PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Denken Sie, bevor der Tag zu Ende ist!
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Jens Köhler
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68 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 02/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0032 KOLUMNE Denken Sie, bevor der Tag zu Ende ist! Jens Köhler Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch-- Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Priesberg kommt aus einer Diskussionsveranstaltung zur Digitalisierung und trifft Ehrlich auf dem Gang. Er wirkt verwirrt: „Ich war auf einer merkwürdigen Veranstaltung. Es kam mir vor, als ob die Teilnehmer ferngesteuert waren. Es wurden immer dieselben Floskeln ausgetauscht. Dabei scheinen ‚Digitalisierung‘, ‚agile Transformation‘, ‚Nachhaltigkeit‘ und ‚am Ende des Tages‘ Schlüsselwörter zu sein, sie kamen neben vielen anderen solcher Wörter wiederholt vor. Ehrlich überlegt: „Nachhaltig lässt sich am Ende des Tages durch die agile Transformation die Digitalisierung realisieren.“ Priesberg unterbricht ihn: „Ja, genauso war es. Es wurden andauernd solche Sätze gebildet.“ Ehrlich lästert: „Und dem von mir gebastelten Satz wurde sicher zugestimmt, etwa: ‚Die Digitalisierung schafft die Grundlage für die agile Transformation, die uns am Ende des Tages nachhaltiger wirtschaften lässt.“ Priesberg kratzt sich am Kopf: „Oje, jetzt hast du mir den Spaß an der Veranstaltung vollends genommen. Wenn nur solche Floskeln ausgetauscht wurden, dann gab es keinen Erkenntnisgewinn.“ „Oh nein“, fällt ihm Ehrlich ins Wort: „Das Ganze ist ein Ritual. Und durch den Austausch der Floskeln ergibt sich die Gruppenzugehörigkeit. Alles in allem hat man sich versichert, auf dem richtigen Weg zu sein.“ Priesberg fragt weiter: „Für die Firma ist aber nichts gewonnen, oder? “ Ehrlich erläutert: „Es ist der bequeme Weg. Man braucht nicht denken und fühlt sich wohl dabei.“ Priesberg überlegt: „Denken hat also zwei Nachteile: Erstens, es ist mühselig und zweitens, es separiert einen von der Gruppe. Irgendwie kommt mir dieser Mechanismus omnipräsent vor.“ Ehrlich überlegt und fährt fort: „Ich kann dir sagen, wo das hinführt: Ins digitale Nirgendwo. Ein Beispiel: Ich habe einen Bekannten, der wohnt in einem Mehrfamilienhaus. Es ist ein langes Haus, das wie ein U-Bahn-Zug aussieht. Die Kopfwohnungen wirken wie entgegengesetzte Führerstände. Jede Wohnung hat aber eine eigene Hausnummer.“ Priesberg schaut verwirrt drein, Ehrlich beruhigt und spricht weiter: „Der wesentliche Punkt kommt noch: Jede Wohneinheit hat jährlich zweimal kostenlosen Sperrmüll- - wenn man ihn telefonisch, also analog bestellt“, Ehrlich macht eine Kunstpause: „Wenn man ihn allerdings per Internet-Formular bestellt, hat man meistens gar keinen kostenlosen Sperrmüll. Und das, obwohl alles digital ist.“ Priesberg überlegt lange: „Kann es sein, dass der erste Bewohner, der eine Internetbestellung tätigt, alle anderen Nachbarn blockiert, da dem Haus nur eine Hausnummer zugeordnet ist? “ Ehrlich ruft aus: „Genauso ist es. Wo kämen wir denn dahin, wenn man noch die individuellen Hausnummern der Wohnungen berücksichtigen würde? “ Priesberg wendet ein: „Wenn der Prozess wirklich digital wäre, müssten aber alle Fälle erfasst und abrufbar sein.“ Ehrlich fasst zusammen: „Ganz genau. Ich nenne dieses für viele Situationen symptomatische Beispiel ‚simulierte Digitalisierung‘. Augenscheinlich sieht es digital aus, im Hintergrund müssen aber Menschen tätig werden. Das wird nicht sofort sichtbar-- und somit kommt man damit durch.“ Priesberg entgegnet: „All das hört sich pessimistisch an. Wohlfühlend fahren wir gegen die Wand.“ Ehrlich widerspricht: „Das führt zu wirtschaftlichen Verlusten. Deswegen sollten alle Digitalmaßnahmen nicht nur auf Wirksamkeit, sondern auch auf Anteile simulierter Digitalisierung überprüft werden. Und das stößt auf Widerstand, da man bei digitalen Prozessen mit liebgewonnenen Gewohnheiten brechen muss.“ Priesberg kratzt sich wieder am Kopf: „Denken bedeutet Widerstand, sich daraus ergebendes Handeln noch viel mehr-… da tausche ich doch lieber meine Floskeln mit anderen aus.“ Ehrlich muntert auf: „Wenn man sich zu Beginn jeder Maßnahme die Punkte ‚Wirksamkeit‘ und ‚Verzicht auf digitale Simulation‘ vornimmt, dann gelingt es.“ Priesberg fragt knapp: „Warum? “, Ehrlich erläutert weiter: „Beide Punkte sind harte Fakten und messbar. Sie können sich in ihrer Bedeutung nur schwer verschieben, viel schwerer als Floskeln. Und wenn sie von Anfang an in das Kommunikationssystem der Maßnahmen übernommen, also akzeptiert werden, dann muss sich jede Floskel dagegen bewähren und wird im Zweifelsfall aussortiert.“ „Es ist also wie im Sperrmüll. Was nicht gebraucht wird, kann weg“, fasst Priesberg zusammen. „Am Ende des Tages, ja“, grinst Ehrlich. Eingangsabbildung: © iStock.com / Comeback Images Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. eMail: Jens.Koehler@basf.com
