eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 36/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2025-0008
0404
2025
361 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Nahtlose Integration: Impulse für erfolgreiches Post-Merger-Projektmanagement am Beispiel der JENOPTIK AG

0404
2025
Ebru Afsin
Martin Barth
In diesem Artikel werden die Schlüsselstrategien eines erfolgreichen Post-Merger-Projektmanagements am Beispiel des Technologiekonzerns JENOPTIK AG vorgestellt. Das Projekt einer Post-Merger-Integration (PMI) spielt im Rahmen von Merger & Acquisitions eine entscheidende Rolle. Daher ist ein effektives PMI-Projektmanagement unerlässlich. Trotz der klaren Evidenz um die hohe Bedeutung scheitern Akquisitionen häufig daran, die Projektziele im Rahmen der PMI zu erreichen. Um diese Problematik eingehend zu untersuchen, wurde im Rahmen einer Masterarbeit eine qualitative Studie mittels leitfadengestützter Experteninterviews durchgeführt. Die Ergebnisse werden der Leserschaft in Form von konkreten und praxisnahen Handlungsempfehlungen im Rahmen eines strukturierten Maßnahmenkatalogs präsentiert. Darauf aufbauend konnten diese PMI-Maßnahmen den Clustern Voraussetzungen, Struktur, Methodik und Kompetenzen zugeordnet werden. Dieser Artikel liefert sowohl einen wesentlichen Beitrag zur maßnahmenuntersetzten Projektführung einer Post-Merger-Integration als auch eine stringente Reduktion der PMI-Maßnahmenvielfalt auf vier inhaltliche Kernbereiche.
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42 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 01/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0008 Nahtlose Integration: Impulse für erfolgreiches Post-Merger- Projektmanagement am Beispiel der JENOPTIK AG Ebru Afsin, Martin Barth Für eilige Leser | In diesem Artikel werden die Schlüsselstrategien eines erfolgreichen Post-Merger-Projektmanagements am Beispiel des Technologiekonzerns JENOPTIK AG vorgestellt. Das Projekt einer Post-Merger-Integration (PMI) spielt im Rahmen von Merger & Acquisitions eine entscheidende Rolle. Daher ist ein effektives PMI-Projektmanagement unerlässlich. Trotz der klaren Evidenz um die hohe Bedeutung scheitern Akquisitionen häufig daran, die Projektziele im Rahmen der PMI zu erreichen. Um diese Problematik eingehend zu untersuchen, wurde im Rahmen einer Masterarbeit eine qualitative Studie mittels leitfadengestützter Experteninterviews durchgeführt. Die Ergebnisse werden der Leserschaft in Form von konkreten und praxisnahen Handlungsempfehlungen im Rahmen eines strukturierten Maßnahmenkatalogs präsentiert. Darauf aufbauend konnten diese PMI-Maßnahmen den Clustern Voraussetzungen, Struktur, Methodik und Kompetenzen zugeordnet werden. Dieser Artikel liefert sowohl einen wesentlichen Beitrag zur maßnahmenuntersetzten Projektführung einer Post-Merger-Integration als auch eine stringente Reduktion der PMI-Maßnahmenvielfalt auf vier inhaltliche Kernbereiche. Schlagwörter | Post-Merger-Integration, Integrationsmanagement, Projektmanagement, Post-Merger-Projekt, Mergers & Acquisitions 1. Post-Merger-Integration: Grundlagen und Perspektiven Mergers & Acquisitions (M&A) sind strategische Unternehmensaktivitäten, welche sich mit Fusionen und Übernahmen von Unternehmen befassen. [1] Die Post-Merger-Integration (PMI) kann als Projektphase des M&A-Projektes [2] oder als eigenes PMI-Projekt interpretiert und abgegrenzt werden (Abb. 1). In dieser Ausarbeitung betrachten wir die PMI als eigenständig definiertes Projekt. Das Integrationsmanagement ist somit im Wesentlichen das Projektmanagement der Post-Merger-Integration. Es umfasst alle Aktivitäten und Strategien, die