen durch die kleinen Siedlungen, dann entlang der roten Buntsandsteinkliffs bis zur „Langen Anna“, der markanten Felsnadel an der nordwestlichen Spitze. „Wir müssten uns ständig die Hand schütteln“, sagt Bürgermeister Thorsten Pollmann, „also grüßen wir uns nur mit einem Hallo.“ Doch die kleine Welt auf Helgoland hat noch einen Effekt: Die Menschen hier haben einen feinen Sinn entwickelt für die Naturgewalten- - und für die Folgen von Klimawandel, Meeresverschmutzung und der Verschwendung von Ressourcen. Diese kleine Welt auf Helgoland ist wie ein Brennglas. Die Missstände zeigen sich klar, scharf und konzentriert. Aber auch Chancen für Lösungen und Projekte. Die rote Insel will grün werden- - und ist auf dem Weg zu diesem Ziel. Beispielsweise ganz auf Windstrom und regenerative Energie zu setzen. Es gibt zudem Projekte, Verpackungsmüll zu vermeiden, den Tourismus in sanftere Bahnen zu lenken, Vögel zu schützen und ökologisch bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die Insel mit den schroffen Felsklippen und der klaren Luft zeigt, auf welche Herausforderungen Projekte für Nachhaltigkeit stoßen-- und wie energische Menschen sie trotzdem vorantreiben. Helgoland lebt vor allem von Tagestouristen. Bis Mittag machen ein halbes Dutzend Schiffe fest und bringen Gäste, bis zu 3.500 am Tag, die durch die Gassen schlendern, Kaffee trinken und zollfrei einkaufen. Spätnachmittags, wenn die Gäste mit Einkaufstüten zum Hafen zurückströmen und die Schiffe ablegen, kehrt Ruhe ein. Wer dann zum Spaziergang aufbricht, begegnet dem zweiten Gesicht von Helgoland: dem Oberland mit Wiese, grasenden Schafen und hoch im Wind stehenden Seevögeln, die ihre Schwingen weit ausgebreitet haben. Am Lummenfelsen erwartet den Besucher ein Schauspiel, das selbst Ornithologen ins Staunen versetzt: Eine Kolonie von Basstölpeln bevölkert die Steilhänge und die Kante des Kliffs. Ihre schnarrenden Schreie erfüllen die Luft. Die weißen Vögel mit den gelborangen Köpfen und den starken Schnäbeln sind streng geschützt. Man kann ihnen hier erstaunlich nahekommen und sie beobachten. Helgoland hat nachweislich die meisten Vogelarten in Mitteleuropa. Zugvögel machen hier Rast. Neben den Basstölpeln finden hier Eissturmvogel, Dreizehenmöwe und Tordalk eine deutschlandweit einzigartige (und für sie häufig die einzige) Brutgelegenheit. Im Juni lässt sich auf Helgoland der „Lummensprung“ der Trottellummen beobachten: Die noch stummelflügeligen Jungvögel stürzen sich vom Felsen zu ihrem „Erstflug“. Ornithologen berührt es tief, die Jungen dabei zu beobachten, wie sie den Rufen ihrer Eltern folgen und ihren Mut zusammennehmen. Doch die Vogelwelt auf Helgoland steht vor immensen Problemen. Schuld daran ist die Meeresverschmutzung mit Plastik, meist Reste von Fischernetzen und Tauwerk, häufig mit Polypropylen hergestellt. Die Basstölpel verwenden diese Plastikfetzen für ihren Nestbau. Doch der Plastikmüll wird für viele Basstölpel zur Todesfalle. Die Seevögel verfangen sich im Plastik und sterben qualvoll. Auf Helgoland entgehen niemandem die verendeten Vögel. „Wegsehen“-- das ist nahezu unmöglich auf einer kleinen Insel. In einem Forschungsprojekt hat sich der Umweltwissenschaftler und Ornithologe Elmar Ballstaedt dieses Problems angenommen. Ein Ziel: Das „künstliche“ Nistmaterial untersuchen, seine Herkunft bestimmen und die