PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2024-0084
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/1216
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.„Wer will, der kann!“
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Oliver Steeger
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15 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0084 Duisburger Rheinbrücken-Projekt auf der Überholspur „Wer will, der kann! “ Oliver Steeger Beim ersten Spatenstich kurz vor Weihnachten 2019 nahmen einige Gäste Dr. Udo Pasderski zur Seite. Ziemlich wichtige Leute. Sie sagten ihm, dass er seinen ambitionierten Terminplan für den Brückenneubau vergessen könne. Die langen Behördenwege. Die Querelen mit den Leuten. Die Unwägbarkeiten. Bis 2027 fertig? Ah, nein, nicht bei solch einem Projekt. „Hierzulande unmöglich“, beschieden sie süffisant dem Ingenieur. Dr. Udo Pasderski hatte, wie man im Ruhrgebiet sagt, „eine Krawatte.“ Er kochte innerlich. „Ich musste mich sehr beherrschen“, sagt er. Jetzt will er es allen zeigen. Zeigen, dass es auch in Deutschland möglich ist, bei öffentlichen Projekten Termine und Kosten zu halten. „Wer will, der kann! “, sagt er. Wir stehen in Duisburg auf der gesperrten alten Rheinbrücke, als er mir diese Episode erzählt. Dr. Udo Pasderski ist ein Mann mit gelegentlich schalkhaftem Lächeln, der so direkt und erfrischend herzhaft sprechen kann wie viele im Ruhrgebiet. Doch dieses Mal ist es ihm ernst. Den Stich hat er auch nach fünf Jahren nicht vergessen. „Wir sind im Plan“, sagt Dr. Udo Pasderski fest. Es geht um die Rheinquerung der Autobahn A 40 bei Duisburg, eine wichtige Ost-West-Verbindung ins Ruhrgebiet hinein. Notorisch bekannt aus Staudurchsagen. Künftig sollen zwei neue Schrägseilbrücken dieses Nadelöhr entschärfen, jeweils eine für jede Fahrtrichtung. Die erste Schrägseilbrücke wurde vergangenes Jahr eröffnet. Um Platz für die zweite zu schaffen, wird gerade die alte Brücke aus den 1970er Jahren demontiert. Solch ein Großprojekt ist immer eine Rechnung mit ein paar Unbekannten. Eine Unbekannte ist der Rückbau einer Rückbau der alten Schrägseilbrücke: Die Fahrbahn wurde bis auf den nackten Stahl abgetragen. Nach über 50 Jahren war die Brücke dem Verkehr nicht mehr gewachsen. Foto: Oliver Steeger Reportage | „Wer will, der kann! “ 16 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0084 fünfzig Jahre alten Schrägseilbrücke aus Stahl. Über 350 Meter freischwebende Spannweite. Das hat bisher kaum jemand in Deutschland gemacht. Buchstäblich Neuland. Was macht Dr. Udo Pasderski so zuversichtlich, dass er Termine und Kosten hält? Zusammen mit Knut Ewald will Dr. Udo Pasderski mir dies erklären. Beide tragen Bauhelme mit dem Logos der DEGES, einer Projektmanagementgesellschaft von Bund und Ländern. Dr. Udo Pasderski ist Bereichsleiter bei der DEGES, Knut Ewald Projektleiter für den Bau. Sie arbeiten Hand in Hand. Wir gehen auf denen ehemaligen Fahrbahnen bis zur Brückenmitte. Der Asphalt ist abgetragen, abgeschält bis auf den rostroten Brückenstahl. Hilfsseile halten derzeit die Brücke; die alten gelben Seile hängen durch. Wir beobachten einen Bagger mit einer mächtigen hydraulischen Schere. Mit seiner stählernen „Hummerschere“ greift er eines der Seile. Das armdicke Stahlseil knackt unter dem Druck der Schere. Dann reißt es. Seine beiden Enden fallen ins Leere, eines schlägt laut gegen den stählernen Pylonen. Auf unserem Weg zur Brückenmitte steigen wir über ein durchtrenntes Brückenseil, zerfranst wie eine gerissene Kordel. „Eine Herausforderung bei solch einem Rückbau ist, dass die Stahlbrücke unter Spannung steht“, erklärt mir Knut Ewald, „wir können nicht einfach die Seile kappen und die Brücke in der Mitte durchschneiden.