PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2025-0007
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Das optimale Level an Agilität erreichen
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Verena Evers
Agilität ist unverzichtbar, um im Wandel zu bestehen. Doch oft bremsen starre Strukturen und Prozesse den Erfolg. Welche Erfolgsfaktoren helfen, Agilität nachhaltig zu verankern? Entscheidend sind Kontext, Kultur, Strategie, Struktur und Führung.
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37 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 01/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0007 Mit Fingerspitzengefühl und Strategie Das optimale Level an Agilität erreichen Verena Evers Für eilige Leser | Agilität ist unverzichtbar, um im Wandel zu bestehen. Doch oft bremsen starre Strukturen und Prozesse den Erfolg. Welche Erfolgsfaktoren helfen, Agilität nachhaltig zu verankern? Entscheidend sind Kontext, Kultur, Strategie, Struktur und Führung. Schlagwörter | Agilität, Transformation, Führung, Teamentwicklung, Organisationsentwicklung, Kulturwandel Wer heute über agiles Arbeiten spricht, stößt nicht selten auf genervtes Augenrollen oder gelangweiltes Abwinken. Dabei ist unbestritten, dass sich die Art der Zusammenarbeit in Organisationen weiterentwickeln muss. Starre Strukturen und eine träge Unternehmenskultur erschweren es, mit immer komplexeren Anforderungen und stetigen Veränderungen Schritt zu halten. Doch der Begriff „Agilität“ ist teilweise negativ besetzt. Woran liegt das? Viele Unternehmen haben bereits erste Erfahrungen mit agilem Arbeiten gesammelt. Oft wurde versucht, Methoden wie Scrum, Kanban oder SAFe einzuführen-- teils erfolgreich, teils weniger. Stand-up-Meetings, Retrospektiven und neue Rollen sind eingeführt, aber die tiefgreifende Transformation bleibt häufig aus. Produktivitätssteigerungen, schnellere Markteinführungszeiten und mehr Innovationskraft stellen sich nicht von heute auf morgen ein. Auch die Unternehmenskultur verändert sich nicht immer wie erwartet. Angesichts anderer drängender Herausforderungen wie Digitalisierung, künstlicher Intelligenz, Fachkräftemangel und Nachhaltigkeit ist die Versuchung groß, das Thema Agilität abzuhaken und ad acta zu legen. Doch gerade angesichts der zunehmenden Komplexität ist es wichtiger denn je, flexible Strukturen, weniger Bürokratie und eine dynamische Kultur zu schaffen, die auch für Mitarbeitende attraktiv ist. Daher stellt sich die Frage: Wie lassen sich agile Arbeitsformen nachhaltig und ohne Überforderung etablieren? Ob in einzelnen Projekten, Teams oder unternehmensweit-- es lohnt sich, innezuhalten und genau zu überlegen, welches Maß an Agilität wirklich nötig ist und wie man es sinnvoll umsetzen kann. In Farbe statt Schwarzweiß Als Beraterin für agile Führung, Team- und Organisationsentwicklung habe ich im Laufe der Jahre zahlreiche agile Transformationen in verschiedensten Organisationen miterlebt und begleitet-- von kleinen Teams bis hin zu großen Unternehmen. Dabei ist mir eine der größten Hürden immer wieder begegnet: das Schwarzweiß-Denken. Agil oder nicht agil, richtig oder falsch, „neue“ oder „alte“ Arbeit. Solche Gegensätze führen oft zu endlosen Diskussionen, die wertvolle Zeit und Energie kosten und meist mehr Schaden anrichten, als sie nutzen. Doch wie kann es anders gehen? Wenn wir einmal kurz die gängigen agilen Methoden und Frameworks zur Seite legen, müssen wir uns fragen: Worum geht es eigentlich? Im Kern geht es um die Fähigkeit einer Organisation, sich flexibel an Veränderungen anzupassen und