Verursacher der Verschmutzung finden. Aus diesem Projekt sollen Empfehlungen abgeleitet werden für Politik, Wirtschaft und Naturschutzorganisationen. Gestartet ist das Projekt als rein wissenschaftliches Vorhaben. Doch auf Helgoland fand es schnell Aufmerksamkeit, Zulauf, Zuspruch und Öffentlichkeit. Bald meldeten sich Zeitungen und Rundfunk vom Festland und berichteten über den Plastikmüll, in dem Vögel sterben. Helgoland kommt nicht umhin, Wissenschaft in die Öffentlichkeit zu transportieren. Wie unter einem Vergrößerungsglas erkennen Gäste entsetzt die Folgen der Meeresverschmutzung: nämlich Plastikmüll in den Vogelnestern. Am liebsten hätten die Gäste es, dass jeder einzelne Vogel gerettet wird. Dies geht an den Steilfelsen kaum, so traurig dies ist. Umweltschützer sehen hier Chancen für eine Bewusstseinsänderung. Reportage | Die rote Insel will grün werden 23 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0065 Bei vielen Menschen reift die Erkenntnis: Man muss die Probleme an der Steilküste Helgolands nicht an den Symptomen behandeln, sondern an der Wurzel fassen: nämlich beim Plastikmüll im Meer selbst. Helgoland zeigt nicht nur Herausforderungen, sondern auch die Lösungswege. Über lange Zeit war Helgoland „Selbstversorger“. Kay Martens ist Geschäftsführer der Versorgungsbetriebe der Insel und selbst auf Helgoland aufgewachsen. Er kennt noch die Zeit, als die Menschen hier auf das angewiesen waren, was die Insel hergab. Beispielsweise Wasser. Es kam aus einer Brackwasserlinse und ansonsten Regenwasser-Zisternen. Kay Martens berichtet, wie er als Kind das „gute“ Wasser aus der Zisterne getrunken hat, die jedes Haus unter der Küche hatte. Selbst das „gute Wasser“ wurde abgekocht. Die Zähne aber hat man damals mit Brackwasser geputzt. „Wir haben uns mit einfachen Mitteln hier auf Helgoland buchstäblich über Wasser gehalten“, sagt er. Nachhaltigkeit aus der Not heraus. Er lässt ein wenig Stolz durchblicken, wenn er sagt, dass manche der Helgoländer Lösungen heute am Festland in Mode gekommen sind. Brauchwasser zum Beispiel für die Gartenwässerung oder Toilettenspülung. Das gilt auch für die heutige Helgoländer Lösung für die Wasserversorgung: Meerwasser wird in einer hochmodernen Anlage über Membranen entsalzt Helgoland ist berühmt für seine roten Felsen. Foto: Oliver Steeger Basstölpel-- eine bedrohte Vogelart-- lassen sich auf Helgoland gut beobachten. Leider sind sie durch Plastikmüll im Meer bedroht. Foto: Oliver Steeger Reportage | Die rote Insel will grün werden 24 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0065 und zu Trinkwasser aufbereitet. Diese Lösung könnte auch in wasserarmen Gegenden auf dem Festland infrage kommen. Zukünftig will Helgoland komplett auf regenerative Energien setzen. Nicht nur beim Strom, sondern auch bei der Wärme. Die Insel verfügt über ein Fernwärmenetz. Das ist eine gute Ausgangsbasis. Trotzdem kommt man beim Heizen von fossiler Energie nicht los. Kay Martens hat die Alternativen durchgespielt: Holzhackschnitzel verfeuern, Seetang vergären, ein Gezeitenkraftwerk, Geothermie oder Meereswärme nutzen. Doch nichts funktioniert so richtig. Oder es müssten extrem aufwändig Anlagen und Brennstoffe auf die Insel gebracht werden. Für großflächige Solarparks ist auf der Insel kein Platz-- obwohl Helgoland eine der sonnenreichsten Gegenden Deutschlands