PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
91
2002
133
GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 3 REPORT U m den Internationalen Projektmanagement Award, mit dem die GPM seit 1997 Spitzenleistungen im Projektmanagement belohnt, rangen erstmals Teams aus aller Welt. Gewinnerin Fluor Daniel war mit einem ehrgeizigen Petrochemie-Projekt angetreten. Das Unternehmen hatte in seinem Projekt binnen kurzer Zeit Raffinerien der Veba-Tochter „Ruhröl“ so umgerüstet, dass sie Treibstoff nach neuer EU-Norm produzieren können. Dank hervorragenden Projektmanagements schloss das Team das Projekt früher als geplant ab und sparte erheblich Kosten. Als Preisträger gingen zwei weitere Unternehmen aus dem Wettbewerb hervor. Ein Projektteam des polnischen Unternehmens Transsystem (Spezialist für Automobil-Fertigungsanlagen) sowie ein Gemeinschaftsteam der deutschen DeTeMobil Deutsche Telekom MobilNet und ACTERNA Deutschland erhielten Preise für vorbildliche Leistungen. Von den Besten lernen: Vier Tage lang hatten GPM und der Dachverband „IPMA International Project Management Association“ die Projektmanagement-Welt in Berlin zu Gast, ein Mega-Meeting mit 170 Vorträgen, Workshops, Produktpräsentationen und Diskussionsrunden. Die Experten studierten dabei nicht nur neue Managementstrategien, Ideen, Praxisberichte und Visionen. Sie erlebten ein geschliffenes Kongressprogramm mit glanzvollen Höhepunkten. Gleich fünf hochkarätige Keynote-Speaker hatte die GPM für den Weltkongress gewonnen. „Kreativität in Projekten nutzen“ Kreativitäts-Vordenker Dr. Edward de Bono eröffnete „Gewonnen! “ Jubelrufe auf der Bühne zur Awardverleihung. 1.000 Experten aus 50 Nationen: Berlin im Zeichen des Projektmanagements Glanzvolle Award-Gala und Fachdiskussionen beim 16. IPMA Worldcongress on Project Management Oliver Steeger Eine Oscar-Verleihung „like Hollywood“. Blaue und rote Scheinwerfer tauchen den Saal in Galalicht. Große Leinwände übertragen das, was sich auf der Bühne ereignet, in den Saal mit rund tausend Gästen aus fünfzig Nationen. Auf der Bühne: drei Spitzen-Projektteams aus den Niederlanden, aus Polen und Deutschland. „And the winner is …“ verkündet Juryvorsitzender Dr. Hans Stromeyer. Sekunden später ein Jubelschrei und stehende Ovationen: Das holländische Projektteam von „Fluor Daniel“ hat den Internationalen Projektmanagement Award gewonnen. So spannend kann Projektmanagement sein! Mit einer perfekt inszenierten Galashow verlieh die GPM auf dem 16. IPMA Worldcongress on Project Management den begehrten „Oscar“ für Spitzenleistungen im Projektmanagement - und krönte damit ihren Weltkongress in der Bundeshauptstadt. Und der war - so viele Kongressgäste - ein Riesenerfolg. Foto: Steeger P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 4 REPORT den Kongress mit einer souveränen „Beweisführung“, wie bedeutsam Kreativität für Projektmanagement ist - und überraschte sein Publikum mit witzigen Denkwegen und faszinierenden Thesen. Seine Botschaft an die Projektmanagement-Experten: Effizientes Projektmanagement braucht Kreativität beim Teamwork, bei Projektplanung und bei Problemlösungen. „Das Management von Routinen erzielt in der Regel brauchbare Ergebnisse“, meinte De Bono, „doch Kreativität wird benötigt, wenn bessere Ergebnisse erzielt werden sollen und wenn Probleme die Routinen stören.“ Er versicherte: „Kreativität ist heute ein Management-Werkzeug - und keine Frage von Talent oder Inspiration.