PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
91
2000
113
Gesellschaft für ProjektmanagementP R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 4 Zusammenfassung Immer wieder erbringen Organisationsprojekte nicht den gewünschten Erfolg, gleichwohl steigen aber der Druck und die Geschwindigkeit, selbst umfangreiche Verä nderungsprozesse wie große „Mergers“ mit ansprechendem Ergebnis und nachhaltiger Mitarbeitermotivation zu realisieren. Seit einigen Jahren gibt es hierzu Ansätze, neue systemtheoretische Erkenntnisse zu komplexen und sozialen Systemen für das Projektmanagement nutzbar zu machen. Der Beitrag zeigt auf, dass hier das Potenzial bisher noch nicht systematisch ausgeschöpft wurde, und beschreibt einen weiterführenden Handlungsansatz. Abstract Again and again extensive organisational change processes have not achieved the desired success. At the same time we experience increasing pressure to realise successfully substantial organisational projects like huge mergers and to sustain the motivation of the people involved. Additionally there are approaches in recent years that apply new system-theoretical findings on complex and social systems to project management. This paper shows that some potential of this transfer has not been systematically exhausted and describes an extended approach. Schlagwörter IT-Projekte, Organisationsprojekte, Projektmanagement, Reorganisation, Selbstorganisation, Sozialsysteme, Systemtheorien, Unternehmensentwicklung 1 NIEDRIGE ERFOLGSQUOTE Im Zuge der seit Mitte der 80er Jahre zunehmenden Globalisierung hat sich der Wettbewerb in vielen Bereichen der Wirtschaft erheblich verschärft. Viele Unternehmen sind unter dem anhaltenden Druck ihrer Märkte dazu gezwungen, Bestehendes permanent zu hinterfragen und gegebenenfalls mit einschneidenden Veränderungen für ihre Strukturen, Abläufe und Mitarbeiter zu verändern. Entsprechend ist die Anzahl der Organisationsprojekte in der letzten Dekade signifikant angewachsen. Waren die Organisationsprojekte zu Beginn der 90er Jahre noch von Verschlankung und Flexibilisierung geprägt, so stand wenige Jahre später die Effektivierung der Geschäftsprozesse im Vordergrund. Heute bedingen globale Marktkräfte, das Outsourcing interner Dienstleistungen und neue Absatzkanäle (z. B. e-Business) erneut einen raschen Veränderungsbedarf unternehmerischer Strukturen sowie einen verstärkten IT-Einsatz. Dabei sind neben international agierenden Konzernen inzwischen insbesondere auch mittelgroße Unternehmen und Einheiten, die als Zulieferbetriebe großer Unternehmen tätig sind, von der beständigen Fahrt auf dem „Reorganisationskarussell“ betroffen. Umso wichtiger, aber auch umso schwieriger wird daher das Management von Organisationsprojekten. Neben dem offiziellen Bild der erfolgreichen Durchführung solcher Organisationsprojekte finden sich regelmäßig auch Hinweise, dass die Veränderungen organisatorischer Strukturen und Prozesse, meist verbunden mit einer Veränderung der IT-Landschaft, häufig nicht die gewünschten Resultate erbringen. Jedoch sind Angaben, wonach z. B. 40 % der Projekte weniger als 60 % der ursprünglich gesteckten Projektziele erreichen (z. B. [1] S. 72) auf Grund unzureichender empirischer Grundlagen sowie der eingeschränk- Systemische Konzepte für das Management von Organisationsprojekten Systematische Anwendung steigert den Projekterfolg P E T E R M . F R I E S S P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 6 ten Messbarkeit hier nicht weiterführend. Entscheidend sind vielmehr die Konsequenzen. Die unzureichende Performance eines Organisationsprojektes kann zu einem Vertrauensverlust seitens der Kunden und Anteilseigner führen, Mitarbeiter demotivieren und ein negatives „Mind-setting“ gegenüber der Unternehmensführung und insbesondere gegenüber zukünftigen organisatorischen Vorhaben entstehen lassen. 2 BISHERIGE MASSNAHMEN Auch wenn das Scheitern vieler Organisationsprojekte auf ein unzureichendes Projektmanagement-Knowhow und -Verständnis bei den Verantwortlichen und Beteiligten zurückgeführt werden kann, so ist doch in den vergangenen Jahren mehr und mehr die Einsicht gereift, dass das vorhandene Projektmanagement und vielleicht auch einige seiner Methoden nicht für das Management von Veränderungsprozessen geeignet sind ([2, 3] u. a.). Getragen wird diese Einsicht vor allem von Know-how-Trägern aus der systemischen Unternehmens- und Organisationsberatung, der Gruppendynamik, aber z. B. auch aus der Softwareentwicklung. Diese haben dazu beigetragen, dass moderne systemtheoretische Grundlagen aus Biologie, Soziologie, Kybernetik, Familientherapie, Kommunikationstheorie u. a. in die Formulierung eines zeitgemäßen Projektmanagement-Handelns aufgenommen wurden. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit lassen sich folgende neue Schwerpunkte und methodische Ans ätze im Projektmanagement und insbesondere im Management von Organisationsprojekten ausmachen: ● Analyse des Projektumfeldes ● Teamarbeit und Teamentwicklung ● Prozessorientierung ● Kommunikation 2.1 Analyse des Projektumfeldes Die Einsicht, dass Organisationsprojekte häufig an Schnittstellenproblemen zu anderen Aufgaben und Projekten im Unternehmen sowie an unüberwindlichen und unerwarteten Widerständen aus dem direkten oder indirekten Projektumfeld scheitern, führte dazu, neben dem sachlichen und zeitlichen Kontext eines Projektes auch dessen soziales Umfeld mit Hilfe der Methode der Projektumfeldanalyse ins Visier zu nehmen. Dabei werden zu Projektbeginn und zu weiteren ausgewählten Zeitpunkten und Meilensteinen die relevanten Projekt-Stakeholder bestimmt und das wechselseitige Beziehungsgeflecht zwischen dem Projekt, dem Projektteam sowie förderlichen, neutralen oder hinderlichen Personen, Gruppen und Randbedingungen untersucht. Hierdurch können Projektrisiken, aber auch Chancen und Potenziale frühzeitig erkannt sowie Strategien und erforderliche Maßnahmen abgeleitet werden ([4] S. 310). 2.2 Teamarbeit und Teamentwicklung Die Teamarbeit ist einer der zentralen Erfolgsfaktoren in Projekten. Gerade in Organisationsprojekten können durch eine funktionierende Teamarbeit bestehende Abteilungs- und Bereichsgrenzen aufgebrochen und damit bereits während des Projektablaufes neue Arbeitsbeziehungen im Unternehmen etabliert werden. Jedoch ist zu Beginn solcher Vorhaben eine eingespielte Mannschaft eher die Ausnahme; daher sind abteilungsübergreifende Projektteams erst einmal aufzubauen und dann weiter zu entwickeln. Darüber hinaus müssen Teams zur Gesamtorganisation hin anschlussfähig bleiben, um nicht als störende und gegebenenfalls zu bekämpfende Fremdkörper wahrgenommen zu werden ([5] S. 67 ff., [6]). 2.3 Prozessorientierung Die Einsicht in die Komplexität organisatorischer Veränderungsprozesse und die Erkenntnis, dass die gemeinsamen Erfahrungen den Weg in die Zukunft prägen, haben zu einer stärkeren Berücksichtigung der Eigendynamik und der Besonderheiten solcher Projekte geführt. Die Veränderung der Organisation, also die Gestaltung des „Projektgegenstandes“, wird zunehmend evolutionär mit schrittweiser Zielannäherung und -verfeinerung angegangen, während auf der Ebene des Projektmanagements wichtige und zusammenhängende Arbeitsschritte mit definiertem Ergebnis z. B. in der Form von Start-, Controlling-, Krisenmanagement- und Abschlussprozess beschrieben werden ([5] S. 29 ff., [7] S. 27 f., [8] S. 271). 2.4 Kommunikation Kommunikation dient in Projekten der Führung. In den letzten Jahren wurde jedoch deutlich, dass dieses Kommunikationsverständnis für Organisationsprojekte nicht ausreicht. Entscheidend ist vielmehr, dass Veränderungen auf zwei Ebenen in den Teams und in der Organisation gut 7 kommuniziert werden. So sind einerseits eine Vision, Strategien oder neue Organisationsstrukturen zu vermitteln und andererseits ist die Art und Weise der Kommunikation im Projekt selbst neu zu gestalten (offen, vernetzend, feedback-orientiert) ([9] S. 166, [1] S. 72). 3 AKTUELLER HANDLUNGSBEDARF Inwieweit die Diskussion und der Einsatz dieser methodischen Ans ätze in der Praxis zu einem erfolgreichen Abschluss organisatorischer Veränderungsprozesse beitragen konnten, lä sst sich bisher kaum ermitteln oder quantifizieren. Im Rahmen einer hierzu durchgeführten systematischen Auswertung von 37 Forschungs- und Erfahrungsberichten zu Organisationsprojekten konnten aber fünf Schwachstellenbereiche identifiziert werden ([10] S. 35 ff.), die den Erfolg der bisherigen Maßnahmen und methodischen Ans ätze zumindest in Frage stellen können: ● eine fehlende Handlungsorientierung der Projektbeteiligten durch die Vernachlä ssigung konsequent und partizipativ durchgeführter Zielpräzisierungsprozesse, ● eine reduzierte Einflussnahme der Auftraggeber/ Projektleiter auf das Projekt durch Mängel in der Erfassung/ Bewertung des Projektzustandes sowie durch unzureichende und fehlerbehaftete Maßnahmen zur Projektsteuerung, ● eine Hemmung innovativer Projektarbeit durch fehlende klar abgegrenzte Handlungsspielräume von Projektteams und durch ein kontroll- und überwachungsgeleitetes Führungsverständnis, ● projektbezogene Akzeptanzprobleme und Konflikte im Unternehmen durch ein unzureichendes internes Projektmarketing in Kombination mit einer unzureichend gestalteten Projektkultur, ● eine wenig effektive Projektteamarbeit durch fehlende Kompetenzen der Projektbeteiligten sowie unzureichendes Konfliktmanagement. 3.1BeleuchtungderSchwachstellenbereiche Diese Differenzen zwischen dem Erfolgsanspruch der methodischen Ans ätze und der empirisch erfassten Realität erlauben nun prinzipiell zwei Perspektiven: 1. Die neueren Ans ätze haben ihre Effektivität und Praxistauglichkeit bereits in vielen Projekten bewiesen. Die Differenzen resultieren deshalb vor allem aus der Anwendungslücke zwischen dem „State-of-the-art-PM“ und der Praxis. Zahlreiche Gespräche und Nachfragen zeigen, dass die beschriebenen Ans ätze entweder überhaupt nicht, nicht systematisch oder nur gemäß der Erfahrung des Projektleiters und der Projektbeteiligten (hierzu soll auch der Projektauftraggeber gez ählt werden) zur Anwendung kommen. 2. Auch die neueren Ans ätze sind für die Besonderheiten von Veränderungsprozessen nur bedingt oder partiell geeignet. Die Differenzen resultieren deshalb vor allem aus der Anwendung eines für die Erfordernisse von organisatorischen Veränderungsprozessen unzureichenden Projektmanagement-Instrumentariums. Die Lösung für die erste Perspektive wäre eine massive und hochwertige Qualifizierung von Projektbeteiligten und Organisationsfachleuten. Allerdings hat diese Lösung kaum Aussicht auf Erfolg, da die Diskussion über die Anwendungslücke fast so alt ist wie das Projektmanagement selbst. Aus der Erfahrung ist bekannt, welche Spannungen zwischen dem bestehen, was fachlich-methodisch getan werden sollte, und dem, was in der konkreten Situation tats ächlich getan werden kann. Die Logik eines außenstehenden Betrachters entspricht eben nicht notwendigerweise der Eigenlogik bzw. Eigengesetzlichkeit eines betrachteten Projektes. Systemtheoretisch betrachtet ist deshalb die zweite Perspektive deutlich erfolgversprechender. Es geht also insbesondere darum, Methoden für Veränderungsprozesse bereitzustellen, auf die ein Projektleiter Schritt für Schritt aufbauen kann und die auch Freiraum für eine selbst evolvierende Anpassung im Projekt lassen. Für Organisationsprojekte ist also erneut eine intensive und kritische Reflexion über das Projektmanagement erforderlich, die über die angeführten neuen Schwerpunkte und methodischen Ans ätze hinausgehen muss (vgl. auch Abb. 1). 3.2 Anforderungen aus systemischer Sicht Welche Anforderungen stellt aber ein Organisationsprojekt aus systemischer Sicht an Projektleiter? Dies sind im Einzelnen: 1. Immaterieller Projektgegenstand Im Vergleich zu Projekten mit P M - G R U N D S A T Z B E I T R A G P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 8 einem technischen Projektgegenstand besteht der Projektgegenstand eines Organisationsprojektes zu einem wichtigen Teil aus der Veränderung des Verhaltens und der Kompetenz der Beschäftigten sowie der Veränderung von Regeln, Normen und Glaubenss ätzen in einem Unternehmen. 2. Zukunftsorientierung Jedes Organisationsprojekt ist Bestandteil der Unternehmensentwicklung und erschließt einer Organisation neue Handlungsspielräume. Dazu gehört auch der kontinuierliche Bedarf, die eigene Kompetenz zur Prozessgestaltung - fern von Standardmodellen und -vorgehensweisen - auszubauen. 3. Selbstreferenz Innerhalb des Systems Unternehmen sind die Projektbeteiligten und der Projektauftraggeber selbst Bestandteil der zu verändernden Organisation und nehmen somit in der Projektarbeit gegenseitig aufeinander Bezug; d. h., für das Projekthandeln ist nur die unternehmenseigene Wirklichkeit als Bezugsrahmen vorhanden. 4 MODERNE SYSTEMTHEORETISCHE ERKENNTNISSE ZU SOZIALSYSTEMEN Die Einsicht, dass eine gezieltere Beeinflussung eines tief greifenden organisatorischen Wandels nur über ein besseres Verständnis der Dynamik komplexer und sozialer Systeme (Unternehmen, Abteilungen, Teams etc.) zu erlangen ist, führt seit geraumer Zeit zu einem hohen Interesse an neuen systemtheoretischen Erkenntnissen, die unter dem Schlagwort der Selbstorganisation zusammengefasst werden. 4.1 Der Begriff der Selbstorganisation Selbstorganisation ist hierbei als ein Sammelbegriff für ein umfassendes Forschungsprogramm in zahlreichen natur- und geisteswissenschaftlichen Wissenschaftsdisziplinen zu verstehen. Behandelt werden in diesem Forschungsprogramm Fragen der Entstehung, Höherentwicklung und Ausdifferenzierung von Ordnung in dynamischen Systemen. Charakteristisch für die Idee der Selbstorganisation sind nach [11], S. 10: ● Komplexität wird als naturgemäßes Phänomen aufgefasst, das sich nicht auf einfache Beziehungen reduzieren lä sst. ● An die Stelle linearer Kausalität, wonach Wirkungen zeitlich den Ursachen folgen, treten Prozesse, die gegenseitig Ursache und Wirkung sind (Kreiskausalität). ● Das klassische System-Umwelt- Modell, dem zufolge systeminterne Strukturen eine Anpassung des Systems an seine Umwelt widerspiegeln, wird durch ein Modell systemischer Selbststeuerung und interner Selbstbeobachtung ersetzt. ● Nichtgleichgewichtsprozesse und Irregularitäten werden als Quelle von Ordnung betrachtet und als „Normalität“ angesehen. 4.2 Kernaussagen für das Projektmanagement Was sind nun die für das Projektmanagement relevanten Kernaussagen dieser Theorien zur Idee der Selbstorganisation? Ohne hier den Nachweis im Detail führen zu können, zeigt sich, dass insbesondere Sozialsystemtheorien wie die Konstruktivistische Sozialtheorie (Hejl), die Theorie sozialer Systeme (Luhmann) und das Konzept Selbst-Organisation (Probst) (vgl. [10] S. 50 ff.) geeignete theoretische Grundlagen für Veränderungsprozesse darstellen. Greift man hierbei insbesondere auf die Konstruktivistische Sozialtheorie zurück, die durch ihre Fokussierung auf Personen als Handlungsträger passende Ansatzpunkte für Organisationsprojekte bietet, ergeben sich folgende Kernaussagen (vgl. [10] S. 53 ff.): ● Handlungsleitend für soziale Systeme wie Unternehmen und/ oder Projekte wie auch für Individuen sind nur deren spezifische Wirklichkeitsvorstellungen. Die jeweiligen Personen oder Systemkomponenten bilden gemeinsame Wirklichkeitskonstrukte und Handlungsprogramme als Basis ihres Verhaltens aus (Synreferenz). Diese werden überlagert durch die Einflussmöglichkeiten aus mehrfachen Systemzugehörigkeiten (z. B. Abteilung, Projekt, Fa- Abb. 1: Weiterentwicklung des Organisations-Projektmanagements 9 milie). Systemveränderungen erfordern somit deshalb eine Veränderung eingeprägter Wahrnehmungsmuster und Interaktionsbeziehungen. ● Die Steuerung sozialer Systeme ist aufgrund ihrer Komplexität immer ein Vorgang mit offenem Wirkungsverlauf, der ständig zu beobachten und durch Rückkopplung zu beeinflussen ist. Maßnahmen zur Steuerung sozialer Systeme sollten sich deshalb definitiv auf deren Wirklichkeitskonstrukte und Handlungsprogramme, sprich auf deren Erfahrungsbereich, beziehen und so weit als möglich auf das Setzen von Randbedingungen beschränkt bleiben, da bei direkten Eingriffen die Autonomie eines Systems gefährdet und damit auch die Entlastungsfunktion durch das eigenständige Handeln eines sozialen Systems aufgehoben wird. ● Die Flexibilität des Gesamtsystems Unternehmen und des Verhaltens seiner Individuen erfordert die Möglichkeit zur Selbstregelung innerhalb der einzelnen sozialen Systeme im Unternehmen. Voraussetzungen sind die Redundanz von Wissen, Personen- und Sachmitteln, Autonomie, Transparenz von Feedbackmechanismen bezogen auf das Systemverhalten sowie die entsprechende Gestaltung von Interaktionsstrukturen. 