ist. Zudem: Solarenergie würde sich für die Sommermonate anbieten. Doch wie die im Sommer mit Solarenergie erzeugte Wärme für die kalten Wintertage speichern? Auch die vielfach favorisierte Lösung Meeres-Wärmepumpe hilft nur begrenzt. Das Meerwasser ist hier im Sommer etwa 18 bis 20 Grad warm. „Aber im Winter hat das Meerwasser vielleicht 3 oder 4 Grad“, sagt Kay Martens, „wie sollen in der Heizsaison daraus energieeffizient die 80 Grad Vorlauftemperatur werden, die wir dann ja für unser Fernwärmesystem in deutlich erhöhten Wärmemengen benötigen? “ Biologische Holzbrennstoffe scheiden für Kay Martens auch aus. „Wir wollen hier keine Verbrennung“, sagt er. Nicht nur des Feinstaubs wegen, sondern auch aus grundsätzlichen Überlegungen zum Kohledioxid. Außerdem: Die Helgoländer müssten Holzbrennstoffe umständlich per Fähre herbeiholen: eine ökologisch und ökonomisch eine fragwürdige Strategie. Der Transport vom Festland erhöht die Preise für alles, was auf Helgoland gebraucht wird-- angefangen beim Liter Milch über Möbel bis hin zu Baustoffen. „Wenn wir nun beginnen, Brennmaterial wie Holz zu holen, wird sich die Energie verteuern“, sagt Kay Martens, „solche Lösungen sollten auch wirtschaftlich stabil sein, nicht nur ökologisch und technisch.“ Und Heizen mit Strom aus Windkraft? Den ewigen Wind nutzen-- etwa mit Windrädern nahe der Insel? „Die Windenergie könnte eine Lösung für den Wärmebedarf im Winter sein, insbesondere da im Gegensatz zur Meereswärme das Windangebot mit dem Wärmebedarf korreliert“, sagt Kay Martens, „Windstrom könnten wir damit wirkungsvoll zum Heizen nutzen.“ Doch dies ist nur die technisch-wirtschaftliche Perspektive. Es gibt noch eine andere Sichtweise-- die der Naturschützer. Windräder auf der Insel und Vogelschutz passen auf Helgoland nicht zusammen. Die Insel liegt in einem Vogelzug-Gebiet. Viele Zugvögel machen auf ihren langen Wegen Rast auf Helgoland. Die Vögel könnten Windräder meiden und ihre Route ändern-- was sie in Gefahr bringen würde. Der Naturschutz ist Kay Martens wichtig, auch persönlich. „Als Kind war ich jeden Tag bei uns an der Vogelwarte“, erzählt Kay Martens, „später wollte ich eigentlich Meeresbiologe werden.“ Er sagt aber auch: Es gibt mittlerweile technische Lösungen, Vogelzug und Windenergie unter einen Hut zu bringen. „Wir sollten sehen, was die Studien zum Vogelschutz wirklich für die Praxis bedeuten und dann abwägen“, sagt er. Die kleine Welt auf Helgoland zeigt, dass einfache Lösungen oft nicht funktionieren für komplexe Probleme. So verlockend die Ideen auf den ersten Blick scheinen-- sie scheitern an unerwünschten Nebenwirkungen. Zielkonflikte: auch dafür ist Helgoland ein Brennglas. „Vielleicht gibt es bald Technologien, die solche Zielkonflikte lösen“, sagt er. Er hat dabei eine konkrete Idee: Wasserstoff. Doch dies ist bislang nur eine Idee. Bürgermeister Thorsten Pollmann erwähnt einen weiteren Zielkonflikt. Es ist knifflig, die Balance zu halten zwischen einerseits Naturschutz und Nachhaltigkeit, andererseits Gesellschaft und Wirtschaft. Thorsten Pollmann berichtet, dass sich auf Helgoland Betreiber von Windparks angesiedelt haben. In der Nähe der Hochseeinsel liegen Offshore-Windparks. Die Betreiber nutzen Helgoland als Stützpunkt und stationieren ihre Monteure auf der Insel. Von hier aus warten die Monteure Windräder rund 20 