“ Ebenso fesselnd legten Projektmanagement-Romancier Tom DeMarco sowie die weltweit renommierten Projektmanagement-Experten Dr. Martin Barnes und Prof. Harold Kerzner ihre Ideen und Erfahrungen offen. Zuletzt entführte der NASA-Astronaut Dr. Bernard Harris die Projektmanagement-Fachleute gedanklich ins Weltall und überzeugte sie von der treibenden Kraft, mit der Träume und Visionen Projekte vorantreiben können. Eine solche Vision erfüllte sich für ihn, als er in den neunziger Jahren insgesamt 438 Stunden im All verbrachte - und dabei 7,2 Millionen Kilometer reiste. Globalisierung hat Projektmanager erreicht In ihren Vorträgen und Workshops zeichneten die Experten den Status quo des gegenwärtigen Projektmanagements. Wichtiger Mainstream in den Diskussionen: Die Globalisierung hat die Projektmanagement-Szene erreicht. Zunehmend arbeiten Teams verschiedener Nationen und Arbeitskulturen zusammen und sind dabei über mehrere Länder verteilt. Für Projektmanager zeichnen sich neue Herausforderungen ab. Sie müssen nicht nur ihr Management-Handwerk verstehen. Die Globa- Foto: Steeger Volle Ränge zu den Auftritten der Keynote-Speaker. Selten war ein IPMA- Worldcongress so gut besucht. Edward de Bonos Thema „Kreativität“ - Lehrbeispiele für Projektmanager im Vortrag. Foto: VisionWorks P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 5 lisierung erfordert zusätzliche Fertigkeiten, beispielsweise Geschick, multikulturelle Teams zu führen. Außerdem: Ganze Industriezweige wie die Automobilbranche oder die Pharmazie stehen vor Umbrüchen, ein Trend, der auch Projektmanagern neue Aufgaben stellt. So hatte die GPM weite Teile des Kongressprogramms auch auf die Zukunftsbranchen zugeschnitten, darunter die Finanzdienstleistung, Informationstechnologie, Biotechnologie und Chemie, Pharmazie, Automobilbranche und Neue Medien. - Als Hauptsponsoren unterstützen Volkswagen und Siemens Business Services den Kongress sowie Microsoft Project 2002 als Exklusiv-Sponsor für das PM Award Gala Dinner. Networking, Ausstellungen und Ehrungen Indes, nicht nur Fachdiskussion stand auf dem Programm. Kongressgäste nutzten die vier Junitage auch zum „Networking“ und Erfahrungsaustausch. Zusätzlich informierte Glückliches Wiedersehen: Der Kongress diente nicht nur als Informationsforum, sondern auch als Ort des persönlichen Networkings. Foto: Steeger P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 6 REPORT eine umfangreiche Fachausstellung über neue Produkte und Dienstleistungen. Hier rückte „Volkswagen Coaching“ den neuen Luxuswagen Phaeton ins rechte Licht und verband damit Informationen über sein Projektmanagement. Microsoft präsentierte erstmals „Microsoft Project 2002“ und gab den Kongressbesuchern Gelegenheit, die neue Software kennen zu lernen. Auch informierten sich die Fachleute aus aller Welt über renommierte Projekte der Bundeshauptstadt. Exkursionen führten beispielsweise zum „Lehrter Bahnhof“, künftig Europas größtem Fernbahnhof. Einige Überraschungen hielt die GPM auch für ihre eigenen Mitglieder parat. Sie ernannte während der Award-Gala Klaus Pannenbäcker zum Ehrenvorsitzenden. Er habe, so GPM-Vorsitzender Dr. Ulrich Wolff, den Fachverband mit derzeit rund dreitausend Mitgliedern gefördert und sich vor allem für die internationale Verbreitung des Projektmanagements engagiert. Weitere Auszeichnung: Gemeinsam mit GPM-Vorstand Roland Ottmann überbrachte Dr. Ulrich Wolff Professor Hasso Reschke das Bundesverdienstkreuz und dankte dem GPM-Aktiven der ersten Stunde für seine Tätigkeit. In einer Mitgliederversammlung hatte die GPM zuvor Roswitha Müller-Ettrich, Manfred Saynisch und Professor