notwendig sind, um das akquirierte Unternehmen erfolgreich im übernehmenden Unternehmen zu verorten. Strukturiertes Integrationsmanagement ist demnach entscheidend, um einerseits einen nahtlosen Implementierungsablauf zu gewährleisten und anderseits den Erfolg der gemeinsamen Geschäftstätigkeit sicherzustellen. Im Vordergrund steht dabei nicht die detaillierte Planung, Durchführung und Überwachung sämtlicher Integrationsmaßnahmen, sondern vielmehr ist darauf zu achten, dass sämtliche Integrationsaktivitäten an den Integrationszielen ausgerichtet sind. Der Fokus der Post-Merger-Integrationsgestaltung liegt somit auf dem zielführenden Management des Integrationsprojektes. [3] Eine Vielzahl von Studien zeigt auf, dass die Ziele dieser Integrationsprojekte oft nicht erreicht werden. Gerade im Bereich vertikaler Akquisitionen werden angestrebte, effizientere Wertschöpfungsketten und andere Synergieziele immer wieder verfehlt. [4] Weiterhin haben die Auswirkungen von Corona-Lockdowns und internationale Segmentierungstendenzen die globalen Lieferketten in den letzten Jahren mitunter dramatisch erschüttert. Bei Sourcing-Entscheidungen Wissen | Nahtlose Integration: Impulse für erfolgreiches Post-Merger-Projektmanagement 43 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 01/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0008 scheint die Minimierung der Beschaffungskosten nicht länger das hinreichende Entscheidungskriterium zu sein, vielmehr nimmt die Gewährleistung der Versorgungssicherheit der eigenen Produktion den Platz des prioritären Entscheidungskriteriums ein. [5] Standortverlagerungen und die Erhöhung des Insourcing-Volumens könnten in den nächsten Jahren die Folge sein. [6] Die vertikale Integration-- die Erweiterung des intraorganisationalen Wertschöpfungsumfangs- - scheint somit, vor der ersten Renaissance seit Henry Ford zu stehen. [7] Derzeit fehlt es allerdings an einem generischen Konzept mit konkreten, praxisnahen Handlungsempfehlungen für das zielführende Management einer solchen vertikalen Post-Merger-Integration. [8] 2. Methodische Vorgehensweise: Ansätze und Verfahren Im Zuge einer Masterthesis an der IU Internationalen Hochschule wurde am Beispiel des global agierenden Technologiekonzerns JENOPTIK AG ein erster Beitrag zu diesem Lückenschluss erarbeitet. Auf Basis einer systematischen Literaturanalyse, mit Erfassung der aktuellen, wissenschaftlichen Forschungslandkarte zu zielführendem Post-Merger-Integrationsdesign, konnten erste Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren dargelegt werden. Diese wurden im weiteren methodologischen Forschungsablauf einer kritischen Prüfung unterzogen und durch weiterführende Erkenntnisse ergänzt. Die Kernaussagen dieses Artikels beruhen, neben den Ergebnissen der systematischen Literaturanalyse, auf den Ergebnissen einer empirischen Studie mit qualitativem Forschungsansatz. Hierbei erfolgte die Datenerhebung mittels leitfadengestützter, halbstrukturierter Experteninterviews. Es wurden zehn Experten der JENOPTIK AG zu ihren Erfahrungen und Aufgaben in Integrationsprojekten befragt. [9] Für die strukturierte Auswertung und Interpretation des so erzeugten Textmaterials wurde die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring eingesetzt. [10] Die Ergebnisse der qualitativen Studie bestehen im Wesentlichen aus konkreten, praxisorientierten PMI-Handlungsempfehlungen. Auf Grundlage dieser Handlungsimplikationen wurde ein nach Clustern strukturierter und praktisch einsetzbarer PMI-Maßnahmenkatalog abgeleitet. Diese Systematisierung bietet neben wesentlichen Effizienzpotenzialen auch den Grundstein für die Entwicklung eines intraorganisationalen PMI-Handbuchs. [11] Allerdings sind weder der dargelegte Maßnahmenkatalog noch das vorgeschlagene PMI-Handbuch als statische Dogmen zu verstehen, vielmehr gilt es diese kontinuierlich weiterzuentwickeln und eine Art Wissensmanagementsystem für das organisationale Integrationsgedächtnis zu entwickeln. 