5 SOZIAL-KONSTRUKTIVISTISCHES PM-MODELL ALS LÖSUNGSANSATZ Diese Erkenntnisse zur Selbstorganisation machen deutlich, dass P M - G R U N D S A T Z B E I T R A G P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 10 die neueren methodischen Ans ätze im Projektmanagement das Potenzial moderner Sozialsystemtheorien zwar bezogen auf Einzelaspekte (z. B. Projektumfeldanalyse), nicht aber in seiner Gesamtheit ausschöpfen. Dies wird deutlich, wenn die Hauptanforderungen von Organisationsprojekten, die Kernaussagen der Sozialsystemtheorien und deren systematische Anwendung in einer integrierenden Sichtweise betrachtet werden. Im Folgenden wird deshalb ein empirisch validiertes PM-Modell vorgestellt ([10] S. 95 ff.), das diese integrierende Sichtweise ermöglicht und Projektmanagern sowie der Beratungspraxis einen flexibel zu handhabenden Leitfaden für den gesamten Projektverlauf bieten kann. 5.1 PM-Struktur und PM-Prozesse In der systemtheoretisch fundierten (oder integrierenden) Betrachtungsweise umfasst Projektmanagement in Organisationsprojekten ● die Präzisierung der Projektziele gemeinsam mit dem Auftraggeber sowie mit weiteren (internen) Kunden, ● die Erarbeitung eines konkreten Handlungsmodells (Planung) und ● die integrierte Betrachtung von Sach-, Termin-, Kosten- und Einsatzzielen (Controlling). Zusätzlich ist die sorgfältige Gestaltung des Projektabschlusses auf inhaltlicher, organisatorischer und emotionaler Ebene erforderlich, damit die Projekterfahrungen zukünftig genutzt werden und die Motivation der Beteiligten für weitere Veränderungsprozesse gefördert wird. Diese Management-Aufgaben sind inhaltlich wie auch zeitlich über den Projektverlauf zu differenzieren, um zu konkreten PM-Aufgaben zu gelangen. In inhaltlicher Hinsicht sind dabei folgende PM-Bereiche zu unterscheiden ([10] S. 23 ff., [12] S. 375 f.): ● Funktioneller PM-Bereich: Dieser behandelt die Zielpräzisierungs- und die Problemlöseprozesse. ● Organisatorischer PM-Bereich: die Betrachtung von Projektorganisation, Projektinformationswesen, Projektmarketing, Projektkultur und Krisenmanagement. ● Individueller PM-Bereich: Hier liegt der Schwerpunkt auf den Projekteinsatzmitteln, der Projektteamarbeit und dem Konfliktmanagement. In zeitlicher Hinsicht sind in jedem dieser PM-Bereiche, in Abhängigkeit von Projektsituation und Projektverlauf, unterschiedliche, einmalige oder sich periodisch wiederholende PM-Aufgaben durchzuführen. Diese können in der Form von „Projektmanagement-Phasen“ wie folgt zusammengefasst werden ([13] S. 23 ff.): ● Startphase: Vorbereitung, Projektbeginn ● Arbeitsphasen: inhaltliche Projektarbeit, Regelarbeit ● Koordinationsphasen: Integration, Veränderung, Abstimmung ● Abschlussphase: Zusammenfassung, Abschluss, Nachfolge Diese PM-Phasen können sich auch teilweise überlappen, wobei in der Regel mehrere Arbeits- und Koordinationsphasen von Start- und Abschlussphase eingerahmt werden. Eine systematische Übersicht aller erforderlichen PM-Aufgaben ist in Abb. 2 gegeben. Worauf kommt es hierbei an? Im Verständnis des klassischen Projektmanagements sind PM-Phasen und somit PM-Aktivitäten an im Voraus geplante Ergebnispunkte und Mei- Abb. 2: Systematik sozialkonstruktivistischer PM-Aufgaben nach [10], S. 84 f. 11 lensteine gekoppelt. Nach den modernen Systemtheorien bestimmt sich die aktuelle PM-Phase dagegen durch ihre „Fähigkeit“, für die Führung des Organisationsprojektes noch brauchbar zu sein. Projektphasen und PM- Aktivitäten sind deshalb nicht Ergebnis einer fertig gemeldeten Planung, sondern Ergebnis des gelebten Prozesses. Insofern müssen das Projektgeschehen und typische Verhaltensmuster der Organisation fortlaufend den PM-Phasen bzw. -Phasenübergängen zugeordnet werden. Eine Fremdbeschreibung der Situation durch unternehmensexterne Personen kann hierbei sehr hilfreich sein. 5.2 Handlungsans ätze Wie lassen sich diese theoretisch abgeleiteten PM-Aufgaben nun konkret umsetzen? Abb. 3 gibt hierzu einen Überblick, der im Folgenden erläutert wird (vgl. [10] S. 117 ff.): ● Zielpräzisierungsprozess ist wesentlich Für das herkömmliche Organisations-PM wird die Zielvorgabe als eine wesentliche Voraussetzung angesehen. Bestehen Sie jedoch in Organisationsprojekten auf einen gemeinsamen Zielpräzisierungsprozess mit den Beteiligten, Entscheidern und Betroffenen (sowie ggf. dem Unternehmensumfeld). Dadurch werden die Handlungsorientierung der Beteiligten sowie deren kritisch reflektive Auseinandersetzung mit dem Veränderungsprozess entscheidend gefördert. Nur ein gemeinsames Verständnis aller Beteiligten der Projektziele ermöglicht deren wirkungsvolle Umsetzung und trägt zur Unternehmensentwicklung bei. ● Planung als Grundlage für Orientierung und Kommunikation Die Funktion der Planung dient im Projektmanagement klassischerweise der Operationalisierung der Projektzielvorgabe, um logisch korrekte und sichere Aussagen bezüglich der Aufgabengliederung sowie der Ressourcen- und Kostenplanung zu erhalten. Verwenden Sie die Planung in Organisationsprojekten haupts ächlich in der Funktion eines Orientierungs- und Kommunikationsmittels für ein gemeinsames Handlungsverständnis. Weiter ist die Planung als Grundlage für Lernprozesse im Projekt einzusetzen, da rückwirkend überprüft werden kann, ob und wie die der Planung zugrunde gelegten Annahmen und Hypothesen sich als brauchbar erwiesen haben. ● Projektmonitoring als integrierter Prozess Die herkömmliche Erhebung des Projektzustandes, welche auf quantitativ mess- und interpretierbare Größen (insbesondere für Leistungsmessungen) fokussiert ist, ist in Organisationsprojekten kaum zielführend, da in der Regel nur indirekte und wenige exakt zu quantifizierende Messgrößen zur Verfügung stehen. Verbinden Sie daher relevante qualitative Messgrößen zu einem System. Da jedoch ein derartiges qualitatives System unterschiedliche Bewertungen des Projektfortschritts zulä sst, sind die Sichtweisen und Kompetenzen verschiedener Teams und Personen (Kernteam, Teilprojektteams, Projektauftraggeber, unternehmensexterne Personen) wechselseitig in die Bewertung einzubringen. Entscheidend ist die Sicherstellung des Prozesses der Datenerhebung, Interpretation und Rückkopplung sowie des Abgleichs verschiedener Sichtweisen. ● Projektsteuerung setzt nur Randbedingungen In klassischer PM-Sicht bewegt sich die Projektsteuerung im Drei- Abb. 3: Handlungsansätze für sozialkonstruktivistisches Projektmanagement P M - G R U N D S A T Z B E I T R A G P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 12 eck von Ziel/ Qualität, Kosten und Zeit. Abweichungen werden in der Regel durch steuernde Maßnahmen korrigiert, deren Auswirkungen bekannt sind. Demgegenüber basiert das Wissen über steuernde Einwirkungen auf soziale Systeme (aufgrund deren Komplexität) in weitaus höherem Maße auf Annahmen und Hypothesen, die sich erst im Nachhinein durch Vorliegen des Steuerungsergebnisses als brauchbar erweisen. Vermeiden Sie daher, so weit wie möglich, direkte Eingriffe, da ansonsten eigenverantwortliches Verhalten von Projektteams blockiert wird. Setzen Sie vielmehr kontinuierlich und angepasst Randbedingungen (z. B. Arbeitsziele, Gestaltungsfreiraum für die interne Arbeitsorganisation, Terminbzw. Zeitvorgaben, relevante Informationen, Projektmittel usw.), um systematisch einzuwirken. Versuchen Sie ebenso, mit Ihren Mitteln auf wichtige Personen (Promotoren, Entscheider …) „steuernd“ einzuwirken. ● Vernetzte Teams Die Projektorganisation in herkömmlicher Form wird haupts ächlich funktionsorientiert gestaltet. Moderne systemtheoretische Konzepte fordern insbesondere für Organisationsprojekte durch neue Arbeits- und Interaktionsbeziehungen im Unternehmen Innovationen anzuregen und eine kritische Masse an beteiligten Personen für die Organisationsveränderung („Burning platform“) zu erzielen. Daher sollten Sie folgende Gestaltungsprinzipien berücksichtigen: vernetzte und dem Projektverlauf angepasste Struktur von Kernteam und zahlreichen weiteren Teams, Integration des Projektauftraggebers als wichtigem Bestandteil der Struktur, Verzicht auf steuernde Gremien mit hierarchisch hoch stehenden Mitarbeitern sowie Einbindung externer Personen zur Stärkung des Reflexionspotenzials. ● Internes Projektmarketing für Orientierung und zus ätzliche Steuerung Während Projektmarketing im gängigen Organisations-PM kaum vertreten ist, ermöglicht zielgruppenspezifisches Projektmarketing die Akzeptanzsicherung der Ergebnisse von Veränderungsprozessen. Durch die Darstellung eines projektspezifischen „Sinns“ (Visionen, Projektidentität, zukünftige Rahmenbedingungen für das Unternehmen etc.) bewirken Sie insbesondere in Phasen der Unsicherheit Orientierung für die Projektbeteiligten und -betroffenen. Verbunden mit diesem Orientierungsrahmen können Sie vorhandene Verhaltensweisen und Regeln durch die Ankündigung entsprechender Maßnahmen im Unternehmen fördern oder sanktionieren. Da hierbei im Rahmen der „Projektkulturarbeit“ die Behandlung konfliktbehafteter Denkhaltungen und Wertvorstellungen erforderlich ist, sollten Sie für eine kritische und offene Reflexion wiederum die Unterstützung unternehmensexterner Personen hinzuziehen. ● Kommunikations-/ Reflexionskompetenz für die Projektressourcen In Veränderungsprozessen sollten Sie insbesondere auf ausreichende Kommunikationskompetenz von Teamleitern und Führungskräften wie auch aller Projektbeteiligten achten, da vielfältige Interessenlagen aufzugreifen, zu kommunizieren und zu handhaben sind. Ebenso müssen Fähigkeiten zur Selbstregelung in der Teamarbeit wie auch zur kritischen Selbsteinschätzung bzw. -reflexion vorhanden sein, damit eigene Sichtweisen und Handlungsmuster hinterfragt, in Bezug zu anderen gesetzt und verändert werden können. 5.3 Methoden/ Tools Für die Durchführung der PM- Aufgaben sind eine Reihe von Methoden und Tools zu empfehlen, die sich aus verschiedenen, zum Teil sich überlagernden Disziplinen rekrutieren. Im Wesentlichen sind dies: 1. Methoden/ Tools des klassischen Projektmanagements, z. B. [13, 14], bieten bereits eine Vielzahl von Methoden an, mit denen den beschriebenen Erkenntnissen Rechnung getragen werden kann. Verwenden Sie einfache und übersichtliche Phasenschemata, Struktur- und Balkenpläne sowie Wechselwirkungsdiagramme, um Aufgaben- und Zeitzusammenhänge zu verdeutlichen. Alternative Lösungswege, Abhängigkeiten und Rücksprünge können Sie z. B. durch graphische Netzpläne (GERT) transparent machen. 2. Methoden/ Tools der Gruppen- und Teamarbeit (Moderationsmethode, Kommunikationsanalyse, z. B. [15, 16]) unterstützen Sie, insbesondere auch aus systemischer Sicht, die Zusammen- 13 arbeit und Interaktion in den verschiedenen Teams sowie der Teams und weiterer Individuen/ Gruppen untereinander in einem Projektnetzwerk zu gestalten und zu verbessern. 3. Methoden/ Tools der systemischen Organisationsberatung/ Intervention (Konstruktion Projektkontext, vernetztes Denken, systemisches Fragen, Visionsarbeit, Skulpturarbeit, z. B. [17, 5, 4]) bieten ein durch moderne Systemtheorien geprägtes Instrumentarium an. Hierdurch können Sie die Systembeziehungen und relevante Projekt-Stakeholder (insbesondere auch mit Blick auf die Kunden) analysieren; darüber hinaus verwenden Sie diese Methoden/ Tools für die Arbeit an den Wahrnehmungs- und Handlungsmustern der beteiligten und betroffenen Individuen. Richtungweisend für Sie sollte der jeweilige Methoden-/ Tool-Einsatz gemäß dem Charakter der „vorherrschenden“ PM-Phase und der vorhandenen „Logik“ im Unternehmen sein. Nicht zu vergessen ist die informationstechnologische Entwicklung der letzten Jahre, welche neue Möglichkeiten des Informationswesens und der Kommunikationsbeziehungen in Veränderungsprozessen eröffnet. Durch einen Intranet-Einsatz und die Verwendung von Groupware können Informationen und Dokumente zielgruppenspezifisch bewegt und auch das Arbeiten selbständiger Projektteams unterstützt werden, wobei wiederum die Art und Weise der Wahrnehmung der Empfänger zu bedenken ist. 6 FAZIT UND AUSBLICK Moderne Sozialsystemtheorien (insbesondere die Konstruktivistische Sozialtheorie) beinhalten ein hohes Potenzial für das Management von Organisationsprojekten. Hierzu bietet das vorgestellte PM- Modell im Sinne eines Leitfadens eine Gesamtschau der erforderlichen PM-Aufgaben in Veränderungsprozessen. Projektbeteiligte mit leitender Funktion profitieren hiervon in zweifacher Hinsicht: Sie können Verbesserungsmöglichkeiten im Management ihrer Projekte besser identifizieren und sie können diese Poten- P M - G R U N D S A T Z B E I T R A G P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 14 ziale durch eine entsprechende Gestaltung ihres Projektmanagements zukünftig umsetzen. Dies gilt insbesondere auch für „Mergers“ und global orientierte Projekte, in denen verschiedene Kulturen und deren verschiedene Wahrnehmungsmuster zu verstehen und zu integrieren sind. ■ Literatur [1] Sommerhalder, Mark: Change-Management ist Change- Communication. In: io Management. 69 4, 1999, S. 72-75 [2] Balck, Henning: Management evolutionä rer Sprünge in Netzwerkprojekten. In: Gareis, Roland (Hrsg.): Erfolgsfaktor Krise. Signum, Wien 1994, S. 189-210 [3] Saynisch, Manfred: Business Re-engineering. In: Lange, Dietmar (Hrsg.): Management von Projekten. 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Peter Michael Frieß (35): Heute Projektmanager IT/ Ko ordinator IT- Office bei Philips Semiconductors Hamburg, zuvor Beratung von Unternehmen und Verwaltungen in den Bereichen Organisationsgestaltung und -entwicklung, IT-Projekte und Projektmanagement. Diplom-Ingenieur Luft- und Raumfahrttechnik. Promotion zum Dr.