komplexe Herausforderungen zu bewältigen. Je dynamischer und komplexer die Anforderungen von außen sind, desto agiler muss die Organisation- - oder Teile davon- - sein. Dabei kann und sollte es Unterschiede zwischen den Abteilungen geben: Während die Buchhaltung beispielsweise weniger Agilität erfordert, ist in der Produktentwicklung ein höheres Maß sinnvoll. Entscheidend ist die Integration dieser unterschiedlichen Agilitätsstufen, ohne sie zu bewerten. Es geht nicht darum, ein Maximum an Agilität zu erreichen, sondern das richtige Maß für den jeweiligen Kontext zu finden. Agilität ist keine Einheitslösung, sondern ein Spektrum-- keine Schwarzweiß-Malerei, sondern eine vielfältige Farbpalette. Was ist dabei die Rolle von Methoden und Frameworks wie Scrum, SAFe oder Holokratie in diesem Prozess? Sie können Wissen | Das optimale Level an Agilität erreichen 38 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 01/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0007 helfen, Teams und Organisationen auf das passende Agilitätsniveau zu bringen. Dabei sollten sie jedoch nicht als universelle Blaupause betrachtet werden. Jede Organisation sollte ihren eigenen Kontext und ihre spezifischen Herausforderungen genau analysieren, bevor sie sich für einen Ansatz entscheidet. Für einige mag ein klassischer Projektmanagement- Ansatz sinnvoller sein, während andere von der Einführung agiler Frameworks profitieren. Manchmal kann die Einführung eines agilen Frameworks sogar ein Rückschritt in puncto Agilität darstellen, wenn es nicht zum jeweiligen Kontext passt. Was heißt das konkret für Projektleiter: innen, Führungskräfte und Organisationsentwickler: innen, die ihre Teams und Organisationen auf das passende Level an Agilität führen wollen? In der Praxis haben sich einige Erfolgsfaktoren als besonders wertvoll erwiesen. 1. Erfolgsfaktor: Kontext herstellen Ob auf der Ebene des gesamten Unternehmens, in Projekten oder in einzelnen Teams- - der erste wichtige Schritt ist, realistisch einzuschätzen, welches Level an Agilität bereits erreicht ist. Diese ehrliche Bestandsaufnahme bildet die Grundlage für den nächsten Schritt: herauszufinden, welches Maß an Agilität im spezifischen Kontext tatsächlich benötigt wird. Dabei ist es entscheidend, ein möglichst konkretes Zielbild zu entwickeln, das Klarheit schafft und später Energie spart. Oft liegen die Erwartungen der Beteiligten weit auseinander: Während einige lediglich agile Methoden im Team einführen wollen, träumen andere von der kompletten Transformation hin zu einer fluiden Organisationsform mit selbstorganisierten Einheiten. Zwischen diesen beiden Extremen besteht eine große Spannbreite, die leicht zu Missverständnissen und Reibungen führen kann, wenn keine klare Abstimmung erfolgt. Wenn diese unterschiedlichen Erwartungen nicht frühzeitig geklärt und abgestimmt werden, drohen später hohe Energieverluste und endlose Diskussionen darüber, wer „richtig“ agil arbeitet und wer nicht. Auch wenn nicht jede Nuance der Veränderung im Vorfeld genau geplant werden kann, ist es von großer Bedeutung, ein gemeinsames Zielbild zu entwickeln und dieses kontinuierlich mit der Realität abzugleichen. Ein klares Ziel hilft, den Fokus zu bewahren und unnötigen Aufwand zu vermeiden. Wesentlich ist auch, dass alle Beteiligten das „Warum“ und „Wozu“ der Veränderung verstehen und sich damit identifizieren können. Warum und wozu ist diese Veränderung notwendig? Geht es um eine höhere Anpassungsfähigkeit, eine schnellere Reaktionszeit auf den Markt oder um mehr Innovationskraft? Vielleicht stehen eine