3. Praktische Empfehlungen: Maßnahmen für die Unternehmenspraxis Der PMI-Maßnahmenkatalog gliedert sich in vier Cluster (Abb.-2). Jedes Cluster adressiert unterschiedliche Aspekte des Post-Merger-Projektmanagements. Während Cluster 1 die notwendigen Vorbereitungen und Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Integration identifiziert, beleuchtet Cluster 2 die organisationalen und prozessualen Strukturen einer Integration. Cluster 3 konzentriert sich auf die methodischen Werkzeuge eines erfolgreichen Integrationsprojektes. Das letzte Cluster hebt die Notwendigkeit der Integrationskompetenzen aller Projektverantwortlichen im Unternehmen als wesentliche Voraussetzung für eine Integration hervor. Auf der Grundlage dieser vier Cluster werden die verschiedenen Facetten im PMI-Projektmanagement eingefangen und damit die Entwicklung einer ganzheitlichen Lösung sichergestellt. Die Ergebnisse aus Cluster 1 (Abb. 3) verdeutlichen, dass für einen erfolgreichen PMI-Start eine solide Ausgangsbasis entscheidend ist. Ein geeigneter Strategic sowie Cultural Fit, ein guter Deal und eine sorgfältig durchgeführte Due Diligence sind dabei unverzichtbar. Die Grundlage dazu bildet eine realistische Einschätzung des Business Cases und der Synergiepotenziale auf Basis einer systematischen Risikoanalyse. Es ist anzuraten, die getroffenen Annahmen und Transaktionsergebnisse während der Due Diligence gründlich Abbildung 1: Phasen eines Akquisitionsprojektes [Eigene Darstellung] Abbildung 2: Die Cluster des PMI-Maßnahmenkatalogs [Eigene Darstellung] Wissen | Nahtlose Integration: Impulse für erfolgreiches Post-Merger-Projektmanagement 44 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 01/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0008 zu dokumentieren, um eine reibungslose Übergabe an das spätere PMI-Projektmanagement zu gewährleisten. Dies ist insbesondere im Fall der JENOPTIK AG ein entscheidender Faktor, da Integrationsmanager dort meist erst nach Abschluss der Due Diligence eingebunden werden. Mithilfe eines konsequenten Erfolgscontrollings kann der Prozess der Synergieerreichung verfolgt werden. Ein wirksames Erfolgscontrolling erfordert klare Erfolgskennzahlen, eindeutige Erfolgskriterien und eine belastbare Datenbasis zur Auswertung. Ergebnisse der untersuchten Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren verdeutlichen zudem, dass Unternehmen den personellen sowie zeitlichen Aufwand des PMI-Projektes meist unterschätzen. Genügend personelle Ressourcen sowie eine umfangreiche Vorbereitungsphase sind somit entscheidend. Dies erfordert in vielen Fällen eine frühere Einbindung projektrelevanter Personen. Der Integrationsmanager sollte zudem von seiner Linienverantwortung entbunden und durch ein Integrationsbüro, dem PMI-Backoffice, unterstützt werden. Eine nähere Betrachtung der organisationalen und prozessualen Strukturanforderungen liefert Cluster 2 (Abb. 4). Eine wesentliche Schwachstelle im PMI-Prozess ergibt sich für akquirierende Unternehmen häufig in der mangelnden Standardisierung des PMI-Vorgehens. Die Folge sind die Heterogenität der Integrationsgestaltung und die Inkonsistenz der Resultate über verschiedene Integrationsprojekte hinweg. Standardisierte Prozesse und klare Strukturen sind entscheidend für die wirkungsvolle und erfolgreiche Projektdurchführung. Zunächst sollte