-Ing. über systemisches Organisationsprojektmanagement. A ssessor für den Deutschen PM-Award. Aktives Mitglied in der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement und in deren Programm „Neue Wege im Projektmanagement“ (www.gpm-ipma.de/ 04-1_wege.htm). Anschrift G ä rtnerstraße 101 D -20253 Hamburg Tel.: 0 40/ 43 18 03 40 Fax: 0 40/ 43 18 03 40 E -Mail: peter.friess@lycosmail.com 15 Projektkultur gestalten - und bessere Ergebnisse ernten W O L F G A N G H O R N Zusammenfassung Größte Projektrisiken liegen im Bereich des menschlichen Verhaltens und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Könner spüren diese Risiken und vermeiden sie mit erstaunlich leichter Hand. Logische, rationale Anleitungen dazu existieren bislang wenig. Hier wird eine Anleitung dazu beschrieben. Ihre Feuerprobe war die Sanierung eines Anlagenprojekts im Mittleren Osten. Das Besondere an dieser Anleitung ist ihr Denkmodell, die Wertekaskade. Sie modelliert die Determinanten der zwischenmenschlichen Beziehungen als Projektkultur, als System aller starken und schwachen Überzeugungen aller am Projekt beteiligten Personen und Gemeinschaften. Mit der Wertekaskade und ihren Methoden l ä sst sich nicht nur die überschaubare Kultur eines Projekts begreifen und gestalten, sondern auch die viel kompliziertere Kultur einer Organisationseinheit oder eines Unternehmens. Abstract The domain of human behaviour and human relations provides troublesome risks for the project. Outstandingly skilled project managers feel such risks and solve them easily. Logical, rational methods for this purpose are rare. This article describes such a method. It passed its acid test, as a systems project in the Middle East could be put on its track again. The special feature of this method is the underlying model, the “Wertekaskade”. It models the strong and weak beliefs of persons as culture, as a system of determinants of human behaviour. It describes, how people choose their beliefs in dependency to their already existing beliefs and the beliefs of their friends and adversaries. To know the system of these dependencies is the basis for logic, rational predictions of human behaviour. The Wertekaskade and its methods may also be used to understand and engineer the culture of organisational units and companies. Schlagwörter Führung, Projektkultur, Projektleitung, Unternehmenskultur, „weiche“ Faktoren, Wertekaskade 1 EINLEITUNG Die größten Projektrisiken liegen im menschlichen Bereich. Wo der Könner spürt „Da stimmt die Chemie nicht“ und durchaus wüsste, wie er das in den Griff bekommen könnte. Aber wenn er seine Führungskraft um Unterstützung bitten muss, welches Gewicht hat dann schon das Argument „ich spüre“? Produktstruktur- und Projektablaufplan modellieren das materielle und zeitliche Geschehen im Projekt. So verständlich und plausibel sie sind, so überzeugend ist unser Vortrag über ein Problem, seine Konsequenzen, seine Ursachen und wie wir es lösen wollen. Für den menschlichen Bereich fehlte so etwas bislang. Nun stellen wir für diesen Zweck die Wertekaskade vor. Ihre Feuerprobe war die Sanierung eines Anlagenprojekts im Mittleren Osten. Nach nur 9 Monaten hatte das Projekt schon 6 Monate hinter dem Plan gelegen und drei Projektleiter verschlissen. Innerhalb von 10 Tagen „brummte“ es wieder, P M - V E R F A H R E N / K O N Z E P T E P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 16 innerhalb von 3 Monaten wurden 3 Monate Verzögerung aufgeholt. 2 NUTZEN DER WERTEKASKADE Die Wertekaskade und ihre logischkausalen Zusammenhänge (siehe Kasten auf S. 21 f.: „Das System Kultur“) sind Grundlage für die methodische Gestaltung der Projektkultur im Zyklus nach Abb. 1: ● Analyse der Istkultur, ● Entwurf einer zweckmäßigen Sollkultur für Spitzenleistungen, ● Planung und Durchführung des Weges vom Ist zum Soll in einzelnen robusten Schritten, ● Ermittlung der erreichten Verbesserung. Weitere Anwendungen: ● zügige Gründung eines Projektteams mit von Anfang an intakter Projektkultur, ● konstruktives und zügiges Lösen von Konflikten durch methodisches Erkennen des Problems hinter dem Problem, ● die gezielte Gestaltung der Kultur eines Projekts ist ein gutes Übungsfeld für jeden, der die Kultur eines Unternehmens und dadurch Produktivität und Ergebnis verbessern will. Wer gelernt hat, mit der Netzplantechnik umzugehen, der sollte auch die Wertekaskade nutzen können. 3 FALLBEISPIEL - PROBLEMSTELLUNG UND ZIEL Dieses Beispiel ist banal. Erste Schritte in der Mathematik macht man ja auch nicht mit Differenzialgleichungen, sondern mit 1 + 1 = 2. Das Anlagenprojekt XY ist aus dem Ruder gelaufen. Unser Chef, Herr Graf, beauftragt uns: „Holen Sie die Kosten- und Terminüberschreitungen wieder herein.“ Was war geschehen? Uneinigkeit im Team hatte die Besprechungen verschleppt und die Arbeit behindert (Abb. 2 links). Es blieben zu wenige Tage pro Woche für die eigentliche Wert schöpfende Arbeit. Zur Problemursache. Hartnäckige Uneinigkeit beweist einen schweren Kulturdefekt, eine schwer zu lösende Uneinigkeit. Wir brauchen Einigkeit. Damit der eine im Team etwa so entscheidet und handelt wie der andere an seiner Stelle. Das ist Voraussetzung für Verständnis, Vertrauen, Miteinander und flotte Zusammenarbeit. Wir brauchen eine intakte Projektkultur mit dem Effekt Abb. 2, rechts. Diese Einigkeit in den Überzeugungen brauchen wir meist zweimal: Abb. 1: Zyklus methodischer Kulturgestaltung Abb. 2: Ziel der Gestaltung der Projektkultur: Mehr anpacken statt koordinieren Abb. 3: Innere und äußere Projektkultur 17 ● in der inneren Projektkultur der Personen, denen wir weisen dürfen (Abb. 3), ● und in der äußeren Projektkultur, die alle Personen umfasst, denen wir nicht weisen dürfen, deren Mitwirkung wir aber brauchen. Die Wertekaskade und ihre Methoden passen für beide Kulturen. 4 DIE NATÜRLICHE ART, EINE INTAKTE KULTUR ZU SCHAFFEN Die kennen wir alle. Beispielsweise, als wir uns unter Freunden zum Grillfest entschlossen. Schon sauste einer zum Metzger und der zweite zur Brauerei. Und wer nichts selber zu tun hatte, packte auch spontan an, wo was zu tun war. Was macht diese Zusammenarbeit so phantastisch? Eine wichtige Bedingung ist die Gemeinsamkeit des Ziels „Fassanstich“: eines Ziels, das im Miteinander zu erreichen jedem von uns mehr nützt, als wenn er seinen Vorteil auf Kosten der anderen sucht und sich im Gegeneinander verstrickt. Wer wünscht sich solch eine Zusammenarbeit nicht auch im Projekt? 5 METHODISCHE GESTALTUNG DER PROJEKTKULTUR 5.1 Analyse Erst als Ergebnis die Ist-Kulturmatrix nach Abb. 4. Dann die Erläuterungen. Wie kam dieses Ergebnis zustande? 1. Analyseschritt Ziel dieses Schritts ist das Erkennen der maßgeblichen Subgemeinschaften. Ergebnis: unser Chef, die Mitarbeiter und unser Vorgänger. Jeder Subgemeinschaft oder Partei ordnen wir eine eigene Subkultur zu und dafür in der Ist-Kulturmatrix eine eigene Spalte. Wie erkennen wir die Subgemeinschaften? Wir beobachten Verhaltensweisen ➀ und Äußerungen über die Identitäten ➁ . Insbesondere: Wer grenzt sich gegen wen ab, wer fürchtet sich vor wem und worin? 2. Analyseschritt Ziel dieses Schritts ist das Erkennen der wichtigen Zwecke ➂ dieser Subgemeinschaften. Denn diese Zwecke sind den Subgemeinschaften wichtiger als alles andere in der Arbeit. Konkurrenz der Zwecke erzwingt Misstrauen und Gegeneinander, Kooperation der Zwecke ist Voraussetzung für Vertrauen und Miteinander, wie beim Grillfest. (Würde jeder über seine Zwecke offen und ehrlich berichten, könnten wir uns Kulturmatrix, Wertekaskade und sehr viel Mühe und Zeit sparen. Leider verbergen viele ihre Zwecke. Mit der Wertekaskade werfen wir einen Blick hinter diese Masken. Anhand der Zusammenhänge zwischen Zwecken, Identität, Regeln und Verhalten setzen wir Einzelbeobachtungen zusammen zu einem Gesamtbild, das Auskunft gibt über die maskierten Zwecke.) In unserem Fallbeispiel konkurrieren die Zwecke von Herrn Graf „termin- und kostengerechter Abschluss“ mit denen der Mitarbeiter „nicht mehr Mühe als nötig“. Diese Konkurrenz erzwingt Gegeneinander und Minderleistung. Was hätte unser Vorgänger tun können? Schlägt er sich auf die Seite seines Chefs, gerät er selbst in Konkurrenz zu seinen Mitarbeitern, also Minderleistung: unbrauchbar. Schlägt er sich auf die Seite seiner Mitarbeiter? Dann könnte er deren Vertrauen und Miteinander schon gewinnen, bis sein Chef ihn ablöst: auch unbrauchbar. Ganz egal, was er macht, er erntet Minderleistung. Diese Falle kann jeden scheitern lassen. Eine hinreichende Problemursache ist gefunden. 5.2 Entwurf der Sollkultur Unser Projektergebnis soll überdurchschnittlich sein. Also brauchen wir eine Konstellation der Zwecke aller Subgemeinschaften, in der die kooperativen Zwecke klar überwiegen. Der direkte Ansatz, die Änderung der Zwecke einer Subgemeinschaft, ist leider untauglich. Denn wer die Zwecke einer Person antastet, den lehnt diese wahrscheinlich als Angreifer ab. Besser ist das Mittel „gemeinsames höchstes Ziel“ (ghZ), eine Koopera- P M - V E R F A H R E N / K O N Z E P T E P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 18 tion auf Zeit. Mit dem ghZ zeigen wir jeder Subgemeinschaft, wie sie ihre Zwecke mit weniger Mühe erreicht, indem sie zunächst mit ihren Konkurrenten kooperiert. Das funktionierte sogar unter Gegnern wie USA und UdSSR in ihrer Allianz gegen Hitler-Deutschland. Vorschlag: „So ein guter Projektabschluss, dass wir alle nachher heiß begehrt sind“ (Abb. 5). Wir sprechen damit den Zweck der Mitarbeiter „Sicherheit des Arbeitsplatzes“ an: Wir betrachten die Mitarbeiter nicht als Mittel für betriebliche Ziele, sondern das gemeinsame Ziel als Mittel für die persönlichen Zwecke aller. Vorteile: ● Unsere Mitarbeiter arbeiten letztlich für ihre persönlichen Zwecke. Da arbeiten sie ungehemmter: also mehr Leistung und mehr Spaß. ● Weil wir die Zwecke unserer Mitarbeiter unterstützen, kommt Vertrauen auf. Wir führen unsere Mitarbeiter leichter und effizienter. ● Die enthemmte Leistung unserer Mitarbeiter freut auch unseren Chef. Gegenprobe: Angenommen, wir seien diese Mitarbeiter oder Herr Graf. Wäre uns solch ein Projektleiter nicht lieber als ein anderer? Das ghZ funktioniert aber nur, wenn es über uns heißt: „Bei dem gibt’s keine Extratouren, da arbeiten alle für die gemeinsame Sache.“ Denn darf sich einer ungestraft Extratouren erlauben auf Kosten der anderen, schürt er Misstrauen und das mindert die Produktivität. Wir unterbinden solche Extratouren also. Nun zur Sollkultur nach Abb. 6. Der ausschlaggebende Unterschied zur Istkultur ist das eingefügte ghZ. So stark es ist, dominiert es nun Identität, Regeln und Verhaltensweisen. Das Prinzip des ghZ finden wir im Fassanstich unseres Grillfestes und im Wiederaufbau nach dem Weltkrieg, als der Ruf „Die Schlote müssen wieder rauchen“ Unternehmer und Arbeiter einte. 5.3 Umsetzung Änderung der Kultur bedeutet Än- Kultur: Anlagenprojekt Subkultur: Unser Chef, Herr Graf Unsere Mitarbeiter Unser Vorgänger Konk. Karriere, gute Ergebnisse, „termin- und kostengerechter Abschluss“ (obwohl unrealistisch) Zukunft des Arbeitsplatzes (stark), hohes Einkommen, nicht mehr Mühe als nötig, um den Job zu behalten Karriere, gute Ergebnisse, Anerkennung ➂ Zwecke/ Ziele Koop. Zukunft der Firma (schwach) ➁ Identität Konk. „Ich gegen alle anderen“ „Die da oben, wir hier unten“ (stark) „Ich mit allen anderen“ Koop. Regeln Konk. Koop. Konk. Vorwürfe gegen den Vorgänger. Äußert Ärger über die unrealistischen Abschlüsse des Vertriebs und die mangelnde soziale Kompetenz der Mitarbeiter Beklagen, Herr Graf müsse unrealistische Ziele erfüllen und sie müssten schuften. Zähe Zusammenarbeit, Unzuverlä ssigkeit, teilweise Dienst nach Vorschrift Suchte Konsens und Frieden und ein freundliches Arbeitsklima herzustellen. War stolz auf seine Funktion als Projektleiter ➀ Verhalten Koop. Kaum Ergebnis Minderleistung, Verfehlen von Termin- und Kostenzielen Abb. 4: Ist-Kulturmatrix (leere Felder hier unwichtig und übersprungen) 19 derung von Überzeugungen. Aber davor sind drei große Hürden. Erste Hürde: die Dominanzen der Schichten der Wertekaskade aufeinander. Ihretwegen verschwendet Mittel, Zeit und Nerven, wer Verhaltensweisen gegen Regeln ändern will, Regeln gegen Identität oder Identität gegen Zwecke (Abb. 7). Andersherum geht es viel leichter: Haben wir uns geeinigt über unsere Zwecke, die uns allen wichtiger sind als alles andere in der Arbeit, einigen wir uns über die weniger wichtigen Fragen viel leichter. Zweite Hürde: Wegen der Nichtbelegbarkeit der Überzeugungen sind Wortgefechte um sie so sinnlos wie Streit um Geschmack. Die dritte Hürde: In einer intakten Kultur finden wir nicht nur gefällige Überzeugungen, sondern auch viel Lebertran. Das sind die Tugenden wie Pünktlichkeit zu Besprechungsbeginn. Das sind persönliche Investitionen in die Gemeinschaft, die sich nicht sofort auszahlen, sondern erst viel später, und dann auch für alle Lasterhaften. Deshalb ist man zu diesen Investitionen nur bereit, wenn es auch jeder andere tut. Die zweite und die dritte Hürde überwinden wir mit der Methode Vorbild: Wir als Führungskraft machen vor, wie jeder Mühen sparen kann auf seinem Weg Abb. 5: Das gemeinsame höchste Ziel - fast ein Garant guter Zusammenarbeit Kultur: Projekt Subkultur: Unser Chef, Herr Graf Unsere Mitarbeiter Wir Konk. Karriere, gute Ergebnisse. Konkret: „Kosten- und Terminüberschreitungen wieder hereinholen“ Zukunft des Arbeitsplatzes (stark), hohes Einkommen, nicht mehr Mühe als nötig Karriere, gute Ergebnisse. Eines Tages vielleicht Steuerflüchtling auf eigener Yacht in Monte Carlo Zwecke/ Ziele Koop. Zukunft der Firma (schwach) „So ein guter Projektabschluss, dass wir alle danach heiß begehrt sind“ (ghZ) Identität Konk. „Ich gegen alle anderen“ „Die da oben, wir hier unten“ (stark) „Ich mit allen anderen“ Koop. „Wir vom Projekt“ (stärker) Regeln Konk. Koop. „Gut ist, was dem ghZ nützt.“ „Keine Extratouren“ Konk. Verhalten Koop. Größeres Vertrauen in das Projektteam Ergebnis Weit bessere Zusammenarbeit, besseres Ergebnis als erwartet Flottere Zusammenarbeit, Konflikte werden konstruktiv gelöst, Tabus werden angegangen Besser als zuvor Abb. 6: Soll-Kulturmatrix P M - V E R F A H R E N / K O N Z E P T E P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 20 zu seinen Zwecken, indem er sein Verhalten nach unserer Überzeugung richtet. Wir ermuntern die Zaghaften. Und Widerspenstige entfernen wir aus dem Team, bevor sie als schlechtes Beispiel wirken. Nun die Anleitung. Zwei Grunds ätze vorweg: ● Erst schweigen, dann handeln, nach Erfolg vielleicht reden. Denn wo viel gelogen wird, weckt zu frühes Reden Fragen nach den „wahren Absichten“. 1. Ziel Wie, Wer Alle haben unseren ernsthaften Einsatz für das Projekt erlebt und wie dieser ihren persönlichen Zwecken dient. Konsequenz: Wir tun das und nur das, was dem ghZ eher dient. Denn jede Inkonsequenz schürt Zweifel an unseren Absichten. Natürlichkeit: Wir lassen unsere fernen persönlichen Zwecke durchblicken. Denn die unterstellen uns die Mitarbeiter sowieso. Wer sie verheimlicht, schürt Zweifel. 2. Mitarbeiter arbeiten für das ghZ als Mittel für ihre persönlichen Zwecke. Nachdem unser Schwitzen für die gemeinsame Sache erkannt wurde, erklären wir beiläufig die Wirkung des ghZ. Ist unsere Erklärung angekommen, fordern wir Mitarbeit allein für das ghZ und für nichts anderes. 3. Alle Entscheidungen im Projekt fallen zu Gunsten des ghZ. Eine Folge unserer Konsequenz - und der Einsicht der Mitarbeiter in den Nutzen des ghZ für sie. In Zweifelsfällen begründen wir, wie unsere Entscheidung dem ghZ dient. 4. Die wichtigsten Regeln der Zusammenarbeit werden geteilt. Erst wenden wir die Regeln selber konsquent an. Dann erläutern wir unseren Mitarbeitern, wie die Einhaltung dieser Regeln jedem nützt. Dann sind wir glaubhafter. Dann fordern wir die Einhaltung der Regeln, fördern die Zaghaften - und bestrafen die Widerspenstigen. ● Nur tun, was wir mit unserer Aufgabe begründen können. Denn zu viele Prinzipienreiter sind des Tüchtigen Karriereknick. Welcher gute Projektleiter hätte je wesentlich anders gehandelt? Wer sich unser Vertrauen erarbeitet, der erspart uns mehr Mühen als ein anderer, dessen Überzeugungen übernehmen wir leichter. Dann entscheidet und handelt der eine in unserem Team etwa so wie der andere an seiner Stelle. Und schon hat dieser Projektleiter eine intakte Projektkultur geschaffen - und zwar nebenbei. Wir brauchen dazu gar keine Methode, aber mehr Schweiß und Tugenden, als wir von unseren Mitarbeitern verlangen. Und die Erlaubnis, so zu handeln. 5.4 Ergebnis Herr Graf wird staunen, wie gut unser Projekt vorankommt. Sein illusionäres Ziel können wir wohl nicht erreichen. Aber unser Ruf wird besser sein. 6 AUSBLICK Dies war ein banales Fallbeispiel zum Kennenlernen. Die größeren Risiken finden wir in der äußeren Projektkultur, beispielsweise in einer verborgenen Uneinigkeit in der Organisation unseres Kunden. Jetzt brauchen wir überzeugende Indizienketten, die aus Verhalten, Regeln und Identitäten auf verborgene Zwecke schließen. Die gewinnen wir mit Wertekaskade und Kulturmatrix. Ein weiteres Anwendungsfeld der Wertekaskade und ihrer Methoden ist das Aufdecken systematischer Projektrisiken in den Prozessen unserer Firma. In wie vielen Firmen erschweren Kulturdefekte die Zusammenarbeit zwischen Vertrieb und Projektabteilung? Lösen wir die, steigern wir die Produktivität. So ergänzt die Wertekaskade den „Produktstruktur-“ und „Projektablaufplan“, um nun auch die weichen Faktoren besser in den Griff zu bekommen. Abb. 7: (Un)zweckmäßige Änderungsreihenfolge Abb. 8: Anleitung zur Umsetzung 21 DAS SYSTEM KULTUR Der Soziologe Edgar Schein versteht unter Unternehmenskultur: „Ein Muster gemeinsamer Grundprämissen, das die Gruppe bei der Bewältigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt; und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit diesen Problemen weitergegeben wird.