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Projektdiagnose

Auch hinter die Kulissen des Projektes schauen

1018
2021
978-3-7398-8099-0
978-3-7398-3099-5
UVK Verlag 
Gero Lomnitz

Eine fundierte Projektdiagnose geht weiter als übliche Projektreviews. Projektdiagnose bleibt nicht an Symptomen hängen, sondern der Diagnostiker:in schaut auch hinter die Kulissen des Projektes. Hinter Symptomen wie Terminverzug oder Budgetüberschreitung stehen in der Praxis oft Probleme wie Interessenkonflikte, Machtprozesse, paradoxe Entscheidungen, schwaches Grenzmanagement, fehlendes Rollenbewusstsein, Wiederholungsmuster, By-Pass-Lösungen, verlagerte Probleme oder verschiedene Muster der Konfliktstabilisierung; gerade diese Phänomene müssen erkannt, verstanden und klar kommuniziert werden, um Probleme zu lösen. Grundlagen, Modelle, Methoden und Instrumente der Projektdiagnose werden in diesem Buch praxisnah vermittelt. Zahlreiche Tipps und Beispiele veranschaulichen die Inhalte lebendig.

GPM TREND Projektdiagnose Auch hinter die Kulissen des Projektes schauen Gero Lomnitz Herausgegeben von der PROJEKTMANAGEMENT NEU DENKEN Die Autor: innen der Reihe Projektmanagement neu denken zeichnen sich durch einen hohen Erfahrungsschatz in der Projektmanagementpraxis und fundierte Kenntnisse der Theorien in diesem Themengebiet aus. In den Bänden werden insbesondere neue Fachthemen und neue Herangehensweisen behandelt. Dabei steht der konkrete Nutzen für die praktische Anwendung im Vordergrund. Leser: innen dürfen sich demnach sowohl auf einen Wissenszuwachs als auch Tipps für den Praxisalltag freuen. Gero Lomnitz arbeitet seit vielen Jahren als Berater, Trainer und Coach für namhafte Unternehmen und Non-Profit-Organisationen im In- und Ausland. Er hat zahlreiche Beiträge über Projektmanagement veröffentlicht und Lehraufträge an verschiedenen Universitäten wahrgenommen. Gero Lomnitz Projektdiagnose Auch hinter die Kulissen des Projektes schauen UVK Verlag · München © UVK Verlag 2021 ‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISBN 978-3-7398-3099-5 (Print) ISBN 978-3-7398-8099-0 (ePDF) ISBN 978-3-7398-0143-8 (ePub) Umschlagmotiv: © iStockphoto Ridofranz Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. 10 11 1 12 1.1 13 1.2 14 1.3 17 2 19 2.1 19 2.1.1 20 2.1.2 22 2.1.3 22 2.2 23 2.3 26 2.3.1 26 2.3.2 28 2.4 28 2.4.1 28 2.4.2 29 2.4.3 30 2.5 32 3 33 3.1 33 3.1.1 34 3.2 35 3.2.1 36 3.2.2 55 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ziele des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praxisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht über die einzelnen Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zielgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was bedeutet Projektdiagnose? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Projektdiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daten sammeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenbewertung und Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wissenschaftlich fundierte psychologische Diagnosen und Projektdiagnosen - ein kurzer Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Projektreview, Audit, PM-Assessment - Begriffsklärung . . . . . . . . . . . Projektreview und Projektaudit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Projektmanagement-Assessment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlässe für Projektdiagnosen und Reviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlässe für Reviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlässe für Projektdiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wann sollte eine Diagnose nicht durchgeführt bzw. vorzeitig beendet werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Diagnoseprozess von der Auftragsklärung bis zur Präsentation der Diagnoseergebnisse - Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auftragsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Initiierung - Vorgeschichte der Diagnose verstehen . . . . . . . . . . . . . . Worauf sollten Diagnostiker: innen im Vorfeld achten? . . . . . . . . . . . . Auftragsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was muss ich klären? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie erreiche ich einen klaren Auftrag? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 59 4.1 59 4.2 60 4.3 62 4.3.1 62 4.3.2 63 4.4 64 4.5 64 4.6 65 4.7 65 4.8 66 4.9 66 4.10 67 4.11 68 4.12 68 4.13 69 4.14 70 4.15 71 4.16 72 4.17 72 4.18 73 4.19 73 4.20 75 4.21 76 5 79 5.1 79 5.1.1 80 5.1.2 81 5.2 82 5.2.1 83 5.2.2 101 5.3 110 5.3.1 111 5.3.2 116 5.3.3 118 5.4 119 Was Sie wissen sollten, bevor sie mit Diagnosen beginnen - Grundlagen der Projektdiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnose bedeutet Konstruktion von Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die eigene Fokussierung reflektieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fokussierung nach fachlichen Aspekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fokussierung unter psychologischen Aspekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konsens und Dissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stärken und Schwächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oberflächlich oder zu detailliert? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neutral oder parteiisch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sympathie und Antipathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hierarchische Einflüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schuldfragen und/ oder Interaktionsansatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Optimistisch oder pessimistisch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Offen oder (zu) vorsichtig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gelassen oder getrieben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die eigenen Annahmen kritisch hinterfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Um ein Problem zu lösen, muss man sich vom Problem lösen. . . . . . . Eigene Unsicherheiten wahrnehmen und reflektieren . . . . . . . . . . . . . Diagnose ist eine Intervention in ein bestehendes Kraftfeld . . . . . . . . Hard Facts und Soft Facts sind wichtig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturen und Verhalten und deren Wechselwirkungen . . . . . . . . . . Widersprüche, paradoxe Situationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwei Ebenen der Projektdiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Einstieg: Diagnose des „Systems Familie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einige Fragen zur Diagnose einer Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnosefelder und Fragen für die Projektdiagnose . . . . . . . . . . . . . . . Klassische Diagnosefelder und Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen aus dem Bereich der Psycho-Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnose des Projektteams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welche Strukturelemente beeinflussen die Arbeit des Projektteams? Welche Verhaltensmerkmale müssen bei der Teamdiagnose beachtet werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welche Wechselwirkung bestehen zwischen Strukturelementen und Verhalten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemverlagerung in Projekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 6 122 6.1 123 6.1.1 124 6.2 125 6.3 128 6.3.1 128 6.3.2 131 6.3.3 131 6.3.4 133 6.3.5 134 6.3.6 135 6.4 136 6.4.1 136 6.4.2 138 6.4.3 140 6.4.4 141 6.4.5 142 6.4.6 146 6.5 147 6.5.1 148 6.5.2 149 6.6 150 6.7 151 6.7.1 152 6.7.2 156 6.8 156 7 157 7.1 158 7.1.1 160 7.2 160 7.2.1 160 7.2.2 161 8 167 8.1 167 8.2 167 8.2.1 167 8.2.2 168 8.2.3 168 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln . . . . . . . Planung der Datensammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligte vor der Datensammlung informieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dokumentenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragebogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbereitung des Fragebogens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empfehlungen für die Ausarbeitung des Fragebogens . . . . . . . . . . . . . Formen des Fragebogens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gliederung eines Fragebogens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor- und Nachteile von Fragebögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelinterview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Breite und Tiefe im Interview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie steige ich in ein Interview ein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empfehlungen zur Mitschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelinterview - Regeln und Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor- und Nachteile des Einzelinterviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppeninterview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tipps zum Gruppeninterview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor- und Nachteile des Gruppeninterviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hearing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnose - Workshop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tipps zur Vorbereitung und Durchführung von Diagnose Workshops Vor- und Nachteile von Diagnose-Workshops . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teilnehmende Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenaufbereitung - von der Analyse zum Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schritte der Datenaufbereitung - Clustern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassende Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnosebericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kriterien eines guten Diagnoseberichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gliederung eines Diagnoseberichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenfeedback - Präsentation der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ziele der Präsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbereitung der Präsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teilnehmerkreis festlegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verteilung der Dokumentation klären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Themenauswahl mit dem Auftraggeber klären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt 8.2.4 168 8.2.5 169 8.2.6 169 8.2.7 169 8.3 170 9 173 9.1 173 9.2 175 9.3 177 9.4 180 10 183 185 187 Vorgehen und Dauer besprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ort und Arbeitsmittel festlegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rollen im Rahmen der Präsentation vereinbaren . . . . . . . . . . . . . . . . . Einladung für die Präsentation verschicken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchführung der Präsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anforderungsprofil für Diagnostiker: innen Mindset und Skills . . . . . . . . . . . . . Persönlichkeitsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rollenbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Know-how . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Qualifikationsprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tipps, damit Ihre Projektdiagnosen scheitern Paradoxe Verschreibungen . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt Bedeutung der Symbole wichtig Empfehlung Checkliste Vorwort Seit etlichen Jahren habe ich mich immer wieder mit der Idee beschäftigt, über meine mehr als 30jährigen Praxiserfahrung als Projektdiagnostiker ein Buch zu schreiben. Ich fand die Idee auch interessant, weil nach meinen Recherchen über Projektdiagnose bisher noch kein Buch veröffentlicht wurde. Über Review und Audit ist recht viel veröffentlicht worden, aber über Projektdiagnose, so wie ich sie in diesem Buch vorstelle, ist bisher noch nichts. Wohl sind über das Thema Organisationsdiagnose zahlreiche Artikel und Bücher erschienen, die teilweise in Zusammenhang mit Or‐ ganisationstheorien, Organisationsentwicklung bzw. Change Management stehen. Einige Grundlagen, Regeln und Methoden aus diesen Bereichen sind in dieses Buch eingeflossen. Doch zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft manchmal eine größere zeitliche Lücke. Durch meine Arbeit, durch viele Reisen und meine fotografischen Ambitionen blieb die Idee lange Zeit auf der Strecke. Dann kam die Pandemie, die mir die Gelegenheit bot, mich endlich meinem Vorhaben, über Projektdiagnose zu schreiben, zu widmen. In vielen Stunden habe ich altes und neues Material aus meiner Arbeit sowie Artikel und Bücher rund um die Themen Organisations-, Teamdiagnose sowie Projektmanagement gesichtet. Was für ein Luxus, genügend Muse zu haben, endlich ein Buch ohne Zeitdruck zu schreiben und nicht wie bei den beiden anderen Büchern und Artikeln oft in Konkurrenz zur täglichen Arbeit die Zeit abzuknapsen. Dank Mein Dank gilt meiner lieben Kollegin Dr. Andrea van Aubel, die mich vor vielen Jahren bei der Ausarbeitung des IPO-Modells zur Analyse von Projektteams inspiriert hat. Unsere Zusammenarbeit hat sicher zum Entstehen des Buches beigetragen. Herzlich bedanken möchte ich mich bei Rainer Bösch, Ivoclar Vivadent AG, Director R&D Multiproject Management, mit dem ich mich seit Jahren über Projektverläufe und deren Hintergründe im Unternehmen austausche. Ganz herzlich bedanken möchte ich mich bei Martin Hülsmann, Head of Operational Re-Engineering, Mubea Fahrwerksfedern GmbH. Über einen langen Zeitraum haben wir gemeinsam Projekte bei einem global operierenden Zulieferer für die Automobil‐ industrie in China, USA, Indien und in europäischen Ländern diagnostiziert. Dank ihm habe ich die raue Welt des Projektmanagements kennengelernt. Herr Professor Heinz Schelle hat mir bei der Suche nach einem Verlag spontan den Kontakt zum Herausgeber des Buches ermöglicht. Dafür möchte ich mich herzlich bei ihm bedanken. Mein Dank gilt Herrn Professor Steffen Scheurer, Chefredakteur der PROJEKTMA‐ NAGEMENT AKTUELL und Mitherausgeber dieser Reihe. Herzlich bedanken möchte ich mich bei Dr. Jürgen Schechler, Leiter des UVK Verlags, der mir mit Rat und Tat bei der Erstellung des Buches zur Verfügung stand. Nicht zuletzt gilt mein Dank allen Kunden, die mir ihr Vertrauen schenkten und schenken, hinter die Kulissen der Projekte in ihre Organisation zu schauen. 1 Ziele des Buches Nur wer nicht sucht, ist vor Irrtum sicher. (Albert Einstein) Um Irrtümer, möglichst frühzeitig, zu erkennen, muss man Augen und Ohren öffnen, nachdenken, nachfragen, um die Sichtweisen der beteiligten Personen zu erfahren und zu verstehen. Verstand und Intuition sind notwendig, um das Projektgeschehen fundiert zu erfassen. Diese Eigenschaften und Tätigkeiten sind für Projektdiagnosen, so wie sie in diesem Buch vorgestellt werden, unverzichtbar. Mit Projektdiagnose betrete ich in gewisser Weise Neuland, denn über dieses Thema sind bisher noch keine Veröffentlichungen erschienen, weder in Form von Artikeln noch als Buch. Das gilt nach meinen Recherchen sowohl für die deutschsprachige als auch für die angelsächsische Projektmanagementliteratur. Dagegen gibt es zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema Organisationsdiagnose und Teamdiagnose aus den Gebieten der Organisationsentwicklung, der Betriebswirtschaft und der Psychologie. Manche Ideen aus diesen Bereichen sind in das Buch eingeflossen. Im Internet taucht der Begriff Projektdiagnose einige Male auf, wobei es sich sehr schnell herausstellt, dass Diagnose mit Monitoring oder Risk-Assessment gleichgesetzt wird. Damit wird man meines Erachtens dem Thema Projektdiagnose aus zwei Gründen nicht gerecht: ■ Monitoring gehört zu den permanenten Aufgaben der Projektleitung. Projektdi‐ agnose dagegen ist eine spezielle Aufgabe, die für ein Projekt erforderlich sein kann, aber längst nicht in jedem Projekt durchgeführt werden muss. ■ Diagnostiker: innen analysieren von außen mit der notwendigen diagnostischen Distanz das Projektgeschehen und sie sind nicht verantwortlich für die Steuerung des Projektes. Die Verantwortung für die Steuerung des Projektes liegt bei der Projektleitung und bei den Entscheidungsträgern des Projektes und nicht bei den Projektdiagnostiker: innen. Allgemeiner formuliert, Diagnostiker: innen arbeiten am System und nicht im System. Auf dieses Thema gehe bei der Fragestellung „kann die Projektleitung das eigene Projekt diagnostizieren? “ noch ein. Wie gesagt, ich betrete in gewisser Weise Neuland, denn manches, was Sie in diesem Buch lesen können, finden Sie in der einschlägigen Projektmanagementliteratur. Möglicherweise kennen Sie die klassischen Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen. Die Methoden der Datensammlung dürften denjenigen bekannt sein, die sich mit der Ausarbeitung von Fragenbögen oder der Durchführung von Interviews beschäftigt haben. Möglicherweise neu könnten die ausführlichen Erläuterungen zur Auftragsklärung im Rahmen der Projektdiagnose sein, wobei manche Übereinstim‐ mung mit dem Thema Auftragsklärung in Projekten besteht. Ich hoffe, dass Ihnen die Erklärungen über die grundlegenden Voraussetzungen für fundierte Projektdiagnosen 1 „Hinter den Kulissen der Organisation“, so lautet der Titel eines Klassikers der systemischen Beratung, das 1977 von der sogenannten Mailänder Gruppe veröffentlicht wurde. M. Selvini Palazzoli, et al.; Hinter den Kulissen der Organisation, Klett-Cotta, 1995 (Kapitel 4) neue Erkenntnisse bieten. Dieses Kapitel liegt mir besonders am Herzen, weil ich die Inhalte für unverzichtbar halte, um Projekte professionell zu diagnostizieren. Auch die für Projektdiagnosen unverzichtbaren Ausführungen zur Psycho-Logik von Problemen lassen sich in Beiträgen über Projektreviews und Audits nicht finden. So ist dieses Buch eine Mischung von bekanntem Projektmanagement Wissen und solchen Themen, die weit über das gängige Projektmanagement Know-how hinausgehen. Warum habe ich mich für den Titel „Projektdiagnose - auch hinter die Kulissen des Projektes schauen“ 1 und nicht für Projektreview entschieden? Möglicherweise hätte ich früher den Titel Projektreview gewählt. Doch im Laufe der Jahre erschien mir der Begriff Projektreview zunehmend unpassend, weil mit Review meistens die klassischen Fragen zur Projektanalyse verbunden sind, die sich überwiegend auf die Hard Facts beziehen. Selbstverständlich wird in Reviews auch nach der Zusammenarbeit im Team oder den Entscheidungsprozessen im Steering Committee gefragt. Doch bleiben diese Fragen an der Oberfläche und das genau ist nicht der Anspruch, an dem sich eine fundierte Projektdiagnose bewerten lassen muss. Projektdiagnose hat die Aufgabe, die Ursachen für Fehlentwicklungen fundiert zu analysieren. Das bedeutet: Diagnosti‐ ker: innen dürfen nicht an den Symptomen hängenbleiben, sondern sie müssen auch hinter die Kulissen des Projektes und notwendigerweise auch hinter die Kulissen der Organisation schauen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sowohl die Logik der Probleme als auch die Psycho-Logik des Projektgeschehens ermittelt, analysiert, bewertet und kommuniziert werden. Um Missverständnisse zu vermeiden, weise ich darauf hin, dass sich die Inhalte des Buches nicht mit Methoden zur Analyse fachlicher, technischer Probleme in Projekten beschäftigen. Das Buch soll Ihnen Grundlagen, Methoden, Regeln und Techniken für die diagnos‐ tische Arbeit bieten. Die Beispiele und Empfehlungen beruhen auf meiner jahrzehnte‐ langen Erfahrung als Projektdiagnostiker in unterschiedlichen Branchen und Kulturen. Überwiegend beruhen meine Erfahrungen auf Diagnosen von Forschungs- und Ent‐ wicklungsprojekten, IT- und Prozessoptimierungsprojekten, Marketingprojekten und Change Management-Projekten. Nur durch diese Erfahrungen war es mir möglich das Buch zu schreiben, das ich als Arbeitsbuch für die Praxis der Projektdiagnose verstehe. 1.1 Praxisfragen Seit über 25 Jahren leite ich Seminare und Workshops zum Thema Projektdiagnose und immer wieder stellen mir die Teilnehmenden folgende Fragen. Sie spiegeln einen großen Teil der Herausforderungen wider, mit denen sich die Diagnostizierenden auseinandersetzen müssen, um ihre Aufgaben erfolgreich zu bewältigen. 13 1.1 Praxisfragen ■ Woran kann ich erkennen, ob eine Projektdiagnose erfolgreich war? ■ Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Projektdiagnose? ■ Wer erteilt den Auftrag für die Projektdiagnose? ■ Wie können Projektdiagnosen am besten angekündigt werden? ■ Woran kann ich erkennen, ob Entscheider: innen an einer Lösung wirklich inter‐ essiert sind? ■ Wer kann Projektdiagnosen durchführen? ■ Kann die Projektleitung für das eigene Projekt eine Diagnose machen? Besteht nicht ein Rollenkonflikt? ■ Was muss ich wissen und können, um erfolgreich Projekte zu analysieren? Wie sieht das Anforderungsprofil der Diagnostiker: innen aus? ■ Diagnose durch Kolleg: innen? Geht das und wenn ja, wie? ■ Wer muss in die Diagnose einbezogen werden? ■ Wie mache ich aus den vielen Daten einen aussagefähigen Bericht? ■ Wer erhält wann welche Ergebnisse? ■ Wie vermittle ich politisch brisante Themen, vor allem dann, wenn Führungskräfte die Probleme verursacht haben? ■ Wie viel Zeit benötigt man für eine Projektdiagnose? ■ Wie teuer sind Projektdiagnosen? ■ Welche Fragen müssen und können im Interview gestellt werden? ■ Wie gelange ich in Interviews zu den eigentlichen Kernproblemen? ■ Welche Fragetechniken führen zum Erfolg? ■ Wie gehe ich mit Widerständen im Interview um? ■ Wie schafft man im Vorfeld der Diagnose Akzeptanz für die Maßnahme? ■ Gibt es Standardverfahren für Projektdiagnosen? ■ Welche Rolle spielt die Unternehmenskultur? ■ Wie können die Ergebnisse von Projektdiagnosen in der Organisation umgesetzt werden und wer ist dafür verantwortlich? ■ Wann ist die Diagnose beendet? Ich hoffe, dass Ihnen dieses Buch konkrete Antworten und Anregungen bietet, um Projektdiagnosen professionell zu planen und durchzuführen. 1.2 Übersicht über die einzelnen Kapitel In den Kapiteln 3, 5, 6, 7, 8 wird das Handwerkszeug der Projektdiagnose von der Auftragsklärung bis zur Präsentation der Diagnoseergebnisse erläutert. In diesen Kapiteln geht es um Methoden, Fragen, Regeln, Empfehlungen und nicht zuletzt um Modelle, die Sie für Projektdiagnosen nutzen können. Die Checklisten und Tipps können Sie im Sinne eines Handwerkskoffers nutzen. Kapitel 2 beschäftigt sich mit der Frage, was Projektdiagnose bedeutet. Im Kapitel 4 werden grundsätzliche Aspekte der Projektdiagnose beschrieben, die deutlich über das rein Handwerkliche hinausgehen. 14 1 Ziele des Buches Ich empfehle, sich gerade mit diesen Inhalten genauer zu beschäftigen, denn sie bilden das Fundament für die Diagnose. Im Kapitel 9 stelle ich ein Anforderungsprofil für Projektdiagnostiker: innen vor. Schwerpunkte Kapitel 2: Was bedeutet Projektdiagnose? ■ Was bedeutet Projektdiagnose? ■ Abgrenzung der Projektdiagnose von Review, Audit und Projektmanagement-As‐ sessment? ■ Was unterscheidet wissenschaftlich fundierte psychologische Diagnosen von Projektdiagnosen? ■ Projektdiagnosen - wann sind sie sinnvoll und wann nicht? ■ Übersicht über den Diagnoseprozess Schwerpunkte Kapitel 3 Auftragsklärung Erfolgreiche Projektdiagnose steht und fällt mit einer profunden Auftragsklärung. Das Was und das Wie der Auftragsklärung werden in diesem Kapitel ausführlich erläutert. ■ Auftragsklärung beginnt mit der Diagnose der Vorgeschichte ■ Inhalte der Auftragsklärung ■ Die Inhalte eines Diagnoseauftrags werden beschrieben. Besonderen Wert habe ich auf die Themen „Ziele der Projektdiagnose“, „die Systemgrenze klar definieren“ und „Rollen im Diagnoseprozess“ gelegt. ■ Die einzelnen Elemente eines Diagnoseauftrags kann man nachlesen, doch am Ende des Tages kommt es darauf an, wie gut die Auftragsklärung gelungen ist. Deshalb werden eine Reihe konkreter Empfehlungen vermittelt, wie Diagnosti‐ ker: innen sich im Rahmen der Auftragsklärung verhalten müssen. Hier liegt letztlich der Schlüssel zum Erfolg. Schwerpunkte Kapitel 4 Grundlagen der Projektdiagnose Dieses Kapitel mit seinen theoretischen Aussagen bildet die Basis für die diagnostische Arbeit und für die weiteren Kapitel. Ohne dieses Wissen können Projekte nicht fundiert, vertiefend analysiert werden. Die Methoden und Regeln lassen sich nicht sinnvoll anwenden. Je besser Sie diese Grundlagen verstanden und verinnerlicht haben, desto sicherer werden Sie die Methoden und Techniken der Projektdiagnose nutzen können. 15 1.2 Übersicht über die einzelnen Kapitel Schwerpunkte Kapitel 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen In diesem Kapitel werden die Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen vorge‐ stellt. Unter Diagnosefelder verstehe ich die inhaltlichen Schwerpunkte der Diagnose, u. a. Projektziele, Informationsfluss, Entscheidungsprozesse oder Zusammenarbeit im Team. Die Diagnosefelder und Fragen sind in folgende Abschnitte unterteilt: ■ Klassische Diagnosefelder mit den entsprechenden Fragen ■ Fragen zur Psycho-Logik der Probleme Diagnostiker: innen bleiben nicht an den Symptomen hängen, sondern sie gehen in die Tiefe und untersuchen auch die psychologischen und politischen Einflüsse auf die Projektarbeit, denn nur so ergibt sich ein ganzheitliches Bild. ■ Die Diagnose des Projektteams wird in einem eigenen Abschnitt erläutert. Dar‐ gestellt werden die Einflüsse der Strukturelemente und des Verhaltens auf die Zusammenarbeit sowie deren Wechselwirkungen. ■ Organisationen sind Druckweitergabe-Systeme, d. h. Druck wird von einem Sub‐ system auf ein anderes bzw. auf mehrere Subsysteme verlagert, was selten aus böser Absicht passiert. Daraus ergibt sich für Projektdiagnose eine klare Schluss‐ folgerung: Wer ein Projekt oder ein Projektteam diagnostizieren will, muss die Problem-, Konfliktverlagerungsprozesse verstehen. Schwerpunkte Kapitel 6 Methoden der Datensammlung Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den Methoden, Instrumenten und Techniken der Datensammlung. Die Schwerpunkte liegen beim Fragebogen und beim Einzelinterview mit ihren Grundlagen, Regeln und Tipps. Zu Beginn gehe ich auf die Planung der Datensammlung ein, ein Thema, was auf keinen Fall vernachlässigt werden darf. ■ Planung der Datensammlung ■ Dokumentenanalyse ■ Fragebogen ■ Einzelinterview und Gruppeninterview ■ Hearing ■ Diagnoseworkshop Schwerpunkte Kapitel 7 Datenaufbereitung - von der Analyse zum Bericht Wie kann die Datenmenge sinnvoll geordnet und analysiert werden, um die Stärken und Schwächen des Projektes zu verstehen? Erst durch eine fundierte Analyse und daraus resultierende Empfehlungen wird die Arbeit der Diagnostiker: innen fruchtbar. In diesem Kapitel werden die Schritte der Datenaufbereitung mit Praxistipps darge‐ stellt. 16 1 Ziele des Buches ■ Clustern ■ Diagnosebericht ausarbeiten ■ Beispiel eines Diagnoseberichtes Schwerpunkte Kapitel 8 Datenfeedback - Präsentation der Ergebnisse Die Ergebnisse der Projektdiagnose müssen gut vorbereitet dem richtigen Adressaten‐ kreis präsentiert werden. Der Erfolg der Diagnose darf nicht durch ein unprofessio‐ nelles Datenfeedback gefährdet werden. Erläutert werden die einzelnen Bausteine des Datenfeedbacks. ■ Formen des Datenfeedbacks ■ Vorbereitung der Präsentation ■ Durchführung der Präsentation Schwerpunkte Kapitel 9 Anforderungsprofil für Diagnostiker: innen In diesem Kapitel wird ein Anforderungsprofil für Projektdiagnostiker: innen vorge‐ stellt. Dabei geht es um drei Bereiche, die für die Qualifikation bedeutsam sind. ■ Persönlichkeitsmerkmale ■ Rollenbewusstsein ■ Know-how (Qualifikation im engeren Sinn) mit einem Qualifikationsprofil Kapitel 10 Tipps, damit Projektdiagnosen scheitern Zu guter Letzt finden Sie nicht ganz ernstgemeinte Tipps im Sinne von paradoxen Verschreibungen, wie Sie es schaffen, Projektdiagnosen zum Scheitern zu bringen. 1.3 Zielgruppe Das Buch wendet sich an Praktiker: innen in unterschiedlichen Rollen, die sich genauer mit dem Thema Projektdiagnose beschäftigen möchten. Darüber hinaus ist es auch für Lehrende und Studierende geschrieben. ■ Projektleitung, Teilprojektleitung und Projektmitarbeiter: innen ■ Auftraggeber: innen von Projekten ■ Mitglieder von Steering Committees und anderen Gremien ■ Führungskräfte ■ Projektportfolio Manager: innen ■ Projekt Controller: innen 17 1.3 Zielgruppe ■ Revisor: innen ■ Qualitätsmanager: innen ■ Interne und externe Berater: innen ■ Professor: innen ■ Studierende 18 1 Ziele des Buches 1 „Diagnose“, in: Wolfgang Pfeifer et al., Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitali‐ sierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https: / / www.dwds.de/ wb/ etymwb/ Diagnose>, abgerufen am 25.06.2021. 2 Was bedeutet Projektdiagnose? 2.1 Projektdiagnose In diesem Kapitel wird Projektdiagnose in Abgrenzung zum Projektreview und Projek‐ taudit vorgestellt und die wesentlichen Merkmale einer Projektdiagnose beschrieben. Das Wort Diagnose leitet sich vom altgriechischen diágnosis ab, bestehend aus diá (durch) und gnósis und bedeutet Unterscheidung, Erkenntnis, Urteil. 1 Aus dieser Erklärung lässt sich eine klare Folgerung ableiten: Die Projektdiagnosti‐ ker: innen müssen die gesammelten Informationen klar unterscheiden und verstehen können, um zu einem Urteil, einer Bewertung zu gelangen. Diagnose beinhaltet also drei Kernpunkte, die für alle Arten der Diagnosen gelten und somit auch für die Projektdiagnose: 1. Datensammlung Daten über den Zustand eines Projektes müssen ermittelt werden, wobei es sich stets um Hard Facts und Soft Facts handelt. Der Umfang der Datensammlung wird wesentlich durch das Ziel und die Systemgrenze der Diagnose bestimmt. Dieses Thema wird im Kapitel 3 „Auftragsklärung“ behandelt. 2. Datenanalyse Die ermittelten Daten müssen eingeordnet, gewichtet und analysiert werden. Dia‐ gnose kann als Informationsverarbeitungsprozess verstanden werden. Als Frage formuliert: Wie entstehen aus einer Vielzahl von Daten (Aussagen, Meinungen, Zahlen, Schriftstücke) relevante Informationen? Die Bedeutung einer gründlichen Datenanalyse sollte allen klar sein, die Projekte diagnostizieren oder beauftragen wollen. Eine fundierte Datenanalyse hängt nicht nur vom handwerklichen Können ab, sondern auch von der Bereitschaft, gründlich zu arbeiten, d. h. sich Zeit nehmen für die Analyse. Hier trennt sich in der Praxis oft die Spreu vom Weizen. (Siehe Kapitel 7 „Datenaufbereitung - von der Analyse zum Bericht“.) 3. Datenbewertung und Empfehlungen Auf den Punkt gebracht, eine Projektdiagnose ohne Bewertungen und Empfeh‐ lungen ist nicht denkbar, Diagnostiker: innen müssen sich durch ihre Bewertungen und Empfehlungen positionieren. Ihre Sichtweisen fließen zwangsläufig in die Bewertungen ein, deshalb kann eine Projektdiagnose nie objektiv sein, aber sie muss neutral sein. Auf dieses wichtige Thema gehe ich an verschiedenen Stellen des Buches weiter ein (siehe Abschnitt 2.2 und vor allem Abschnitt 4.2). Mit dem Datenfeedback, der Präsentation der Diagnoseergebnisse, endet die Diagnose. Für Entscheidungen über mögliche Maßnahmen ist das Management verantwortlich und nicht die Projektdiagnostiker: innen. Diese Rollenklärung muss im Rahmen der Auftragsklärung gründlich besprochen werden. 2.1.1 Daten sammeln Der Datensammlung muss eine sorgfältige Zielklärung vorausgehen. Alle Beteiligten sollten das gleiche Verständnis haben, was durch die Diagnose erreicht werden soll und was nicht. Soll die Diagnose ausschließlich oder überwiegend Informationen über die fachliche Situation des Projektes (Grad der Zielerreichung, Risiken im Projekt) oder die Einhaltung von Richtlinien des Projektmanagement-Handbuchs liefern oder sich auch mit der Zusammenarbeit im Projektteam, dem Informationsfluss im Projekt oder den Entscheidungsprozessen im Steering Committee beschäftigen? Wenn es „nur“ um die Untersuchung der fachlichen Probleme oder um die Einhaltung des Projektmanagement-Prozesses geht, so sollte man von Audit oder Review sprechen, und nicht von Projektdiagnose. Zur Datensammlung gehören immer zwei Fragestellungen: 1. Welche Daten werden benötigt, um ein möglichst klares Bild über den Zustand des Projektes zu erhalten? 2. Mit welchen Methoden werden die Daten am besten ermittelt? 2.1.1.1 Welche Informationen werden benötigt, um ein möglichst klares Bild über die Situation des Projektes zu erhalten? Generell werden in der Projektdiagnose Hard- und Softfacts ermittelt. Viele Daten können schwarz auf weiß auf Faktenbasis gesammelt werden, wie der Grad der Ziel‐ erreichung, Termine/ Meilensteine, Budget oder die Verfügbarkeit der Projektmitarbei‐ ter, um nur einige zu nennen. Nach Hardfacts zu fragen ist in der Regel für die Dia‐ gnostiker: innen psychologisch unproblematisch, weil es sich um sachliche Themen handelt. Das bedeutet nicht, dass diese Informationen immer zur Verfügung stehen oder man valide Antworten erhält. Doch diese Problematik steht auf einem anderen Blatt. Die Herausforderungen liegen darin, inwieweit die Interviewer: innen fachlich in der Lage sind, (1) die richtigen Fragen zu stellen, (2) die Antworten zu verstehen und (3) diese zu bewerten. Die Ermittlung der fachlichen Situation gehört nicht zur Pro‐ jektdiagnose, sondern in den Aufgabenbereich von Reviews, Audits oder Risk Assess‐ ments. Doch die Situation kann sich schnell ändern, wenn die Diagnostiker: innen sich mit der Zusammenarbeit im Steering Committee, mit den Ursachen schleppender Entscheidungen in einer Sparte, Interessenkonflikte zwischen Organisationseinheiten 20 2 Was bedeutet Projektdiagnose? oder mit dem fachlichen Urteilsvermögen des Sponsors beschäftigt. Möglicherweise sticht man in Wespennester und aktive oder passive Abwehrreaktionen treten auf. Be‐ strebungen, die Diagnose negativ zu beeinflussen sind nicht ungewöhnlich, wenn die Diagnostiker: innen auch hinter die Kulissen des Projektes schauen, um den Problemen auf den Grund zu gehen. Eine fundierte Projektdiagnose erfordert, dass man nicht an Symptomen wie unklare Priorität, Terminverzögerungen oder schlechter Informa‐ tionsfluss hängenbleibt, sondern auch die tieferen Ursachen von Fehlentwicklungen ermittelt und analysiert werden. Mit der Auflistung der Probleme oder Konflikte ist es sicher nicht getan, sondern Diagnostiker: innen müssen auch aufzeigen, wie und warum bekannte, in manchen Fällen schon längst bekannte Probleme nicht gelöst werden (siehe Kapitel 5.2.3.4). Bei der Projektdiagnose geht es immer um die Logik und die Psycho-Logik der Probleme. Mit anderen Worten, auch der Umgang mit Problemen ist Bestandteil der Diagnose. Datensammlung - einige Kernpunkte ■ Klare Ziele für die Diagnose sind eine unabdingbare Voraussetzung für die Datensammlung. ■ Die Einflüsse von Hard- und Softfacts müssen ermitteln werden. ■ Diagnostiker: innen müssen sich sowohl mit der Logik als auch mit der Psy‐ cho-Logik von Problemen im Projekt beschäftigen. Projektdiagnose zeichnet sich dadurch aus, dass man nicht an den Symptomen hängenbleibt, sondern durch gekonntes Fragen zu den tieferen Ursachen vordringt. Mit dem Abhaken eines Fragenkatalogs ist es sicher nicht getan. ■ Diagnose ist eine Intervention in ein bestehendes Kraftfeld in der Organisa‐ tion, sie ist auch eine psychologische und politische Angelegenheit. 2.1.1.2 Mit welchen Methoden werden die Daten am besten ermittelt? Zu wissen, welche Fragen zu stellen sind, ist eine Sache, eine andere, wie man fragt, mit welchen Methoden die Daten am besten gewonnen werden können. Mit am besten ist zweierlei gemeint: 1. Die richtigen Fragen stellen Diagnostiker: innen sollten wissen, welche Diagnosefelder für die Untersuchung des Projektes berücksichtigt werden müssen und welche Fragen zu stellen sind. Kapitel 5 beschäftigt sich ausführlich mit diesem Thema. 2. Zu wissen, welche Fragen zu stellen sind, ist eine notwendige, doch keine hinrei‐ chende Bedingung. Für eine erfolgreiche Datensammlung kommt es wesentlich darauf an, die Fragen richtig zu stellen, die Daten mit den geeigneten Methoden zu sammeln. Sollen die Meinungen der Projektbeteiligten mit Hilfe eines Frage‐ 21 2.1 Projektdiagnose bogens ermittelt werden? Sind nur Einzelinterviews oder auch Gruppeninterviews sinnvoll? Lohnt sich ein Diagnose-Workshop mit dem Kernteam oder dem Steering Committee? Für die Datensammlung können verschiedene Methoden genutzt werden. Es gibt nicht den einzig richtigen Weg für die Datensammlung, sondern der effektive und effiziente Einsatz der Methoden muss von Fall zu Fall genau überlegt werden. Dennoch gilt, Interviews sind für die Datensammlung unver‐ zichtbar und nicht durch Fragenbögen ersetzbar. 2.1.2 Datenanalyse Nach der Datensammlung muss die Datenflut bewältigt werden. Eine Menge Arbeit, denn die Aussagen aus den einzelnen Interviews müssen gesichtet, sinnvoll eingeord‐ net und gründlich analysiert werden, nur so lassen sich die Ergebnisse bewerten und Empfehlungen ausarbeiten. Es stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien die Daten geordnet werden können, um die Stärken und Schwächen des Projektes im Systemzusammenhang zu verstehen. Diagnostiker: innen müssen aus den vielen, unter‐ schiedlichen Einzelteilen der Datensammlung ein Gesamtbild entwickeln. Strukturelle und personelle, fachliche und politische Ursachen müssen verstanden und Zusam‐ menhänge hergestellt werden, um die Stärken und Schwächen des Projektes richtig einzuordnen. Damit sind hohe Anforderungen an Diagnostiker: innen verbunden. 1. Projektmanagement-Know-how allein reicht definitiv nicht aus, sondern theore‐ tisches Verständnis über Organisationen, Teams, Prozesse und die psycho-soziale Dynamik in Systemen sind unverzichtbar. Ein tieferes Verständnis über Strukturen und Verhalten in sozialen Systemen im Allgemeinen und in Projekten im Beson‐ deren gehört zum Repertoire der Diagnostiker: innen. Die Abwertung von Theorie im falsch verstandenen Sinne als praxisferne Gedankenspiele ist unangebracht, denn um ein qualifiziertes Gesamtbild zu entwickeln, benötigen die Diagnosti‐ ker: innen Ordnung in ihren Gedanken und Handlungen. 2. Datenanalyse erfordert Gründlichkeit und Ernsthaftigkeit, um die teilweise sehr verschiedenen Aussagen aus den Befragungen zu verstehen und thematisch einzuordnen. Mit fehlender Sorgfalt wird man der verantwortungsvollen Aufgabe nicht gerecht. 2.1.3 Datenbewertung und Empfehlungen Bewertungen und Empfehlungen sind ein unverzichtbarer Bestandteil jeder Diagnose, das gilt selbstverständlich auch für Projektdiagnosen. Stellen Sie sich vor, eine Haut‐ ärztin würde einen Patienten verabschieden mit der Aussage: „Sie haben auffällige Muttermale, schön, dass Sie da waren“, eine wahrlich schauderhafte Vorstellung. 22 2 Was bedeutet Projektdiagnose? Die gewonnen Informationen erhalten erst dadurch ihre Aussagekraft, wenn Maß‐ stäbe bestehen, von denen aus entschieden werden kann, was gut oder schlecht, richtig oder falsch ist, beibehalten oder geändert werden muss, ökonomisch ver‐ tretbar oder nicht vertretbar ist. Diagnostiker: innen benötigen Kriterien für ihre Bewertung. Im Gegensatz zu wissenschaftlich fundierten Diagnosen handelt es sich jedoch nicht um objektive Kriterien. Nehmen wir zwei Beispiele aus der Praxis von Projektdiagnosen: 1. In einem Software-Beratungsunternehmen äußerten sich mehrere Projektmitar‐ beiter und die Projektleitung sehr kritisch über die Qualität der von ihnen entwickelten Software. Sie kritisierten die Entscheidung der Geschäftsleitung, einige vehement, dass die Software mit diesen Qualitätsmängeln zu früh an den Kunden ausgeliefert werden soll. Im Diagnosebericht wurde auf Basis des Kriteriums „hohe Qualität ist positiv“ empfohlen, die Mängel zu beseitigen und erst dann die Software dem Kunden zu übergeben. Die Empfehlung wurde von der Geschäftsführung mit dem Argument abgelehnt, solche Probleme wären in der Softwareentwicklung normal und neue Projekte bei wichtigeren Kunden könnten nicht warten. Die Entwickler: innen würden zu einseitig technisch und zu wenig betriebswirtschaftlich denken. 2. Die Befragung von Mitarbeitern eines Projektteams ergab ein klares Bild: Pro‐ jektmitarbeiter: innen arbeiten gleichzeitig über einen längeren Zeitraum in mehreren Projekten, häufig zehn bis zwölf Stunden pro Tag, um die Termine einzuhalten. Die Erschöpfung und die Unzufriedenheit sind hoch. Die Empfehlung der Diagnostikerin lautete: Eine klare Priorisierung ist dringend erforderlich, um die Arbeitszeiten der Projektmitarbeiter: innen auf ein vertretbares Maß von acht bis neun Stunden/ Tag zu reduzieren. Sie nutzte die Bewertungskriterien „Zumutbarkeit für die Mitarbeiter: in‐ nen“ und „Risiken für das Unternehmen“, denn durch die hohe Belastung besteht die Gefahr, dass Mitarbeiter: innen kündigen und die Prioritätenprobleme sich negativ auf die Familien der Mitarbeiter: innen auswirken. 2.2 Wissenschaftlich fundierte psychologische Diagnosen und Projektdiagnosen - ein kurzer Vergleich Mit der Gegenüberstellung von wissenschaftlich fundierten psychologischen Diagno‐ sen und Projektdiagnosen möchte ich Kriterien für Projektdiagnosen darstellen. Verglichen mit den Qualitätskriterien für wissenschaftlich fundierte psychologische Diagnosen sind die Kriterien für eine Projektdiagnose notwendigerweise deutlich weniger streng. Eine Gegenüberstellung der Gütekriterien von dieser wissenschaftlich fundierten Diagnostik und der Projektdiagnose erscheint mir dennoch interessant, 23 2.2 Wissenschaftlich fundierte psychologische Diagnosen und Projektdiagnosen - ein kurzer Vergleich 2 Siehe: H. Moosbrugger, A. Kelava, Testtheorie und Fragebogenkonstruktion, Springer-Verlag Ber‐ lin-Heidelberg, 2012 um die Gütekriterien für die Bewertung von Projektdiagnosen besser einordnen zu können. 2 Vergleich wissenschaftlich fundierte psychologische Diagnose und Projektdiagnose Wissenschaftlich fundierte psychologi‐ sche Diagnose Projektdiagnose Objektivität Die Ergebnisse müssen unabhängig von Ein‐ flüssen der Diagnostiker: in oder der Untersu‐ chungssituation zustande kommen. Das gilt für die Durchführung, Auswertung und Inter‐ pretation der Diagnose. Neutralität In der Überschrift dieser Spalte steht Neutra‐ lität und das aus gutem Grund. Von Objek‐ tivität, obwohl dies von manchen Personen behauptet wird, darf nicht gesprochen wer‐ den, denn die Diagnostiker: innen beeinflus‐ sen durch die Auswahl ihrer Fragen, durch die Art und Weise des Fragens und durch die Aufbereitung der Daten zwangsläufig das Ergebnis. Die Projektdiagnostiker: innen bie‐ ten im Bericht ihre Sichtweise an, basierend auf fundierten Fragen, Erfahrungen und einer möglichst neutralen Haltung gegenüber allen Beteiligten. Neutralität sollte eine mentale und emotionale Voraussetzung der Projektdi‐ agnostiker: innen sein. Zuverlässigkeit (Reliabilität) Die Merkmale müssen zuverlässig gemessen werden, Messfehler sind zu vermeiden. Zuverlässigkeit (Reliabilität) Dieses Merkmal trifft bei der Auswertung von Fragebögen bedingt zu, d. h. die Bögen müssen zuverlässig ausgewertet werden. Das setzt eine klare Formulierung der Fragen und eine geeignete Skalierung zur Beantwortung voraus. Bei Interviews lässt sich das Krite‐ rium Zuverlässigkeit nicht anwenden, weil die Messbarkeit nicht gegeben ist. Validität Eine diagnostische „Messung ist valide, wenn sie tatsächlich das misst, was sie messen soll, und somit glaubwürdige Resultate liefert. Soll die Zufriedenheit im Team gemessen werden, muss im Vorfeld klar definiert werden, was mit Zufriedenheit im Team gemeint ist. An‐ dernfalls ist der Interpretationsspielraum zu groß und das Ergebnis nicht valide. Validität Im Rahmen der Projektdiagnose spielt Validi‐ tät bei der Formulierung des Fragebogens eine bedeutsame Rolle. Die Fragen müssen so klar formuliert sein, dass sie idealerweise von allen Befragten gleich verstanden werden. Werden Interviews durchgeführt, so müssen bestimmte Fragen in allen Interviews gestellt werden, um eine vergleichbare Einschätzung der Meinungen zu erhalten. Akzeptanz Das Ausmaß, in dem persönliche Meinun‐ gen, Bewertungen oder gesellschaftspoliti‐ sche Überzeugungen gegen einen Test ange‐ führt werden. Akzeptanz Akzeptanz ist für die Projektdiagnose ein wichtiger Faktor. Das trifft für die Auswahl der Fragen in Interviews bzw. im Fragebogen zu. Darüber hinaus kann auch der Nutzen der Diagnose an sich angezweifelt werden. 24 2 Was bedeutet Projektdiagnose? Fairness Werden Personengruppen z.B. nach Alter, Ge‐ schlecht, Religion, Kulturkreis u. a. gleichbe‐ handelt oder gibt es offene oder verdeckte Diskriminierungen? Haben alle Personen die gleichen Chancen in einem psychologischen Test? Fairness Fairness in der Vorgehensweise ist bei Pro‐ jektdiagnosen ein wichtiges Thema. Wenn Projektmitarbeiter: innen und der Projektlei‐ tung kritische Fragen gestellt werden aber auf höheren Hierarchieeben sehr vorsichtig, behutsam Fragen gestellt werden, kann von Fairness keine Rede sein. Die Fragen und die Art und Weise des Fragens sollten unab‐ hängig von der hierarchischen Position der Gesprächspartner: innen sein. Testökonomie Steht der Aufwand im sinnvollen Verhältnis zum Nutzen des Verfahrens? Werden die Informationen, die durch das Ver‐ fahren gewonnen werden, für die diagnosti‐ sche Entscheidung wirklich benötigt? Ökonomie der Projektdiagnose Statt Testökonomie muss es Ökonomie der Projektdiagnose heißen. Der Aufwand der Projektdiagnose muss gerechtfertigt sein. Da‐ mit sind einige Fragen verbunden: - Lohnt sich die Diagnose zu diesem Zeitpunkt überhaupt? - Wird bei der Auswahl der Methode auch auf den zeitlichen und finanziellen Aufwand geachtet? - Kann die Anzahl der Interviewten einge‐ schränkt werden, ohne das Ergebnis signifi‐ kant zu gefährden? Transparenz Ist das Verfahren für die Beteiligten verständ‐ lich? Können sich alle Beteiligten vorher ge‐ nügend mit dem Verfahren vertraut machen? Gibt es anschließend ein angemessenes Feed‐ back? Transparenz Alle Beteiligten müssen über die Ziele und die Vorgehensweise informiert werden, ebenso darüber, was mit den Daten geschieht und in welcher Form die Befragten über die Ergeb‐ nisse der Diagnose informiert werden. Die Beteiligten haben einen moralischen An‐ spruch auf Feedback. Unverfälschbarkeit Ist das Verfahren so konstruiert, dass der Kandidat, die Kandidatin die Ergebnisse mög‐ lichst nicht gezielt steuern oder verfälschen können? Unverfälschbarkeit Dieses Kriterium lässt sich auf die Projektdiag‐ nose nicht anwenden, weil Interviewte falsche, unvollständige Aussagen machen können. Außerdem können bei der Auswahl der Be‐ fragten bestimmte Personen, die möglicher‐ weise eine kritische Meinung haben, ausge‐ grenzt werden. Zumutbarkeit Belastet das Verfahren die Kandidat: innen in zeitlicher, psychischer Hinsicht nicht über Gebühr? Zumutbarkeit Die zeitliche Belastung sollte bei der Planung der Befragungen nicht unterschätzt werden. Das gilt vor allem für Workshops, wenn diese über zwei Tage mit Übernachtung geplant werden. 25 2.2 Wissenschaftlich fundierte psychologische Diagnosen und Projektdiagnosen - ein kurzer Vergleich 3 Siehe: E. Motzel, T. Möller, Projektmanagement Lexikon, Wiley-VCH, 2017 Normierung Die Normierung eines Tests liefert das Be‐ zugssystem, um die individuellen Testergeb‐ nisse im Vergleich zu denen einer Referenz‐ population einordnen zu können. Normen müssen hinreichend aktuell und repräsentativ für die Referenzpopulation sein. Normierung Bei einer Projektdiagnose lassen sich nur be‐ dingt Vergleiche zu anderen Projekten ziehen. Dennoch bestehen Vergleichsmöglichkeiten: Man könnte bei der Bewertung der Ergebnisse darauf hinweisen, dass die beinahe regelmä‐ ßige Arbeitszeit einiger Projektmitarbeiter von 12 Stunden/ Tag im Vergleich zu ähnli‐ chen Projekten in anderen Unternehmen viel zu hoch ist. Man kann die Entwicklungszeit eines Neu‐ produktes mit der Entwicklungszeit von Mit‐ bewerbern vergleichen. Wo immer die Möglichkeit zum Vergleich be‐ steht, sollte diese genutzt werden. Allerdings muss vorab genau geprüft werden, welche Aussagekraft der Vergleich wirklich hat. 2.3 Projektreview, Audit, PM-Assessment - Begriffsklärung Im Gegensatz zum Begriff Projektdiagnose, der bisher in der Projektmanagement-Li‐ teratur bisher nirgendwo aufgetaucht ist, sind Review, Audit und Assessment im Projektmanagement geläufige Begriffe, wobei die Trennschärfe zwischen Audit und Review nicht gegeben ist. Eine kurze Beschreibung der drei Begriffe dient hier einzig und allein dem Zweck, Projektdiagnose von Audit, Review und Assessment inhaltlich abzugrenzen, um Missverständnisse zu vermeiden. Auf die inhaltlichen und methodischen Unterschiede zwischen Audit, Review und Assessment gehe ich nicht ein, weil mir das für das Thema Projektdiagnose nicht erforderlich erscheint. 2.3.1 Projektreview und Projektaudit Der Begriff Projektreview ist in der Projektmanagement-Literatur nicht eindeutig definiert. Teilweise wird auf Projektaudit oder Assessment verwiesen 3 . Auch in der Praxis werden, abhängig vom Unternehmen, Reviews als Audits und Audits als Reviews bezeichnet. Im Projektmanagement finden Reviews zu bestimmten Meilensteinen, am Ende einer Phase oder im agilen Projektmanagement eines Sprints statt, „um das zu diesem Zeitpunkt erreichte Projektergebnis möglichst objektiv zu betrachten. Der Fokus liegt normalerweise auf dem Grad der Zielerreichung, möglichen Risiken, dem Projektbud‐ get und der Personalsituation des Projektes. „Je nach Größe und Wichtigkeit eines Projekts erfolgen Reviews entweder als moderierte und dokumentierte Sitzungen mit 26 2 Was bedeutet Projektdiagnose? 4 K.-W. Freiherr von Rotenhan, C. Zahrnt, Qualität, in Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM4), Band 2, Hrsg. GPM, S. 1271 5 E. Motzel, T. Möller, Projektmanagement Lexikon, Wiley-VCH, 2017, S. 36 projektnahen Fachleuten oder in Form einer anonymisierten Stellungnahme durch projektferne Fachleute“. 4 Der Begriff Audit stellt einen stärkeren Bezug zum Managementsystem des Un‐ ternehmens her. Laut PM LEXIKON bedeutet Audit: „Systematische, unabhängige und dokumentierte Untersuchung von z.B. Organisationen, Produkten, Prozessen, Systemen, Programmen oder Projekten mit dem Ziel, Nachweise (Informationen, Daten, Fakten, Aufzeichnungen) zu erhalten, aufgrund derer objektiv begutachtet werden kann, inwieweit festgelegte Anforderungen erfüllt sind und/ oder festgelegte Ziele erreicht werden“. 