“ Man muss vorher vorsichtig die Spannung herausnehmen, ohne dass die Brücke hochschnappt wie eine Feder. Die Ingenieure entschieden sich, in der Mitte einen Teil der Brücke herauszunehmen und nur einen kleinen, exakt berechneten Steg stehenzulassen. Über diesen Steg floss die Energie ab. Unter den enormen Kräften bog und drehte er sich; am Ende hob sich eine Brückenhälfte um gut 30 Zentimeter. Dann war die Energie raus. „Wir haben sie herausgebogen“, sagt Knut Ewald. Das war im April. Jetzt klafft in der Mitte der ausgedienten Brücke bereits eine Lücke. Geschätzt dreißig Meter fehlen. Wir stehen an einem Baustellen-Geländer und blicken in das Innere der Brücke. Schweißer demontieren dort Stahlplatten. „Wir nehmen die Brücke in exakt der Reihenfolge auseinander, in der sie Ende der 1960er Jahren gebaut worden ist“, sagt Knut Ewald, „zehntausend Tonnen Stahl bauen wir zurück.“ Sie landen nach dem Abriss in einem Hochofen. Nebenan, auf der neuen, strahlend weißen Brücke donnert der Verkehr. Die Pylone recken sich stolz 71 Meter empor, die Schrägseile glänzen in der Sonne. Täglich 100.000 Fahrzeuge, sagt Knut Ewald, überqueren hier den Rhein: LKWs aus den Niederlanden, Pendler vom Niederrhein ins Ruhrgebiet, der Verkehr des Duisburger Hafen, des größten Binnenhafens Europas. Der massiv gestiegene Verkehr hat die alte Brücke in die Knie gezwungen. „Es ging nicht mehr mit der alten Brücke“, sagt Dr. Udo Pasderski. Wir verlassen die Baustelle über eine Wendeltreppe. Unter der Brücke zeigt er auf die alten Streben. Sie sind sogar für mich Laien erkennbar geflickt und verstärkt worden. Wir besprechen dies im Baustellenbüro. Dieses Büro ist ungewöhnlicherweise in einem Einfamilienhaus aus den 1960er Jahren untergebracht. Es liegt direkt unter der neuen Brücke, hat einen kleinen Garten mit einer Pforte, Glasbausteine im Rückbau der alten Schrägseilbrücke: Eine mächtige hydraulische Schere durchtrennt die Seile. Foto: Oliver Steeger Das durchtrennte Seil. Der alte Stahl der Brücke wird in einem Hochofen recycelt. Foto: Oliver Steeger Reportage | „Wer will, der kann! “ 17 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0084 Treppenhaus und einen Balkon zum Rhein hinaus. Wir sitzen in einem der Büros bei Baustellenkaffee. Die Balkontüre steht offen. Man hört den Autoverkehr und das Tuckern der Rheinschiffe. Weshalb war die alte Brücke nach fünfzig Jahren verschlissen? „Die Brücke wurde in den 1960er Jahren für nur 30.000 Fahrzeuge am Tag ausgelegt, für weniger als ein Drittel des heutigen Verkehrs“, sagt Knut Ewald, „außerdem waren die Fahrzeuge damals deutlich leichter.