gesteigerte Produktivität oder eine höhere Mitarbeitermotivation im Vordergrund. Eventuell wird die Veränderung auch durch äußere Einflüsse, wie Marktveränderungen, Innovationsdruck oder Disruptionen, vorangetrieben. Welche Geschichte steckt hinter dieser Entscheidung? Diese Fragen sollten klar beantwortet sein. Ein regelmäßiges Rückbesinnen auf diese grundlegenden Fragen kann entscheidend dazu beitragen, die Motivation der Beteiligten auch in herausfordernden Phasen aufrechtzuerhalten. Besonders, wenn die Transformation anstrengend wird, kann das „Warum“ und „Wozu“ als wichtiger Kompass dienen, um den Weg nicht aus den Augen zu verlieren. Die klare Kommunikation dieser Ziele und Hintergründe ist somit unerlässlich, um den Veränderungsprozess erfolgreich und nachhaltig zu gestalten. 2. Erfolgsfaktor: Kultur beobachten „Denkt agiler.“ „Führt agiler.“ „Seid agiler.“ Diese Aufforderungen hört man häufig in Unternehmen, doch sie bewirken oft das Gegenteil. Anstatt Agilität zu fördern, führen solche Appelle häufig zu Widerstand, Frustration oder sogar Zynismus. Besonders problematisch sind dabei die Widersprüche zwischen den offiziell verkündeten Werten und dem tatsächlichen Verhalten im Alltag. Ein typisches Beispiel ist die Einführung einer neuen Fehlerkultur: Fehler sollen als Lernchancen betrachtet werden, doch sobald ein Fehler passiert, geht es vor allem darum, einen Schuldigen zu finden. Solche Inkonsistenzen untergraben das Vertrauen in die Führung und die Glaubwürdigkeit der Veränderungsprozesse. Wie kann man also die Unternehmenskultur beeinflussen, wenn direkte Appelle nicht funktionieren? Die Antwort ist ernüchternd: Kultur lässt sich nicht direkt steuern. Doch es gibt gute Nachrichten: Über indirekte Wege-- „über Bande gespielt“- - lassen sich Impulse setzen, die die Kultur in die gewünschte Richtung lenken können. Unternehmenskultur basiert auf ungeschriebenen Regeln und Verhaltensmustern, die sich aus Werten, Motiven und bisherigen Erfahrungen der Mitarbeitenden formen. Diese beeinflussen sich gegenseitig und bestimmen, wie Menschen im Unternehmen agieren und Entscheidungen treffen. Wenn sich in der Kultur unerwünschte Muster zeigen, lohnt es sich, die zugrunde liegenden strukturellen Anreize zu hinterfragen. Welche offenen oder verdeckten Anreize fördern diese Verhaltensweisen? Oft haben Leistungswettbewerbe, individuelle Zielvereinbarungen oder Prämien einen erheblichen Einfluss auf die Kultur der Zusammenarbeit. Beispielsweise könnte die Einführung von Teamzielen helfen, die Zusammenarbeit zu verbessern, anstatt Einzelziele zu fördern, die eher zum Silodenken beitragen. Es ist wichtig, den Wandel der Kultur mit Fingerspitzengefühl anzugehen, indem realistische Zwischenschritte gewählt werden, die zur bestehenden Kultur passen. Zu große oder unpassende Schritte führen oft zu Überforderung oder Abwehrreaktionen. Daher ist es entscheidend, die aktuellen Verhaltensmuster, Regeln, Rituale und Kommunikationsformen genau zu beobachten und zu verstehen. Nur so kann der Wandel von der bestehenden Kultur hin zur gewünschten Kultur gelingen. Zudem sollte man die aktuelle Kultur erst einmal akzeptieren, wie sie ist. Es bringt wenig, sich ständig an dem zu reiben, was die Kultur eigentlich sein sollte. In einer sehr hierarchisch geprägten Organisation kann es zielführender sein, mit klaren Anweisungen von oben zu arbeiten, anstatt darauf zu hoffen, dass Selbstorganisation in den Teams von allein entsteht. Das gilt auch dann, wenn langfristig eine stärkere Selbstorganisation angestrebt wird. Der Erfolg liegt darin, die richtigen Schritte zur richtigen Zeit zu gehen. 