Sebastian Dworatschek zu Ehrenmitgliedern ernannt. Als verdiente Mitglieder zeichnete sie Dr. Peter Frieß, Gerhard Mekelburg, Dieter Eysel und Dr. Wolfgang Schallehn aus. Die Studienpreise der GPM erhielten Dr. Katharina Weinkauf (TU Berlin), Imke Mork (FH Aachen) und Kerstin Osswald (FH Darmstadt). Als dreitausendsten Absolventen des Lehrgangs Projektmanagement-Fachmann bat die GPM Thiemo Walter (Daimler Chrysler AG) auf die Bühne, als tausendsten durch PM-ZERT zertifierten Projektmanager Bernd Leineweber (Siemens Business Service). Auf der Ausstellung präsentierten sich Dienstleister mit neuen Produkten. Nachrichten, Trends und Praxisbeispiele aus erster Hand: Zu rund 170 Vorträgen waren die Teilnehmer des Weltkongresses eingeladen. Foto: VisionWorks Foto: Steeger P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 7 IPMA-Chairman Rodney Turner: „Bislang erfolgreichster Weltkongress“ Professor Rodney Turner, Chairman der „IPMA International Project Management Association“, lobte den 16. Worldcongress in Europas größtem Hotel. Er bezeichnete ihn hinsichtlich Teilnehmerzahl, Multinationalität, Sponsoren, Ausstellung, Qualität und Atmosphäre als erfolgreichsten Weltkongress in der mehr als dreißigjährigen Geschichte des Dachverbands. Rundum zufrieden äußerte sich auch das Organisationsteam um GPM- Vorstand Roland Ottmann. „Die Veranstaltung hat dazu beigetragen, zwischen verschiedenen Kulturbereichen des Projektmanagements zu vermitteln, neue Ideen auszutauschen und die weltweite Gemeinschaft der Projektmanager zu stärken“, freute sich Roland Ottmann über den Erfolg. Otto Zieglmeier (Marketing Project Manager und Director of the International Project Management Award) unterstrich, dass die Veranstaltung in der Bundeshauptstadt dazu beigetragen habe, voneinander zu lernen, Projekte zu vergleichen und das dringend nötige Benchmarking weltweiter Projekte einzuleiten. „Gerade die Verleihung der Internationalen Projektmanagement Awards setzt hier ein wichtiges Signal.“ Ziel sei es, Spitzenleistungen im globalen Projektmanagement zu identifizieren und allen Projektmanagern zugänglich zu machen. ■ Wie sieht die Projektmanagement- Welt von morgen aus? Experten diskutieren im kleinen Kreis. Foto: Steeger Ungewohnte Perspektive: Aussteller VW Coaching brachte seinen neuentwickelten Luxuswagen Phaeton mit zum Weltkongress. Foto: Steeger P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 8 REPORT Projektteam machte debitel-Poststelle wieder flott debitel AG: Exzellente Projektvorbereitung und Mitarbeiterbeteiligung Oliver Steeger „SOS“ aus der Poststelle: Die Briefe und Faxe stapeln sich. Die Mitarbeiter des Stuttgarter Serviceproviders debitel AG werden der wachsenden Papierflut kaum noch Herr, schaffen es nicht mehr, die eingehenden Schreiben zu sortieren und im Haus weiterzuleiten. Abhilfe will ein Projektteam schaffen. Eine automatische Bearbeitung der Eingangspost soll die Flut kanalisieren. Trotz gebotener Eile lässt sich das Team in Sachen sorgfältiges Projektmanagement nicht unter Druck setzen. Es setzt bei dem Provider Projektmanagement-Maßstäbe - und schafft 2001 den Sprung ins Finale um den „Projektmanagement Award“ der GPM. Redakteur Oliver Steeger besuchte das Team in Stuttgart. A uf Seitentischen stapelt sich in der debitel-Poststelle ein Rest der alten Ablagekörbe, schmucklose Plastikbehältnisse, die sich hier früher dutzendweise zu Sortierbatterien türmten. Zehn Kilo Papier, so hat ein schlauer Kopf ausgerechnet, liefert die Post täglich bei debitel an: Briefe mit Fragen zu