“ Dr. Udo Pasderski ahnt, dass ich die Bedeutung dieser Zahl nur halb erkenne. „Kommen Sie mal mit“, sagt Knut Ewald. In einem Nachbarzimmer hängt ein Querschnittsplan der alten Brücke an der Wand. Mit der Spitze seines Kugelschreibers zeigt er, wie die Brückenkonstruktion zu ihrem Rand hin dünner wird. Der Rand wirkt wie angesetzt; filigrane Streben stützen ihn. Dieser empfindliche Außenbereich der Brücke war als Standstreifen geplant, der rechts der Fahrbahnen nur gelegentlich genutzt wurde. Als der Verkehr wuchs, widmete man den Strandstreifen in eine Fahrbahn um. Ausgerechnet auf dem schwächsten Teil der Brücke fuhren dann schwere LKWs. Auf Jahrzehnte gesehen machten die Achslasten der 40-Tonner den Stahl mürbe. Erhöhter Verschleiß, wie Ingenieure sagen. In zwei Sanierungsprojekten versuchte man die Brücke zu verstärken. Gewissermaßen die Wunden durch Überlastung mit Pflastern zu heilen. Zuletzt mussten LKWs über eine Wiegeanlage fahren, um die Brücke queren zu dürfen; zu schwere LKWs wurden aus dem Verkehr herausgewunken. Im August 2017 schlugen Fachleute wegen Rissen in der Seilverankerung Alarm. Die Brücke kam unter tägliche Beobachtung, wie ein moribunder Patient auf einer Intensivstation. Es war klar: Ihre Tage waren endgültig gezählt. Es eilte mit dem Ersatz. So sehr Dr. Pasderski den Beweis antreten will, dass öffentliche Projekte funktionieren- - bei diesem Projekt geht es ihm und Knut Ewald um viel mehr. Die Menschen hier brauchen unbedingt diese Brücke, das haben die beiden in vielen Gesprächen gehört. Die Autobahn A 40 und ihre Rheinbrücke sind eine wirtschaftliche Schlagader für das Ruhrgebiet. Eine Sperrung würde einen volkswirtschaftlichen Schaden von täglich 1,2 Millionen Euro bedeutet. Das wäre eine Bürde für das ohnehin strukturschwache Ruhrgebiet, vielleicht der Todesstoß für einzelne Unternehmen. Die Rheinquerung bleibt deshalb während der Bauzeit offen, mit Ausnahme weniger Tage. „Wir bauen bei rollendem Verkehr“, sagt Knut Ewald. Knut Ewald hatte über Jahre an Tunnelprojekten mitgewirkt, bevor er zu diesem Projekt stieß. Als Dr. Udo Pasderski ihn wegen der Rheinbrücke ansprach, entschloss er sich schnell. „Der Rheinbrückenbau ist in Deutschland die Königsdisziplin“, sagt er, „vielleicht sogar der Meistertitel.“ Während seines Studiums sagte ihm ein Professor, dass ein Ingenieur nur einmal im Leben die Gelegenheit habe, an einer Rheinbrücke mitzuarbeiten. Diese Chance ergriff Knut Ewald sofort. Wenn man will, dann kann man- - das gilt auch für ihn. In seinen Enthusiasmus mischt sich aber auch Respekt vor der Herausforderung. Doch letztlich steht hinter dem Bau von Schrägseilbrücken präzise Ingenieurwissenschaft. Man kann Dinge berechnen. Brückenbauer denken geometrisch und beherrschen statische Berechnung. Sie haben aber auch eine Art „siebten Sinn“ für Balance und den Umgang mit Kräften und Lasten. „Die Kunst beim Brückenbau besteht darin, die Kräfte aufzunehmen und auf den kürzesten Weg in den Untergrund abzuleiten“, sagt Dr. Udo Pasderski. Brückenbau brachte seit jeher eine besondere Herausforderung mit sich: nämlich Lücken zu schließen. Wer anderen eine Brücke baut, muss erst überlegen, wie er selbst beim Bauen die Tiefe überquert. Hier in Duisburg Neuenkamp, wo der Rhein sehr breit ist, handelt es sich um mehr als 380 Meter, die das Bauwerk freischwebend überbrücken soll. Eine enorme Tragspannweite, die längste in Deutschland. Hätte man nicht einfach ein halbes Dutzend Pfeiler in den Rhein setzen und diese mit kurzen Teilbrücken verbinden können? „Der Rhein ist Deutschlands meistbefahrene