PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Interview mit dem Filmproduzenten Lino Rettinger
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59 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 02/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0028 Interview mit dem Filmproduzenten Lino Rettinger Gero Lomnitz Wie bist Du Filmproduzent geworden? Mein Vater ist Filmproduzent, deshalb habe ich mir von Kindesbeinen an eine Vorstellung gemacht, was es bedeutet, Filme zu produzieren, Ich habe von den positiven und negativen Seiten des Geschäfts gehört. Schon als Schüler habe ich kurze Filme gedreht. Das Thema Film hat mich einfach fasziniert. Nach dem Abitur habe ich 2010 an der Internationalen Filmschule Köln den Studiengang „Kreativ Produzieren“ belegt und 2014 meinen Bachelor gemacht. Mich hat gerade dieser Studiengang interessiert, weil er sich zum einen mit den kreativen Aspekten der Filmproduktion und zum anderen mit den organisatorischen Aufgaben beschäftigt. Die Entstehung eines Films ist wirklich eine komplexe Angelegenheit, das darf man nicht unterschätzen. Nach dem Studium habe ich verschiedene Praktika im In- und Ausland gemacht und konnte so eine Menge für die Praxis lernen. Danach bin ich in die Filmproduktionsfirma meines Vaters eingestiegen. Hast Du im Studium etwas über Projektmanagement gelernt? Projektmanagement wurde nicht vermittelt. Der Studiengang heißt „kreativ produzieren“, organisatorischen Themen und die Managementrolle der Filmproduzent: innen wurden marginal behandelt. Wichtige Themen wie Entscheidungsprozesse, Teamführung oder betriebswirtschaftliche Themen standen nicht im Fokus. Wir haben Kurzfilme produziert und ausgewertet sowie uns mit Dramaturgie und Filmtheorie beschäftigt. Das tägliche Business des Filmproduzenten habe ich in der Praxis erfahren und gelernt. Was sollte ein Produzent über Projektmanagement wissen? Selbstverständlich müssen Produzent: innen gut organisieren können und bereit sein, sich auch mit den Details des Produktionsprozesses zu beschäftigen. Dazu gehören beispielsweise Abläufe planen, sich um Termineinhaltung kümmern, Verträge schließen und sich auch um das Catering kümmern. Produzent: innen müssen in der Lage sein, die vielfältigen Risiken eines Projektes zu antizipieren, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die Aufzählung lässt sich leicht fortsetzen. Doch das allein reicht mit Sicherheit nicht aus. Letztlich kommt auf die emotionalen Faktoren an. Die Zusammenarbeit mit Regisseur: innen und Autor: innen ist mehr als nur gewöhnliche Arbeit. Gefühle, die Leidenschaft der Autor: in für ihre Story oder die Vorlieben der Regisseur: in für den besten Dreh (aus seiner Sicht) oder Einschränkungen durch Kostendruck, das alles produziert ein Gemisch, das schnell hochkochen kann. Manche Akteure sind schon sehr speziell in ihrer Ansicht und in ihrem Verhalten, was einerseits anregend, spannend ist und andererseits aufregt und viel Kraft kostet. Mit diesen Themen muss ich mich beschäftigen, um meiner Verantwortung gerecht zu werden. Entscheidend für eine gute Filmproduktion ist aus meiner Sicht ein Wort: Vertrauen, wir müssen uns aufeinander verlassen können. Wenn Vertrauen vorhanden ist, dann lassen sich organisatorische oder technische Probleme in der Regel lösen. Wie entscheidest Du, ob eine Story erfolgsversprechend ist? Filmprojekte können gut oder schlecht werden. Es besteht immer das Risiko, auf das falsche Pferd zu setzen. Für meine Entscheidung spielen mehrere Punkte eine große Rolle: (1) Das Projekt muss mich ansprechen, mein Interesse wecken und ich muss einen persönlichen Bezug zum Projekt haben. (2) Ich muss mir vorstellen können, dass das Projekt auch andere interessiert. Interesse kann sich auf die Story, die Personen der Story, auf einen Beruf oder auf eine Region beziehen. (3) Ich muss den Eindruck gewinnen, dass die Autor: in, die Regisseur: in und ich eine gemeinsame Basis für die Zusammenarbeit erreichen werden. Mit Basis meine ich Qualifikation und Offenheit für die Ideen der anderen. Mit anderen Worten, die handwerklichen Fähigkeiten müssen vorhanden sein und wir müssen gut zusammenarbeiten. Vertrauen und der fruchtbare Austausch sind für mich ganz wesentlich. Manchmal kann sich die Dynamik des Miteinanders ändern, vor allem dann, wenn Wissen | Interview mit dem Filmproduzenten Lino Rettinger 60 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 02/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0028 die Finanzierung des Films steht und nun Zusatzwünsche geäußert werden, die im Finanzierungsplan nicht vorgesehen sind. Hier ist der Produzent gefordert, denn er trägt die Gesamtverantwortung für das Projekt und nicht die Regisseur: in. Was müssen Produzent: innen können? Inwieweit müssen sie Know-how über Regie, Kameratechnik verfügen? Filmproduzent: innen müssen Allrounder sein, um den Überblick über das Projekt zu halten. Ich finde es wichtig, dass ich mich in die Rolle der Akteure (Autor: in, Regisseur: in oder Kameramann: frau) hineinversetzen kann, um Sparringspartner zu sein und Auswirkungen von Entscheidungen auf die einzelnen Gewerke einschätzen zu können. Es bringt manchmal nichts, einen faulen Kompromiss einzugehen, der viele organisatorische Probleme löst, aber der Zeitdruck dadurch erhöht wird. So kann beispielsweise die Tontechnik keine Wiederholungen bei akustischen Störungen mehr durchsetzen und die gedrehten Szenen des Tages später im Filmschnitt nicht benutzt werden, weil man die Schauspieler: innen nicht versteht. Was sind die größten Herausforderungen und Risiken für die Produzent: innen? Wie bereits gesagt, es ist schwer, einen guten Film zu machen, man kann mit Fug und Recht von einer komplexen Angelegenheit sprechen. Ich sehe folgende Herausforderungen: • Zwischenmenschliche Probleme treten auf, Vertrauensbrüche blockieren die Zusammenarbeit, rechthaberische Diskussionen zehren an den Nerven. Es besteht die Gefahr, dass die Akteure sich trennen und das Projekt stirbt. • Bürokratische Entscheidungsprozesse erschweren die Finanzierung. Die Entscheidung, ob der Film finanziert wird, kann sehr lange dauern. Deshalb kann eine Kreditaufnahme durch die Produktionsfirma nötig sein, um das Projekt voranzutreiben, ohne zu wissen, ob das Geld fließt. • Das Damoklesschwert der Insolvenz schwebt im Raum. Das trifft zu, wenn eine Kreditaufnahme notwendig ist, die mit dem Privatvermögen der Produzent: in abgesichert werden muss. • Nicht zuletzt besteht das Risiko, dass sich der Film als schlecht herausstellt und dadurch der Ruf der Produzent: in beschädigt wird. Erfolglose Produzent: innen werden bei der Verteilung der Geldmittel durch Institutionen der Filmförderung kaum berücksichtigt.