3. Erfolgsfaktor: Strategisch experimentieren „Wir müssen lernen, uns voranzuscheitern.“ Dieser Satz fiel in einem Vortrag über die Herausforderungen deutscher Unternehmen im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz [1]. In der agilen Welt ist Experimentierfreude fest verankert, und manchmal entsteht der Eindruck, Agilität und Strategie könnten sich gegenseitig ausschließen. Auch das bekannte Zitat von Peter Drucker, „Culture eats strategy for breakfast“, trägt manchmal dazu bei, dass die Bedeutung von Strategien in Wissen | Das optimale Level an Agilität erreichen 39 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 01/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0007 der agilen Transformation unterschätzt wird. Vor allem in Umgebungen, in denen agile Veränderungen über Pilotprojekte oder Graswurzel-Initiativen starten, fehlt oft eine klare Agilitätsstrategie-- also eine übergeordnete Strategie für die agile Entwicklung von Teams und Organisationen. Doch eine klare Strategie ist unerlässlich. Sie schafft Orientierung und setzt einen Rahmen, innerhalb dessen experimentiert werden kann, ohne ins Chaos zu fallen. Ein solider strategischer Rahmen hilft, Unsicherheiten zu minimieren und den Mitarbeitenden klare Ziele und Leitplanken zu bieten. Wichtig ist dabei, dass die Verantwortung für die Entwicklung einer solchen Agilitätsstrategie auf allen Führungsebenen wahrgenommen wird, auch wenn je nach Kontext gegebenenfalls Mitarbeitende in den Prozess der Strategieentwicklung einbezogen werden sollten. Wie lässt sich nun Strategie mit der Idee des „Voranscheiterns“ in Einklang bringen? Durch sogenanntes „strategisches Experimentieren“. Das bedeutet, dass die Agilitätsstrategie den Rahmen vorgibt, innerhalb dessen Experimente stattfinden können. Basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen werden die Strategie und ihre Ziele regelmäßig reflektiert und angepasst. Dies erlaubt es, flexibel zu bleiben und dennoch einer klaren Richtung zu folgen. Und was ist nun mit dem bekannten Spruch, dass die Kultur die Strategie „zum Frühstück verspeist“? Dies passiert nur, wenn die Kultur bei der Strategieentwicklung ignoriert wird. Wird die Unternehmenskultur jedoch von Anfang an realistisch in die Planung integriert und regelmäßig überprüft, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Strategie auch in der Praxis umgesetzt werden kann. Entscheidend ist dabei die Bereitschaft, die Strategie kontinuierlich an die sich verändernde Kultur und die Rahmenbedingungen anzupassen. Nur so bleibt sie langfristig wirksam und ermöglicht nachhaltige Fortschritte in der agilen Transformation. 4. Erfolgsfaktor: Konsequent Strukturen anpassen „Überprüfen und Anpassen“ ist ein zentrales Prinzip agiler Ansätze [2]. In der Praxis bezieht sich dies jedoch oft vor allem auf die Optimierung der Arbeitsmethoden in einzelnen Teams. Die teamübergreifenden Organisationsstrukturen und Prozesse hingegen bleiben häufig unberührt. Das ist nachvollziehbar, denn hier handelt es sich oft um komplexe und tief verwurzelte Herausforderungen- - „harte Nüsse“, an denen sich viele die Zähne ausbeißen. Ein typisches Beispiel dafür ist, dass agile Methoden in Einzelteams oder Projekten eingeführt werden, während die übergeordneten Produktentwicklungsprozesse unverändert bleiben. Dies führt oft zu halbherzigen Experimenten, die kaum sichtbare Erfolge bringen, was wiederum den falschen Schluss nahelegt, dass Agilität im Unternehmen „nicht funktioniert“. Um das volle Potenzial des agilen Arbeitens