5 Diese Definition zeigt, dass der Schwerpunkt des Projektmanagement-Audits eher auf den formalen Aspekten des Projektmanagements liegt. Auditor: innen beschäf‐ tigen sich überwiegend mit den Strukturen, den Prozessen und internen Regeln des Projektmanagements. Das muss nicht unbedingt so sein, stimmt aber in Regel mit der betrieblichen Praxis überein. Audits können einen wichtigen Beitrag zur Optimierung des Projektmanagements im Unternehmen leisten. Im Review wird mehr die fachliche Situation des Projekts analysiert, man kann von einer technischen, produktbezogenen Analyse sprechen. Dennoch werden auch in Reviews Soft Facts in die Untersuchung einbezogen, was nicht zuletzt von den Zielen der Durchführenden abhängig ist. Der entscheidende Unterschied zur Projektdiagnose, so wie sie in diesem Buch beschrieben wird, besteht darin, dass Audits oder Reviews sich üblicherweise nicht mit den Kernursachen beschäftigen, die hinter den Symptomen liegen. In aller Re‐ gel werden vertiefende Fragen zur Zusammenarbeit, zu Entscheidungsprozessen, zu Macht und Politik nicht gestellt. Und das macht genau den Unterschied zwischen Reviews bzw. Audits und Projektdiagnosen aus, denn in der Diagnose werden In‐ teressenkonflikte, Machtprozesse, paradoxe Entscheidungen, Wiederholungsmus‐ ter, By-Pass-Lösungen oder verlagerte Probleme ermittelt und analysiert. Diagnos‐ tiker: innen beschäftigen sich also mit der Logik und der Psycho-Logik der erkannten Probleme. 2.3.1.1 Review im agilen Projektmanagement Im Gegensatz zum klassischen Projektmanagement ist der Terminus Review im agilen Projektmanagement (Scrum) klar definiert: Im sogenannten Sprint Review prüft das Scrum Team am Ende eines Sprints - ggf. mit weiteren, vom Product Owner eingeladenen Personen -die erreichten Ergebnisse und bespricht die Grundlagen für 27 2.3 Projektreview, Audit, PM-Assessment - Begriffsklärung 6 Siehe www.gpm-ipma.de/ know_how/ pm_assessments.html den nächsten Sprint. Reviews sind ein fester Baustein der agilen Projektarbeit. Neben Reviews kennt das agile Projektmanagement noch die Retrospektive, in der über die Zusammenarbeit im agilen Team (Scrum Team) gesprochen wird, um kontinuierliche Verbesserungen für die gemeinsame Projektarbeit zu erreichen. Typische Themen sind Kommunikation, Information, gegenseitige Unterstützung im positiven wie im negativen Sinne. Die Retrospektive ist eine Lessons Learned-Maßnahme. 2.3.2 Projektmanagement-Assessment Der Vollständigkeit halber sei noch das PM-Assessment erwähnt. Auf der Webseite der GPM (Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.) findet man zum Thema PM-Assessment: „Ein Projektmanagement-Assessment kann für die Analyse, Beurtei‐ lung und Bewertung des Entwicklungsstandes, der Güte, der Reife bzw. der Kompetenz von Organisationen und Personen im Projektmanagement nach bestimmten Kriterien und Bewertungsmaßstäben herangezogen werden“ 6 , um möglichen Handlungsbedarf für die Weiterentwicklung des Projektmanagement-Systems im Sinne eines kontinu‐ ierlichen Verbesserungsprozesses zu ermitteln. Im PM-Assessment wird also der Reifegrad des Projektmanagement-Systems analysiert, definitiv eine andere Aufgabe als eine Projektdiagnose. 2.4 Anlässe für Projektdiagnosen und Reviews 2.4.1 Anlässe für Reviews Um die Anlässe für eine Projektdiagnose besser einordnen zu können, erscheint mir ein kurzer Ausflug zu den Anlässen von Projektreviews hilfreich. Projektreviews werden aus verschiedenen Anlässen durchgeführt, wobei es regelmäßig stattfindende und außerplanmäßige Reviews gibt. Im klassischen Projektmanagement, oft wird der Begriff Wasserfall-Modell be‐ nutzt, werden Reviews in Unternehmen häufig zu fest vereinbarten Terminen geplant, die man auch als Meilenstein-Reviews bezeichnet. Teilweise werden diese Bestandsaufnahmen auch Audit genannt. Neben diesen regelmäßigen Reviews als fester Prozessschritt in einem Projektmanagement-System im Unternehmen, können Reviews auch zu besonderen Anlässen durchgeführt werden, wenn es die kritische Situation des Projektes erfordert. In solchen Reviews wird der Stand des Projektes, der Grad der Zielerreichung, technische Probleme, das Budget, die Verfügbarkeit von Projektmitarbeitern, unklare Zuständigkeiten im Projekt bzw. in der Organisation, Risiken oder die Auswirkungen von moving targets auf das Projekt untersucht. Daneben kann auch der Informationsfluss, der Umgang mit Prioritätenkonflikten 28 2 Was bedeutet Projektdiagnose? oder die Zusammenarbeit im Team ermittelt werden, der Einfluss von Soft Facts ist also nicht ausgeschlossen. Normalerweise liegt der Schwerpunkt in Reviews auf den Hard Facts, der Fokus auf inhaltlichen Themen. Selbstverständlich werden auch in der Projektdiagnose all die oben genannten Diagnosefelder ermittelt, analysiert und bewertet, der entscheidende Unterschied liegt wie bereits beschrieben im Umfang und in der Tiefe der Analyse. Je stärker im Review Fragen und Methoden der Projektdiagnose integriert werden, desto mehr werden die Grenzen zwischen Review und Diagnose verschwimmen. Reviewer: innen sind gut beraten, sich das Repertoire der Projektdiagnose anzueignen. 2.4.2 Anlässe für Projektdiagnose Es gibt verschiedene Anlässe für Projektdiagnosen, die zu unterschiedlichen Zeitpunk‐ ten durchgeführt werden können. 1. Am häufigsten werden Diagnosen durchgeführt, wenn Fehlentwicklungen, nicht selten verbunden mit Orientierungslosigkeit, Schuldzuweisungen oder Konflikten auftreten und anzunehmen ist, dass die Gründe nicht rein technischer, fachlicher Natur sind, sondern durch schlechtes Projektmanagement, unklare Rollen oder mangelnde Zusammenarbeit im Projekt verursacht werden. Teilweise sind die Probleme seit längerer Zeit bekannt, doch die bisherigen Lösungsversuche blieben erfolglos oder es wurde nur halbherzig etwas unternommen. 2. Eine Projektdiagnose wird für besonders wichtige oder kritische Projekte geplant. Dabei kann es sich um Projekte von großer strategischer Bedeutung, wichtige Kundenprojekte oder um ein Nachfolgeprojekt eines gescheiterten Projektes handeln. 3. Probleme in der Projektarbeit bahnen sich am Horizont an und Fehlentwicklungen sollen verhindern werden. Häufiger basiert die Entscheidung auf Gesprächen zwischen der Projektleitung und dem Projektsponsor, wobei die Initiative für die Diagnose nach meiner Erfahrung häufiger von der Projektleitung oder vom Projektteam ausgeht, vor allem dann, wenn der Leidensdruck dort besonders groß ist. 4. Sehr selten wird eine Diagnose initiiert, um ganz gezielt die besonderen Merkmale eines erfolgreich laufenden Projektes zu ermitteln. Der Auftraggeber oder die Auftraggeberin wollen die Stärken dieser Projektarbeit im Unternehmen vermit‐ teln, um Akzeptanz für das Projekt oder für das Projektmanagement-System im Allgemeinen zu steigern. 5. Durch eine systematische Analyse zum Projektabschluss (Lessons Learned) sollen Erkenntnisse aus dem Projektverlauf für zukünftige Projekte gewonnen werden. Dafür werden unterschiedliche Begriffe in der Praxis verwendet: Lessons Learned, Post Projekt Review, selten Post Mortem Analyse. Bezüglich Projektdiagnose erscheint mir der Begriff Lessons Learned am besten geeignet, denn Bruchstellen 29 2.4 Anlässe für Projektdiagnosen und Reviews können Fundstellen sein. Viele Fragen der Projektdiagnose können auch für Lessons Learned Aktionen genutzt werden. 6. Eine besondere Form der Projektanalyse stellt das Projekt Preview als proaktive Maßnahme dar. Hier kann nicht von Projektdiagnose gesprochen werden, doch eine Reihe von Diagnosefragen können schon zu diesem Zeitpunkt gestellt wer‐ den. Bereits in einer frühen Phase des Projekts soll analysiert werden, ob das Pro‐ jekt auf einer soliden inhaltlichen und organisatorischen Basis steht, wobei sich organisatorisch auf das Projektmanagement mit Strukturen und Verhalten bezieht. Für die inhaltliche Analyse oder eine präventive Risikoanalyse ist Fachwissen zwingend erforderlich. Hier dürften die Diagnostiker: innen in aller Regel über‐ fordert sein. Erstaunlicherweise wird der Nutzen eines fundierten Projekt Pre‐ views zu wenig gesehen oder unterschätzt. Ich bin davon überzeugt, dass manche Projektdiagnose überflüssig wäre, wenn man mehr in die Prävention investieren würde. 1 Diagnose wegen Fehlentwicklungen Meilensteinreview (geplant) Idee Preview Projektauftrag Projektverlauf Abb. 1: Anlässe für Diagnosen und Reviews 2.4.3 Wann sollte eine Diagnose nicht durchgeführt bzw. vorzeitig beendet werden? Eine Projektdiagnose sollte nicht durchgeführt bzw. vorzeitig beendet werden, wenn folgende Situationen auftreten: 30 2 Was bedeutet Projektdiagnose? ■ Zeitmangel Notwendige Interviews können nicht durchgeführt werden, weil die Beteiligten zu wenig Zeit haben oder sich die Zeit einfach nicht nehmen. Das ist nicht immer einfach zu unterscheiden. Die Diagnostiker: innen müssen dieses Thema mit dem Auftraggeber bzw. der Auftraggeberin der Diagnose besprechen, denn sie haben die Verantwortung, die Situation zu ändern. ■ Es gibt keinen Auftraggeber Auch nach intensivem Bemühen lässt sich nicht klären, wer eigentlich Auftragge‐ ber der Projektdiagnose ist. Wie bei Projekten, so gilt auch hier: Keine Diagnose ohne eine klare Auftraggeber: in. Wenn der Auftraggeber des Projektes eine neue Aufgabe übernommen hat, muss geprüft werden, ob die nachfolgende Person weiterhin an der Diagnose interessiert ist. Besteht kein Interesse, so ist ein Abbruch empfehlenswert. ■ Mangelndes Interesse, fehlender Leidensdruck Die Aussage, es gibt keine Diagnose, ohne die Absicht die erkannten Schwach‐ stellen zu beseitigen, erscheint mir so generell formuliert, nicht haltbar, denn sie entspricht nicht immer der Realität. Diagnostiker: innen sollten nicht davon aus‐ gehen, dass die Beauftragung einer Diagnose automatisch mit dem notwendigen Interesse an den Ergebnissen bzw. den sich daraus ergebenden Maßnahmen ver‐ bunden ist. Leidensdruck bei den Entscheider: innen ist insofern positiv, weil damit die Wahrscheinlichkeit, Veränderungsmaßnahmen durchzuführen, steigt. Auch darf man nicht davon ausgehen, dass der Leidensdruck konstant bleibt; mag sein, dass er in der Anfangsphase der Diagnose hoch war, doch im weiteren Verlauf deutlich gesunken ist. Sprechen Sie solche Veränderungen an. Klären Sie, ob ge‐ nügend Bereitschaft vorhanden ist, sich mit den Ergebnissen der Diagnose ernst‐ haft auseinanderzusetzen. ■ Das Projekt ist sehr weit fortgeschritten Eine Projektdiagnose ist nicht ratsam, wenn sich ein Projekt trotz großer Probleme und Konflikte in der Endphase befindet und die Beteiligten sich entschieden haben, die Angelegenheit endlich zum Abschluss zu bringen. Durch eine Diagnose können mühsam gelöste Probleme oder unterdrückte Konflikte wieder auftauchen und erreichte Kompromisse zwischen Organisationseinheiten und Personen wie‐ der zerbröckeln. In solchen Fällen sollte man sich bis zum Projektende gedulden um anschließend eine fundierte Lessons Learned-Maßnahme durchzuführen. ■ Frühzeitiger Erkenntnisfortschritt Wenn sich nach einer Reihe von Interviews zeigt, dass immer wieder ähnliche oder gleiche Antworten auf die verschiedenen Fragen gegeben werden, sollte überlegt werden, ob der weitere zeitliche und finanzielle Aufwand gerechtfertigt ist. Es ist nicht vertretbar an einem einmal geplanten Vorgehen festzuhalten, wenn eine weitere Datensammlung für die Diagnose keinen Zusatznutzen bringt. 31 2.4 Anlässe für Projektdiagnosen und Reviews 2.5 Der Diagnoseprozess von der Auftragsklärung bis zur Präsentation der Diagnoseergebnisse - Überblick Eine Projektdiagnose kann in sechs aufeinander aufbauende Phasen unterteilt werden. Beginnend mit der Initiierungsphase und der Auftragsklärung geht es über die Daten‐ sammlung und -aufbereitung bis zur Präsentation der Ergebnisse. Hier endet die Pro‐ jektdiagnose, weil die Entscheidung über die Folgemaßnahmen und deren Realisierung nicht Bestandteil der Projektdiagnose sind. Mit anderen Worten, die Verantwortung der Diagnostikerin endet mit der Präsentation der Ergebnisse und sie geht dann auf den Auftraggeber bzw. die Auftraggeberin über. Dieser Wechsel in der Verantwortung muss im Rahmen der Auftragsklärung unbedingt besprochen werden. Phasen der Projektdiagnose - ein Überblick Phase Ziel Initiierungsphase Die Entstehungsgeschichte mit dem Kontext verstehen. Auftragsklärung Alle relevanten Punkte für die Diagnose klä‐ ren. Datensammlung Die richtigen Fragen stellen und die Fragen gekonnt stellen. Datenanalyse und Bewertung Die Ergebnisse der Befragung zu einem sinn‐ vollen Gesamtbild zusammenfügen und be‐ werten. Bericht ausarbeiten Die Ergebnisse mit konkreten Empfehlungen klar, nachvollziehbar und verdaubar formulie‐ ren. Datenfeedback Die Ergebnisse klar vermitteln. Mit dem Datenfeedback endet die Diagnose. 32 2 Was bedeutet Projektdiagnose? 3 Auftragsklärung 3.1 Initiierung - Vorgeschichte der Diagnose verstehen Die Arbeit der Diagnostiker: innen beginnt normalerweise vor dem offiziellen Start der Diagnose. Schon im Vorfeld können wichtige Informationen über die Hintergründe der Diagnose, die Erwartungen und Interessen der Beteiligten gesammelt werden. Versu‐ chen Sie sich ein möglichst genaues Bild über den Entstehungsprozess zu machen. Warum soll eine Diagnose durchgeführt werden, wer verspricht sich was davon? Wer ist am Diskussionsprozess beteiligt? Kontextklärung spielt eine große Rolle, dazu ge‐ hört auch zu erfahren, warum das Management gerade Sie als mögliche Diagnostiker: in ausgewählt hat. Ist es Ihr guter Ruf ? Schätzt man Sie, weil Sie die Probleme gründlich erfassen und deutlich kommunizieren? Traut man es Ihnen vor allem deshalb zu, weil Sie ein Projektmanagement Zertifikat erworben haben? Sind sie empfohlen worden, wenn ja, von wem? Nutzen Sie, falls möglich, Gespräche mit der Projektleitung, den Projektmitarbeiter: innen, dem Sponsor bzw. der Sponsorin des Projektes und mit Li‐ nienmanager: innen, um sich einen ersten Eindruck über die Situation des Projektes und die Erwartungen an die Diagnose zu verschaffen. Der Kontakt mit dem Linien‐ management darf nicht unterschätzt werden, denn sie können in unterschiedlicher Weise in das Projekt involviert sein, sei es als Ressourcenmanager: in, als interne Lie‐ ferant: innen für das Projekt oder weil ihre Organisationseinheiten vom Projektverlauf oder den Projektergebnissen betroffen sind. Das gilt vor allem bei Restrukturierungs- oder Prozessoptimierungsprojekten. Wie auch immer, Führungskräfte können die Dia‐ gnose fördern, aber auch blockieren. Es gibt unterschiedliche Anlässe und Initiator: innen für Projektdiagnosen. Je besser Sie den Anlass und die Akteure kennen, desto besser kann die Auftragsklärung gelingen. Nach meiner Erfahrung gibt es drei typische Gründe, warum eine Diagnose durchgeführt werden soll: ■ Die Auftraggeber: innen des Projektes sind mit den Zwischenergebnissen nicht zufrieden, weil die geplanten Meilensteine nicht erreicht werden. Wiederholt hören sie Klagen über die schlechte Zusammenarbeit im Projektteam, über unklare Zuständigkeiten oder über die mangelnde Unterstützung von Linienmanager: in‐ nen. Sie versprechen sich von der Diagnose zuverlässige Informationen über die Ursachen der Probleme mit konkreten Empfehlungen. ■ Im Steering Committee bestehen seit geraumer Zeit unterschiedliche Meinungen über die Ergebnisse und den Verlauf des Projektes. Die Bereichsleiterin R&D (Research & Development) ist mit dem Projektverlauf im Großen und Ganzen zufrieden, während ihre Kollegen aus dem Marketing und der Produktion immer wieder auf die Schwachstellen im Projektmanagement hinweisen. Dabei wird mit dem Finger auf fehlende Abstimmungen, schlechte Planung und mangelnde Ver‐ bindlichkeit der Projektbeteiligten hingewiesen, wobei sich die Kritik vornehmlich auf das R&D Management bezieht. Dagegen sieht die Bereichsleiterin R&D die Ursachen vor allem beim Marketing, weil die Projektziele immer wieder geändert werden. Die Diskussion ist geprägt von Schuldzuweisungen und Unterstellungen. Die Geschäftsleitung hat entschieden, diese Problematik mit Hilfe einer Diagnose nachhaltig in den Griff zu bekommen, zumal ähnliche Diskussionen auch in anderen Projekten aufgetreten sind. ■ Interessenkonflikte zwischen Abteilungen und widersprüchliche Entscheidungen von Führungskräften erschweren die Arbeit des Projektteams erheblich. Projekt‐ mitarbeiter: innen stehen im Spannungsfeld zwischen Mitarbeit im Projektteam und den Vorgaben ihrer Linienmanager: innen. Der Projektleitung ist es nicht gelungen, diese Probleme im Team zu lösen und auch Gespräche mit Führungs‐ kräften haben nichts gebracht. Die Projektleitung hat die Situation mit dem Head of Project Portfolio Management und dem eigenem Linienmanagement besprochen mit dem Ergebnis, den Projektsponsor von der Notwendigkeit einer Projektdiagnose zu überzeugen. 3.1.1 Worauf sollten Diagnostiker: innen im Vorfeld achten? Einfache Fragen können Ihnen helfen, die Ausgangssituation der Projektdiagnose besser zu verstehen. ■ Warum wird eine Projektdiagnose erwogen? Befindet sich das Projekt in einer besonderen Schieflage oder gibt es andere Gründe? ■ Sollen fachliche, technische Probleme untersucht werden oder geht es primär um die Analyse des Projektmanagements, wie die Zusammenarbeit im Team, Klarheit der Ziele, schlechte Planung oder um die Entscheidungsprozesse im Steering Committee? Projektdiagnostiker: innen sollten frühzeitig die Erwartungen der Beteiligten erfassen und einordnen. Dadurch wird die eigentliche Auftragsklärung erleichtert. ■ Gibt es Themen, die besonders hervorgehoben werden? Werden diese nur von einer Person genannt oder von mehreren? Stammen sie aus nur einer Organisationseinheit oder aus verschiedenen? ■ Gibt es Themen, die man nur hinter vorgehaltener Hand erwähnt? Wozu werden Ihnen diese Themen mitgeteilt? Möglicherweise möchte man Sie in eine bestimmte Richtung lenken oder zum Bündnispartner machen. Nehmen Sie solche Aussagen aufmerksam wahr, doch verlieren Sie nicht Ihre Neutra‐ lität. ■ Gab es bereits Maßnahmen, um die Situation des Projektes zu verbessern? Wenn ja, warum führten sie nicht zum Erfolg? ■ Wer ist Initiator: in der Diagnose? Welchen Einfluss haben diese Personen? 34 3 Auftragsklärung Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 ■ Welche Akteure aus welchen Organisationseinheiten sind an der Entschei‐ dung beteiligt, ob eine Projektdiagnose durchgeführt werden soll? ■ Welche Organisationseinheiten und Personen sind nicht einbezogen? Besteht kein Interesse an der Diagnose oder werden sie gezielt ausgegrenzt? ■ Wird die Meinung der Projektleitung zur Diagnose gehört oder wird über ihren Kopf hinweg entschieden? Wenn ja, warum? ■ Sind die Projektbeteiligten, insbesondere die Projektleitung und das Projekt‐ team darüber informiert, dass über eine Diagnose nachgedacht wird? ■ Achten Sie in ihren Gesprächen nicht nur auf den Inhalt, sondern auch darauf, was zwischen den Zeilen gesagt wird. Halten die Gesprächspartner: innen eine Diagnose überhaupt für notwendig oder stehen sie dieser Idee eher ab‐ lehnend gegenüber? Ironie, Schuldzuweisungen, zweifelndes Kopfschütteln oder negative Kommentare über das Projekt, die Projektleitung oder den Sponsor können Ihnen wertvolle Hinweise liefern. Nehmen Sie solche Infor‐ mationen aufmerksam wahr, denn sie können Ihnen für die Auftragsklärung und auch im weiteren Verlauf der Arbeit wertvolle Dienste leisten. Machen Sie sich zeitnah Notizen. Im Kern geht es dabei um die Frage, wer die Diagnose unterstützen bzw. blockieren kann. 3.2 Auftragsklärung Die Bedeutung eines klaren und verbindlichen Projektauftrags wird völlig zurecht sowohl in der Praxis als auch in der Projektmanagementlehre hervorgehoben. Das gilt ohne Abstriche auch für Projektdiagnosen. Die Auftragnehmer: innen müssen eine Reihe von Punkten mit dem Auftraggeber der Diagnose klären, damit diese erfolgreich durchgeführt werden kann. Die wesentlichen Inhalte der Auftragsklärung finden Sie auf den nächsten Seiten. Doch Papier ist bekanntlich geduldig, am Ende zählt, inwieweit Klarheit erreicht wurde und ob die Vereinbarung eingehalten wird. Die Auftragsklärung selbst sollte als Bestandteil der Diagnose verstanden werden, denn bereits zu diesem frühen Zeitpunkt werden Fehlentwicklungen im Projekt ge‐ schildert, Ursachen und häufig auch Verursacher: innen genannt, wobei es sich um reale oder vermeintliche handeln kann. Das wird sich erst später in der Diagnose heraus‐ stellen. Nicht selten bestehen seitens der Entscheider: in bereits mehr oder minder klare Erwartungen an die Ergebnisse, sie wissen oder glauben zu wissen, was dabei heraus‐ kommen soll und welche Lösungen anzustreben sind. Erwartungen, Vorstellungen und Vermutungen des Managements sollten aufmerksam wahrgenommen und kritisch hinterfragt werden. Unprofessionell wäre es, wenn die Auftragsklärung nach dem Motto „wer bezahlt, bestimmt die Musik“ abläuft. Die Auftraggeberin verkündet die gewünschte Lösung und der Aufragnehmer nimmt die Anweisung pflichterfüllend entgegen. Damit wäre der diagnostischen Arbeit das seriöse Fundament entzogen und beim Ergebnis dürfte es sich eher um ein Gefälligkeitsgutachten handeln. 35 3.2 Auftragsklärung Der Auftragsklärungsprozess bietet wertvolle Informationen und sollte als Fund‐ grube für die Diagnose geschätzt werden. Diagnostiker: innen sind gut beraten, Ohren und Augen weit zu öffnen, um erste Eindrücke zu sammeln und Annahmen über die Situation des Projektes zu entwickeln. Grundsätzlich müssen zwei Fragen beachtet werden, um eine tragfähige Vereinbarung zu erreichen: 1. Was muss ich klären? (Inhalte des Diagnoseauftrags) 2. Wie muss ich klären? (Vorgehensweise, um den Auftrag zu klären) Beide Fragen werden im Folgendem erläutert. 3.2.1 Was muss ich klären? Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Die wesentlichen Inhalte auf einen Blick Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 1. Ziele, inhaltliche Abgrenzung und Rahmenbedingungen 2. Systemgrenze der Projektdiagnose 3. Rollen im Rahmen der Diagnose 4. Vorgehensweise 5. Rechtliche Rahmenbedingungen 6. Organisatorisches 7. Abstimmungsprozesse und Informationsfluss 8. Zeitplan 9. Aufwandschätzung, Kosten Diese Punkte müssen mit dem Auftraggeber der Projektdiagnose geklärt werden. Er muss nicht alle Punkte kennen, sondern die Diagnostiker: innen sind dafür verantwort‐ lich, dass die relevanten Inhalte angesprochen werden. Bereits an dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass eine Checkliste für die Auftragsklärung wenig nutzt, wenn Unklarheiten oder unrealistische Erwartungen nicht offen angesprochen werden. Auf dieses zentrale Thema gehe ich unter Abschnitt 3.2.2 ein. 3.2.1.1 Ziele, inhaltliche Abgrenzung und Rahmenbedingungen der Diagnose Eine Zielklärung steht und fällt mit den richtigen Fragen. Zunächst müssen die Ziele, der Umfang und die Tiefe der Projektdiagnose geklärt werden. 36 3 Auftragsklärung ■ Was ist das Ziel der Diagnose? ■ Was ist aus Sicht des Auftraggebers bzw. der Entscheider: innen erreicht, wenn die Projektdiagnose erfolgreich durchgeführt worden ist? ■ Welche Erwartungen hat der Auftraggeber bzw. die Auftraggeberin? ■ Was ist dem Aufraggeber besonders wichtig? ■ Wie kommt die Diagnose zustande? Wer hatte die Idee? ■ Welche Themen sollen aus Sicht des Auftraggebers nicht analysiert werden? Ziele und Themen der Diagnose unterscheiden Grundsätzlich müssen im Rahmen der Auftragsklärung drei Themengebiete deutlich unterschieden werden. Darüber muss mit Auftraggebern: innen ausführlich gesprochen werden, um Missverständnisse zu vermeiden. 1. Untersuchung des Projektfortschritts Die Ergebnisse bzw. Zwischenergebnisse des Projektes sollen ermittelt, analysiert und bewertet werden. Es geht um die inhaltlichen, fachlichen, technischen Themen, die nur mit dem notwendigen Fachwissen beantwortet werden können. Hier sollte nicht von Projektdiagnose gesprochen werden, sondern von Review, Audit oder Qualitätskontrolle. Wesentliche Themen sind beispielsweise: □ Stand der Zwischenergebnisse (quantitativ und qualitativ) und der damit verbun‐ denen Prognose über den weiteren Projektfortschritt □ Analyse von Testergebnissen □ Welche fachlichen, technischen Risiken gibt es? □ Werden Qualitätsnormen eingehalten? □ Kann der Endtermin angesichts der aktuellen Situation erreicht werden? □ Welche Auswirkungen ergeben sich aus der aktuellen Situation für das Budget? □ Könnten rechtliche Risiken bei Verzögerungen auftreten? Noch mal, um diese Punkte seriös zu bearbeiten, sind Fachwissen, technisches Know-how und Produktkenntnisse zwingend erforderlich. In fachlich komplexeren Projekten können diese Fragen nicht von einer Person analysiert werden, sondern nur von einem Review Team. Ich habe viele Projektdiagnosen durchgeführt und stets darauf hingewiesen, dass ich nicht in Lage bin, mich zu inhaltlichen Fragen zu äußern. In einigen Fällen mit der Konsequenz, dass ich den Auftrag nicht bekommen habe. Dennoch, diese thematische Abgrenzung ist zwingend erforderlich. 2. Analyse des Projektmanagements Bei der Projektdiagnose steht das Projektmanagement im Fokus. Dazu gehören u. a. die Analyse der Rollen im Projekt, die Entscheidungsprozesse im Steering Committee, der Einfluss des Sponsors und des Linienmanagements und die Zusammenarbeit im 37 3.2 Auftragsklärung Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Projektteam. Selbstverständlich wird auch die zeitliche Verfügbarkeit der Projektmi‐ tarbeitenden, die Klarheit der Projektziele, der Informationsfluss und der Umgang mit Konflikten untersucht. Mit anderen Worten, der Einfluss von Hard- und Soft Facts ist Gegenstand der Analyse aber nicht die technischen, inhaltlichen Probleme des Projektes. 3. Untersuchung des Projektfortschritts und Analyse des Projektmanagements In manchen Fällen soll das Projekt umfassend analysiert werden, also sowohl die Fachinhalte als auch das Projektmanagement sollen untersucht werden. Dazu bedarf es mehrerer Disziplinen. Bei der Zusammenstellung eines Teams von Diagnostiker: in‐ nen müssen die Zuständigkeiten der Beteiligten, die Abstimmungsprozesse und das Vorgehen gründlich geklärt werden. Insbesondere muss der Umgang mit zwangsläu‐ fig auftretenden Überlappungen besprochen werden. Konkurrenzverhalten zwischen den Beteiligten schadet der gemeinsamen Arbeit, deshalb sind regelmäßige jour fix empfehlenswert, um die Zusammenarbeit gemeinsam zu reflektieren. Klären Sie mit dem Auftraggeber der Diagnose die Themengebiete gewissenhaft und machen Sie sehr deutlich, welche Gebiete Sie fachlich abdecken können und welche nicht. Darüber dürfen Sie weder die Auftraggebenden noch sich selbst täuschen. 3.2.1.2 Systemgrenze der Projektdiagnose Die Definition der Systemgrenze ist mit der Zielklärung unmittelbar verbunden. Sie ist von größter Bedeutung für die Projektdiagnose, denn sowohl die Durchführung als auch das Ergebnis werden durch die Systemgrenze direkt beeinflusst. Was bedeutet Systemgrenze? Mit der Festlegung der Systemgrenze wird die organisatorische Reichweite der Projektdiagnose bestimmt. Es geht konkret um die Frage, welche Subsysteme der Projektorganisation untersucht werden sollen, wer in den Diagnoseprozess einbezogen wird und welche Fragestellungen sich daraus ergeben. Sollen beispielsweise die Mitglieder des Steering Committees und der CIO (Chief Information Officer) im Rahmen der Datenerhebung interviewt werden oder nicht? Sollen die Sichtweisen der Lieferant: innen oder der Kund: innen über die Situation des Projektes ermittelt werden? Antworten auf solche Fragen sind von größter Bedeutung für die Durchführung der Diagnose. Generell gilt: Die Systemgrenze muss im Rahmen der Auftragsklärung besprochen und verein‐ bart werden, weil sie das Ergebnis der Diagnose entscheidend beeinflusst. Dia‐ gnostiker: innen müssen das „System Projekt“ und das „System Organisation“ ver‐ 38 3 Auftragsklärung stehen, nur so kann die Systemgrenze sinnvoll, den Zielen der Diagnose entsprechend, bestimmt werden. Die Diagnostiker: innen sollten im Rahmen der Auftragsklärung allergrößten Wert darauflegen, dass die Systemgrenze den Zielen der Diagnose entspricht. Projekt und Projektteam unterscheiden Ich möchte an einem Praxisbeispiel mit einem groben Missverständnis aufräumen, das mir in meiner Arbeit immer wieder begegnet. Im Steering Committee waren alle damit einverstanden, eine Projektdiagnose durchzuführen, denn man versprach sich davon, dass die Probleme im Projektteam erkannt und beseitigt werden. Als ich erklärte, dass ich im Rahmen der Projektdiagnose nicht nur die Situation des Projektteams analysiere, sondern auch die Entscheidungsprozesse im Steering Committee und den Einfluss des Sponsors untersuchen werde, nahm die Zustimmung einiger Mitglieder des Steering Committees deutlich ab. Irrtümlicherweise setzen viele Projekt gleich Projektteam und das ist einfach verkehrt, denn das Projektteam ist ein Subsystem des Projektes. Zum Projekt und damit auch zur Diagnose gehören neben dem Projektteam auch Sponsor, Entscheidungsgremien, das Projekt Portfolio Management und andere Stakeholder des Projekts. Selbstverständlich müssen auch Linienmanager: innen in die Diagnose ein‐ bezogen werden, weil sie als Ressourcenmanager: innen für die fachliche und zeitliche Verfügbarkeit der Projektmitarbeiter: innen verantwortlich sind. In Change-Manage‐ ment-Projekten sind sie außerdem für die Implementierung der Projektergebnisse in ihren Organisationseinheiten verantwortlich. Die Systemgrenze hängt vom Umfang des Projektes ab. Für eine sinnvolle Analyse der Diagnose lautet die Frage: Welche internen und ggfs. auch externen Organisati‐ onseinheiten müssen beteiligt werden, um ein aussagekräftiges Bild über den Projekt‐ verlauf zu erhalten? Soweit der Anspruch, doch in einigen Fällen habe ich die Erfahrung gemacht, dass Auftraggeber: innen mit meinem Verständnis der Systemgrenze nicht einverstanden waren. Ein Praxisbeispiel: Der Leiter der Produktentwicklung eines mittelständischen Unternehmens beauftragte mich, eine Diagnose für ein Projekt durchzuführen, das seit längerer Zeit nicht optimal läuft. Aus seiner Sicht ging es nicht primär um fachliche Themen, sondern um die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Abteilungen, um unklare Zuständigkeiten, Bereichsdenken, mangelnde Abstimmungen und intransparente Entscheidungen. Offensichtlich hatte er sich ein Bild über die Problematik gemacht und er hatte sehr genaue Vorstellungen, mit wem ich Interviews führen sollte: Projektleitung, Projektmitarbeiter: innen, Gruppen- und Ab‐ teilungsleitern: innen der beteiligten Abteilungen (Konstruktion, Produktmanagement, Einkauf, Qualitätssicherung). Nun wusste ich durch Vorgespräche, dass die beiden Geschäftsführer häufig ohne Abstimmung mit der Projektleitung ins Projektgeschehen eingreifen. Prioritäten werden dann über den Haufen geworfen, Projektziele verändert, weil einer der beiden Geschäftsführer, verantwortlich für den Verkauf, mit dem Kunden eine neue Vereinbarung getroffen hatte. Weder die Projektleitung noch die Abteilungs‐ 39 3.2 Auftragsklärung leitungen wurden in diese Entscheidungen einbezogen. Ich erklärte dem Auftraggeber der Diagnose, dass Interviews mit den beiden Geschäftsführern unbedingt erforderlich sind, um die Situation des Projektes zu analysieren. Seine Antwort war eindeutig: „Sie haben völlig recht, aber das ist mir zu heiß. Das könnte Ärger geben, zumal die beiden Geschäftsführer längst nicht immer an einem Strang ziehen und gerne den Druck auf die Abteilungsleiter und die Projektteams weitergeben“. (Originalzitat aus einem Interview). Ich erklärte dem Auftraggeber, dass ich es für angebracht halte, zunächst ein Gespräch mit ihm und den beiden Geschäftsführern zu führen, um deren Meinung zu der geplanten Maßnahme zu erfahren. Das Gespräch fand statt und am Ende hatten wir ein gutes Ergebnis erreicht. Die neuen Auftraggeber der Diagnose waren die Geschäftsführer und damit war die Diagnose hierarchisch richtig angesiedelt. Was folgt aus diesem Beispiel? Diagnostiker: innen dürfen sich auf keinen Fall mit einer vorgegeben Systemgrenze zufriedengeben, wenn ihnen diese ungeeignet erscheint, das Projekt sinnvoll zu analysieren. ■ Die richtige und klare Definition der Systemgrenze gehört zu den elementa‐ ren Aufgaben der Auftragsklärung, denn die Bestimmung der Systemgrenze beeinflusst, wer befragt wird und welche Fragen gestellt werden. Oberfläch‐ lichkeit und Nachlässigkeit haben hier keinen Platz. ■ Setzen Sie nie Projekt gleich Projektteam, das Team ist ein Subsystem des Projektes. Diese Trennung muss verstanden und beachtet werden. ■ Die Projektdiagnostiker: innen müssen die Entscheidungsträger bei der Defi‐ nition der Systemgrenze beraten. ■ Eine vorgegebene Systemgrenze sollte nicht akzeptiert werden, wenn da‐ durch eine fundierte Diagnose erschwert oder gar verhindert wird. Systemgrenzen unterscheiden Bei der Definition der Systemgrenze im Rahmen der Projektdiagnose können drei verschiedene Systeme unterschieden werden: 1. Projektteam 2. System Projekt intern 3. System Projekt mit unternehmensexterner Beteiligung 1. Systemgrenze Diagnose des Projektteams Selbstverständlich kann die Arbeit des Projektteams mit seinen Stärken und Schwächen analysiert werden. So werden beispielsweise der Grad der Zielerreichung, die zeitliche Verfügbarkeit der Teammitglieder, die Kommunikation im Team, der Informations‐ fluss, die Verbindlichkeit von Zusagen, die Qualität der Meetings, der Einsatz von Planungsmethoden oder die Führung der Projektleitung analysiert. Um die Situation des Projektteams zu verstehen, muss auch der Einfluss des Teamumfeldes (Entschei‐ 40 3 Auftragsklärung dungsgremien, Sponsor) auf das Team verstanden werden. Im Kapitel 5.3 Diagnose des Projektteams wird dieses Thema ausführlicher behandelt. Bezieht sich die Diagnose nur auf das Subsystem Projektteam, ist Bezeichnung Projektdiagnose nicht korrekt, denn die Untersuchung bezieht sich nicht auf das Projekt, sondern nur auf das Team. Zum Projekt gehören auch das Steering Committee, der Sponsor und die Linienmanager. Mit dieser definitorischen Klarstellung soll auf keinen Fall der Nutzen von Teamdiagnosen in Frage gestellt werden. Im Gegenteil, manche Projektdiagnose wäre vermeidbar, wenn man die Teamarbeit rechtzeitig und fundiert analysieren würde. PL Projektleitung 3 3 1 6 4 1 PL Diagnostiker: in Fokus Team 6 8 4 5 2 1 7 Abb. 2: Systemgrenze Projektteam Auftraggeber: in einer Teamdiagnose kann die Projektleitung, das gesamte Projektteam oder der Projektsponsor sein. Hier besteht ein wesentlicher Unterschied zur Projekt‐ diagnose, denn weder die Projektleitung noch die Projektmitarbeiter: innen verfügen über die notwendigen Entscheidungskompetenzen, eine Projektdiagnose zu beauftra‐ gen. Sie können diese anregen, mit triftigen Argumenten auf eine Durchführung drängen, die Entscheidung jedoch liegt auf einer anderen Hierarchieebene. 2. Systemgrenze Diagnose Projekt intern In Projektdiagnosen sind mehr Funktionen und Personen einbezogen als in Teamdiagno‐ sen. Abhängig von der Größe des Projektes liegt die Zahl der Befragten zwischen zwölf (bei kleineren Projekten) bis fünfzig Personen. In seltenen Fällen können es noch mehr sein. 41 3.2 Auftragsklärung 8 Teammitglieder Systemgrenze Projekt Projektleitung 2 3 Teammitglieder 3 1 5 7 6 8 4 1 PL Externe Projektmitarbeiter: innen Projekt Sponsor: in Steering Committee Projekt Portfolio Management Linienmanager: innen Diagnostiker: in Abb. 3: Systemgrenze Projekt intern Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Wer muss bzw. kann befragt werden? Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Die Antwort hängt wie bereits erklärt von der Definition der Systemgrenze ab. ■ Projektsponsor ■ Projektleitung ■ Teilprojektleiter: innen ■ Projektmitarbeiter: innen ■ Erfahrene Projektleiter: innen aus anderen Projekten, die einen Beitrag zur Ana‐ lyse leisten können ■ Mitglieder von Entscheidungsgremien ■ Linienmanager: innen ■ Projekt Portfolio Management ■ Externe Kooperationspartner: innen, Lieferant: innen, Kund: innen, Berater: innen 3. Systemgrenze Diagnose Projekt mit unternehmensexterner Beteiligung Im Unterschied zur zweiten Variante werden hier auch externe Kooperationspart‐ ner: innen in die Projektdiagnose einbezogen. Dabei kann es sich um Kund: innen, Lieferant: innen oder um Kooperationspartner: innen handeln, mit denen gemeinsam ein Produkt entwickelt wird. Soweit ich es beurteilen kann, erscheint mir diese Variante eher ein Ausnahmefall zu sein. 42 3 Auftragsklärung Die Systemgrenze ist keine starre Angelegenheit Die Systemgrenze kann sich im Verlauf der Diagnose ändern. Im Rahmen einer Diagnose für ein Produktentwicklungsprojekt in einem mittelständischen Familien‐ unternehmen waren Gespräche mit den beiden Geschäftsführern, Abteilungsleitern, der Projektleitung und Projektmitarbeiter: innen geplant. Im Verlauf der Interviews wiesen einige Interviewte auf zu häufige Änderungen im Entwicklungsprozess hin, die viel Zeit und Geld kosten und sowohl im Projektteam als auch bei Führungskräften zu Frustrationen führen. Dabei ging nicht um notwendige technische Änderungen, sondern um Modifikationen bezüglich der Farbe, teilweise am Produkt selbst, vor allem aber an der Verpackung. Das Blau war nicht blau genug und statt runden Schaltern sollten Eckige eingebaut werden, um die Innovation des Produktes hervorzuheben. Diese ad hoc Änderungen wurden an der Produktentwicklung vorbei von der Gattin des Seniorchefs entschieden, die seit Jahren im Hintergrund mit viel Herzblut aktiv mitwirkt. Es war nicht ganz einfach, die beiden Geschäftsführer als Auftraggeber der Diagnose davon zu überzeugen, dass auch der Einfluss des Seniors und seiner Gattin im Rahmen der Diagnose analysiert werden sollte. Diagnostiker: innen müssen im Verlaufe der Datensammlungsphase prüfen, ob die Systemgrenze im Verlauf der Diagnose neu definiert werden muss. Dabei kann es sich um eine Erweiterung oder eine Reduzierung handeln. Mit Hilfe der Stake‐ holderanalyse können sich Diagnostiker: innen oft bereits zu Beginn ihrer Arbeit einen guten Überblick über die zu beteiligten Akteure verschaffen. Deshalb sollte eine Stakeholderanalyse für das Projekt fester Bestandteil im Rahmen der Auf‐ tragsklärung sein. 3.2.1.3 Rollen Aufgaben, Verantwortungen und Entscheidungskompetenzen der Beteiligten im Rah‐ men der Projektdiagnose müssen geklärt werden. Selbstverständlich! Doch ganz so einfach ist es in der Praxis nicht immer. Manchmal werden Punkte nicht beachtet oder die Beteiligten gehen einfach davon aus, dass die Verantwortung klar ist. Die Rollenklärung für die Diagnose darf auf keinen Fall zu vernachlässigt werden. Welche Rollen müssen geklärt werden? ■ Auftraggeber: in der Projektdiagnose ■ Weitere Entscheidungsträger: innen Prüfen Sie, ob weitere Stellen bzw. Personen, die Einfluss auf den Diagnose‐ verlauf ausüben können, in den Klärungsprozess einbezogen werden müssen. 43 3.2 Auftragsklärung Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Das können beispielsweise Top-Manager: innen, die Leitung des Projekt-Port‐ folio-Managements oder in Change Projekten auch die Personalvertretung sein. ■ Aufgaben und Verantwortungen des Diagnostikers, der Diagnostikerin ■ Wer soll befragt werden? Eventuell muss auch die Reihenfolge bestimmt werden. ■ Wer soll bei der inhaltlichen und methodischen Vorbereitung der Diagnose mitarbeiten? Vor allem beim Einsatz von externen Diagnostiker: innen ist es empfehlens‐ wert, wenn Mitarbeitende aus der Organisation bei der Zusammenstellung der Fragen mitwirken. Ich schätze es sehr, wenn erfahrene Mitarbeiter: innen (aber nicht zu viele) an der Ausarbeitung des Fragenkatalogs mitarbeiten. Sie kennen die Abläufe der Projektarbeit, haben oft schwierige Situationen in Projekten selbst erlebt und wissen um die Einflüsse mancher Führungskräfte und Gremien auf die Projekte. Außerdem können sie wertvolle Hinweise geben, wie der Informationsfluss für die Projektdiagnose und die Zeitplanung für die Interviews am besten gestaltet werden können. ■ Wer soll wann und in welcher Form über die Ergebnisse und Zwischenergeb‐ nisse informiert werden? Vor allem bei umfangreichen Diagnosen ist es nicht unwahrscheinlich, dass Auf‐ traggeber: innen oder andere Entscheidungsträger über die Zwischenergebnisse informiert werden möchten. Klären Sie, wer und in welcher Form informiert werden soll. Diagnostiker: innen müssen mit dem Auftraggeber vereinbaren, dass Führungskräfte keine Vorabinformationen unter vier Augen erhalten. ■ Rolle des Auftraggebers der Diagnose □ In der Regel veranlasst der Projektsponsor die Projektdiagnose. Daraus kann sich ein Rollenkonflikt ergeben, denn der Sponsor ist zum einen Auftraggeber der Diagnose und zum anderen wird sein Einfluss als Sponsor des Projektes auf den Projektverlauf ermittelt und bewertet. Nicht selten ist der Sponsor Teil des Problems. Ich weise im Rahmen der Auftragsklärung deutlich darauf hin, dass die Entscheidungsträger des Projektes möglicherweise auch Pro‐ bleme verursachen und ich diese Informationen im Datenfeedback aufzeigen werde. Erfreulicherweise habe ich in über 25 Jahren nur zweimal erlebt, dass Entscheider dieses Vorgehen abgelehnt haben. Dann ist es angebracht, den Auftrag nicht anzunehmen. □ Auftraggeber: in der Diagnose haben die Verantwortung, alle Beteiligten über den Anlass und die Ziele der Diagnose zu informieren. □ Es passiert immer wieder, dass Mitarbeiter: innen zu geplanten Interviewter‐ minen nicht erscheinen. Deshalb sollte der Aufrageber die Linienmanager: 44 3 Auftragsklärung innen auffordern, dafür zu sorgen, dass ihre Mitarbeiter: innen die Termine wahrnehmen. Die Auftraggeberseite steht für die Priorität der Diagnose. □ Erklären Sie dem Auftraggeber, dass er als Projektsponsor selbstverständlich in die Diagnose einbezogen werden muss und möglicherweise Teil des Pro‐ blems ist. Verdeutlichen Sie den möglichen Rollenkonflikt. □ Die Projektdiagnose endet mit dem Diagnose-Bericht, bzw. der Präsentation der Ergebnisse. Mit dem Ende der Präsentation der Diagnoseergebnisse übernimmt der Auftraggeber die Verantwortung. Die Diagnostiker: innen sind nicht für die Entscheidung über mögliche Maßnahmen verantwortlich. Dieses Thema ist mit dem Auftraggeber gründlich zu klären. ■ Rolle der Diagnostiker: innen □ Diagnostiker: innen sind verantwortlich für die Planung und Durchführung der Projektdiagnose. Das beinhaltet eine Reihe von Aufgaben: ▸ Ziele klären ▸ Gründliche Beratung über die Systemgrenze. Die Entscheidungsträger können von den Diagnostikern: innen einen gründlich ausgearbeiteten Vorschlag über die Systemgrenze erwarten. Diagnostiker: innen sollte auf keinen Fall eine Systemgrenze akzeptieren, wenn diese ungeeignet ist, das Projekt umfassend und tief genug zu analysieren. ▸ Fragen für die Datensammlung ausarbeiten ▸ Auswahl der Methoden zur Datensammlung ausarbeiten ▸ Gründliche Datenanalyse, Bewertung der Ergebnisse und Empfehlungen ▸ Diagnosebericht erstellen ▸ Präsentation der Ergebnisse ▸ Falls erforderlich, zwischenzeitliche Abstimmungsgespräche mit dem Auftraggeber bzw. der Auftraggeberin führen ■ Rollenklärung bei mehreren Diagnostikern □ Abhängig vom Umfang des Projektes und von der zeitlichen Kapazität der Diagnostiker: innen können mehrere Personen mitarbeiten. In diesen Fällen sollten einige Punkte beachtet werden, um eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zu erreichen. ▸ Wer hat die Gesamtverantwortung seitens der Auftragnehmer: innen für die Diagnose? ▸ Wer ist erster Ansprechpartner: in für den Auftraggeber der Diagnose und für andere Entscheider? Informelle Absprachen hinter dem Rücken des Gesamtverantwortlichen sind Tabu. ▸ Wer interviewt wen? 45 3.2 Auftragsklärung Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 ▸ Mit der formalen Rollenklärung allein ist es jedoch nicht getan. Deshalb gehe ich an dieser Stelle direkt auf weitere Punkte ein. ▷ Haben alle Diagnostiker: innen das gleiche Verständnis über die Ziele und die daraus resultierenden Fragen? ▷ Wie werden die Abstimmungsprozesse im Verlauf der Diagnose organisiert? ☑ In welchen Intervallen und in welcher Form findet der Austausch statt? ☑ Wie können die Abstimmungsmeetings gut vorbereitet werden? ▷ Besteht ein gemeinsames Verständnis über die Vorgehensweise? ▷ Welche Fragen müssen in allen Interviews gestellt werden? Bestimmte Fragen müssen unabhängig von den einzelnen Interview‐ ern: innen in allen Interviews gestellt werden, um vergleichbare Ergebnisse zu erhalten. Notwendig sind beispielsweise Fragen zum Grad der Zielerreichung, zur Priorität des Projektes, zur zeitlichen Verfügbarkeit der Projektmitarbeiter: innen, zum Informationsfluss oder zur Zusammenarbeit im Team. Ich rate jedoch von einem starren Fragekatalog im Sinne eines Fragebogens ab, der den Inter‐ viewern: innen keinen Spielraum für diagnostische Entdeckungen lässt. ▷ Wie schnell müssen die Ergebnisse der einzelnen Interviews an den Gesamtverantwortlichen der Diagnose weitergeleitet werden? Das sollte möglichst zeitnah erfolgen, z.B. wöchentlich oder zweimal pro Woche, in besonderen Fällen sogar täglich. ▷ Es gibt Kernregeln, die zu Beginn der Zusammenarbeit im Team der Diagnostiker: innen besprochen werden müssen: ☑ Vertraulichkeit der Gespräche Wer was in einem Interview gesagt hat darf nicht an Mitarbeiter aus der Organisation weitergetragen, auch nicht an die Auftrag‐ geberin der Diagnose. ☑ Keine Alleingänge bei Absprachen mit Führungskräften ☑ Keine Aussagen über Zwischenergebnisse ☑ Die Regeln zum Einstieg in die Interviews sollen von allen beachtet werden. Die Maxime lautet: Bevor ich Fragen stelle, biete ich an, dass die Person mir Fragen stellen kann, um durch Transparenz ein offenes Klima zu fördern. Interne oder/ und externe Diagnostiker - Pro und Kontra Projektdiagnosen können sowohl von Mitarbeitern: innen der Organisation als auch von Externen durchgeführt werden. Auch Tandemlösungen können sinnvoll sein. Was spricht für eine interne und was für eine externe Beauftragung? 46 3 Auftragsklärung Interne Diagnostiker: innen kennen normalerweise die Abläufe und die Personen wesentlich besser. Das kann vorteilhaft sein, aber es besteht die Gefahr, die eigenen Sichtweisen, Vorurteile oder Wünsche bewusst oder unbewusst einfließen zu lassen. Mitarbeiter: innen des Unternehmens sind stärker ökonomisch und sozial abhängig, die Unabhängigkeit der Internen darf zurecht in Frage gestellt werden und Unabhängigkeit ist eine fundamentale Voraussetzung für eine gute Diagnose. Externe sind weniger betriebsblind, was aber zwangsläufig bedeutet, dass sie wich‐ tige Einflüsse übersehen können. Ich höre häufiger das Argument, Externe sind ob‐ jektiver als Interne. Um es klar auszudrücken, von Objektivität zu sprechen, ist nicht zutreffend, denn sowohl die Datensammlung, die Analyse als auch die Bewertungen der externen Diagnostiker: innen werden durch ihre Sichtweisen, Erfahrungen, ihren fachlichen Background, ihre Werte oder Lieblingsideen beeinflusst. In der Praxis kann die Arbeit der externen Diagnostiker: innen auch durch das Ziel des Beratungsunter‐ nehmens, den Folgeauftrag zu akquirieren, erheblich beeinflusst werden. Man produ‐ ziert das gewünschte Ergebnis, um weiter im Geschäft zu bleiben. Idealerweise sind externe Diagnostiker: innen weitgehend ungebunden und müssen nicht auf die Reak‐ tionen des eigenen Managements Rücksicht nehmen. 3.2.1.4 Vorgehensweise Auftraggeber: innen sind nicht immer daran interessiert, über die Vorgehensweise in der Diagnose informiert zu werden. Sie müssen sich nicht im Detail mit den Vor- und Nachteilen von Fragenbögen oder Gruppeninterviews auskennen, dennoch soll‐ ten Diagnostiker: innen ihren Auftraggebern: innen die Vorgehensweise im Überblick erläutern. Hierbei geht es vor allem um die Frage, welche Konsequenzen mit den geplanten Vorgehensweisen für das Unternehmen verbunden sind. ■ Ist ein Methoden-Mix (Einzelinterviews, Gruppeninterviews, Fragebogen) sinn‐ voll? Wie groß sind der zeitliche und finanzielle Aufwand? ■ Die gewählten Formen der Interviews (Einzel- und Gruppeninterview) beeinflus‐ sen vor allem in umfangreicheren Projekten mit einer größeren Anzahl von Interviews das Budget. Ob ausschließlich Einzelinterviews oder auch Gruppenin‐ terviews durchgeführt werden, hat Auswirkungen auf die Kosten. ■ Die Diagnostiker: in sollte den Auftraggeber überzeugen, dass diagnostische Tiefe nicht erreicht werden kann, wenn nur Fragebögen eingesetzt werden. 47 3.2 Auftragsklärung 3.2.1.5 Rechtliche Rahmenbedingungen Auch rechtliche Themen müssen geklärt werden. ■ Arbeitsrechtliche Fragen z.B. in Deutschland die Rechte der Arbeitnehmervertre‐ tung beim Einsatz von Fragebögen ■ Vereinbarungen über den Umgang mit vertraulichen Daten (bei Externen) ■ Vertragliche Vereinbarungen über den Einsatz von weiteren Personen seitens des Auftragnehmers. Kund: innen sollten mitentscheiden, wer die Datensammlung und die Datenauswertung durchführt ■ Bei externen Diagnostikern: innen sollte geregelt werden, ob ausgefallene Termine, die durch Mitarbeiter: innen des Unternehmens verursacht wurden, in Rechnung gestellt werden können ■ Nicht zuletzt muss vereinbart werden, ob zum Festpreis oder nach Tagessätzen abgerechnet wird 3.2.1.6 Organisatorisches Dahinter verbergen sich eine Reihe unterschiedlicher Punkte, die mehr oder minder starken Einfluss auf die Diagnose haben können. Hierzu einige Beispiele: ■ Der Auftraggeber möchte die Reihenfolge der Interviews bestimmen oder ent‐ scheiden, wer interviewt werden soll und wer auf keinen Fall. Die Hintergründe sollten die Diagnostiker: innen kennen. Es gibt verschiedene Gründe, warum der Auftraggeber den Verlauf der Interviews beeinflussen will. Mag sein, dass der Auftraggeber das hierarchische Verhalten von Führungskräften vor Augen hat und er möchte Verärgerung und Widerstände vermeiden, weil diese nicht zuerst ge‐ fragt werden. In einem Fall wollte mir der Auftraggeber einer Diagnose verbieten, Interviews bei einer Tochterfirma durchzuführen, obwohl die Mitarbeiter dieses Unternehmens einen wichtigen Beitrag im Projekt leisten sollten und aus Sicht des Auftraggebers mitverantwortlich für die Misere des Projektes waren. Erst durch wiederholtes Nachfragen erklärte mir der Auftraggeber seine Beweggründe. Er befürchtete, dass der Geschäftsführer der Tochtergesellschaft, der über ein sehr gutes Netzwerk in der Holding verfügt, die Diagnose verhindern könnte. ■ Bei der Planung für die Datenanalyse müssen Stoßzeiten beachtet werden, in denen Mitarbeiter: innen weder Zeit noch Interesse haben, interviewt zu werden oder gar an einem ganztägigen Diagnose-Workshop teilzunehmen. ■ In welchen Sprachen muss interviewt und in welcher Sprache der Diagnose-Be‐ richt geschrieben werden? ■ Wo können die Interviews durchgeführt werden? Erforderlich ist auf jeden Fall ein Raum, der eine offene Kommunikation ermöglicht. ■ Sollten Interviews online durchgeführt werden, muss klar sein, welche Tools zur Verfügung stehen. 