“ [3] Wer meint, Kultur sei nur ein Muster, dem könnte es gehen wie dem Laien im Cockpit, der viel Höhe gewinnen will und am Höhenruder zieht. Erst zeigt der Höhenmesser Höhengewinn. Aber dann wundert sich der Laie, wieso die Geschwindigkeit sinkt, obwohl niemand den Gashebel berührt hat. Und dann stürzt der Laie ab. Die Ursache des Absturzes ist wohl jedem Vielflieger klar - die Größen wie Vortrieb, Geschwindigkeit, Abtrieb, Auftrieb, Höhenruder sind nicht unabhängig voneinander (Abb. 9), sondern ein Wechselspiel verkoppelt sie alle miteinander. Daher erzeugt der Zug am Höhenruder neben der gewünschten Wirkung auch Nebenwirkungen wie Minderung von Geschwindigkeit und Auftrieb. Motorflug ist eben kein Muster von Größen, sondern das Wechselspiel zwischen den Größen macht ihn zum System. Vögel und gute Piloten fliegen elegant, weil sie dies Wechselspiel „im Gefühl“ haben. Wer das Fliegen begreifen will, lernt die Gesetze der Aerodynamik. Zu allen Zeiten gab es gute Projektleiter, die eine intakte Projektkultur „nach Gefühl“ geschaffen haben. Um diese Kunst zu begreifen, tun wir einen Schritt wie den vom Vogelflug zur Aerodynamik. Die Grundlagen Von Robert B. Dilts [2] haben wir die Idee, wie sich Kultur als System verstehen ließe. Er hatte innere Konflikte eines Klienten gedeutet als Folgen einer falschen Rangordnung dessen innerer Werte. Beispiel: Herr Müller, fanatischer BMW-Fahrer, hat einen Ferrari geschenkt bekommen. Nun fährt er ihn nur nachts, wo ihn keiner erkennt. Seine Identität „Ich bin BMW- Fahrer“ blockiert das Verhalten „Ferrari sichtbar fahren“. Seine Identität dominiert sein Verhalten. Diese Rangordnung modellierte Dilts als „Modell der logischen Ebenen“. Ähnliche Zusammenhänge bestehen im Projektteam zwischen seinen Überzeugungen und seinem Verhalten; ebenso in allen Gemeinschaften beliebiger Größe, vom Ehepaar bis zum Staatenbund. In großen Gemeinschaften sind aber viele Subgemeinschaften zu finden, beispielsweise Entwickler und Vertriebsleute. Beide haben eigene typische Überzeugungen, nach denen sie ihr Verhalten richten. Sie haben eine eigene Subkultur. Mal grenzen sie sich voneinander ab, mal stehen sie zusammen. Zwischen den Subgemeinschaften geschieht also auch etwas. Die Wertekaskade ist die Erweiterung von Dilts’ Modell. Sie eignet sich auch für zerstrittene Gemeinschaften. Der Schritt von Dilts’ Modell zur Wertekaskade ist, wie wenn man statt eines Baumes nicht nur viele Bäume sieht, sondern ein „Ökosystem Wald“. Definition: Kultur (= Wertesystem) einer Gemeinschaft heiße das System der Überzeugungen, nach denen die Angehörigen ihr Verhalten richten oder über die sie uneins sind. Definition: Überzeugung heiße eine Information, nach der eine Person ihr Handeln richtet, ohne deren Richtigkeit dem Zuhörer belegen zu können. Belegbare Informationen nennen wir hier Wissen. Ob Wissen oder Überzeugung, das entscheidet jeder Zuhörer für sich. Zu den Überzeugungen z ählen wir auch Glauben, Werte, Ahnungen, Neigungen und Geschmack. Definition: Intakt nennen wir eine Kultur, wenn die Gemeinsamkeit der Überzeugungen so groß ist, dass man alle Differenzen gemeinsam lösen kann. Das Wechselspiel in der Kultur einer Gemeinschaft lä sst sich leichter begreifen, teilen wir es auf in ein vertikales und in ein horizontales. Das vertikale Wechselspiel Dies verdeutlichen die Wertekaskade nach Abb. 10 und die Wertekaskadenregel: Zweck dominiert Identität, Identität dominiert Regeln, Regeln dominieren Verhaltensweisen, der Markt (oder das Umfeld) belohnt bestimmte Verhaltensweisen und bestraft andere. Erläuterungen: Zweck heiße, wofür sich eine Person letztlich einsetzt. Zu den Zwecken z ählen Wohlgefühl, Familie, Zukunft, Gehalt, Sicherheit des Arbeitsplatzes. Unsere persönlichen Zwecke sind uns wichtiger als alles andere in der Arbeit. Wir akzeptieren aber nur die Regeln, die Abb. 9: Das System „Flugzeug in der Luft“ P M - V E R F A H R E N / K O N Z E P T E P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 22 zu unserer Identität passen. Wir richten unser Verhalten nach unseren Regeln. Für die Zusammenarbeit wichtige Sätze der Wertekaskade: ● Personen meiden Mühen, die ihren Zwecken nicht nützen. ● Spitzenleistungen bringen wir daher nur für unsere eigenen Zwecke. Für die Zwecke anderer setzen wir uns nur halbherzig ein, soweit wir sie als Mittel benutzen können für unsere eigenen Zwecke. Das horizontale Wechselspiel Wechselwirkung der Kulturen: Konkurrenz der Zwecke erzwingt Misstrauen, Gegeneinander und gemeinsame Minderleistung.Dann lehnen die einen die Überzeugungen der anderen eher ab. Gegenseitige Förderung der Zwecke dagegenistVoraussetzung für Vertrauen, Miteinander und überdurchschnittliche gemeinsame Leistung. Dann übernehmen die einen eher die Überzeugungen der anderen. Denn wer seinen Konkurrenten fördert oder ihm zu leicht glaubt, schadet sich selbst. Wo sich die Zwecke aber fördern, spart jeder Mühe durch Kooperation. Methoden Zur Gestaltung einer Kultur sind zahlreiche Methoden verfügbar: ● die Rahmenanleitung, der Zyklus methodischer Kulturgestaltung (Abb. 1), ● Kulturanalyse: Kulturmatrix, Ermitteln bewusster Überzeugungen, Ermitteln unbewusster Überzeugungen, Erkennen verdeckter Primärdefekte, ● Kulturentwurf: zielorientierter Entwurf Soll-Kultur, ● Planung: Zielformulierung, Reihenfolge der Schritte, Wahl der Werkzeuge und Erfolgskontrolle, ● Werkzeuge: Gemeinschaften ansprechen, Xerxes (verfeindete Gemeinschaften einen), Gemeinschaft formen mit dem ghZ, Gemeinschaft formen durch Abgrenzung, Gemeinschaft intensivieren mit der Sternstunde, Überzeugungen prägen durch Erfahrung, Vorbild, Umdeuten von Überzeugungen, Überzeugungen in Wissen umwandeln (Aufklärung), Überzeugungen aus Wissen ableiten (Routine), Konfliktlösestrategie „Herkules“, Konflikte lösen durch Aufklärung, Timeline (Zukunftsplanung für Gemeinschaften). Literatur [1] Peters, Thomas J.: Auf der Suche nach Spitzenleistungen. Moderne Industrie, Landsberg/ Lech 1988 [2] Dilts, R. B.: Identität, Glaubenssysteme und Gesundheit. Junfermann, Paderborn 1991 [3] Schein, Edgar: Unternehmenskultur - Ein Handbuch für Führungskrä fte. Campus, Frankfurt 1995 [4] Horn, Wolfgang: Ist Charisma erlernbar? In: Gabler’s Magazin 10/ 97 Autor Dipl.-Ing. Wolfgang Horn, „hemds ä rmeliger“ Projektleiter seit 1984 für ein weltweit tätiges Unternehmen der Mess- und Funktechnik. Projektsanierer. Als Leiter der Akademie für natürliche Führung zeigt er Führungskrä ften, wie sie höhere Ziele erreichen mit den allen Menschen angeborenen Führungsfä higkeiten. Anschrift Akademie für natürliche Führung Ampfingstr. 44 D -81671 München Tel.: 0 89/ 4 36 17 37 Fax: 0 89/ 4 36 35 18 E -Mail: Wolfgang_Horn@aknf.de Internet: http: / / www.aknf.de Abb. 10: Die Wertekaskade - so beeinflussen die Werte der Kultur das Ergebnis ■ 23 Zusammenfassung Die Durchführung eines professionellen Projektstarts stellt einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung der Projektmanagement- Qualität in Projekten dar. Im Projektstart-Prozess werden die Grundlagen für die folgenden Projektmanagement-Teilprozesse geschaffen. Voraussetzung für einen professionellen Projektstart ist die Definition der Ziele, des Ablaufs und der Methoden zur Gestaltung des Projektstart-Prozesses. Abstract By performing a professional project start an important contribution to ensure project management qualit y in projects can be made. In the project start process the basics for the following project management subprocesses are developed. For a professional project start the definition of its objectives, its functions and methods is required. Schlagwörter Projektmanagement-Prozess, Projektstart, Projektstart-Workshop, Standardprojektpl ä ne 1 DER PROJEKTMANAGEMENT- PROZESS Projektmanagement ist ein Managementprozess Projektorientierter Unternehmen. Der Projektmanagement-Prozess dient zur Steuerung von inhaltlichen Prozessen, deren Durchführung zur Realisierung der Projektziele notwendig ist. Inhaltliche Prozesse z. B. eines Anlagenbau-Auftragsprojekts sind die Planung der Anlage, das Beschaffen der Anlagenkomponenten, die Logistik etc., inhaltliche Prozesse eines Event-Organisationsprojekts sind die Planung, die Vorbereitung, die Durchführung und die Nachbereitung des Events. Der Projektmanagement-Prozess beinhaltet die Teilprozesse nach Abb. 1. Der Projektmanagement-Prozess beginnt mit dem Projektauftrag des Projektauftraggebers an das Projektteam. Der Projektmanagement-Prozess endet mit der Abnahme der Projektergebnisse durch den Projektauftraggeber. Der Projektstart, das Projektcontrolling, die Bewältigung einer Projektdiskontinuität und der Projektabschluss stellen Situationen im Projekt dar, die einer spezifischen Managementaufmerksamkeit bedürfen. Systemisch betrachtet ist es Ziel des Projektstarts, das Projekt als soziales System zu etablieren, Ziel des Projektcontrollings, die Evolution des Projekts zu fördern, Ziel der Bewältigung einer Projektdiskontinuität, die Projektidentität zu ändern, und Ziel des Projektabschlusses, das Projekt als soziales System aufzulösen. Die Erfüllung des Projektkoordinations-Prozesses erfolgt laufend, die Durchführung der sonstigen Projektmanagement-Teilprozesse erfolgt „energetisch“ und jeweils zeitlich befristet. Per Definition werden der Projektstart- und der Projektabschlusspro- Der professionelle Projektstart R O L A N D G A R E I S P M - V E R F A H R E N / K O N Z E P T E Projektauftrag Projektstart Projektcontrolling Management einer Projektdiskontinuität Projektabschluss Projektabnahme Laufende Projektkoordination Abb. 1: Der Projektmanagement-Prozess P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 24 zess jeweils einmal durchgeführt. Der Projektcontrolling-Prozess ist mehrmals in einem Projekt zu durchlaufen und findet periodisch und/ oder zu Projektmeilensteinen statt. Die Notwendigkeit der Bewältigung einer Projektdiskontinuität, d. h. einer Projektkrisenbewältigung, einer Projektchancennutzung oder der Durchführung eines Projektphasenübergangs, ist von der jeweiligen Projektsituation abhängig. Der Vorteil der Betrachtung des Projektmanagement-Prozesses als Ganzes - und nicht nur der einzelnen Teilprozesse - liegt einerseits in der Sicherung der Durchgängigkeit des zur Anwendung gelangenden Projektmanagement-Ansatzes und andererseits in der Berücksichtigung der Zusammenhänge zwischen den Projektmanagement-Teilprozessen (siehe Abb. 2). Der Projektstart ist der wichtigste PM-Teilprozess, da während des Projektstarts die Grundlagen für die folgenden PM-Teilprozesse, wie z. B. die Projektpläne, die Projektorganisationsstrukturen, die Beziehungen zu relevanten Projektumwelten, geschaffen werden. 2 DER ORGANISATIONSORIENTIERTE PROJEKTMANAGEMENT-ANSATZ Unterschiedliche Wahrnehmungen von Projekten führen zu unterschiedlichen Projektmanagement- Ans ätzen. Die traditionelle Wahrnehmung von Projekten als zieldeterminierte Aufgaben resultiert in einen planungsorientierten Projektmanagement-Ansatz, der durch die Betrachtungsobjekte Projektleistungen, Projekttermine und Projektkosten sowie den Einsatz von Projektmanagement- Methoden zur Planung und Kontrolle dieser Betrachtungsobjekte charakterisiert ist. Hier wird ein Projekt als temporäre Organisation zur Durchführung eines relativ einmaligen Prozesses mittlerer oder hoher Komplexität mit kurzbis mittelfristiger Dauer definiert. In Projektorientierten Unternehmen werden zus ätzlich zu permanenten Organisationen, wie z. B. Profit-Center, Expertenpool und PM- Office, temporäre Organisationen, nämlich Projekte und Programme, zur Erfüllung der Geschäftsprozesse eingesetzt. Geschäftsprozesse können nach der Komplexität, dem Wiederholungsgrad und der Dauer unterschieden werden. Aufgrund dieser unterschiedlichen Merkmale benötigen unterschiedliche Prozesse unterschiedliche Organisationen für deren Erfüllung (siehe Abb. 3). Die Wahrnehmung von Projekten als temporäre Organisationen resultiert in einen organisationsorientierten Projektmanagement-Ansatz, der charakterisiert ist durch die Anwendung von Methoden und Modellen der Organisationstheorie und der sozialen Systemtheorie. Der sozialen Systemtheorie von Niklas Luhmann folgend können Organisationen, und daher auch Projekte, als soziale Systeme wahrgenommen werden. Die sich daraus ergebende prozessorientierte Strukturierung von Projekten, das Empowerment von Projekten und von Projektteammitgliedern, die Entwicklung projektspezifischer Kulturen und die explizite Gestaltung der Projekt-Umwelt-Be- Monat 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 Konstruktion Einkauf Fertigung Logistik Bau Montage Schulung Projektmanagement Arbeitspaket Abb. 2: Die Projektmanagement-Teilprozesse im Zeitablauf ➔ ➔ ➔ Prozess-Charakteristika ein Prozess geringer Komplexität wiederholte Durchführung kurz- und mittelfristig ein Prozess mittlerer oder hoher Komplexität kurz- und mittelfristig ein Prozess hoher Komplexität einmalige Durchführung mittel- und langfristig einmalige Durchführung Organisationseinheit(en) der Stammorganisation Projekt Programm Organisation Abb. 3: Prozesse und Organisationen 25 ziehungen, schafft zus ätzliche Potenziale zum Management der Komplexität und Dynamik in Projekten und sichert eine entsprechende Projektmanagement-Qualität. Ein Projekt stellt eine relativ autonome Organisation auf Zeit dar. Durch den temporären Charakter erlangen die Etablierung des Projekts beim Projektstart sowie dessen formale Auflösung beim Projektabschluss besondere Bedeutung. 3 ZIELE DES PROJEKTSTART- PROZESSES 3.1 Ziele im Überblick Für den Projektstart ist eine entsprechende Managementaufmerksamkeit zu sichern. Aufgrund des Zeitdrucks von Projekten ist die Versuchung, sofort nach Erhalt eines Projektauftrags mit der inhaltlichen Projektarbeit zu beginnen, ohne einen entsprechenden Projektstart-Prozess durchgeführt zu haben, sehr groß. Aus dieser mangelnden Bereitschaft, die Projektplanung und das Design der Projektorganisation gemeinsam im Projektteam durchzuführen, resultieren aber oft ● unrealistische Projektziele, ● unklare Rollendefinitionen, ● fehlende organisatorische Regeln, ● inadäquate und unverbindliche Projektpläne und ● fehlende Vereinbarungen bezüglich der Gestaltung von Projekt- Umwelt-Beziehungen. Folgende Ziele sind daher im Projektstart-Prozess zu verfolgen: ● Informationstransfer aus der Vorprojektphase in das Projekt, ● Definition von Erwartungen an die Nachprojektphase, ● Entwicklung adäquater Projektpläne zum Management der Projektziele, -leistungen, -termine, -ressourcen und -kosten, ● Design der Projektorganisation, adäquate Integration des Projekts in die Stammorganisationen, ● Entwicklung der Projektkultur, ● Etablierung von Kommunikationsbeziehungen zwischen dem Projekt und anderen Projekten und relevanten Projektumwelten, erstes Projektmarketing, ● Definition der Strukturen für die folgenden Projektmanagement- Teilprozesse und ● Vermittlung des „Big Project Picture“ an alle Mitglieder der Projektorganisation. 3.2 Ziele im Einzelnen 3.2.1 Informationstransfer Vor-/ Nachprojektphase Die Vor- und die Nachprojektphase beeinflussen die Projektstrukturen. Durch die Definition des Projektstart- und des Projektendereignisses entstehen die Vorprojekt- und die Nachprojektphase als Projektkontext. Projekte haben meist eine lange Vorgeschichte. Informationen über die Gründe, die zu einem Projekt geführt haben, und über Entscheidungen, die vor dem formalen Projektstart getroffen wurden, sind relevant für das Verständnis der Bedeutung des Projekts und für die Entwicklung adäquater Projektstrukturen. Aber auch Erwartungen bezüglich Handlungen und Entscheidungen in der Nachprojektphase beeinflussen sowohl den zu erfüllenden Leistungsumfang als auch die Strategien zur Gestaltung der Projekt-Umwelt-Beziehungen. 