auszuschöpfen, kommt man jedoch nicht umhin, auch diese strukturellen Hürden anzugehen. Wie geht man dabei am besten vor? Ein wichtiger Schritt ist, die bestehenden strukturellen Anreizsysteme kritisch zu hinterfragen und anzupassen, um die gewünschten Verhaltensweisen zu fördern. Dabei sollte die Frage im Vordergrund stehen: Warum verhalten sich die Menschen in der Organisation so, wie sie es aktuell tun? Welche versteckten Anreize in den bestehenden Strukturen begünstigen unerwünschte Verhaltensmuster? Ein klassisches Beispiel ist das Silodenken. Anstatt den Mitarbeitenden vorzuwerfen, sie würden zu isoliert arbeiten, sollte man überlegen, ob die Strukturen dieses Verhalten fördern. Häufig sind es individuelle Zielvereinbarungen und Gehaltsprämien, die an den Erfolg einzelner Mitarbeitender geknüpft sind. Solange diese Anreize bestehen bleiben, wird man durch Appelle kaum etwas an der bestehenden Arbeitsweise ändern können. Es ist deshalb unerlässlich, diese Anreizsysteme zu überdenken und so zu gestalten, dass sie kooperative Verhaltensweisen belohnen und das Silodenken überwinden helfen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, die Verbreitung dieser Muster zu analysieren. Betreffen sie nur ein bestimmtes Team oder einen Bereich, oder ziehen sie sich durch die gesamte Organisation? Je umfassender die Muster, desto entscheidender ist es, sich mit anderen Entscheidungsträgern zusammenzutun, um die strukturellen Anpassungen gemeinsam durchzusetzen. Dabei muss jedoch strategisch und mit Fingerspitzengefühl vorgegangen werden. Jeder Schritt sollte sorgfältig gewählt werden: Ist er zu groß oder unpassend, erzeugt dies oft starke Abwehrreaktionen. Genau hier zeigt sich wieder, wie wichtig es ist, die Unternehmenskultur stets im Blick zu behalten-- sie kann eine starke Kraft sein, die unbedacht eingeführte Veränderungen schnell zurückweist. Dies zeigt, dass die Anpassung von Strukturen und Anreizen eine entscheidende Rolle spielt, um den agilen Wandel erfolgreich und nachhaltig zu gestalten. Ohne solche Anpassungen bleibt das Potenzial agiler Methoden oft ungenutzt, und der Veränderungsprozess läuft ins Leere. 5. Erfolgsfaktor: Führung neu denken Auch in agilen Teams und Organisationen bleibt Führung unverzichtbar. Die Art der Führung hängt jedoch stark davon ab, welches Level an Agilität angestrebt wird und- - oft übersehen-- auf welchem Level sich die jeweiligen Teams oder Organisationseinheiten aktuell befinden. Nur weil das Ziel selbstorganisierte Teams vorsieht, heißt das nicht, dass diese Teams heute schon bereit dafür sind und dementsprechend geführt werden können. Während einer agilen Transformation, selbst bei kleineren Projekten, ist es notwendig, Führung kontinuierlich neu zu denken, zu reflektieren und anzupassen. Dies stellt hohe Anforderungen an Personen in Führungsrollen. Zudem wird die Führungsverantwortung oft auf mehrere Rollen verteilt und teilweise direkt an die Teams übertragen, was zusätzlichen Klärungsbedarf schafft: Wie soll Führung in der Praxis aussehen? Bestehende Rollen, insbesondere auf höheren Ebenen, sollten überdacht und angepasst werden. Neue Rollen wie Agile Coaches, Scrum Master oder Product Owner sollten nicht nur klar definiert, sondern auch als Führungsrollen anerkannt werden. Wichtig ist, dass diese Rollen Zugang zu entsprechenden Weiterbildungsangeboten und klaren Entwicklungsmöglichkeiten erhalten. Gute Führung ist entscheidend, wie die Gallup-Studie [3] zeigt: Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen Mitarbeiterengagement und wirksamer Führung. Besonders in Zeiten des