48 3 Auftragsklärung 3.2.1.7 Abstimmungsprozesse und Informationsfluss Durch die Diagnose entstehen manchmal Befürchtungen und Unruhe bei Projektmit‐ arbeitern: innen und Führungskräften. Was kann alles zum Vorschein kommen, welche Fehler werden sichtbar? Möglicherweise wird sogar eine Abteilung oder Personen an den Pranger gestellt, so die Befürchtung. Diagnostiker: innen sollten sich immer be‐ wusst machen, dass Diagnose Intervention in ein bestehendes Kraftfeld bedeutet, d. h. es kann etwas aufgedeckt werden, ins Wanken geraten und das gefällt nicht jedem. Um so wichtiger ist die Gestaltung des Informationsflusses im Rahmen der Diagnose. Es beginnt mit der Information über die Hintergründe und Ziele der Maßnahme bis zur Verwendung der Ergebnisse. Diagnostiker: innen sollten ausreichend Zeit darauf verwenden, mit dem Auftraggeber, der Auftrageberin über den Informationsfluss und die Abstimmungsprozesse zu sprechen. Hierzu einige Fragen: ■ Wie werden die Beteiligten über die Ziele und das Vorgehen informiert? ■ Mit wem sollen welche Themen im Verlauf der Diagnose abgestimmt werden? Dazu gehören z.B. die Veränderung der Systemgrenze, starke Widerstände an einem Standort, durch die Interviews verhindert werden. ■ Sollen die Beteiligten (z.B. Auftraggeber: in der Diagnose, Projektsponsor, Projekt‐ leitung) über Zwischenergebnisse informiert werden? Wenn ja, in welcher Form? ■ Wer soll welche Informationen wann und in welcher Form über die Ergebnisse der Diagnose erhalten? ■ Sollen die beteiligten Projektmitarbeiter: innen über die Ergebnisse der Diagnose informiert werden? Die klare Empfehlung lautet: Alle Personen, die befragt wurden, müssen über die Ergebnisse der Befragung informiert werden, unabhängig von Funktion und Position im Unternehmen. ■ Keine Datenerhebung ohne Datenrückkopplung. Eine Präsentation ist in der Regel viel wirksamer als die ausschließliche Verteilung des Diagnoseberichtes. Am besten ist die Kombination von Bericht plus Präsentation der Ergebnisse, beispielsweise in Form einer Management Summary. ■ Der Bericht darf keine Rückschlüsse auf einzelne Personen zulassen. ■ Wie sollen die Ergebnisse präsentiert werden? Welche technischen Möglichkeiten stehen für online Präsentationen zur Verfügung? 3.2.1.8 Zeitplan Der offizielle Start der Diagnose, mögliche Zwischentermine und das geplante Ende der Projektdiagnose müssen geklärt werden. Die Projektdiagnose endet mit der Präsentation der Ergebnisse. 49 3.2 Auftragsklärung 3.2.1.9 Aufwandschätzung, Kosten Die Auftraggeber: innen möchten wissen, mit welchen Kosten für die Diagnose zu rechnen ist. Bevor die Aufwände für die einzelnen Phasen der Diagnose dargestellt werden, noch ein kurzer Hinweis zum Kosten- und Nutzenverhältnis von Projektdiag‐ nosen: Auch bei Projektdiagnosen sollte das Ertragsgesetz beachtet werden: Mit 50 % des Aufwandes lassen sich oft 75 % der Daten ermitteln und in der Regel auch die Kernprobleme ermitteln. Daraus folgt, man muss nicht akribisch jedes Detail erfassen und die Ursachen bis Adam und Eva zurückverfolgen. © IPO - Köln | www.ipo-lomnitz.de Institut für praktische Psychologie und Organisationsberatung Qualitativer Sprung 25 % 50 % 100 % Ertrag Aufwand 100 % 75 % 50% Abb. 4: Ertragsgesetz für Projektdiagnosen Auftraggeber: innen können eine realistische Aufwandschätzung erwarten, die sich in fünf Blöcke unterteilen lässt: 1. Vorbereitungsaktivitäten ■ Zunächst müssen Gespräche geführt werden, um die Situation des Projektes und die Ausgangslage für die Diagnose zu verstehen. Diagnostiker: innen müssen sich einen Überblick, besser noch einen Einblick in die Ziele und inhaltlichen Herausforderungen des Projektes verschaffen. Das meint nicht, dass sie sich vertiefend in die Inhalte des Projektes einarbeiten sollen, denn das ist für eine 50 3 Auftragsklärung Projektdiagnose im Unterschied zum Review nicht erforderlich. Selbstverständlich müssen sie das organisatorische, psycho-soziale und politische Umfeld des Pro‐ jektes zu Beginn ihrer Arbeit ermitteln. Der Aufwand hängt von der Anzahl der Gespräche ab. Vor allem in internationalen, standortübergreifenden Projekten darf der Aufwand nicht unterschätzt werden. Die Aufwandschätzung kann gemeinsam mit Entscheidungsträgen und der Projektleitung erfolgen. ■ Dokumente müssen gründlich durchgelesen und bei Unklarheiten muss nachge‐ fragt werden. Zu meiner Vorbereitung lasse ich mir folgende Dokumente schicken, soweit sie vorhanden sind: Projektauftrag, Statusberichte, Präsentationen von Zwischenergebnissen, Entscheidungsprotokolle des Steering Committees, Risiko Analysen sowie Auswertungen von Teamreviews. Es ist nicht erforderlich, sämt‐ liche Protokolle aus den Teamsitzungen durchzulesen, zumal die Inhalte für einen Außenstehenden oft unklar bleiben. Stattdessen bitte ich die Projektleitung, mir aus ihrer Sicht besonders wichtige Protokolle zur Verfügung zu stellen. ■ Der zeitliche Aufwand lässt sich naturgemäß pauschal nicht beantworten, er hängt vom Umfang und den Inhalten der Dokumente ab. Ich habe mehr als einmal die Erfahrung gemacht, dass ich den Aufwand für ein sorgfältiges Studium der Dokumente unterschätzt habe. Dumm gelaufen, doch darf es nie dazu führen, dass die Dokumente dann nach der Daumenkino-Methode nur flüchtig überflogen werden, das erscheint mir unprofessionell. ■ Fragen für die Datenerhebung ausarbeiten und erforderliche Abstimmungsgesprä‐ che führen. Es muss deutlich unterschieden werden zwischen der Fragezusammenstellung für die Interviews und der Ausarbeitung eines Fragebogens. Erfahrene Diagnostiker: innen wissen, welche Fragen sie in den Interviews stellen. Sie vertrauen auch darauf, dass sich weitere Fragen im Verlaufe der Interviews ergeben. Weniger Erfahrene können Checklisten nutzen, um den Fragenkatalog für die Interviews zu entwickeln (siehe Kapital 5). Meines Erachtens ist der Aufwand für die Ausarbeitung von Fragen für die Interviews eher gering einzuschätzen, es sei denn, es handelt sich um ein ganz spezielles Projekt mit einer hohen organisatorischen und politischen Komplexität. Ganz anders verhält es sich bei einem Fragebogen, der speziell für ein Projekt entwickelt wird. Abhängig von den Fragestellungen und den Abstimmungsprozessen im Unternehmen kann sich der zeitliche Aufwand allein für die Ausarbeitung des Fragebogens schnell bei einem oder gar zwei Tagen bewegen. Wie gesagt, bei der Ausarbeitung eines projektspezifischen Fragebogens. 2. Datensammlung Der durchschnittliche Aufwand für die Interviews lässt sich einfach darstellen. Für Einzelinterviews gehe ich normalerweise von einer Stunde und für Gruppeninterviews von 2 bis 2,5 Stunden aus. Ein Interview mit der Projektleitung kann 2 bis 3 Stunden dauern, abhängig vom Umfang, den Problemen und Konflikten des Projektes. Diese Durchschnittswerte haben sich aus meiner Sicht in der Praxis bewährt. 51 3.2 Auftragsklärung Übersicht über den Aufwand für Interviews Gesprächspartner: in Interview Zeit CEO Einzelinterview 1 h Projektleitung Einzelinterview 2 h Teilprojektleitung 1 Einzelinterview 1,5 h Teilprojektleitung 2 Einzelinterview 1,0 h Teilprojektleitung 3 Einzelinterview 1,5 h Subteam 1 Gruppeninterview 2,5 h Subteam 2 Gruppeninterview 2,5 h Subteam 3 Gruppeninterview 2,0 h Subteam 4 mit TPL Gruppeninterview 2,5 h Line Manager A Einzelinterview 1,0 h Line Managerin B Einzelinterview 1,0 h Bereichsleiterin C und Abteilungsleiter C Gruppeninterview 1,5 h 3 externe Projektmitarbeiter: innen Gruppeninterview 3 h Summe 23 h Um den wirklichen Aufwand festzuhalten, sollte die Dauer für jedes Interview erfasst und dem Auftraggeber schon allein wegen der Kostentransparenz mitgeteilt werden. Es passiert immer wieder, dass geplante Interviews nicht stattfinden, weil jemand nicht erscheint, teilweise ohne Ankündigung. Ich halte solche Ausfälle fest und wenn es häufiger vorkommt, wird das Thema mit dem Auftraggeber besprochen. Die Dauer von Diagnose-Workshops schwankt in der Regel zwischen 0,5 und 1 Tag. In Ausnahmefällen können auch zweitägige Workshops angebracht sein. 3. Datenanalyse Die Datensammlung ist abgeschlossen, nun kommt es darauf an, die Aussagen der Befragten zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen. Mit Fug und Recht kann behauptet werden, dass erst durch eine profunde Datenanalyse eine erfolgreiche Pro‐ jektdiagnose erreicht werden kann. Die Ergebnisse aus den Interviews oder Workshops müssen sinnvoll in thematische Schwerpunkte (Cluster) gruppiert werden. Cluster sind beispielsweise Aussagen über Projektziele, Prioritätenprobleme, Verfügbarkeit von Projektmitarbeitern: innen, die Zusammenarbeit im Team oder die Entscheidungspro‐ zesse im Projekt. (Mit diesem Thema beschäftigen sich Kapitel 5 und 7.) 52 3 Auftragsklärung Wie lange benötigt man für eine gut ausgearbeitete Datenanalyse? Eine Patentant‐ wort habe ich auch nach vielen Jahren noch nicht gefunden, sondern nur Anhaltpunkte. Der zeitliche Aufwand hängt von verschiedenen Einflüssen ab: ■ Zahl der geplanten Interviews. Hier helfen eigene Erfahrungswerte und die von Kolleg: innen. Beispiel: Um zehn Interviews auszuwerten, werden im Schnitt erfahrungsgemäß drei Stunden benötigt. Für das eine Interview benötigt man etwas mehr Zeit, für ein anderes etwas weniger. Je genauer in den Interviews mitgeschrieben wurde, desto leichter lassen sich die Informationen in Cluster gruppieren. ■ Datenaufbereitung Im nächsten Schritt müssen die Beziehungen zwischen den Inhalten der verschie‐ denen Cluster sorgfältig analysiert werden. Welche Abhängigkeiten und welche Wechselwirkungen bestehen beispielsweise zwischen häufigen Zieländerungen und Motivationsproblemen oder zwischen Standortinteressen und schlechtem Informationsfluss im Team? Diese Aufgabe darf nicht so nebenbei erledigt werden, Zeit und Ruhe sind erforderlich, um einen guten Einblick zu erhalten. Bei kleineren Projektdiagnosen mit wenigen Interviews und folglich wenigen Clustern kann die Aufgabe in zwei bis drei Stunden erledigt sein. Mit zunehmenden Informationen und höherer Komplexität steigen die Anforderungen an die richtige Einordnung. Folglich muss viel mehr Zeit und Energie aufgewandt werden. Es fällt mir schwer, eine konkrete Zahl zu nennen, manchmal benötige ich für solche Arbeiten sechs Stunden, an anderen Tagen dauert es erheblich länger, möglicherweise abhängig von meiner Tagesform. 4. Ausarbeitung des Berichts Der Aufwand für die Ausarbeitung eines Diagnoseberichts hängt überwiegend vom Umfang des Berichtes ab. Häufig erwarten Auftraggeber: innen nur eine Power Point Präsentation. Wenn die Datenanalyse solide ausgearbeitet wurde, sind kaum mehr als drei Stunden für die Erstellung einer Power Point-Präsentation erforderlich. Eine qualifizierte Assistenz wird in der Lage sein, diese Arbeit zu erledigen. Anders verhält es sich, wenn Auftraggeber: innen einen detaillierten Diagnose-Bericht verlangen. Der Umfang kann erheblich schwanken, ich habe im Laufe der Jahre Berichte von 10 bis zu 90 Seiten geschrieben. Auch hier gilt, je besser die Datenanalyse ausgearbeitet wird, desto schneller ist der Bericht geschrieben. Ein zehnseitiger Bericht lässt sich in einem halben Tag schreiben. Für 90 Seiten Report habe ich bei intensiver Arbeit mehrere Tage benötigt. Noch ein kleiner Tipp: Wird ein Bericht und eine Power Point-Präsentation ge‐ fordert, so sollte zunächst der Bericht geschrieben werden. 53 3.2 Auftragsklärung 5. Dauer der Präsentation Der Aufwand richtet sich nach der benötigten Zeit für die Präsentation, womit sowohl die Vorbereitungszeit als auch die Dauer der Präsentation gemeint ist. Gesamtaufwand für eine Projektdiagnose eines Projektes mittlerer Größe Personen Form Zeit Kontaktgespräch mit Auftraggeber Dieses Gespräch wurde nicht berechnet. Einzelgespräch 2 h Klärungsbesprechung mit Entscheidungsträgen Meeting 3 h Dokumentenanalyse Lesen/ nachfragen 5 h Projektsponsor Einzelinterview 1 h Projektleitung Einzelinterview 2 h Teilprojektleitung 1 Einzelinterview 1,5 h Teilprojektleitung 2 Einzelinterview 1,0 h Teilprojektleitung 3 Einzelinterview 1,5 h Subteam 1 Gruppeninterview 3,0 h Subteam 2 Gruppeninterview 3,0 h Subteam 3 Gruppeninterview 2,0 h Subteam 4 Gruppeninterview 3,0 h Line Managerin A Einzelinterview 1,0 h Line Manager B Einzelinterview 1,0 h Bereichsleiterin C und Line Manager C Einzelinterview 1,5 h 3 Projektmitarbeiter: innen Gruppeninterview 3 h Datenanalyse 9,0 h Ausarbeitung der Präsentation 5,0 h Präsentation mit Diskussion und Maßnahmenplan Workshop 6,0 h Gesamtaufwand 51 h 54 3 Auftragsklärung 3.2.2 Wie erreiche ich einen klaren Auftrag? Am Ende der Auftragsklärung gibt es einen unterschriebenen Diagnoseauftrag, der drei Kriterien erfüllen muss: 1. Die wichtigen Inhalte des Diagnoseauftrags sind richtig ausgearbeitet. 2. Die Inhalte sind allen Beteiligten klar. 3. Die Inhalte werden von allen akzeptiert. Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Auftrag für Projektdiagnosen mit drei Kriterien Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Inhalte Richtig? Kommentar Verstanden? Kommentar Akzeptiert Kommentar Ziele, Abgrenzung, Rah‐ menbedingungen Systemgrenze Rollen Vorgehensweise Rechtliche Rahmenbedin‐ gungen Organisatorisches Abstimmungsprozesse und Informationsfluss Zeitplanung Aufwandschätzung, Kosten Die Inhalte des Projektauftrags zu kennen ist eine notwendige, doch keine hinreichende Bedingung, entscheidend ist letztlich, wie gut die Klärung gelungen ist. Wie kann das gelingen? Auf einen einfachen Nenner gebracht: Fragen, nachfragen, auf unklare Aus‐ sagen hinweisen, dem Erwartungsdruck standhalten und klare Position beziehen. Es sollte nicht unterschätzt werden, dass Diagnostiker: innen durch ihre Positionierung ihre Akzeptanz steigern können. 55 3.2 Auftragsklärung 3.2.2.1 Empfehlungen zur Auftragsklärung ■ Professionelles Rollenbewusstsein entwickeln und klare Position beziehen Selbstverständlich, Auftraggeber: innen entscheiden über die Ziele der Diagnose, die Systemgrenze und welche Themenkomplexe analysiert werden sollen und welche nicht. Doch dürfen sich Diagnostiker: innen auf keinen Fall als bloße Auftragsempfänger: innen verstehen, die nur das zu erfüllen haben, was Auftragge‐ ber: innen von ihnen verlangen. Die Auftragnehmer: innen müssen die Auftragge‐ ber: innen beraten, beispielsweise bei der Definition der sinnvollen Systemgrenze für das Projekt, bei der Auswahl der Diagnosefelder und bei der Methodenwahl. Sie müssen unrealistische Termine zurückweisen und die Auftraggeber: innen vor überhöhten Erwartungen warnen. Man muss aufzeigen, was die Diagnose leisten kann und was nicht, auch dann, wenn es den Auftraggeber: innen nicht gefällt. Vorauseilender Gehorsam, um die Erwartungen des Managements auf jeden Fall zu erfüllen, ist eine denkbar schlechte Voraussetzung für eine erfolgreiche Diagnose. Daraus folgt, um sich abzugrenzen, darf man nicht ständig darauf achten, beliebt zu sein. Nur Profillose haben keine Ecken und Kanten. ■ Gute Kommunikation ist entscheidend □ Wer klären will, muss fragen und wer etwas nicht versteht, muss nachfragen. Zur Zielklärung können Sie hypothetische Fragen stellen: „Was ist erreicht, wenn die Diagnose erfolgreich durchgeführt wird? Was ist dann gegenüber heute anders? “ Auf diese Weise können Sie gemeinsam eine klare Zielvor‐ stellung entwickeln. □ Prüfen Sie, ob Sie die Aussagen der Gesprächspartner: innen wirklich begriffen haben. Vorsicht mit Interpretationen, falls Sie etwas nicht verstehen, bitten Sie stattdessen um Beispiele und Konkretisierungen. Drücken Sie Unklarhei‐ ten oder Irritationen aus, eine gute Methode, um zu klären. Professionelle Diagnostiker: innen schätzen und nutzen ihre Irritationen. □ Fassen Sie die Aussagen der Auftraggeberin zusammen und prüfen Sie, ob sie das gleiche Verständnis haben. Scheuen Sie sich nicht, unterschiedliche Sichtweisen zu verdeutlichen. ■ Eigene Annahmen kritisch hinterfragen Auch im Auftragsklärungsprozess können uns die eigenen Annahmen in die Irre leiten. Vor einigen Jahren hatten wir, eine Kollegin und ich, den Auftrag für die Diagnose eines IT-Projektes in einem Krankenhaus erhalten. An der Auftragsklärung war auch der ärztliche Direktor des Krankenhauses aktiv beteiligt. Am Ende des Meetings waren wir davon überzeugt, dass wir einen klaren Auftrag erreicht hatten, was sich allerdings als Irrtum herausstellte. Im Verlaufe der Interviews zeigte sich schnell, dass die meisten Chefärzte nicht das geringste Interesse an der Projektdiag‐ nose hatten. Wir waren sehr verwundert über den passiven und teilweise aktiven Widerstand der Chefärzte, gingen wir doch davon aus, dass der ärztliche Direktor 56 3 Auftragsklärung auch die Meinung der Chefärzte vertrat. Diese Annahme war falsch und deshalb hatten wir nicht hinterfragt, ob der ärztliche Direktor überhaupt autorisiert war, im Namen der Kollegen zu sprechen. Der Auftrag stand auf sehr tönernen Füßen und nach kurzer Zeit wurde die Aktion vom Initiator der Projektdiagnose, dem kaufmännischen Direktor des Krankenhauses, ohne großen Lärm ad acta gelegt. Selbstverständlich müssen wir laufend von Annahmen ausgehen und mit Prä‐ missen arbeiten. Wir brauchen sie, um uns zu orientieren, doch ungeprüfte An‐ nahmen können uns auf ein falsches Gleis führen. Deshalb lautet die Empfehlung, sich die eigenen Annahmen bewusst zu machen und zu hinterfragen. ■ Die Rückendeckung des eigenen Linienmanagements prüfen Rückendeckung der eigenen Führungskräfte ist eine wichtige Grundlage für die Arbeit der Diagnostiker: innen. Das gilt nicht nur für interne, sondern auch für externe Diagnostiker: innen. Die Linienmanager: innen sollten ihnen den Rücken freihalten und negative Einflüsse auf ihre Arbeit abschirmen. ■ Leidensdruck ermitteln Idealerweise gibt es keine Diagnose ohne Bereitschaft, etwas zu ändern. Klingt vernünftig, aber so ist es nicht immer. Die Diagnostiker: innen sollten ihre Anten‐ nen ausfahren und wahrnehmen, wieviel „Leidensdruck“ bezüglich des Projektes beim Auftraggeber und anderen Beteiligten vorhanden ist, denn ohne Leidens‐ druck besteht nicht unbedingt die Notwendigkeit, die erkannten Probleme zu lö‐ sen. Versuchen Sie, sich ein Bild zu machen, inwieweit die Auftraggeber: innen und andere Personen an den Ergebnissen der Projektdiagnose wirklich interessiert sind. Diese Empfehlung gilt nicht nur für die Startphase der Diagnose. ■ Eine fundierte Diagnose erfordert produktive Ruhe Zeitdruck ist ein tüchtiger Geselle, um operative Hektik und Unklarheit zu erreichen. Nehmen Sie sich die erforderliche Zeit, um alle Inhalte des Auftrags gründlich zu klären. Zu oft wird Zeitmangel als naturgegeben akzeptiert, viele setzen sich selbst unter Zeitdruck und übersehen oder übergehen vor lauter Speed Management offene Punkte. Die Art und Weise des Vorgehens hat Modellcharakter für die weitere Zusam‐ menarbeit im Projekt. Durch Klarheit und sicheres Auftreten verschaffen sich Diagnostiker: innen die notwendige Akzeptanz. Analysieren Sie Ihre eigene Ausgangssituation Zu guter Letzt ein kurzes Plädoyer für Selbstreflektion. Projektdiagnostiker: innen sollten zu Beginn und im weiteren Verlauf der Diagnose, auch ihre eigene Arbeit 57 3.2 Auftragsklärung analysieren und bewerten. Je weniger Erfahrung vorhanden ist, desto wichtiger ist die Selbstreflektion. Stellen Sie sich folgende Fragen ■ Kann ich die Ziele der Diagnose und den erwarteten Nutzen klar beschreiben? ■ Habe ich genügend Know-how und Erfahrung, diesen Auftrag zu übernehmen? ■ Habe ich genügend Zeit, die Diagnose bis zum Abschluss durchzuführen? Gerade bei internen Diagnostikern: innen spielt diese Frage eine wichtige Rolle. ■ Reizt mich diese Aufgabe oder ist es eher eine inhaltliche oder zeitliche Belastung, die ich am liebsten nicht wahrnehmen möchte? ■ Werde ich vom Auftraggeber die notwendige Unterstützung erhalten, vor allem dann, wenn Widerstände oder politische Querelen auftreten? ■ Habe ich genügend Rückendeckung vom eigenen Linienmanagement? ■ Bin ich bereit auch brisante Themen, die möglicherweise einigen Personen nicht gefallen werden, klar auszusprechen? ■ Erwarte ich negative Konsequenzen, wenn ich Probleme, die vom Manage‐ ment verursacht werden, deutlich beim Namen nenne? ■ Fühle ich mich gewappnet, mit Widerständen oder politischen Spielen souve‐ rän umgehen? ■ Wie gehe ich mit Zeit- und Leistungsdruck um? Inwieweit setze ich mich selbst unter Erfolgsdruck und verhindere auf diese Weise eine professionelle Auftragsklärung? 58 3 Auftragsklärung Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 1 Lewin, K. (1943). Psychology and the process of group living. Journal of Social Psychology, 17, 113- 131. Reprinted in The complete social scientist: A Kurt Lewin reader, (Gold, Martin, Ed) (1999) (pp. 333-345). Reprinted (in part) in Cartwright, 1951, Chapter 7. 4 Was Sie wissen sollten, bevor sie mit Diagnosen beginnen - Grundlagen der Projektdiagnose In diesem Kapitel lernen Sie grundsätzliche Aspekte und Empfehlungen für die Durchführung von Projektdiagnosen kennen, die weit über das rein Handwerkliche hinausgehen. Diese Grundlagen erscheinen mir wichtig, um den Horizont für die dia‐ gnostische Tätigkeit zu erweitern und auf Gefahren hinzuweisen, welche Diagnostiker: innen unbedingt kennen und beachten sollten. 4.1 Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie 1 Mit Checklisten alleine ist es nicht getan. Wer Frage für Frage mit Hilfe eines Fragen‐ katalogs abhakt, wird keine fundierten Informationen gewinnen. Fundiert bedeutet, dass die Diagnostiker: innen nicht an den Symptomen wie Zeit- oder Budgetüber‐ schreitungen hängenbleiben, sondern sie erkennen und verstehen auch die tieferen Gründe für Fehlentwicklungen. Ein Vorgehen nach Schema F, stets die Checkliste vor Augen, muss als oberflächlich und damit ungeeignet abgelehnt werden. Schematisches Vorgehen wird durch fachliche Unsicherheit, mangelndes Theorieverständnis und feh‐ lende Erfahrung verursacht, was leider allzu oft durch überstrukturiertes, methoden‐ fixiertes Vorgehen kompensiert werden soll. Einen Leitfaden für die Interviews zu nut‐ zen ist durchaus sinnvoll, doch von einem Standardkatalog, dem man möglichst genau zu folgen hat, ist dringend abzuraten. Gute Diagnostiker: innen sind in der Lage, ihre Fragen im Verlauf des Interviews auf Grund der bisherigen Erkenntnisse anzupassen, zu erweitern oder auf Fragen zu verzichten, die nicht mehr erforderlich sind oder sich als unpassend erwiesen haben. Leider wird die Theorie von vielen Praktikern abgewertet im Sinne von nicht pra‐ xistauglich oder gar weltfremd. Solche pauschalen und unreflektierten Aussagen kom‐ men meistens von denen, die sich nie ernsthaft mit Theorien über soziale Systeme wie Organisationen und Gruppen, Wahrnehmung oder Konfliktmanagement beschäftigt haben. Diagnostiker: innen sollten die Bedeutung einer guten Theorie schätzen. So bie‐ tet beispielsweise das Wissen über Strukturen und Verhalten und deren Wechselwir‐ kungen in sozialen Systemen eine hervorragende theoretische Basis, um Probleme in Projektteams und im gesamten Projekt besser zu verstehen. Für die Projektdiagnose, insbesondere für die Analyse des Projektteams, spielen Konfliktverlagerungsprozesse eine große Rolle. Die Diagnostizierenden sollten sich mit Konfliktverlagerungsproz‐ essen und der Psycho-Logik von Problemen intensiver beschäftigt haben. Kenntnisse über Komplexitätsmanagement helfen, das Geschehen in Projekten besser zu verste‐ hen. In diesem und im nächsten Kapitel beziehe ich mich an verschiedenen Stellen auf Theorien und beschreibe Modelle, die Ihnen helfen können, Projekte besser zu analy‐ sieren. Ihre theoretischen Ansätze sollte Diagnostiker: innen reflektieren und kontinuierlich erweitern. Das möchte ich an einem Beispiel verdeutlichen: Gemeinsam mit einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie habe ich in einem Workshop die Zu‐ sammenarbeit in einem größeren Projektteam diagnostiziert. Anschließend haben wir die Ursachen der Probleme besprochen und stellten bald fest, dass wir unterschiedliche Ursachen für die Probleme in der Zusammenarbeit sahen. Die Psychotherapeutin sah die Ursachen vor allem im Verhalten der Beteiligten, in der Kommunikation und im Konkurrenzverhalten zwischen einigen Personen. Aus meiner Sicht lagen die Kernursachen für die schlechte Zusammenarbeit außerhalb des Teams, in unklaren Zuständigkeiten und in Interessenkonflikten zwischen Organisationseinheiten. Offen‐ bar arbeiteten wir mit unterschiedlichen theoretischen Ansätzen, die zu verschiedenen Ergebnissen führten. Idealerweise lassen sich die verschiedenen Ansätze produktiv zu einem Ganzen verbinden. Diagnostiker: innen sollten ihre theoretischen Ansätze und Konzepte von Zeit zu Zeit überprüfen und erweitern. Sehr hilfreich kann der Austausch mit erfahrenen Kollegen, Fortbildungen und das Literaturstudium sein. Doch Theorien und Modelle allein können die Wirklichkeit nicht umfassend erklären. Sie bieten uns zwar gute Dienste, um das Geschehen besser einzuordnen, aber Praktiker: innen müssen über die Grenzen der Theorie hinausgehen, ihre Erfahrungen nutzen und auch der Intuition genügend Raum geben, um hinter die Kulissen des Projekte zu schauen. 4.2 Diagnose bedeutet Konstruktion von Realität In einer Zeitung las ich vor einigen Jahren eine Schlagzeile, die in wunderbarer Weise das Thema Wirklichkeitskonstruktionen wiedergibt. Geisterfahrerin rief die Polizei - Mir kommen so viele entgegen! Offenbar hatte die Fahrerin eine völlig andere Wirklichkeit im Kopf als alle anderen Verkehrsteilnehmer. In Extremfällen kann das sehr böse enden. Wir können davon ausgehen, dass sie im Augenblick ihres Hilferufs bei der Polizei nicht in der Lage war, ihre Wirklichkeitskonstruktion zu hinterfragen. 60 4 Was Sie wissen sollten, bevor sie mit Diagnosen beginnen - Grundlagen der Projektdiagnose Unser Wissen, unsere Erwartungen, Werte oder Vorurteile bestimmen, wie wir die Welt wahrnehmen und beurteilen. Allgemein ausgedrückt: Wir konstruieren uns un‐ sere Wirklichkeit selbst. Ein bekanntes Beispiel zur Veranschaulichung: Zwei Personen betrachten im selben Augenblick, bei gleichen Lichtverhältnissen ein Wasserglas. X behauptet, das Glass ist halb voll, B das Glas halb leer. Selbstverständlich lässt sich der Inhalt des Glases mit einfachen Mitteln leicht objektiv feststellen und in Liter oder Gramm exakt wiedergeben. Theoretisch ausgedrückt haben wir es in diesem Beispiel mit zwei Wirklichkeiten zu tun, die in der Theorie unterschieden werden in Wirklich‐ keit erster Ordnung und Wirklichkeit zweiter Ordnung. Mit Wirklichkeit erster Ord‐ nung ist die exakte Wassermenge im Glas gemeint. Bei der Wirklichkeit zweiter Ord‐ nung handelt es sich darum, wie beide Personen den Inhalt wahrnehmen. Was hat dieses Beispiel mit Projektdiagnose zu tun? Das Projektbudget ist um € 320.000 über‐ schritten, diese Zahl wurde vom Controlling nüchtern festgestellt. In der folgenden Diskussion wurde lange darüber diskutiert, ob diese Budgetüberschreitung ein Problem darstellt oder nicht. Die Projektcontrollerin bewertet sie als ein ernsthaftes Problem, Marketing dagegen spricht von einer völlig normalen Situation angesichts der Größe und Bedeutung des Projektes. Offenbar bestehen unterschiedliche Wirklichkeiten und genau darauf kommt es bei Projektdiagnosen an. Die Sichtweisen der Beteiligten müs‐ sen ermittelt und die Unterschiede deutlich aufgezeigt werden. Diagnostiker: innen müssen sich stets darüber im Klaren sein, dass eine Projektdi‐ agnose nie objektiv sein kann und das aus mehrfachen Gründen: ■ Die Projektdiagnose wird durch die Diagnostiker: innen beeinflusst, durch ihren theoretischen Background, ihre Werte und Einstellungen, die Art und Weise ihrer Gesprächsführung, durch ihre Beziehungen zu den Befragten und nicht zuletzt durch ihre finanziellen und psychosozialen Abhängigkeiten. Um es noch einmal zu betonen, man muss sich vom Anspruch der Objektivität verabschieden, aber nicht vom Anspruch der Neutralität als Voraussetzung für professionelle Arbeit. Die eigenen Ansprüche, Interessen, Lieblingsideen und Herangehensweisen dür‐ fen nicht ausblendet werden, sondern man muss sie wahrnehmen, reflektieren, um die notwendige Neutralität nicht zu gefährden. ■ Die ermittelten Fehlentwicklungen werden häufig von den Beteiligten unter‐ schiedlich gesehen und bewertet. Für einige sind die erkannten Probleme normal, für andere kritisch, jedoch nicht handlungsrelevant und für dritte gravierend. Was als Fehlentwicklung oder Projektkrise bewertet wird, entzieht sich der Objektivität, die Antwort wird von den Entscheidungsträgern „ausgehandelt“. Diagnose bedeutet Konstruktion von Realität. Die Annahme, es gäbe nur eine Wirklichkeit, ist reine mentale oder emotionale Selbsttäuschung. 61 4.2 Diagnose bedeutet Konstruktion von Realität 2 K. Doppler, C. Lauterburg, Change Management, Campus Verlag, Frankfurt, N.Y., 1994, S. 92) 4.3 Die eigene Fokussierung reflektieren Das Thema Fokussierung schließt sich lückenlos an das Thema Wirklichkeitskonstruk‐ tionen an. Erkennen, analysieren und bewerten hängen immer von der Fokussierung der Betrachter: innen ab. „Eine tendenziöse Verengung des Blickwinkels führt zu einer ebenso tendenziösen Einschränkung des Handelns“ 2 . Deshalb müssen die eigenen Annahmen, Prämissen oder Vorurteile, seien sie positiv oder negativ, kritisch hinterfragt werden. Das erfordert mentale Offenheit und pro‐ duktive Nachdenklichkeit. Diagnostiker: innen sollten sich ihre Fokussierungen be‐ wusst machen, also mental und emotional der Frage nachgehen, mit welcher Perspek‐ tive sie eine Situation be- und durchleuchten. Zwei Arten der Fokussierung können im Rahmen der Projektdiagnose unterschieden werden. 4.3.1 Fokussierung nach fachlichen Aspekten Der fachliche Background der Diagnostiker: innen, ihre Ausbildungen und Erfahrungen in Projekten und in der Linie beeinflussen ihre Herangehensweise. Jemand, der sich in‐ tensiv mit Qualitätsmanagement im Unternehmen beschäftigt hat, wird wahrscheinlich mit einem anderen Blickwinkel den Zustand des Projektes betrachten als ein anderer mit einer psychologischen Ausbildung oder ein dritter mit einem Marketingback‐ ground. Mitarbeiter: innen, die auf Prozesse und Methoden des Projektmanagements fi‐ xiert sind, konzentrieren sich möglicherweise stärker auf die formalen Abläufe im Pro‐ jekt als eine Person mit einer ausgeprägten Fokussierung auf Konflikte und Machtprozesse. Natürlich bringen wir alle unseren fachlichen Hintergrund und Erfah‐ rungen ein, doch müssen wir uns bewusst machen, mit welcher fachlichen Perspektive und Neigung wir das Projekt analysieren und wo unsere qualifikatorischen Grenzen sind. Ohne Zweifel ist es vorteilhaft, wenn jemand in der Lage ist, das Projekt aus ver‐ schiedenen Richtungen diagnostizieren. Möglichkeiten der Fokussierung ■ Zusammenarbeit im Team erkennen ■ Richtige Fragen zur Planung oder zur Projektaufbauorganisation stellen ■ Sich auf den formalen Projektmanagement-Prozess konzentrieren ■ Strategische Bedeutung des Projektes verstehen ■ Technische Probleme nachvollziehen ■ Konflikte unterscheiden und die Stabilität von Konflikten verstehen ■ Analyse von Machtprozessen im Unternehmen 62 4 Was Sie wissen sollten, bevor sie mit Diagnosen beginnen - Grundlagen der Projektdiagnose Idealerweise würde Diagnostiker: innen alle Gebiete beherrschen - eine unrealistische Vorstellung. Ein so umfassendes Know-how wird es in der Realität nicht geben, deshalb ist die genaue Zielklärung über die Inhalte der Diagnose von so großer Bedeutung. Es versteht sich von selbst, dass für eine profunde Einschätzung der fachlichen Situation des Projektes (Bewertung der Zwischenergebnisse, technische Probleme und Erfolgsaussichten des Projektes) zwingend das Fachwissen an die erste Stelle rückt. Ich halte diese fachliche Beschränkung nicht für problematisch, die Diagnostiker: in‐ nen müssen allerdings wissen und klar kommunizieren, was sie beherrschen und was nicht, ansonsten ist man ein Scharlatan, d. h. ein bezahlter Dilettant. Qualitätsmanagement Engineering Psychologie „Strategie“ PM - Methoden Controlling „Prozessberatung“ Marketing Biologie Produktion Abb. 5: Fokussierung unter fachlichen Aspekten 4.3.2 Fokussierung unter psychologischen Aspekten Neben der fachlichen spielt die Fokussierung unter psychologischen Aspekten eine wesentliche Rolle. Was damit gemeint ist, lässt sich mit wenigen Fragen erklären: ■ Worauf richte ich mein Augenmerk? ■ Wodurch werde ich in meiner Wahrnehmung und meinen Aktionen beeinflusst? Mit der psychologischen Fokussierung ist eine besondere Herausforderung verbunden, denn Diagnostiker: innen sollten in der Lage sein, zu erkennen, welche Einflüsse die Einstellung, die Wahrnehmung, Sympathie/ Antipathie, Vorurteile, Abhängigkeiten und nicht zu vergessen das Selbstvertrauen auf die diagnostische Arbeit haben. Die Übersicht zeigt wichtige psycho-soziale Faktoren, welche die Fokussierung der Diagnostiker: innen im Verlauf der gesamten Diagnose, von den Vorgesprächen bis zur Präsentation der Diagnoseergebnisse, beeinflussen können. 63 4.3 Die eigene Fokussierung reflektieren 1 Konsens und Unterschiede offen oder (zu) vorsichtig? Probleme und Stärken Schuldfragen oder Interaktionsansatz? neutral oder parteiisch? oberflächlich oder zu detailliert? ruhig oder getrieben? Sympathie oder Antipathie Hierarchische Einflüsse Eher optimistisch oder pessimistisch Abb. 6: Fokussierung unter psychologischen Aspekten 4.4 Konsens und Dissens Es ist absolut normal, dass sich in einer Diagnose Konsens und Dissens zeigen, die Beteiligten die gleiche Sichtweise über die Stärken und Schwächen der Projektarbeit äußern oder Probleme sehr unterschiedlich schildern bzw. bewerten. Die Sichtweisen können so weit auseinanderliegen, dass man meinen könnte, es handelt sich um zwei völlig verschiedene Projekte. Ein Klassiker ist die Bewertung der Projektmitarbeiter: in‐ nen über den Informationsfluss im Projekt. Einige sind mit dem Informationsfluss zufrieden, eine zweite Gruppe meint, die Informationen könnten reduziert werden und eine dritte fühlt sich schlecht informiert. Dieses Bespiel gilt in ähnlicher Form für die Frage, ob die Frequenz der Teammeetings ausreicht. Darüber können die Akteure immer wieder diskutieren. In Interviews wurde deutlich, dass in einem Entscheidungs‐ gremium unterschiedliche Meinungen bestehen, ob der Endtermin verschoben werden soll oder nicht. Die Bespiele ließen sich fortsetzen. Entscheidend ist, dass im Rahmen der Diagnose Konsens und Dissens erkannt, analysiert und aufgezeigt werden. 4.5 Stärken und Schwächen Es ist verführerisch, sich einseitig auf Probleme zu fokussieren, denn besteht nicht die Aufgabe der Diagnostiker: innen gerade darin, die Schwachstellen zu erkennen, dafür 64 4 Was Sie wissen sollten, bevor sie mit Diagnosen beginnen - Grundlagen der Projektdiagnose wird man schließlich bezahlt. Selbstverständlich müssen die Probleme ermittelt werden und hier liegt der Schwerpunkt der Diagnose. Dennoch sollte auch nach den Stärken der Projektarbeit gefragt werden. Gerade wenn in einem Interview nur Probleme ge‐ schildert werden, frage ich gerne nach den Stärken der Projektarbeit, um zu erfahren, ob überhaupt Positives gesehen wird. Wenn man nur das Schlechte sieht, kommt man schnell zu einem einseitigen Bild und zu falschen Empfehlungen. Auch für die Präsen‐ tation der Diagnoseergebnisse ist es besser, auch positive Punkte aufzuzeigen, denn Probleme lassen sich dann besser verdauen. 4.6 Oberflächlich oder zu detailliert? Wer zu oberflächlich fragt, wird keine substantiellen Informationen erhalten. Die simple Frage, ob es einen Sponsor gibt, bietet keinen Nutzen, wenn nicht weitere Fragen zum Projektsponsor folgen, wie z.B. „Unterstützt der Sponsor das Projekt? “ oder „Welchen Einfluss hat die Sponsorin auf die Entscheidungen des Steering Com‐ mittees“? Wird die erste Frage mit einem Nein beantwortet, so bietet sich eine weitere Vertiefungsfrage an: „Warum unterstützt der Sponsor das Projekt nicht? “ Mit solchen Fragen erreicht man viel mehr Tiefe. Andererseits sollte man sich nicht zu sehr in Details verlieren, sondern überlegen, ob weitere vertiefende Fragen noch einen angemessenen Beitrag liefern oder gar über das Ziel hinausschießen. Die Frage, warum die Projektleitung ein Zertifikat beim Project Management Institute und nicht bei der Gesellschaft für Projektmanagement erworben hat, erscheint mir überflüssig. Unangemessen wäre es, die Projektmitarbeiter: innen oder Führungskräfte zu fragen, durch welche Unterstützung es der Projektsponsor überhaupt geschafft hat, in die Geschäftsführung zu kommen. Solche Antworten lassen sich später nicht verwerten. 4.7 Neutral oder parteiisch? Diagnostiker: innen sollten möglichst unvoreingenommen, vorurteilsfrei Daten sam‐ meln und auf tendenziöse Fragen verzichten. Niemand wird vermutlich diesen An‐ spruch bestreiten. Doch so einfach ist es in der Praxis nicht immer, wie das folgende Beispiel zeigt: In Gesprächen mit Projektmitarbeiter: innen werden Entscheidungspro‐ bleme des Lenkungsausschusses eindrucksvoll geschildert. Fast das gesamte Team beklagte sich über die „Ignoranz“ (wörtliche Wiedergabe) der Führungskräfte, die nicht fähig oder nicht bereit sind, ihre Zuständigkeitsprobleme zu lösen. Der Diagnostiker konnte die Kritik der Projektmitarbeiter: innen emotional gut nachempfinden und war schon sehr gespannt auf die folgenden Interviews mit den Führungskräften. In diesen Gesprächen bohrte er immer wieder nach, um eine Bestätigung der Aussagen der Projektmitarbeiter: innen zu erhalten. Offensichtlich hatte er sich unbewusst mit „der Notlage“ der Projektmitarbeiter: innen identifiziert und somit seine Neutralität, seinen 65 4.6 Oberflächlich oder zu detailliert? diagnostischen Abstand verloren. Parteilichkeit zeigt sich oft im Kommunikationsver‐ halten, statt offen und sachlich zu fragen, wird nachgebohrt oder in Extremfällen steckt bereits in einer Frage ein Vorwurf. Neutralität darf auf keinen Fall verwechselt werden mit wertneutral. Neutralität bezieht sich auf die Fragen selbst und die Art und Weise der Gesprächsführung. Bei der Datenanalyse und der Bewertung der Ergebnisse müssen sich die Dia‐ gnostiker: innen selbstverständlich positionieren, hier hat Neutralität keinen Platz. Unter diesem Gesichtspunkt kann Diagnose nicht wertneutral sein. 4.8 Sympathie und Antipathie Zuneigung, Wohlwollen oder Attraktivität beeinflussen unser Verhalten ebenso wie die Ablehnung einer anderen Person und Widerwillen, sich mit jemanden länger zu unterhalten. Das ist weder neu noch besonders bemerkenswert, dennoch ist es wichtig für die Diagnose. Man sollte sich in einem Interview stets bewusst machen, inwieweit man sich durch Sympathie bzw. Antipathie in der Gesprächsführung beeinflussen lässt. Um das eigene Verhalten zu reflektieren, können Sie sich folgende Fragen stellen: ■ Wie stehe ich zu meinem Gesprächspartner? ■ Was löst das Verhalten der Gesprächspartnerin bei mir aus? ■ Inwieweit lasse ich mich durch das Verhalten im Gespräch steuern? 4.9 Hierarchische Einflüsse Projektdiagnosen finden nicht im hierarchiefreien Raum statt. Sie können durch Erwartungen von Führungskräften, durch Zeitdruck ´von oben` oder durch direkte und indirekte Einflussnahme auf Themen und Interviewpartner: innen in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Das gilt sowohl für Interne als auch für Externe, wobei es Externe auf Grund ihrer Unabhängigkeit leichter haben sollten, diesen Einflüssen souveräner zu begegnen. Man kann nicht verhindern, dass jemand versucht, Macht auf Grundlage seiner Position im Unternehmen auszuüben, doch können die Diagnos‐ tizierenden daran arbeiten, negativer Machtausübung souveräner zu begegnen. Sie müssen die Erwartungen der Auftraggeber: innen der Diagnose nicht als unumstößliche Anweisung verstehen, sondern sie sollten ihre eigene Meinung zum Wohle eines guten Ergebnisses klar äußern. Gerade unerfahrene Diagnostiker: innen ist zu empfehlen, ihr eigenes Verhalten zu prüfen. 66 4 Was Sie wissen sollten, bevor sie mit Diagnosen beginnen - Grundlagen der Projektdiagnose 3 G. Lomnitz, Autorität-mehr als nur ein Schlagwort, in Projektmagazin 10/ 2014 Hierarchische Einflüsse reflektieren ■ Von welchen Personen lasse ich mich besonders stark beeinflussen? ■ Warum ist mir die Meinung dieser Personen besonders wichtig? ■ Wodurch lasse ich mich beeinflussen? Mit welchen Mitteln, Methoden wird Einfluss auf mich ausgeübt? Das Spektrum geht von Anweisungen, über Anerkennung bis zum Packen bei der Ehre („Wenn es jemand schafft, dann sind Sie es“) 3 ■ Hinterfrage ich unklare Aussagen oder neige ich dazu, diese zu interpretieren, statt sie kritisch zu prüfen? ■ Was würde passieren, wenn ich die Erwartungen der Person nicht erfülle? 4.10 Schuldfragen und/ oder Interaktionsansatz? Sicher, es passiert immer wieder, dass eine Person oder ein Team durch schlechte Arbeit ein erhebliches Problem verursacht haben, sei es, dass etwas übersehen wurde oder jemand einfach keine Lust hatte, seine Aufgabe gründlich zu erledigen. Ich halte es für notwendig, solche Fakten im Diagnosebericht aufzuzeigen, auch wenn dabei die Anonymität aufgegeben wird. So unangenehm es auch sein mag, wenn es notwendig ist, muss man Ross und Reiter nennen, ohne Rücksicht auf die hierarchische Position. Doch sollte man behutsam mit Schuldfragen umgehen. Stattdessen können Probleme bzw. Fehlleistungen auch mit Hilfe des Interaktionsansatzes verstanden werden. Was ist damit gemeint? ■ Bei der Schuldfrage geht es immer um die Suche nach dem Verursacher, der das Problem zu verantworten hat, der Schuld hat für die Misere. ■ Beim Interaktionsansatz dagegen wird untersucht, ob die Ursachen für die Fehl‐ leistung einer Person oder einer Gruppe im Zusammenhang mit anderen Betei‐ ligten liegen, die Probleme werden also im Systemzusammenhang analysiert. Der diagnostische Blickwinkel wird erweitert und das ist ein wesentlicher Unterschied zu den manchmal recht einseitigen Schuldzuweisungen auf eine Person bzw. eine Gruppe. Hierzu ein kurzes Beispiel: Vor einigen Jahren wurde ich mit einer Pro‐ jektdiagnose für ein Produktentwicklungsprojekt in einem High Tech-Unterneh‐ men beauftragt. In Interviews schilderten mir die Teammitglieder und einige Füh‐ rungskräfte sehr offen, dass der Grund für die mangelnde Performance des Teams überwiegend in der Person des Projektleiters zu finden ist: Er sei zwar ein her‐ vorragender Softwareentwickler, aber entscheidungsschwach, wenig kooperativ und eher chaotisch. Über diese Bewertung herrschte Einigkeit. Auch auf mich 67 4.10 Schuldfragen und/ oder Interaktionsansatz? machte der Projektleiter einen unsicheren, ziemlich verschlossenen Eindruck. Was liegt näher als die Bewertung: „Der Projektleiter ist mit der Projektleitung deutlich überfordert, ein sofortiger Wechsel sollte möglich schnell erfolgen“. So lautete meine Empfehlung. Doch dann habe ich mit Hilfe des Interaktionsansatzes die Beleuchtung des Problems in eine andere Richtung gelenkt, die ich hier etwas verkürzt wiedergebe: „Der Projektleiter ist mit der Leitung des Projektes überfor‐ dert. Das wissen sowohl Projektmitarbeiter: innen als auch Führungskräfte seit längerer Zeit. Das eigentliche Problem liegt jedoch in der Auswahl des Projekt‐ leiters. Offensichtlich haben weder der Sponsor des Projektes noch der Linienma‐ nager des Projektleiters genügend Augenmerk auf die Auswahl der Projektleitung gerichtet. Weder der Sponsor noch der Vorgesetzte des Projektleiters sind ihrer Verantwortung nachgekommen, den Projektleiter rechtzeitig von dieser Aufgabe zu befreien. Ich empfahl für zukünftige Projekte, dass die verantwortlichen Füh‐ rungskräfte mehr Wert auf die erforderliche Qualifikation der Projektleitung le‐ gen“. Die Analyse und Bewertung bleibt also nicht am Symptomträger „schwacher Projektleiter“ hängen, sondern die Problematik wird mit dem Interaktionsansatz analysiert, d. h. auch die falsche Entscheidung des Managements wird als Teil des Problems diagnostiziert. 4.11 Optimistisch oder pessimistisch? Mit welcher Einstellung diagnostiziere ich, ist das Glas halb voll oder halb leer? Wer zu pessimistisch die Dinge betrachtet, sieht nur noch Schwierigkeiten und keine Verbesserungschancen. Andererseits, mit einem unreflektierten Optimismus, blauäugig, getrieben von einem naiven positiven Denken werden Probleme nicht richtig durchleuchtet oder beschwichtigend als eher unbedeutend falsch bewertet. Notwendig ist ein realistischer Optimismus, d. h., Fehlentwicklungen werden deutlich aufgezeigt und dennoch versucht, die Beteiligten zu ermutigen, Lösungen mit Reali‐ tätssinn anzupacken. Allein mit der Frage „worauf beruht mein Optimismus in einer konkreten Situation“ bzw. „wie begründe ich meinen Pessimismus“ können sich neue Perspektiven eröffnen. 4.12 Offen oder (zu) vorsichtig? Eine gute Diagnose steht und fällt mit offen Fragen und einem Diagnosebericht, der die Probleme ungeschönt darstellt. In Interviews müssen klare Fragen gestellt werden, auch wenn es sich dabei um persönlich unangenehme und politisch sensible Themen handelt. In der Zusammenarbeit mit internen und externen Diagnostikern: innen habe ich einige Male bemerkt, wie (über-)vorsichtig heikle Fragen gestellt wurden, vor allem in Interviews mit Managern: innen aus den „oberen Etagen“. Gegen geschicktes Fragen 68 4 Was Sie wissen sollten, bevor sie mit Diagnosen beginnen - Grundlagen der Projektdiagnose mit Fingerspitzengefühl ist nichts einzuwenden, doch wenn die Katze zu lang um den heißen Brei herumschleicht, erhält sie zu wenig Nahrung. Die Interviewer: innen sollten sich während des Gesprächs bewusst machen, inwieweit sie sich von der Persönlichkeit der Gesprächspartner: innen beeinflussen lassen. Das ist sicher nicht immer einfach, aber auf jeden Fall hilfreich. Auch bei der Formulierung von Diagnoseberichten spielt „offen oder zu vorsichtig“ eine wichtige Rolle. Einerseits müssen die Aussagen konkret und verständlich sein, andererseits sollte auf die Verdaubarkeit der Wortwahl geachtet werden. Provokation muss nicht schlecht sein, aber sie darf nicht verletzen. In einem mittelständischen Unternehmen kritisierten zwei Projektmitarbeiter die Arbeitsweise der Konstruktionsabteilung ziemlich drastisch: „Die Konstruktion kommt nicht in die Gänge, der Leiter ist kein Macher, sondern ein sturer Verwalter“. Diese Aussage wurde im Diagnosebericht als Überschrift zum Thema Zusammenarbeit mit der Konstruktion übernommen. Der Widerstand des Konstruktionsleiters und die Solidarisierung ande‐ rer Führungskräfte mit ihrem Kollegen folgten auf dem Fuß. 4.13 Gelassen oder getrieben? Ruhe und Nachdenklichkeit sind wichtige Voraussetzungen für eine fundierte Dia‐ gnose. Interviewer: innen sollten mit Ruhe ihre Fragen stellen und sich nicht vom Zeitdruck oder der Hektik der Gesprächspartner: innen unter Druck setzen lassen. ■ Je hektischer Gesprächspartner: innen agieren, desto mehr Ruhe ist ratsam - das ist eine gute Formel. ■ Auf ein Interview sollte nicht direkt das nächste folgen, sondern ausreichend Zeit vorhanden sein, um das letzte Gespräch Revue passieren zu lassen und nachzu‐ denken, ob sich weitere Fragen daraus ergeben. Deshalb sollten die Interviews so geplant werden, dass zwischen den Gesprächen eine Zeitspanne von 15 bis 20 Minuten liegt. ■ Um eine qualifizierte Analyse und Bewertung aus den verschiedenen Interviews herauszuarbeiten, muss genügend Zeit zum Nachdenken vorhanden sein. Es ist sehr fragwürdig, wenn mittwochs die letzten Interviews stattgefunden haben und für den darauffolgenden Tag bereits die Präsentation der Ergebnisse geplant ist. Wann bleibt dann noch Zeit, die Ergebnisse der Datensammlung gründlich zu analysieren, zu ordnen und zu bewerten? Interessanterweise bewerten manche Auftraggeber: innen dieses Tempo als professionelle Leistung. Bleibt zu fragen, ob sie sich auf diese Weise nicht selbst betrügen. Erläutern Sie, wieviel Zeit Sie für die Datenaufbereitung benötigen. Dieses Thema gehört zur Auftragsklärung. 69 4.13 Gelassen oder getrieben? 4.14 Die eigenen Annahmen kritisch hinterfragen Von welchen Annahmen ging er aus? Offensichtlich von einer völlig falschen An‐ nahme, mit den Folgen muss er leben (oder auch nicht mehr). Abb. 7: Eigene Annahmen überprüfen Oft, ich vermute zu oft, gehen wir von Annahmen aus, ohne uns bewusst zu machen, inwieweit diese zutreffen. Natürlich können wir im Alltag nicht ständig unsere An‐ nahmen hinterfragen, das wäre zum einen viel zu anstrengend und zum anderen würde es unser Handeln erheblich beeinträchtigen. Aber im Rahmen der Diagnose ist es not‐ wendig, sich die eigenen Annahmen und Prämissen bewusst zu machen. Die eigenen Annahmen zu hinterfragen ist eine Grundvoraussetzung für eine fundierte Diagnose, denn unsere Annahmen beeinflussen unsere Wahrnehmung und damit die Daten‐ sammlung erheblich. Einige Beispiele zur Verdeutlichung: ■ Die Projektleitung wird gefragt, warum sie gerade diesen Projektmitabeiter, mit dessen Leistung sie nicht zufrieden ist, ausgewählt hat. Die Interviewerin geht von der Annahme aus, dass die Projektleitung den Mitarbeiter selbst ausgewählt hat. Stimmt diese Annahme? Möglicherweise hat die Projektleitung überhaupt keinen Einfluss auf die Auswahl der Projektmitarbeiter: innen. 70 4 Was Sie wissen sollten, bevor sie mit Diagnosen beginnen - Grundlagen der Projektdiagnose Ungeprüfte Annahmen können zu falschen Diagnosen führen. Projektdiagnose hat nicht das Ziel, die eigenen Annahmen zu bestätigen, sondern eine fundierte Analyse auf Grundlage möglichst großer Neutralität im Denken und Handeln zu erreichen. Zwei Beispiele: ■ Zu Beginn eines Interviews mit dem Projektteam sollten die Diagnostiker: innen sich vergewissern, ob die Teilnehmenden über die Ziele der Diagnose informiert worden sind, so wie es im Vorfeld mit der Projektleitung vereinbart wurde. Sie können nicht davon ausgehen, dass alle Projektmitarbeiter: innen den gleichen Informationsstand haben, möglichweise haben sie die Information nicht erhalten oder nicht gelesen. ■ In einem Vorgespräch zum Thema Diagnose des Projektportfolio Managements mit Führungskräften eines größeren Unternehmens ging ich davon, dass alle Teilnehmer: innen des Meetings das gleiche Verständnis über Projektportfolio Management haben. Im Laufe der Sitzung wurde mir durch die Fragen der Anwe‐ senden und daraus resultierend meiner eigenen Irritation schnell klar, dass meine Prämisse „es gibt ein gemeinsames Verständnis“ offensichtlich falsch war, denn die Vorstellungen über die Ziele und Aufgaben des Projektportfolio Managements gingen weit auseinander. Ich habe im Laufe meiner langjährigen Berufserfahrung mehr und mehr gelernt, meine eigenen Irritationen zu schätzen und zu nutzen. Nutzen Sie Ihre eigenen Irritationen und auch die Irritation anderer, um Unklar‐ heit zu erkennen. Schieben Sie Unklarheiten nicht beiseite, sondern begreifen Sie diese als Chance, um zu klären. 