Wasserstraße“, erwidert Knut Ewald. Die Schifffahrt braucht freie Bahn. Diese Idee scheidet aus. Nächste Idee: Man kann die Brücke an Land bauen und Stück für Stück nach vorne schieben. Schon besser. „Diese Methode haben wir eingesetzt-- für das erste Stück der Brücke“, sagt Knut Ewald. Das Problem ist: Je weiter man die Brücke von Land aus nach vorne schiebt-- desto mehr bekommt der über dem Rhein schwebende Teil „Übergewicht“. Er droht in den Rhein zu kippen. „Wir konnten unsere Brücke rund 50 Meter weit vorschieben“, sagt Knut Ewald. Ja-- und dann? Wie weiter? „Freivorbau“, antwortet er. Seine Augen leuchten. Er ist in seinem Element. Die neue Autobahnbrücke von den Rheinwiesen aus. Foto: Oliver Steeger Reportage | „Wer will, der kann! “ 18 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0084 Beim Freivorbau kommen die 71 Meter hohen Pylone mit ihren Schrägseilen ins Spiel. Sie müssen als erstes stehen. „Wir bauen von beiden Ufern aus. Wir schieben jeweils die an Land montierte Brücke, soweit es geht, voran“, sagt Knut Ewald, „danach schweißen wir vorne neue Brückenteile an.“ Erst vorschieben, dann vorne neue Teile ansetzen, bis sich die beiden Brückenhälften in der Mitte treffen? „Genau“, sagt Knut Ewald. Das mag einfacher klingen als es für die Ingenieure ist. Um den beiden nach vorne wachsenden Brückenteilen Halt zu geben, werden sie mit Seilen an den Pylonen befestigt. Die Seile nehmen die Lasten der tonnenschweren vorgebauten Elemente auf. Ein komplizierter Prozess von Anspannen und Umspannen der Seile, damit die Brückenteile nach vorne wachsen können. Aber-- wenn man von beiden Seiten baut, müssen sich die beiden Brückenhälften exakt in der Mitte treffen. Punktgenau. Und zwar in Länge und in Höhe. „Bei unserer Brücke haben sich die beiden Teile bis auf 30 Zentimeter angenähert“, berichtet Knut Ewald. Präzise bis auf die Länge eines Briefbogens. Ja-- und dann? „Wir haben die Brücke etwas geschoben und die Seile nachgespannt, alles austariert- - dann passte es“, sagt er. Dann hatte die Brücke ihre schöne „Urform“, wie Ingenieure diesen physikalisch ästhetischen Zustand nennen. Die Brücke ist nicht in sich verspannt, verdreht, verkeilt oder verwindet. Das ist ähnlich einem Schwimmer im Wasser. Er braucht eine in sich harmonische Körperspannung, um sich vom Wasser tragen zu lassen. Das alles erfordert komplexe ingenieurstechnische Berechnung. Hinter jedem Schritt stehen präzise Kalkulationen, die die natürliche Biegung des Stahls unter den Lasten einkalkulieren. Bereits eine tonnenschwere Maschine, die für den Vorbau erforderlich ist, kann die Brücke deutlich „herunterdrücken“. „Die Herausforderungen ist, die statischen Annahmen zu treffen für den freien Teil der Brücke“, sagt Knut Ewald, „man muss diese Annahmen korrekt berechnen und mögliche Verformungen berücksichtigen, um mit jedem angeschweißten Teil zur klaren, einheitlichen Endform der Brücke zu kommen-- so, wie ich sie haben will.