eine einheitliche M&A-Richtlinie mit definierten Meilensteinen, Verantwortlichkeiten und dem PMI-Zielprozess erstellt und allen Mitarbeitern zugänglich gemacht werden. Die M&A-Richtlinie und die PMI-Prozessbeschreibung bilden die ersten Grundsteine für die Entwicklung eines organisationalen PMI-Regelwerks. Um dem Integrationsmanager im PMI-Projekt mehr Handlungsspielraum zu ermöglichen, sollte ein individuelles Projektbudget festgelegt werden. Darüber hinaus wird empfohlen, die klassische Projektorganisation um zusätzliche Workstreams für Prozesse, Strategie sowie Personal und Marketing zu ergänzen, um die Integration effizienter zu gestalten. Im Sinne des aktiven Wissensmanagements wird zu der Durchführung von kontinuierlichen Lessons Learned-Veranstaltungen geraten, um wertvolle Erkenntnisse für zukünftige Projekte zu gewinnen und die organisationale Integrationskompetenz stetig weiterzuentwickeln. Zu guter Letzt ist eine IT-Lösung zum sicheren und zentralen Austausch von Arbeitsergebnissen zwischen dem akquirierenden und dem zu integrierenden Unternehmen zu errichten, um die systemgestützte Zusammenarbeit sicherzustellen. Letztlich sorgen die beschriebenen Strukturanforderungen aus Cluster 2 (Abb. 4) dafür, dass ein strukturiertes und systematisches Integrationsmanagement überhaupt durchführbar ist. Die Ergebnisse der im Rahmen der Masterarbeit durchgeführten Literaturanalyse zeigen die Relevanz dieser Anforderungen und bestätigen, dass sie wesentliche Erfolgsfaktoren für eine gelungene Integration darstellen. In der Literatur herrscht Einigkeit darüber, dass dem systematischen Integrationsmanagement eine Schlüsselrolle für den Erfolg einer Integration zukommt. [12] [13] [14] Dieses Ergebnis zeigte sich sowohl im Rahmen der untersuchten Misserfolgsfaktoren als auch bei der Auswertung konkreter Erfolgstreiber. Unter das systematische Integrationsmanagement fallen das Abbildung 3: Cluster 1: Voraussetzungen [Eigene Darstellung] Abbildung 4: Cluster 2: Struktur [Eigene Darstellung] Wissen | Nahtlose Integration: Impulse für erfolgreiches Post-Merger-Projektmanagement 45 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 01/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0008 Vorhandensein eines Integrationskonzepts, die Fähigkeit des Managements, dieses strukturiert in die Praxis umzusetzen und falls erforderlich, die Bereitschaft zur Kursänderung. Klarheit im Rahmen der strategischen Zielsetzung, der Prozesse, Rollen und Prioritäten sind dabei ebenfalls eine Grundvoraussetzung für den Integrationserfolg. In Cluster 3 geht es um die methodischen Aspekte eines PMI-Projektmanagements (Abb. 5). Die Schlüsselfaktoren fokussieren auf den Einsatz bewährter methodischer Instrumente und Fähigkeiten der PMI-Projektverantwortlichen. Zur Optimierung des PMI-Prozesses sollten akquirierende Unternehmen daher über eine allgemeine Day 1-Checkliste und eine Vorlage für das erste 100-Tage-Programm verfügen, die flexibel auf verschiedene Targets anpassbar sind. Eine Mastercheckliste mit PMI-Abschlusskriterien sowie eine Liste zur Übergabe an die operative Linienorganisation sind ebenfalls essenziell. Ein standardisiertes Vorgehen wird durch eine offizielle PMI-Toolbox gefördert. Ein zentrales Austauschlaufwerk sollte alle internen und externen Templates sowie Eigenlösungen sammeln. Ein umfassender Kommunikationsplan für den gesamten Akquisitionsprozess sowie ein detaillierter Maßnahmenplan zur Berücksichtigung weicher Erfolgsfaktoren runden den Prozess ab. Alle Projektverantwortlichen sollten ein anwendbares methodisches Grundwissen besitzen. Die Schlüsselrolle standardisierter Mustervorlagen zeigte sich auch im Fall