3.2.2 Projektplanung Der Multi-Methoden-Einsatz unterstützt das Management von Projektkomplexität. Entsprechend Ashby’s Law der „Requisite variety“ ist eine entspre chende Komplexität eines sozialen Systems die Voraussetzung, um mit der (unendlich) komplexen Umwelt des Systems umgehen zu können. Durch den gleichzeitigen Einsatz unterschiedlicher Projektmanagement-Methoden, wie z. B. Projektstrukturplan, unterschiedliche Projektterminplanungsmethoden, Projektkostenplan, Projekt- Umwelt-Analyse und Projektorganigramm, kann eine adäquate Komplexität aufgebaut werden. Dieser Multi-Methoden-Einsatz ermöglicht weiterhin die Herstellung einer entsprechenden Projektmanagement- Qualität, indem die Ergebnisse der einzelnen Planungen miteinander in Beziehung gebracht werden. So kann z. B. der Projektstrukturplan aufgrund von Erkenntnissen aus der Terminplanung noch weiterentwickelt werden. Die diversen Projektmanagement- Methoden sind zentrale Instrumente zur Strukturierung der Kommunikation im Projektstartprozess. 3.2.3 Projektorganisation Jedes Projekt benötigt ein spezifisches organisatorisches Design. Die Wahrnehmung von Projekten als temporäre Organisationen fördert das Bewusstsein, dass jedes Projekt ein Recht auf ein spezifisches organisatorisches Design hat. Erst durch die Gestaltung der jeweils adäquaten Projektorganisation können Wettbewerbsvorteile für das Projektorientierte Unternehmen geschaffen werden. P M - V E R F A H R E N / K O N Z E P T E P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 26 Das organisatorische Design von Projekten geht über den Einsatz eines/ r Projektmanagers/ in und die Definition dessen/ deren Verantwortungen hinaus. Zus ätzliche projektspezifische Rollen sind zu definieren, vor allem jene des Projektauftraggebers, projektspezifische Kommunikationsstrukturen sind zu vereinbaren und projektspezifische Organisationsregeln sind festzulegen. Wichtige Kommunikationsstrukturen in Projekten sind Workshops (z. B. Projektstart-Workshop), Teamsitzungen (z. B. Projektteamsitzungen, Projektauftraggebersitzungen, Subteamsitzungen) und Einzelgespräche zwischen dem/ der Projektmanager/ in und einzelnen Projektteammitgliedern. 3.2.4 Projektkultur Jedes Projekt hat eine Projektkultur. Die Entwicklung einer spezifischen Projektkultur ist eines der Ziele des Projektstart-Prozesses. Methoden zur Schaffung einer entsprechenden Projektidentität sind z. B. Projektname, Projektlogo, Projektwerte, Projektleitbild, Projektslogans und eine projektspezifische Sprache. Für die Entwicklung der Projektkultur ist soziale Kompetenz im Projekt, z. B. Kenntnisse und Erfahrungen im symbolischen Management, bedeutend. 3.2.5 Kommunikationsbeziehungen Der Projekterfolg ist von den Beziehungen zu den relevanten Umwelten abhängig. Die relevanten Umwelten stellen den sozialen Kontext eines Projekts dar. Diese relevanten Umwelten können in einer Projekt-Umwelt-Analyse konstruiert werden. „Relevant“ sind alle sozialen Umwelten (Organisationen, Gruppen, Personen), die einen Einfluss auf den Projekterfolg haben können. Es kann zwischen projektexternen Umwelten, wie z. B. Kunden, Lieferanten und Medien, und projektinternen Umwelten, wie z. B. Projektauftraggeber und Projektteam, unterschieden werden. Strategien und konkrete Maßnahmen zur Gestaltung der Projekt-Umwelt-Beziehungen sind zu vereinbaren. 3.2.6 Folgeprozesse Im Projektstart-Prozess werden die Grundlagen für die nachfolgenden Projektmanagement-Teilprozesse geschaffen. Einerseits stellen die im Projektstart-Prozess getroffenen Vereinbarungen, die entwickelten Projektpläne und die geschaffene Projektkultur die Grundlagen für die Durchführung der folgenden Projektmanagement-Teilprozesse dar. Andererseits sind im Projektstart-Prozess die Strukturen für die laufende Projektkoordination, das Projektcontrolling und den Projektabschluss zu definieren. Für jeden Projektmanagement-Teilprozess sind die Ergebnisse und die Kommunikationsstrukturen festzulegen. Für die unterschiedlichen Workshops und Sitzungen sind jeweils die Ziele, die Teilnehmer und die Termine zu planen. Ergebnisse des Projektcontrolling-Prozesses sind z. B. Projektfortschrittsberichte und adaptierte Projektpläne. 3.2.7 Vermittlung von Orientierung Das „Big Project Picture“ gibt allen Mitgliedern der Projektorganisation Orientierung. Durch die Mitarbeit der Projektteammitglieder im Projektstart-Prozess, das gemeinsame Vereinbaren von Zielen, von Strategien und von Verantwortungen im Projektteam und zwischen dem Projektteam und dem Projektauftraggeber sowie durch die Kommunikation der Ergebnisse des Projektstart-Prozesses mit Hilfe der entwickelten Projektmanagement-Dokumentation entsteht als Ergebnis des Projektstart- Prozesses das „Big Project Picture“. Dieses soll allen Mitgliedern der Projektorganisation Orientierung für die Projektarbeit, d. h. einerseits für die Erfüllung der Arbeitspakete und andererseits für das Verhalten gegenüber Vertretern relevanter Umwelten, geben. 4 ABLAUF DES PROJEKTSTART- PROZESSES Der Ablauf des Projektstart-Prozesses kann beschrieben werden, indem die Phasen und die zu erfüllenden Funktionen gelistet werden, die organisatorischen Zuständigkeiten zur Erfüllung dieser Funktionen definiert werden und die im Prozess einzusetzenden Methoden und die Ergebnisse des Prozesses dargestellt werden. Diese Darstellungen können in einem Funktionendiagramm vorgenommen werden. Sowohl der Projektstart-Prozess als auch die anderen Projektmanagement-Teilprozesse können in die Phasen Planung, Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung gegliedert werden. Zuständig für die Durchführung der einzelnen Funktionen können der Projektauftraggeber, der/ die Projektmanager/ in, das Projektteam oder einzelne Projektteammitglieder sein. Eventuell kann 27 auch ein Projektcoach hinzugezogen werden (siehe Abb. 4). 5 PLANUNG DES PROJEKTSTART- PROZESSES Folgende Elemente sind bei der Planung des Projektstart-Prozesses zu berücksichtigen: ● die Kommunikationsformen, ● der Einsatz von Standardprojektplänen, ● der Einsatz von IT- und Telekommunikations-Instrumenten, ● der Einsatz von Projektcoaches und ● der Einsatz von Checklisten. Es gibt keinen Projektstart ohne Projektstart-Workshop. Im Projektstart-Prozess können die Kommunikationsformen Einzelgespräche, Kick-off-Meeting und Projektstart-Workshop(s) kombiniert werden. Zur Sicherung der entsprechenden Projektmanagement-Qualität ist in jedem Fall ein Projektstart- Workshop durchzuführen (siehe Abb. 5). Das Ziel eines Einzelgesprächs des/ der Projektmanagers/ in mit einem Projektteammitglied ist es, Informationen über das Projekt und wechselseitige Erwartungen bezüglich der Zusammenarbeit auszutauschen. Diese grunds ätzliche Orientierung stellt eine gute Basis für die Teilnahmen bei den weiteren Kommunikationsformen dar. Das Ziel eines Kick-off-Meetings ist die Information des Projektteams über das Projekt durch den Projektauftraggeber und den/ die Projektmanager/ in. Es handelt sich dabei um eine „Einwegkommunikation“ im Umfang von 2 bis 3 Stunden mit wenig Möglichkeit zur Interaktion. Das Ziel eines Projektstart-Workshops ist es, gemeinsam im Projektteam das „Big Project Picture“ zu entwickeln. Durch die Interaktionen der Teammitglieder im Workshop wird ein wesentlicher Beitrag zur Projektkulturentwicklung geleistet. Ein Projektstart-Workshop dauert 1 bis 3 Tage und findet in moderierter Form meist außerhalb des täglichen Arbeitsplatzes, eventuell in einem Seminarhotel, statt. Ein typisches Design eines Projektstart-Workshops ist in Abb. 6 dargestellt. In Großprojekten können Kombinationen mehrerer Kick-offs und Projektstart-Workshops mit unterschiedlichen Zielgruppen an unterschiedlichen Standorten notwendig sein. Für repetitive Projekte können Standardprojektpläne eingesetzt werden. Zuständigkeit Vorgänge Projektauftraggeber Projektmanager/ in Projektteam Projektteammitglieder Projektcoach Externe Dokumente Planung Projektstart • Check: interner Projektauftrag u. Ergebnisse d. Vorprojektphase D • Auswahl der Startkommunikationsform D • Auswahl der Projektteammitglieder (und eines Projektcoach) D • Auswahl d. einzusetzenden PM-Methoden u. d. PM-Dokum.form D • Abstimmung mit Projektauftraggeber M D 1) Vorbereitung Startkommunikation • Beschaffung Projektcoach (eventuell) D (M) • Vorbereitung Startkommunikation I, II,... D (M) • Einladung Teilnehmer D 2) • Dokumentation der Ergebnisse der Vorprojektphase D M (M) M • Erstansätze für Projektplanung, -organisation, -marketing D M (M) M • Erstellung Info-Material für Startkommunikation D M (M) M 3) Durchführung Startkommunikation • Verteilung Info-Material an Teilnehmer D • Durchführung Startkommunikation I M D (M) M • Erstansatz PM-Doku „Projektstart" D (M) • Durchführung Startkommunikation II, ... M D (M) M Nachbereitung Startkommunikation • Fertigstellung PM-Doku „Projektstart" D (M) • Abstimmung mit Projektauftraggeber M D 4) • Projektmarketing: Erstinfo M D (M) M • Verteilung PM-Doku „Projektstart" D • Ablage PM-Doku „Projektstart" M D M Erste inhaltliche Arbeiten (parallel) D D Legende: D … Durchführung M … Mitarbeit I … Information Dokumente: 1) Liste einzusetzender Projektmanagement-Methoden 2) Einladung an Teilnmehmer zu Projektstart-Workshop 3) Info-Material für Projektstart-Workshop 4) Projektmanagement-Doku „Projektstart“ Abb. 4: Funktionendiagramm Proj Ressourcenbedarf ektmanagement- Qualität hoch hoch mittel mittel niedrig niedrig Projektworkshop Einzelgespräche Projektsitzung Abb. 5: Kommunikationsformen im Projektstart-Prozess P M - V E R F A H R E N / K O N Z E P T E P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 28 Wenn ein Projektorientiertes Unternehmen wiederholt eine Projektart durchführt (z. B. Auftragsprojekte eines IT-Unternehmens), können für diese Projektart Standardprojektpläne entwickelt werden. Diese Standardisierung stellt ein Instrument des organisatorischen Lernens bzw. des Wissensmanagements dar. Projektpläne, die standardisiert werden können, sind z. B. Projektstrukturpläne, Arbeitspaketspezifikationen, Objektstrukturpläne, Meilensteinlisten, Projektorganigramme und Projektfunktionendiagramme. Die Effizienz des Projektstart-Prozesses kann durch den adäquaten Einsatz von Standardprojektplänen wesentlich gesteigert werden. Die Standards sind denjeweiligen Projektbedingungen entsprechend zu adaptieren. Professionelles Projektmanagement setzt den Einsatz von IT- und Telekommunikations-Instrumenten voraus. Speziell in virtuellen Projektorganisationen mit Projektteammitgliedern, die in unterschiedlichen Standorten arbeiten, stellt die Planung der im Projekt einzusetzenden Software und Hardware eine Herausforderung im Projektstart-Prozess dar. Der Einsatz einer einheitlichen Projektmanagement- und Office-Software ist zu sichern, die entsprechende Hardware ist zur Verfügung zu stellen. Weiterhin ist über den Einsatz neuer Kommunikationstools, wie z. B. Videokonferenzen, zu entscheiden. Projektcoaching verbessert die Qualität des Projektmanagements. Projekte stellen neue Beratungsobjekte dar. Projektcoaching kann als die Projektmanagement-Beratung eines Projekts definiert werden. Aufgrund der sozialen Komplexität des Projektstart-Prozesses empfiehlt sich der Einsatz eines Projektcoaches bei Großprojekten. Die Entscheidung bezüglich des Einsatzes eines Projektcoaches sollte gemeinsam im Projektteam getroffen werden. Der „Projektcoach“ ist eine projektexterne Rolle, die entweder von einem Mitarbeiter des Projektorientierten Unternehmens oder einem externen Berater wahrgenommen werden kann. Der Einsatz von Checklisten steigert die Effizienz im Projektstart-Prozess. Für den Projektstart-Prozess können Checklisten, wie z. B. ● eine Checkliste zur Vorbereitung eines Projektstart-Workshops, ● eine Checkliste mit einzusetzenden Projektmanagement-Methoden, ● ein Standardinhaltsverzeichnis für die Projektmanagement-Dokumentation, Projektstart-Workshop: Design ● Einleitung ● Erwartung des Projektauftraggebers, des Projektteams, der Partner, der Lieferanten, der Berater etc. bezüglich des Projekts ● Information über den Projektauftrag und Ergebnisse der Vorprojektphase ● Klärung der Projektziele und der Betrachtungsobjekte ● Fertigstellung der Projektpläne und der Projektorganisation ● Präsentation der erzielten Ergebnisse vor dem Projektauftraggeber ● Planung der nächsten Schritte Abb. 6: Design eines Projektstart- Workshops Projektmanagement 1 Projektkoordination 1.1 TO-DO-Liste 2 Projektstart 2.1 Projektorganisation und -kultur 2.1.1 Projektauftrag 2.1.2 Projektkommunikationsstrukturen 2.1.3 Projektfunktionendiagramm 2.2 Projektkontext 2.2.1 Vorprojekt- und Nachprojektphase 2.2.2 Projektumweltengraphik 2.2.3 Projektumweltbeziehungen 2.2.4 Projektmarketing 2.3 Projektplanung 2.3.1 Projektziele 2.3.2 Projektstrukturplan 2.3.3 Projektmeilensteine 2.3.4 Projektbalkenplan 2.3.5 Projektkostenplan 2.3.6 Projektpersonaleinsatzplan 2.4 Projektrisikoanalyse 2.4.1 Projektrisikoanalyse 2.4.2 Projektszenarien 2.4.3 Alternative Projektpläne 3 Projektcontrolling 3.1 Projektfortschrittsberichte 3.2 Protokolle der Projektcontrollingsitzungen 4 Projektabschluss 4.1 Projektabschlussbericht Abb. 7: Standardinhaltsverzeichnis für die Projektmanagement-Dokumentation 29 verwendet werden. Ein Beispiel eines Standardinhaltsverzeichnisses für die Projektmanagement-Dokumentation ist in Abb. 7 dargestellt. 6 UNTERSCHIEDLICHE PROJEKTSTARTS FÜR UNTERSCHIED- LICHE PROJEKTARTEN Unterschiedliche Projektarten führen zu unterschiedlichen Anforderungen und Potenzialen für den Projektstart: ● Ein Konzeptions- und ein Realisierungsprojekt stellen eine Projekte-Kette dar. Im Konzeptionsprojekt werden bereits grobe Projektpläne für das eventuell folgende Realisierungsprojekt erstellt.Diese stellen eine wesentliche Grundlage für den Projektstart des Realisierungsprojekts dar. ● Für repetitive Projekte können Projektpläne standardisiert werden. Bei einmaligen Projekten sind hingegen neuartige Problemlösungen notwendig. Daher sind im Projektstart-Prozess spezifische Arbeitsformen und Kreativitätstechniken einzusetzen. ● In Projekten zur Abwicklung eines Auftrags für einen externen Kunden sind Vertreter des Kunden aktiv in den Projektstart-Prozess einzubeziehen. Diese können sowohl Mitglieder der Projektauftraggeber-Gruppe als auch Mitglieder des Projektteams werden. 7 DIE QUALITÄT DES PROJEKTSTARTS KANN GEMESSEN WERDEN Durch eine Evaluierung der Ergebnisse und der Dauer bzw. der Kosten des Projektstart-Prozesses kann die Qualität des Projektstart-Prozesses gemessen werden. Wie bereits erwähnt, stellen die aus der Anwendung der Projektmanagement-Methoden resultierenden Dokumente die Ergebnisse des Projektstart-Prozesses dar. Im Rahmen eines Benchmarkings der Projektstart-Praxis von 9 österreichischen Unternehmen im Jahr 1998 wurden deren Praktiken mit der „Best Theory“ der PROJEKTMA- NAGEMENT GROUP der Wirtschaftsuniversität Wien verglichen. Ein Beispiel der Auswertung des Benchmarkings ist in der Abb. 8 dargestellt. Die Frage lautete: „Welche Planungsdokumente für die Projektziele, den Projektumfang, die Projektplanung, die Projektressourcen und die Projektkosten sind Ergebnisse des Projektstart-Prozesses? “ ■ Literatur A shby, W. R.: An Introduction to Cybernetics. Chapman & Hall, London 1956 Egger, M.: Coaching von Projekten und Programmen. Dissertation. Wirtschaftsuniversität Wien, Wien 1998 Gareis, R.: Research Report: Benchmarking the PM-Process. Universit y of Economics and Business Administration, Wien 1998 Luhmann, N.: Social Systems. Stanford Universit y Press, Stanford 1995 Autor Univ.