“ Man spürt, wie Knut Ewald den Moment nach dem Lückenschluss genoss. Eine Brücke ist wie eine Gleichung, die nach langen Rechenoperationen elegant aufgeht. Die Konstruktion und der Bau der Brücke ist wie die „Tagseite“ des Projekts. Mit Mathematik und Physik lässt sie alles (elegant) berechnen. Das bedeutet viel Arbeit- - doch am Ende kommt man zu verlässlichen Ergebnissen. Indes, jedes Projekt hat auch eine „Nachtseite“ mit Dingen, die sich nicht vorberechnen lassen. Unsicherheiten, die sich Formeln und Berechnungen weitgehend entziehen. Auf solche Unwägbarkeiten spielten diejenigen an, die Dr. Udo Pasderski beim Spatenstich zur Seite genommen haben: Die Zustimmung- - oder zumindest Duldung-- der Anwohner. Prozesse in Genehmigungsbehörden. Die Streitsucht der Beteiligten. Die Geduld der Autofahrer. Die Ungeduld der Wirtschaft im Ruhrgebiet. Dr. Udo Pasderski bestreitet nicht, dass es solche Aspekte gibt. Was ihn bei der Ehre packte, war die Unterstellung, dass er sie nicht bedenkt und in den Griff bekommt. Vielleicht nicht mit mathematischen Formeln. Aber ebenso elegant- - indem man drei Dinge tut. Erstens, Risiken früh entschärfen. Zweitens, aufeinander zugehen. Und drittens, Brücken bauen: dieses Mal zu Menschen. Mit der hemdsärmeligen Direktheit des Ruhrgebiets fügt er an: „Wer will, der kann.“ Wir verlassen mit unseren Helmen und Warnwesten das Baubüro und fahren im Nachmittagsverkehr über die neue Brücke zur anderen Rheinseite, auf Duisburg zu. Knut Ewald berichtet von einer der Unsicherheiten, die einen wohlberechneten Projektplan über den Haufen werfen können. Es sind Altlasten. Das Ruhrgebiet, sagen manche hier, ist auf dem Müll der Industrialisierung und den Blindgängern der Weltkriege errichtet. Solch eine Altlast hat auch die Rampe zur Brücke erwischt. Unter ihr liegt eine alte Deponie. Abtragen kann man sie nicht, aber „zukunftssicher“ abdichten. „Daran arbeiten wir gerade“, sagt er, „damit die letzte Lücke in der Rampe geschlossen werden kann. “ Das Problem ist nicht, dass es Die neue Brücke im Bau. Im Freivorbau wurde von beiden Seiten her die Brücke zur Rheinmitte hin gebaut. Im Hintergrund die alte Brücke noch in Betrieb. Foto: TAKE IT MEDIA GmbH Reportage | „Wer will, der kann! “ 19 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0084 dieses Problem gibt. Die Herausforderung besteht darin, solche Risiken so früh wie möglich zu erkennen. Risikomanagement ist für die beiden Projektmanager wie sicheres Autofahren. Man muss vorausschauend fahren-- und in Alternativen denken. Ein Beispiel dafür ist das Hochwasser. Die Fundamente für die Pylone stehen nah am Flussufer. „Wer hier lebt, weiß, dass Vater Rhein gerne über die Ufer tritt“, sagt Dr. Udo Pasderski, „Hochwasser während des Baus der Fundamente hätte uns zeitlich zurückgeworfen.“ Möglichkeit eins: Das Team hat Notfallpläne für Hochwasser. Möglichkeit zwei: Das Team plant von vornherein die Spundwände höher. Das kostet mehr Geld. Aber dafür ist das Risiko vom Tisch-- und kann einem nicht mehr auf die Füße fallen. Solche Lösungen sind elegant. Doch zu ihnen findet man nur, wenn man das Risiko früh erkennt. „Wir haben das Risikomanagement schon zu Anfang des Planungsprozesses gestartet, eigentlich sogar noch früher“, sagt Dr. Udo Pasderski, „für die Baubranche ist diese Vorgehensweise nicht ganz alltäglich.“ Noch weniger üblich in der Branche ist das, was er mit dem Risikomanagement erreichen wollte. Ihm ging es nicht nur um Risikoanalysen, Zahlen und Fakten. „Ich wollte in die Diskussion reinkommen“, sagt er, „ich wollte uns zwingen, dass wir im Team früh in Szenarien durchdenken.