Kilometer auf hoher See. Eine ideale Un- Trinkwasser muss aus Meerwasser gewonnen werden. Foto: Oliver Steeger Reportage | Die rote Insel will grün werden 25 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0065 terstützung grüner Projekte, die zudem zwanzig Prozent mehr Arbeitsplätze schafft und die Gemeindekasse füllt. Die Sache hat einen Haken. Die Windparkbetreiber mieten Wohnungen für ihre Monteure an. Dies treibt die Mieten auf Helgoland in die Höhe. Derzeit liegt der Mitspiegel bei rund 9 Euro je Quadratmeter. Die Konzerne zahlen weit mehr- - und verdrängen Einheimische. Bezahlbare Wohnungen sind knapp geworden auf Helgoland. „Das ist die Kehrseite“, sagt Thorsten Pollmann, „und das mussten wir den Bürgern erst einmal verkaufen.“ Von den Mehreinnahmen schafft die Gemeinde jetzt die Infrastruktur. Unlängst entstand eine Neubausiedlung, das „Leuchtturmviertel“ auf dem Oberland: 67 Wohnungen am Leuchtturm, keine hundert Meter von der Steilküste entfernt. Die Ziele des Bauprojekts wurden lange für unvereinbar gehalten: Ökologie, Ökonomie, gesundes Wohnen und Helgoländer Architektur unter einen Hut bringen. Die Lösung kam von dänischen Architekten: Sie entwickelten die Häuser in Modulbauweise. Die Module ließen sie 1.000 Kilometer von der Insel entfernt bauen, in einer riesigen Fabrikhalle zu Häusern zusammenzusetzen- - dann wieder abbauen, auf Sattelschlepper und Frachtschiffe verladen. Am Leuchtturm wurden die Module wieder zusammengesetzt. Bauherrin war die Gemeinde Helgoland. Sie hat stark auf Nachhaltigkeit geachtet, beispielsweise auf klimafreundliche Materialien, die man später wieder recyceln kann- - und die nicht wie Plastik die Natur auf Ewigkeit belasten. Doch für den Wohnungsmangel auf Helgoland war der Bau dieser Siedlung nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. „Der Effekt ist schnell wieder verpufft“, meint ein Helgoländer. Für viele liegt auf der Hand: „Wir müssen dringend nachlegen und bauen.“ Hinzu kommt: Die Ansiedlung grüner Unternehmen auf Helgoland ist keine sichere Trumpfkarte für die Zukunft. Die Windparks der Zukunft entstehen weit weg von Helgoland. Sie werden so gebaut sein, dass sie autark funktionieren und kaum noch Wartung brauchen. Wie lange Helgoland mit Windparkbetreibern ein zweites wirtschaftliches Standbein hat, ist dahingestellt. Auf der Insel weiß man dies. Tourismus bleibt hier auch in Zukunft der wichtigste Wirtschaftszweig. Nur-- welche Art von Tourismus? Für viele Tagesgäste ist Helgoland ein preiswertes Einkaufsparadies. Die Hochseeinsel ist mit ihren steuerlichen Sonderrechten wie ein großer Duty-Free-Shop. Dies bemerken Gäste bei den häufig zollfreien Preisen; viele tragen abends prall gefüllte Tüten zurück zum Schiff. So wichtig diese Einnahmequelle ist, so sehr wissen viele Helgoländer: Diese Form von Tourismus ist alles andere als nachhaltig. Einerseits sind sie stolz und froh, dass sie an mittlerweile acht Häfen angebunden sind. Andererseits ergibt es keinen Sinn, tonnenweise Waren auf die Insel zu schaffen, von denen vieles in Einkaufstüten wieder zurückgeht. Urlaubstourismus mit mehrtägigen Aufenthalten ist nachhaltiger als Tagestourismus, und dieses noch zarte Pflänzchen Urlaubstourismus wird auch kräftiger auf Helgoland. Die Windparkbetreiber, die Zimmer für ihre Monteure mieten, brachten Hotelbetreibern Geld. Dieses