4.15 Um ein Problem zu lösen, muss man sich vom Problem lösen. Um eine Diagnose durchzuführen, ist ein gewisser diagnostischen Abstand erforder‐ lich. Andersherum, je stärker die Diagnostiker: innen selbst in das Projektgeschehen involviert sind, desto weniger sind sie in der Lage, die Diagnose selbst durchzuführen. Öfters bin gefragt worden, ob die Projektleitung die Diagnose für das eigene Projekt durchführen sollte. Die Antwort lautet: Nein, denn es besteht ein Rollenkonflikt: Auf der einen Seite leitet die Person das Projekt und ist somit verantwortlich bzw. mitver‐ antwortlich für die Fehlentwicklungen. Auf der anderen Seite müsste sie als Diagnos‐ tiker des eigenen Projektes möglichst neutral mit genügend diagnostischem Abstand die Probleme ermitteln und bewerten - ein wahrer Rollenkonflikt. Folglich müsste sich die Projektleitung wegen Befangenheit selbst ablehnen. Das bedeutet aber nicht, dass die Projektleitung auf den Handwerkskoffer der Projektdiagnose für das eigene Projekt verzichten sollte. Selbstverständlich können die Diagnosefelder und die damit verbun‐ den Fragen auch für das eigene Projekt genutzt werden und die Zusammenarbeit im Team mit den Projektmitarbeitern: innen analysiert werden. Ich gehe noch einen Schritt 71 4.15 Um ein Problem zu lösen, muss man sich vom Problem lösen. weiter, wenn Projektleiter: innen die Situation ihrer Projekte gründlich und rechtzeitig analysieren würden, wäre manche Projektdiagnose überflüssig. Die Aussage „Um ein Problem zu lösen, muss man sich vom Problem lösen“ hat noch eine andere Bedeutung. Wenn man sich zu stark auf ein bestimmtes Problem im Projekt fixiert, werden möglicherweise andere Probleme vernachlässigt, weil der Weitblick fehlt. Hat man sich einmal auf eine Sichtweise festlegt, so erfordert es oft größere Anstrengungen, sich neuen Fragestellungen zu öffnen. Nicht umsonst spricht man von Engstirnigkeit und Scheuklappendenken. 4.16 Eigene Unsicherheiten wahrnehmen und reflektieren Es nutzt nichts, eigene Unsicherheit zu unterdrücken, auszublenden oder zu tabuisie‐ ren, sie findet dann andere Wege nach draußen. Unsicherheit hat verschiedene Facetten: ■ Fachliche Unsicherheit: Die Diagnostiker: innen können den Ausführungen im Interview inhaltlich nicht folgen und oft hilft auch kein Nachfragen, weil schlicht und ergreifend der fachliche Background fehlt, um die richtigen Fragen zu stellen und die Antworten zu verstehen. Ich kenne solche Situationen nur zu gut und habe daraus eine einfache Konsequenz gezogen. Bereits im Rahmen der Auftragsklärung der Diagnose mache ich deutlich, dass es bei der Diagnose nicht um technische, inhaltliche Themen geht und ich nicht in der Lage bin, im Detail in technische Themen einzusteigen. Diese Klarstellung entlastet ungemein. ■ Social Standing: Personal Standing gehört zum Repertoire der Diagnostiker: in‐ nen, denn manchmal schlägt einem ein rauer Wind entgegen in Form von Druck, Widerständen, unsachliche Aussagen, Polemik oder Intrigen. Damit müssen sie umgehen können und nicht aus dem Gleichgewicht geraten. Deshalb sollten sich die Diagnostizierenden auch mit ihrer emotionalen Unsicherheit konstruktiv auseinandersetzen, d. h. Schwächen erkennen und kontinuierlich daran arbeiten. 4.17 Diagnose ist eine Intervention in ein bestehendes Kraftfeld Durch die Diagnose werden Planungsfehler, schlechte Entscheidungen oder fehlende Verbindlichkeit deutlich. Bereichsegoismen kommen zur Sprache. Etablierte Arbeits‐ prozesse und gewohnte Zuständigkeiten werden durch die Analyse auf den Prüfstand gestellt. Das gefällt verständlicherweise nicht jedem. In einem Diagnosebericht wurde empfohlen, das Team „zu empowern“, also die Eigenständigkeit des Teams zu stär‐ ken und die Entscheidungskompetenzen der Projektmitarbeiter: innen zu erweitern. Demzufolge wäre der Einfluss des Linienmanagements auf die Teamarbeit deutlich eingeschränkt worden, denn häufiger wurden Teamentscheidungen von Linienmana‐ 72 4 Was Sie wissen sollten, bevor sie mit Diagnosen beginnen - Grundlagen der Projektdiagnose gern: innen ohne Abstimmung mit der Projektleitung geändert. Einige Führungskräfte waren mit dieser Empfehlung nicht einverstanden und lehnten sie als praxisuntauglich ab. Offenbar wurde mit dieser Empfehlung ein bestehendes Kraftfeld in Frage gestellt und das führt häufig zu Widerständen. Diagnostiker: innen sollten sich darüber im Klaren sein, dass sie mit ihrer Arbeit in ein bestehendes, erprobtes und manchmal liebgewonnenes Kraftfeld eingreifen, was zu Gegenreaktionen führen kann. Widerständen in den Interviews und in der Präsentation begegnen sie am besten mit Gelassenheit, Freundlichkeit und dem Bemühen, die Sichtweisen zu verstehen. 4.18 Hard Facts und Soft Facts sind wichtig Jedes soziale System, gleichgültig ob es sich um Unternehmen, Projekte, Teams oder Familien handelt, werden immer durch Hard Facts und Soft Facts geprägt. Folglich müssen beide Einflussfaktoren erkannt und analysiert werden. ■ Zu den Hard Facts gehören u. a. Ziele, Priorität, Zeitrahmen, Meilensteine, Budget, Zusammensetzung des Projektteams, Verträge, Regeln, Projektmanage‐ ment-Handbuch, Projektaufbauorganisation und viele andere Faktoren mehr. ■ Zu den Soft Facts zählen u. a. Kommunikationsstil, Umgang mit Konflikten, die Zuverlässigkeit im Projektteam und in Entscheidungsgremien, Vertrauen und Akzeptanz. 4.19 Strukturen und Verhalten und deren Wechselwirkungen Projektarbeit wird immer durch Strukturen und Verhalten beeinflusst. Ich verwende den Begriff Strukturelemente, die in ihrer Gesamtheit die Struktur bilden. Bildhaft ausgedrückt können Strukturelemente als Bausteine für die Projektarbeit verstanden werden. Es sind die Hard Facts, welche das Projekt beeinflussen. Das Verhalten der Beteiligten, die Soft Facts, ist die andere bestimmende Komponente. Erfolge oder Miss‐ erfolge lassen sich erfahrungsgemäß höchst selten entweder auf strukturelle Einflüsse oder auf Verhalten zurückführen, sondern man muss die Einflüsse von Strukturele‐ menten und von Verhaltensweisen und deren Wechselwirkungen erkennen und ver‐ stehen. So müssen beispielsweise die Auswirkungen von fehlenden Entscheidungs‐ kompetenzen oder von häufigen, schwer nachvollziehbaren moving targets auf die Motivation der Projektmitarbeiter: innen ermittelt werden. Aus diesen Aussagen ergeben sich für jede Projektdiagnose folgende Kernfragen. Sie können den Diagnostikern: innen als Leitfaden dienen. 73 4.18 Hard Facts und Soft Facts sind wichtig 1. Welche Strukturelemente beeinflussen die Projektarbeit? 2. Welche Abhängigkeiten bestehen zwischen den Strukturelementen? 3. Wie beeinflusst das Verhalten die Projektarbeit? 4. Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen Strukturelementen und Verhalten? 5. Stimmt die Balance zwischen Struktur und Spielraum? 1. Welche Strukturelemente beeinflussen die Projektarbeit? Zu den Strukturelementen gehören eine Vielzahl von Hard Facts beginnend von A wie Arbeitspaket, über B wie Budget bis zu Z wie Zwischentermine. Im nächsten Kapitel werden diese Strukturelemente (die Diagnosefelder und ihre Fragen) beschrieben. Im Abschnitt 5.2.4 geht es um die Analyse der Strukturelemente im Projektteam. 2. Welche Abhängigkeiten bestehen zwischen den Strukturelementen? Zwischen den verschiedenen Strukturelementen bestehen mehr oder minder starke Abhängigkeiten, die verstanden werden müssen. □ Eine sehr qualifizierte Projektmitarbeitern hatte das Projektteam verlassen. Wur‐ den die Auswirkungen auf die Projektziele und die Termine im Team analysiert und den Entscheidungsträgern klar mitgeteilt? □ In einem bereits laufendem Produktentwicklungsprojekt sollte auf Drängen des Vertriebs eine neue Technologie realisiert werden. Damit waren die internen Entwickler jedoch fachlich und zeitlich überfordert. Um die Anforderungen zu erfüllen, wurden externe Spezialisten hinzugezogen. Die zusätzlichen Anforde‐ rungen wirkten sich sowohl auf das Projektbudget als auch auf den Endtermin aus. Wurden diese Konsequenzen genügend beachtet? In der Projektdiagnose muss festgestellt werden, ob und in welchem Maße sich Veränderungen eines Strukturelementes auf andere auswirken. Werden diese Auswirkungen im Rahmen des Projekt Monitorings genügend beachtet? 3. Wie beeinflusst das Verhalten die Projektarbeit? Selbstverständlich müssen Diagnostiker: innen den Einfluss von Verhaltensweisen innerhalb und außerhalb des Teams erkennen und bewerten. Hierzu zählen eine Palette unterschiedlicher Punkte wie Vertrauen, offenes Feedback, transparente Entscheidun‐ gen, Umgang mit Konflikten oder der Einfluss von politischen Prozessen auf das Projektteam. All diese Themen gehören zu den Diagnosefeldern. 74 4 Was Sie wissen sollten, bevor sie mit Diagnosen beginnen - Grundlagen der Projektdiagnose 4. Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen Strukturelementen und Verhalten? Die Wechselwirkungen zwischen Strukturelementen und Verhalten müssen in der Projektdiagnose unbedingt erfasst werden. Wie wirken sich beispielsweise die unklare Priorität des Projektes oder ein unrealistischer Zeitrahmen auf das Engagement der Projektmitarbeitern: innen aus? Welchen Einfluss hat die mangelnde Verbindlichkeit oder das fehlende Engagement eines Projektmitarbeiters auf die Termineinhaltung oder die Rollen im Team? Die Wechselwirkungen zwischen den Strukturelementen und Verhalten müssen Diagnostizierende erkennen und richtig interpretieren, nur dann kann von einer fundierten Diagnose gesprochen werden. 5. Stimmt die Balance zwischen Struktur und Spielraum? Produktive Zusammenarbeit hängt auch von der richtigen Ausbalancierung zwischen der notwendigen Ordnung und dem Spielraum zum selbstständigen Arbeiten ab. Was richtige Ausbalancierung konkret bedeutet, vermag ich nicht generell zu beantworten, denn die einzig richtige Antwort lässt sich nicht für alle Projekte und Unternehmen finden. Eines ist jedoch sicher, zu wenig Ordnung schafft Desorientierung, im Extrem‐ fall wird es chaotisch. Und noch etwas ist sicher, Überstrukturierung, eine rigide Ord‐ nung raubt Initiative, Innovation bleiben auf der Strecke. Ich erwähne dieses Thema, weil ich im Rahmen meiner diagnostischen Arbeit auch immer darauf achte, inwieweit Struktur und Spielraum sinnvoll ausbalanciert sind. Abhängig von der Analyse können meine Empfehlungen vereinfacht ausgedrückt lauten: Schafft mehr Ordnung oder gebt mir Spielraum. 4.20 Widersprüche, paradoxe Situationen Liebe Leserin, lieber Leser, bitte lesen Sie diesen Satz nicht. Habe ich mich verlesen? Spätestens beim nochmaligen Lesen könnte diese Aufforde‐ rung bei Ihnen Verwunderung auslösen, Ihre Neugier wecken oder Sie schmunzeln einfach darüber. Offensichtlich handelt es sich bei dieser Aufforderung um einen nicht auflösbaren Widerspruch, um ein Paradoxon, das in der Struktur der Mitteilung selbst liegt. Sie werden freundlich aufgefordert, den Satz zu lesen und gleichzeitig, ihn nicht zu lesen. Was gilt denn jetzt? Überträgt man diesen Widerspruch auf die Projektarbeit, dann lassen sich schnell Beispiele finden: 75 4.20 Widersprüche, paradoxe Situationen ■ Das Projekt hat hohe Priorität, Mitarbeiter: innen stehen jedoch nicht zur Verfü‐ gung. ■ Der Projektsponsor sagt zur Projektleiterin, dass sie jederzeit zu ihm kommen kann, falls sie Unterstützung benötigt. Sie hat es mehrere Male versucht, doch Zeit nimmt er sich nie. ■ Im Projektmanagement-Handbuch eines Unternehmens steht geschrieben: „Wir sehen die Projektleitung als „Intrepreneur“, als Unternehmer im Unterneh‐ men. Sie sind verantwortlich, dass unsere Projekte fachlich, zeitlich und finanziell erfolgreich realisiert werden.“ Soweit die Verfassung, doch die Verfassungswirk‐ lichkeit sieht anders aus: Ab € 300,00 (dreihundert) darf die Projektleitung keine Teile, die für das Projekt benötigt werden, ohne schriftliche Genehmigung der Abteilungsleitung bestellen. Das möchte der Abteilungsleiter nicht, denn er will den Überblick behalten oder seinen Führungsanspruch verdeutlichen. Die drei Beispiele haben eines gemeinsam, es handelt sich um Widersprüche und solche paradoxen Situationen treten in der Projektarbeit immer wieder auf. Sie können unterschieden werden in: 1. Strukturell bedingte Widersprüche Hohe Priorität und fehlende Kapazitäten 2. Personell bedingte Widersprüche Sprechen Sie mich ruhig an, ich habe keine Zeit für Sie. 3. Strukturell - personell bedingte Widersprüche □ Anspruch: „Projektleiter ist Unternehmer im Unternehmen“. □ Wirklichkeit: Der Abteilungsleiter will Bestellungen ab € 300,00 selbst unter‐ schreiben, schließlich hat er die Führungsverantwortung. Diagnostiker: innen sollten mit wachem Verstand und hoher Sensibilität paradoxe Entscheidungen und widersprüchliche Situationen erkennen und die Auswirkun‐ gen im Diagnosebericht darstellen. Die Analyse von Widersprüchen gehört zum festen Bestand von Projektdiagnosen. 4.21 Zwei Ebenen der Projektdiagnose Der letzte Abschnitt dieses Kapitels beschäftigt sich mit den zwei Ebenen der Projekt‐ diagnose und bildet den Übergang zum nächsten Kapitel „Diagnosefelder und Fragen“. Was bedeutet zwei Ebenen der Projektdiagnose? Die Frage lässt sich einfach beant‐ worten. Projektdiagnostiker: innen müssen sich immer mit zwei Fragen beschäftigen: 76 4 Was Sie wissen sollten, bevor sie mit Diagnosen beginnen - Grundlagen der Projektdiagnose 1. Welche Probleme gibt es? 2. Wie gehen die Beteiligten mit den bestehenden, bereits bekannten und manch‐ mal längst bekannten Problemen um? Sachebene analysieren Umgang mit Problemen erkennen und analysieren Ziele Termine Budget RollenMitarbeiterinnen Information Offene Kommunikation FOKUS Kooperation Verträge Druck Konfliktvermeidung „haben keine Zeit“ Verleugnung Abb. 8: Zwei Ebenen der Projektdiagnose 1. Sachebene: Welche Probleme treten auf und welche Ursachen gibt es? Die Projektdiagnostiker: innen müssen Stärken und Schwächen des Projektes ermitteln, indem sie Daten aus den unterschiedlichen Diagnosefelder sammeln. Das umfasst sowohl Strukturelemente (Hard Facts) als auch Verhaltensweisen (Soft Facts) in der Projektarbeit. Mit diesen Informationen allein ist es jedoch nicht getan, um die Kernursachen der Probleme zu analysieren. Um hinter die Kulissen des Projektes zu schauen und in die Tiefe zu gehen müssen sie den Fokus wechseln und untersuchen, wie die Beteiligten mit den bereits bekannten, manchmal längst bekannten Problemen umgehen. Und damit kommen wir zur zweiten Ebene. 2. Ebene der Psycho-Logik: Wie gehen die Beteiligten mit den bekannten Problemen um? Diese Ebene beschäftigt sich mit der Psycho-Logik der Probleme, mit der Analyse des Problemlösungsprozesses. Im Grunde sind es einfache Fragen, mit denen die Diagnostiker: innen Antworten erhalten können: 77 4.21 Zwei Ebenen der Projektdiagnose ■ Seit wann bestehen die Probleme? ■ Wer hat sie erkannt und wann sind sie erkannt worden? ■ Wann wurde zum ersten Mal mit wem darüber gesprochen? ■ Was ist bisher unternommen worden, um die Probleme zu lösen? ■ Wieso sind die Probleme noch nicht gelöst? Was behindert die Problemlösung? ■ Wer war am Problemlösungsprozess beteiligt? Wurden die richtigen Personen und Gremien einbezogen, um eine Lösung zu erreichen? ■ Wer hat die Verantwortung, das Problem zu lösen? ■ Besteht überhaupt Bereitschaft, die Probleme zu lösen? Die Projektdiagnosti‐ ker: innen sollten den Leidensdruck analysieren, oft eine wichtige Voraussetzung für eine nachhaltige Problemlösung. Leidensdruck soll an einem Beispiel erläutert werden. In einem Projektteam stehen qualifizierte Mitarbeitende nicht im ausrei‐ chenden Maß zur Verfügung. Daraus ergeben sich erhebliche Probleme für das Projektteam. Ein echtes Problem, oder? Nicht unbedingt, möglicherweise hat der Sponsor ganz andere Sorgen oder Interessen und trifft deshalb keine Entscheidung. Man kann also nicht davon ausgehen, dass erkannte Probleme auch unbedingt gelöst werden. Die Aussage „Problem erkannt - Problem gebannt“ ist so pauschal formuliert nicht korrekt, vielmehr ist das Erkennen der Probleme eine notwen‐ dige, doch keine hinreichende Bedingung. Um Probleme fundiert zu analysieren, muss auch untersucht werden, wieso bekannte Probleme nicht gelöst werden. Konfrontativ gefragt: Wie schaffen es die Akteure, sie nicht zu lösen? Neben der Logik der Probleme wie Budgetüberschreitung, unklare Zuständigkeiten oder in‐ transparente Entscheidungen muss auch die Psycho-Logik der Probleme analy‐ siert werden. Falls erforderlich sollte im Diagnosebericht klar aufgezeigt werden, wie die Beteiligten mit den bekannten Problemen umgehen, wieso diese nicht gelöst werden und welche Konsequenzen damit für das Projekt bzw. das Unter‐ nehmen verbunden sind. Vor solchen Aussagen, mit denen man manchmal je‐ mandem auf die Füße tritt, dürfen sich die Projektdiagnostiker: innen nicht he‐ rummogeln. 78 4 Was Sie wissen sollten, bevor sie mit Diagnosen beginnen - Grundlagen der Projektdiagnose Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen In diesem Kapitel lernen Sie die verschiedenen Diagnosefelder mit ihren dazugehörenden Fragen kennen. Nicht nur während der Vorbereitung für die Datensammlung, sondern auch im weiteren Verlauf müssen Diagnostiker: innen überlegen, welche Informationen sie für die Analyse des Projektes benötigen. Erforderlich ist eine klare Vorstellung dar‐ über, welche Diagnosefelder für die Analyse des Projektes zu berücksichtigen sind. Die‐ jenigen, die über genügend Projekterfahrung verfügen, werden vermutlich viele Fragen kennen, soweit sich diese auf die Logik der Probleme beziehen. Doch möglicherweise haben Sie sich bisher weniger mit der Psycho-Logik der Probleme befasst. Dieses wich‐ tige Thema wird im Abschnitt 5.2.2. erläutert. Neueinsteiger: innen können die Diagnose‐ felder für die Ausarbeitung ihres Interview-Leifadens gebrauchen, doch sollte man sich dafür hüten, die Fragen im Sinne eines starren Fragekatalogs zu stellen. Mit Diagnosefelder sind die thematischen Schwerpunkte für die Diagnose gemeint, u. a. Projektziele, Projektaufbauorganisation, Informationsfluss, Entscheidungspro‐ zesse oder Zusammenarbeit im Team. Zu den einzelnen Diagnosefeldern gehören eine Vielzahl von Fragen, sie alle detailliert zu nennen, würde den Umfang des Buches sprengen. Zudem wäre es auch wenig zielführend, denn manche Fragen ergeben sich erst aus den unternehmensinternen Prozessen und den Besonderheiten des Projektes. 5.1 Zum Einstieg: Diagnose des „Systems Familie“ Zum Einstieg in das Thema Diagnosefelder biete ich Ihnen eine kleine Aufgabe an. Wenn Sie in der Lage sind, diese zu meistern, dann wissen Sie genau, was mit Diagnosefelder gemeint ist. Stellen Sie sich vor, Sie werden beauftragt, den Zustand einer Familie zu analysieren, die in Basel, in Innsbruck oder in Köln lebt. Welche Informationen würden Sie sammeln, um ein aussagekräftiges Bild über das System der Familie zu erstellen? Nehmen Sie sich doch ein Blatt Papier und schreiben Sie Einflussfaktoren auf, die Ihnen wichtig erscheinen, um sich ein Bild von der Familie zu machen. Lesen Sie nicht direkt weiter, sondern überlegen Sie zunächst, welche Fragen Sie stellen und was Sie beobachten würden, um möglichst viele relevanten Daten zu sammeln, um die Situation der Familie zu verstehen und zu bewerten. Berücksichtigen Sie sowohl die Strukturelemente als auch das Verhalten. Auf der nächsten Seite finden Sie eine Reihe von Fragen, unterteilt in Strukturele‐ mente und Verhalten. Sie können nun Ihre Ergebnisse mit den nachfolgenden Fragen vergleichen. 5.1.1 Einige Fragen zur Diagnose einer Familie Strukturelemente (Hardfacts) ■ Wer gehört zur Familie? ■ Seit wann besteht diese Familie? ■ Haben alle Kinder genetisch gesehen die gleichen Eltern oder handelt es sich um eine Patchwork Familie? ■ Leben alle im gleichen Haushalt? ■ Wie sieht die Altersstruktur aus? ■ Wie steht es um die Gesundheit der Familienmitglieder? ■ Gibt es eine spezielle Situation, die das Zusammenleben stark beeinflusst? (z.B. ein Kind ist schwer erkrankt oder gar jüngst verstorben) ■ Wie viele Zimmer hat die Wohnung und wie werden die Wohnverhältnisse von den einzelnen Mitgliedern bewertet? ■ Wie sind die Einkommensverhältnisse? ■ Wer verdient das Geld? ■ Welche beruflichen Tätigkeiten werden ausgeübt? ■ Sehen sich die Mitglieder der Familie täglich? ■ Wie ist die Rollenverteilung im Haushalt, wer macht die Hausarbeiten? ■ Gehen die Kinder in den Kindergarten, in die Schule, Hochschule oder machen sie eine Ausbildung? ■ Welche Ziele und Interessen haben die einzelnen Personen? Wird dadurch der Zusammenhalt in der Familie gestärkt oder geschwächt? ■ Gibt es gemeinsame Aktivitäten? ■ Welche Bedeutung spielt die Religion? ■ Stammen die Eltern aus dem gleichen oder aus unterschiedlichen Kulturkreisen? ■ Welche Rolle spielt Essen und Trinken? ■ Werden Feste gefeiert und wenn ja, welche? ■ Wie sieht der Tagesablauf aus? ■ Gibt es Regeln für das Zusammenleben? ■ Wie viele Kommunikationsmittel (Tablet, Smart Phones, Notebooks) stehen den Personen zur Verfügung? Wie häufig werden sie benutzt? Ab welchem Alter dürfen diese benutzt werden? ■ Welchen Einfluss haben die Freizeitaktivitäten der einzelnen Familienmitglieder auf das Familienleben? ■ Gibt es einen Ehevertrag? ■ Gibt es ein Testament, das die Verhaltensweisen der Personen beeinflusst? ■ Wer entscheidet was? (Urlaubsziele, Fernsehprogramm, Kleidung, Nahrung) ■ Welchen Einfluss haben andere Personen, die nicht direkt zur Kernfamilie gehö‐ ren? (Großeltern, Tanten, Onkel, Freunde, Nachbarn, Lehrer) ■ In welcher Umgebung lebt die Familie und welchen Einfluss hat sie auf das Zusammenleben. 80 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Verhalten (Softfacts) ■ Wie wird miteinander kommuniziert? ■ Herrscht normalerweise eine heitere, positive Stimmung oder eher eine gedrückte Atmosphäre? ■ Können alle ihre Meinung und Wünsche äußern oder ist das eher unerwünscht oder gar riskant? ■ Werden Probleme miteinander offen besprochen oder redet man übereinander, d. h. es wird in Abwesenheit einer Person über ein Problem geredet, statt es der betreffenden Person selbst zu sagen? ■ Worüber streitet man sich in der Familie und wie wird gestritten? ■ Werden Konflikte bereinigt oder tauchen sie immer wieder auf ? ■ Kann man sich aufeinander verlassen? Werden Zusagen eingehalten? ■ Werden Entscheidungen nachvollziehbar getroffen? ■ Werden notwendige Entscheidungen auch dann getroffen, wenn sie nicht von jedem mitgetragen werden oder wird ewig lang herumdiskutiert? ■ Lassen sich die Eltern von den Kindern ausspielen? ■ Vertraut man sich oder herrscht eher Misstrauen? ■ Werden alle respektiert und wertgeschätzt? ■ Freuen sich die anderen über die Erfolge eines Familienmitgliedes? ■ Werden Fehler verziehen oder immer wieder nachgekartet? ■ Werden alle gleich behandelt? Wird jemand häufig bevorzugt oder benachteiligt? ■ Wie wird bestraft und wie belohnt? ■ Sind alle gut integriert oder gibt es Außenseiter? 5.1.2 Erläuterung Diese Fragen aus den Bereichen der Hard- und Soft-Facts bieten einen Überblick über die Diagnosefelder und die damit verknüpften Fragen. Hard-Facts sind u. a. ■ Struktur der Familie ■ Rollenverteilung ■ Kommunikationsmittel ■ Finanzen ■ Kulturkreis(e) ■ Umfeld der Familie. Soft-Facts sind u.a. ■ Kommunikation ■ Klima 81 5.1 Zum Einstieg: Diagnose des „Systems Familie“ ■ Umgang mit Konflikten ■ Vertrauen Zusammenfassung Um das System Familie zu diagnostizieren, müssen die Einflüsse von Strukturelemen‐ ten (Hard Facts) und des Verhaltens (Soft Facts) analysiert werden. Doch damit ist es noch nicht getan, denn auch die gegenseitigen Abhängigkeiten, die Interdependenzen von Strukturelementen und Verhalten müssen erkannt werden. Was damit gemeint ist, lässt sich schnell erklären. Stellen Sie sich vor, die Eltern eines pubertierenden Vier‐ zehnjährigen würden den Gebrauch seines Smartphones auf zehn Minuten pro Tag beschränken. Die Auswirkungen auf das Verhalten überlasse ich getrost Ihrer Phanta‐ sie. Im Grunde ist es bei der Projektdiagnose nicht anders, auch hier müssen die Einflüsse der Strukturelemente (Hard-Facts), des Verhaltens (Soft-Facts) und die Interdependen‐ zen zwischen Strukturen und Verhalten ermittelt werden. 5.2 Diagnosefelder und Fragen für die Projektdiagnose Die Diagnosefelder und ihre Fragen sind in zwei Abschnitte gegliedert: 1. Klassische Diagnosefelder mit Fragen Zunächst werden im Abschnitt 5.2.1 bekannte Diagnosefelder und die dazugehörenden Fragen vorgestellt, die auch häufig für Reviews oder Audits benutzt werden. In der Projektmanagement Literatur lassen sich diese Themen unter den Stichworten Projekt‐ status, Risiko Management, Projektcontrolling oder Review finden. Möglicherweise haben Sie die eine oder andere Frage im Rahmen einer Statusanalyse oder eines Reviews bereits gestellt. Zu manchen Diagnosefeldern gehören sowohl Fragen zu Strukturelementen als auch zu Verhaltensweisen. Das Diagnosefeld „Information“ beispielsweise umfasst zum einen strukturelle Faktoren wie den Verteiler, Regeln zum Umgang mit Informa‐ tionen oder Informations-Tools und zum anderen Verhaltensweisen wie den offenen Informationsaustausch oder das Taktieren mit Informationen. Bei der Analyse der Verbindlichkeit im Projektteam muss gefragt werden, ob überhaupt eine klare Ver‐ einbarung über die auszuführende Arbeit mit einem Aktionsplan „was? - wer? - wie? bis wann? “ besteht. Außerdem muss ermittelt werden, wie das Team bzw. die Projektleitung mit mangelnder Verbindlichkeit umgeht, ob Unverbindlichkeit deutlich angesprochen wird und Unverbindlichkeit mit Konsequenzen für die Person verbunden sind. 82 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Diagnostiker: innen müssen bei der Datenermittlung immer den Einfluss der Strukturelemente (Hard Facts) und der Verhaltensweisen (Soft Facts) auf die Pro‐ jektarbeit erkennen. Darüber hinaus müssen die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen Struktur und Verhalten verstanden werden. Nur so können Diagnos‐ tiker: innen aussagekräftige Ergebnisse erhalten. 2. Diagnosefelder zur Psycho-Logik der Probleme mit Fragen Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit weniger bekannten Themen, die allerdings nach meiner Überzeugung für eine vertiefende Analyse unverzichtbar sind. Hier ändert sich der Fokus, denn die Diagnostiker: innen stellen Fragen zur Psycho-Logik der Situation, um die Hintergründe der Probleme zu verstehen. Die Diagnostikerin fragt nicht nur, ob und wie klar die Projektleitung die schwierige Situation mit dem Sponsor besprochen hat, sondern sie ermittelt auch, wieso trotz klarer Kommunikation bisher noch keine Entscheidung getroffen wurde, obwohl das Projekt dadurch in Verzug gerät. Ermittelt wird also nicht nur welche Probleme oder Konflikte bestehen, sondern es wird auch analysiert, wieso bekannte Probleme nicht gelöst werden. Mit anderen Worten, Diagnostiker: innen müssen auch verstehen, wie es die Beteiligten schaffen, Probleme, nicht zu lösen. Ich bezeichne dieses Phänomen als Konfliktstabilisierungsverhalten. (siehe Abschnitt 5.2.3.4). Zur Diagnose gehört, die psychologischen und politischen Einflüsse auf die Pro‐ jektarbeit zu erkennen und richtig zu deuten. Diagnostiker: innen müssen sowohl die Logik der Probleme als auch die Psycho-Logik im Umgang mit den Problemen verstehen und bewerten. Keiner der beiden Seiten darf vernachlässigt werden, ansonsten bleibt die Diagnose unvollständig. 5.2.1 Klassische Diagnosefelder und Fragen Manchmal fragen Teilnehmern: innen meiner Projektdiagnose-Seminare, ob ich eine feste Reihenfolge für die Fragen in Interviews empfehlen kann. Meine Antwort lautet: „Eine feste Reihenfolge im Sinne eines Fragekatalogs habe ich nicht anzubieten und würde auch empfehlen, auf eine feste Reihenfolge zu verzichten, was nicht bedeutet, dass die Reihenfolge beliebig ist. Es ist sicher nicht zu sinnvoll, mit Fragen zu den verwendeten Projektmanagement Tools oder zur Projektdokumentation zu beginnen. Ich halte es für sinnvoll, sich zunächst ein Bild über die Projektziele mit den Rahmen‐ bedingungen des Projektes, die Rollen und den aktuellen Zustand des Projektes zu verschaffen und nach der Zusammenarbeit im Team oder zum Planungsprozess zu fragen. Diese Reihenfolge hat sich in vielen Projektdiagnosen bewährt. Die Empfehlung 83 5.2 Diagnosefelder und Fragen für die Projektdiagnose sollte nicht als feste Regel verstanden werden. Wenn der Interviewte von sich aus direkt mit einem Thema beginnt, so ist es oft besser im zu folgen. Die anderen Fragen gehen ja nicht verloren. 5.2.1.1 Überblick über die Diagnosefelder Diese Liste bietet Ihnen einen Überblick über wichtige Diagnosefelder. ■ Ziele, Scope und Priorität des Projektes ■ Zeiten, Rahmenbedingungen ■ Moving targets ■ Vorgeschichte ■ Projektorganisation, Rollen und Eskalation ■ Entscheidungsprozesse ■ Stakeholder-Management ■ Projektleitung ■ Projektteam ■ Budget ■ Planung ■ Abhängigkeiten zwischen Arbeitspaketen/ Teilprojekten ■ Risiken ■ Vorgehensweise, Methoden ■ Monitoring, Projekt Status, Reporting ■ Kommunikation im Projekt ■ Konflikte und Umgang mit Konflikten ■ Akzeptanz, Widerstände ■ Information ■ Machtprozesse, Politik ■ Dokumentation ■ Tools 5.2.1.2 Ziele und Priorität des Projektes Diagnostiker: innen sind gut beraten, zunächst Fragen zu den Projektzielen zu stellen, denn sie müssen in der Lage sein, die Ziele und die damit verbunden Anforderungen im Überblick zu verstehen. Außerdem leiten sich aus den Zielen weitere Fragen ab und die Antworten der Interviewten lassen sich teilweise ohne die Informationen über die Ziele des Projektes nicht verstehen. 84 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Fragen ■ Welche Bedeutung hat das Projekt für das Unternehmen? ■ Welche Priorität hat das Projekt? ■ Was ist anders, wenn das Projekt erfolgreich realisiert ist? Diese Frage ist gut geeignet, die Ziele des Projektes besser zu verstehen. Außerdem wird durch die Antwort deutlich, inwieweit die Beteiligten in der Lage sind, die Projektziele konkret zu beschreiben. ■ Gibt es einen Business Case und Key Performance Indicators (KPIs) für das Projekt? ■ Ist die Zielsetzung realistisch? ■ Gibt es eine Machbarkeitsstudie? ■ Lässt sich das Gesamtziel in verschiedene Subziele unterteilen? (Ökonomisches Ziel, technologisches Ziel, Terminziel, strategisches Ziel etc.) ■ Welchen Einfluss hat die Vorgeschichte des Projektes auf das aktuelle Projekt? ■ Gab es bereits im Vorfeld Absprachen, welche die Projektarbeit beeinflussen? ■ Wie bewerten die Beteiligten die Projektziele? ■ Sind die Kundenerwartungen genau genug definiert? ■ Welche Rahmenbedingungen (§§, ISO- Normen oder regulatorische Anforderun‐ gen gibt es? Wie wird damit im Unternehmen umgegangen? ■ Welchen Einfluss haben Verträge mit Kunden, Kooperationspartner oder Liefe‐ ranten auf die Ziele? 5.2.1.3 Projektauftrag Den Projektauftrag sollten Diagnostiker: innen vor Beginn der Interviews im Rahmen der Dokumentenanalyse gründlich durchlesen. Dennoch kann es sinnvoll sein, im Interview den Projektauftrag anzusprechen, um den Kenntnisstand der Beteiligten und ihre Sichtweisen zu erfahren. Fragen ■ Gibt es einen schriftlichen Projektauftrag? ■ Sind die wichtigen Inhalte im Auftrag enthalten? ■ Ist der Projektauftrag konkret genug ausgearbeitet worden? ■ Wurde der Projektauftrag unterschrieben oder nur mündlich vereinbart? ■ Wer hat den Projektauftrag ausgearbeitet? Wer hat mitgewirkt? ■ Gilt der Projektauftrag noch oder gab es mittlerweile Änderungen? 5.2.1.4 Rollen im Projekt (Projektaufbauorganisation) Die Rollenanalyse ist unverzichtbarer Bestandteil jeder Projektdiagnose. Rolle umfasst drei Elemente: 85 5.2 Diagnosefelder und Fragen für die Projektdiagnose Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 ■ Aufgaben ■ Verantwortung ■ Entscheidungskompetenzen Vier Fragen stehen im Mittelpunkt, die sich auf Personen (Sponsor: in , Projektleitung, Teilprojektleitung, Projektmitarbeiter: innen, Linienmanager: in) und auf Gruppen (Ent‐ scheidungsgremien, Projektteams, Teilprojekte) anwenden lassen. Vier Kernfragen zur Rollenanalyse ■ Sind die Rollen richtig definiert? ■ Sind die Rollen klar? ■ Werden die Rollen akzeptiert, wahrgenommen? ■ Gibt es Rollenkonflikte bei einzelnen Personen? Einzelne Fragen zu den Rollen im Projekt Aus den Kernfragen leiten sich eine Reihe von Detailfragen ab, die im Rahmen der Diagnose gestellt werden sollten: ■ Gibt es einen personifizierbaren Projektsponsor, Sponsorin oder hat ein Gremium die Sponsorship für das Projekt übernommen? ■ Wissen alle Beteiligten, wer Sponsor: in des Projektes ist? ■ Wie nimmt der Sponsor seine Rolle wahr? Hat er genügend Interesse, Zeit und Einfluss, um die Rolle gut wahrzunehmen? ■ Erhält das Projektteam genügend Unterstützung von der Sponsorin? ■ Welche Entscheidungsgremien beeinflussen das Projekt? ■ Sind die Aufgaben und Verantwortungen im Entscheidungsgremium klar? Wie werden diese wahrgenommen? ■ Wie beeinflusst die Zusammenarbeit zwischen Sponsor: in und Entscheidungsgre‐ mium das Projekt? ■ Sind die Aufgaben und Entscheidungsprozesse zwischen einzelnen Gremien geregelt? ■ Ist die Rolle der Projektleitung klar definiert? ■ Besitzt die Projektleitung genügend Entscheidungskompetenz? ■ Bei dualer Projektleitung, sind die Aufgaben und Verantwortungen für die Zusam‐ menarbeit vereinbart? Wird die Vereinbarung akzeptiert? ■ Ist die Rolle der Teilprojektleitung klar? ■ Sind die Aufgaben und Verantwortungen der Teammitglieder geregelt und werden sie akzeptiert? 86 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 ■ Hat das Team ausreichenden Gestaltungsspielraum? Sind die Projektmitarbei‐ ter: innen autorisiert, bestimmte Entscheidungen ohne Abstimmung mit den jeweiligen Linienmanagern: innen zu treffen? ■ Nehmen die Führungskräfte ihre Rolle als Ressourcenmanager: in richtig wahr? ■ Unterstützt das Linienmanagement die Arbeit des Projektteams? ■ Ist die Projektorganisation auf dem neuesten Stand? 5.2.1.5 Stakeholder-Management Diagnostiker: innen müssen zum einen die Bedeutung der Stakeholder für das Projekt ermitteln und zum anderen feststellen, wie gut die Projektleitung Stakeholder Manage‐ ment betreibt. Fragen ■ Sind die internen und externen Stakeholder bekannt? ■ Wurde eine fundierte Stakeholder-Analyse ausgearbeitet? Wenn ja, wer hat daran mitgearbeitet? Wenn nein, warum wurde sie nicht ausgearbeitet? ■ Welche Personen oder Gruppen können das Projekt auf welche Weise beeinflus‐ sen? ■ Wie werden die Stakeholder einbezogen? ■ Gibt es ein Konzept, um mit blockierenden Einflüssen umzugehen? ■ Sind Fach- und Machtpromotoren bekannt und genügend einbezogen? ■ Gibt es Netzwerke im Unternehmen und ggfs. auch außerhalb, die das Projekt informell positiv oder negativ beeinflussen können? ■ Besteht bei allen Beteiligten (Projektleitung, Team, Sponsor: in, Linienmanager: in‐ nen) Konsens über den Einfluss der Stakeholder? ■ Welchen Einfluss haben externe Stakeholder auf das Projekt? Mit welchen Mitteln und auf welchen Wegen wird Einfluss ausgeübt. ■ Wird die Stakeholder-Analyse falls erforderlich aktualisiert? 5.2.1.6 Projektleitung Selbstverständlich muss in Interviews mit Teammitgliedern, Entscheidungsträger: in‐ nen und auch mit der Projektleitung ermittelt werden, wie das Projekt gemanagt und das Team geführt wird. Die Fragen müssen die Rolle der Projektleitung im Unternehmen im Allgemeinen und im Projekt im Besonderen, die verfügbare Zeit für die Leitung des Projektes, den Umfang der Aufgaben und die Qualifikation umfassen. Vorsicht ist geboten, die Probleme der Projektleitung einseitig auf das Verhalten der Projektleitung zu reduzieren, denn oft werden Leitungsprobleme auch durch Einflüsse von Linienmanager: innen oder von Gremien verursacht, zumindest mitverursacht. 87 5.2 Diagnosefelder und Fragen für die Projektdiagnose Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Fragen ■ Von wem wurde die Projektleitung beauftragt? ■ Wie werden Qualifikation und Erfahrung der Projektleitung beurteilt? ■ Hat die Projektleitung genügend Zeit für diese Aufgabe? ■ Hat die Projektleitung noch weitere Aufgaben, beispielsweise Teilprojektleitung, verantwortlich für Arbeitspakete oder Aufgaben in der Linie. Es sollte ermittelt werden, wie viele Hüte die Projektleitung aufhat und welche Belastung damit verbunden ist. ■ Ist die Rolle der Projektleitung im Unternehmen überhaupt klar definiert? Welche Entscheidungskompetenzen hat die Projektleitung? Stehen sie im Ein‐ klang mit ihrer Verantwortung? ■ Wie führt die Projektleitung das Team? Wird das Führungsverhalten positiv oder kritisch von den Projektmitarbeitern: innen bewertet? ■ Ist die Projektleitung in der Lage, sich gegenüber Entscheidungsträge: innen klar zu positionieren? ■ Ist die Projektleitung im Unternehmen gut vernetzt? ■ Wird sie von den Stakeholdern geschätzt? ■ Kann sich die Projektleitung mit dem Projekt identifizieren? ■ Hat die Projektleitung genügend Unterstützung vom eignen Linienmanagement? ■ Gab es einen Wechsel in der Projektleitung? Wenn ja, warum? ■ Welche Perspektive ergibt sich für die Projektleitung nach Projektabschluss? 5.2.1.7 Verfügbarkeit Regelmäßig wird in Interviews und in Fragebögen die mangelnde Verfügbarkeit von Projektmitarbeitern: innen angesprochen, von den Mitarbeitenden selbst, von Kolleg: innen, von der Projektleitung und von Linienmanagern: innen. Zu wenig Zeit gehört zu dem Kernproblem, deshalb muss dieses Thema unbedingt untersucht werden. Allerdings sollte beachtet werden, dass Verfügbarkeit nicht nur einen zeitlichen Aspekt beinhaltet, sondern auch einen qualifikatorischen, denn Kopfinhalt ist nicht gleich Kopfzahl. Fragen ■ Haben die Projektmitarbeiter: innen genügend Zeit für ihre Aufgaben? ■ Gibt es Aufgaben, die aus zeitlichen Gründen auf der Strecke bleiben? ■ Falls es zu Engpässen kommt, nach welchen Kriterien wird über den Einsatz im Projekt entschieden? ■ Verfügen alle Projektmitarbeiter: innen über die entsprechende Qualifikation? ■ Welche Einstellung haben die Projektmitarbeitenden zum Projekt? Arbeiten sie engagiert mit? 88 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 ■ In welchem Maße sind die Teammitglieder von ihrem Linienmanagement auto‐ risiert, eigenständig zu entscheiden? Gefragt wird also nach dem strukturellen Empowerment. ■ Inwieweit hängt der Projekterfolg von Personen ab, die über ein spezielles Know-how verfügen? Wer könnte bei einem Ausfall der Key Player die Aufgaben übernehmen? ■ Ist die Teamzusammensetzung konstant oder gab es personellen Wechsel? □ Wenn ja, warum? □ Welche Konsequenzen sind damit verbunden? □ Wie häufig treten Wechsel auf ? □ Sind die Auswirkungen den Entscheidungsträgern bekannt? ■ Sind Stellvertreter: innen für Projektmitarbeiter benannt? ■ Ist eine aktuelle Übersicht über Abwesenheiten (Urlaub, Fortbildung, Elternzeit oder Arbeit in einem anderen Projekt) vorhanden? 5.2.1.8 Externe Dienstleister: innen Externe Dienstleistungsunternehmen, Berater: innen, temporär eingesetzte Spezia‐ list: innen: werden häufig in Projekten eingesetzt und können abhängig von ihrer Funktion und ihrer Vernetzung im Unternehmen den Projektverlauf mehr oder minder stark beeinflussen. Fragen ■ Welche Funktionen haben Externe im Projekt? (Projektmitarbeiter: innen, Ex‐ pert: innen, Projektleitung, Mentor: in oder Projektmanagement Support) ■ Sind die Rollen der Externen klar definiert? ■ Ist der Begriff „Berater: in“ genügend konkretisiert? Wissen alle Projektmitar‐ beiter: innen was mit Beratung konkret gemeint ist, welche Aufgaben damit verbunden sind? ■ Kennt die Projektleitung den Vertragsinhalt für die Externen? ■ Von wem wurden die Externen beauftragt? ■ Dürfen die Externen Subunternehmen ohne ausdrückliche Zustimmung einset‐ zen? Wenn ja, wie ist das geregelt? ■ Gibt es einen Festpreis oder wird nach Tagessätzen abgerechnet? ■ Sind Regeln für die Zeiterfassung und die Rechnungserstellung abgestimmt worden? ■ Gibt es Regeln bezüglich Abstimmungen und Informationsaustausch? ■ Gibt es regelmäßige Informations- und Abstimmungsmeetings mit den Externen? ■ Wie sind die Externen im Unternehmen vernetzt? ■ Finden Informationsgespräche zwischen Externen und Entscheidungsträger: in‐ nen statt, ohne Beteiligung bzw. Vorabinformation der Projektleitung? 89 5.2 Diagnosefelder und Fragen für die Projektdiagnose Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 ■ Wie wird die Leistung der Externen von der Projektleitung, den Projektmitarbei‐ tern: innen und Führungskräften bewertet? ■ Besteht im Unternehmen genügend Know-how, um die Leistung der Externen zu überprüfen? ■ Ist der Wissenstransfer geklärt? 5.2.1.9 Projektteam Auf das elementare Thema „Diagnose des Projektteams“ gehe ich an dieser Stelle nur sehr kurz ein, um eine überflüssige Wiederholung zu vermeiden. Detaillierte Informationen finden Sie im Kapitel 5.3. Wie bereits mehrmals erklärt, kann das Geschehen in Projektteams nur dann verstanden werden, wenn sowohl die strukturellen Einflüsse (Hard-Facts) als auch das Verhalten (Soft-Facts) untersucht werden. Hier finden Sie nur wenige Fragen zur Diagnose von Projektteams. Fragen Strukturelemente ■ Sind die Projektziele in der vorgegebenen Zeit für das Team erreichbar? ■ Wurden die Rollen im Team geklärt? ■ Wie oft werden Teammeetings durchgeführt? ■ Stimmt die Zusammensetzung des Teams? Sind alle notwendigen Funktionen an Bord? ■ Welchen Einfluss haben die verschiedenen Standorte? Verhalten ■ Wie wird miteinander kommuniziert? ■ Sind die Projektmitarbeiter: innen engagiert? ■ Werden Zusagen eingehalten? ■ Gibt es Konflikte im Team? Wenn ja, wie wird damit umgegangen? ■ Stehen alle hinter den getroffenen Entscheidungen oder wird in der nächsten Sitzung erneut darüber diskutiert? 5.2.1.10 Zeit Wenn der Endtermin nur durch viele Überstunden gehalten werden kann, entstehen Druck und teilweise Frustration. Erstaunlicherweise gibt es auch Projekte, die keinen klaren Endtermin haben, was Tor und Tür für mangelnde Verbindlichkeit öffnen kann. Wie auch immer, der Einfluss der Zeit ist notwendigerweise Bestandteil der Projektdiagnose. 90 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Fragen ■ Gibt es einen klaren Endtermin? ■ Ist der Endtermin erreichbar? ■ Ist dieser unverrückbar oder besteht Spielraum? ■ Wie kam der Endtermin zustande? Beruht er auf einer realistischen Aufwand‐ schätzung? ■ Gibt es einen Zeitplan und wird dieser regelmäßig überprüft? ■ Was passiert, wenn der Termin nicht eingehalten werden kann? ■ Gibt es relevante Zwischentermine? Sind Meilensteine gesetzt? ■ Welchen Einfluss haben Zeitgrenzen auf die Ziele (Quantität und Qualität)? ■ Wie wird im Falle eines Zielkonfliktes zwischen Zeitziel und Qualitätsziel ent‐ schieden? ■ Welchen Einfluss hat die Zeit auf die Zusammenarbeit im Team? Wird über Zeit‐ druck im Team gesprochen? Wenn ja, wie? Lamentierend oder werden Lösungen ausgearbeitet? ■ Bespricht die Projektleitung Zeitprobleme mit den Entscheidungsträger: innen? 5.2.1.11 Budget Projekte haben häufig ein eigenes Budget, das mehr oder minder genau eingehalten werden muss. Das trifft vor allem für Kundenprojekte zu. Doch nicht alle Projekte verfügen über ein eigenes Projektbudget, beispielsweise gibt es in Entwicklungspro‐ jekten im Pharmabereich oder in Biotech Unternehmen häufig kein Projektbudget. Die Budgetverantwortung liegt beim Linienmanagement. Fragen ■ Gibt es ein Projektbudget? ■ Ist das Budget angemessen, um die Ziele zu erreichen? ■ Wer verantwortet das Budget, Projektleitung oder Linienmanagement? ■ Welche Rolle hat das Projektcontrolling? (Falls es diese Funktion gibt) ■ Wie wurde das Budget geplant? ■ Ist der Stand des Budgets transparent? ■ Kann das Budget aufgestockt werden? ■ Welche Konsequenzen haben Budgetüberschreitungen? 5.2.1.12 Methoden und Tools Die Analyse der Vorgehensweise ist ein wichtiger Bestandteil der Projektdiagnose, denn Fehlentwicklungen werden auch durch fehlende Methoden bzw. schlechtes Vorgehen verursacht. Diagnostiker: innen dürfen dieses Thema nicht vernachlässigen. Dabei geht es zum einen um den Einsatz der Methoden, beispielsweise Planungs- 91 5.2 Diagnosefelder und Fragen für die Projektdiagnose Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 oder Innovationsmethoden im Projekt und darüber hinaus um Denkirrtümer und Planungsfehler, die zu unrealistischen Ergebnissen führen können. Fragen ■ Wie ist das Projekt geplant worden? □ Wer hat an der Planung mitgearbeitet? □ Wurden die Know-how-Träger: innen einbezogen? □ Wurden die Prämissen für die Aufwandschätzung überprüft? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht? □ Mit welcher Methode wurde der Aufwand geschätzt? ■ Gibt es einen transparenten Projektplan, der eine regelmäßige Überprüfung zulässt? □ Gibt es einen Projektstrukturplan (Work Breakdown Structure) □ Gibt es einen Ablaufplan mit Meilensteinen? □ Sind die Termine für die einzelnen Arbeitspakete festgelegt? □ Gibt es eine Aufwandschätzung für die Aktivitäten? ■ Mit welchen Tools wird geplant? □ Haben alle Projektmitarbeiter: innen Zugang zum gleichen Tool? □ Nutzen die Arbeitspaketverantwortlichen bzw. die Teilprojektleitungen das gleiche Tool oder nutzt jede Person gerade das, was sie für richtig hält bzw. ihr zur Verfügung steht? □ Können alle die Tools richtig bedienen? ■ Werden die Risiken systematisch ermittelt? Wenn ja, wie? Werden die Prämissen der Risikoeinschätzung gemeinsam besprochen und hinterfragt? ■ Werden die Projektpläne regelmäßig aktualisiert? 5.2.1.13 Abhängigkeiten An der Grenze zum Fachreview bewegen sich Fragen zu den inhaltlichen, zeitlichen und personellen Abhängigkeiten, die im Rahmen der Projektdiagnose gestellt werden müssen. In der Projektdiagnose wird ermittelt, ob die Arbeitspakete miteinander ver‐ bunden sind und ob Abhängigkeiten systematisch erfasst und dokumentiert werden. Diese Fragen werden auch im Review bzw. Audit gestellt, wobei hier die inhaltlichen, zeitlichen und personellen Abhängigkeiten detaillierter, mit Fachwissen untermauert, untersucht werden. Fragen ■ Werden die inhaltlichen, zeitlichen und personellen Abhängigkeiten der Arbeits‐ pakete ermittelt und dokumentiert? ■ Wie sind Teilprojekte oder Arbeitspakete miteinander verbunden? Inhaltlich, zeitlich und personell 92 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 ■ Sind die Abhängigkeiten innerhalb des Gesamtprojektes dokumentiert? ■ Bestehen Abhängigkeiten zu anderen Projekten oder anderen Aufgaben? 5.2.1.14 Risiken und Riskmanagement Auch hier gilt, was bei den Abhängigkeiten erläutert wurde. Diagnostiker: innen werden sich nicht zu den inhaltlichen Fragen von Risiken äußern, es sei denn, sie sind fachlich dazu in der Lage. In der Diagnose dagegen wird ermittelt, ob im Team oder im Steering Committee ein gemeinsames Verständnis über die Risiken besteht oder nicht. Im Diagnosebericht wird dieses Thema beschrieben und empfohlen, erkannte Risiken von fachlich qualifizierten Personen prüfen zu lassen. Fragen ■ Gibt es Risiken? Wenn ja welche? ■ Welches sind die größten Risiken? ■ Von wem und wie wurden die Risiken ermittelt? ■ Gibt es ein systematisch durchgeführtes Risk Assessment? ■ Sind die Prämissen für die Risikobewertung gründlich geprüft worden? ■ Wie entwickeln sich die Risiken, werden sie stärker oder schwächer? ■ Gibt es im Team ein gemeinsames Verständnis über die Risiken? ■ Sind die Risiken dokumentiert? ■ Wurden die Risiken mit den Entscheidungsträger: innen besprochen? ■ Wurden Maßnahmen zur Risikominimierung ausgearbeitet und verabschiedet? ■ Wird die Umsetzung der Maßnahmen überprüft? 5.2.1.15 Zieländerungen, moving targets Moving Targets können die Ziele, das Budget, die Zeit und die Personalsituation im Projekt erheblich beeinflussen. Sie können die Projektergebnisse positiv und negativ beeinflussen. Deshalb gehört dieses Thema zur Projektdiagnose. Fragen ■ Gibt es Zieländerungen oder Änderungen der Rahmenbedingungen? Wenn ja, welche? ■ Wodurch sind sie entstanden? □ Neue Anforderungen des Kunden oder gesetzliche Änderungen □ Probleme beim Lieferanten □ Innovationen im Umfeld des Unternehmens □ Entscheidungen des Managements □ Entstanden im Rahmen der Teamarbeit ■ Wie häufig treten Änderungen im Projekt auf ? 93 5.2 Diagnosefelder und Fragen für die Projektdiagnose Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 ■ Gibt es ein Changemanagement-Verfahren (Change Request Management), das die Änderungen im Projekt erfasst und die Auswirkungen analysiert? ■ Verstehen die Beteiligten (Projektmitarbeiter: innen, Sponsor: in, Kund: innen, Lie‐ ferant: innen welche Konsequenzen moving targets mit sich bringen? ■ Wer entscheidet über die Änderungen? ■ Treten Änderungen nur in diesem Projekt auf oder öfters auch in anderen Projekten? 5.2.1.16 Mittel Mittel sind in der Regel ein Randthema, doch sollte man solche „Nebensächlichkeiten“ nicht außer Acht lassen, weil fehlende Instrumente oder eine schlechte Raumsituation die Teamarbeit negativ beeinflussen können. Andererseits können sich gut ausgestatte Räume mit einem entsprechenden Equipment positiv auf die Teamarbeit auswirken. Manchmal drückt es auch etwas über die Wertigkeit der Arbeit und der Mitarbeiter: in‐ nen aus. Fragen ■ Ist ein Raum mit geeigneter Einrichtung für die Teamarbeit vorhanden? ■ Stehen Arbeitsmittel wie White Board, Flip Chart, Digital Flip Board der Scrum Board dem Team zur Verfügung? ■ Welche Arbeitsmittel werden vermisst? Warum sind diese nicht vorhanden? ■ Wie wirken sich die Arbeitsmittel auf die Zusammenarbeit aus? 5.2.1.17 Standorte Verschiedene Standorte können die Projektarbeit erheblich beeinflussen. Zeitzonen und Ferienzeiten, kulturelle Einflüsse, Sprachbarrieren, Reisezeiten und -kosten sowie Standortinteressen, können sich negativ auf die Zusammenarbeit auswirken. Auch positive Einflüsse sollten betrachtet werden. Kulturelle Unterschiede, verschiedene Perspektiven und Vorgehensweisen sowie Spezialwissen an einem Standort können die Projektarbeit befruchten. Fragen ■ Welche Standorte sind an der Projektarbeit beteiligt? ■ Wie hoch ist das Interesse am Projekt in den verschiedenen Standorten? ■ Arbeiten die Standorte normalerweise gut zusammen? ■ Unterstützen die Führungskräfte der Standorte das Projekt? ■ Haben alle Akteure Kenntnis und Verständnis über die Abläufe und Methoden zur Realisierung der Aufgaben? ■ Sind Ansprechpartner: innen in der Linie benannt? ■ Kennen sich die Teammitglieder persönlich oder nur remote? 