“ Gedanklich Türen öffnen und sie offenhalten. Fällt eine Türe zu, kann man durch die andere gehen. Direkt hinter der Brücke fahren wir von der Autobahn ab. Wir kommen in ein Industriegebiet, vorbei an Lagerhallen. Später wird die Straße schmal. Auf der linken Seite die erstaunlich hohen Schallschutzwände der Autobahn, auf der anderen Seite die Hintergärten einer Siedlung. „Das ist eine alte Siedlung“, sagt Dr. Pasderski. Er scheint die Menschen hier zu kennen. „Ihre Großeltern, manchmal ihre Urgroßeltern haben diese Häuser gebaut.“ Vielfach mit ihren eigenen Händen, nach Feierband vom Stahlkocher oder „Pütt“, wie hier die Zechen heißen. Hinter jedem Haus liegt ein großer Garten, damals zur Selbstversorgung, heute als Kleinod. Kleine Gartenhäuschen stehen auf den Parzellen. Trampolins für Kinder. Blumen in voller Blüte. Eine friedliche Idylle im Schatten der Autobahn. „Wir hätten die Gärten beinahe rasiert“, sagt Dr. Udo Pasderski. Das Problem: Die beiden Brücken sind breiter als die alte. Sie brauchen einen breiteren anschließenden Autobahndamm. Anfangs stand im Raum, diesen breiteren Damm über einen Teil der Gärten zu legen. Sehr früh verstand Dr. Udo Pasderski das Problem und spielte mit dem Planungsteam die Alternativen durch. Möglichkeit eins: Die Auffahrt durch die Gärten zu planen. Möglichkeit zwei: Den Brücken einen kleinen „Schubs“ zu geben, wie Dr. Pasderski sagt. Sie also etwas versetzt zu bauen, um Anwohnern und Gärten aus dem Weg gehen. Sondierungen und Gespräche folgten- - lange bevor Projektpläne ausgehangen, die Genehmigung gestartet und Bürger offiziell beteiligt wurden. Die Menschen in der Siedlung sahen nicht nur den Damm kritisch, sondern auch den Lärm. Eine verschworene Gemeinschaft. „Wie das gallische Dorf aus dem Comic“, sagt Dr. Udo Pasderski mit seinem schelmischen Lächeln. Man einigte sich auf den Schubs für die Brücke und auf hohe, wirksame Lärmschutzwände. „Mit einem Mal hatten wir sechzig potenzielle Projektgegner weniger“, sagt er. Seine Strategie ist simpel: Brücken zu Menschen bauen bevor sie zu Projektgegnern werden. Und bevor die Pläne gezeichnet sind. Akzeptanzmanagement nennt er das. Es zahlte sich aus. Beim Planfeststellungsverfahren waren dann nur noch 18 Einwendungen auf dem Tisch. Bei ähnlichen Projekten gehen sie oft in die Tausende. An eine Geschichte erinnert sich Dr. Udo Pasderski besonders gut. Es geht um das Haus mit Gärtchen und Glasbausteinen, in dem er mit seinem Baubüro Quartier bezogen hat. „Etwas ungewöhnlich für ein Baubüro, oder? “ schmunzelt er. Normalerweise sind die Büros in Containern untergebracht. Dann erzählt er, wie es dazu kam. Bei einer der ersten Bürgerversammlungen in einem alten Duisburger Kinosaal tauchte eine gebrechlich wirkende Dame mit Rollator auf, begleitet von ihrer Familie. Es stellte sich heraus, dass ihr Häuschen direkt unter der neuen Brücke liegen würde. „Wir haben ihr das Haus abgekauft“, sagt Dr. Udo Die Perspektive der Autofahrer auf die neue Brücke im Sommer 2024. Foto: Oliver Steeger Reportage | „Wer will, der kann! “ 20 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0084 Pasderski. Damit war Friede. Nicht auszudenken der Aufruhr, wenn die Presse die Story aufgegriffen hätte, dass er seine Brücke über dem Hausdach einer betagten Dame baut. Diese Geschichte berührt ihn noch heute. Doch er weiß auch, dass man es bei solch einem Projekt nicht jedem recht machen kann. Gewisse Dinge sind nicht verhandelbar. „Ich kann Bürgern keine Mitsprache einräumen, wie breit etwa die Brücke wird“, sagt er, „das haben wir den Menschen auch klargemacht.