-Prof. Dkfm. Dr. Roland Gareis, Studium an der Hochschule für Welthandel in Wien. Habilitation an der Technischen Universität Wien am Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft. 1979-1981 Professor am Georgia Institute of Technology in Atlanta, Georgia. Gastprofessor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich (1982), an der Georgia State University of Technology in Georgia (1987) und an der University of Quebec in Montreal, Kanada (1991). Universitätsprofessor für Projektmanagement an der Wirtschaftsuniversität Wien. Leiter des Universitätslehrgangs Internationales Projektmanagement. Facult y Advisor of the European Programme for Project Executives. Vorstandsvorsitzender von PROJEK T M ANAGE - MENT AUSTRIA. Chairman of the PM Research Committee of the IPM A International Project Management A ssociation. Project Manager of the IPM A Research Project: POS-Benchmarking. Facilitator of the International PM Research Network. Gesch ä ftsführender Gesellschafter der RO - L AND GAREIS CONSULTING. Anschrift Wirtschaftsuniversität Wien Franz-Klein- Gasse 1 A-1190 Wien Tel.: ++43/ 1/ 42 77-29 401 Fax: ++43/ 1/ 368 75 10 E -Mail: pmg@wu-wien.ac.at P M - V E R F A H R E N / K O N Z E P T E Partner 1 Partner 2 Partner 3 Partner 4 Partner 5 Partner 6 Partner 7 Partner 8 Partner 9 Best Theory Liste der Betrachtungsobjekte Projektstrukturplan Arbeitspaketspezifikationen Meilensteinliste Projektterminplan Balkenplan Projektfunktionendiagramm Personalressourcenplan Projektfinanzplan Projektkostenplan Projekt-Kosten-Nutzen-Analyse immer manchmal selten oder nie Abb. 8: Auswertung eines Benchmarkings des Projektstart- Prozesses (Beispiel) P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 30 Projektmanagement in der Schweiz : Praxis und Ausbildung Repräsentative Untersuchung zum Stellenwert des Projektmanagements R U E D I N I E D E R E R , S T E P H A N I E G R E I W E , C H R I S T O P H M I N N I G , T H O M A S S C H W A R B Zusammenfassung Eine reprä sentative Studie des Institutes für interdisziplin ä re Wirtschafts- und Sozialforschung (IWS) der Fachhochschule Solothurn Nordwestschweiz hat die Forderungen und Anforderungen von deutschschweizerischen Betrieben an die Fachhochschulausbildung im Bereich Projektmanagement untersucht. Zudem wurde die Situation des Projektmanagements innerhalb der Betriebe analysiert. Die Untersuchung wurde von schweizerischen Fachhochschulen und von SwissPM (einer Institution der SPM Schweizerische Gesellschaft für Projektmanagement) in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden in diesem Artikel prä sentiert und interpretiert. Abstract A representative survey of the Institute of Interdisciplinary Economic and Social Studies (IWS) at the Universit y of Applied Sciences Northwestern Switzerland (UAS) analysed the requirements of Swiss- German companies regarding education and study programmes in the field of project management at the UAS. The situation of project management within the respective companies was a second focus of the study. Swiss Universities of Applied Sciences and SwissPM (an institution of the Swiss Societ y of Project Management) charged the IWS with this survey. This article outlines and interprets the results of the study. Schlagwörter Fachhochschulunterricht, Projektmanagement-Problemfelder, Projektmanagement- Ausbildung, Projektorientiertheit, Zufriedenheit I n der Schweiz wurden 1998 neben den universitären Hochschulen auch sieben Fachhochschulen eingerichtet. Die Fachhochschulen haben Leistungen in den vier Produktegruppen Ausbildung, Weiterbildung, Beratung und Forschung/ Entwicklung zu erbringen. Die Curricula der Fachhochschulen sind zur Zeit im Aufbau. Sie sind deshalb einem dynamischen Entwicklungsprozess unterworfen. Es stellt sich die Frage nach dem Stellenwert des Projektmanagements (im Folgenden PM abgekürzt) in der Aus- und Weiterbildung der Fachhochschulen. Diese Frage sollte nicht am grünen Tisch entschieden werden, sondern unter Einbezug der betroffenen Firmen und der Fachverbände geklärt werden. Aus diesem Anlass beauftragte eine Kerngruppe für das Projektmanagement der Fachhochschulen in Zusammenarbeit mit SwissPM - einer Institution der Schweizerischen Gesellschaft für Projektmanagement SPM - das Institut für interdisziplinäre Wirtschafts- und Sozialforschung IWS der Fachhochschule Solothurn Nordwestschweiz mit der Durchführung einer Studie. 1 HÖHERER STELLENWERT DES PROJEKTMANAGEMENTS IN DER FH-AUSBILDUNG Die Studie beinhaltet eine schriftliche Befragung von zufällig ausgewählten deutschschweizerischen Betrieben mit mindestens sechs Mitarbeitenden. Von den insgesamt 2.560 angeschriebenen Betrieben antworteten 842 Betriebe, was einer Nettorücklaufquote von 35 % entspricht. Die Forschungsfragen zielen auf die Ausbildung von Projektmanagement an den Fachhochschulen und auf die Situation des PM in der Praxis. Was den Stellenwert der Projektmanagement-Ausbildung an den Fachhochschulen (FH) betrifft, sind die Ergebnisse eindeutig. 77 % stimmen der These zu, dass Projektmanagement in der FH-Ausbildung als obligatorisches Fach unterrichtet werden muss, und über die Hälfte (56 %) wünschen einen eigenen Studiengang 31 Projektmanagement in der FH-Ausbildung. Die PM-Ausbildung darf nach Angaben der Betriebe allerdings nicht isoliert unterrichtet werden, sondern muss mit einem starken Praxisbezug wie beispielsweise Praktika vermittelt werden. So stimmen 90 % der These zu, dass die PM-Ausbildung mit dem Einsatz in der Wirtschaft kombiniert werden muss. 87 % der antwortenden Betriebe sind davon überzeugt, dass Kompetenz im PM die Arbeitsmarktchancen der Absolventinnen und Absolventen wesentlich erhöht. 2 WESENTLICHE UNTERRICHTSINHALTE Neben der Untersuchung des Stellenwertes von PM stellt sich auch die Frage nach den Inhalten einer PM-Ausbildung. Dazu sollten die Betriebe 22 verschiedene Themenbereiche des Projektmanagements nach ihrer Priorität für die Ausbildung einschätzen. Grunds ätzlich wurden alle Themenbereiche als wichtig bewertet, was nochmals den Stellenwert unterstreicht, den die Betriebe dem PM in der Ausbildung beimessen. Dennoch gibt es gewichtige Unterschiede. Als besonders wichtig bzw. prioritär für die Ausbildung werden Themenbereiche wie Anforderungen und Ziele setzen, Risiken abschätzen, Führungs- und Motivationsaufgaben, Ablauf- und Terminplanung und die Fragen nach der Wirtschaftlichkeit eingeschätzt. Weniger wichtig (aber immer noch wichtig) sind dagegen Themen wie Kundenschulung oder rechtliche Aspekte. Mittels einer Faktorenanalyse ließen sich die 22 Themenbereiche zu sechs Themenfeldern, die ein Modell für die PM-Ausbildung darstellen, verdichten (siehe Abb. 1). Die Themenfelder im Innern des Modells sind angelehnt an Neumann/ Bredemeier [1] und bilden die Kernkompetenzen; die Felder außen stellen die erweiterten Fähigkeiten des Projektmanagements dar. 3 PROJEKTMANAGEMENT IN DEN BETRIEBEN Das zweite Feld von Forschungsfragen zielt auf die Praxis des Projektmanagements ab. 42 % der befragten Betriebe geben an, dass sie keine Projekte durchführen. Es sind dies beispielsweise Restaurants, Malerbetriebe oder Notariate. Die restlichen 58 % der antwortenden Betriebe geben an, Projekte durchzuführen. Allerdings wenden dabei nur knapp die Hälfte spezifische Projektmanagementmethoden an. Ob in einem Betrieb Projekte durchgeführt werden oder nicht, hängt erwartungsgemäß wesentlich von der Anzahl der Mitarbeitenden im Betrieb ab. Bei den Betrieben mit 6-10 Mitarbeitenden beträgt der Anteil der Betriebe mit Projekten weniger als die Hälfte, bei Betrieben mit mehr als 100 Mitarbeitenden praktisch 100 %. Die Arbeit in Projekten ist stark funktionsbezogen. Besonders die Aufgaben in den Bereichen Informatik/ Organisation und Logistik/ Beschaffung werden projektartig bearbeitet. Rund die Hälfte der Betriebe mit Projekten gibt an, in diesen Bereichen Projekte einzusetzen. Dagegen hat nur etwa ein Viertel der Betriebe nach eigenen Angaben Projekte in den Bereichen Beratung/ Weiterbildung, Forschung und Entwicklung und Rechnungswesen/ Controlling. 4 UNTERSCHIEDE ZWISCHEN DEN BRANCHEN Betrachtet man die Branchen, so werden große Unterschiede sichtbar. Die Branchen Bau/ Architektur und öffentliche Verwaltung haben anteils- Abb. 1: Modell der Projektmanagement- Ausbildung P M - A U S - / W E I T E R B I L D U N G P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 32 mäßig nur wenige Projekte im Bereich Marketing. Dagegen führen in der Branche Banken/ Versicherungen mehr als vier Fünftel der Betriebe Marketingprojekte durch. Bei den Banken und Versicherungen mit Projekten hat die Hälfte der Betriebe Projekte im Funktionsbereich Beratung und Weiterbildung, während die Branchen Telekommunikation/ Informatik und Industrie/ Produktion hier nur einen geringen Anteil an Projekten aufweisen. Für die Analyse der Häufigkeit der Projekte je Funktionsbereich ist das Modell der Wertschöpfungskette nach Porter [2] aufschlussreich. Abb. 2 zeigt (aufgeschlüsselt nach Branchen) die Funktionsbereiche, in denen die meisten Projekte angesiedelt sind. Die Projekte sind in der Regel in den betrieblichen Bereichen angesiedelt, die bei diesen Branchen besonders erfolgsrelevant sind. 5 DIE ZUFRIEDENHEIT MIT DEM EIGENEN PROJEKTMANAGEMENT Eine weitere Forschungsfrage im Untersuchungsfeld der Projektmanagement-Praxis zielt auf die Projektzufriedenheitim Zusammenhang mit den auftretenden Problemen während des Projektverlaufs. Grunds ätzlich sind die antwortenden Betriebe, die Projekte durchführen, mit ihrer Projektarbeit zufrieden. Etwa drei Fünftel antworten, dass sie zufrieden bzw. eher zufrieden sind, während nur etwa ein Zehntel der Betriebe sagen, dass sie mit dem Projektmanagement in ihrem Betrieb unzufrieden sind. Die Zufriedenheit mit dem eigenen Projektmanagement hängt aber stark von den auftretenden Problemen während des Projektverlaufs ab. Aus den Antworten wird deutlich, dass die Zufriedenheit wesentlich durch die Stärke der methodischen und organisatorischen Probleme bestimmt wird. Das heißt: Je größer die methodischen und organisatorischen Probleme bei Projekten sind, desto geringer ist die Zufriedenheit mit dem Projektmanagement. Probleme bei der Zusammenarbeit haben ebenfalls einen Einfluss auf die Zufriedenheit mit dem Projektmanagement. Dieser ist aber wesentlich geringer als bei methodischen und organisatorischen Problemen. Fachliche Probleme schließlich beeinflussen die Zufriedenheit mit dem Projektmanagement nur wenig. Das kann so interpretiert werden, dass die Betriebe im fachlichen Bereich auch keine bzw. nur wenig Probleme haben. Diese Ergebnisse stützen die These, dass Organisation und Methodik wesentliche Faktoren für den Erfolg eines Projektes sind und in der Ausbildung besondere Beachtung finden müssen. Die Studie „Projektmanagement - Praxis und Ausbildung“ kann kostenlos bezogen werden bei der SwissPM Geschäftsstelle, Frau Conny Sennhauser, Junkholzweg 1, CH-4303 Kaiseraugst, E-Mail: swisspm@swisspm.ch oder von der SwissPM-Homepage www.swisspm.ch heruntergeladen werden. ■ Abb. 2: Funktionsbereich mit den meisten Projekten im Modell der Wertschöpfungskette nach Porter ([2], S. 62) Abb. 3: Die Zufriedenheit mit dem Projektmanagement, gemessen an den Problemen während des Projektverlaufs 33 Literatur [1] Neumann, R./ Bredemeier, K.: Projektmanagement von A-Z. Das Handbuch für Praktiker. Campus, Frankfurt/ New York 1996 [2] Porter, M.: Wettbewerbsvorteile (Competitive Advantage) - Spitzenleistungen erreichen und behaupten. Campus, Frankfurt am Main 1986 Autoren Prof. Dr. Ruedi Niederer, D i p l o m - M a t h e m a t i k e r (ETH Zürich), promovierte 1992 am Institut für Informatik der Universität Zürich. Spezialisiert auf quantitative Methoden und Evaluation; leitete zahlreiche empirische Projekte im nationalen und internationalen Rahmen; Professor für empirische Methoden und Statistik an der Fachhochschule Solothurn Nordwestschweiz. Leitet seit 1999 das Institut für interdisziplin ä re Wirtschafts- und Sozialforschung (IWS) an der Fachhochschule Solothurn Nordwestschweiz. Stephanie Greiwe M. A., Studium der Japanologie, Geographie und Politischen Wissenschaft an der Universität Bonn und an der Keiô-Universität in Tôkyô. Ist ausgebildete Journalistin und arbeitete an verschiedenen empirischen Forschungsprojekten mit. Seit 1999 wissenschaftliche A ssistentin am Institut für interdisziplin ä re Wirtschafts- und Sozialforschung (IWS) der Fachhochschule Solothurn Nordwestschweiz. Prof. Dr. Christoph Minnig studierte Volks- und Betriebswirtschaft an der Universität Fribourg und promovierte 1991. Von 1992 bis 1995 Forschungsaufenthalt am Center for Organizational Research an der Stanford Universit y. Seit 1996 Dozent an der Fachhochschule Solothurn Nordwestschweiz, Leiter Forschung des Bereichs Wirtschaft; Experte in Organisationsfragen. Prof. Dr. Thomas Schwarb war zehn Jahre lang als Informatiker tä tig und studierte berufsbegleitend Ökonomie an der Universität Basel; Dissertation zum Thema Personalauswahl. Anschließend Leiter der Personaldienste eines großen öffentlichen Spitals. Seit 1998 ist er als Dozent im Fachbereich Human Resource Management an der Fachhochschule Solothurn Nordwestschweiz tätig; Experte im Personalmanagement und in qualitativen Methoden. Anschrift der Autoren Fachhochschule Solothurn Nordwestschweiz Technik - Wirtschaft - Soziales Institut für interdisziplin ä re Wirtschafts- und Sozialforschung Riggenbachstraße 16 CH-4602 Olten Tel.: ++41/ 62/ 2 86 01 99 Fax: ++41/ 62/ 2 96 65 01 E -Mail: iws@fhso.ch P M - A U S - / W E I T E R B I L D U N G I m ersten Beitrag „Projektkostenplanung und -kontrolle: Überblick über neuere Entwicklungen“ stellt Heinz Schelle verschiedene methodische Ans ätze zur Schätzung von Projektkosten und Systeme zur mitschreitenden Kostenkontrolle dar. Bei den Kostenschätzverfahren wird vor allem auf Expertenbefragungen und Möglichkeiten einer methodischen Erweiterung sowie auf Kostenkennziffern, die in Projektdatenbanken gespeichert sind, eingegangen. Die Vielzahl der in der Praxis anzutreffenden Varianten der projektbegleitenden Kostenkontrolle wird durch die Klassifikation in drei Kategorien unterschiedlicher Komplexität überschaubar gemacht. Einige neuere Entwicklungen wie Zielkostenrechnung, Prozesskostenrechnung und der ehrgeizige Versuch, die Projektkostenplanung und -verfolgung mit der kurzfristigen Erfolgsrechnung, der Gewinn- und Verlustrechnung und der betrieblichen Finanzplanung zu kombinieren, werden skizziert. Der in der 13. Aktualisierung begonnene Beitrag von Karl-Heinz Biere zum Thema „Qualitätsplanung in der Produktentwicklung - Anforderungen und praktische Umsetzung“ wird fortgesetzt. Biere beschreibt die verschiedenen Methoden des Qualitätsmanagements wie etwa Produkt- und Prozess- FMEA. Zahlreiche Beispiele und ein Vorgehensmodell erleichtern die Umsetzung in der Praxis. Einem bisher in der Literatur weitgehend vernachlä ssigten Thema, nämlich dem „Krisenmanagement in Projekten“, widmet sich Michael Neubauer. Er stellt die von ihm entwickelte Methodik KOPV (Kommunikationsorientierte Problemverlagerung) vor, die durch die Verfahrensschritte ● Analyse der Situation ● Ermittlung des zu erwartenden Schadens ● Ausarbeitung von Lösungsalternativen ● Darstellung des Nutzens der vorgeschlagenen Lösungen und ● Verhandlung charakterisiert werden kann. Neubauer betont besonders, dass es häufig erforderlich ist, bei der Suche nach Lösungsalternativen das Problem selbst zu verändern. Heinz Schelle ■ 14. A ktua li sieru n g der Loseblattsa m m lu n g „ Projekte erfolgreich ma na gen“ herausgegeben von H. Schelle, H. Reschke, R. Schnopp und A. Schub, TÜV-Verlag. P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 34 The Consolidation of Production Facilities of Two Merging Companies H A R A L D R . D Ö R R U N D H E R M A N N K E U P E R Zusammenfassung Durch die Fusion der Diagnostikfirmen Dade und Behring im Jahre 1997 ergab sich die Situation, dass an zwei Standorten Reagenzien für die Gerinnungsdiagnostik produziert wurden. Zur Kosteneinsparung und Effizienzsteigerung wurde beschlossen, die Produktionsaktivitäten des Standorts Miami, USA, nach Marburg, Deutschland, zu verlegen. In einem 18-monatigen Projekt wurden Produktionsanlagen und -prozesse sowie unterstützende Funktionen so transferiert, dass es bei weiterhin laufendem Absatz nicht zu einem Lieferabriss