Geld floss teils wiederum in die Modernisierung der Hotels. Doch Bürgermeister Thorsten Pollmann räumt ein, dass es ohne die Tagesgäste nicht geht. Aus verschiedenen Gründen. Einer der Gründe: Die Masse der Tagesgäste hält die Fährpreise niedrig. Fallen die Tagesgäste weg, müssen die Reeder ihre Preise erhöhen-- und das spüren auch die Helgoländer, wenn sie aufs Festland wollen. Ein weiter Grund ist die Kaufkraft der Gäste. Gleich, wie lange jemand bleibt, eine Woche oder einen Tag: Er kann nur einen Liter Alkohol und eine Stange Zigaretten mitnehmen. Aus Sicht der Händler sind sieben Tagesgäste lukrativer als ein Urlauber, der eine Woche bleibt. „Wir brauchen die Kaufkraft der Tagesgäste“, sagt Thorsten Pollmann, „ohne sie kommen wir hier nicht aus.“ Doch lässt sich auch der Tagestourismus nachhaltiger gestalten? Beispielgebend sind zwei Projekte zur Vermeidung von Plastiktüten und Plastikbechern, die vielerorts zum Tagestourismus gehören. Herumliegende Tüten und Becher stechen auf einer kleinen Insel schnell in Auge. Reportage | Die rote Insel will grün werden 26 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0065 Helgoland ist wie ein Versuchslabor für Projekte zur Nachhaltigkeit-- und dafür, wie man vorgehen kann, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Vor einigen Jahren setzte Dr. Rebecca Ballstaedt das Projekt „Green Anna“ auf: Für einen Monat verzichteten die Helgoländer Händler auf Einwegtüten-- und gaben 30.000 grasgrüne Taschen aus 80 Prozent recyceltem Kunststoff aus, die Mehrweg-Tragetasche „Green Anna“. Das Projekt wurde begleitet von Bildungsveranstaltungen zu Meeresmüll und einem öffentlichen Reinigungsaktion am Strand. Die Initiative zeigte Wirkung. Zwar sind die „Green Anna“- Taschen heute weitgehend vergriffen. Doch viele Händler bieten mittlerweile eigene Mehrwegtaschen an. Die Gäste nehmen wahr, dass sich hier etwas verändert und man sich auf der Insel um Nachhaltigkeit kümmert. Häufig engagieren sie sich mit. 2021 legte Rebecca Ballstaedt mit einem weiteren Projekt nach: Ein grüner Pfandbecher für Kaffee, ein Projekt mit der Unterstützung des Helgoland Tourismus-Service. Das Vorhaben war Teilprojekt des inselweiten Zertifizierungssystems „de green steer“, das 2019 ins Leben gerufen wurde und an dem knapp 60 Betriebsstätten mitmachen. „Kaffee aus Plastikbechern ist wie Eiergrog aus Dosen“, warb ein Video. Und: „Der Klügere füllt nach.“ Auch hier: Der Mehrwegbecher fand Anklang. Der Erfolg ist nicht allein dem Marketing oder der Ausdauer geschuldet. Die Projekte bezogen die Inselbewohner intensiv ein-- und machte ihnen den Start zu umweltfreundlichen Mehrwegbechern und Tragetaschen leicht. In der kleinen Welt auf Helgoland zeigt sich schnell, ob und wie Projekte funktionieren. Man muss die Interessenlage Stakeholder gut kennen; das ist auf Helgoland, wo man sich mehrmals am Tag über den Weg läuft, keine Schwierigkeit. Für Stakeholdermanagement ist Helgoland ein Labor! So sprach Rebecca Ballstaedt intensiv mit den Händlern und versuchte herauszufinden, ob sie bereit für den Umstieg auf Mehrwegtaschen sind. Natürlich gab es Bedenken und auch vereinzelte Widerspruch. Steine, die man dem Projekt in den Weg zu legen versuchte. Doch wählte Rebecca Ballstaedt eine kluge Strategie. Sie machte das „Green Anna“-Projekt den Helgoländern schmackhaft, indem sie die