“ Bei aller Bereitschaft zu Gesprächen- - es dürfen keine falschen Erwartungen aufkeimen. Enttäuschte Projektgegner sind häufig die hartnäckigsten Widersacher. Auch weiß er um die günstige Großwetterlage, durch die er das Projekt manövriert. Es gibt niemanden, der die Brücke nicht will. Der Leidensdruck ist hoch. Staugeplagte Pendler können es nicht abwarten, bis der Verkehr hier wieder zuverlässig fließt. Die Wirtschaft fiebert dem Tag entgegen, an dem der Güterverkehr hier ungehindert rollt. Und sogar die Anwohner freuen sich auf den verbesserten Lärmschutz, den die neue Brücke für sie bringt. „Eigentlich haben wir durch unser Projekt nur Gewinner hier“, räumt Dr. Udo Pasderski im Gespräch ein. Sie wollen nur eines: Dass die Brücke schnell fertig wird. Aber da ist noch etwas. Die reibungslose Zusammenarbeit auf der Baustelle selbst. Ich will nicht in die Kerbe schlagen wie die Leute, mit denen er beim ersten Spatenstich sprach. Dennoch: Jeder weiß, wie unkooperativ es hierzulande auf Baustellen zugeht. Mehr gegeneinander als miteinander. Häufig nur gegeneinander. Daran kranken so viele Infrastrukturprojekte in diesem Land. Dr. Udo Pasderski nickt. Er weiß sofort, auf was ich hinauswill. Er hat kein Blatt vor den Mund genommen, als er bei seinen Auftragnehmern diesen Punkt angeschnitten hat. Wir stehen, sagte er ihnen, alle im Fokus der Öffentlichkeit. Die Menschen fragen sich, ob die Ingenieure und die Bauindustrie hierzulande noch fähig sind, solche Projekte zu meistern. „Wollen wir das alte Klischee pflegen, dass es unmöglich ist, ein solches Projekt in Deutschland pünktlich abzuschließen? “ fragte er, „oder wollen wir zeigen, dass es gemeinsam geht? “ Er fuhr fort: Wenn Ihr gut zusammenarbeitet, macht dies nicht für uns. Auch nicht, um es den Zweiflern zu zeigen. Macht es für die Menschen hier im Ruhrgebiet. Und dann schrieb er den Firmen etwas ins Stammbuch, das alle bewegte: „Wenn unser Projekt eine Seele hätte und anfangen würde zu sprechen“, sagte er ihnen, „dann wäre es doch großartig, wenn uns das Projekt am Ende allen auf die Schulter klopft und sagt, dass jeder von uns das Richtige getan hat.“ Das klang philosophisch. Doch es verfehlte nicht seine Wirkung. Es drang durch. Von der Politik bis hin zum Schweißer auf der Baustelle. In einer Feierstunde bekräftigten die Führungskräfte der beteiligten Firmen die Absicht, das Projekt gemeinsam voranzubringen. Sie setzten ihre Unterschriften unter eine Charta. Jeder hat sie gerahmt bekommen. „Das Commitment bedeutet, dass wir alle auch die Perspektive wechseln können, um offene Fragen aus dem Blickwinkel des jeweils anderen zu verstehen“, sagt Knut Ewald. Und wer Ziele teilt, teilt natürlich auch die Erfolge. Solche Projekte sind keine One-Man- Show. „Wir sagen immer wieder, dass dies nur gelingt durch die konsequente und gute Zusammenarbeit im Team mit den Planungsbüros, den Baufirmen, der Verwaltung und dem Projektmanagement.