kam. In dem folgenden Artikel wird das Umfeld des Produktionstransfers beschrieben und dargestellt, welche Aufgaben zu lösen waren und wie das Projekt strukturiert und ausgeführt wurde. Abstract To manage a project of consolidating different operation facilities is always a challenge. The following article describes the tools and management techniques which have been used to master this project. The approach how to structure the project to build a core team and manage all side topics like budgeting, progress monitoring (earned value) will give an excellent overview about all aspects of project management. Mayor hurdles had been the complexit y of the project (dependencies on other internal projects), difference in culture and language, regulation/ authorit y requirements and the risk of technical failure (biological products and technical equipment transfer). Schlagwörter Earned Value, Internationales Projektteam, Produktionsverlagerung, Projektplanung 1 INTRODUCTION In October 1997, Dade International (Deerfield, IL) and the Behring Diagnostics unit of Hoechst AG (Frankfurt, Germany) completed their merger by forming a new company called Dade Behring, Inc. The company is headquartered in Deerfield, Illinois, with a branch office in Frankfurt, has approximately 8,700 employees throughout the world, operations across the industrialised nations, and the broadest available offering of products and services for clinical laboratories in hospitals and elsewhere. With leadership positions in areas such as chemistry/ immunochemistry, Hemostasis/ coagulation, microbiology, plasma-protein analysis, cardiac diagnostics, drug monitoring, and quality assurance, approximately half of Dade Behring’s annual sales of 1.3 billion USD are in the United States and half in other countries worldwide. Dade International as well as Behring Diagnostics were strong in the field of Hemostasis with reagent manufacturing sites in Miami, Florida, USA and Marburg, Germany. Hemostasis analysers and reagents are used in testing the ability of a patient’s blood to form and dissolve clots. After a thorough investigation the company decided to close the Miami plant and consolidate all manufacturing activities for Hemostasis reagents to the Marburg site. Both companies had an overlapping product portfolio (reagents and instruments). Parallel to the operations transfer two other major projects (cross application, customer conversion) were launched in order to consolidate the portfolio, thus minimising the number of products to be transferred. The objectives were to run Behring reagents on Dade Instruments and vice versa (application) and then to convert customer to the new combined portfolio. At the same time, the company decided to consolidate warehouses which resulted in major inventory moves. The interactions between these projects had a considerable impact on 35 P M - F A L L B E I S P I E L / F A L L S T U D I E the course of the transfer project but will not be covered in this case study. 2 SCOPE AND OBJECTIVES OF THE PROJECT To increase the capacity for filling, freeze-drying and packaging in Marburg, a high speed, fully automated line for filling, capping, labeling and packaging and two large freeze-dryers weighing 175,000 lbs or 80 metric tons each had to be transferred from the Miami plant (Fig. 1). After consolidation, 40 different packages of reagents from the Miami site remained in the portfolio. The product transfers included the bulk formulation, filling, freeze-drying and packaging as well as the quality control procedures. For two products, the manufacturing process consisted of semi-automated test cartridge manufacturing line employing a unique technology and equipment. For all products, a complete set of bills of material and routers had to be established in the SAP system used at the Marburg site. Validation of equipment and production processes and validation documentation according to the standards applicable in the diagnostics industry were an essential part of the project. Together with the transfer of production processes and equipment, the tasks of functions related to operations (Master Production Scheduling, Quality Assurance/ Document Control, Complaint Handling) had to be transferred. The following written objectives and measures of success were defined at the outset of the project: ● at least one batch of each product manufactured full scale meeting specifications with a complete set of validation data, ● product quality to be maintained during and after transfer, ● no serious delays in supply of Hemostasis products due to transfer activities on either site, ● shut down of Hemostasis operations in Miami, ● appropriate infrastructure and expertise in Marburg in place, ● observation of constraints on capital, budget and on the addition of personnel in Marburg, ● time span 18 month, Dec 97- May 99. It is essential that at the beginning scope and limits of the project („is/ is not“) are agreed upon with the upper management and documented. Otherwise, additional tasks creep into the project and the workload may quickly become unmanageable. 3 THE CORE TEAM FORMATION AND STRUCTURE Formation of a project core team was a crucial step before the project was started. All relevant functions (manufacturing, production scheduling, engineering, quality control, quality assurance and finance) were represented in the team. As a general policy, both sites were represented equally in the team. Some team members had to be added or replaced during the course of the project. During most of the time, the team consisted of 12 members. This number was the result of a trade-off between a manageable team size and the need to involve various functions both in Miami and Marburg (Fig. 2). Except for the project leader and coordinator, all team members remained in their line functions and regularly faced priority clashes which occasionally had to be resolved by the project leader. The core team met weekly for telephone or video conferences to exchange information, to update the project plan and to agree on short term actions. Short minutes of the meeting were distributed afterwards. For the first 12 months, a face-toface meeting was held monthly, alternating between Miami and Marburg. These meetings allowed a de- Fig. 1: The big freeze-dryer will be loaded on a truck in Miami P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 36 tailed review of the project progress and were essential to form and maintain a team spirit. Initially, the formation of subteams which were to focus on groups of tasks (e.g. quality management, engineering) was considered to be important. However, structured subteam work was often replaced by close, but informal contacts between the people involved on both sides. The project status was monitored, sponsored and supported by a steering committee which consisted of selected members of the upper management. 4 CAPITAL AND BUDGET Major investments were required at the Marburg site to prepare for the equipment to expand the capacity. At the same time, the equipment had to be refurbished and reworked because of the differences in the U.S. and German power supplies and safety standards. The capital plan which was set up at the start of the project was kept within 10 % despite the fact that several unexpected changes had to be made during the project. For ongoing costs, a budget was set up initially to cover the costs of project management and travel, hiring of personnel/ severance, inventory transfers, validations, manufacturing scrap etc. The budget was 9.5 Mio USD. 5 GENERAL APPROACH AND STRATEGY After an extended fact finding phase the project plan was developed using Microsoft Project. The general approach was to simultaneously transfer and validate the production processes on the existing equipment in Marburg while additional inventory was built in Miami. Because a key aspect of the transfer was the transfer of filling and lyophilisation capacity, a consistent strategy of overlapping production was not possible. It was therefore decided to first transfer high volume liquid and low volume lyophilised products, which did not heavily depend on the Miami equipment and could be covered by the existing Marburg equipment. During this phase, Miami continued to build transition inventory. The next step was then to transport, refurbish and rebuild the equipment which in the case of the freezedryers took up to 6 months. The most critical piece of equipment to be transferred was the high capacity fill line and the timing of the dismantling became the focal point of the project plan. During the down-time of the equipment, Marburg produced at the products already transferred at reduced capacity and the inventory previously built for the remaining products was used to bridge the gap between demand and supply. Almost simultaneously, the production of high volume lyophilised products to Marburg was validated at a slightly reduced scale. 6 THE PROJECT PLAN The project plan was developed using Microsoft Project in the following sequence: ● generic plan for product transfers, ● grouping of 42 products into 7 groups, ● development of a detailed plan for each product group, ● development of a plan for building preparation and equipment transfer, divided into major components of equipment, ● transfer plan for functions such as production scheduling, documentation transfer, quality control, complaint handling and quality management. As a rule, the various tasks were subdivided such that no task lasted longer than 1-2 weeks. This allowed a continuous monitoring of the course of the project. A conscious effort was made to limit the number of links Fig. 2: Core Team Miami Transfer and General Manager Hemostasis, J. Engelke 37 P M - F A L L B E I S P I E L / F A L L S T U D I E between the tasks in order to reduce the complexity of the project. The capabilities of Microsoft Project to plan resources and budget were not used. The project plan contained approximately 1,300 tasks at the time when the base plan was set. During the weekly core team meetings, the plan was updated and distributed afterwards. The weekly updates were essential for the success of the project. 7 EARNED VALUE For a high-level overview on the project progress, an earned-value approach was chosen as described by Department of Defense (DoD) [1]. Earned value management (EVM) describes one of the tools available to the program manager for managing program performance. Earned value defines a method for determining the amount of work performed at a point in time. In general this measurement uses the planned resource cost of a task as it’s value and earns this value for accomplishing the task. This earned value may then be compared to the cost incurred to date of determine over/ under spending for work accomplished. Our approach was used in a nonstandard way in that only the value of work planned through time as a measure of the schedule of performance. After the base plan was set, approximately 200 tasks and milestones in 1,300 which were critical to the success of the project received values on an arbitrary scale of 1 to 6, 6 being the most important. The total sum of values was 500. The earnedvalue chart (Fig. 4) shows the time course of the values as they accumulate with the completion of the critical tasks. Base plan, forecast and actual progress are displayed. The black line shows the baseline which has been set at the beginning of the project. The baseline was never changed. The grey interrupted line is the updated finish. It recognises all changes during a project. The underlying black line shows the current achievement. The tasks and milestones have been selected from MS Project to generate the chart by a macro. A comparison of actual vs. base plan clearly shows that the project had a late start but during the whole project had the speed which was necessary to complete the project in a timely manner. The earned value chart was updated weekly and served for quick orientation of the core team and to report the progress to the steering committee. 8 FINAL PROJECT REVIEW After the completion of the project, a project review focused on things which went well and on lessons which were learnt. It is not surprising that there are many things which would be done differently if the project had to be started again. However, the early development of a general strategy as outlined above and the application of project management techniques proved to be essential for the success. 8.1 Participation of Employees One of the big surprises of the project was the professionalism and constant active participation of the staff of the site to be closed. At no time Fig. 3: A crane is lifting the generators into the new building Fig. 4: Earned value 24. 8. 1998 P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 38 the Marburg team members experienced any hostility or ill-feelings of employees who were soon to be out of their jobs. During the whole project, the Miami site was well managed under extremely difficult circumstances. Without this, the project might quickly have turned into a disaster. As mentioned above only two persons were fully assigned to the project. The clash between daily business work and dedication to the project on both production sites were therefore a constant point of discussion. Underestimation of workload, documentation and validation on one side and over-commitment of resources on the other side were often hard to resolve. 8.2 Cultural Differences Both the project leader and the project coordinator had lived in the USA for an extended period of time and were familiar with the cultural and mentality differences between the USA and Europe. All the other team members had not been exposed to each others cultures for any length of time. Within the core team, the differences in management style and experience were considerable. For obvious reasons, the team language was English which puts non-native speakers at a disadvantage. Awareness of the cultural differences and of communication difficulties had to be created particularly among the US team members. Team formation was therefore a complicated process. Nevertheless, during most of the time, the team behaved as a single team and grouping into US and German participants could be avoided. 8.3 Experience and Training In the former Dade Inc. major Hemostasis operations activities had been transferred from Puerto Rico to Miami just before the project described here was started. The experiences gained from this transfer, and in particular the project management skills, were an excellent basis for the transfer from Miami to Marburg, although many characteristics of both transfers were distinctly different. Although a considerable effort was made to train Marburg technical staff on the new products in Miami, it would have been better to have more people trained in Miami for a prolonged period of time (apprenticeship). In critical situations, unplanned visits by Miami staff were required to resolve urgent manufacturing or validation problems. This clearly shows how the transfer of expertise strongly depends on the transfer of people. Another important way to transfer expertise was to offer a one to three years expatriate program to a few, carefully selected employees from Miami. The costs of the programs are clearly offset by the effectiveness of production support during the difficult phase after the transfer. Another crucial component for the success of the project was the choice of experienced contractors for dismantling, shipping, refurbishing and rebuilding of equipment. The right choice of specialists can help to avoid major difficulties and delays. 