der JENOPTIK AG. Das Fehlen standardisierter methodischer Templates erschwerte den Integrationsmanagern die Arbeit. So gaben die befragten Experten an, dass sie aufgrund fehlender Templates eigene Lösungen erarbeiten mussten, was wiederum Ressourcen beansprucht hat. Hinzu kommt, dass bei der JENOPTIK AG die Integrationsverantwortlichen üblicherweise nicht von ihrer Linientätigkeit freigestellt werden. Generell zutreffend ist jedoch, dass eine sorgfältige Vorbereitung im Vorfeld sowohl den Integrationsplan als auch den Integrationsmanager in der Steuerung der PMI dynamischen Veränderungen gegenüber resistenter macht. Cluster 4 betont die Notwendigkeit einer ausgeprägten organisationalen Integrationskompetenz (Abb. 6). Auch die Ergebnisse im Rahmen der Literaturanalyse bestätigen dies. Zahlreiche Autoren sehen den Grund für den Misserfolg von M&A-Geschäften insbesondere in einem fehlerhaft gestalteten Integrationsprojekt. [15] [16] [17] [18] Deshalb wird zu einer frühzeitigen Investition in den Aufbau von Integrationskompetenz geraten. Praktische PMI-Erfahrung und methodisches Wissen gehören zu den erforderlichen Kernkompetenzen eines Integrationsmanagers. Grundvoraussetzung für die organisationale Kompetenzentwicklung ist ein aktives Wissensmanagement im Unternehmen. Dieses setzt sich zusammen aus Wissensgenese und Wissenstransfer. Regelmäßige PMI-Audits, Lessons Learned-Runden und ein PMI-Handbuch, welches die Best Practices in sich bündelt und als Orientierungshilfe für zukünftige Projekte dient, sind dabei essenziell. Dieser Aspekt ist eng verflochten mit der in Cluster 2 beschriebenen Forderung nach einem standardisierten Prozess und klaren Strukturen im PMI-Praxisumfeld eines Unternehmens. Zusätzlich ist der Aufbau eines internen Kandidatenpools an potenziellen Integrationsmanagern und der gezielten Schulung und Weiterentwicklung dieser entscheidend für den Aufbau einer organisationalen Integrationskompetenz. Die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse verdeutlichten in diesem Zusammenhang noch ungenutzte Optimierungspotenziale für die JENOPTIK AG. Die Mehrheit der befragten Experten der JENOPTIK AG beklagten, kein vorheriges PMI- Know-how zu besitzen. Die M&A-Abteilung arbeitet daher mittelfristig an einer Lösung, künftige PMI-Verantwortliche besser auf ihre Rolle vorzubereiten. Des Weiteren stellte sich die gleichwertige Berücksichtigung von harten und weichen Faktoren als Erfolgsfaktor Abbildung 5: Cluster 3: Methodik Abbildung 6: Cluster 4: Kompetenzen [Eigene Darstellung] Wissen | Nahtlose Integration: Impulse für erfolgreiches Post-Merger-Projektmanagement 46 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 01/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0008 heraus. Während harte Faktoren unter anderem die Integrationsstrategie, -kosten und -geschwindigkeit umfassen, beziehen sich weiche Faktoren auf die Aspekte Mensch, Kultur und Kommunikation. In der Literatur finden sich verschiedene Ansätze und Empfehlungen zu der Ausgestaltung dieser Parameter. Allen Autoren ist gemein, dass sie weiche Erfolgsfaktoren besonders hochrangig in Bezug auf den Integrationserfolg bewerten. [19] [20] [21] [22] Trotz der umfassenden Handlungsempfehlungen liegt die zentrale Erkenntnis in der Einzigartigkeit eines jeden Integrationsprojektes. Unternehmen sind angehalten, sich für jedes Integrationsprojekt erneut mit den vorliegenden Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen und einzelne PMI-Projektparameter neu zu bewerten. Insgesamt ist festzuhalten, dass die Gründe sowohl für Erfolg als auch Misserfolg stark miteinander verflochten sind, weshalb jedes PMI-Projekt eine ganzheitliche Situationsanalyse erfordert. 