94 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 ■ Welche Rolle spielt die Sprache? Können sich alle gut verständigen? ■ Welchen Einfluss haben kulturelle Unterschiede? 5.2.1.18 Monitoring und Reporting Wie werden das Projekt, die Zwischenergebnisse und der Projektverlauf überwacht? Das sollten sich die Diagnostiker: innen anschauen. Das bedeutet nicht, dass man die Qualität der erreichten Ergebnisse analysieren und bewerten soll, dazu ist bekanntlich Fachwissen erforderlich. Das ist Aufgabe des Qualitätsmanagements und gehört zum Review bzw. Audit. In der Projektdiagnose wird nur ermittelt, ob die Ziele erreicht werden, um zu erfahren, ob Konsens oder unterschiedliche Meinungen darüber bestehen. Bedenken müssen erkannt und im Diagnosebericht genannt werden. Hierzu gehört eine Empfehlung, den Grad der Zielerreichung bezüglich Quantität und Qualität von Expert: innen untersuchen zu lassen. Fragen ■ Finden Statussitzungen in sinnvollen Abständen statt? □ Wie gut sind diese vorbereitet? □ Wer nimmt daran teil? □ Gibt es aktuelle Informationen über den Stand der Teilprojekte bzw. Arbeits‐ pakete? □ Sind die Ursachen von Planabweichungen bekannt? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? □ Werden Probleme offen und konstruktiv besprochen? ■ Gibt es aussagekräftige Statusberichte? ■ In welchen Abständen werden die Berichte erstellt? □ Wer ist an der Ausarbeitung des Statusberichtes beteiligt? □ Werden die Ziele erreicht, Termine und Budget eingehalten? □ Wo landet das Projekt, wenn es so weiterläuft wie bisher? □ Wie valide sind die Informationen? □ Werden Kapazitätsprobleme gut dokumentiert und kommuniziert? □ Wie gut ist die Projektdokumentation? 5.2.1.19 Review (Audit) und Retrospektive (im agilen PM) Die Untersuchung von Reviews oder Audits kann Bestandteil der Diagnose sein. Befindet sich das Projekt in einer Schieflage, so drängt sich die Frage auf, ob ein Review durchgeführt wurde. Wenn trotz Fehlentwicklungen kein Review initiiert wurde, sollten Diagnostiker: innen die Gründe dafür kennen. Diese Information gehört in den Diagnosebericht. 95 5.2 Diagnosefelder und Fragen für die Projektdiagnose Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Fragen ■ Werden in sinnvollen Abständen Reviews durchgeführt? ■ Gibt es dafür eine geeignete Vorgehensweise? ■ Welche Themen werden besprochen? ■ Wer nimmt an den Reviews teil? ■ Wer beauftragt die Reviews? ■ Sind die Reviewer: innen fachlich in der Lage, das Review professionell durchzu‐ führen? ■ Wie wird die Umsetzung von Massnahmen überprüft? ■ Werden in Retrospektiven (im agilen Projektmanagement) Stärken und Schwä‐ chen der Zusammenarbeit offen ausgetauscht oder ist es eher eine ritualisierte Pflichtveranstaltung? 5.2.1.20 Information Der Informationsfluss zählt ohne Zweifel zu den wichtigsten Themen jeder Projektdi‐ agnose. Dazu gehören zum einen strukturelle Punkte (z.B. verschiedene Standorte, Re‐ geln, Protokolle, Communication Tools) und zum anderen der Umgang mit Informa‐ tionen, beispielsweise ob offen informiert oder gemauert wird. Fragen ■ Wie beschreiben die Beteiligten den Informationsfluss im Projekt? Bewerten sie ihn eher positiv oder negativ? ■ Wie läuft der Informationsfluss innerhalb des Teams und zwischen Team und Teamumfeld (Sponsor: in, Steering Committee, Geschäftsleitung) ■ Stimmt der Informationsfluss zwischen verschiedenen Standorten? ■ Wie wirken sich verschiedene Zeitzonen auf den Informationsfluss aus? ■ Wie äußern sich die Beteiligten über den Informationsfluss in Entscheidungsgre‐ mien? Beteiligte sind zum einen die Mitglieder des Entscheidungsgremiums, zum anderen Personen, die das Gremium über den Stand des Projektes informieren. ■ Erhalten die Projektmitarbeiter: innen die notwendigen Informationen rechtzeitig und umfassend genug? ■ Stimmt der Verteiler? ■ Gibt es neben den offiziellen auch informelle Kanäle? ■ Welche Communication Tools werden genutzt? Sind sie brauchbar? ■ Werden Projektmanagement-Tools (MS Project, Excel, Confluence oder Scrum Board) genutzt? Unterstützen sie den Informationsfluss? ■ Werden Protokolle geschrieben und werden sie auch gelesen? ■ Wie transparent sind Entscheidungen? Diese Frage kann sich auf Entscheidungen der Projektleitung, des Steering Committees oder der Geschäftsführung beziehen. 96 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 ■ Wird offen und wahrhaftig wird informiert oder spielen persönliche Interessen und politische Ziele eine Rolle? ■ Gibt es Informationen, die von Führungskräften zensiert oder unterdrückt wer‐ den? So wurde einer Projektleiterin von ihrem Vorgesetzen dringend nahegelegt, die fehlenden Ergebnisse seiner Abteilung nicht in den Statusbericht aufzunehmen. ■ Wie läuft der Informationsfluss zwischen der Projektleitung, Sponsor: in oder dem Steering Committee? Wird regelmäßig oder nur nach Bedarf informiert? 5.2.1.21 Entscheidungsprozesse im Projekt Selbstverständlich müssen die Entscheidungsprozesse im Projekt ermittelt und bewer‐ tet werden. Das beinhaltet sowohl die Ergebnisse der Entscheidungen als auch die Entscheidungsprozesse im Team und in Entscheidungsgremien. Unmittelbar verknüpft mit den Entscheidungsprozessen sind die Themen Rollen, Informationsfluss, Monito‐ ring, Verbindlichkeit, Umgang mit Konflikten und Widersprüchen, Eskalation und nicht zuletzt das Social Standing der Projektleitung. Wer die Entscheidungsprozesse gründlich analysieren kann, dem öffnen sich manche Türen zu anderen Diagnosefel‐ dern. Deshalb sollten Diagnostiker: innen diesem zentralen Themenkomplex größte Aufmerksamkeit widmen. Fragen ■ Wie bewerten die Projektleitung und Projektmitarbeiter: innen die Entscheidun‐ gen des Managements? □ Werden die richtigen Entscheidungen getroffen? □ Werden die Entscheidungen rechtzeitig getroffen oder kommt es häufiger zu Verzögerungen? □ Sind die Entscheidungen nachvollziehbar und die Entscheidungsprozesse transparent? □ Besteht bei den Entscheidungsträger: innen Konsens über die Entscheidungen oder gibt es unterschiedliche, möglicherweise sich widersprechende Meinun‐ gen? ■ Wie bewerten die Entscheidungsträger die Qualität ihrer Entscheidungen? ■ Welche Meinung haben Entscheidungsträger über die Entscheidungsprozesse? ■ Werden Entscheidungen im Steering Committee von allen Beteiligten mitgetra‐ gen? ■ Wird das Pro und Kontra von Entscheidungen im Steering Committee oder in anderen Gremien offen diskutiert oder werden die Entscheidungen nur von wenigen oder von einer Person geprägt? ■ Wodurch werden Entscheidungsprobleme verursacht? ■ Wie wirken sich die Entscheidungen des Managements auf das Projektteam aus? ■ Werden die Auswirkungen von Entscheidungsproblemen im Team besprochen? 97 5.2 Diagnosefelder und Fragen für die Projektdiagnose Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 ■ Verdeutlicht die Projektleitung die Konsequenzen problematischer Entscheidun‐ gen? ■ Kann sich das Projektteam auf die Entscheidungen des Managements verlassen oder werden diese zu häufig umgestoßen? 5.2.1.22 Eskalation Oft lassen sich Prioritäten-, Ressourcen- und Zielkonflikte im Team nicht lösen, weil weder die Projektleitung noch Projektmitabeiter: innen über die notwendige Entscheidungskompetenz verfügen. Dann ist Eskalation angesagt, das Problem muss von der Projektleitung mit einer gut ausgearbeiteten Empfehlung auf eine höhere Managementebene gebracht werden, um eine klare Entscheidung zu erreichen. In vielen Unternehmen ist der Eskalationsprozess mit der Rollenverantwortung und den Regeln festgelegt. Aber das alleine genügt nicht, denn es kommt auch darauf an, wie klar und ambitioniert die Projektleitung die Notwendigkeit der Entscheidung darstellt und wie klar entschieden wird. Die Diagnostiker: innen müssen erkennen, wie und mit welchem Erfolg die Pro‐ bleme eskaliert worden sind. Fragen ■ Ist Eskalation wirklich erforderlich, wurden im Projektteam alle Möglichkeiten zur Problemlösung ausgereizt? ■ Wurde im Team über die Notwendigkeit der Eskalation gesprochen? Besteht darüber Konsens oder gibt unterschiedliche Sichtweisen? ■ Ist der Eskalationsprozess im Unternehmen klar geregelt? ■ Hat die Projektleitung bestehende Eskalationsstufen eingehalten? ■ Hat die Projektleitung die Rückendeckung des eigenen Linienmanagements und des Projektsponsors? ■ Wie gut war die Präsentation vorbereitet? Wurden nur Probleme dargestellt oder auch Empfehlungen ausgearbeitet? ■ Wurden die Inhalte der Präsentation von den Entscheider: innen verstanden und akzeptiert? Gab es Konsens oder unterschiedliche Meinungen über die Notwen‐ digkeit zu entscheiden? ■ Wurde eine klare Entscheidung gefällt? ■ Wurden durch die Eskalation die Probleme gelöst? 5.2.1.23 Verbindlichkeit Zuverlässigkeit fördert die Projektarbeit, Unverbindlichkeit dagegen führt zu Zeitver‐ zögerungen, Ärger und kann sich zum schlechten Vorbild entwickeln. Diese Aussage gilt sowohl für das Projektteam als auch für das Teamumfeld. Wie auch bei anderen 98 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Problemen lassen sich für mangelnde Verbindlichkeit strukturelle und/ oder personel‐ len Ursachen finden. Auf jeden Fall muss der Grad der Verbindlichkeit in der Diagnose untersucht wer‐ den. In manchen Unternehmen gehört mangelnde Verbindlichkeit zu den Kern‐ problemen des Projektmanagements. Nicht selten gibt es eine starke Verbindung zwischen Verbindlichkeit bzw. Unverbind‐ lichkeit und Unternehmenskultur. Mit Fug und Recht gilt die Aussage, „der Fisch stinkt vom Kopf “. Fragen ■ Werden die Vereinbarungen eingehalten? ■ Wie klar werden die Vereinbarungen getroffen? Diese Frage bezieht sich auf das Team und das Teamumfeld. ■ Welche Ursachen gibt es für mangelnde Verbindlichkeit? Sind sie struktureller oder personeller Natur oder eine Mischung aus beiden? ■ Wird Unverbindlichkeit offen angesprochen oder eher stillschweigend geduldet bzw. resignierend hingenommen? ■ Wenn die Projektleitung die Unverbindlichkeit eines Teammitgliedes auf Grund fehlender Entscheidungskompetenzen nicht lösen kann, wird das Problem dann eskaliert und nehmen die verantwortlichen Führungskräfte ihre Rolle dann richtig wahr? ■ Welche Konsequenzen hat mangelnde Verbindlichkeit für diejenigen, die ihre Zusagen nicht einhalten? Anders gefragt, wer kann sich Unzuverlässigkeit leisten, gibt es Personen, die keine Sanktionen zu fürchten haben? ■ Tritt mangelnde Verbindlichkeit nur in diesem Projekt auf oder ist sie eher ein geläufiges Phänomen im Unternehmen? 5.2.1.24 Akzeptanz Längst nicht in allen Projekten treten Akzeptanzprobleme auf. Sie zeigen sich verständ‐ licherweise viel häufiger im Rahmen von organisatorischen Veränderungsprojekten wie Prozessoptimierungsprojekte, Restrukturierungen, Standortverlagerungen, um nur drei Beispiele zu nennen. In Produktentwicklungsprojekten, Forschungsprojekten oder IT-Infrastruktur-Projekten sind Akzeptanzprobleme (Widerstände) seltener zu finden, es sei denn, die Beteiligten sind mit den Zielen, den vorgegebenen Rahmenbe‐ dingungen oder den Methoden zur Durchführung des Projektes nicht einverstanden. In Change Projekten gehören Widerstände dagegen zum Alltag. Sie können sich gegen die Projektziele und deren Auswirkung für die Betroffenen sowie gegen die Art und Weise des Vorgehens richten. 99 5.2 Diagnosefelder und Fragen für die Projektdiagnose Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Bei der Diagnose von Change Projekten müssen Diagnostiker: innen auf jeden Fall die Akzeptanz bzw. die Ursachen für Widerstände untersuchen. Fragen ■ Welche Auswirkungen hat das Projekt für die Betroffenen? Wer ist wie vom Pro‐ jektverlauf und von den Ergebnissen betroffen? ■ Wie zeigen sich Widerstände, sind sie deutlich erkennbar oder verdeckt? ■ Welche Ursachen für mangelnde Akzeptanz werden genannt? ■ Wer hat Interesse am Gelingen, wer am Scheitern des Projektes? ■ Werden die Projektziele von der Projektleitung akzeptiert? Falls nicht, warum? Diese Frage vermag vielleicht verwundern, üblicherweise geht man davon aus, dass die Projektleitung hinter den Projektzielen steht. Doch das ist nicht immer so, eventuell wurde der Projektleitung ohne lange Diskussionen das Projekt von oben herab aufs Auge gedrückt. ■ Werden die Projektziele von den Projektmitarbeitern: innen akzeptiert? Wenn nein, warum nicht? ■ Wie stehen die Linienmanager: innen dem Projekt gegenüber? ■ Gibt es ein ausgearbeitetes Change-Konzept, um die Akzeptanz zu fördern bzw. mit Widerständen professionell umzugehen? □ Sind alle Beteiligten und Betroffenen über die Projektziele und die Realisie‐ rungsschritte informiert? □ Werden die Mitarbeiter: innen genügend einbezogen? Wenn ja, in welcher Form? □ Gibt es ein gutes Kommunikationskonzept? □ Gibt es ein Schulungsprogramm, um die Mitarbeiter: innen auf die neuen Aufgaben vorzubereiten? □ Sind die Aufgaben, Verantwortungen und Entscheidungskompetenzen für die Umsetzung der Projektergebnisse geklärt? Im Mittelpunkt steht die Frage: Wer ist verantwortlich, dass die Projektziele in den Organisationseinheiten umgesetzt und akzeptiert werden? Dieses Thema muss in der Diagnose beachtet werden. ■ Traten in vergangenen Projekten Widerstände auf und bestehen Auswirkungen auf das aktuelle Projekt? ■ Welchen Stellenwert hat die Akzeptanz der Projektziele für die Entscheidungsträ‐ ger: innen? Legen sie Wert auf Akzeptanz oder sollen die Projektergebnisse mit Macht durchgedrückt werden? 100 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 1 J. Hansel, G. Lomnitz, Projektleiter-Praxis, 4. überarbeitete Auflage, S. 128, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2003 Auswirkungen der Veränderung auf die Betroffenen erkennen und verstehen 1 Mit Hilfe der Betroffenheitsanalyse können Diagnostiker: innen die Auswirkungen ei‐ nes Veränderungsprozesses für die Betroffenen, systematisch erfassen. Dabei handelt es sich in der Regel um Individuen und Gruppen. Diese Analyse ist bei Diagnosen von Veränderungsprojekten erforderlich, um mögliche Akzeptanzprobleme zu erkennen und Empfehlungen für einen besseren Change-Prozess zu präsentieren. Ermitteln Sie die Auswirkungen von Veränderungen auf den Sozio-Bereich Stärke der Veränderung Veränderung gering stark sehr stark positiv aus Sicht der Person negativ aus Sicht der Person Arbeitsinhalte Arbeitsprozess Handlungsspielraum Verantwortung Fremdkontrolle Wissen, Fertigkeiten Arbeitsbeziehungen Soziale Beziehungen (z.B. Fahrgemeinschaften) Gehalt Information Persönliche Ziele Status Sinn der Arbeit Abb. 9: Betroffenheitsanalyse 5.2.2 Fragen aus dem Bereich der Psycho-Logik Im letzten Abschnitt wurden die mehr oder minder bekannten Diagnosefelder vor‐ gestellt. Nun geht es um Fragestellungen, die es erst ermöglichen, auch hinter die Kulissen der Projektarbeit zu schauen. Die schlichte Feststellung, „notwendige Ent‐ scheidungen im Steering Committee werden nicht getroffen“, reicht nicht aus, um die Problematik zu verstehen, denn beschrieben wird lediglich ein Symptom. Eine fundierte Projektdiagnose muss darüberhinaus gehen und aufzeigen, warum oder wozu im Steering Committee die Entscheidungen nicht getroffen werden. Haben die Mitglieder des Steering Committees die Notwendigkeit nicht erkannt? Möglicherweise 101 5.2 Diagnosefelder und Fragen für die Projektdiagnose Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 hat Projektleitung die Dringlichkeit der Entscheidung nicht klar genug vermittelt. Wird die Entscheidung durch Interessenkonflikte oder unklare Zuständigkeiten blockiert? Spielen politische Themen eine Rolle, die aktuell kaum sichtbar sind? Auf solche und weitere Fragen müssen Diagnostiker: innen Antworten finden, um die Situation des Projektes vertiefend zu erkennen und zu verstehen. Eine fundierte Projektdiagnose erfordert, nicht an den Symptomen hängenzu‐ bleiben, sondern auch psychologische und politische Einflüsse zu ermitteln, rich‐ tig zu analysieren und zu bewerten. Probleme zu erkennen, ist eine notwendige Voraussetzung jeder Diagnose, doch oft wird es erst dann interessant, wenn auch der Umgang mit den Problemen verstanden und den beteiligten Personen erläutert wird. Diagnostiker: innen konfrontieren dann die Beteiligten mit ihren eigenen Verhaltensweisen und damit machen sie sich manchmal unbeliebt, was notwendig ist, wenn es die Sache verlangt. Gerade darin zeigt sich professionelles Verhalten. 5.2.2.1 Energie des Projektes analysieren Hat das Projekt genügend Drive, arbeiten alle Beteiligten engagiert mit? Unterstützen die Entscheidungsträger das Projekt oder dümpelt das Projekt vor sich hin? Die Energie des Projektes hängt von verschiedenen Faktoren ab: ■ Attraktivität der Aufgabenstellung ■ Priorität des Projektes ■ Position und Persönlichkeit der Sponsorin, des Sponsors ■ Interesse des Sponsors, der Sponsorin am Projekt ■ Zusammensetzung des Teams: Arbeiten qualifizierte, engagierte und kooperative Personen mit, so lässt sich die positive Energie im Teammeeting gut wahrnehmen. ■ Ausserdem kann die Energie erheblich beeinflusst werden durch zwingend einzu‐ haltende Termine, durch gesetzliche Vorgaben oder regulatorische Bestimmungen. ■ Nicht zuletzt wird die Energie durch Anerkennung und Wertschätzung durch das Management für die geleistete Arbeit des Teams positiv beeinflusst. ■ Durch Erfolgserlebnisse kann Energie verstärkt werden. ■ Durch häufige, kaum nachvollziehbare moving targets verlieren die Projektmit‐ arbeiter die Lust, sich aktiv einzubringen. ■ Durch unklare oder widersprüchliche Managemententscheidungen kann die En‐ ergie erheblich sinken. Noch besser als im Einzelinterview kann der Energielevel in Gruppeninterviews oder in Workshops wahrgenommen werden, weil er sich im Diagnoseprozess selbst - sozusagen im here and now der Datensammlung - durch den Grad der Beteiligung zeigt. Defätistische Kommentare, Spott und Ironie können als Ausdruck eines niedrigen Energielevels gedeutet werden, ebenso die Lustlosigkeit sich im Interview zu äußern. 102 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Diagnostiker: innen sollten im Gruppeninterview und im Workshop auf den Gruppenprozess achten, oft eine Fundgrube für die Datensammlung. Fragen ■ Sind die Beteiligten von der Bedeutung des Projektes überzeugt und arbeiten sie engagiert mit? ■ Wie wird informell über das Projekt gesprochen? ■ Hat sich die Energie im Projektverlauf geändert? Wenn ja, wodurch? ■ Gibt es besondere Situationen, die zur Veränderung des Energielevels führten? ■ Hat sich das Interesse der Entscheidungsträger verändert? ■ Erhält das Projektteam genügend Aufmerksamkeit und Wertschätzung seitens des Managements? ■ Was müsste passieren, um den Drive im Projekt zu steigern? 5.2.2.2 Widersprüche Paradoxe, sich widersprechende Entscheidungen oder Anweisungen lassen sich in Organisationen und in Projekten häufiger finden als auf den ersten Blick vermutet. Drei Beispiele zur Illustration: ■ Das Projekt hat höchste Priorität. Doch Projektmitarbeiter: innen stehen nicht im notwendigen Maße zur Verfügung. ■ Das Projektteam wurde offiziell „empowered, soll also im hohen Maß eigen‐ verantwortlich entscheiden. Doch selbst bei kleineren Entscheidungen greifen Linienmanager: innen in die Teamarbeit ein, sei es aus Gewohnheit, mangelndem Vertrauen oder aus Furcht, Einfluss zu verlieren. ■ Projektmitarbeiter: innen werden aufgefordert, ihre Ideen einzubringen. Doch in Wahrheit werden sie ausgebremst bzw. ausgetrickst, weil bereits alles entschieden ist. Paradoxen Situationen entstehen selten aus böser Absicht, oft beruhen sie auf strukturell oder personell bedingten Unklarheiten, auf Zielkonflikten, auf Entscheidungsschwäche oder einem inneren Zwiespalt. Um unklare Situationen im Projekt zu verstehen, ist es hilf‐ reich, die Widersprüchlichkeit von Entscheidungen oder Anweisungen zu ermitteln. Drei Gründe für Paradoxien im Projekt unterscheiden ■ Strukturell bedingt: Höchste Priorität, doch zu wenig Kapazität ■ Personell bedingt: „Ihre Meinung interessiert mich“ (verbal), „doch was küm‐ mert mich Ihre Meinung“ (verbal und nonverbal). ■ Strukturell versus Verhalten: Eigenverantwortliches Handeln wird erwartet, doch es wird immer wieder in die Arbeit des Teams eingegriffen. 103 5.2 Diagnosefelder und Fragen für die Projektdiagnose Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Achten Sie in Interviews auf Paradoxien, überlegen Sie, ob sich zwei Aussagen widersprechen. Mit einem Fragbogen wird Ihnen das nicht gelingen. Auf jeden Fall sollten widersprüchliche Entscheidungen bzw. Anweisungen mit ihren Ursa‐ chen und den daraus resultierenden Konsequenzen für das Projekt und die Per‐ sonen im Diagnosebericht beschrieben werden. 5.2.2.3 Wiederholungsmuster Manchmal erfährt man, dass Probleme im Projektteam oder im Steering Committee schon seit geraumer Zeit bestehen, sprich nicht gelöst werden, obwohl sie bekannt sind. Diagnostisch interessant ist die Frage, wie häufig bereits über das Problem gesprochen worden ist und mit welchem Resultat. Ich bezeichne dieses Phänomen „immer wieder darüber reden“ (im Extremfall bis zum Zerreden) als Wiederholungsmuster. Eine für manche Situationen treffende Aussage lautet: „Willst Du ein Problem nicht lösen, dann rede immer darüber“. Diagnostiker: innen sollten erkennen, wie oft das Problem bereits besprochen worden ist und was es bedeutet, dass wiederholt bis hin zum ständigen Zerreden, über das Problem diskutiert wird, ohne eine Lösung zu erreichen. Wenn mehrmals erfolglos eskaliert wurde oder Entscheidungen im Team oder im Steering Com‐ mittee sich ständig im Kreis drehen, dann gehören solche Wiederholungsmuster auf jeden Fall in den Diagnosebericht. Fragen ■ Seit wann ist das Problem im Team bekannt? ■ Was wurde im Team unternommen, um das Problem zu lösen? ■ Was hindert das Team daran, das Problem zu lösen? ■ Seit wann ist das Problem im Entscheidungsgremium bekannt? ■ Wie häufig wurde bereits über das Problem im Gremium gesprochen? ■ Ist bekannt, warum die Entscheider: innen nicht in der Lage oder bereit sind, eine Entscheidung zu treffen? ■ Was würde passieren, wenn eine Entscheidung getroffen würde? ■ Werden die Auswirkungen der ständigen Diskussionen für den Projektverlauf von der Projektleitung deutlich aufgezeigt? ■ Wird die fehlende Entscheidung begründet? Wenn ja, mit welchen Argumenten? ■ Wenn nein, fordert die Projektleitung eine Begründung? 5.2.2.4 Konflikte Konflikte gehören zum Projektalltag, allen voran Prioritäten-, Ressourcen- und Ziel‐ konflikte. Auch durch schlechte Kommunikation, mangelnde Abstimmung oder diver‐ 104 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 gierende Meinungen über die Vorgehensweise entstehen Konflikte. Besonders schwie‐ rig wird es, wenn persönlicher Streit die Zusammenarbeit im Projekt beeinträchtigt. Konflikte sind per se nicht negativ, konstruktiv ausgetragene Konflikte helfen, die un‐ terschiedlichen Standpunkte deutlicher hervorzuheben. Konfliktfreiheit ist kein Gütekrite‐ rium für die Zusammenarbeit, friedlich und höflich ist manchmal friedhöflich. Erforderlich ist eine konstruktive Streitkultur, in Projektteams und in Gremien. Es ist mehr als nahelie‐ gend, dass zur Projektdiagnose auch die Analyse von Konflikten gehört. Das bedeutet nicht, dass in jedem Projekt zwangsläufig Konflikte auftreten müssen. Diagnostiker: innen müssen in der Lage sein, Konflikte innerhalb und außerhalb des Projektteams zu erkennen und zu unterscheiden, denn nur so lassen sich sinnvolle Empfehlungen vermitteln, die hoffentlich die Quellen der Konflikte beseitigen oder zumindest reduzieren können. Zwei Aussagen sind für Konfliktdiagnosen von großer Bedeutung: 1. Konflikt ist nicht gleich Konflikt, d. h., die verschiedenen Konfliktarten müssen unterschieden werden; das ist nicht immer einfach, vor allem wenn sie sich vermengen. So können sich Zielkonflikte relativ schnell zu einem persönlichen Konflikt erweitern, vor allem dann, wenn beide Parteien von der Richtigkeit ihrer Ziele fest überzeugt sind und mit Elan versuchen, ihre Ziele durchzusetzen. 2. Konflikte liegen nicht immer da, wo man sie findet. Zwei Projektmitarbeiter eines Forschungsprojektes streiten sich vehement über die richtige wissenschaftliche Methode. Was liegt näher, als diesen Streit als „Hahnenkampf “ zu interpretieren. Diese Deutung mag stimmen oder auch nicht. Möglicherweise vertreten die beiden „Kampfhähne“ die Ziele ihrer Organisationseinheiten und streiten über den wissenschaftlichen richtigen Ansatz. Dann wäre die Diagnose „persönliche Rivalität“ auf jeden Fall zu kurz gegriffen. Um Konflikte treffend zu analysieren, müssen sie aus verschiedenen Blickwinkeln be‐ trachtet werden. Das Repertoire des Konfliktmanagements bietet dafür verschiedene Möglichkeiten. Folgende Punkte sind hilfreich, um Konflikte in Projekten, im Team oder in Gremien zu verstehen. ■ Konfliktsymptome ermitteln: ■ Konfliktarten unterscheiden: ■ Konfliktparteien erkennen: ■ Konfliktstabilisierung verstehen: Wie zeigt sich der Konflikt? Um was für einen Konflikt handelt es sich? Wer ist am Konflikt beteiligt? Wie wird der Konflikt nicht gelöst? Konfliktsymptome ermitteln Konfliktdiagnose beginnt mit dem Erkennen der Symptome. Oft berichten die Inter‐ viewten über Konflikte oder man kann aus Andeutungen heraushören, dass Konflikte bestehen. Nach meiner Erfahrung äußern sich Projektmitarbeiter: innen meist offener über die negative Zusammenarbeit als Manager: in auf höheren Hierarchiestufen. 105 5.2 Diagnosefelder und Fragen für die Projektdiagnose Konfliktsymptome in Teams und Entscheidungsgremien zeigen sich u. a. durch ■ Gereizte Stimmung im Team, der Kommunikationsstil hat sich verschlechtert. ■ Trennende Seiten werden betont, man sieht überwiegend die Fehler der Gegenseite. ■ Selbst über kleinere Unterschiede wird immer wieder diskutiert, manchmal gepaart mit Polemik und Rechthaberei. ■ Scheinbar längst überwundene Probleme tauchen wieder auf. ■ Meinungen anderer werden negativ interpretiert, es kommt zu Unterstellun‐ gen und Abwertungen. ■ Misstrauen bestimmt das Geschehen. ■ Informationen und Know-how werden zum Taktieren missbraucht. ■ Die Bereitschaft an Sitzungen teilzunehmen ist gesunken. Diese Liste ließe sich leicht fortsetzen, entscheidend ist, dass Diagnostiker: innen die Symptome wahrnehmen und durch gekonntes Fragen die Details ermitteln. Die Frage, „wie erleben Sie die Zusammenarbeit im Team“ erscheint mir besser geeignet als die Aufforderung: „Schildern Sie mir bitte, welche Konflikte im Team auftreten“. Konfliktarten unterscheiden Konfliktarten müssen unterschieden werden, denn nur so lassen sich die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Folgende Konfliktarten können im Rahmen der Projektarbeit unterschieden werden: ■ Prioritätenkonflikte ■ Zielkonflikte ■ Prozedurenkonflikte ■ Beziehungskonflikte ■ Wertekonflikte Prioritätenkonflikte Sind die Prioritäten der Projekte im Unternehmen eindeutig geklärt? Prioritätenkonflikte zeigen sich meistens als Ressourcenkonflikte. Die Projektleitung kämpft um Projektmit‐ arbeiter: innen, nicht immer erfolgreich, denn andere Aufgaben in Projekten oder im Tagesgeschäft haben Vorrang. Innerhalb des Projektteams treten Spannungen auf, weil wichtige Aufgaben liegen bleiben und deshalb der Projektfortschritt blockiert wird. Zeit- und Leistungsdruck können dazu führen, dass Prioritätenkonflikte persönlich ausgetragen werden, was oberflächlich betrachtet als Beziehungsproblem interpretiert werden kann, wenn der zugrundeliegende strukturelle Konflikt nicht gesehen wird. 106 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Zielkonflikte Im Projektteam knirscht es gewaltig, weil divergierende Auffassungen über die erfor‐ derliche Qualität und den Einführungstermin bestehen. Der Produktmanager fordert sehr forsch, dass das Projekt spätestens Ende Oktober abgeschlossen sein muss, um die geplante Markteinführung zu garantieren. Er kritisiert, dass die Entwicklung alles kompliziert macht und nicht in die Gänge kommt. Die Kollegin aus der Entwicklung hält dagegen und weist darauf hin, dass der Produktmanager offensichtlich die Komplexität der Aufgabe nicht versteht oder er sogar Abstriche bei der Qualität in Kauf nehmen will, um den Einführungstermin zu halten. Offensichtlich handelt es sich um einen Zielkonflikt: Qualität erreichen versus Endtermin halten. Prozedurenkonflikte Prozedurenkonflikte entstehen durch die Art und Weise des Vorgehens im Projekt. Die Kernpunkte lassen sich an fünf Fingern abzählen: ■ Schlechte Information ■ Mangelnde Abstimmung ■ Unklare Zuständigkeiten ■ Unzureichende Einbezug der betroffenen Mitarbeiter: innen ■ Pseudobeteiligung (Man gaukelt die Möglichkeit zur Beteiligung vor, doch in Wahrheit ist alles entschieden.) Prozedurenkonflikte zeigen sich in organisatorischen Veränderungsprojekten am häu‐ figsten, doch auch in anderen Projektarten treten sie auf. Prioritäten- und Zielkonflikte sind systemimmanent und somit unvermeidbar. Prozedurenkonflikte dagegen können durch gründliche Planung und bewusstes Vorgehen nach den Regeln und Methoden des Change Managements, wenn nicht ganz vermieden, so doch zumindest verringert werden. Beziehungskonflikte Wo Menschen zusammenleben und arbeiten können Beziehungskonflikte auftreten. Sie entstehen durch Antipathie, Vorurteile, Diskriminierung, aggressives oder domi‐ nantes Verhalten, um nur einige Ursachen zu nennen. Wenn es sich bei einem Streit zwischen zwei Personen wirklich um einen echten Beziehungskonflikt handelt, so ge‐ hört dieses Thema meines Erachtens nicht in den Diagnosebericht. In diesem Fall würde ich dazu raten, dieses Thema informell mit der Projektleitung oder Führungskräften zu besprechen. Projektdiagnostiker: innen sollten sich davor hüten, in die Katakomben eines Beziehungskonfliktes einzusteigen. Persönliche Reibereien werden oft voreilig als Erklärung für die Spannungen zwischen A und B benutzt. Die simple Erklärung lautet dann: „Wenn A und B sich besser verstehen würden, hätten wir keine Probleme im Team. Selbstverständlich gibt 107 5.2 Diagnosefelder und Fragen für die Projektdiagnose Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 2 F. Glasl, Konfliktmanagement, S. 25, Verlag Paul Haupt, Bern, Stuttgart 1980 3 Siehe: F. Glasl, Konfliktmanagement, S. 97, Verlag Paul Haupt, Bern, Stuttgart 1980 es persönliche Konflikte und sie können die Arbeit extrem belasten, doch Diagnosti‐ ker: innen müssen untersuchen, ob dahinter nicht Ziel- oder Interessenkonflikte stehen, die sich im Eifer des Gefechtes in einen Beziehungskonflikt verwandelt haben. Qualifizierte Diagnostiker: innen wissen Konfliktarten zu unterscheiden, um die Ursachen eines Konfliktes richtig einzuordnen. Fragen ■ Wie war das Verhältnis der Konfliktparteien in der Vergangenheit? ■ Wie gehen die Konfliktparteien außerhalb der offiziellen Meetings miteinander um? Gehen sie sich dort aus dem Wege oder ist das Verhalten dann entspannter, wenn sie nicht um Sachthemen streiten (müssen)? ■ Bestehen Ziel- oder Interessenkonflikte zwischen den Beteiligten? Werden diese Konflikte stellvertretend für andere ausgetragen? Andere können einzelne Füh‐ rungskräfte, Gremien oder Organisationseinheiten sein. ■ Welches Verhältnis haben die Organisationseinheiten, in denen die Kontrahent: in‐ nen arbeiten? Oft bieten die Antworten auf diese Fragen eine Chance, die Konflikte in einem anderen Licht zu betrachten. Wertekonflikte Zwei engagierte und qualifizierte Softwareentwickler reagierten empört, weil die Pro‐ jektleitung und die Geschäftsführung entschieden hatten, dass aus Sicht der beiden Experten noch nicht ausgereifte Produkt trotz Mängel an den Kunden auszuliefern. „Die offenen Punkte können später beim Kunden verbessert werden, der Kunde merkt das wahrscheinlich gar nicht“, so lautete die Aussage eines Geschäftsführers. Beide Entwickler lehnten die Entscheidung deutlich ab, weil diese Geschäftspolitik nicht ihren professionellen Werten entsprach. Der Dissens konnte nicht aufgelöst werden, am Ende haben beide das Unternehmen verlassen. Wertekonflikte können zu einer dauerhaften Verhärtung der Positionen führen, denn „ein Kompromiss zwischen den Bewertungs‐ systemen erscheint den Konfliktparteien zumeist als Schändung der Wahrheit“. 2 Konfliktparteien erkennen 3 Diagnostiker: innen sollten sich ein Bild über die Konfliktparteien machen, um zu erken‐ nen, wer den Konflikt verursacht hat, wer daran beteiligt ist und wer an der Lösung mit‐ arbeiten muss. Konfliktparteien können Individuen, Gruppen und Organisationseinheiten 108 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 sowie Externe (Lieferant: innen, Kund: innen) sein. Sie können das Konfliktgeschehen aktiv beeinflussen oder geschickt taktierend im Verborgenen wirken. Fragen ■ Wer ist am Konflikt beteiligt? Handelt es sich um Personen, Gruppen, Abteilungen, oder externe Kooperationspartner: innen? ■ Aus welchen Organisationseinheiten kommen die beteiligten Personen bzw. Gruppen? ■ In welchem Verhältnis stehen die Beteiligten zueinander? Das kann sich auf die Funktionen, die Positionen, den Grad der wirtschaftlichen und sozialen Abhän‐ gigkeiten sowie auf das persönliche Verhältnis beziehen. ■ Welche Interessen vertreten die Konfliktparteien? Was ist ihnen an der Konflikt‐ lösung wichtig? Was möchten sie auf jeden Fall vermeiden? Durch die Analyse der Konfliktparteien können im Diagnosebericht geeignete Maß‐ nahmen mit Nennung der richtigen Adressaten empfohlen werden. Konfliktstabilisierung verstehen Wie wird der Konflikt nicht gelöst? Pointiert formuliert: „Wie passiert es, dass nichts passiert? “ Eine merkwürdige Frage oder? Liegt es denn nicht auf der Hand, dass Konflikte gelöst werden müssen, wenn man sie erkannt hat? Doch so merkwürdig ist die Frage nicht, denn nicht immer werden bekannte Konflikte gelöst. Daraus ergibt sich für die Diagnose ein folgerichtiger Schluss: Diagnostiker: innen müssen verstehen, wieso ein Konflikt nicht gelöst wird, selbst dann, wenn der Projektfortschritt darunter leidet, das Budget überschritten wird und die Zeit davonläuft. Um Konfliktstabilisierungsverhalten zu verstehen, können Sie analysieren, durch welche Verhaltensweisen der Konflikt nicht gelöst wird und welche Absichten und Interessen dahinterstehen. Fragen ■ Wird das Problem unter den Teppich gekehrt, um die Auseinandersetzung zu ver‐ meiden? ■ Ist überhaupt schon einmal ein ernsthafter Versuch unternommen worden, den Konflikt zu lösen? Wenn ja, was kam dabei heraus? Wenn nein, welche Gründe lassen sich dafür finden? ■ Konflikte bleiben stabil, indem die Beteiligten immer wieder darüber reden, das Problem also zerreden. Fragen Sie, was passieren würde, wenn die Beteiligten eine klare Entscheidung treffen würden, statt ständig darüber zu diskutieren. 109 5.2 Diagnosefelder und Fragen für die Projektdiagnose Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 ■ Eine ziemlich perfekte Methode einen Konflikt nicht zu lösen besteht darin, je‐ manden zum hoffnungslosen Fall zu erklären nach dem Motto: Egal, ob ich ihm das sage oder nicht, er begreift es ohne hin nicht. Der persönliche Nutzen dieses Verhaltens besteht darin, dass man sich nicht mit dem anderen auseinandersetzen braucht, denn wenn jemand erst einmal zum hoffnungslosen Fall abgestempelt wurde, braucht der andere nichts mehr zu unternehmen. Nicht nur Personen kön‐ nen so abgestempelt werden, sondern auch Gremien. Bekannt ist das Wortspiel für den Lenkungsausschuss.: „In unserem Unternehmen liegt die Betonung auf der zweiten Hälfte des Wortes. Diagnostiker: innen sollten untersuchen, inwieweit Personen (z.B. Projektspon‐ sor: in) oder Gremien aus ihrer Rollenverantwortung entlassen, also nicht mehr ernstgenommen werden. Wiederholt habe ich Projektleiter: innen gefragt, was sie denn daran hindert, den Konflikt mit einer Führungskraft deutlich anzusprechen. Lautet die Antwort, „das ist sinnlos, der begreift es sowieso nicht“, dann ist diese Aussage von erheblichem diagnostischem Wert. 5.3 Diagnose des Projektteams Die Diagnose des Projektteams ist ein unverzichtbarer Bestandteil jeder Projektdiag‐ nose. Ohne die Analyse der Teamarbeit ist Projektdiagnose einfach nicht denkbar. Die Einflüsse der Strukturelemente und des Verhaltens auf die Zusammenarbeit innerhalb und außerhalb des Teams und die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Struktu‐ ren und Verhalten müssen erkannt, analysiert und bewertet werden. Darauf habe ich bereits an verschiedenen Stellen des Buches hingewiesen. Diagnostiker: innen müssen diese Einflussfaktoren kennen, sie gehören zum Handwerk der Projektdiagnose. Je umfassender die Datensammlung über die Zusammenarbeit im Team ist, desto mehr Anhaltspunkte ergeben sich für die Analyse des gesamten Projektes. Worauf achten, um eine fundierte Diagnose des Projektteams durchzuführen? 1. Welche Strukturelemente beeinflussen die Arbeit des Projektteams? 2. Welche Fragen müssen zur Analyse der Strukturelemente gestellt werden? 3. Welche Abhängigkeiten bestehen zwischen einzelnen Strukturelementen? 4. Welche Verhaltensmerkmale müssen bei der Teamdiagnose beachtet werden? 5. Welche Wechselwirkung bestehen zwischen Strukturelementen und Verhal‐ ten? 110 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 4 G. Lomnitz, Damit es im Projektteam rund läuft - Teamprozesse verstehen und steuern, Projekt Magazin 21/ 2020 Um die Arbeit des Projektteams zu analysieren, müssen Antworten auf diese Fragen gefunden werden. Die Informationen können durch Interviews mit internen und externen Teammitgliedern, mit Linienmanager: innen oder mit dem gesamten Team gewonnen werden. 5.3.1 Welche Strukturelemente beeinflussen die Arbeit des Projektteams? Die Abbildung 8 zeigt die wesentlichen Strukturelemente eines Projektteams. 4 Exem‐ plarisch sind Abhängigkeiten zwischen einzelnen Strukturelementen durch dickere Pfeile dargestellt. Vom Teamumfeld gehen zwei Pfeile aus: Der schwarze Pfeil symbo‐ lisiert die formellen Beziehungen zwischen Team-Umfeld und Projektteam, der rote Pfeil dagegen die informellen Einflüsse. 1 ZIELE Arbeitsmittel Ort Budget Rollen Mitglieder Zeitrahmen Vorgehensweise, Methoden und Regeln Informationsregeln und -mittel Team-Umfeld Abb. 10: Strukturelemente im Projektteam 5.3.1.1 Welche Fragen müssen zur Analyse der Strukturelemente gestellt werden? Vorbemerkung Aus den Strukturelementen ergeben sich wie bereits im Abschnitt 5.2. beschrieben eine Vielzahl von Fragen. Um Wiederholungen zu vermeiden, verzichte ich hier auf die 111 5.3 Diagnose des Projektteams bereits dargestellten Erklärungen zu den Strukturelementen und beschränke mich nur auf solche Fragen, die für die Analyse der Strukturelemente im Team relevant sind. Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Fragen zu den Strukturelementen Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Projektziele ■ Sind die Projektziele allen Teammitgliedern klar? ■ Stehen die Mitarbeiter: innen hinter den Zielen? ■ Sind alle davon überzeugt, dass die Ziele im vorgegeben Zeitrahmen erreicht werden können? ■ Kann das Team falls erforderlich die Ziele noch verändern oder sind sie unver‐ rückbar? ■ Bei größeren Projekten mit Teilprojekten sollte geprüft werden, ob alle Projektmit‐ arbeiter: innen einen Überblick über die Teilziele haben und den Zusammenhang zwischen Teilzielen und dem Gesamtziel kennen und verstehen. Das bedeutet nicht, dass sie im Detail die einzelnen Teilziele verstehen müssen. ■ Wurden die Ziele im Projektverlauf verändert? Wenn, ja, welche Auswirkungen ergeben sich daraus für das Team? ■ Beeinflussen die Projektziele die zukünftige Arbeit der Projektmitarbeiter: innen? Wenn ja, wie? Projektmitarbeiter: innen ■ Entspricht die Zusammensetzung des Teams den Projektzielen? Sind alle wichti‐ gen Funktionen im Team vertreten? ■ Verfügen die Mitarbeitenden über die notwendige Qualifikation? Wenn nein, welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Teamarbeit? ■ Können Qualifikationsdefizite einzelner Mitarbeiter: innen im Rahmen des Projek‐ tes abgebaut werden? ■ Haben die Teammitglieder genügend Zeit, um aktiv mitzuarbeiten? ■ Welche Einstellung haben die einzelnen Teammitglieder zum Projekt? Zeigen sich Motivationsprobleme? ■ Haben die Teammitglieder genügend Entscheidungskompetenzen, um selbststän‐ dig zu entscheiden oder müssen sie sich zu oft mit ihren Linienmanagern: innen abstimmen? ■ Sind Stellvertreter: innen für die einzelnen Personen benannt? ■ Gab es im Projektverlauf Wechsel in der Zusammensetzung des Teams? Wenn ja, warum? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Zusammenarbeit im Team und für die Zielerreichung? 112 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Rollen im Team ■ Sind Aufgaben und Verantwortung der Teammitglieder geklärt? ■ Besteht ein gemeinsames Verständnis über die Aufgaben und Zuständigkeiten? ■ Wie nehmen die Teammitglieder ihre Rolle wahr? ■ Können alle ihre Rollen gut ausüben oder werden sie durch den Einfluss des Linienmanagements daran gehindert? ■ Wie nimmt die Projektleitung ihre Aufgaben wahr? Wird die Leitung positiv oder eher negativ bewertet? ■ Gibt es Rollenkonflikte bei einzelnen Teammitgliedern oder der Projektleitung? ■ Beispiel: Eine Projektmitarbeiterin ist verantwortlich für zwei Arbeitspakete und soll nun noch die Leitung eines Teilprojektes übernehmen. Bekommt sie alle Aufgaben unter einen Hut? Methoden, Vorgehen ■ Wurde zu Beginn der Zusammenarbeit über die Vorgehensweise und die Metho‐ den gesprochen? ■ Kann das Team die Vorgehensweise selbst bestimmen oder steht sie durch re‐ gulatorische oder unternehmensinterne Bestimmungen fest? Wenn ja, welche Auswirkungen ergeben sich dadurch für die Teamarbeit? ■ Werden Aktivitäten solide geplant und soweit erforderlich im Team besprochen? ■ Wird für die Aufwandschätzung die gleiche Methode angewendet oder machen es alle so, wie sie es für richtig halten? ■ Ist eine gemeinsame Planung überhaupt sinnvoll? ■ Ist die Planung der einzelnen Arbeitspakte bzw. Teilprojekte für die Projektmitar‐ beiter: innen nachvollziehbar? ■ Werden die Prämissen für die Aufwandsplanung, soweit nötig, gemeinsam über‐ prüft? ■ Welche Tools werden für die Planung und Steuerung der Aktivitäten eingesetzt? ■ Bietet die Vorgehensweise allen genügend Orientierung? ■ Wird das Vorgehen als hilfreich oder als überstrukturiert, einengend bewertet? Regeln ■ Gibt es Regeln für die Teamarbeit? Wenn ja, welche? ■ Gibt es Regeln für Meetings bezüglich Vor- und Nachbereitung, Anwesenheit, Kommunikation, Information und Regeln für Entscheidungsprozesse? ■ Wurden sie gemeinsam erarbeitet? ■ Werden die Regeln von allen akzeptiert? ■ Sind sie für die Zusammenarbeit förderlich oder eher blockierend? ■ Bei Projektteams mit interkultureller Zusammensetzung sollte unbedingt ermittelt werden, inwieweit man Diversity-Themen genügend berücksichtigt hat. 113 5.3 Diagnose des Projektteams Communication Tools ■ Welche Communication Tools werden verwendet? ■ Haben alle Teammitglieder Zugang zu den Tools? (Internetverbindung) ■ Sind alle Beteiligten in der Lage, die Tools gekonnt zu nutzen? ■ Wurde zu Beginn der Teamarbeit geprüft, ob eine Tool-Schulung erforderlich ist? Arbeitsmittel ■ Stehen dem Team genügend Arbeitsmittel zur Verfügung, um gemeinsam innova‐ tiv zu arbeiten? ■ Welche Arbeitsmittel werden vermisst? Ort ■ Welchen Einfluss haben verschiedene Standorte auf die Zusammenarbeit? ■ Wie wirken sich Zeitzonen aus? ■ Welchen Einfluss haben Sprachkenntnisse? ■ Spielen kulturelle Aspekte für die Zusammenarbeit eine Rolle? Wenn ja, dann sollte dieser Punkt im Interview konkretisiert werden, denn nur so können brauchbare Empfehlungen ausgearbeitet werden? ■ Bestehen zwischen einzelnen Standorten Interessenkonflikte oder Zuständigkeits‐ probleme? Wenn ja, wie zeigen sie sich konkret? Können die Befragten Beispiele nennen? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Zusammenarbeit? Teamumfeld An verschiedenen Stellen des Buches habe ich betont, dass ein Projekt nicht mit einem Projektteam gleichgesetzt werden darf, weil das Team ein Subsystem des Projektes ist. Projektteams werden in aller Regel durch ihr Umfeld beeinflusst, gefördert oder be‐ hindert. Daraus folgt, dass der Einfluss des Teamumfeldes stets ein fester Bestandteil der Teamdiagnose sein muss. Zum Umfeld eines Projektteams gehören unternehmensinterne und externe Ein‐ flüsse. Zu den unternehmensexternen Faktoren gehören u. a. Gesetze, politische Restriktionen, Qualitätsnormen, Vorgaben der Kund: innen, Abhängigkeiten von Lie‐ ferant: innen oder die Aktivitäten der Mitbewerber, die das Projekt beeinflussen können. Selbstverständlich muss auch das unternehmensinterne Umfeld des Teams in die Diagnose einbezogen werden. Dazu zählen beispielsweise das Interesse des Projektsponsors, die Entscheidungsprozesse im Steering Committee, der Einfluss des Betriebsrates, die Auswirkungen des Berichtswesens oder der Prozess für Budgetfrei‐ gaben. Informelle Einflüsse wie Absprachen im Vorfeld einer Entscheidung hinter verschlossenen Türen, oder die Einflüsse von Führungskräften auf Projektmitarbei‐ ter: innen können eine große Rolle im Rahmen eines Projektes spielen und sind somit Themen der Teamdiagnose. 114 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Um die Arbeit eines Projektteams richtig zu verstehen, dürfen Diagnostiker: innen das Teamumfeld nie vernachlässigen, ansonsten kommt man schnell zu falschen Schlüssen. (siehe Abschnitt 5.4. „Konfliktverlagerung - Organisationen sind Druckweitergabe-Systeme“) Aus dem Sammelbecken Teamumfeld ergeben sich eine Vielzahl von Fragen und noch mehr Detailfragen, die sich hier unmöglich alle darstellen lassen. Ich konzentriere mich auf solche Fragen, die erfahrungsgemäß einen hohen Stellenwert für die Teamdiagnose haben. ■ Welchen Einfluss hat die Projektsponsorin auf die Teamarbeit? Unterstützt sie das Projekt genügend? Trifft sie klare Entscheidungen? Nimmt sie sich Zeit für notwendige Gespräche? ■ Sind Entscheidungen des Steering Committee für das Projektteam nachvollzieh‐ bar? Wird schnell genug entschieden? Werden unterschiedliche Meinungen im Steering Committee ausgetragen oder werden sie in das Projektteam verlagert? ■ Welchen Einfluss haben Linienmanager: innen auf die Teamarbeit? Unterstützen sie ihre Mitarbeiter: innen? Werden Entscheidungen der Projektmitarbeiter: innen und damit auch des Teams beeinflusst? Wenn ja, ist die Einflussnahme nachvoll‐ ziehbar oder bevormundend und durch Bereichsegoismus geprägt? ■ Werden Projektmitabeiter: innen ohne Abstimmung mit der Projektleitung für andere Arbeiten eingesetzt? ■ In Change Projekten: Ist die Personalvertretung rechtzeitig einbezogen worden? Welche Position vertritt die Personalvertretung bezüglich der Projektziele und der Vorgehensweise und welche Auswirkungen ergeben sich daraus für die Teamarbeit? ■ Welche Macht hat ein wichtiger Kunde auf die Projektarbeit? Kann er die Team‐ arbeit beeinflussen, beispielsweise durch Zeitdruck, moving targets, Budget oder das Infragestellen von Folgeaufträgen? ■ Welche Einflussmöglichkeiten haben Lieferant: innen? Bestehen Abhängigkeiten, die sich auf das Team auswirken? ■ Welchen Einfluss haben externe Beratungsunternehmen: Beeinflussen Externe die Teamarbeit? Werden Absprachen mit Entscheidungsträgen ohne Einbindung der Projektleitung getroffen? Inwieweit bestimmen die Externen das Vorgehen und die Projektaufbauorganisation des Projektes? Informieren sie die Führungs‐ kräfte über die Leistung der internen Projektmitarbeiter: innen und auf welcher Legitimationsbasis geschieht das? Zusammenfassung Um den Einfluss der Strukturelemente eines Projektteams zu untersuchen, können sich Diagnostiker: innen an fünf Kernfragen orientieren. 115 5.3 Diagnose des Projektteams Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 ■ Sind die Strukturelemente richtig, geeignet und vollständig? ■ Sind die Strukturelemente kompatibel oder widersprüchlich? ■ Welche Strukturelemente sind variabel und welche unverrückbar? ■ Werden die Strukturelemente von allen Beteiligten verstanden? ■ Werden die Strukturelemente von allen Beteiligten akzeptiert? 5.3.1.2 Welche Abhängigkeiten bestehen zwischen einzelnen Strukturelementen? Diagnostiker: innen müssen die Abhängigkeiten zwischen einzelnen Strukturelemen‐ ten ermitteln und verstehen. Dafür ist nicht selten ein gewisses Maß an Fachwissen erforderlich. Hierzu einige Beispiele: ■ Verlässt eine erfahrene, qualifizierte Mitarbeiterin das Team, müssen die Auswir‐ kungen für das Projekt geprüft werden. Auch muss ermittelt werden, welche Konsequenzen moving targets auf die Verfügbarkeit von Projektmitarbeiter: innen haben. ■ Der Zeitrahmen oder das Budget können sich erheblich auf die Ziele auswirken. Im schlechten Fall leidet die Qualität der Ergebnisse, wenn ein Endtermin unbedingt eingehalten werden muss. Umgekehrt muss erkannt werden, welche Auswirkun‐ gen die Veränderung der Projektziele auf den Endtermin und das Budget haben. ■ Das Steering Committee beeinflusst die Arbeit des Teams, umgekehrt können schlechte Ergebnisse des Teams das Steering Committees über Gebühr beschäfti‐ gen. Wenn der Projektstatus von der Projektleitung nicht korrekt, möglicherweise geschönt den Entscheider: innen präsentiert wird, steigt die Wahrscheinlichkeit einer Fehlentscheidung. Im Rahmen der Diagnose des Projektteams müssen die wechselseitigen Abhängig‐ keiten zwischen den Strukturelementen erkannt, verstanden und bewertet werden, ohne diese Informationen bleibt die Diagnose unvollständig. 5.3.2 Welche Verhaltensmerkmale müssen bei der Teamdiagnose beachtet werden? Bei der Auswahl von Verhaltensweisen beschränke ich mich auf solche, die erfahrungs‐ gemäß einen großen Einfluss auf die Zusammenarbeit in Projektteams haben und regelmäßig in Interviews angesprochen werden. 