Laufzeit auf vier Wochen begrenzte. Vier Wochen Auszeit von der Einwegtasche- - das klang vielen Händlern besser als ein Komplettumstieg. Nach dieser Probezeit haben viele erkannt, dass Mehrwegtaschen auch langfristig der bessere Weg sind. Auch hier spielte wieder die kleine Welt eine Rolle: Einige Händler waren stolz auf ihre neue grüne Tasche. Andere fanden die Idee gut, aber nicht die Tasche selbst-- und wählten andere Mehrwegtaschen. Und diejenigen, die bei Einwegtüten blieben, hatten am Ende (zumindest) ein schlechtes Gewissen. Vielleicht war das Lob für das Projekt nicht ungeteilt, doch man respektierte, dass die Initiatoren nicht mit dem erhobenen Zeigefinger argumentierten, sondern Lust auf Veränderung und Nachhaltigkeit weckten. Zudem: Die Gäste nahmen die grasgrünen Becher und Taschen aus Helgoland mit aufs Festland, verwendeten sie dort-- und machten Werbung für die rote Insel. Eine der derzeit kühnsten Initiative auf Helgoland klingt noch nach Science-Fiction. Es geht um Wasserstoff. Denn eines hat Helgoland neben Wind reichlich: Meerwasser. Es liegt nahe, Wind und Wasser zu nutzen, um Wasserstoff zu erzeugen. „Wasserstoff als Energieträger ist gut transportierbar und speicherbar“, sagt Kay Martens. Für ihn ist Wasserstoff nicht nur der Schlüssel für die nachhaltige Versorgung auf Helgoland, sondern für die Welt. Jörg Singer, Kay Martens und andere Mitstreiter haben deshalb das Initiative „AquaVentus“ angeschoben und einen Verein gleichen Namens gegründet. Die Vision ist bestechend: Auf hoher See sind Windparks direkt an Elektrolyseure angeschlossen. Zwei Wege sind denkbar: Jedes Offshore Windrad hat einen Elektrolyseur. Oder die Elektrolyseure werden auf einer zentralen Offshore-Plattform installiert. Wie auch immer- - die gedachte Anlage würde jährlich eine Million Tonnen grünen Wasserstoff produzieren und ihn per Pipeline ans Festland transportieren. Helgoland könnte eine Drehscheibe werden, ein optimales Reallabor zur Nutzung von Wasserstoff. Unter dem Dach des AquaVentus Förderverein unterstützen heute mehr als 100 Energiekonzerne, Organisationen und Forschungsinstitute diesen Plan. Doch das Projekt AquaVentus besteht bislang nur auf Papier. Die „Lange Anna“-- das Wahrzeichen von Helgoland. Foto: Oliver Steeger Reportage | Die rote Insel will grün werden 27 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0065 Die Herausforderung für Aquaventus: Die Technologie muss sich erst im Kleinen bewähren, bevor ein Investor und Betreiber sie in Großanlagen nutzt. Jörg Singer, der ehemalige Helgoländer Bürgermeister, ist Vorsitzender des Fördervereins. Er spricht sich für eine Pilotanlage bei Helgoland aus. Er argumentiert: „Auf Helgoland haben wir das Know-how und durch die Präsenz der Windparkbetreiber auch die Fachleute, solch eine Versuchsanlage zu betreiben. Funktioniert die Anlage hier im rauen Seegebiet-- dann funktioniert sie überall.