8.4 Use of the Project Plan Whereas project management techniques were commonly used in Miami, they were applied in Marburg only to small projects and with limited success. In the initial phase of the project, a lot of time was spent to train the Marburg team members how to read, review and update the project plan. It was important for the team members that they understood the usefulness of the project plan as a means of coordination and communication. Only when a lot of attention is paid to the review and update of the plan, it can prove its real strengths. As an outcome of this project, training on project management techniques was intensified in Marburg. 8.5 External Influences Because of the merger, the company and in particular the product line Hemostasis underwent major changes. In particular, the interac- Fig. 5: Generators for freezedryers have been installed in Marburg 39 P M - F A L L B E I S P I E L / F A L L S T U D I E tions with the portfolio consolidation and cross-application project and the warehouse consolidation had to be observed carefully. This was achieved by the participation of core team members on the respective teams and by a common steering committee. The overall management of the various interdependent projects was extremely difficult. For example, the flexibility of both manufacturing sites was challenged by the need to revise the manufacturing schedule to accommodate sudden unplanned production orders caused by changes in the plan for the portfolio consolidation. With the change of company names, locations and logos change the complexity of the transfer was further increased. In order to manage this complexity it was decided to avoid additional changes of product configuration. 8.6 Shipping Problems Often, apparently trivial tasks do not get sufficient attention. This was the case with the shipment of material across the Atlantic. Although a shipping policy was set at the beginning of the project, shipping delays and failures were common and were caused by various reasons during the whole project. It can only be recommended that details of the shipping process is clearly agreed upon by the shipping departments and the freight forwarders involved, preferably by establishing personal contacts. ■ References [1] Office of the Deput y Under Secretary of Defense: Earned Value Management (EVM). Internet: http: / / www.acq.osd.mil/ dau/ arccdele/ evm_gb.pdf Authors Hermann Keuper, 42, received a Ph. D. degree with honors from the Universit y of Münster in 1986. After two years at the Universit y of California, Berkeley, C A, he joined the diagnostics unit of Behringwerke AG in Marburg in 1988 as a scientist in R&D and was promoted to head of bulk manufacturing of Hemostasis reagents in 1991. In December 1997, Hermann Keuper was appointed full time project leader for the Miami Operations Transfer. He is now head of Hemostasis Operations in Marburg. Harald R. Dörr, 37, received a degree in Business Administration from Fachhochschule Gießen-Friedberg in 1986. He joined the diagnostics unit of Behringwerke AG in 1988 and held various positions in Sales, Marketing and project management. After three years in San Jose, C A, where he was a Senior Sales Manager, region Latin America, he has coordinated the operations transfer activities. Harald R. Dörr is currently working on a new plat form strategy for the Hemostasis product line. Address Dade Behring Marburg GmbH Postfach 11 49 D -35001 Marburg Tel.: 0 64 21/ 39-51 14 Fax: 0 64 21/ 39-46 80 E -Mail: Harald_Doerr@dadebehring.com P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 44 D ie Aufs ätze „Die Drei-Punkt- Schätzmethode zur Kalkulation des Projektaufwands“ von Peggy Gartner und „Statistische Grundlagen der Bereichsschätzung von Zeiten“ von Werner Simon geben mir Anlass zu 16 Thesen über einige praktische und theoretische Aspekte. Im Vordergrund stehen die Probleme der praktischen Anwendung. 1. Im Projektmanagement spielen zufällige Einflüsse naturgemäß (! ) eine große Rolle. Die Erfahrungen aus den Anfängen des professionellen Projektmanagements liefen eindeutig darauf hinaus, dass der Aufwand für die Ermittlung brauchbarer Wahrscheinlichkeitswerte zu hoch ist - dass man stattdessen lieber mehr Sorgfalt auf Planung und Controlling legen soll. Diese Einschätzung ist möglicherweise angesichts der heutigen Möglichkeiten hinfällig. 2. Die Arbeit von Gartner bedeutet die Übertragung des „klassischen“ PERT-Ansatzes (s. u.! ), der ja ausschließlich für Zeitgrößen entwickelt wurde, auf Aufwandsgrößen. Dieser bemerkenswerte Schritt kann auch praktische Bedeutung erlangen. 3. Gartner verwendet praktisch dieselben Voraussetzungen hinsichtlich Unabhängigkeit der Zufallsgrößen, Wahl bestimmter Verteilungsparameter, Interpretationsproblemen usw., wie sie für das PERT- Modell gelten. Damit sind auch die- Drei-Punkt- Sch ä tzung - Für und Wider Zu Heft 4/ 1999, S. 33 ff., und Heft 1/ 2000, S. 39 ff. die vermittelt der Beitrag von Simon in keiner Weise. Nicht die unglücklichen Satzfehler - vor allem der fehlende oder falsche Bezug zum Projektmanagement soll hier erörtert werden. 7. Zunächst ein Blick in die Historie. In den 60er Jahren erschien eine Reihe tiefgründiger Analysen zu PERT, insbesondere von Clark, van Slyke, McCrimmon/ Ryavec, von Guerard und Todt [1, 6, 3, 2, 7]. In der Dissertation „Über den objektiven Charakter des Zufalls und seine Berücksichtigung in der Zeitplanung - eine Studie zum System PERT- TIME“ entwickelte Schallehn [5] ● ein beliebig genaues Näherungsverfahren zur Maximumsbildung mit Berücksichtigung der stochastischen Abhängigkeiten und ● die Erkenntnis, dass dieses Verfahren aus Datenmangel (leider, leider! ) nicht praktikabel ist. Ein Mitarbeiter von Prof. Schelle hat in seiner Dissertation zur Schätzung von Lebenszykluskosten Ähnliches erörtert und ist zum gleichen Ergebnis gekommen. Da sich diese Erkenntnis allgemein durchgesetzt hatte, gibt es zu vielen untersuchten Fragen keine aktuelleren Arbeiten. 8. Zum Verhältnis der Begriffe „relative Häufigkeit“ zu „Wahrscheinlichkeit“: ● Beide sind so definiert, dass sie nur reelle Werte im Bereich 0 … 1 annehmen können; selben Bedenklichkeiten zu berücksichtigen. Um zwei Beispiele zu nennen: Die von PERT vorausgesetzte Unabhängigkeit der Zufallsgrößen trifft praktisch nie zu, und die Maximumsbildung ist sogar schlicht falsch. Trotzdem kommen alle uns bekannten Untersuchungen zu dem Schluss, dass diese Fehler vernachlä ssigbar klein sind (praktisch etwa 1 … 4 %, in konstruierten Beispielen bis 12 %) gegenüber den Unsicherheiten der Schätzwerte und gegenüber den Interpretationsspielräumen. 4. Zur Arbeit von Gartner wäre lediglich zu ergänzen, dass in der Praxis Unternehmen bekannt sind, in denen das Budget prinzipiell 15 % unter den kalkulierten Kosten festgelegt wird, bei anderen dagegen 10 % über den kalkulierten Kosten. Offensichtlich liegt der Unterschied in der unterschiedlichen Bewertung der Kalkulationsgenauigkeit und der Steuerungspotenziale durch die Entscheidungsträger. 5. Vermutlich ist die Drei-Punkt- Schätzung praxisreif, wenn sie in Zusammenhang mit dem Nachforderungsmanagement organisatorisch eingebettet wird. 6. Man kann auch ohne Kenntnis der theoretischen Grundlagen und des darin enthaltenen Konfliktpotenzials ganz gut leben. Besser wäre natürlich eine klare Vorstellung darüber, aber 45 P M - D I A L O G D E R L E S E R ● Häufigkeit meint Beobachtungen der Vergangenheit, Wahrscheinlichkeit meint Zukunft; ● Wahrscheinlichkeiten für die Zukunft kann man aus Häufigkeiten ableiten, wenn 1. substanziell der beobachtete Prozess in die Zukunft weitergeführt wird und 2. die Beobachtung „reprä sentativ“ für diesen Prozess ist. Bemerkung: Das Problem ist nur, dass es im PM kaum reprä sentative Stichproben gibt. Deshalb sind Schätzwerte, die nach „bestem Wissen“ angenommen und im Bewusstsein ihrer Unsicherheit verwendet werden, durchaus praktikabel. 9. Zum Verhältnis der Begriffe „Erwartungswert“ zu „Vorgabewert“: Aus verschiedenen Bereichen gibt es Erfahrungen, dass Vorgaben für Termine (auch Fahrplanzeiten! ) und für Budgets praktisch kaum unterschritten werden, aber häufig überschritten werden. Dieses so genannte „Fahrplansyndrom“ verbietet geradezu, einen Mittelwert aus Beobachtungen zum Vorgabewert zu erklären - damit würde das Prozessergebnis systematisch (! ) verschlechtert. 10. Zum Begriff des „Maximums zweier Zufallsgrößen“: Im Netzplan werden Zeitwerte addiert - dafür liefert der Zentrale Grenzwertsatz die beruhigende Aussage, dass das Ergebnis unter den üblichen Voraussetzungen normalverteilt ist. Gauß sei Dank ist sogar dies von den Verteilungsformen der Einzelgrößen unabhängig. Gelegentlich ist im Netzplan auch das Maximum zweier Größen zu bilden - dies läuft dem Symmetrietrend des Zentralen Grenzwertsatzes jedoch völlig entgegen. Anschaulich gesprochen: Der jeweils kleinere Wert ist bedeutungslos, der größere wird weiterverwendet. Dies führt zwangsläufig zu „linkssteilen“, nach rechts flachen Verteilungen! Wenn die Verteilungsfunktionen F(x) bekannt sind und wenn die Zufallsgrößen stochastisch unabhängig sind, dann gilt für das Z = max(X,Y) einfach F z = F x · F y (beachtlich! ). 11. Zum Begriff der „stochastischen Abhängigkeit“ von Zufallsgrößen: Zufallsgrößen heißen „stochastisch abhängig“, wenn sich aus einer Realisierung der einen Zufallsgröße auf die Realisierung der anderen schließen lä sst. Typische Beispiele im Projektmanagement sind: Hat sich ein Bauvorgang durch schlechtes Wetter verzögert, so werden sich auch andere gleichzeitig laufende verzögern. Oder: Wurde das Budget eines Programmierauftrages infolge schlechter Organisation überzogen, so werden auch andere Aufträge aus dieser Abteilung solche Probleme haben. Im Gegensatz zur kausalen Abhängigkeit sind hier also gemeinsame Bedingungen urs ächlich. Im Netzplan sind die Termine zweier Vorgänge, die gemeinsame Vorgänger haben, stochastisch (mehr oder weniger) abhängig. Haben die Vorgänge unterschiedliche Vorgänger(ketten), so können sie stochastisch unabhängig sein. Wie diese Beispiele zeigen, gibt es im Projektmanagement eine unendliche Vielfalt stochastischer Abhängigkeiten. Bisher gab es keine Chance, diese auch nur einigermaßen treffend zu berücksichtigen. 12. Zu den Wahrscheinlichkeitsverteilungen: Vorgänge sind komplexe Gebilde, über deren innere Struktur per definitionem (wenn wir die DIN-Begriffsnorm für Projekte ernst nehmen) keine allgemein gültige Aussage und keine logisch begründbare Verteilungsform vorliegt. Auch der PERT-Ansatz E = (a + 4m + b)/ 6 und S = (b - a)/ 6 ist rein praktisch begründet! Die Betaverteilung liefert freundlicherweise bei einer bestimmten Parameterkombination diese Formeln und damit den Nachweis, dass damit eine Wahrscheinlichkeitsverteilung definierbar ist - mehr nicht! Das wird vor allem durch den Anwendungshinweis aus allen PERT- Lehrbüchern untermauert, dass „a in 100 Fällen nur einmal unterschritten“ und „b in 100 Fällen nur einmal überschritten“ werden solle. Immerhin bemerkenswert, dass damitdie AbgeschlossenheitderBetafunktion als praktisch nicht ganz zutreffend deklariert ist und dass offenbar niemand daran denkt, 100 vergleichbare „Fälle“ auswerten zu können. Der Ansatz von Golenko scheint sehr hilfreich, da er mit zwei Schätzungen gegenüber den drei von PERT auskommt. Mathematisch ist das korrekt. Praktisch ist aber gerade der „wahrscheinlichste“ Wert am ehesten fassbar - deshalb erhält er bei PERT das Gewicht „4“! Ihn wegzulassen und dafür die Extremschätzungen mit 3 : 2 zu bewerten kann man nur ganz ausgefuchsten Spezialisten empfehlen - also eigentlich gar nicht! Diese Überlegung ist übrigens auch das einzige Argument gegen die Dreiecksverteilung: Das Gewicht „1“ für den häufigsten Wert ist aus praktischen Erwägungen einfach zu klein. P R O J E K T M A N A G E M E N T 3 / 2 0 0 0 46 Die logarithmische Normalverteilung ist übrigens unter dem Gesichtspunkt für Vorgangsdauern sehr plausibel, da die Streuung ja selbst in der Größenordnung der Dauer liegt und eine Dauer kleiner als null ausgeschlossen ist. Es ist jedoch keine praktikable Form bekannt. 13. Das einzige Problem, das Praktiker subjektiv mit PERT haben, beginnt genau dort, wo Simon aufhört: Wie bestimmt man denn nun „F“? Immerhin muss man dafür ein Tabellenbuch oder eine Näherungslösung bei der Hand haben. Kurz und bündig findet man dies z. B. in [4] mit einem praktischen Beispiel. 14. Das größere Problem haben die Praktiker objektiv mit PERT, meist ohne sich dessen bewusst zu werden. Was bedeutet es denn, wenn die Einhaltungswahrscheinlichkeit eines Zieltermins mit 25 % oder mit 65 % berechnet wurde? Zunächst muss wohl daran erinnert werden: „Program Review and Evaluation Technique“ bedeutet eine „Technik zur Überschau und Bewertung von Programmen“ - also für hoch komplexe, aus vielen Projekten bestehende Vorhaben. Die ursprüngliche Intention der Entwickler war also eine Entscheidung, ob ein „Program“ mit der vorliegenden Prozessstruktur in die Planung gehen sollte. Höchst bemerkenswert ist, dass in der US Navy bereits ein Wert von 25 % als „normales Risiko“ akzeptiert wurde. Dabei spielt zweifellos eine entscheidende Rolle, dass man mit der Kenntnis des kritischen Weges ein wertvolles Hilfsmittel für eine effektive Steuerung zur Verfügung hatte. Ein Mindestwert von 65 % war wenige Jahre später in einer Richtlinie des sowjetischen Bauministeriums für die Planung von Großvorhaben festgelegt worden. Diese Spanne zwischen 25 und 65 % lä sst viel Raum für Überlegungen zwischen Vorentscheidung und Planung, zwischen „Planwirtschaft“ und Marktwirtschaft usw. 15. Einige Anmerkungen zu Einzelaussagen von Simon: ● Die „Bemerkung“ in der ersten Spalte auf S. 40 ist falsch, denn per Definition ist diese Fläche = 1. ● Die von Simon angeführte, aber nicht benannte Verteilungsfunktion F(x) ist für die Maximumsbildung relevant. ● Auch unter Berücksichtigung der Druckfehler scheint mir bei Simon der Weg von der Beta-Verteilung zu den PERT-Formeln nicht nachvollziehbar. ● Dass a, m und b in der ersten Spalte auf Seite 41 doppelt aufgeführt werden, aber die eigentliche Problematik nicht erwähnt wird (vgl. Pkt. 12), ist ärgerlich. ● Abschnitt 2.4 ist falsch. Denn erstens gilt ja gerade die Grunderkenntnis, dass man die optimistischen Werte nicht aufaddieren darf, ebenso wenig die pessimistischen. Und zweitens sind die spätesten Zeitpunkte nun jedenfalls etwas anderes als die addierten pessimistischen Werte. ● Ohne Quellennachweis ist ein solcher Aufsatz nicht akzeptabel. Der interessierte Leser wird in jedem Falle mehr Substanz brauchen. 16. Sicher war es gut, die Wahrscheinlichkeitssicht wieder einmal ins Blickfeld des Projektmanagements zu rücken. Das eigentliche Problem ist nach wie vor, dass die Wahrscheinlichkeitsaussagen stark interpretationsbedürftig sind. Wie soll das der Praktiker im Stress des Tagesgeschäfts bewältigen? Herrn Prof. Schelle danke ich für einige wertvolle Hinweise und bitte um Verständnis, dass ich nicht alles von mir Angemahnte gleich selbst geliefert habe. Ich bin auch nach wie vor der Meinung, dass eine praktische Anwendung bis auf weiteres nicht zur Diskussion steht. Irrtum vorbehalten! Doz. Dr.-Ing. habil. Wolfgang Schallehn Pestalozzistraße 1/ 803 D-04107 Leipzig Tel.: 03 41/ 9 60 90 20 E-Mail: schallehn@t-online.de ■ Literatur [1] Clark, Ch. E.: The greatest of a finite set of random variables. Opns. Res. Baltimore 9 (1961), S. 145-162 [2] von Guerard, H. W.: Analytical Treatment of Time- Correlation in Network Analysis. IN- TERNET-Kongress Wien 1967 [3] McCrimmon, K. R./ Ryavec, C. A.: An analytical Study of the PERT A ssumptions. Opns. Res. Baltimore 12 (1964), S. 16-37 [4] Schallehn, W.: Stochastisches Netzplanmodell (System PERT). In: Ledderboge u. a.: Bautechnologische Aufgabensammlung. 2. Auflage, VEB Verlag für Bauwesen, Berlin 1967, S. 81-86 [5] Schallehn, W.: Über den objektiven Charakter des Zufalls und seine Berücksichtigung in der Zeitplanung - eine Studie zum System PERT-TIME. Dissertation Hochschule für Bauwesen Leipzig 1970 [6] van Slyke: Monte- Carlo-Methods and the PERT-Problem. Opns. Res. Baltimore 11 (1963), S. 839 [7] Todt, H.-J.: An Alternative for PERT for the Determination of Project Risks. INTERNET- Kongress Wien 1967