116 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Verhaltensmerkmale mit dazugehörenden Fragen Verhaltensmerkmale Fragen Kommunikation Wie wird der Kommunikationsstil im Team erlebt? Hört man sich in Meetings gut zu oder wird häufiger unter‐ brochen? Gehen die Teammitglieder auf Argumente ein? Wird offenes Feedback praktiziert? Wird miteinander gesprochen oder redet man in Abwesen‐ heit über Dritte? Wird respektvoll miteinander umgegangen? Energie Bringen sich alle gut ein oder wird das Geschehen überwie‐ gend von wenigen beeinflusst? Macht die Zusammenarbeit Spaß oder ist die Teamarbeit eher schleppend? Akzeptanz Werden die Strukturelemente akzeptiert? Bei Kritik, werden konstruktive Vorschläge gemacht? Akzeptieren sich die Projektmitarbeiter: innen gegenseitig oder gibt es unterschiedliche Stufen der Akzeptanz? Wie drückt sich mangelnde Akzeptanz aus? Wird die Projektleitung von den Projektmitarbeiter: innen akzeptiert? Umgang mit Informationen Wird offen informiert oder gemauert? Fühlen sich alle Projektmitabeiter: innen gut informiert? Wird über Verbesserungen des Informationsflusses im Team gesprochen? Verbindlichkeit Sind die Teilnehmer: innen pünktlich? Werden klare Vereinbarungen getroffen? Halten alle ihre Zusagen ein? Wie wird mit mangelnder Verbindlichkeit umgegangen? Gib es Teammitglieder, die „es sich leisten können“, ihre Zusagen nicht einzuhalten? Wenn ja, wie schaffen sie es? Wer deckt sie? Entscheidungsverhalten Wie gut sind Entscheidungen vorbereitet? Werden Entscheidungen rechtzeitig getroffen? Werden die richtigen Personen in den Entscheidungsprozess einbezogen? Durch wen werden Entscheidungen im Team maßgeblich beeinflusst? Wird klar wird entschieden oder wird immer wieder herum‐ diskutiert? In welchem Maße werden die Entscheidungen des Teams von Personen außerhalb des Teams beeinflusst? 117 5.3 Diagnose des Projektteams Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Konfliktverhalten Gibt es im Team Konflikte, wenn ja, welche? Werden Konflikte offen und konstruktiv besprochen oder eher unter den Teppich gekehrt? Werden Konflikte überwiegend sachlich ausgetragen oder eher emotionell? Wie verhält sich die Projektleitung bei Konflikten? Ist sie in der Lage, Konflikte zu managen? Grenzmanagement Bezieht die Projektleitung gegenüber dem Teamumfeld klar genug Position, wenn es die Situation verlangt. In welchem Maße werden Projektmitarbeiter: innen von ihrem Umfeld beeinflusst? Grenzen sie sich genügend ab? 5.3.3 Welche Wechselwirkung bestehen zwischen Strukturelementen und Verhalten? Selbstverständlich müssen auch die Wechselwirkungen zwischen Strukturele‐ menten und Verhalten analysiert werden. Eine einseitige Fokussierung auf Struk‐ turelemente (Hard Facts) oder auf Verhalten (Soft Facts) wird der Realität nicht gerecht. Beispiele Auswirkungen von Strukturelementen auf Verhalten ■ Unklare Zuständigkeiten im Team können zur Verunsicherung, zu Schuldzuwei‐ sungen und zum Abwehrverhalten führen nach dem Motto „das ist nicht meine Aufgabe, dafür seid ihr verantwortlich“. ■ Die Projektziele werden wiederholt vom Produktmanagement geändert, doch am Endtermin darf nicht gerüttelt werden. Projektmitarbeiter: innen aus dem Ent‐ wicklungsbereich Elektronik schütteln nur noch den Kopf, sie haben mittlerweile die Lust verloren, ihre Arbeiten durch ständigen Mehraufwand und Überstunden im vorgegebenen Zeitahmen zu erledigen. Doch es geht auch andersherum Beispiele Auswirkungen von Verhalten auf Strukturelemente ■ Die mangelnde Zuverlässigkeit von einigen Projektmitarbeitern will die Projekt‐ leitung durch Regeln und Protokolle, die von allen Teammitgliedern schriftlich zu bestätigen sind, in den Griff bekommen. Offensichtlich möchte sie durch eine stärkere Strukturierung das Verhalten der Unzuverlässigen beeinflussen. Fragt sich, ob dieser Weg zum Erfolg führt. ■ Ein Mitarbeiter liefert wiederholt schlechte Ergebnisse, was ihm ziemlich gleich‐ gültig zu sein scheint. Die Kolleg: innen sind bestrebt, die Ziele in der geplanten Zeit zu erreichen und übernehmen deshalb die Aufgaben des „Low Performers“. 118 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen So wird das Problem durch deren Einsatzbereitschaft vordergründig gelöst, aber auf diese Weise entlassen sie den Kollegen aus seiner Rollenverantwortung. Durch diese Bypass-Lösung fördern sie die Konfliktstabilisierung und bestätigen den Meister der Rückdelegation. Die Projektdiagnostiker: innen sollten Bypass-Lösungen ermitteln und im Diag‐ nosebericht darauf hinweisen, dass dadurch die Probleme zwar kurzfristig gelöst werden, jedoch die eigentliche Problematik bestehen bleibt und möglicherweise noch verfestigt wird. 5.4 Problemverlagerung in Projekten Organisationen sind Druckweitergabe-Systeme. Das gilt auch für Projektteams. Druck wird von einem Subsystem auf ein anderes verlagert, selten aus böser Absicht, sondern in der Regel verursacht durch komplexe Aufgabenstellungen, Interessenkonflikte, Zeitdruck oder unklare Entscheidungsprozesse. Subsysteme können Personen, Grup‐ pen, Abteilungen, Kund: innen oder Lieferant: innen sein. Interessenkonflikte im Stee‐ ring Committee oder Kompetenzgerangel zwischen Organisationseinheiten werden dort nicht geklärt und so werden die Probleme in das Projektteam verlagert. Ein Kunde mit entsprechender Marktmacht ist in der Lage, interne Probleme auf das Projektteam des Lieferanten abzuwälzen. Ähnliches lässt sich bei einem Lieferanten feststellen, wenn das Projekt von ihm abhängig ist. Noch einmal, ich spreche nicht von Vorsatz, oft wird die Problemverlagerung zum Zeitpunkt einer Entscheidung von den Entschei‐ dern gar nicht erkannt und in vielen Fällen zeigen sich die Konsequenzen der Verla‐ gerung in ihren Fern- und Nebenwirkungen erst später. Mit zunehmender Komplexität steigt die Wahrscheinlichkeit der Konfliktverlagerung, das gehört zum Wesen von Komplexität. Um es auf den Punkt zu bringen, Problemverlagerung lässt sich in vielen Organisationen nicht vermeiden, sie ist systemimmanent. Wer behauptet, Problem‐ verlagerungen ließen sich durch gutes Projektmanagement völlig vermeiden, hat die Realität von Organisationen nicht begriffen. Daraus ergibt sich für die Diagnose von Projektteams eine klare Konsequenz: Wenn man ein Projektteam diagnostizieren will, muss man auf Problemverlage‐ rungsprozesse achten. Mit anderen Worten, Probleme, die sich in der Zusammen‐ arbeit des Projektteams zeigen, können in manchen Fällen nur richtig verstanden werden, wenn gründlich untersucht wird, wo die Quelle für die Probleme liegt. Diese analytische Perspektive gehört zur Kernkompetenz von Diagnostiker: innen. 119 5.4 Problemverlagerung in Projekten Gründe für die Verlagerung von Konflikten • Interessenkonflikte • Zeitdruck • Fehlendes Know-how • Verantwortungen unklar • politische “Spiele” • mangelnde Informationen bedingt durch schlechte Statusberichte • Komplexität des Projektes Projektleitung 1 2 3 4 Projektteam 5 Management Board Probleme werden verlagert Konfliktarten o Prioritätenkonflikte o Ressourcenkonflikte o Zielkonflikte o Interessenkonflikte Abb. 11: Problem-, Konfliktverlagerung Beispiel: Die Stimmung im Team ist gereizt, die Projektmitarbeiter: innen diskutieren zum wiederholten Male über die Ausrichtung der Teilziele. Es besteht Uneinigkeit über Produktfeatures, vor allem zwischen den Entwickler: innen und der Produktmanagerin. Zunehmend wird unsachlich diskutiert, die anderen Teammitglieder fühlen sich ge‐ nervt. Um die Situation richtig zu verstehen, müssen folgende Fragen gestellt werden: ■ Über welche Punkte streiten sich die Konfliktparteien? ■ Wie wird der Konflikt ausgetragen? ■ Wie häufig ist über das Problem schon gesprochen worden? ■ Wurde im Team alles unternommen, um das Problem zu lösen? ■ Wurden die Vor- und Nachteile der verschiedenen Sichtweisen sachlich erläutert und abgewogen und dokumentiert? Wenn diese Fragen gestellt worden sind, stellen sich weitere, die zu den Kernpunkten führen: ■ Ist es überhaupt möglich, diesen Zielkonflikt innerhalb des Teams zu lösen oder muss das Problem eskaliert werden, damit auf einer höheren Managementebene eine Entscheidung getroffen werden kann? ■ Hat die Projektleitung das Problem nach gründlicher Vorbereitung eskaliert? ■ Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Wenn nein, wieso nicht? 120 5 Diagnosefelder mit den dazugehörenden Fragen Zusammenfassung Der Diagnostiker: innen müssen erkennen, auf welcher Ebene die Probleme entstanden sind. Lautet die Empfehlung, das Team sollte in einem Teamentwick‐ lungsworkshop lernen, sich kooperativer zu verhalten und den Teamspirit zu steigern, dann bleibt man an den Symptomen hängen. Zur Diagnose von Projekt‐ teams gehört, verlagerte Probleme zu erkennen und die richtige Empfehlung auszuarbeiten. 121 5.4 Problemverlagerung in Projekten 6 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln Die richtigen Fragen stellen ist eine Sache, doch die Fragen richtig stellen eine andere. Das gilt für Interviews, aber auch beim Fragebogen spielen passende Formulierungen der Fragen bzw. der Aussagen eine wesentliche Rolle. Weniger erfahrene Diagnosti‐ ker: innen können einen Fragenkatalog nutzen, um wichtige Fragen nicht zu vergessen. Auf den Nachteil eines zu starren Katalogs habe ich bereits hingewiesen. Doch die eigentliche Herausforderung bei der Datensammlung besteht erfahrungsgemäß darin, gekonnt zu fragen, um die notwendige diagnostische Tiefe zu erreichen. Beim Fragen zeigen sich typische Fehler, wie z.B. Antworten direkt mitliefern, Kettenfragen stellen oder zu diskutieren, statt zu fragen. Im Abschnitt 6.4. finden Sie eine Reihe von Emp‐ fehlungen zum Interview. Bei der Datensammlung müssen immer zwei Fragestellungen unterschieden werden: Welche Daten werden benötigt? Wie können die Daten gesammelt werden? Im Kapitel 5 wurde die erste Fragestellung behandelt. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem Thema, welche Methoden zur Datensammlung geeignet sind und welche Vor‐ aussetzungen und Regeln beachtet werden müssen, um Informationen zu gewinnen. Für die Datensammlung eignen sich verschiedene Methoden, es gibt nicht den einzig wahren Weg für die Datensammlung, sondern im Einzelfall muss überlegt werden, welche Methoden sich am besten für den Fall eignen. Häufig ist ein Methoden-Mix die geeignete Wahl, beispielsweise mit Fragebögen, Einzel- und Gruppeninterviews zu arbeiten. Diagnostiker: innen sollten begründen können, warum sie für eine Projektdiag‐ nose ein bestimmtes Methoden-Mix gewählt haben. Die Methodenwahl darf nicht dem Zufall überlassen werden. Methoden der Datensammlung - Überblick Um Daten zu sammeln, können unterschiedliche Methoden genutzt werden. Die einzelnen Methoden werden in diesem Kapitel dargestellt: ■ Dokumentenanalyse ■ Fragebogen ■ Einzelinterview ■ Gruppeninterview ■ Hearing ■ Workshop 6.1 Planung der Datensammlung Zunächst finden Sie einige grundsätzliche Überlegungen für die Planung der Daten‐ sammlung, denn um zu entscheiden, welche Methoden für die Datensammlung geeig‐ net sind, müssen Diagnostizierende vor Beginn folgende Punkte beachten: ■ Welche Informationen werden von wem benötigt, um eine fundierte Diagnose durchzuführen? Die Antwort hängt von den Zielen, der Systemgrenze der Diagnose sowie von der Anzahl der Befragten ab. In kleineren Projekten können alle Beteiligten, Sponsor: in, Projektleitung und Projektmitarbeitende ohne größeren Aufwand befragt werden. In großen Projekten mit mehr als fünfzig, hundert oder noch mehr Projektbeteiligten ist für Interviews eine Auswahl der Befragten unumgänglich. Mit einem Fragebogen können selbstverständlich die Meinungen aller Beteiligten erfasst werden. ■ Wie werden die Daten am besten gesammelt? Die Antwort hängt von verschiede‐ nen Faktoren ab: □ Umfang und Tiefe der Datensammlung Um detaillierte Informationen zu erhalten, um die Hintergründe der Probleme zu verstehen, dürfen nicht nur Fragebögen eingesetzt werden. □ Welcher zeitliche und finanzielle Aufwand ist mit den einzelnen Methoden verbunden? Durch Gruppeninterviews können mehr Personen in kürzerer Zeit erreicht werden als durch Einzelinterviews, möglicherweise auf Kosten der Tiefe. Dennoch sind Gruppeninterviews eine gute Methode zur Datensammlung. Ein Hearing mit externen Personen ist mit zusätzlichen Kosten verbunden. □ Welche Auswirkungen hat die Methodenwahl auf den Diagnoseprozess? Im Gegensatz zum Einzelinterview und Gruppeninterview können in einem Workshop bereits Lösungsansätze ausgearbeitet werden. Wenn nur Einzelin‐ terviews durchgeführt werden, kann die Datensammlung länger dauern. □ Abstimmungs- und Genehmigungsprozesse Der Einsatz von Fragebögen muss in der Regel mit der Arbeitsnehmervertre‐ tung abgestimmt werden, zumindest in Deutschland. Für einen Workshop sind Terminabstimmungen notwendig, was bei vielbeschäftigten Personen nicht immer ganz einfach ist. ■ Wer soll bei der Vorbereitung der Datensammlung mitarbeiten? Diese Frage gilt nicht nur für die Entwicklung eines Fragebogens, sondern auch für die Ausarbeitung des Interviewleitfadens oder für die Planung eines Workshops. 123 6.1 Planung der Datensammlung Bei diesen Vorbereitungsarbeiten kann die Mitwirkung interner Mitarbeiter: innen befruchtend sein. ■ Welche Informationen erhalten die Beteiligten im Vorfeld der Befragungen? Dabei muss klar sein, wer wie beteiligt ist. Dazu können die zu interviewenden Personen, die Geschäftsführung oder die Arbeitnehmervertretung gehören. Ver‐ säumnisse, die zu diesem Zeitpunkt gemacht werden, rächen sich im späteren Verlauf. 6.1.1 Beteiligte vor der Datensammlung informieren Keine Datensammlung ohne Vorab-Information. Die Maxime für professionell arbei‐ tende Diagnostiker: innen lautet: Bevor Du andere befragst, frage die Personen, welche Fragen sie haben. Die Ge‐ sprächspartner: innen haben einen Anspruch darauf zu erfahren, warum sie be‐ fragt werden und was mit den Ergebnissen geschieht und wie sie über die Ergeb‐ nisse informiert werden. Informiert werden muss über folgende Punkte: ■ Warum wird die Projektdiagnose durchgeführt? Was soll erreicht werden? ■ Wer hat den Auftrag für die Diagnose erteilt? ■ Wer führt die Diagnose durch? ■ Wer nimmt an der Datensammlung teil? ■ Wer wird wie über die Ergebnisse der Diagnose informiert? ■ Wie vertraulich werden die Aussagen aus den Interviews behandelt? Im folgenden Beispiel lesen Sie ein Informationsschreiben eines Auftraggebers, das alle Beteiligten einer Projektdiagnose erhalten haben. Information für alle Mitarbeiter: innen Projektdiagnose für das Projekt Omega 400 Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Steering Committee des Projektes Omega 400 hat nach gründlicher Diskussion und in Abstimmung mit der Projektleitung entschieden, für das Projekt Omega 400 eine Diagnose mit externer Unterstützung durchzuführen. Was hat uns dazu veranlasst? ■ Die Terminverzögerungen im Projekt haben mittlerweile aus Sicht vieler Beteiligten ein nicht zu akzeptierendes Maß angenommen. Diese Sichtweise wird von Projektmitarbeiter: innen, von Führungskräften der Fachabteilun‐ gen und auch vom Steering Committee geteilt. 124 6 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 ■ Verbunden mit der Terminüberschreitung spielt die Kostenentwicklung eine erhebliche Rolle für unsere Entscheidung. Vielen von Ihnen dürfte bekannt sein, dass eine erhebliche Differenz zwischen dem geplanten Budget und den Ist-Kosten besteht. ■ Projektmitarbeitende und Führungskräfte sind unzufrieden mit der Situa‐ tion und dem Ablauf des Projektes und wir erwarten uns von der Projekt‐ diagnose klare Aussagen über die Probleme und deren Ursachen. ■ Der Klarheit halber teilen wir Ihnen mit, dass die inhaltlichen, technischen Probleme nicht Bestandteil der Diagnose sind. Dieses Thema gehen wir ab sofort mit eignen Kräften an. ■ Auch die Geschäftsführung und das Steering Committee werden in die Diagnose miteinbezogen, denn auch wir wollen erfahren, in welchem Maße wir an der Problemverursachung beteiligt sind. Aus diesen Gründen haben wir das IPO-Köln beauftragt, eine Projektdiagnose für das Projekt Omega 400 durchzuführen. Wie wird die Diagnose ablaufen? ■ Die Externen werden Interviews in Form von Einzel- und Gruppenin‐ terviews durchführen. Sie finden mit der Projektleitung, Projektmitarbei‐ tern: innen, Abteilungsleitern: innen und Entscheidungsträgern statt. ■ Die Ergebnisse werden im ersten Schritt der Geschäftsführung und der Projektleitung präsentiert. Anschließend informieren wir die Projektmitar‐ beitenden, die beteiligten Führungskräfte und weitere zuarbeitende Stellen. Für diese Informationen ist ein gemeinsames Meeting mit Diskussionsforen geplant. Wir bitten alle Beteiligten, sich offen zu äußern, denn nur so können wir gemeinsam die Projektarbeit in die richtige Richtung lenken. Bitte scheuen Sie sich nicht, Ihre Meinung zu äußern. Ihre Aussagen werden vertraulich behandelt, d. h. niemand im Unternehmen wird erfahren, wer was gesagt hat. Die Geschäftsführung hat die Maßnahme mit dem Betriebsrat besprochen. Robert K. (Auftraggeber des Projektes und Mitglied der Geschäftsführung) 6.2 Dokumentenanalyse Die Dokumentenanalyse steht sinnvollerweise am Beginn der Datensammlung, denn bei Sichtung der verschiedenen Projektdokumente können die Diagnostiker: innen wichtige Informationen gewinnen, die sie zur Vorbereitung der Interviews nutzen können. Allerdings sollte man sich darüber im Klaren sein, dass Unterlagen mögli‐ cherweise unvollständig sind oder nicht den aktuellen Zustand des Projektes wieder‐ geben. Das zeigt sich oft erst im Verlauf der weiteren Arbeit. Der zeitliche Aufwand für 125 6.2 Dokumentenanalyse eine sorgfältige Durchsicht der Dokumente sollte nicht unterschätzt werden, mit einem schnellen Überfliegen ist es nicht getan. Häufig sind Gespräche mit der Projektleitung, dem Projektsponsor oder Mitarbeitenden des Projekt Portfolio Managements notwen‐ dig, um die Inhalte besser zu verstehen. Um die Inhalte mancher Dokumente zu be‐ greifen, ist Fachwissen unverzichtbar. Es wäre vermessen, den Grad der Zielerreichung, die Bewertung von technischen Risiken oder die Inhalte von Verträgen, ohne fachliches Know-how zu beurteilen. Solche Themen müssen von Experten in Fachreviews bzw. durch Qualitäts-Checks abgedeckt werden. Die Projektdiagnostiker: innen ermitteln, in klarer Abgrenzung zum Audit oder zum Review, nur die Frage, inwieweit Konsens bzw. unterschiedliche Meinungen über den Projektstatus oder über die Risiken im Projekt bei den Beteiligten bestehen. An dieser Stelle verweise ich auf die Auftragsklärung der Projektdiagnose (Kapitel 3), in der die inhaltliche Abgrenzung zwischen Fachreview und Projektdiagnose erfolgen muss. Seriöse Diagnostiker: innen kennen und akzeptie‐ ren ihre fachlichen Grenzen. Bei der Dokumentenanalyse ist es aufschlussreich zu erkennen, welche Dokumente vorhanden sind und welche nicht. Existiert beispielsweise kein Business Case für das Projekt, so könnten sich daraus Erkenntnisse ableiten lassen, mit welcher Sorgfalt die Projektziele entwickelt wurden. Ein fehlender Projektablaufplan lässt darauf schließen, dass es um die Planung nicht gut bestellt ist. Diese Themen müssten in Interviews angesprochen werden. Überblick über Dokumente In der Übersicht finden Sie Dokumente, die Ihnen einen guten Einstieg in die Daten‐ sammlung ermöglichen. Selten werden Sie alle Dokumente benötigen und erhalten. ■ Projektauftrag ■ Business Case ■ Project Canvas (beinhaltet in übersichtlicher Form wichtige Elemente des Projektes) ■ Projektaufbauorganisation ■ Zusammensetzung des Projektteams ■ Stakeholderanalyse ■ Projektstrukturplan ■ Projektablaufplan ■ Budgetzahlen ■ Präsentationen für Entscheidungsgremien ■ Statusberichte ggfs. mit Meilensteintrendanalyse ■ Risk-Assessment Unterlagen ■ Auswertungen von Reviews und Retrospektiven ■ Burn Down Charts (im agilen Projektmanagement) ■ Team Protokolle (nur wichtige aus Sicht der Projektleitung) 126 6 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 ■ Change Request-Dokumente ■ Verträge mit Lieferant: innen und Beratungsunternehmen ■ Projektmanagement-Handbuch Falls vorhanden, sollte man sich das Handbuch gründlich durchlesen, um zu prüfen, ob das Projekt gemäß den Inhalten des Handbuchs realisiert wird. Bei der Dokumentenanalyse sind folgende Fragen interessant: ■ Welche Dokumente gibt es für das Projekt? ■ Gibt es wichtige Projektmanagement-Dokumente, die nicht vorhanden sind? Wenn ja, warum gibt es sie nicht? ■ Gibt es in anderen Projekten des Unternehmens mehr Dokumente? In dem zu diagnostizierenden Projekt wurde keine Stakeholderanalyse und auch kein Projektablaufplan ausgearbeitet, in einem anderen, vergleichbaren Projekt wurden diese Dokumente ausgearbeitet. In Interviews sollte ermittelt werden, warum es diese Dokumente nicht gibt. ■ Wie schätzen die Diagnostiker: innen die Qualität der Dokumente ein? (Sofern sie dazu fachlich in der Lage sind) ■ Werden in den verschiedenen Dokumenten für das Projekt unterschiedliche Begriffe verwendet? Im Projektauftrag wird vom Steering Committee gespro‐ chen und in Protokollen heißt es Lenkungsausschuss. In einigen Dokumenten taucht der Begriff Projektmanager auf, in anderen wird vom Projektkoordinator gesprochen. Es geht nicht um Wortklauberei, vielmehr kann (nicht muss) die unterschiedliche Wortwahl signalisieren, dass die Beteiligten unterschiedliche Erwartungen an die Aufgabe und Verantwortung der Projektleitung haben. ■ Weisen die Inhalte von Dokumenten auf Fehlentwicklungen oder Konflikte hin? ■ Werden auch positive Punkte genannt? ■ Decken sich die Inhalte mit den Aussagen aus den Vorgesprächen? ■ Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Dokumentenanalyse für die weitere Arbeit der Diagnostiker: innen? Welche Fragen müssen bzw. können zusätzlich zu den bereits geplanten in den Interviews gestellt werden? Die Dokumentenanalyse ist eine notwendige Voraussetzung, um Interviews, Workshops oder einen Fragebogen vorzubereiten. Sie sollte als Chance verstanden werden, um die anschließende Datensammlung auf noch bessere Füße zu stellen. 127 6.2 Dokumentenanalyse Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 6.3 Fragebogen Fragebögen sind eine bewährte Methode der empirischen Sozialforschung und können auch für Projektdiagnosen eingesetzt werden. Mit einem strukturierten Fragebogen lassen sich die Meinungen und Bewertungen vieler Projektbeteiligte gut und relativ schnell erfassen. Wesentliche Voraussetzungen für die Verwendung eines Fragebogens sind zum einen die gründliche Ausarbeitung des Fragebogens und zum anderen das Wissen um seine Grenzen. Die Daten nur mit einem Fragebogen zu sammeln, reicht jedoch für eine fundierte Projektdiagnose definitiv nicht aus. Er wird Einzel -oder Gruppeninterviews nie ersetzen können, denn die Erklärungen der Gesprächspartner: innen, ihre Bedenken oder die Schilderungen der Hintergründe von Entscheidungen lassen sich mit einem noch so gut formulierten Fragebogen nicht erfassen. Mit anderen Worten: Die für eine fundierte Projektdiagnose erforderliche Tiefe bleibt strukturell bedingt auf der Strecke. Damit wird die Verwendung von Fragebögen nicht generell angezweifelt. Der Einsatz eines Fragebogens ist sinnvoll, um relativ schnell und kostengünstig die Sichtweise vieler Personen über die Situation des Projektes zu erkennen. Interviews können durch die Ergebnisse des Fragebogens besser vorbereitet werden und manchmal ergeben sich auch neue Fragen für die Interviews. Bei kleineren Projekten mit weniger als zwanzig Personen ist die Verwendung eines Fragebogens nicht zu empfehlen. Bei größeren Diagnosen dagegen mit mehr als fünfzig Personen können die Ergebnisse des Fragebogens einen guten Einblick über die Projektsituation liefern. Bei langlaufenden Projekten, die zwei, drei Jahre oder noch länger dauern, kann die mehrmalige Verwendung eines Fragebogens aufschlussreich sein, weil auf diese Weise Informationen gewonnen werden, inwieweit sich die Situation des Projektes zum Positiven oder Negativen verändert hat. Die wesentlichen Fragen dürfen nicht verändert werden, um die Vergleichbarkeit nicht zu gefährden. Es können jedoch neue Fragen aufgenommen werden. 6.3.1 Vorbereitung des Fragebogens Eine gewissenhafte Vorbereitung ist erforderlich, dabei darf nicht geschludert werden. Unprofessionelle Vorbereitung führt zwangsläufig zu schlechten Resultaten. Unprofessionelle Vorbereitung bedeutet: ■ Es werden falsche Fragen gestellt. ■ Wichtige Fragen werden vergessen. ■ Es werden zu viele Fragen gestellt. 128 6 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln ■ Es werden missverständliche Begriffe verwendet. ■ Fehlerhafte Skalierung des Fragebogens Die Ausarbeitung eines Fragebogens wird erleichtert, wenn Fragenbögen aus früheren Projektdiagnosen hinzugezogen werden können. Höchstwahrscheinlich können eine Reihe von Fragen übernommen werden, das Rad muss nicht immer neu erfunden werden. Doch Vorsicht, einen anderen Fragebogen aus Bequemlichkeit oder Zeitdruck einfach 1: 1 zu übernehmen, wird dem Anspruch einer professionellen Diagnostik nicht gerecht. Bei der Ausarbeitung des Fragebogens müssen mehrere Aspekte beachtet werden: ■ Inhalte ■ Skalierung ■ Prozedurales ■ Rechtsfragen Inhalte Die Ziele des Fragebogens müssen genau geklärt werden: ■ Welche Informationen sollen mit dem Fragebogen gewonnen werden? ■ Welche Fragen aus welchen Diagnosefeldern soll der Fragebogen enthalten? ■ In welcher Reihenfolge werden die Fragen gestellt? ■ Sollen inhaltlich ähnliche Fragen aufgenommen werden, um die Plausibilität der Antworten zu prüfen? Diagnostiker: innen sollten einen Entwurf des Fragebogens ausarbeiten und diesen mit dem Auftraggeber bzw. Auftraggeberin der Diagnose, ggfs. weiteren Ent‐ scheidungsträgern, der Projektleitung und der Arbeitnehmervertretung bespre‐ chen. Rechtliche Fragen sind beim Einsatz eines Fragebogens zu beachten. Skalierung Unterschätzen Sie nicht die Bedeutung einer geeigneten Skalierung. Hierzu einige Fragen: ■ Ist eine gerade oder ungerade Skalierung für die Beantwortung besser geeignet? ■ Ist eine drei-, fünf- oder siebenstufige Antwortskala vorteilhaft? Eine fünfstufige Antwortskala dürfte für Fragebögen zur Projektdiagnose die geeignete Wahl sein. Bei umfangreichen Fragebögen mit vielen Teilnehmenden, was eher eine Aus‐ nahme ist, empfiehlt es sich, Spezialisten für die Ausarbeitung und Auswertung der Fragebögen einzubeziehen. 129 6.3 Fragebogen Prozedurales ■ An der Ausarbeitung der Fragen sollten erfahrene Personen aus dem Unternehmen mitwirken. Dabei geht es nicht nur um die Inhalte, sondern auch um die Formu‐ lierung, denn die Wortwahl sollte den im Unternehmen verwendeten Begriffen entsprechen. So wäre beispielsweise die Aussage „Der Lenkungsausschusses trifft klare Entscheidungen …“ schlecht, wenn im Unternehmen der Begriff Steering Committee benutzt wird. Interne kennen die gebräuchlichen Begriffe, externe Diagnostiker: innen dagegen könnten Begriffe verwenden, die im Unternehmen nicht üblich sind. ■ Alle Beteiligten müssen im Vorfeld über die Ziele der Diagnose, über die Durch‐ führenden und die Verwendung des Fragebogens informiert werden. ■ Projektdiagnose - warum? ■ Wer ist Auftraggeber: in? ■ Wer führt die Erhebung durch? ■ Wie wird der Fragebogen ausgewertet? ■ Ist Anonymität garantiert? ■ Wie werden die Befragten über die Ergebnisse informiert? ■ Was folgt nach dem Fragebogen? Möglichst präzise Antworten auf diese Fragen sind eine wichtige Voraussetzung, um eine gute Rücklaufquote und ehrliche Antworten zu erhalten, wenn auch keine Garantie. Rechtsfragen Abhängig von gesetzlichen Bestimmungen in einzelnen Ländern und unternehmens‐ internen Vereinbarungen dürfen Fragebögen nur verwendet werden, wenn sie von der Arbeitnehmervertretung vorab genehmigt wurden. Das spielt vor allem dann eine erhebliche Rolle, wenn im Fragebogen die Organisationseinheit oder die Funktion der Befragten erfasst werden, um die Aussagen besser einzuordnen. Rechtliche Themen müssen vor dem Start der Datensammlung geklärt sein. Diagnostiker: innen sollten dieses Thema bereits im Rahmen der Auftragsklärung ansprechen. Bei externen Diagnostiker: innen liegt die Verantwortung für die Klärung bei den zuständigen internen Stellen. 130 6 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 6.3.2 Empfehlungen für die Ausarbeitung des Fragebogens Bei der Gestaltung des Fragebogens muss auf die Auswertungsmöglichkeit geachtet werden. Sie hängt von der Art der gewählten Antwortformate ab. Zahlenmäßig fassbare Antworten, etwa die mit Hilfe einer Likert-Skala gemessenen Einstellungen, können statistisch ausgewertet werden, während offene Antwortformate in der Regel eine qualitative Analyse erfordern, die mit einem wesentlich höheren Aufwand ver‐ bunden ist. Im Folgenden gehe ich nur auf Fragebögen mit Skalierung ein. Worauf bei der Gestaltung des Fragebogens achten? ■ Eine klare Gliederung und ein ansprechendes Layout erhöhen die Akzeptanz. ■ Fragebögen dürfen nicht zu lang sein, zu viele Fragen führen nicht zu besseren Informationen. ■ Kurze und prägnante Fragen formulieren. ■ Nicht nach mehreren Punkten gleichzeitig fragen. ■ Komplizierte Sätze, Schachtelsätze vermeiden. ■ Doppelte Verneinungen sind nicht immer eindeutig und nicht alle wissen, was gemeint ist: „Ich bin nicht unzufrieden mit der Führung des Projektes“. Vermeiden Sie solche Formulierungen. ■ Sind Fremdwörter wirklich notwendig? ■ Abkürzungen vermeiden. ■ Die im Fragebogen verwendeten Begriffe sollten mit den im Unternehmen ver‐ wendeten übereinstimmen. ■ Bei internationalen Projekten muss auf die Übersetzung geachtet werde. Im amerikanische würde man z.B. nicht von Project Diagnosis sprechen, sondern von Project Assessment. Bei der Verwendung von Rollenverantwortung müsste man in der Übersetzung ggfs. differenzieren zwischen Responsibility und Accountability. ■ Besonders auf die Auswahl der ersten und der letzten Frage achten, darauf richten erfahrungsgemäß viele Personen ihr Augenmerk. 6.3.3 Formen des Fragebogens Es gibt unterschiedliche Typen von Fragebögen. Ich beschränke mich auf zwei Formen, die für Projektdiagnosen in der Regel verwendet werden. 1. Fragebogen mit vorgegeben Antworten (Items) und Skalen Der Fragebogen beinhaltet eine Reihe von Items („Die Projektplanung ist stets auf dem aktuellen Stand“) mit vorgegeben Antwortoptionen. In den Sozialwissenschaften spricht man von einer Likert-Skala. Ein Item ist eine klar formulierte Aussage oder Frage, die einen positiven oder negativen Sachverhalt bezüglich eines Merkmals be‐ schreibt. Unterschiedliche Formulierungen erfordern unterschiedliche Antwortmög‐ lichkeiten auf der Skala. 131 6.3 Fragebogen Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Die Abbildung zeigt auszugsweise Fragen zur Projektplanung. Die Befragten können auf einer 5er-Skala antworten. Projektplanung Stimme überhaupt nicht zu Stimme nicht zu Stimme weder zu noch lehne ich ab Stimme zu Stimme voll und ganz zu Die Projektplanung ist stets auf dem aktuellen Stand Wir überprüfen unsere Prämissen für die Planung Die inhaltlichen Abhängigkeiten zwischen den Arbeitspaketen besprechen wir regelmäßig Abb. 12: Fragebogen mit Likert Skala In der Praxis hat sich eine Skalierung mit fünf oder sieben Merkmalsausprägungen durchgesetzt. Von noch mehr Abstimmungsmöglichkeiten ist abzuraten, weil die Ant‐ worten dann oft nach dem Zufallsprinzip erfolgen. Das Ausfüllen eines Fragebogens darf nicht zu anstrengend sein. Bei der Ausarbeitung sollte auf die zeitliche und inhaltli‐ che Zumutbarkeit für die Befragten geachtet werden. Nur drei Merkmalsausprägungen bieten dagegen zu wenige Optionen an. Die Befragten möchten sich in der Regel nicht ausschließlich zwischen „gut“ - „nicht gut“ - „neutral“ entscheiden. 2. Fragebögen mit vorgegeben Antworten sowie der Möglichkeit von zusätzlichen wörtlichen Nennungen Sollen die Befragten ihre Meinung zu bestimmten Themen zusätzlich noch schriftlich äußern, sollten die Diagnostiker: innen über den Aufwand für die Auswertungen der Fragebögen nachdenken, denn dieser kann beträchtlich sein. Es muss auch überlegt werden, wie repräsentativ die Antworten sind, denn einige Personen teilen ihre Antworten gerne mit, anderen ist die schriftliche Beantwortung lästig. Am Ende erhält man ein verzerrtes Bild. Eine vernünftige Formel lautet: Je größer die Teilnehmerzahl, desto weniger offene Fragen. Eine offene Frage eignet sich als Einstiegsfrage, um das Interesse der Teilnehmer zu wecken. Gegebenenfalls kann dem Befragten zum Abschluss noch die Mög‐ lichkeit geboten werden, eine Anmerkung mit einem begrenzten Zeilenumfang loszuwerden. 132 6 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln ■ Meine Hoffnung für das Projekt ist …. (bitte maximal 2 Zeilen) oder ■ Ich erwarte von der Projektdiagnose … (bitte maximal 2 Zeilen) oder ■ Am allerwichtigsten erscheint mir … (bitte maximal 2 Zeilen) (Abschluss‐ frage) 6.3.4 Gliederung eines Fragebogens Durch eine klare Gliederung kann die Akzeptanz des Fragebogens gesteigert werden. Die Befragten sind dann eher bereit, die Fragen gründlich zu beantworten. Empfehlenswert ist folgender Aufbau: ■ Einleitung Kurze Information über Ziele und Verwendung der Befragung. Mehr Information kann ein Begleitschreiben beinhalten. ■ Anleitung (falls erforderlich) Wie soll der Fragebogen ausgefüllt werden? Erklärungen sind in der Regel nicht erforderlich. ■ Hauptteil Dieser Abschnitt enthält die Fragen, Aussagen (Items), die gegebenenfalls in Diagnosefelder unterteilt werden. ■ Fragen zur Rolle des Befragten im Projekt (falls gewünscht und erlaubt) Dieses Thema ist heikel. Es muss größten Wert auf Anonymität gelegt werden. Nehmen nur wenige oder im Extremfall nur eine Person aus einer Organisa‐ tionseinheit teil, ist Anonymität schlicht und ergreifend nicht möglich. Dann sollte man auf solche Informationen verzichten. ■ Abschluss Am Ende des Fragebogens steht ein Dank für die Mitarbeit. Beispiel eines Fragebogens Die Abbildung zeigt einen kleinen Ausschnitt aus einem Fragebogen, der zur Analyse des Projektmanagement-Systems in einem mittelständischen Unternehmen eingesetzt wurde. Die Mitarbeiter: innen aus unterschiedlichen Organisationseinheiten, Stand‐ orten und Hierarchiestufen wurden gebeten, das Projektmanagement-System im Unternehmen zu bewerten, um Verbesserungspotential zu erkennen. 133 6.3 Fragebogen Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Thema „personelle Ressourcen“ 1 „trifft überhaupt nicht zu“ und 5 „trifft voll und ganz zu“. Mit den Noten dazwischen können Sie Ihr Urteil abstufen. Die Mitarbeit in den Projekten ist in meiner Jahreszielverein‐ barung enthalten 1 □ 2 □ 3 □ 4 □ 5 □ Die Leistung meiner Projektarbeit wird im jährlichen Beur‐ teilungsgespräch berücksichtigt 1 □ 2 □ 3 □ 4 □ 5 □ Ressourcenprobleme werden rechtzeitig erkannt und kommu‐ niziert 1 □ 2 □ 3 □ 4 □ 5 □ Ressourcenprobleme werden zeitnah gelöst 1 □ 2 □ 3 □ 4 □ 5 □ Die Projektmitarbeiter sind gut qualifiziert. 1 □ 2 □ 3 □ 4 □ 5 □ Frage nur an Projektleitung und Projektmitarbeiter: innen Ich habe genügend Zeit für die Projektarbeit 1 □ 2 □ 3 □ 4 □ 5 □ Thema „Projektbudget“ 1 „trifft überhaupt nicht zu“ und 5 „trifft voll und ganz zu“. Mit den Noten dazwischen können Sie Ihr Urteil abstufen. Frage nur an Projektleitung und Projektmitarbeiter: innen Die Auswirkungen von Budgetüberschreitungen werden in den Teams besprochen 1 □ 2 □ 3 □ 4 □ 5 □ Frage nur an Projektmitarbeiter: innen Ich habe einen genauen Überblick über die Kostensituation meiner Arbeitspakete 1 □ 2 □ 3 □ 4 □ 5 □ Abb. 13: Teile eines Fragebogens 6.3.5 Aufwand Manche behaupten, dass die Ausarbeitung eines Fragebogens mit einem beträchtlichen Aufwand verbunden ist. Es ist sicher richtig, dass der Aufwand für die Ausarbeitung eines völlig neuen Fragebogens, mit dem ein thematisch unbekannteres Terrain erfasst werden soll, viel Zeit erfordert, bedingt durch Recherchen, Abstimmungsgespräche und thematische Abgrenzungsaktivitäten. Die Inhalte eines Fragebogens zur Projektdi‐ agnose dagegen unterscheiden normalerweise nicht so stark von bereits existierenden Fragebögen und deshalb stehe ich der Argumentation des hohen Aufwandes eher skeptisch gegenüber. 134 6 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln 6.3.6 Vor- und Nachteile von Fragebögen Abschließend werden die Vor- und Nachteile von Fragebögen gegenübergestellt. Vorteile ■ Viele Personen können in kurzer Zeit befragt werden. ■ Es besteht eine gewisse zeitliche Flexibilität für die Beantwortung. ■ Befragte bleiben anonym. ■ Keine Beeinflussung durch den Interviewer. ■ Standardisierte Antworten stehen für die Auswertung zur Verfügung. Die Daten lassen sich quantifizieren und können gut verglichen werden. ■ Durch die Häufigkeit der Nennungen können Prioritäten für die Maßnahmenpla‐ nung bestimmt werden. ■ Bei skalierten Fragebögen ist ein schnelles Feedback möglich. ■ Der Einsatz von Fragebögen ist gerade bei einer größeren Anzahl von Befragten kostengünstiger als Interviews oder Workshops. Nachteile ■ Diagnostische Tiefe wird nicht erreicht, denn es kann nicht individuell auf die Meinung der Befragten eingegangen werden. Das ist meines Erachtens der größte Nachteil von Fragebögen. ■ Befragte werden durch die Vorgabe von Antwortmöglichkeiten eingeschränkt. ■ Es besteht keine Kontrolle, wie sorgfältig der Fragebogen ausgefüllt wurde. ■ Antworten sind teilweise schwer interpretierbar, Nachfragen sind nicht möglich. ■ Die Ergebnisse der Fragebögen können fälschlicherweise als objektives Resultat interpretiert werden nach dem Motto, Zahlen lügen nicht. ■ Die vorgegebenen Antwortmöglichkeiten können von den Befragten als schema‐ tisch oder unklar kritisiert werden. So werden beispielsweise Angaben über die relative Häufigkeit von Sachverhalten (häufig, manchmal, selten, nie) unterschied‐ lich interpretiert. ■ Durch Formulierungen von Fragen können Missverständnisse entstehen. Abschließende Empfehlungen Die Auswertung eines Fragebogens kann nützliche Informationen über die Situa‐ tion des Projektes liefern. Als alleiniges diagnostisches Instrument ist er nicht zu empfehlen. Bevor ein Fragebogen eingesetzt wird, müssen die inhaltlichen, prozeduralen und rechtlichen Themen geklärt sein. Diagnostiker: innen sollten auf jeden Fall die Fragen und den Aufbau des Frage‐ bogens mit den Entscheidungsträger: innen besprechen. 135 6.3 Fragebogen 6.4 Einzelinterview Die mit Abstand wichtigste Methode der Datensammlung ist das Interview, vorrangig das Einzelinterview, wobei die Bedeutung von Gruppeninterviews nicht in Frage ge‐ stellt werden darf. Im Unterschied zum Fragebogen können durch Einzelinterviews detaillierte Informationen gewonnen werden, die eine Analyse der Kernursachen über‐ haupt erst ermöglichen. Das liegt in der Natur der Sache, denn erst durch Nachfragen, Konkretisierungen und Beispiele kommen Hintergrundinformationen zu Tage, vor‐ ausgesetzt, das Interview wird gut geführt. „Gut geführt“ bedeutet: Die Interviewer: in‐ nen haben ein Leitfaden für die Fragen zur Verfügung, die Gespräche werden mit einem roten Faden geführt, doch haben die Gesprächspartner: innen genügend Spielraum, nicht nur die Fragen zu beantworten, sondern auch weitere Themen einzubringen, die diagnostisch erhellend sein können. Maxime: Strukturiert vorgehen, aber nicht einengen. Von zu strukturierten Interviews mit einer weitgehend vorgegeben Auswahl an Antworten, einem Fragebogen ähnlich, ist abzuraten. Nie sollte ein Interview zu einem Abhaken von Fragen verkommen, sondern wenn es gut läuft, entsteht ein Dialog auf Augenhöhe, ein Flow, getragen durch richtige und verständliche Fragen und offenen Antworten. In diesem Abschnitt werden folgende Fragen beantwortet: ■ Was muss bei der Vorbereitung von Interviews beachtet werden? ■ Worauf muss bei der Mitschrift während des Interviews geachtet werden? ■ Wie steigt man am besten in das Interview ein? ■ Worauf muss bei der Gesprächsführung wertgelegt werden? Welche Fehler sollten Interviewer: innen vermeiden und welcher Kommunikationsstil fördert ein Interview? ■ Wie wird eine gute Balance zwischen Breite und Tiefe im Interview erreicht? 6.4.1 Vorbereitung Diagnostiker: innen müssen Interviews gründlich vorbereiten. Dazu gehören inhaltli‐ che, organisatorische und psychologische Themen. Die Übersicht zeigt, worauf die Interviewer: innen bei Ihrer Vorbereitung achten sollten: ■ Welche Fragen müssen gestellt werden? □ Gibt es Fragen, die nur für bestimmte Personen, beispielsweise Projektleitung, Sponsor: in oder Linienmanage geeignet sind? □ Überlegen Sie sich die Reihenfolge der Fragen, aber geben Sie nicht die notwendige Flexibilität auf. □ Bei der Entwicklung eines Interviewer: in-Leitfadens für die Diagnose in internationalen Projekten sollten Fachbegriffe zutreffend übersetzt werden, um Missverständnisse zu vermeiden. 136 6 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 ■ Wen frage ich und in welcher Reihenfolge? □ Ausgehend von der Systemgrenze des Projektes müssen Diagnostiker: innen darüber nachdenken, wer, wann interviewt werden soll. □ Die Reihenfolge der Interviews darf nicht dem Zufall überlassen werden. Ich bevorzuge, zunächst Interviews mit der Projektleitung und Projektmitarbei‐ ter: innen zu führen und erst anschließend mit Entscheidungsträgern zu reden, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass ich dann auf Basis der gewonnenen Informationen die Entscheidungsträger: innen gezielter befragen kann. □ Durch Erkenntnisse aus einem Interview können sich neue Fragen für weitere Gespräche ergeben. Manchmal sind Interviews mit Personen notwendig, an die bei der Planung der Datensammlung niemand dachte. In diesen Fällen könnten Abstimmungsprozesse mit dem Auftraggeber notwendig werden, um die Genehmigung für diese Interviews zu erhalten. ■ Auf den geeigneten Zeitpunkt achten □ An welchen Tagen und zu welcher Uhrzeit sollen die Interviews stattfinden? Viele Mitarbeiter: innen werden nicht begeistert sein, wenn sie freitags um 16: 30 Uhr zu einem Interview eingeladen werden. Solche „Peanuts“ werden erfahrene Diagnostiker: innen nicht unterschätzen. ■ Wo finden die Interviews statt? Selbstverständlich müssen Interviews an einem störungsfreien Ort geführt wer‐ den. Sie sollten auch nicht allzu weit vom Arbeitsplatz der Gesprächspartner: innen stattfinden, also bei Interviews mit Mitarbeiter: innen aus der Produktion am bes‐ ten im Produktionsbereich und nicht im weiter entfernten Verwaltungsgebäude. ■ Persönliche Einflussfaktoren beachten Auch die Reflektion psychologischer Einflüsse gehört zur guten Vorbereitung der Diagnostiker: innen. Zwei Punkte sollen noch einmal kurz genannt werden: □ Prüfen Sie Ihre eigenen Annahmen und Vorurteile, die positiven und die negativen. Machen Sie sich Ihre Lieblingsideen oder Bewertungstendenzen bewusst. □ Wie ist mein Verhältnis zur Gesprächspartnerin, stehe ich ihr wohlwollend oder ablehnend gegenüber? Sympathie bzw. Antipathie können das Interview erheblich beeinflussen. Da hilft kein Leugnen, man muss sich dessen nur bewusst sein, um die diagnostische Distanz zu erreichen. ■ Einstiegsfrage überlegen Weniger erfahrene Interviewer: innen sollten sich Gedanken über ihre Einstiegs‐ frage machen, denn mit einer gute Einstiegsfrage kann Interesse geweckt und das Eis gebrochen werden. Es gibt nicht die richtigen Einstiegsfragen, doch es gibt sicher falsche. Hierzu ein negatives Beispiel: In einem Interview mit einer Projektleiterin fragte der Interviewer zu Beginn: „Wieso haben Sie das Projekt überhaupt übernommen? “ Die Frage ist konfrontativ und kann verständlicher‐ weise als persönliche Kritik verstanden werden. 137 6.4 Einzelinterview Zum Einstieg bieten sich u. a. folgende Fragen an: ■ „Zunächst würden mich die Projektziele interessieren, könnten Sie mir bitte die Ziele des Projektes erläutern“? ■ „Ich würde mir gerne ein Bild über die Projektaufbauorganisation verschaffen. Könnten Sie mir die Projektaufbauorganisation darstellen“? Die Darstellung kann verbal oder als Zeichnung auf einem Flip Chart oder einem großen Blatt Papier erfolgen. ■ Manchmal arbeite ich zu Beginn des Interviews mit einer eher ungewöhnlichen, sehr offenen Frage: „Stellen Sie sich bitte vor, das Projekt sitzt auf diesem Stuhl (ich zeige dann auf einen leeren Stuhl) und könnte sprechen, was würde das Projekt uns über seine momentane Situation berichten? Mit dieser Frage kann man schnell zu wichtigen Themen vordringen, vorausgesetzt, die Interviewten folgen dem Gedankenspiel. Diese Eröffnung erfordert ein gewisses Fingerspitzengefühl, die Interviewer: innen müssen einschätzen können, ob diese Frage die zu Interview‐ enden nicht überfordert. In der Regel habe ich mit dieser Eröffnung gute Erfahrung gemacht. Ähnlich assoziativ ist die nächste Frage. ■ Stellen Sie sich bitte vor, Sie müssten dem Projekt einen Film- oder Romantitel geben. Fällt Ihnen da was ein? Klassiker sind: „Denn sie wissen nicht, was sie tun“, „Titanic“ „Vom Winde verweht“, „Mission Impossible“ oder „die Entdeckung der Langsamkeit“. Anschließend bitte ich die Gesprächspartner: innen, mir zu beschreiben, welche Verbindung sie zwischen dem Titel und dem Projekt sehen. Die beiden ersten Fragen überraschen nicht, die letzten können die Gesprächspartner aktivieren und manchmal auch irritieren. Viele Interviewte finden diese Fragen spannend und nach kurzer Zeit kann über Kernpunkte gesprochen werden. Wenn Interviewte mit diesen Fragen nichts anfangen können oder wollen, dann sollte man zu den gewohnten Fragen zurückkehren und nicht auf der Frage beharren. 6.4.2 Breite und Tiefe im Interview In den Interviews müssen alle relevanten Diagnosefelder berücksichtigt werden, um die Stärken und Schwächen des Projektes systematisch zu ermitteln. Ohne die erforderliche Breite der Themen bleibt die Datensammlung zwangsläufig unvollständig und die Analyse bruchstückhaft. Wer sich nur auf wenige Diagnosefelder fokussiert, gewinnt keinen rechten Überblick. Ein gründlich ausgearbeiteter Interview-Leitfaden hilft, keine Fragen zu vergessen. Kapitel 5 bietet Ihnen entsprechende Informationen. Diagnostiker: innen benötigen eine klare Vorstellung über die zu stellenden Fra‐ gen, jedoch darf man nicht an einem starren Schema kleben, dann wird ein Leit‐ faden zur Fessel. Entscheidend ist, die richtige Balance zwischen der notwendigen Breite und der angemessenen Tiefe im Interview zu erreichen. 138 6 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln Ich möchte diese wichtige Aussage an einem Beispiel verdeutlichen: In einem Interview äußert sich ein Projektleiter kritisch über die Entscheidungen im Lenkungssauschuss: „Die Entscheidungen des Lenkungsausschusses kommen oft viel zu spät. Und noch problematischer, getroffene Entscheidungen werden anschließend von Mitgliedern des Lenkungsausschusses gegenüber den eigenen Mitarbeitern: innen unterschiedlich interpretiert. Dadurch bekommen wir im Team häufiger Probleme, weil die unterschiedlichen Meinungen der Führungskräfte über einzelne Aufgaben und über die Priorität des Projektes die Zusammenarbeit im Projektteam erheblich beeinträchtigen.“ Die Interviewerin hat nun zwei Möglichkeiten. Sie kann direkt zu einer anderen Frage übergehen, beispielsweise nach den Risiken im Projekt fragen. Dann entscheidet sie sich für die Breite. Dieses Vorgehen ist nicht sinnvoll, sondern es wäre besser, weitere Fragen zum angesprochenen Problem zu stellen: „Tritt das nur in diesem Projekt auf oder auch in anderen Projekten? “ oder „Haben Sie eine Idee, warum das so ist? “ oder „Haben Sie darüber im Lenkungsausschuss schon mal gesprochen“? Nehmen wir an, die Projektleiterin antwortet mit einem „ja“. Dann könnte die nächste Frage lauten: „Wie war die Reaktion der Beteiligten? “ Mit diesen Fragen geht die Interviewerin in die Tiefe, sie bleibt eine Zeitlang am Ball, um detaillierte Informationen zu gewinnen. Ich betone eine Zeitlang am Ball, denn die Tiefe der Diagnose muss angemessen sein. Angenommen die Projektleiterin würde auf die Frage „Wie war die Reaktion der Beteiligten? “ antworten „Da passiert nichts, aber das überrascht mich nicht, denn dass es zwischen einzelnen Führungskräften persönliche Spannungen gibt, ist hinlänglich bekannt“. Nun steht die Interviewerin vor der Entscheidung, noch weiter in die Tiefe zu gehen oder ein anderes Thema anzusprechen. Hier ist Vorsicht geboten, so reizvoll solche Fragen auch sein mögen, so muss doch überlegt werden, welchen Nutzen weitere Antworten für die Projektdiagnose haben. Die differenzierteste Diagnose ist nicht immer die beste, Tiefe kein Selbstzweck und es sollte nie darum gehen, die eigene Neugier zu befriedigen. Diagnostiker: innen sollten nicht in jedes Hinterzimmer der Organisation eintreten, wenn sie diese Informationen später nicht verwerten können. 139 6.4 Einzelinterview Nur Breite Fragen 1 2 3 4 5 n unangemessene Tiefe Fragen 1 2 3 Zu tief, zu viele Details, möglicherweise überhaupt nicht verwertbar. Sowohl Breite als auch Tiefe Fragen 1 2 3 4 5 Zu oberflächlich angemessen n Abb. 14: Breite und Tiefe im Interview 6.4.3 Wie steige ich in ein Interview ein? Der erste Eindruck zählt, achten Sie deshalb auf einen guten Einstieg. ■ Stellen Sie sich zuerst vor und beschreiben ein wenig Ihren beruflichen Hinter‐ grund, Ihre Erfahrungen in Projekten sowie mit Projektdiagnosen. ■ Wer hat Sie beauftragt? Mit wem haben Sie bezüglich des Auftrags gesprochen? Das kann für Gesprächspartner: innen interessant sein, denn möglicherweise erfahren sie, dass auch ein Manager: in aus ihrer Organisationseinheit an der Auftragsklärung beteiligt war. ■ Bitten Sie die Interviewten, sich vorzustellen. Welche Rolle haben sie im Projekt und in der Linie. Fragen Sie gegebenenfalls nach dem beruflichen Background. ■ Notieren Sie sich den Namen, falls Sie ihn sich nicht merken können. Sie sollten stets in der Lage sein, die Gesprächspartner: innen mit Namen anzusprechen. Das ist auch Ausdruck der Wertschätzung. ■ Vergewissern Sie sich, ob die Gesprächspartner: innen das Einladungsschreiben für das Interview erhalten haben. Wenn nicht, von wem wurden sie über das Interview informiert? Diese Frage ist wichtig, weil es immer wieder mal passiert, dass jemand ohne Vorabinformation zu einem Interview geschickt wird, was nicht immer Freude auslöst. ■ Teilen Sie die vorgesehene Dauer des Interviews mit und klären Sie, ob die Person wirklich so lange Zeit hat. ■ Transparenz über die Diagnose ist eine zentrale Voraussetzung für jedes Interview. Interviewer: innen haben die Verantwortung, diese zu Beginn des Interviews zu schaffen. Bieten Sie deshalb einen kurzen Überblick über die Projektdiagnose an. 140 6 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Worüber sollten die Interviewten vor den Fragen informiert werden? ■ Welche Ziele und Hintergründe gibt es für die Projektdiagnose? ■ Um welche Themengebiete (Diagnosefelder) geht es? Welche Themengebiete werden nicht besprochen? ■ Wer wurde bereits interviewt? Selbstverständlich werden keine Informationen über die Aussagen aus den Interviews geboten! ■ Wer bekommt die Ergebnisse in welcher Form mitgeteilt? ■ Wann werden die Befragten über die Ergebnisse informiert? ■ Werden die Aussagen vertraulich behandelt? Bereits im Rahmen der Auftragsklärung muss vereinbart werden, dass die Aussagen einzelner Personen auf keinen Fall weitergegeben werden. Darauf weise ich zu Beginn des Interviews hin. Dennoch gibt es Gesprächspartner: in‐ nen, die es anzweifeln und das auch manchmal offen äußern. Ich versuche zu verstehen, warum sie Bedenken haben. In manchen Fällen haben sie schlechte Erfahrungen gemacht. Andere sind prinzipiell skeptisch, sich offen zu äußern, weil „die da oben“ letztlich doch machen, was sie wollen. Ich habe gelernt, solchen teilweise berechtigten Zweifeln oder ideologisch gefärbten Bedenken nicht mit ständigen Erklärungen, Appellen oder Beteuerungen zu begegnen, sondern als Teil der Realität zu akzeptieren. Möglicherweise haben die Befragten gute Gründe für ihre Skepsis, weil sie schlechte Erfahrungen in diesem oder früheren Unternehmen gemacht haben. Mit anderen Worten, wenn ich den Eindruck habe, ich kann diese Bedenken trotz Aufklärung nicht aus dem Weg räumen, beginne ich das Interview und hoffe, dass die Offenheit im Verlaufe des Interviews wächst. ■ Erläutern Sie, warum Sie mitschreiben. Meistens ist das kein Thema, doch ab und zu trifft man auf Menschen, die neugierig oder skeptisch blicken, wenn mitgeschrieben wird. Dann sollten Sie kurz mitteilen, dass Sie sich die Inhalte notieren müssen, um die Interviews später auszuwerten. Weisen Sie nochmals darauf hin, dass niemand die Mitschriften lesen wird. ■ Bevor Sie mit dem Interview beginnen, fragen Sie, ob noch weiterer Klärungs‐ bedarf besteht. 