4. Ausblick und Fazit: Neue Perspektiven Im dynamischen Umfeld von Unternehmenszusammenschlüssen ist ein effektives Post-Merger-Projektmanagement unverzichtbar. „Treiben Sie als Projektleiter selbst- und eigenständig Dinge voran, um Veränderung und Fortschritt zu bewirken“. [23] In diesem Sinne erfordert die erfolgreiche PMI nicht nur eine gründliche Planung und Ausführung, sondern auch die Fähigkeit, auf unvorhergesehene Veränderungen flexibel und schnell reagieren zu können. Die im Rahmen der Masterarbeit gewonnenen Kernergebnisse unterstreichen, wie erfolgskritisch konkrete Voraussetzungen, die sich in einer umfassenden Vorbereitung und der Sicherstellung unterstützender Rahmenbedingungen äußern, für den Integrationsprozess sind. Im Bereich der Strukturen wird deutlich, dass eine robuste organisationale, strukturelle und prozessuale Grundlage von entscheidender Bedeutung ist, um die Integration nahtlos durchzuführen. Methoden, die auf wissenschaftlichen Vorgehensweisen und bewährten Best Practices beruhen, bieten wertvolle Orientierungshilfen, um das Integrationsprojekt effizient zu steuern. Ein gewisser Standardisierungsgrad im Rahmen vordefinierter Prozesse und der einzusetzenden methodischen Werkzeuge schafft zusätzliche Klarheit über das Vorgehen und spart Ressourcen in der Vorbereitung. Gleichzeitig zeigt sich, dass das Vorhandensein einer organisationalen Integrationskompetenz ein weiterer, wesentlicher Schlüssel zum Erfolg ist. Entwickelt werden kann diese über ein aktives Wissensmanagement zum Aufbau einer intraorganisationalen Integrationsgedächtnisses. Zu guter Letzt muss sichergestellt sein, dass weiche Erfolgsfaktoren wie die Faktoren Mensch, Kommunikation und Kultur in gleichem Maße berücksichtigt werden wie die harten Erfolgsfaktoren. Zudem kann ein geeigneter Change- und Kommunikationsplan, der sich über den gesamten Akquisitionsprozess erstreckt, von erheblichem Nutzen sein. Eine klare Empfehlung für akquirierende Unternehmen ergibt sich in der Entwicklung eines sorgfältig ausgearbeiteten PMI-Handbuchs, das diese Praktiken beinhaltet, einen einheitlichen, internen PMI-Standard benennt und den Grundstein für einzuleitende Maßnahmen liefert, um die erforderlichen Fähigkeiten und Strukturen im Unternehmen zu stärken. Abschließend ist anzumerken, dass eine erfolgreiche Integration immer Anstrengungen auf beiden Seiten erfordert. Eine neue Perspektive ergibt sich durch den zunehmenden Einsatz KI-gestützter Technologien. KI wird zweifelsohne auch innerhalb von PMI-Projekten zielführend eingesetzt werden können. Klar ist allerdings, dass der menschliche Faktor im Post-Merger-Projektmanagement- - zumindest auf absehbare Zeit- - unersetzlich bleibt. Während KI bei der Analyse von Daten und der Automatisierung von Prozessen hilfreich sein kann, bleibt die emotionale Intelligenz des Menschen unerreicht. Denn der Mensch kann, im Gegensatz zu einer KI, Emotionen wahrnehmen, nachfühlen und vermitteln, was in der sensiblen Phase einer Integration entscheidend ist. [24] Anders als eine KI, deren Reaktionsfähigkeit immer von einem externen Trigger abhängt, ist der Integrationsmanager in der Lage, proaktiv auf subtile Veränderungen im Projektumfeld einzugehen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Literatur [1] DePamphilis, D. M. (2019). 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Weiterhin untersucht er spezifische Transformations-, Reorganisations- und Restrukturierungsprojekte aus der Perspektive des professionellen Projektmanagements. Kontaktanschrift: https: / / www.iu.de / hochschule / lehrende / barth-martin/ eMail: martin.barth@iu.org