Fachkräftemangels ist es für Organisationen unabdingbar, diesen Aspekt nicht zu vernachlässigen. Besondere Aufmerksamkeit erfordert die hohe Zahl an Quereinsteigern in agile Führungsrollen. Zum Beispiel werden Agile Coaches, Scrum Master und People Leads oft mit wenig Erfahrung und ohne ausreichende Kompetenzen ins kalte Wissen | Das optimale Level an Agilität erreichen 40 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 01/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0007 Wasser geworfen. Eine kurze Schulung reicht meist nicht aus, um die komplexen Anforderungen zu bewältigen. Es fehlt oft an langfristiger Unterstützung durch Weiterbildung, Coaching oder praxisnahe Begleitung. Hinzu kommt, dass viele dieser Führungskräfte gleich mehrere Teams parallel betreuen müssen, was zu Überlastung führen kann. Auch die Besetzung neuer Rollen sollte gründlich durchdacht werden. Es ist wichtig, sicherzustellen, dass die Person tatsächlich für die jeweilige Rolle geeignet ist und nicht einfach nur eine „alte“ Rolle auf die neue übertragen wird. Oft werden klassische Führungskräfte zu Product Ownern ernannt, ohne dass sich an ihrer Arbeitsweise etwas ändert. So wird lediglich der Titel in der E-Mail-Signatur ausgetauscht, während die alten Arbeitsweisen fortbestehen. Fazit und Ausblick Agile Entwicklung ist kein Projekt mit einem festen Endpunkt, sondern ein kontinuierlicher Prozess, der ständige Aufmerksamkeit und Anpassung erfordert. Selbst wenn das aktuell passende Level an Agilität erreicht wurde, ist es wichtig, regelmäßig zu überprüfen, ob weitere Anpassungen notwendig sind. Dies gelingt am besten durch etablierte Lern- und Feedback-Zyklen, in denen alle relevanten Themenbereiche reflektiert werden: Kontext, Kultur, Strategie, Struktur und Führung. Diese Zyklen sollten nicht nur interne Akteure einbeziehen, sondern auch Kunden, Kooperationspartner und externe Experten, um eine ganzheitliche Sicht zu gewährleisten. Nur durch fortlaufendes Lernen auf allen Ebenen bleibt die Organisation anpassungsfähig und zukunftssicher. Veränderungsfähigkeit entsteht nicht automatisch, sondern muss kontinuierlich erarbeitet werden. Gerade in Zeiten raschen Wandels und steigender Komplexität ist dies entscheidend, um langfristig erfolgreich und wettbewerbsfähig zu bleiben. Verena Evers Verena Evers begleitet seit 2011 Führungskräfte, Projektleiter: innen und Organisationsentwickler: innen in der Transformation, mit einem Fokus auf Führung in agilen Organisationen. www.levelsofagility.de/ pmaktuell E-Mail: mail@levelsofagility.de Es geht darum, eine agile Denkweise tief in der Organisation zu verankern, sodass sie nicht nur auf akute Veränderungen reagieren kann, sondern proaktiv die Zukunft gestaltet. Agilität ist somit nicht nur eine Methode, sondern der Motor für eine kontinuierliche und erfolgreiche Team- und Organisationsentwicklung. Weiterführende Ressourcen Eine Checkliste, die hilft, das optimale Level an Agilität zu finden sowie weiterführende Informationen sind unter dem Link www.levelsofagility.de/ pmaktuell zu finden. Literatur [1] Lobo, Sascha: Wie künstliche Intelligenz die Welt verändert und was das für B2B und den deutschen Mittelstand bedeutet. Hinterland of Things 2024 [2] Schwaber, Ken / Sutherland, Jeff (2020): Scrum Guide https: / / scrumguides.org/ docs/ scrumguide/ v2020/ 2020- Scrum-Guide-German.pdf (Stand: 13. 09. 2024) [3] Gallup: State of the Global Workplace: 2024 Report; https: / / www.gallup.com/ workplace/ 349484/ state-of-theglobal-workplace.aspx (Stand: 13. 09. 2024) Eingangsabbildung: © iStock.com / laflor