6.4.4 Empfehlungen zur Mitschrift Mitschreiben ist selbstverständlich, um die Aussagen festzuhalten. Ein paar Tipps könnten für die Praktiker: innen interessant sein: 141 6.4 Einzelinterview Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 1 E. Canetti, Masse und Macht, Frankfurt 1980, S. 317 ■ Legen Sie die anderen Mitschriften vor dem neuen Interview in ihre Tasche. Damit drücken Sie Ihren Umgang mit Vertraulichkeit aus. ■ Stichwortartige Gesprächsnotizen sind die Regel, denn die Interviewer: innen sollten Blickkontakt mit den Interviewten halten und nicht die ganze Zeit auf den Block schauen. ■ Schreiben Sie besonders prägnante Aussagen wörtlich mit, Sie können sie für den Diagnosebericht gut verwenden. Manchmal wird eine besonders treffende Aussage über das Projekt gemacht. Beispiel: In einem Interview sagte mir jemand: „ISI makes ist easy“. ISI war der Name eines gescheiterten Projektes und die negativen Erfahrungen aus diesem Projekt wollte man im Folgeprojekt unbedingt vermeiden. Deshalb erhielt das neue Projekt viel mehr Unterstützung als ISI. Zitate drücken häufig besonders anschaulich Sichtweisen aus und können zur Lebendigkeit und Überzeugungskraft des Berichtes beitragen. Verzichten Sie aber auf überflüssige Provokationen oder gar beleidigende Zitate. Ein Zitat sollte sich auch nicht einer Person zuordnen lassen. ■ „Ich kann gar nicht so schnell mitschreiben“, so wird manchmal gegen das Mitschreiben argumentiert. Ich teile diesen Einwand nicht, denn ich kann Ge‐ sprächspartner: innen freundlich bitten, etwas langsamer zu sprechen, damit ich mitschreiben kann. Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie benötigen, um die Aussagen mitzuschreiben. ■ Die Interviewnotizen sollten möglichst zeitnah digitalisiert werden. Werden die Aussagen noch am gleichen Tag übertragen, wird erfahrungsgemäß viel weniger Zeit benötigt als bei der Digitalisierung einmal wöchentlich. ■ Ist es nicht viel praktischer, ein Interview mit einem digitalen Diktiergerät aufzunehmen und später schriftlich zu übertragen? Ein klares Nein, denn gegen dieses Verfahren sprechen gleich mehrere Gründe: □ Rechtliche Aspekte □ Der Aufwand, das Interview anschließend schriftlich zu erfassen, ist zu hoch. □ Ein Mitschnitt des Gespräches kann die Offenheit erheblich blockieren. 6.4.5 Einzelinterview - Regeln und Empfehlungen „Wer fragt, der führt“, ein ziemlicher bekannter Satz. „Alles Fragen ist eindringen“, ein weniger bekannter. 1 Beide Aussagen spiegeln das Spannungsfeld im Interview gut wider, sie dürfen nicht ge‐ trennt voneinander, sondern müssen gemeinsam verstanden werden. Selbstverständ‐ lich müssen die Diagnostiker: innen das Gespräch führen, durch gekonntes Fragen, 142 6 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln aufmerksames Zuhören, nachfragen und zusammenfassen. Unangebracht dagegen ist drängelndes Nachbohren, Fragen im Verhörstil oder Aussagen negativ bewerten, von oben herab anzweifeln. Auch Interviews im Plauderstil nach dem Motto „mal sehen, was so alles erzählt wird“ ist sicher kein geeigneter Weg. Ein gutes Interview lebt von der Balance zwischen führend fragen und den Ge‐ sprächspartner: innen den notwendigen Freiraum bieten, nachzudenken, sich aus‐ zudrücken und weitere Themen einzubringen. Das ist die Kunst des Interviews. Tipps zur Gesprächsführung in Interviews. Fragen und Zuhören sind das A und O in jedem Interview. Es reicht nicht aus, zu wissen, welche Fragen zu stellen sind, sondern es kommt ganz entscheidend auf das „Wie“ an, also auf die Einstellung und die Fähigkeit, diagnostische Gespräche gekonnt zu führen. Doch das beherrschen längst nicht alle. Typische Fehler sind: Es wird zu kompliziert gefragt, Fragen werden langatmig begründet, es gibt zu viele geschlossene statt offener Fragen oder Antworten werden im Gespräch negativ bewertet. Die Liste lässt sich fortsetzen. Die folgenden Empfehlungen sollen Ihnen Anregungen bieten, Interviews erfolgreich durchzuführen: ■ Stellen Sie sich auf die Gesprächspartner: innen ein. Sind Fremdworte oder Abkür‐ zungen wirklich nötig? Achten Sie auf Ihre Wortwahl: „Ich werde Ihr Projekt durchleuchten“, das klingt nach Verhör. Auf Augenhöhe miteinander zu reden bedeutet, andere dort abzuholen, wo sie stehen. ■ Gibt es Themen, die Sie lieber nicht ansprechen möchten, die Ihnen persönlich unangenehm, sind? Vor allem interne, aber auch externe Diagnostiker: innen scheuen sich manchmal in Gesprächen mit dem oberen Management, deren negativen Einfluss auf das Projekt kritisch zu hinterfragen. Reflektieren Sie während des Interviews Ihre eigene Befindlichkeit. Die Interviewer: innen dürfen sich nicht an „heißen Eisen“ vorbeimogeln. ■ Ein gutes Interview lebt von offenen Fragen, geschlossene Fragen dagegen bieten in der Regel wenig Nutzen für die Diagnose. Die Befragten können mit ihren eigenen Gedanken innerhalb ihres Bezugsrahmens auf die Fragen antworten. Daraus ergeben sich häufig aufschlussreiche Vertiefungsfragen. ■ Durch explorierende Fragen werden Probleme oder Situationen erst deutlich. Gerade zu Beginn des Interviews bieten sich explorierende Fragen an: □ „Können Sie mir bitte ein Beispiel für die gereizte Stimmung im Team nennen“. □ „Was meinen Sie mit schlechtem Informationsfluss, ich würde es gerne genauer verstehen? “ □ „Wie oft sind in den letzten 6 Monaten Meetings ausgefallen? “ 143 6.4 Einzelinterview 2 Siehe Dietrich. Dörner, Hitlers Handeln, in Richtiges und gutes Management: vom System zur Praxis; Festschrift für Fredmund Malik, Haupt Verlag, Bern 2005, S. 222ff □ „Würden Sie mir bitte beschreiben, was Sie mit schleppenden Entscheidungs‐ prozessen im Lenkungsausschuss konkret meinen“. Mit explorierenden Fragen kommt Fleisch an den Knochen. Das führt unmit‐ telbar zum nächsten Tipp. ■ Verstehen ist ungleich begreifen. Diagnose erfordert die Klärung von Sachverhal‐ ten und Sichtweisen. Gute Diagnostiker: innen sind „begriffsstutzig“, sie stutzen, halten inne, spitzen die Ohren, um die Aussagen zu verstehen. Die Aussage, „Die Zusammenarbeit im Team funktioniert nicht gut“, wird jede deutschsprachige Person verstehen, doch weiß sie, was gemeint ist? Vermutlich nicht, denn zum Begreifen bedarf es einer Konkretisierung. ■ Lassen Sie sich Unklarheiten nicht aufs Auge drücken. Vorsicht mit Interpretatio‐ nen, besser nachfragen, um Klarheit zu erreichen. Nutzen Sie Ihre Irritationen, um Unklarheiten oder Widersprüche zu verstehen. Unklarheit ist nicht schlimm, solange klar ist, dass Unklarheit besteht. Schlimm wird es erst dann, wenn Diagnostiker: innen fehlende Klarheit nicht wahrnehmen, bei Seite schieben oder fatalerweise als mangelnde Kompetenz, als persönliche Schwäche bewerten. 2 ■ Wer Daten sammeln will, benötigt Zahlen, Daten, Fakten. □ „Wie häufig tritt mangelnde Verbindlichkeit im Projektteam auf ? “ □ „Wie hoch ist die Budgetabweichung? “ □ „Wann hat die Projektleitung gewechselt? “ ■ Stellen Sie einfache Fragen. Verzichten Sie darauf, Ihre Frage ausführlich zu begründen. Die Interviewten können nachfragen, wenn sie etwas nicht verstehen. ■ Vermeiden Sie folgenden kommunikativen Dreisprung: (1) „Welche Risiken gibt es im Projekt? (2) und ich möchte Ihnen erklären, warum mir diese Frage wichtig ist (3) und ich glaube nicht, dass es in diesem Projekt keine Risiken gibt.“ Interviewer: innen sollen Fragen stellen und keine Antworten vorgeben. ■ Kettenfragen vermeiden Allzu oft sind in einer Frage mehrere Fragen enthalten. Es ist besser, erst die eine und anschließend die nächste Frage zu stellen. ■ Ein Thema darf nicht ausufern. Es nutzt nichts, nur wenige Themen intensiv zu besprechen und andere zu vernachlässigen. Interviewer: innen müssen auch das Thema und die Zeit im Auge halten. ■ Beachten Sie, was jemand gut erklären kann und bei welchen Themen die Person ins Schwimmen gerät. Das muss kein persönliches Versagen sein, sondern kann auch die Problematik im Projekt widerspiegeln. Hier lohnt sich nachzufragen, vielleicht gelingt es dem Gesprächspartner, die Situation auf Grund der Nachfra‐ gen zu erklären. Aber vermeiden Sie inquisitorische Fragen, das kann schnell für die Person peinlich werden. 144 6 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln ■ Es kommt vor, dass Interviewte einem bestimmten Thema, z.B. Einfluss des eigenen Vorgesetzten auf ihre Arbeit, ausweichen möchten. Verzichten Sie auf ein direktes Nachbohren, stattdessen können Sie das Thema zu einem späteren Zeitpunkt im Interview noch mal ansprechen. ■ Achten Sie auf nonverbale Reaktionen, aber sprechen Sie die Körpersprache nicht an, das empfinden viele als Eingriff in ihre Intimsphäre. ■ Vermeiden Sie Ratschläge und Belehrungen nach dem Motto: „Wie konnte Ihnen so etwas nur passieren? “ Wenn im Interview die Aussagen bewertet oder gar tadelnd kommentiert werden, entstehen schnell Barrieren. ■ Diskussionen haben im diagnostischen Gespräch keinen Platz, Sie wollen schließ‐ lich Informationen gewinnen und nicht diskutieren. Je mehr Interviewer: innen reden, desto weniger erfahren Sie. Verzichten Sie auch darauf, Ihre Lösungsideen mitzuteilen, ein Interview ist keine Schulung. ■ Oft liegen die Probleme nicht da, wo man sie findet. Deshalb müssen Diagnosti‐ ker: innen hinter die Kulissen der Projektarbeit schauen, das kennzeichnet eine fundierte Projektdiagnose. Sie müssen in die Tiefe gehen, also nach dem Warum, Wieso und Wozu fragen, denn nur so lassen sich die Ursachen ermitteln: □ 1. Frage: „Warum stehen so wenig Projektmitarbeiter full-time zur Verfü‐ gung? “ Antwort: „Weil bei uns alles Priorität 1 hat.“ □ 2. Frage: „Wieso haben alle Projekte Priorität 1? “ Antwort: „Weil die Geschäftsführung sich nicht festlegen will.“ □ 3. Frage: „Und warum will die Geschäftsführung sich nicht festlegen? “ Antwort: „Gute Frage, wüsste ich auch gerne.“ □ 4. Frage: „Was würde denn passieren, wenn die Geschäftsführung die Priori‐ täten der Projekte klären würde? “ Antwort: „Dann müsste der Entwicklungsleiter Farbe bekennen und die Gren‐ zen des Machbaren aufzeigen. Aber das könnte für ihn gefährlich werden, Marketing und Sales wären darüber nicht sehr erfreut und die haben das Sagen“. (ziemlich wortgetreu) ■ Lassen Sie widersprüchliche Aussagen zu, Ihre Gesprächspartner: innen müssen keine logisch stimmigen Analysen liefern. Die Diagnostiker: innen können Wi‐ dersprüche ansprechen: „Ich verstehe es noch nicht. Sie sagen, das Projekt hat hohe Priorität für den Sponsor und sagen gleichzeitig, dass er keine Zeit für ein notwendiges Klärungsgespräch hat. Das bekomme ich noch nicht auf die Reihe“. ■ Sie sollten jedoch auf Widersprüche nicht belehrend reagieren: „Da äußern Sie einen Widerspruch, das kann ja nicht sein, was Sie mir da erzählen.“ ■ Mit einer Zeichnung wird manches deutlicher. Bitten Sie beispielsweise den Gesprächspartner, die Projektaufbauorganisation oder den Projektverlauf zu vi‐ sualisieren. Halten Sie Material für die Visualisierung bereit. 145 6.4 Einzelinterview ■ Auf keinen Fall über die Aussagen von anderen Interviewten reden. Das ist ein Bruch der Vertraulichkeit und produziert verständlicherweise Misstrauen, „das macht er mit meinen Aussagen auch“. ■ Vorsicht mit vertraulichen Aussagen eines Interviewten: „Das sage ich Ihnen ganz im Vertrauen, das dürfen Sie aber nicht verwenden“. Solche, möglicherweise gut gemeinten Angebote sollten Sie freundlich ablehnen. Fragen Sie, was Sie mit dieser Information anfangen sollen, wenn Sie diese nicht verwenden dürfen. ■ Die Interviewer: innen bestimmen das Tempo des Gespräches. Personen, die sehr schnell sprechen, können Sie mit Hinweis auf das Mitschreiben bitten, ihr Tempo zu drosseln. ■ Falsche Fragen, die nicht zur Problematik passen, können durchaus passieren. Das ist bedauerlich, aber nicht wirklich schlimm. Entscheidend ist, dass Sie genügend Flexibilität mitbringen, ihre Frage zurückzuziehen, falls Sie an der Reaktion des Interviewten merken, dass Ihre Frage am Ziel vorbei geht. Erkundigen Sie sich, warum die Frage nicht richtig ist. ■ Achten Sie auf die Zeit, Themen dürfen nicht ausufern. Wenn Sie in einem Inter‐ view in der vereinbarten Zeit nicht durchkommen, kann ein zweites Interview angebracht sein, wenn ergiebige Themen zu vermuten sind. ■ Zum Ende eines Interviews können Sie fragen, ob die Gesprächspartnerin Fragen vermisst hat. Möglicherweise wird ein Thema genannt, das Sie nicht auf dem Radarschirm hatten. ■ Bedanken Sie sich zum Abschluss für das Gespräch. 6.4.6 Vor- und Nachteile des Einzelinterviews Abschließend eine kurze Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile: Vorteile ■ Es werden Informationen genannt, die durch einen Fragebogen nicht erfasst werden können. Durch vertiefendes Nachfragen können wichtige Informationen gewonnen werden, man erfährt Hintergründe von Entscheidungen und die Ursa‐ chen eines Konfliktes. ■ Die Bedeutung eines Themas mit seinem Kontext kann genauer verstanden werden. ■ Interviewer: innen können Untertöne wie Zweifel, Ironie, Ärger oder Resignation wahrnehmen. ■ Es kann eine vertrauensbildende Atmosphäre entstehen, die sich positiv auf andere Interviews auswirken kann, indem die Interviewten sich positiv über das Gespräch äußeren. Gerade die ersten Interviews können Türöffner sein. 146 6 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln Nachteile ■ Der zeitliche und finanzielle Aufwand ist größer als bei Fragebögen und Gruppen‐ interviews. ■ Durch die Auswahl der Interviewten kann das Ergebnis in eine Richtung gelenkt werden. Dem können Diagnostiker: innen entgegensteuern, indem erstens klare Kriterien für die Auswahl besprochen werden und zweitens die Auswahl gegebe‐ nenfalls hinterfragt wird. ■ Durch die Interviewer: innen treten Verzerrungen auf, sei es durch die ausgewähl‐ ten Fragen, durch die Fokussierung im Interview oder durch den Gesprächsstil. ■ Die einzelnen Antworten in Cluster einzuordnen hängt von der Interpretation der Diagnostiker: innen ab. Dadurch können sich ungewollt tendenziöse Bewertungen ergeben. 6.5 Gruppeninterview Gruppeninterviews sind eine sinnvolle Ergänzung zu Einzelinterviews und manchmal ein Kompromiss, sei es, um Zeit oder Kosten zu sparen. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil des Gruppeninterviews besteht darin, dass bereits im Verlauf des Gruppenin‐ terviews Konsens und Dissens der Beteiligten unmittelbar erkannt werden können. Gruppeninterviews können in verschiedenen Konstellationen stattfinden: ■ Projektteam (Empfehlung: maximal 7 Personen) ■ Teilprojektleiter: innen eines Projektes ■ Linienmanager: innen, welche die Projektarbeit beeinflussen ■ Mitglieder des Steering Committees Ein Gruppeninterview ist jedoch dann nicht empfehlenswert, wenn die Zusam‐ menarbeit in einem Gremium durch Politik, persönliche Spannungen oder starke Interessenkonflikte geprägt ist. Die Chancen und Risiken müssen vorab mit dem Auftraggeber der Diagnose besprochen werden. Im Zweifelsfall sind dann Einzelinterviews vorzuziehen. ■ Projektsponsor: in, Projektleitung und einige Teilprojektleiter: innen ■ Externe Projektmitarbeiter: innen, die ihre Sicht auf das Projekt erläutern sollen. ■ Eine gemischte Gruppe mit internen und externen Projektmitarbeiter: innen. In einem Gruppeninterview geht es letztlich darum, übereinstimmende und unter‐ schiedliche Sichtweisen über die Projektarbeit zu ermitteln und zu verstehen. Diagnostiker: innen sollten nach dem Gruppeninterview folgende Fragen beantworten können: 147 6.5 Gruppeninterview ■ Welche Stärken und welche Schwächen werden genannt? ■ Gibt es Probleme, die von den Beteiligten überwiegend erwähnt werden? ■ Bei welchen Themen besteht Konsens und bei welchen bestehen Meinungs‐ unterschiede? ■ Welche Ausprägung haben die Meinungsunterschiede? Das Spektrum reicht von gering bis gravierend. ■ Gibt es Lösungsvorschläge? ■ Inwieweit sind die Beteiligten an einer Lösung interessiert? ■ Wer muss einbezogen werden, um die Probleme zu lösen? 6.5.1 Tipps zum Gruppeninterview Die meisten Empfehlungen für Einzelinterviews gelten auch für Gruppeninterviews. Deshalb beschränke ich mich nur auf zusätzliche Empfehlungen. ■ Die Gruppengröße sollte bei max. fünf Personen liegen. In Ausnahmefällen, z.B. ein Interview mit einem Projektteam, können auch sieben Personen teilnehmen. ■ Planen Sie zwei bis drei Stunden für ein Gruppeninterview ein. ■ Ein Gruppeninterview darf nicht mit einem Workshop verwechselt werden. Das Gruppeninterview dient der Datensammlung und hat nicht das Ziel, Lösungen auszuarbeiten. Die Interviewer: innen müssen darauf achten, dass Diskussionen vermieden werden, um den Zeitrahmen nicht zu überschreiten. ■ Achten Sie auf das Setting: □ Ist der Raum für das Gruppeninterview geeignet? □ Sitzordnung gestalten, im Kreis können sich alle sehen □ Benötigen Sie Material (Flip Chart, Stifte) für Visualisierungen? ■ Unterscheiden Sie zwischen direkter und indirekter Ansprache. Direkt: Frau M, ich möchte Sie gerne zuerst fragen. Indirekt: Wie kann ich mir den schlechten Informationsfluss im Team vorstellen? Diese Frage wird nicht an eine bestimmte Person gerichtet, weder verbal noch nonverbal. ■ Achten Sie auf auf den Gruppenprozesses: □ Bestehen hierarchischen Abhängigkeiten? □ Wer bringt welches Thema ein? □ Wer spricht wen an? □ Wer ist aktiv, wer zurückhaltend und wer schweigt die ganze Zeit? □ Wessen Meinung zählt? 148 6 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln □ Auf wen richten sich die Blicke? □ Bei „Wir“-Statements sollten Sie erkennen, ob es sich um ein echtes „Wir“ handelt. Jemand sagt: „Wir sind mit dem Informationsfluss nicht zufrieden“. Der Interviewer kann durch Beobachtung oder Nachfragen prüfen, ob die anderen diese Aussage wirklich teilen. Achten Sie aufmerksam darauf, bei welchen Themen Konsens bzw. unterschied‐ liche Sichtweisen bestehen. Fragen Sie nach Gründen für die unterschiedlichen Meinungen. Handelt es sich dabei um Fakten oder um Bewertungen? Alle sind sich einig, dass der Zeitrahmen nicht eingehalten werden kann. Uneinigkeit herrscht jedoch darüber, ob die Terminüberschreitung problematisch ist. ■ Verhalten Sie sich möglichst neutral mit Worten und Mimik. Es ist nicht unwahr‐ scheinlich, dass Beteiligte einschätzen, auf welcher Seite die Interviewer: innen stehen. Vertreten sie die Meinung der Projektleitung, indem bei ihren Aussagen weniger genau nachfragt wird als bei den Schilderungen der Projektmitarbeiter: in‐ nen? ■ Durch wen lassen Sie sich möglicherweise beeinflussen? Gehen Sie nicht davon aus, dass Ihnen so etwas nicht passiert, wichtig ist, dass Sie es erkennen. Die Beeinflussung kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen: □ Hierarchische Position einer Person □ Sympathie, Antipathie □ Ausstrahlung, Attraktivität einer Person □ Titel □ Wirtschaftliche bzw. soziale Abhängigkeiten □ Fachliche Überlegenheit einer Person 6.5.2 Vor- und Nachteile des Gruppeninterviews Vorteile ■ Im Verlauf des Interviews können verbale und nonverbale Reaktionen der Betei‐ ligten wahrgenommen werden, manchmal eine wahre diagnostische Fundgrube. In einem Gruppeninterview beklagte sich ein IT-Teilprojektleiter, dass der Fach‐ bereich seine Aufgaben nur unzureichend plane. Seine IT-Kollegin nickte zustim‐ mend, während ein erfahrener Projektmitarbeiter aus dem Fachbereich die Kritik nur müde lächelnd zur Kenntnis nahm. Auf meine Nachfrage, ob er die Kritik nachvollziehen kann, antwortete er: „Wenn die IT mehr Ahnung von diesem SAP Modul hätte, wären sie in der Lage mit unseren Planungsdaten zu arbeiten. Stattdessen müssen wir denen alles ganz genau vorkauen, aber das ist nicht unsere Aufgabe“. Offensichtlich besteht hier Dissens, für den Diagnostiker eine wichtige Information. 149 6.5 Gruppeninterview ■ Gruppeninterviews sind weniger zeitaufwändig und somit kostengünstiger als Einzelinterviews. Ein Gruppeninterview mit fünf Personen kann in zwei bis drei Stunden durchgeführt werden. Für fünf Einzelinterviews werden fünf Stunden benötigt. ■ Weitere Themen tauchen im Verlauf des Interviews auf, indem Aussagen einer Person von anderen aufgegriffen werden. ■ Indem die Beteiligten gemeinsam über Probleme reden, kann sich die Bereitschaft zur Problemlösung steigern. Nachteile ■ Personen sind manchmal wenig bereit, ihre Meinung in der Gruppe zu äußern. ■ Durch die Auswahl der Interviewten kann das Ergebnis in eine bestimmte Rich‐ tung gelenkt werden. ■ Die Gruppendynamik beeinflusst den Kommunikationsprozess. So kann die Mei‐ nung eines Opinion Leaders andere beeinflussen. Interviewer: innen benötigen Social Skills, um gruppendynamische Einflüsse wahrzunehmen und so zu lenken, dass alle zu Wort kommen. Gruppeninterviews gekonnt zu führen, stellt eine stärkere Herausforderung dar als die Durchführung von Einzelinterviews. 6.6 Hearing Für das Hearing werden ausgewählte Schlüsselpersonen eingeladen, die sich auf Basis ihrer Fachkompetenz fundiert über die Lage des Projektes äußern. Gehört werden können beispielsweise die Projektleitung, eine Mitarbeiterin aus dem Project Control‐ ling, verschiedene interne Spezialist: innen oder erfahrene externe Berater: innen. Im Hearing liegt der Schwerpunkt in der Regel auf Fachthemen, nur selten interessiert, wie die Projektarbeit abläuft. Im Grunde handelt es ich beim Hearing um ein kurzes Projekt Review und nicht um eine Projektdiagnose. Dennoch kann ein Hearing eine gute Grundlage für eine tiefergehende Analyse sein. Um valide Aussagen zu erhalten, muss ein geeigneter Fragenkatalog ausgearbeitet werden. Beispiel ■ Können die Kundenanforderungen erfüllt werden? ■ Wann sind die Anforderungen des Kunden das letzte Mal geprüft worden? ■ Welche Marktentwicklungen können für das Projekt relevant sein? ■ Gibt es technologische Innovationen, die im Rahmen des Projektes berücksichtigt werden sollen? ■ Kann der Termin eingehalten werden? ■ Stimmt die Qualität der Zwischenergebnisse? 150 6 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln ■ Werden die Kosten eingehalten? ■ Gibt es neue qualifikatorische Anforderungen, um die Ziele zu erreichen? ■ Stimmt die Projektplanung? ■ Von welchen Prämissen ist bei der Aufwandschätzung ausgegangen worden? ■ Sind die Pläne in den Teilprojekten auf dem aktuellen Stand? ■ Werden die inhaltlichen und zeitlichen Abhängigkeiten zwischen Arbeitspaketen und Teilprojekten systematisch überwacht? ■ Welche Risiken werden gesehen? Im Rahmen eines Hearings kann mit der Delphi-Methode gearbeitet werden. Ver‐ schiedene Expert: innen beantworten in einem mehrstufigen Befragungsverfahren unabhängig voneinander spezifische Fragen zum Stand des Projektes, z.B. zum Grad der Zielerreichung, zu Risiken, zu den inhaltlichen Abhängigkeiten von Arbeitspaketen oder zu Einschätzungen der Qualität der Arbeitsergebnisse. Mit diesem Vorgehen kann man gut feststellen, ob die Expert: innen die einzelnen Punkte übereinstimmend oder abweichend bewerten. Auf diese Weise können Bandwagon-Effekte (Mitläufereffekte) vermieden werden. 6.7 Diagnose - Workshop Der Begriff Diagnose-Workshop ist nicht ganz korrekt, denn in einem Diagnose-Work‐ shop geht es nicht nur um die Datensammlung und Analyse, sondern es sollen auch Lösungen für die erkannten Probleme erarbeitet werden. Die Diagnose ist nur ein Element des Workshops. Abhängig von der Aufgabenstellung dauert ein Diagnose-Workshop zwei Tage, zumindest sollten eineinhalb Tage eingeplant werden, um in Ruhe und mit der nötigen Intensität die Themen zu bearbeiten. In kleineren Projekten reicht oft ein Tag aus. Unter Zeitdruck entsteht nicht nur Hektik, sondern es entwickelt sich auch nicht die notwendige Energie und Offenheit. Genügend Zeit ist erforderlich, um über unterschiedliche Sichtweisen oder Konflikte offen zu sprechen. Diagnostiker: innen müssen sich bezüglich der notwendigen Dauer eines Workshops klar positionieren. Wenn meine Bedenken zu groß sind, empfehle ich, auf einen Diagnose-Workshop zu verzichten und die Probleme auf andere Weise zu lösen. Interviews können einem Workshop vorausgehen. Das kann sehr vorteilhaft sein, denn die Ergebnisse der Interviews können zu Beginn des Workshops präsentiert und diskutiert werden. Dadurch bleibt genügend Zeit, um an den Problemlösungen zu arbeiten. Workshops im Rahmen der Projektdiagnose können in verschiedenen Zusammenset‐ zungen durchgeführt werden: ■ Mit dem Projektteam ■ Mit Teilprojektleiter: innen 151 6.7 Diagnose - Workshop ■ Mit dem Steering Committee ■ Mit dem Projektteam und Führungskräften In diesem Abschnitt werden nur einige methodische Themen beschrieben. Selbst‐ verständlich reichen diese Informationen allein nicht aus, um Workshops gekonnt zu leiten, denn Moderator: innen benötigen hohe soziale Kompetenz. Hierzu einige Stichworte: ■ Gruppenprozesse erkennen und steuern ■ Gute Geprächsführung ■ Konfliktmanagement ■ Souveränes Auftreten, unabhängig von hierarchischen Positionen der Teilneh‐ menden ■ Moderations-, Problemlösungs- und Entscheidungstechniken beherrschen ■ Die Auflistung zeigt, wie vielfältig das Know-how der Moderator: innen ist. Moderator: innen von Diagnose-Workshops müssen über Neutralität verfügen. Das ist nicht gegeben, wenn die Projektleitung einen Workshop mit dem Projekt‐ team selbst moderieren würde. Sie hat zwangsläufig zwei Hüte auf, einerseits den Hut der Projektleitung und andererseits den Hut als neutraler Diagnostiker. Die‐ sen Rollenkonflikt sollte man vermeiden. 6.7.1 Tipps zur Vorbereitung und Durchführung von Diagnose Workshops Gleichgültig, in welcher Konstellation ein Workshop stattfindet, stets müssen eine Reihe von Punkten beachtet werden: ■ Die Ziele des Workshops mit den Verantwortlichen klären. Bei einem Workshop mit dem Projektteam müssen die Ziele mit der Projektleitung und in vielen Fällen auch mit den Entscheidungsträgern besprochen werden. „Was soll am Ende herauskommen? “ „Wann ist der Workshop erfolgreich? “ das sind zentrale Fragen für die Zielfindung. Die generellen Antworten lauten oft: □ Die Kernprobleme werden erkannt und gemeinsam analysiert. □ Gemeinsame und unterschiedliche Sichtweisen liegen auf dem Tisch. □ Lösungen, zumindest Lösungsansätze werden im Workshop ausgearbeitet und weitere Schritte vereinbart. □ Zur Zielklärung gehört auch die Frage, welche Themen nicht besprochen werden sollen. Dazu können fachliche Themen oder auch sehr persönliche Themen gehören, die nicht im Workshop bearbeitet werden sollen. ■ Die Teilnehmer des Workshops und deren zeitliche Verfügbarkeit unbedingt klären. Mehr als einmal habe ich es erlebt, dass wichtige Personen nur einen halben Tag teilnahmen und am zweiten Tag nachmittags wiedergekommen sind. Eine klare, verbindliche Vereinbarung über die Anwesenheit ist erforderlich. 152 6 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 ■ Dauer und Zeitplanung klären. ■ Veranstaltungsort, Material und Bestuhlung festlegen. Um informelle Kontakte zu fördern, ist ein externes Tagungshaus vorteilhaft. Ande‐ rerseits sprechen oft finanzielle Aspekte dagegen. Es darf auch nicht unterschätzt werden, dass viele Mitarbeiter: innen froh sind, wenn sie abends zu Hause sind. ■ Ablauf des Workshops planen Die Teilnehmer: innen müssen eine Information über den Ablauf des Workshops erhalten. Selbstverständlich ergibt es keinen Sinn, eine zu detaillierte Planung des Workshops zu vermitteln, die sich im Verlauf des Workshops als Fessel erweist. Workshops benötigen einen Handlungsspielraum. Deshalb sind Menschen, die für möglichst jede Situation unbedingt eine klare, möglichst wasserdichte Struktur brauchen, ungeeignete Moderator: innen. ■ Regeln vereinbaren □ Ständige Anwesenheit wird erwartet. □ Im Workshop bitte keine E-Mails lesen oder schreiben, dafür gibt es besondere Zeiten. □ Die Ergebnisse des Workshops werden dokumentiert. Über die Form der Dokumentation muss Klarheit bestehen. Ein gut lesbares Fotoprotokoll oder digitalisierte Flipchart-Ergebnisse gehören in vielen Unternehmen zum Stan‐ dard. □ Wer erhält die Ergebnisse? Dürfen sie an andere Personen weitergegeben werden? 6.7.1.1 Durchführung ■ Auf den Einstieg kommt es an Wie steige ich am besten in einen Diagnose-Workshop ein, um die richtigen The‐ men zu finden und eine gute Arbeitsatmosphäre zu schaffen? Für diese Fragen gibt es keine allgemeingültigen Antworten. Nach den notwendi‐ gen Startthemen wie Vorstellungsrunde, Ziele des Workshops, Ablauf, Zeiten und Regeln bitte ich die Teilnehmer: innen, sich mit einem Einstiegsthema zu beschäf‐ tigen. Dazu nutze ich abhängig vom Teilnehmerkreis und der Unternehmenskultur verschiedene Varianten: □ Variante 1: Welcher Film- oder Buchtitel fällt Ihnen zum Projekt ein? Die Antworten kommen oft ganz schnell: „Titanic“, „Mission Impossible“ „Vom Winde verweht“, „die unendliche Geschichte“, „Denn sie wissen nicht was sie tun“ oder „Wem die Stunde schlägt“. Die Hits sind „Titanic“, „Mission Impossible“ und „Vom Winde verweht“. Anschließend beschreiben die Teil‐ nehmer: innen, was der Titel aus ihrer Sicht mit der Situation des Projektes zu tun hat. Auf diese Weise entsteht ein reger Austausch in der Gruppe und in relativ kurzer Zeit können eine Vielzahl von Informationen zu einzelnen Diagnosefeldern gesammelt werden. 153 6.7 Diagnose - Workshop □ Variante 2: Zielfoto beschreiben Weniger assoziativ ist die Zielfoto-Methode mit der Delta Frage, mit der schnell ein guter Einstieg erreicht werden kann: „Angenommen, unser Work‐ shop ist wirklich erfolgreich beendet, woran werden Sie das feststellen? “ □ Variante: 3: „Wenn das Projekt sprechen könnte, was würde es wem unbedingt mitteilen? “ Bei dieser Variante wird nicht nur die Situation des Projektes geschildert, sondern auch Adressaten genannt, die Probleme verursachen oder für die Problemlösung wichtig sind. Der Einflussfaktor Hierarchie ist dabei zu beachten, denn in Anwesenheit von Entscheidungsträgern halten sich manche Personen leider mit ihrer Meinung zurück. Dieser Einstieg eignet sich gut für ein Workshop mit dem Projektteam oder für Unternehmen, in denen hierarchische Einflüsse eine untergeordnete Rolle spielen. □ Variante 4: Empfehlungen zum Scheitern „Was müsste passieren, damit unser Projekt auf jeden Fall scheitern wird? “ Ich habe noch nie erlebt, dass Projektmitarbeiter: innen darauf keine Antwort finden. Für diesen Einstieg eignet sich ein Brainstorming oder eine Kartenab‐ frage mit Moderationskarten. ■ Themenschwerpunkte herausarbeiten □ Zentrale Themen finden. Unwahrscheinlich, dass alle Themen in einem zweitägigen Workshop ausrei‐ chend gut bearbeitet werden können. Das ist auch nicht erforderlich, sondern es kommt darauf an, die zentralen Themen zu finden und mit Hilfe der Diagnosefelder in sinnvolle Cluster zu ordnen. (siehe Kapitel 5 und Kapitel 7) Die anderen Themen können außerhalb des Workshops gelöst werden. □ Prioritäten gemeinsam festlegen. Womit anfangen, welches Thema hat für die Projektarbeit die höchste Prio‐ rität? Um sinnvoll zu priorisieren, rate ich von einem möglichst schnellen Abstimmungsprozess ab, nach dem Motto: Fünf Punkte für jeden und damit werden die Themen priorisiert. Für die Priorisierung der Themen sollten zunächst einige Fragen gründlich geklärt werden: ▸ Was ist mit den einzelnen Themen gemeint, haben alle das gleiche Verständnis? ▸ Welche Zusammenhänge bestehen zwischen den einzelnen Themen? ▸ Welche Probleme müssen im Workshop auf jeden Fall bearbeitet werden, um Verbesserungen zu erreichen? ▸ Gibt es Probleme, die im Workshop nicht bearbeitet werden können oder sollen, weil bestimmte Entscheidungsträger nicht anwesend sind? Dann kann höchstens eine Problemanalyse mit Empfehlungen ausgearbeitet werden. Die Antworten bilden die Grundlage für die Priorisierung der Themen. 154 6 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln ■ Die priorisierten Themengebiete bearbeiten. Nun können die Themen bearbeitet werden. Dabei gilt, weniger ist mehr. Es muss genügend Zeit vorhanden sein, um die Themen intensiv in der erforderlichen Tiefe zu bearbeiten. Die Ergebnisse müssen gut dokumentiert und besprochen werden. Auf jeden Fall sollten zum Ende des Workshops die weiteren Schritte möglichst konkret ausgearbeitet sein. Die Moderator: innen haben die Verantwortung, dass zum Endes Workshops ein Aktionsplan für alle sichtbar steht: Wer? macht was? wie? mit wem? bis wann? ■ Auswertung des Workshops Mit einer einfachen Auswertung des Workshops können sich die Beteiligten ein Bild machen, wie erfolgreich der Workshop abgelaufen ist. Es lohnt sich, etwas Zeit in die Auswertung zu investieren. Im Mittelpunkt stehen folgende Fragen: 1. Haben wir die richtigen Themen bearbeitet? 2. Wie sieht es mit der Umsetzbarkeit der Ergebnisse aus? 3. Wie war das Vorgehen? 4. Wie zufrieden sind die Teilnehmenden? Themen 1 2 3 4 5 6 7 Vorgehen Direkte Umsetzbarkeit Zufriedenheit 1 2 3 4 5 6 7 1 2 3 4 5 6 7 1 2 3 4 5 6 7 gar nicht Absolut umsetzbar sehr unzufrieden Sehr zufrieden Völlig unwichtig Sehr wichtig sehr ungeeigne t Genau passend Abb. 15: Auswertung eines Diagnose Workshops 155 6.7 Diagnose - Workshop 6.7.2 Vor- und Nachteile von Diagnose-Workshops Vorteile ■ Im Workshop werden nicht nur Ursachen erkannt und analysiert, sondern auch Lösungen erarbeitet. ■ Konsens und Unterschiede werden deutlich. ■ Bei der geeigneten Zusammensetzung der Gruppe kann durch offene Kommunika‐ tion und gemeinsames Anpacken der Aufgaben eine positive Veränderungsenergie entstehen. Nachteile ■ Zeitaufwändig ■ Abhängig vom Tagungsort können beachtliche Kosten anfallen. ■ Gruppendynamische Einflüsse können die Arbeit negativ beeinflussen. 6.8 Teilnehmende Beobachtung Manchmal werde ich im Rahmen einer Projektdiagnose gefragt, ob ich an einem Meeting des Projektteams oder des Steering Committees als Beobachter teilnehmen möchte, um mir selbst ein Bild über die Zusammenarbeit zu machen. Ich nehme solche Einladungen nicht an, weil ich den Nutzen der teilnehmenden Beobachtung als sehr gering einschätze. Aus der empirischen Sozialforschung ist bekannt, dass durch die Anwesenheit des Beobachters das Verhalten der Beteiligten beeinflusst wird, oft zeigen sich die Akteure dann von ihrer Schokoladenseite. Selbst wenn das nicht so wäre, stammen die Beobachtungen nur aus einer bestimm‐ ten Sitzung und es stellt sich die Frage, wie repräsentativ gerade diese Sitzung ist. Aus diesen Gründen empfehle ich die teilnehmende Beobachtung im Rahmen der Projektdiagnose nicht. 156 6 Methoden der Datensammlung Grundsätze, Methoden und Regeln 7 Datenaufbereitung - von der Analyse zum Bericht Die Interviews sind abgeschlossen, nun muss die Datenflut gesichtet, geordnet und analysiert werden. Meetings zu schlecht vorbereitet. Schließe mich da nicht aus. Zeitplanung wird nicht gemeinsam gemacht Entscheidungsprozesse im Projektteam sind nicht ok Wir diskutieren zu viel und entscheiden zu wenig Abstimmungen laufen schlecht Meetings müssten straffer ablaufen Schlechter Informationsfluss im Projekt Werden Information richtig verteilt oder Information zurückgehalten? In unserem Teilprojekt läuft es gut, gute Stimmung und offenen Kommunikation Menge der Projekte x unklare Prio = Chaos Führungskräfte mischen zu viel mit, teilweise an der Projektleitung vorbei Welches Gremium ist zuständig? Die Rollen im Team sind nicht klar. Wann soll ich das noch machen? Zeitprobleme dürfen nicht offen diskutiert werden Entscheidungen vom Decision Board zu spät. Project Portfolio Management wäre notwendig, das will man aber nicht Standortinteressen machen es nicht leichter Entscheidungsprozesse im Projektteam sind nicht ok. Realistische Planung fehlt Tools sind ok Abstimmung verbessern Fehlende Abstimmung Zu wenig Zeit, wie immer Zu wenig Zeit für Vorbereitung des Projektes Über meine Überstunden will nicht reden Der Druck wir d auf die Projektleitung verlagert. Der Druck hat deutlich zugenommen Bin froh, dass ich kein PL bin Kick-off Meeting, gab es nicht Am PL liegt es nicht, der kann im Grunde nichts machen Timelines, wie werden die definiert? Die Stunde der Wahrheit kommt erst, wenn die Teilergebniise zusammengefügt werden müssen Abb. 16: Mitschriften von Interviews Die Datenaufbereitung ist abhängig von der Datenmenge und der Qualität der Mit‐ schriften, je besser während der Interviews mitgeschrieben wurde, desto leichter lassen sich die Aussagen zuordnen. Datenanalyse ist keine einfache Aufgabe, die sich schnell von heute auf morgen erledigen lässt. Auftraggeber: innen von Diagnosen sollten sehr skeptisch werden, wenn am Mittwoch um 16: 00 Uhr das letzte Interview beendet wurde und am nächsten Tag um 10: 00 Uhr die Ergebnisse bereits auf dem Tisch liegen. Wer diese Geschwindigkeit schätzt, der betrügt sich wahrscheinlich selbst. Die Datenana‐ lyse und die Ausarbeitung des Berichtes erforderten Sorgfalt und Zeit zum Nachden‐ ken. Der Diagnostiker darf sich in der Datenflut nicht verirren, sondern die Aussagen müssen thematisch sinnvoll zugeordnet und umsetzbare Empfehlungen ausgearbeitet werden. Wie werden die vielen Aussagen zugeordnet und analysiert, um die Stärken und Schwächen der Projektarbeit im Systemzusammenhang zu verstehen? Die strukturel‐ len und personellen Ursachen der Probleme müssen verstanden und bewertet werden, um möglichst konkrete Empfehlungen zu formulieren. Die gründliche Sammlung der Stärken und Schwächen des Projektes bildet die notwendige Voraussetzung, doch erst durch eine fundierte Analyse und daraus resultierende Empfehlungen wird die Arbeit der Diagnostiker: innen fruchtbar. Damit sind hohe Anforderungen verbunden. Um den Anforderungen gerecht zu werden, müssen folgende Punkte beachtet werden: ■ Die Aussagen müssen klar sein. Spätestens in der Präsentation der Ergebnisse zeigt sich, ob der Diagnostiker die Frage einer Managerin „was ist mit agilem Schnick‐ schnack eigentlich konkret gemeint? “ beantworten kann. ■ Die Aufbereitung der Ergebnisse steht und fällt mit der sinnvollen Zuordnung der zahlreichen Aussagen in Themenschwerpunkte, wofür häufiger der Begriff Clusterbildung verwendet wird. Die Inhalte der Cluster sollten differenziert genug sein, um den Adressaten einen nachvollziehbaren Über- und Einblick zu ermögli‐ chen. Wenig aussagekräftig, weil viel zu pauschal, erscheint mir beispielsweise der Clustertitel „Unternehmenskultur“, denn die Wahrscheinlichkeit ist hoch, in dieses Cluster alles Mögliche hineinzupacken, von Kommunikation, Vertrauen, Empowerment bis zu den Unternehmenswerten. 7.1 Schritte der Datenaufbereitung - Clustern Für die Datenaufbereitung haben sich folgende Schritt bewährt: ■ Fragen und Antworten digital erfassen Zunächst müssen die Antworten der Interviews digital erfasst werden. Hier zeigt sich, wie gründlich mitgeschrieben wurde, ob Begriffe und Abkürzungen verstanden worden sind oder Aussagen so verkürzt mitgeschrieben wurden, dass sich im Nachhinein der Sinn nicht mehr ganz erschließt. Ich habe bereits im Abschnitt „Interview“ darauf hingewiesen, dass eine zeitnahe digitale Erfassung die spätere Auswertung erleichtert. ■ Die Aussagen aus den Interviews in Cluster ordnen. Die meisten Cluster ergeben sich normalerweise aus dem Leitfaden für die Interviews. Typische Cluster sind u. a. Projektziele, Rollen im Projekt, Entschei‐ dungsprozesse, Teamarbeit, Verfügbarkeit der Projektmitarbeiter: innen, Planung, moving targets oder Informationsfluss im Projekt. Beispiel: Einzelne Aussagen im Cluster „Projektziele“ ■ Ziele sind nur oberflächlich klar, wenn es ins Detail geht, wird es schwammig. ■ Ziele sind unklar. ■ Wir investieren zu wenig Zeit in die Zielklärung. 158 7 Datenaufbereitung - von der Analyse zum Bericht ■ Ziele sind widersprüchlich, Qualitätsanspruch 100 %, aber zu wenig Personal steht zur Verfügung. Das ist kein Ausnahmefall. ■ Sales EU und Sales US haben unterschiedliche Erwartungen an das Produkt, die Ziele stimmen nicht überein. Dieser Interessenkonflikt wird nicht gelöst. ■ Wieviel Know-how haben die Entscheider: innen über die Ziele? Da bestehen Zweifel. ■ Die Projektziele ändern sich zu oft, Marketing hat immer wieder was Neues. Manchmal besteht der Eindruck, dass Änderungen Selbstzweck sind. ■ In meinem Teilprojekt sind die Ziele klar. ■ Neue Cluster zulassen Es passiert immer wieder, dass sich Antworten aus den Interviews nicht den vorbereiteten Clustern zuordnen lassen, weil Themen genannt wurden, die nicht auf dem Radarschirm von Diagnostiker: innen waren. Das ist keineswegs negativ, oft haben solche Aussagen einen hohen diagnostischen Nutzen. So äußerten in Interviews einige Mitarbeiter: innen offen ihre Bedenken über den Sinn der Projektdiagnose: „Bringt ja doch nichts“. „Es wäre das erste Mal, dass wirklich mal was passiert, in der Regel werden vom Management Ankündigungen gemacht und dann setzt wieder der Treibsand ein“. Diese Antworten passen nicht in die erwarteten Cluster. Folglich muss ein weiteres Cluster her, wobei ein treffender Titel gefunden werden sollte. In diesem Fall habe ich den Titel „Ankündigen …, und dann setzt der Treibsand wieder ein“ gewählt. Die Aussagen sollten nicht in eine vorgefertigte Struktur hineingepresst werden, denn auf diese Weise werden die Ergebnisse verfälscht. ■ Eine attraktive Headline für die Cluster finden Der Titel eines Clusters soll Aufmerksamkeit wecken und neugierig machen. Mit einem markanten Zitat aus einem Interview wird meistens mehr Interesse geweckt als mit den bereits hundertmal gehörten Bullet Points „Synergieeffekte schaffen“, „Alignment“ oder „Komplexität reduzieren“. In einem Interview hatte ich Folgen‐ des notiert: „Das aktuelle Projekt hat es relativ leicht, denn das Vorgängerprojekt „ISI“ scheiterte und dieses Fiasko darf sich nicht wiederholen“. Wörtlich wurde gesagt: „ISI makes it easy“, die Headline war gefunden. Der Titel eines Clusters kann durchaus provokativ sein, aber er darf nie verletzen. Außerdem muss darauf geachtet werden, dass keine Zuordnung zu einer Person möglich ist, die Vertrau‐ lichkeit muss gewahrt werden. Im Zweifel sollte man auf das Zitat verzichten oder sich beim Interviewten die Erlaubnis holen, das Zitat zu verwenden. ■ Eine Nacht drüber schlafen Die Zuordnung der Aussagen in die einzelnen Cluster sollten mit einigem Abstand noch einmal überprüft werden. Dabei kann es hilfreich sein, eine erfahrene Person zu konsultieren. 159 7.1 Schritte der Datenaufbereitung - Clustern 7.1.1 Zusammenfassende Empfehlungen ■ Die Aussagen aus den Interviews sinnvoll den Clustern zuordnen. Oft können Sie die im Kapitel 5 beschriebenen Diagnosefelder nutzen. ■ Die Aussagen innerhalb eines Clusters übersichtlich gliedern. Empfehlenswert ist eine Unterteilung in drei Abschnitte □ positive Aussagen □ negative Aussagen □ neutrale Aussagen ■ Versuchen Sie treffende Headlines zu finden. ■ Denken Sie gründlich über die Reihenfolge der Cluster nach. Der rote Faden sollte für alle erkennbar sein. Mit der Clusterbildung ist die Basis für den Diagnosebericht erreicht. 7.2 Diagnosebericht Ein qualifizierter Diagnosebericht beeinflusst erheblich den Erfolg der Projektdi‐ agnose, schließlich ist er die Grundlage für anschließende Diskussionen und Ent‐ scheidungen. Noch so intensiv geführte Interviews nutzen nichts, wenn der Be‐ richt schlecht ausgearbeitet wird. 7.2.1 Kriterien eines guten Diagnoseberichtes ■ Die Aussagen in den einzelnen Clustern dürfen nicht verfälscht wiedergegeben werden, d. h. verwässernde Verallgemeinerungen oder Streichung von Aussagen (aus welchen Motiven auch immer) sind nicht akzeptabel. Das bedeutet nicht, dass Aussagen stets originalgetreu wiedergegeben werden müssen. ■ Die Aussagen müssen verständlich sein. Unklare Aussagen führen zu Interpreta‐ tionen bei den Anwesenden und niemandem ist damit geholfen, wenn verschie‐ dene Interpretationen im Raum herumschwirren. Schreiben Sie Abkürzungen aus und erklären sie Fachbegriffe oder Anglizismen falls dies erforderlich ist. ■ Gute Formulierungen, klare Sätze und die richtige Wortwahl sind wichtig. Die Inhalte und die Sprache des Berichtes sollten zur Lektüre animieren. Allzu oft werden leider Schlagworte verwandt, statt in einer lebendigen Sprache zu schrei‐ ben. Nicht alle Diagnostiker: innen können gute Berichte schreiben. In diesem Fall ist es ratsam, sich für endgültige Fassung Unterstützung zu holen. Sprachgewandte Studenten und Studentinnen freuen sich bestimmt über ein Honorar. ■ Der Bericht muss klar gegliedert werden, um Übersicht und Verständnis zu ermöglichen. (siehe Gliederung von Berichten 7.2.2) 160 7 Datenaufbereitung - von der Analyse zum Bericht Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 ■ Die Reihenfolge der Cluster sollte mit Bedacht ausgewählt werden. Zum einen müssen thematische Verknüpfungen beachtet werden und zum anderen spielt die Dramaturgie des Berichtes und damit auch der wahrscheinlich folgenden Präsentation eine Rolle. Diagnostiker: innen sollten sich zweimal überlegen, direkt mit dem brisantesten Thema, z.B. „Der Lenkungsausschuss entscheidet schlecht“ zu beginnen, denn damit dürfte die Aufmerksamkeit für andere Themen deutlich in den Hintergrund treten. ■ Zum Diagnosebericht gehören immer konkrete Empfehlungen. ■ Gegebenenfalls kann die Diagnostiker: innen auch Kommentare zu einzelnen Themen schreiben. ■ Der Bericht muss verdaubar sein. Deutliche Aussagen sind notwendig, damit die Adressaten ein klares Bild über die Ergebnisse erhalten. Auch provozierende Statements sind möglich, aber niemals dürfen Aussagen verletzend sein. Berichte können unterschiedlich lang sein. Der Umfang hängt von der Anzahl der Diag‐ nosefelder und der Interviewten ab. Außerdem wird die Ausführlichkeit des Berichtes auch durch die Vorgaben des Auftraggebers bestimmt. Manche Auftraggeber: innen fordern einen detaillierten Bericht, andere bevorzugen lediglich eine Kurzfassung mit den wesentlichen Erkenntnissen. Teilweise werden beide Versionen gewünscht, eine Langfassung für die interessierten Leser: innen und eine Management Summary, um Entscheidungen treffen zu können. 7.2.2 Gliederung eines Diagnoseberichtes In diesem Abschnitt finden Sie Elemente eines Diagnoseberichtes, der für ein sehr großes Projekt, hier GAMMA genannt, ausgearbeitet wurde. Nach der Gliederung folgen Auszüge, um Ihnen ein genaueres Bild zu vermitteln. Inhaltsverzeichnis des Berichtes Projekt GAMMA 1 Ziele der Projektdiagnose Seite 1 1.1 Ausgangslage für die Diagnose 1.2 Was wird von der Diagnose erwartet? 2 Interviewte Seite 3 3 Atmosphäre bei den Interviews Seite 5 3.1 Allgemeines 3.2 Differenzierung nach Standorten 4 Allgemeine Informationen zu den Interviews Seite 7 4.1 Vorbemerkung 4.2 Thematische Schwerpunkte 4.3 Wichtige Fragen 161 7.2 Diagnosebericht 5 Ergebnisse Seite 10 5.1 Übersicht über die wesentlichen Ergebnisse 5.2 Inhalte der einzelnen Diagnosefelder (Cluster) Seite 13 5.3.1 GAMMA ist noch in der Anfangsphase 5.3.2 Was ist bisher gut gelaufen? 5.3.3 Was ist bisher nicht gut gelaufen? 5.3.4 Risiken 5.3.5 Projektleitung (PL) 5.3.6 Teilprojekte und Teilprojektleitung 5.3.7 Project Office 5.3.8 Steering Committee 5.3.9 Sponsor 5.3.10 Ressourcenprobleme 5.3.11 Standorte 5.3.12 Auswirkungen von GAMMA auf die Prozesse 5.3.13 Auswirkungen von GAMMA auf die Mitarbeiter 5.3.14 Auswirkungen auf das IT-Department 5.3.15 Der Einfluss der Politik 5.3.16 Auswirkungen auf Kooperationspartner 6 ZUSAMMENFASSUNG UND EMPFEHLUNGEN Seite 47 6.1 Die Kernfragen 6.2 Themenschwerpunkte der Interviews 6.3 Ergebnisse und Empfehlungen 6.3.1 Stärken des Projektes 6.3.2 Probleme 6.3.3 Risiken Auszüge aus dem Bericht Damit Sie sich einen Eindruck über den Bericht verschaffen können, werden nun Auszüge aus dem Diagnosebericht in gekürzter Form vorgestellt. 1.2. Was wird von der Diagnose erwartet? Durch die Diagnose sollen folgende Kernfragen beantwortet werden: ■ Wie ist die bisherige Projektarbeit gelaufen? ■ Was läuft gut und wie können Stärken beibehalten und ausgebaut werden? ■ Welche Probleme werden von den Projektbeteiligten gesehen und was kann unternommen werden, um diese abzubauen? ■ Welche Risiken sehen die Projektbeteiligten und welche Maßnahmen sollten geplant werden, damit erkannte Risiken nicht zu Problemen werden? 162 7 Datenaufbereitung - von der Analyse zum Bericht Im Zentrum steht die Frage: Was müssen wir unternehmen, um dieses für das Unternehmen extrem wich‐ tige Projekt gemeinsam zum Erfolg zu führen? Inhaltliche Abgrenzung Die inhaltliche Untersuchung der Ziele, der Teilziele, der Aufgabenstrukturierung und die damit verbundenen fachlichen Fragen sind nicht Gegenstand der Untersuchung. Es geht allein um die Analyse des Projektmanagements im Projekt GAMMA. 