“ Wir sind mit dem Auto am Rheinufer angekommen und stehen unter der neuen Brücke. „Wir zeigen Ihnen die Brücke aus ungewöhnlicher Perspektive“, sagt Knut Ewald. Am Brücken- Im Wartungsgang der neuen Brücke-- dicht unter der Fahrbahnen. Foto: Oliver Steeger Über diese Leiter geht’s hinauf in einen der über 70 Meter hohen Pylone. Foto: Oliver Steeger Reportage | „Wer will, der kann! “ 21 pfeiler klettern wir eine Leiter zu einem Gerüst empor. Auf der einen Seite der Beton des Pfeilers, auf der anderen der Stahl der Brücke. Durch eine Luke klettern wir in die Brücke hinein. Ich bin verblüfft: Ein langer, weiß gestrichener Gang erstreckt sich hell erleuchtet vor uns. Wir sind direkt unter der Fahrbahn. „Fast futuristisch“, sage ich, „die perfekte Symmetrie.“ Über Gitterroste folgen wir dem Gang ein Stück. Links neben uns laufen Kabel in Armaturen. Wir hören den Verkehr über uns; die Fahrbahn liegt vielleicht 30 Zentimeter über der Stahldecke. Knut Ewald zeigt mir die Nähte zwischen den tonnenschweren Einzelelementen, die beim Freivorbau aneinandergeschweißt worden sind, bis sich die beiden Brückenhälften in der Mitte trafen. Wir nehmen einen Seitengang, kriechen durch niedrige Durchlässe, den Kopf geschützt durch Bauhelme. Es geht eine Leiter hinauf. Unvermittelt stehen wir vor einer Stahltür, die verriegelt ist. „Sie geht hinaus auf die Autobahn“, sagt Knut Ewald, „dahinter fahren die LKWs und Autos.“ Wir sind in einem der Pylone. Zurück am Rheinufer werfen wir nochmals einen Blick auf die Brücken. Die alte Brücke grau, gezeichnet vom Rückbau. Dahinter die neue, emporgereckt wie ein Leuchtturm. Die beiden Projektmanager räumen ein, dass sie in Sorge waren wegen der Größe ihres Bauwerks. Würde es in die Landschaft passen? „Ich hatte manchmal Zweifel“, räumt Dr. Udo Pasderski ein, „über 70 Meter hohe Pylone, eine 60 Meter breite Anlage. Hoffentlich passt das alles zur Landschaft, zu der Stadt und den Menschen hier.“ Doch sie passt, meinen viele. „Es ist wirklich ein großartiges Landschaftszeichen“, sagt Knut Ewald. Dann strahlt mich Dr. Udo Pasderski an: „Gerade diese Ästhetik macht mich stolz. Die Brücke ist ein Highlight hier! “ Nun wird die zweite Brücke folgen. Das Projekt liegt ausgezeichnet in der Zeit und im Budget. Doch den Tag nicht vor dem Abend loben. „Wir sind ja noch mittendrin“, sagen die Projektmanager, „es kann noch viel passieren.“ Nur weiter! Wer will, der kann! Eingangsabbildung: Stand des Rückbaus im Sommer 2024: In der Mitte die Lücke in der alten Brücke. Foto: Oliver Steeger Buchtipp Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany \ Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ info@narr.de \ www.narr.de In Verhandlungen mit Geschick punkten „Never give without taking“ ist das Verhandlungsmotto von Ludger Schneider-Störmann. Verhandlungen in gesättigten Märkten mit hartem Wettbewerb sind konfliktreich. Der Autor beschreibt gängige Konflikttypen und erläutert alle Facetten für ein erfolgreiches Management von Online- und Face-to-Face-Verhandlungen. Er gibt Anleitungen für eine perfekte Vorbereitung und Durchführung. Das Buch richtet sich an Studierende der Betriebswirtschaftslehre, des Wirtschaftsingenieurwesens sowie des Vertriebs und alle Studierende mit Interesse am Vertrieb. Es eignet sich auch hervorragend für die Praxis. Ludger Schneider-Störmann Kon ikte und Verhandlungsmanagement im Vertrieb 1. Auflage 2024, 258 Seiten €[D] 24,90 ISBN 978-3-8252-6267-9 eISBN 978-3-8385-6267-4 Anzeige