“ Für diese Pilotanlage- - ein AquaPrimus genanntes Projekt- - wirbt der Verein noch. Drei Jahre nach Gründung der Initiative präsentierte der Förderverein sein Konzept 2024 auf der Hannover Messe. Indes, über AquaVentus und eine Pilotanlage nahe der Insel sind die Helgoländer geteilter Meinung. Die einen halten AquaVentus für eine großartige Vision. Andere sagen: Die Idee ist völliger Unsinn. Die Technik wird nie funktionieren. Vielleicht sind viele Einwände gegen das Wasserstoff-Projekt nicht nur Zweifeln an der Technologie geschuldet- - sondern auch der Angst vor dem hochentzündlichen Gas selbst. Unter dem Vergrößerungsglas von Helgoland bleibt dies nicht lange verborgen. „Einige verbinden mit Wasserstoff gedanklich nicht einen Energieträger-- sondern etwa die Knallgas-Experimente aus dem Chemieunterricht oder den brennenden Zeppelin von Lakehurst“, beobachtet Kay Martens. Solch ein brandgefährliches Gas auf einer kleinen Insel wie Helgoland? Unmöglich! Erklärungen, dass eine Pilotanlage lediglich im Meeresgebiet bei Helgoland stehen würde, beruhigen die Gemüter kaum. „Auf Helgoland würde ohnehin kein Wasserstoff produziert oder gespeichert“, sagt Kay Martens. Jörg Singer hat akzeptiert, dass manche diese Projektvision noch misstrauen. Er hält entgegen, dass Wissenschaftler und Techniker an diese Technologie glauben. „Wir glauben diesen Experten“, sagt er, „ob diese Technologie dann wirklich funktioniert, wissen wir natürlich nicht.“ Doch er hält es in jedem Fall für sinnvoll, diesem Projekt Chancen zu geben. Auch-- und vor allem-- auf Helgoland. Kay Martens Vision ist, dass Helgoland künftig ein „Bezugspunkt für nachhaltiges Bewusstsein“ wird. Unter den Vergrößerungsglas zeigt die kleine Welt klar, welche Konsequenzen etwa Meeresverschmutzung und Klimawandel haben. Dass Ressourcen begrenzt sind. Wie nachhaltige Projekt Menschen „mitnehmen“ und Wandel herbeiführen. „Vielleicht haben wir auf Helgoland eine verstärkte Wahrnehmung, gewissermaßen feinere Fühler für die Welt um uns herum,“ meint Kay Martens. Vielleicht, weil das Leben hier weniger hektisch abläuft. Auf Helgoland fährt man nicht; Autos und Fahrräder gibt es kaum auf der Insel. Die Menschen gehen, sie sind langsam unterwegs. „Wer an den Klippen vorbeiläuft und in einem Vogelnest das ganz Plastik sieht-- der kann diese Wahrnehmung hier nicht so schnell wieder ausblenden und vergessen“, sagt Kay Martens. Hinschauen- - das ist immer der Anfang von Veränderung. Helgoland zeigt, wie es mit Projekten klappen könnte. Eingangsabbildung: Blick auf das Unterland. © Oliver Steeger In diesem Buch wird die Thematik Schätzen auf die Projektwelt angewandt. Wer kennt sie nicht, die großen Bauprojekte, die meist deutlich teurer werden und länger dauern als geschätzt. Egal ob es sich um die Elbphilharmonie handelt, den Berliner Flughafen oder Stuttgart 21. Verschiebungen und Kostensteigerungen sind an der Tagesordnung. In der agilen Projektwelt verspricht man sich deutlich bessere Schätzungen als bei den klassischen Verfahren. Zum einen findet der klassische Projektplan im agilen Kontext keine Anwendung, zum anderen sind die Planungszyklen deutlich kürzer. Dieser Band konzentriert sich darauf, die Hauptursachen für Fehleinschätzungen zu beleuchten und Möglichkeiten zur Verbesserung der Qualität von Abschätzungen aufzuzeigen. Er ist mitnichten als ein Plädoyer gegen Abschätzungen zu verstehen, sondern steht ganz im Sinne Dwight D. Eisenhowers Aussage: Plans are useless, but planning is essential. Jörg Brüggenkamp, Peter Preuss, Tobias Renk Schätzen in agilen Projekten nuggets 1. Au age 2024, 75 Seiten €[D] 17,90 ISBN 978-3-381-12511-1 eISBN 978-3-381-12512-8 Buchtipp cherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. 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