2. Die Interviewten An den Interviews nahmen teil ■ Projektleitung ■ Teilprojektleiter: innen ■ Mitarbeiter: innen aus den verschiedenen IT-Einheiten ■ Führungskräfte aus Fachabteilungen ■ Mitarbeiter: innen aus dem Projekt Office ■ Mitglieder der erweiterten Projektsteuerung ■ Mitglieder des Steering Committees ■ Sponsor des Projektes ■ Mitglieder des IT-Führungskreis ■ Vorstandsmitglieder ■ Arbeitsnehmervertreter: innen ■ Mitarbeiter: innen der externen Kooperationspartner und deren Führungskräfte 3. Atmosphäre 3.1. Allgemein Die Gespräche fanden in einer sachlichen, konstruktiven und freundlichen Atmosphäre statt. Dieser Satz ist nicht nur pro forma geschrieben, sondern er gibt unseren Eindruck aus den vielen Interviews wieder. Verglichen mit anderen Diagnosen konnten die Gespräche ohne Mühen geführt werden, Widerstände oder gar persönliche Ablehnung zeigten sich nirgendwo. 3.2. Differenzierung Dennoch bemerkten wir Abstufungen: Je weiter die Gesprächspartner: innen organisa‐ torisch von der Zentrale entfernt waren, desto weniger fühlten sie sich über die aktuelle Situation des Projektes informiert. Eine gewisse Distanzierung war erkennbar. Das wurde von den Gesprächspartner: innen selbst ausgedrückt, die sich zu weit außen vor, weniger beteiligt fühlen. Letzteres wurde nicht als Kritik in Richtung der Projektleitung geäußert, sondern als Zustandsbeschreibung der eigenen Rolle im Projekt. Die fehlende Information dagegen wurde in Richtung Sponsor, Projektleitung und Projekt Office kritisiert. 163 7.2 Diagnosebericht 4. Informationen zu den Interviews 4.1 Vorbemerkung ■ Die Interviews fanden in Einzel- und in Gruppeninterviews statt. Für Einzelinterviews waren durchschnittlich 1 Stunde und für ein Gruppeninter‐ view 3,0 Stunden geplant. ■ Wir haben die Interviews bewusst in einer teil-offenen Struktur geführt, weil wir der Überzeugung sind, dass sich dadurch mehr Tiefe in den Gesprächen ergibt. Wir haben also nicht mit einem völlig strukturierten Fragebogen gearbeitet. ■ In vielen Interviews sprachen unsere Gesprächspartner: innen von sich aus The‐ men an, die wir teilweise für die weiteren Interviews übernommen haben. ■ Inhaltlich-fachliche Fragen waren vereinbarungsgemäß nicht Gegenstand der Interviews. Einige Interviewte äußerten ihre Überraschung über die Begrenzung. ■ Weder der Auftraggeber der Diagnose noch andere Führungskräfte haben in irgendeiner Weise den Inhalt der Interviews beeinflusst. 4.2 Thematische Schwerpunkte Folgende Themen bilden den Leitfaden der Interviews. Diese Schwerpunktthemen mussten von den Interviewern in jedem Interview angesprochen werden. Diese Verpflichtung galt für alle Interviewer. ■ Bedeutung des Projektes für das Gesamtsystem und die verschiedenen Subsysteme des Unternehmens ■ Bedeutung des Projektes für das IT-Department ■ Ziele und Priorität ■ Stärken der Projektarbeit ■ Probleme im Projektverlauf ■ Risiken des Projektes ■ Die Rolles des Sponsors ■ Entscheidungsprozesse in den verschiedenen Gremien ■ Projektaufbauorganisation, Rollen im Projekt ■ Projektleitung ■ Zusammenarbeit im Kernteam ■ Zusammenarbeit zwischen den Teilprojekten ■ Zusammenarbeit innerhalb der Teilprojekte ■ Zusammenarbeit mit den externen Kooperationspartner: innen ■ Zusammenarbeit Projektleitung - Teilprojektleitung - Project Office ■ Projektplanung und -steuerung 164 7 Datenaufbereitung - von der Analyse zum Bericht ■ Personalsituation im Projekt □ zeitliche Verfügbarkeit □ Altersstruktur der Projektmitarbeiter: innen und Nachfolgeplanung Erklärung für den Leser und Leserin des Buches: Dieses Thema war sehr wichtig, weil es sich um ein Projekt mit langer Laufzeit handelte und eine Reihe von Schlüsselpersonen im Verlaufe des Projektes in den Ruhestand gingen. ■ Know-how der Projektbeteiligten ■ Informationsfluss im Projekt ■ Kommunikation und Transparenz ■ Konflikte im Projekt und im Projektteam ■ Auswirkungen des Projektes auf die Organisationseinheiten und deren Mitarbei‐ ter: innen ■ Spannungsfelder und Rollenkonflikte ■ Erwartungen an den Vorstand 5. Ergebnisse 5.1 Vorbemerkung ■ Alle Nennungen beruhen auf den Ausführungen der Interviewten. Manche sind wörtliche Zitate, andere haben wir aus redaktionellen Gründen leicht verändert, wobei wir genau darauf geachtet haben, den Inhalt der Aussagen nicht zu ändern. Die Zahlen in Klammern zeigen die Häufigkeit der Nennungen. Die Cluster haben eine klare Gliederung: 1. Aussagen der Interviewten 2. Kommentare der Interviewer: innen (falls notwendig) 3. Empfehlungen (falls notwendig und möglich) Beispiel für die Gliederung eines Clusters Der Aufbau eines Clusters wird nun am Beispiel „Verzahnung der Teilprojekte funk‐ tioniert nicht gut, noch Sand im Getriebe“ vorgestellt. Headline: Verzahnung der Teilprojekte funktioniert nicht gut, noch Sand im Getriebe Wörtliche Nennungen ■ Unklarheiten über die Ziele und Fortschritte in den Teilprojekten kann problema‐ tisch werden. Da müssen wir noch besser werden. ■ Die Teams arbeiten zu stark nebeneinander, die Verzahnung funktioniert noch nicht. ■ Projektleitung müsste sich mehr um diese zentrale Lenkungsaufgabe kümmern. ■ Verzahnung der Teilprojekte funktioniert nicht gut, da ist noch Sand im Getriebe (wurde als Headline gewählt) 165 7.2 Diagnosebericht ■ Die Vernetzung zwischen den TP ist von höchster Bedeutung, sie wird im Projektverlauf immer wichtiger. ■ Transparenz der Teilprojektziele und der Zwischenergebnisse unklar. ■ Abstimmungsprozesse bleiben auf der Strecke. ■ Jeder beschäftigt sich nur mit seinem Teilauftrag. ■ Die Teilprojekte realisieren Dinge, die im Gesamtkontext nicht zielführend sind. ■ Pragmatismus führt zu ad hoc-Lösungen, die später ggf. zu Problemen bei der Integration führen. Kommentar der Diagnostiker: innen Die Vernetzung zwischen den Teilprojekten ist offensichtlich von großer Bedeutung. Die damit verbunden inhaltlichen Herausforderungen und zeitlichen Belastungen werden im weiteren Verlauf des Projektes aus Sicht aller Projektmitarbeiter: innen höher werden. ■ Momentan wird die Bedeutung dieser Aufgabe unterschätzt oder nicht genügend wahrgenommen. ■ Die zeitliche und qualifikatorische Verfügbarkeit der Teilprojektleiter und der Projektleitung spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Offenbar gibt es hier Handlungsbedarf. ■ Die Mitarbeiter: innen aus dem Project Office könnten die Informations- und Ab‐ stimmungsprozesse zwischen den Teilprojekten gut unterstützen, beispielsweise ad hoc Meetings vorbereiten. Es sollte geklärt werden, ob für diese Aufgabe das Projekt Office verantwortlich ist. Empfehlungen: ■ Weiterentwicklung Gesamtprojektsteuerung mit Unterstützung des Project Office ■ Die Abhängigkeiten der Teilprojekte untereinander in regelmäßigen Meetings immer wieder transparent machen. ■ Probleme und Anforderungen des zentralen Teilprojektes GAMMA BASIC den anderen Teilprojekten transparent machen. ■ Regelmäßige Meetings der Teilprojektleitungen mit der Projektleitung. Wenn die Projektleitung nicht zur Verfügung stehen sollte, kann jeweils ein Teilprojektlei‐ ter: in das Meeting leiten. Die Teilnahme sollte verbindlich sein. ■ Erfahrungsaustausch zwischen TPL und Expert: innen aus anderen Teilprojekten fördern. ■ Kunden-Lieferanten-Beziehungen zwischen den Teilprojekten aufbauen ■ In Intervallen von 8-10 Wochen ein gemeinsames gut vorbereitetes Informations- und Austauschmeeting aller Mitarbeiter: innen der Teilprojekte und des Projekt Office durchführen. 166 7 Datenaufbereitung - von der Analyse zum Bericht 8 Datenfeedback - Präsentation der Ergebnisse 8.1 Ziele der Präsentation Die Entscheidungsträger: innen des Projektes, die Projektleitung, Projektmitarbei‐ ter: innen und weitere Beteiligte werden über die Ergebnisse der Diagnose informiert, um sich mit den Ergebnissen auseinanderzusetzen. Letztlich soll eine solide Entschei‐ dungsgrundlage für potenzielle Maßnahmen erreicht werden. ■ Die einfachste Variante des Datenfeedbacks ist lediglich eine kürzere Präsentation. Die Diagnostiker: innen präsentieren die Ergebnisse und anschließend gehen alle auseinander. Möglicherweise findet irgendwann noch einmal ein weiteres Meeting statt. Leider ist dieses Setting nicht so selten. Eine sehr schlanke, wahrlich nicht empfehlenswerte Variante, weil für den Gedankenaustausch und kontroverse Diskussionen überhaupt kein Raum geboten wird, geschweige für die Entwicklung erster Schritte für eine Maßnahmenplanung. ■ Wesentlich besser ist die zweite Variante, in der die Teilnehmer: innen nicht nur die Ergebnisse erfahren, sondern auch die Chance und die Verpflichtung haben, sich mit den Ergebnissen der Projektdiagnose kritisch auseinanderzusetzen. Durch den Austausch werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich und die not‐ wendige Energie für Verbesserungsmaßnahmen kann erreicht werden. Die Dauer dieser Präsentationsform reicht von einer zweistündigen moderierten Diskussion bis zu einem zweitägigen Workshop. Die Form muss mit dem Auftraggeber der Diagnose und weiteren Entscheidungsträgen des Projektes gründlich überlegt werden. Die Diagnostiker: innen sollten im Rahmen dieser Diskussion das Gewicht ihrer Erfahrungen einbringen. Die Dauer und Form der Veranstaltung hängen von der Größe des Projektes, von der Informationsmenge, der Bedeutung des Projektes und der Brisanz der Ergebnisse ab. 8.2 Vorbereitung der Präsentation 8.2.1 Teilnehmerkreis festlegen Wer muss im Rahmen der Präsentation über die Ergebnisse der Diagnose informiert werden? Diese Frage sollte normalerweise bereits bei der Auftragsklärung besprochen worden sein, doch können im Verlauf der Diagnose weitere Personen hinzukommen. Üblicherweise nehmen an einer Präsentation folgenden Personen teil: ■ Auftraggeber: in der Diagnose ■ Weitere Entscheidungsträger: innen, Mitglieder des Steering Committees oder Geschäftsleitung ■ Projektleitung, Teilprojektleitungen ■ Oft auch interne Projektmitarbeiter: innen ■ Seltener werden externe Kooperationspartner: innen, die einen wichtigen Beitrag für das Projekt leisten, eingeladen. 8.2.2 Verteilung der Dokumentation klären Spätestens hier muss endgültig entschieden werden, welche Personen welchen Bericht erhalten. Selbstverständlich muss dieses Thema bereits bei der Auftragsklärung be‐ sprochen worden sein, doch können sich im Verlauf der Diagnose noch Änderungen ergeben haben. ■ Wer erhält den vollständigen Diagnosebericht? ■ Wer bekommt die Management Summary? ■ Wer bekommt die Power Point-Dokumentation? ■ Wer erhält das Protokoll der Diskussionsrunde über die Ergebnisse? 8.2.3 Themenauswahl mit dem Auftraggeber klären Normalerweise ergeben sich die Inhalte der Präsentation von selbst. Es kann jedoch in Ausnahmefällen notwendig sein, bestimmte Ergebnisse nicht im gesamten Teilneh‐ merkreis zu präsentieren, sondern diese nur in einem handverlesenen Kreis zu bespre‐ chen. Wenn beispielsweise in den Interviews auf persönliche Spannungen und Macht‐ kämpfe innerhalb der Geschäftsführung hingewiesen wurde, erscheint mir angemessener, dieses Problem nicht vor aller Augen darzustellen, auch dann nicht, wenn es den meisten längst bekannt ist. Höchstens kann es recht allgemein und kurz erwähnt werden, um den Verdacht zu vermeiden, dass heikle Themen zensiert werden. So könnte eine Aussage „Spannungen in der Geschäftsführung sollten besprochen und abgebaut werden“ reichen. Im kleineren Kreis müssen die Fakten dann auf den Tisch kommen und offen besprochen werden. 8.2.4 Vorgehen und Dauer besprechen Soll nur eine kurze Präsentation oder eine Präsentation mit anschließender Diskussion und Maßnahmenplanung durchgeführt werden? Daraus ergibt sich zwangsläufig die Dauer der Veranstaltung. Die Diagnostiker: innen sollten sich im Normalfall für die zweite Variante einsetzen. 168 8 Datenfeedback - Präsentation der Ergebnisse 8.2.5 Ort und Arbeitsmittel festlegen Wo soll die Veranstaltung stattfinden? ■ Soll die Veranstaltung intern oder extern stattfinden? ■ Ist der Raum geeignet, um gemeinsam die Ergebnisse zu besprechen? ■ Ist es möglich, einen Stuhlkreis zu bilden? ■ Steht die notwendige Technik zur Verfügung? Die Präsentation darf nicht unter organisatorischen Pannen leiden, darauf sollten Diagnostiker: innen achten. 8.2.6 Rollen im Rahmen der Präsentation vereinbaren Die Rollenklärung bei der Präsentation darf nicht vergessen werden. ■ Wer begrüßt den Teilnehmerkreis und erläutert die Ziele der Präsentation? Diese Aufgabe muss der Auftraggeber bzw. die Auftraggeberin der Diagnose übernehmen. ■ Wann endet die Präsentation und damit die Verantwortung der Diagnostiker: in‐ nen? Das Thema Rollenklärung im Rahmen des Diagnoseauftrags wurde bereits im 3. Kapitel behandelt. Mit dem Ende der Präsentation der Diagnoseergebnisse geht die Verantwortung wieder auf die Auftraggeber: innen über. Die Projektdiagnose endet mit der Prä‐ sentation. Diagnostiker: innen sind folglich nicht für Entscheidungen über mög‐ liche Maßnahmen verantwortlich. Die Übergabe der Verantwortung sollte im Rahmen der Präsentationsvorbereitung mit dem Auftraggeber noch einmal besprochen werden und zu Beginn der Präsentation vom Auftraggeber dem Teilnehmerkreis erläutert werden. Selbstverständlich können die Präsentator: innen die anschließende Diskussion moderieren, dann allerdings nicht mehr in der Rolle als Diagnostiker: in, sondern als Moderator: in, das ist ein feiner Unterschied. 8.2.7 Einladung für die Präsentation verschicken Die schriftliche Einladung gehört zu den Aufgaben von Auftraggeber: innen der Diagnose. Neben den üblichen Inhalten wie Ziele, Zeit und Ort sollten sie darauf aufmerksam machen, dass die Anwesenheit für die gesamte Dauer der Präsentation erwartet wird. Übersicht Präsentation gezielt vorbereiten Eine erfolgreiche Präsentation setzt gute Vorbereitung voraus. Nehmen Sie sich dafür genügend Zeit. 169 8.2 Vorbereitung der Präsentation Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Präsentation der Ergebnisse Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Inhalte • Was soll präsentiert werden und mit welchem Detaillie‐ rungsgrad? • Bin ich in der Lage, bei Rückfragen alle Aussagen zu erklä‐ ren? • Kann ich die Reihenfolge der Cluster gut begründen? Teilnehmerkreis • Wurde der Teilnehmerkreis richtig ausgewählt? • Sind alle rechtzeitig informiert worden? Vorgehen • In welchen Schritten soll die Präsentation ablaufen? • Alle Ergebnisse direkt hintereinander präsentieren • oder • Teile präsentieren und dann Diskussionsrunden, Ar‐ beitsgruppen, Kartenabfragen usw. • Wieviel Zeit ist für das gewählte Vorgehen erforder‐ lich? Technik Welche Medien werden eingesetzt? • Folien • Live-Visualisierung auf Moderationswände • Flip Chart • digitale Medien Mögliche Reaktionen der Beteiligten Welche Reaktionen werden erwartet? • Zustimmung von allen oder nur von wenigen • Anzweifeln der Ergebnisse • konfliktreiche Diskussionen • Spaltungen der beteiligten Adressaten • Angriffe auf den Diagnostiker, die Diagnostikerin Meine eigene Befindlich‐ keit • Habe ich mich gründlich vorbereitet? • Traue ich mir zu, auch die heißen Eisen klar und gelassen anzusprechen? • Gibt es Personen, die mich besonders beeinflussen können? • Weiß ich, von wem ich bei Widerständen Unterstützung erwarten kann? Rollenklarheit Besteht Klarheit, zu welchem Zeitpunkt in der Veranstaltung der Auftraggeber das Zepter übernimmt? 8.3 Durchführung der Präsentation Es erscheint mir nicht angebracht, in diesem Buch ausführlichere Empfehlungen für Präsentation zu bieten. Einige Empfehlungen, die eine engere Verbindung zur Vermittlung von Diagnoseergebnissen haben, sollen genügen: 170 8 Datenfeedback - Präsentation der Ergebnisse ■ Verständnisfragen von Zuhörer: innen sollten Sie jederzeit zulassen, doch ein stän‐ diges Hin und Her zwischen Präsentation und Diskussion vermeiden. Nehmen Sie die noch zu diskutierenden Punkte in einen Themenspeicher auf. Diese Spielregel am besten zu Beginn erläutern. ■ Achten Sie auf Ihre Wortwahl. Vermeiden Sie Anklagen oder Polemik. Das leuchtet ein, aber so einfach ist es nicht immer. Vielleicht ist die Diagnostikerin empört über die politischen Spielchen im Management und die daraus resultierenden Belastungen für das Projektteam. Auch wenn es schwerfällt, die Neutralität muss auch in der Präsentation gewahrt bleibt. ■ Nicht nur die Inhalte der Ergebnisse, sondern auch die Art und Weise der Präsen‐ tation beeinflussen den Erfolg der Diagnose. Sind die Ergebnisse überwiegend positiv, so haben Diagnostiker: innen ein leichtes Spiel. Das kann sich ändern, wenn brisante Informationen vermittelt werden müssen, z.B. das Versagen einer Abteilung, Fehlentscheidungen des Steering Committees oder Fehlentwicklungen, die sich auf eine Person zurückführen lassen. Gerade im letzten Fall kann es persönlich belastend sein, doch manchmal lässt es sich einfach nicht vermeiden, Ross und Reiter zu nennen. Dann muss überlegt werden, ob die betroffene Person bereits im Vorfeld des Datenfeedbacks unter vier Augen informiert werden soll, um sich emotional auf die Präsentation einzustimmen. ■ Nehmen Sie die Reaktionen der Teilnehmer: innen aufmerksam wahr. Bei welchen Punkten gibt es zustimmendes Nicken, gespanntes Hinhören, zweifelnde Blicke, Unruhe, Langeweile oder kritische Nachfragen? Diagnostiker: innen dürfen nie vergessen: Was als Fehlentwicklung oder als Krise verstanden und bewertet wird, entzieht sich der Objektivität, sondern es hängt davon ab, welche Meinung sich im Management durchsetzt. ■ Wenn Teilnehmer: inen Aussagen aus den Interviews in Frage stellen oder als „völlig abwegig“ bezeichnen, kann bei den Präsentierenden schnell der Impuls entstehen, die Aussagen der Interviewten zu verteidigen und den Angriff der zweifelnden Person abzuwehren. Vermeiden Sie die Verteidigung und reagieren Sie stattdessen mit Gelassenheit: Hierzu ein Beispiel: Ein Manager kann die in verschiedenen Interviews geäußerte Kritik des Zeitdrucks überhaupt nicht nachvollziehen und bezeichnet sie als absolut abwegig. Die Diagnostikerin reagiert auf die Kritik souverän mit Gelassenheit: „Offenbar gibt es unterschiedliche Sichtweisen zu diesem Thema. In den Interviews wurde auf den großen Termin‐ druck hingewiesen und Sie sagen, dass es keinen Termindruck gibt. Das sollte miteinander besprochen werden“. ■ Es passiert immer wieder, dass Teilnehmer: innen über fachliche Probleme, tech‐ nische Risiken oder über den Stand eines Arbeitspaketes reden möchten, klar, das sind wichtige Themen, die aber nicht zur Projektdiagnose gehören. Die Abgrenzung ist manchmal schwierig, eine allzu rigide Abgrenzung ist nicht 171 8.3 Durchführung der Präsentation angebracht, ebenso wenig eine intensivere Diskussion über fachliche Probleme. Achten Sie auf Themenabweichungen und weisen Sie freundlich darauf hin, dass bei aller Bedeutung der fachlichen Probleme dafür in dieser Präsentation kein Raum ist. 172 8 Datenfeedback - Präsentation der Ergebnisse 9 Anforderungsprofil für Diagnostiker: innen Mindset und Skills Was qualifiziert jemanden, um eine fundierte Projektdiagnose durchzuführen? Statt „können“ habe ich den Begriff „qualifiziert“ gewählt, der meines Erachtens eine um‐ fassendere Beschreibung zulässt als das Wort „können“. Sich nur auf das Know-how zu fokussieren ist zu kurz gegriffen. Qualifiziert umfasst drei Bereiche, die für ein Anforderungsprofil für Projektdiagnostiker: innen bedeutsam sind. 1. Persönlichkeitsmerkmale 2. Rollenbewusstsein 3. Know-how 9.1 Persönlichkeitsmerkmale Zu den Persönlichkeitsmerkmalen gehören eine Reihe von Punkten. Nach meiner Erfahrung kommt es auf folgende Eigenschaften besonders an: ■ Gute Beziehung aufbauen und gleichzeitig Distanz wahren können Selbstverständlich sind gute Beziehungen zu Mitarbeiter: innen aller Hierarchie‐ stufen unverzichtbar, um Informationen und Unterstützung zu erhalten. Zuwen‐ dendes, verständnisvolles Verhalten fördert Vertrauen, Akzeptanz und Offenheit. Wenn die Diagnostiker: innen zu distanziert auftreten, von oben herab fragen nach dem Motto „ich frage und Sie haben zu antworten“, darf man sich nicht wundern, wenn die Befragten sich nur widerwillig äußern. So wichtig und angenehm gute Beziehungen sind, Diagnostiker: innen dürfen die notwendige professionelle Dis‐ tanz nicht verlieren, sich nicht auf Kumpanei einlassen oder auf kritisches Nach‐ fragen verzichten, um sich ja nicht unbeliebt zu machen. Falls erforderlich, muss man sich abgrenzen können. Das gilt insbesondere im Umgang mit Entschei‐ dungsträgern, auf deren Nähe man angewiesen ist und die einem möglicherweise gefällt. ■ Respekt Nachbohrendes Fragen, arrogantes oder rechthaberisches Auftreten fördern Wi‐ derstände, die Interviewten machen verständlicherweise dicht. Durch die Beto‐ nung der Nähe zum Top Management als Beleg für die eigene Bedeutung wird offene Kommunikation nicht bei allen Mitarbeiter: innen gefördert. Durch Pedan‐ terie oder das Bestreben, auf jeden Fall Schwachstellen zu finden, entsteht Ab‐ wehrverhalten. Diagnostiker: innen dürfen nie vergessen, dass sie von der Bereit‐ 1 Dieser bekannte Aphorismus stammt von dem Maler und Dichter Francis Picabia. schaft der Befragten zum offenen Informationsaustauch abhängig sind. Die Wertschätzung der Gesprächspartner: innen, unabhängig von deren Position, Funktion, Bildungsgrad und Herkunft, ist unverzichtbar. Machen Sie sich bewusst, mit welcher Einstellung sie den Gesprächspartnern: innen begegnen. ■ Klare Positionen Von der Auftragsklärung bis zur Präsentation der Ergebnisse kann es immer wie‐ der notwendig sein, klare Positionen zu beziehen. Bei der Auftragsklärung müssen unrealistische Erwartungen abgelehnt werden. Diagnostiker: innen müssen in der Lage sein, den Finger in die Wunde zu legen, damit die Probleme gelöst werden können. Wenn es die Sache erfordert, müssen die Überbringer: innen schlechter Nachrichten bereit sein, sich unbeliebt zu machen, besser unbeliebt sein als un‐ professionelles Verschleiern. Wer sich zu stark auf die Erwartungen des Top Ma‐ nagements fokussiert oder sich von Positionsmacht einschüchtern lässt, sollte ge‐ rade in größeren Projekten keine Diagnose übernehmen. Die Befragten müssen sich darauf verlassen können, dass die vereinbarte Vertraulichkeit eingehalten wird. Falls jemand wissen möchte, von wem eine Aussage stammt, muss dieses Anliegen ohne Wenn und Aber abgelehnt werden. Diagnostiker: innen müssen sich abgrenzen können, das gehört zu ihrer Professionalität. ■ Geistige Flexibilität „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“ 1 An verschiedenen Stellen des Buches habe ich empfohlen, dass Diagnostiker: innen sich nicht von Checklisten verleiten lassen dürfen, sondern über genügend geistige Flexibilität verfügen sollten, um neuen Fragestellungen offen gegenüberzutreten, um tiefer in die Problematik des Projektes vorzudringen. Theoretisches Wissen kann dabei nicht hoch genug geschätzt werden, denn Modelle und wissenschaft‐ liche Erkenntnisse helfen, die Wirklichkeit besser zu verstehen. Kapitel 4 beginnt nicht umsonst mit dem Satz „Nichts ist so praktisch, wie eine gute Theorie“. Doch darf man sich nicht an einmal erworbenem Wissen festhalten, sondern sollte auf‐ geschlossen genug sein, sich auf neue Denkansätze und Fragestellungen einzu‐ lassen. Menschen mit der Tendenz zur Überstrukturierung, mit der Einstellung „alles muss stets seine Ordnung haben“, bringen nicht die beste Voraussetzung mit, Projektdiagnosen durchzuführen. Das mag bei technischen und wissenschaftli‐ chen Untersuchungen ganz anders sein. ■ Gründlichkeit Projektdiagnosen sollten nicht unter zu starkem Zeitdruck durchgeführt werden. Dieser kann von anderen Personen ausgeübt werden oder von den Diagnostizie‐ renden selbst und er zeigt sich dann in operativer Hektik. Wer schludert oder unter hohem Zeitdruck unvollständige Ergebnisse liefert, wird der Aufgabe nicht ge‐ recht. Zum professionellen Anspruch der Diagnostiker: innen gehört gewissen‐ haftes inhaltliches und methodisches Arbeiten. So klar diese Aussage auch er‐ 174 9 Anforderungsprofil für Diagnostiker: innen Mindset und Skills scheint, in der Praxis sieht es manchmal anders aus, was durch schablonenhafte Diagnoseberichte unter Anwendung der copy paste-Funktion zum Ausdruck kommt. ■ Lernbereitschaft Wer die Arbeit anderer analysiert, sollte auch bereit und in der Lage sein, sich selbst zu analysieren. Projektdiagnostiker: innen sind gut beraten, ihre eigene Ar‐ beit aus einer reflektierenden Distanz heraus von Zeit zu Zeit auf den Prüfstand zu stellen, um Denken, Know-how und Verhalten weiterzuentwickeln. Das ist keine abstrakte Angelegenheit, vielmehr die Auseinandersetzung mit einer Reihe von sehr konkreten Fragen: □ Bereite ich mich gut auf die Diagnose vor? □ Habe ich mir genügend Verständnis über das System (Unternehmen, Projekt, Projektteam) erarbeitet? □ Habe ich den Diagnoseauftrag gründlich geklärt? □ Positioniere ich mich klar genug? □ Schaffe ich in den Interviews eine offene Atmosphäre? □ Wähle ich die Diagnosemethoden sinnvoll aus? □ Denke ich gründlich über die Clusterbildung und die Zuordnung der Antwor‐ ten nach? □ Lege ich genügend Wert auf die Formulierung des Diagnoseberichtes? □ Nehme ich mir die erforderliche Zeit für die Arbeit? □ Hole ich mir ausreichend Feedback? □ Investiere ich genügend Zeit in meine Fortbildung? Damit sind nicht nur Seminare gemeint, sondern auch das Literaturstudium. 9.2 Rollenbewusstsein Die Rollen (Aufgaben, Verantwortungen, Entscheidungskompetenzen) für die Pro‐ jektdiagnose müssen im Rahmen der Auftragsklärung geklärt werden. Das ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, denn auch Rollenbewusstsein ist erforderlich. Die Bedeutung des Rollenbewusstseins soll an einigen Bespielen verdeut‐ licht werden: ■ Im Gegensatz zur Projektleitung und den Entscheidungsträgern des Projektes müssen sich Diagnostiker: innen bei der Umsetzung der Diagnoseergebnisse zurückhalten, auch wenn es ihnen schwerfällt. Die Diagnose ist mit der Präsen‐ tation der Ergebnisse beendet, nun liegt es an den Entscheidungsträgern, die Empfehlungen umzusetzen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schwer diese Handlungsabstinenz manchmal auszuhalten ist, vor allem, wenn man sieht, wie wenig nachher passiert und man selbst möchte, dass sich etwas in die gewünschte positive Richtung bewegt. Für interne Diagnostiker: innen dürfte die Zurückhal‐ tung noch anstrengender auszuhalten sein als für Externe, denn die internen sind 175 9.2 Rollenbewusstsein Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Teil des Systems und müssen oft mit den nicht gelösten Problemen leben. Wenn Diagnostiker: innen im Anschluss an die Diagnose auch an der Umsetzung der Ergebnisse mitarbeiten sollen, so bedarf es eines neuen Auftrags für diese Aufgabe. Verdeutlichen Sie diesen Rollenwechsel. ■ Trotz klarer Vereinbarung und zweimaliger Erinnerung hat der Auftraggeber der Diagnose die Beteiligten immer noch nicht über die Ziele der Maßnahme informiert. Er lässt stattdessen ausrichten, dass die Diagnostikerin diese Aufgabe übernehmen soll, schließlich sei sie verantwortlich für die Diagnose. Sollte sie dieser Aufforderung nachkommen? Ein ganz klares Nein, denn der Auftraggeber ist für die Information über Ziele und Hintergründe der Diagnose verantwortlich, nicht die Auftragnehmerin. Diagnostiker: innen dürfen die Auftraggeber: innen nicht aus ihrer Rollenverant‐ wortung entlassen. ■ Der Bereichsleiter Marketing blockiert die Datenerhebung, indem Interviewter‐ mine wiederholt mit der Begründung abgesagt werden, die Mitarbeiter: innen hätten wichtigere Aufgaben zu erledigen als sich interviewen zu lassen. Der Dia‐ gnostiker hat den Bereichsleiter auf die Bedeutung der Interviews hingewiesen, aber ohne Erfolg. In diesem Fall sollte man die Auftraggeber: innen auffordern, das Problem zu lösen, denn sie tragen letztlich die Verantwortung dafür, dass die Interviews stattfinden. ■ Zum Rollenbewusstsein gehört, potentielle Rollenkonflikte frühzeitig zu erkennen. □ Sollen externe Berater: innen eine Projektdiagnose durchführen, wenn im Hintergrund bereits ein Folgeauftrag winkt? Die Frage erscheint angebracht, besteht doch tendenziell die Gefahr, dass die Ergebnisse der Analyse dem Folgeauftrag nicht entgegenwirken dürfen. Wenn das Jahresgehalt der exter‐ nen Berater: innen mit der Akquisition von Folgeaufträgen verknüpft ist, kann schnell ein Rollenkonflikt entstehen. Auftraggeber: in und Beratungsun‐ ternehmen sollten über dieses Thema bereits bei Anbahnung eines Diagnose‐ auftrags offen sprechen. □ Um ein Problem zu lösen, muss man sich vom Problem lösen können und wol‐ len. Darf die Projektleitung eine Diagnose für das eigene Projekt durchführen? Im Prinzip nein, denn die Projektleitung ist schon allein strukturell bedingt ein wichtiger Teil des zu diagnostizierenden Systems und somit nicht neutral. Dia‐ gnostiker: innen müssen am System und nicht im System arbeiten, um die not‐ wendige diagnostische Distanz zu haben. Selbstverständlich kann die Projektlei‐ tung Fragen und Instrumente der Projektdiagnose nutzen, um gemeinsam mit den Teammitgliedern eine Stärken-Schwächen-Analyse durchzuführen, was in zahlreichen Unternehmen längst zum Projektalltag gehört. Je stärker sich das Projekt und die Teamarbeit allerdings in einer Schieflage befinden, desto weni‐ ger ist die Projektleitung geeignet, die Situation zu analysieren. 176 9 Anforderungsprofil für Diagnostiker: innen Mindset und Skills 9.3 Know-how Ich möchte kein abgehobenes Anforderungsprofil für Alleskönner: innen vorstellen, sondern Orientierung bieten, in welchen Themengebieten sich Diagnostiker: innen umschauen und ggfs. weiterentwickeln können. Auf eine kurze Formel gebracht kann das erforderliche Know-how für Projektdiag‐ nosen folgendermaßen zusammenfasst werden. Begrenztes Maß an Fachwissen + Theorie + soziale Kompetenz + metho‐ dische Kompetenz + Erfahrung = erforderliches Diagnose Know-how 1. Begrenztes Maß an Fachwissen Wieviel Fachwissen ist notwendig, um den fachlichen Inhalt eines Projektes zu analysieren? Die Antwort hängt davon ab, in welchem Umfang und welcher Tiefe die fachlichen, technischen Probleme des Projektes analysiert werden sollen. Fachliche Probleme, Risiken und eine fundierte Einschätzung des Projektfortschritts können nur von Experten: innen untersucht werden. Dafür werden spezielle Fachreviews oder Quality Checks durchgeführt. Für die Projektdiagnose - so wie sie in diesem Buch vorgestellt wird - ist technische, wissenschaftliche Expertise nicht erforderlich. Allerdings müssen sich Diagnostiker: innen unbedingt einen Überblick über die Branche, die Herausforderungen der Produktentwicklung und den Projektmanage‐ mentprozess verschaffen. Ich habe zahlreiche Projektdiagnosen in Pharmaunterneh‐ men, Medizinal Technik, Versicherungen und im Automotive Bereich durchgeführt und selbstverständlich wäre ich nie auf die vermessene Idee gekommen, Fragen zu wissenschaftlichen Ergebnissen oder Problemen in der Produktionstechnik zu stellen. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte ich die richtigen Fragen gar nicht stellen, geschweige die Antworten verstehen können. Diagnostiker: innen müssen ihre fachlichen Grenzen kennen und akzeptieren. Ein allgemeiner Überblick über die inhaltliche Komplexität eines Projektes reicht meines Erachtens für eine Projektdiagnose aus. 2. Theorie Wer das Projektgeschehen verstehen möchte, muss wissen, wie Organisationen, Teams und Projekte ticken. Eine klare Aussage vorweg: Allein mit Projektmanagement-Know-how ist es sicher nicht getan, vielmehr sind theoretische Kenntnisse über Organisationen, Rollen, Prozesse oder die psy‐ cho-soziale Dynamik in Organisationen erforderlich. 177 9.3 Know-how Hier schlägt die Stunde der Theorie. Wer das Zusammenspiel von Strukturen und Verhalten in sozialen Systemen nicht versteht oder dieses Wissen für die konkrete Diagnosearbeit nicht nutzen kann oder will, wird keine brauchbaren Ergebnissen erreichen. Aus dieser allgemeinen Aussage ergeben sich einige Empfehlungen: ■ Systemtheorie hilft, Organisationen mit ihren Subsystemen und deren Interdepen‐ denzen zu verstehen. Der Kontext wird in die Analyse einbezogen, Hintergründe, Rahmenbedingungen und Entwicklungstendenzen werden beachtet. So müssen für die Diagnose eines Prozessoptimierungsprojektes die Auswirkungen neuer Prozesse und Technologien auf den Sozio-Bereich der Organisation, auf Gruppen und Individuen ermittelt und verstanden werden. ■ Diagnostiker: innen müssen sowohl die Logik als auch die Psycho-Logik der Organisation und der Projektarbeit begreifen. Es reicht nicht aus, die Probleme nur auf der Oberfläche zu ermitteln und die Symptome festzuhalten, sondern professionell arbeitende Diagnostiker: innen werden sich auch mit der Frage beschäftigen, wie die Beteiligten mit bekannten Problemen umgehen und welcher Sinn dahintersteckt, dass sie nicht gelöst werden. ■ Ein tieferes Verständnis über die Bedeutung der Rollen in Organisationen und in Projekten ist absolut notwendig, wobei es sowohl um Rollenklarheit als auch um Rollenbewusstsein geht. Gemeint sind die formellen und informellen Rollen im Unternehmen. In diesem Zusammenhang sei auch das Stakeholder Management erwähnt. Für eine Projektdiagnose ist eine Stakeholder-Analyse bzw. die Analyse des Stakeholder Managements unverzichtbar. ■ Komplexität Nicht alles, was oft schnell und unbedacht als komplex bezeichnet wird, ist komplex, längst dient der Begriff Komplexität für alle möglichen und unmöglichen Erklärungen. Diagnostiker: innen sollten komplex und kompliziert unterscheiden können. Um komplexe Situationen zu untersuchen, müssen die zwischen den verschiedenen Elementen des Systems existierenden Verknüpfungen erkannt und analysiert werden. Wenn beispielsweise der Grad der Zielerreichung gefährdet wird, weil qualifizierte Mitarbeiter nicht mehr zur Verfügung stehen, besteht nicht automatisch die beste Lösung darin, das Projekt einfach mit zusätzlichen internen oder externen Mitarbeiter: innen aufzustocken, weil dadurch Folgepro‐ bleme entstehen können. Der Aufwand für die Einarbeitung neuer Teammitglieder oder deren Integration in das Team kann zu weiteren Verzögerungen führen. Im Rahmen von Projektdiagnosen müssen auch Neben- und soweit möglich Fernwirkungen erkannt werden. ■ Die Bedeutung ökonomischer und rechtliche, regulatorische Einflüsse müssen verstanden werden. Selbstverständlich werden sich Diagnostiker: innen nicht über Rechtsfragen äußern. Für die Diagnose kann es jedoch förderlich sein, wenn man nach rechtlichen Rahmenbedingungen fragt. 178 9 Anforderungsprofil für Diagnostiker: innen Mindset und Skills ■ Kommunikationstheorien bieten viele brauchbare Informationen für die Arbeit der Diagnostiker: innen. Einige Stichworte sollen reichen: „Das 4 Ohren Modell“ und das „innere Team“ von Schulz von Thun lassen sich sehr gut anwenden. Die von Paul Watzlawick aufgestellten „fünf Axiome der Kommunikation“ erweitern den Horizont, um Kommunikation besser zu verstehen. ■ Konflikte im Projekt werden häufig in den Interviews angesprochen, nicht selten sind sie der eigentliche Anlass für Diagnosen. Die Diagnostizierenden sollten sich mit strukturellen und personellen Themen des Konfliktmanagements auskennen. Auf jeden Fall sollten sie in Lage sein, die unterschiedlichen Konfliktarten und -ebenen zu unterscheiden und Ursachen und Wege der Konfliktverlagerung verstehen. ■ In manchen Projekten treten Widerstände auf, vor allem in Change Projekten. Symptome, Ursachen und Folgen von Widerständen sollten bekannt sein, um geeignete Maßnahmen zu empfehlen. ■ Um die Zusammenarbeit in Projektteams oder in Entscheidungsgremien zu ana‐ lysieren, müssen die Diagnostizierenden die Einflüsse von Strukturelementen und Verhalten sowie deren Wechselwirkungen sehr gut verstehen. Dieses Wissen hat eine fundamentale Bedeutung für jede Projektdiagnose. ■ Selbstverständlich müssen Diagnostiker: innen sich im Projektmanagement gut auskennen. Das umfasst die Hard- und Soft-Facts. Einschlägige Begriffe wie Steering Committee, Sponsor, Review, Meilensteintrendanalyse, Erfahrungswert‐ methode und Planning Poker, Kickoff, Review, moving targets oder RACI-Matrix sollten bekannt sein. Das agile Projektmanagement spielt eine zunehmend größere Rolle in der Praxis. Folglich sind Diagnostiker: innen gut beraten, sich mit den Werten, Rollen, Prozessen, Methoden und Tools des agilen Projektmanagements zu beschäftigen. Doch es wäre ein großer Irrtum zu glauben, dass Projektmanage‐ ment Wissen allein ausreicht, um Projektdiagnosen professionell durchzuführen. ■ Soziale Kompetenz □ Diagnose steht und fällt mit guter Kommunikation. Ein weites Feld, das von Klärungsgesprächen mit Entscheidungsträger: innen, über Einzel- und Gruppeninterviews bis zur Präsentation reicht. Verständliche Sprache gehört genauso dazu wie Empathie. Diagnostiker: innen müssen ihre Berichte so schreiben, dass sie leicht verständlich und gut strukturiert sind. □ Der Umgang mit Konflikten und Machtprozessen spielt eine große Rolle, in manchen Fällen weht den Diagnostizierenden der raue Wind des Wider‐ standes entgegen. Subtile Einflussnahme, wie Packen bei der Ehre, den anderen mit Charme oder schönen Worten einzulullen können den Verlauf eines Interviews beeinflussen. Gut, wenn solche Einflüsse frühzeitig erkannt werden. □ Um Workshops zu leiten, Gruppeninterviews zu führen oder eine aufgeheizte Situation in einer Präsentation erfolgreich zu meistern, müssen gruppendy‐ namische Prozesse erkannt und gesteuert werden. 179 9.3 Know-how ■ Methodenkompetenz □ Methoden der Gesprächsführung gehören zum Grundrepertoire der Inter‐ viewer. □ Moderationsmethoden, Problemlösungs- und Visualisierungstechniken sind notwendig, um Diagnoseworkshops professionell zu leiten. □ Nicht zuletzt gehören zur Diagnose inhaltlich und formal gut ausgearbeitete Diagnose-Berichte. Mit schwammigen Aussagen oder mit einer Informations‐ flut können die Entscheidungsträger: innen wenig anfangen. Methoden-Know-how ist wahrlich keine Hexerei, meist ist es einfaches Hand‐ werk, das den Diagnostizierenden gute Dienste leisten kann. Diagnostiker: innen sollten sich einen Methodenkoffer für ihre Arbeit aneignen, das ist schneller getan als die Entwicklung sozialer Kompetenz. ■ Erfahrung Erfahrung im Projektmanagement ist unverzichtbar, Diagnostiker: innen müssen verstehen, worüber gesprochen wird. Dadurch gewinnen sie die notwendige Akzeptanz. Idealerweise haben Diagnostiker: innen die Einflüsse von Hard- und Soft-Facts in Projekten am eigenen Leib erlebt. Sich Projektmanagement-Wissen anzueignen ist eine Sache, doch Praxiserfahrungen eine andere. Die Interviewten merken in der Regel schnell, welche Projekterfahrungen jemand mitbringt. Mit zunehmender Erfahrung kann man auf Checklisten verzichten und manchmal auch neue Pfade finden, ohne im Nebel herumzustochern. Nicht zuletzt zeichnet das gute Projektdiagnostiker: innen aus. 9.4 Qualifikationsprofil Das Qualifikationsprofil bietet Ihnen die Chance, Ihre Einstellung und Fähigkeiten einzuschätzen. Möglicherweise entdecken Sie den einen oder Punkt, an dem es sich für Sie lohnt, weiterzuarbeiten. 180 9 Anforderungsprofil für Diagnostiker: innen Mindset und Skills Aufgabe Merke Frage Literatur Wissen Zusatz Link / www Checkliste Ziele Ort ICON SET 4 Inhalt ja geht so weni‐ ger nein Es fällt mir leicht, gute Beziehung im Rahmen meiner Arbeit aufzubauen. Ich kann mich gut abgrenzen. Ich achte meine Gesprächspartner: innen, unabhängig von Position oder Bildungsgrad. Ich kann mich auch in schwierigen Lagen klar positio‐ nieren. Falls es die Aufgabe erfordert, bin ich bereit, den Finger in die Wunde zu legen. Ich verfüge über genügend theoretische Kenntnisse, um das Geschehen in Projekten so gut zu verstehen, dass ich auch vertiefend Probleme analysieren kann. Ich mache deutlich, wie viel Zeit ich für die Diagnose benötige. Ich tendiere nicht zum hektischen Verhalten, wenn ich unter Druck gerate. Von Zeit zu Zeit stelle ich meine Arbeit selbstkritisch auf den Prüfstand. Ich schätze kollegiale Beratung, um meine Arbeit zu überprüfen. Der Unterschied zwischen Rollenklarheit und Rollen‐ bewusstsein ist mir klar. Ich bin in der Lage, diesen Unterschied anderen zu erklären. Ich entlasse den Auftraggeber: in nicht aus ihrer Verant‐ wortung, falls die Situation dies verlangt. Ich verschaffe mir zu Beginn der Diagnose einen Über‐ blick über die Branche, Herausforderungen des Projek‐ tes und den Projektmanagementprozess. Ich kenne meine fachlichen Grenzen. Die Bedeutung von Strukturen und Verhalten in sozia‐ len Systemen ist mehr bewusst. Ich achte sowohl auf die Logik als auch auf die Psy‐ cho-Logik des Geschehens im Projekt. Ich habe ein gutes Verständnis über die Rollen in Orga‐ nisationen in Projekten und in Teams. Ich traue mir zu, Rollenkonflikte zu erkennen. Ich verstehe den Unterschied zwischen komplex und kompliziert. Ich bin in der Lage, das Wissen über Kom‐ plexitätsmanagement in meinen Diagnosen zu nutzen. 181 9.4 Qualifikationsprofil Mit angewandter Kommunikationstheorie habe ich mich ausführlich beschäftigt. Ich bin in der Lage, die unterschiedlichen Konfliktarten zu unterscheiden. Ich kenne die verschiedenen Arten von Widerständen. Im Projektmanagement kenne ich mich sehr gut aus. Ich kenne die unterschiedlichen Formen der Macht und weiß, wie Macht in Organisationen ausgeübt werden kann. Ich achte in meiner Arbeit auf gruppendynamische Prozesse. Den Einsatz von Moderationsmethoden habe ich ge‐ lernt. Ich kann Sachverhalte gut visualisieren. Gut strukturierte Diagnoseberichte zu schreiben fällt mir nicht schwer. Meine Erfahrung in Projektarbeit bietet mir ein gutes Fundament für meine Projektdiagnosen. 182 9 Anforderungsprofil für Diagnostiker: innen Mindset und Skills 10 Tipps, damit Ihre Projektdiagnosen scheitern Paradoxe Verschreibungen Im Grunde genommen ist es gar nicht so schwierig, eine Diagnose zum Scheitern zu bringen. Wenn Sie die folgenden Tipps, und es müssen nicht einmal alle sein, befolgen, werden Sie das Scheitern erleben. ■ Vermeiden Sie die Rollenklärung zu Beginn der Diagnose. Lassen Sie unklar, wer Sie beauftragt hat und mit wem Sie über die Ergebnisse reden werden. ■ Transparenz ist überflüssig, verschleiern Sie das Diagnoseziel. ■ Bestimmen Sie die Termine für die Interviews möglichst kurzfristig. Außerdem ist es günstig, Interviews in den Randzeiten, beispielsweise freitags 16.30 Uhr durchzuführen, denn die anderen Aufgaben sind dann erledigt. Diese Flexibilität können Sie erwarten. ■ Wenn jemand weiß, was richtig ist, dann sind Sie es, schließlich wissen Diagnos‐ tiker: innen per se am besten, was gemeint ist. ■ Fragen Sie einfach drauf los, halten Sie sich nicht mit der Ausarbeitung eines Interview-Leitfadens auf. ■ Fragen Sie bohrend, profilieren Sie sich durch Ihren Verhörstil. ■ Lassen Sie keine überflüssigen Erklärungen zu, schließlich wollen Sie ja die schlitzohrigen Gesprächspartner: innen entlarven. ■ Fragen Sie möglichst kompliziert und umfangreich und beantworten Sie sich Ihre Fragen selbst. ■ Machen Sie Schuldzuweisungen und drohen Sie, falls erforderlich, mit „höheren“ Mächten. Sie können ruhig darauf hinweisen, dass Sie negative Aussagen über die Zusammenarbeit oder über den Auftraggeber namentlich weiterleiten werden. Schließlich werden Sie vom Management bezahlt. ■ Beachten Sie nur die harten Daten wie Stand der Arbeitspakete, Zeiten und Kosten. Geben Sie sich nicht mit Psychothemen wie Konflikten, Teamprozessen oder Kommunikation ab, da kommt eh nichts bei heraus. ■ Diagnostiker: innen müssen die Schwachstellen ermitteln, verzichten Sie darauf die Stärken zu sammeln, dafür ist Ihre Zeit zu kostbar. ■ Versuchen Sie möglichst viele Probleme auf einmal zu durchleuchten und verzich‐ ten Sie auf ein gut ausgearbeitetes Konzept, das hält nur auf und so etwas benötigen nur praxisferne Theoretiker: innen. ■ Benutzen Sie in Ihrem Bericht soweit möglich überwiegend negative Aussagen. Schließlich möchte niemand was Gutes hören. ■ Vermeiden Sie das Feedback für die Interviewten. Vertreten Sie unbedingt den Standpunkt: „Was geht es die an, was ich ermittelt habe.“ Es reicht, dass Sie den Auftraggeber über die Ergebnisse informieren, denn von ihm werden Sie schließlich bezahlt. Mit diesen einfachen Tipps werden Sie jede Projektdiagnose zum Scheitern bringen. 184 10 Tipps, damit Ihre Projektdiagnosen scheitern Paradoxe Verschreibungen Register Akzeptanz 100 Anforderungsprofil 173 Anlässe für Projektdiagnosen 29 Annahmen 70 Assessment 28 Audit 27 Auftragsklärung 35 Betroffenheitsanalyse 101 Beziehungskonflikte 107 Bypass-Lösung 119 Cluster 158 Datenanalyse 19 Datenaufbereitung 157 Datenfeedback 167 Datensammlung 20 Planung 123 Diagnose 19 Projektteam 110 Diagnosebericht 160 Dramaturgie 161 Diagnosefelder 79, 82 Diagnose Workshop 151 Dokumente 126 Dokumentenanalyse 125, 127 Druckweitergabe-Systeme 119 Einstiegsfrage 137 Energie des Projektes 102 Entscheidungsprozesse 97 Eskalation 98 explodierende Fragen 143 Externe 89 Fokussierung 62 Fragebogen 128 Gruppeninterview Kernfragen 147 Gruppeninterviews Konstellationen 147 Hard Facts 73 Headline 159 Hearing 150 Informationsfluss 96 Interaktionsansatz 67 Irritationen 144 Konfliktarten 106 Konfliktdiagnosen 105 Konfliktparteien 108 Konfliktstabilisierungsverhalten 109 Konfliktsymptome 106 Kraftfeld 73 Leidensdruck 57 Likert-Skala 131 Neutralität 66 Objektivität 61 paradoxen Situationen 76 Paradoxen Situationen 103 Paradoxon 75 Prioritätenkonflikte 106 Problemverlagerungsprozesse 119 Projektdiagnose Anlässe 29 Ertragsgesetz 50 Phasen 32 zwei Ebenen der 76 Projektreview 26 Prozedurenkonflikte 107 Psycho-Logik 77 Qualifikationsprofil 180 Rollenanalyse 85 Rollenbewusstsein 175 Rollenklärung Diagnose 43 Schuldfrage 67 Skalierung 129 Soft Facts 73 soziales System 73 Stakeholder 87 Strukturelemente 73 Projektteam 111 Strukturen 73 Subsystem Projektteam 41 System Familie 82 Systemgrenze 38 Teamumfeld 114 Verbindlichkeit 99 Wechselwirkungen 75 Wertekonflikte 108 Wiederholungsmuster 104 Wirklichkeit erster Ordnung 61 Wirklichkeitskonstruktionen 60 Wirklichkeit zweiter Ordnung 61 Zielfoto 154 Zielkonflikt 107 186 Register Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Anlässe für Diagnosen und Reviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Abb. 2: Systemgrenze Projektteam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Abb. 3: Systemgrenze Projekt intern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Abb. 4: Ertragsgesetz für Projektdiagnosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Abb. 5: Fokussierung unter fachlichen Aspekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Abb. 6: Fokussierung unter psychologischen Aspekten . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Abb. 7: Eigene Annahmen überprüfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Abb. 8: Zwei Ebenen der Projektdiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Abb. 9: Betroffenheitsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Abb. 10: Strukturelemente im Projektteam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Abb. 11: Problem-, Konfliktverlagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Abb. 12: Fragebogen mit Likert Skala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Abb. 13: Teile eines Fragebogens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Abb. 14: Breite und Tiefe im Interview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Abb. 15: Auswertung eines Diagnose Workshops . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Abb. 16: Mitschriften von Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 BUCHTIPP Jörg Brüggenkamp, Peter Preuss, Tobias Renk Der Scrum-Reiseführer Herausforderungen in der Praxis meistern 1. Auflage 2021, 201 Seiten €[D] 39,99 ISBN 978-3-7398-3117-6 eISBN 978-3-7398-8117-1 Agile Projektmanagement-Methoden, die vor allem in Startups zu finden sind, werden im Zuge der digitalen Transformation auch für größere Organisationen immer interessanter und wichtiger. In diesem Buch wird untersucht, welche konkreten Herausforderungen es bei der Einführung der Projektmanagement-Methode Scrum gibt und wie man diese bewältigen kann. Folgende Fragen werden mit dem Buch beantwortet: - Was genau ist bei der Einführung der Scrum-Prozesse zu beachten? - Wie ist das Scrum-Rollenverständnis und wie etabliert man diese Rollen in bestehenden Organisationen? - Wie erreicht man, dass die Scrum-Events erfolgreich durchgeführt werden? - Welche Metriken eignen sich besonders gut, um den Fortschritt agiler Projekte zu messen? - Wie können Projektrisiken minimiert und Probleme frühzeitig erkannt werden? - Welche Skalierungsframeworks gibt es, um Scrum auch für größere Projektteams und Organisationen nutzen zu können? UVK Verlag. Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de BUCHTIPP Christoph Zahrnt Schreiben in Projekten Von der Leistungsbeschreibung bis zum Abschlussbericht 1. Auflage 2021, 227 Seiten €[D] 24,99 ISBN 978-3-7398-3111-4 eISBN 978-3-7398-8111-9 Schreiben will gelernt sein! Das Erstellen von Texten gehört zu den Tätigkeiten eines jeden Projektmitarbeitenden. Da schreiben im beruflichen Kontext jedoch Tücken mit sich bringen kann, ist eine verständliche, eindeutige und respektvolle Sprache gefragt. Der Autor dieses Buches vermittelt die entsprechenden Kompetenzen zur schriftlichen Kommunikation in Projekten, speziell für Leistungsbeschreibungen. Dabei zeigt er auf, wie Sie situationsgerecht und inhaltlich eindeutig schreiben, wie Sie Schreibprozesse strukturieren und wie Sie Risiken auf personaler Ebene vermeiden. Das Buch dient somit als Ratgeber für Projektleitende und Projektmitarbeitende in internen und externen Projekten sowie Projekten innerhalb einer Unternehmensgruppe. UVK Verlag. Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de EIN BAND AUS DER GPM-REIHE PROJEKTMANAGEMENT NEU DENKEN Layout Layout Eine fundierte Projektdiagnose geht weiter als übliche Projektreviews. Projektdiagnose bleibt nicht an Symptomen hängen, sondern der Diagnostiker: in schaut auch hinter die Kulissen des Projektes. Hinter Symptomen wie Terminverzug oder Budgetüberschreitung stehen in der Praxis oft Probleme wie Interessenkonflikte, Machtprozesse, paradoxe Entscheidungen, schwaches Grenzmanagement, fehlendes Rollenbewusstsein, Wiederholungsmuster, By-Pass-Lösungen, verlagerte Probleme oder verschiedene Muster der Konfliktstabilisierung; gerade diese Phänomene müssen erkannt, verstanden und klar kommuniziert werden, um Probleme zu lösen. Grundlagen, Modelle, Methoden und Instrumente der Projektdiagnose werden in diesem Buch praxisnah vermittelt. Zahlreiche Tipps und Beispiele veranschaulichen die Inhalte lebendig. Gero Lomnitz arbeitet seit vielen Jahren als Berater, Trainer und Coach für namhafte Unternehmen und Non-Profit Organisationen im In- und Ausland. Er hat zahlreiche Beiträge über Projektmanagement veröffentlicht und Lehraufträge an verschiedenen Universitäten wahrgenommen. ISBN 978-3-7398-3099-5