Tarifen, unterzeichnete Vertragsunterlagen und Kündigungen, Adressänderungen, Kontoauszüge und Fragen zur Handyrechnung. Für die Mitarbeiter heißt dies: Umschlag aufreißen, Inhalt überfliegen und auf den richtigen Weg zu den Fachabteilungen schicken. Kiloweise Post - bis zu 8.000 Briefe - muss der Serviceprovider in seiner Stuttgarter Poststelle an bis zu 80 Stellen fein verteilen. Besser: müsste er verteilen. Wenn das 1992 gegründete Unternehmen nicht der zeitraubenden Schneckenpost Dampf gemacht und die Sortierkörbe ausgemustert hätte. Heute helfen Computer beim Sortieren und Verteilen. Statt auf Papier treten die Briefe ihren Weg elektronisch von Bildschirm zu Bildschirm durch die Flure und Büros der debitel-Hauptverwaltung an. In einem eigenen Projekt hat debitel seine Poststelle von einer Sortierstation zur flinken Truppe getunt. Sie schickt im Sekundentakt die „White Mail“ durch Hochleistungsscanner. Die digitalisierten Dokumente werden in einem nachgeschalteten System inhaltlich analysiert, um den schreibenden Kunden mit seinem Wunsch zu identifizieren. Bei einem Viertel der Post geschieht dies vollautomatisch. Die Dokumente erreichen nach wenigen Minuten den richtigen Fachbereich. Bei dem restlichen Dreiviertel der Post hilft die Poststelle ein wenig nach. Die Informationen, die das System nicht oder nur teilweise erkannt hat, werden an Nachbearbeitungsplätzen ergänzt. Insgesamt hat sich durch das System die Produktivität der Poststelle bei der Postverteilung um einhundert Prozent erhöht, ein Tempo, das sich lohnt. Schon am Eingangstag sind die Briefe bei den zuständigen Kundenbetreuern. Sie können früher antworten und erledigen. Die prompte Rückmeldung macht draußen Eindruck. Einscannen und Computer mitarbeiten lassen. Was zunächst nur Abhilfe im Engpass Posteingang schaffen sollte, weckt bei den schwäbischen Mobilfunkern Visionen. Kann der Computer Post erkennen und sortieren, kann er vielleicht noch mehr. Das Team um Projektleiter Thomas Wolf und Koordinator Peter Manias hat ganze Arbeit geleistet. Mit ihrem Projekt „ATD - Automatic Task Distribution“ steckten sie sich ein weit reichendes Ziel. Nicht nur die Post sollte elektronisch erfasst werden. Ein System sollte entstehen, das die ganze Postarbeit schrittweise automatisiert - sogar so weit, dass viele Briefe der Mobilfunk-Kunden eines Tages selbsttätig beantwortet werden. „Wir haben mit dem Projekt eine Tür geöffnet“, meint Klaus Schmieder, Leiter des Qualitätsmanagements, bedeutungsvoll. Relikte aus „alter Zeit“: Früher sortierte die Poststelle Briefe und Faxe in Körbchen. Heute nimmt IT-Technik die mühselige Arbeit ab. Foto: Steeger P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 9 Handyboom setzte Brieflawine in Gang Doch langsam. Das Post-Projekt der debitel ag wurde nicht aus Visionen, sondern aus blanker Not geboren. Der Not des Erfolgs. In den letzten vier Jahren ist der Mobilfunk-Markt rasant gewachsen. Zwei von drei Deutschen telefonieren „on air“. In jedem Haushalt gibt es rein statistisch mindestens ein Handy. Bei dem Tempo konnten Provider und Netzbetreiber organisatorisch nicht mithalten. So auch die Poststelle bei debitel. Die Post von rund zehn Millionen Kunden sprengte die Kapazität. In Spitzenzeiten aktivierte das Unternehmen alle zwei Sekunden einen neuen Kunden - und löste damit eine Flut von Briefen aus. Zudem stieß die AG in neue Kundensegemente vor: Täglich bis zu 10.000 Kunden wollten nach dem Kauf schnell telefonieren, 8.000 Kunden am Tag schickten dem Unternehmen Briefe und Faxe. 1998 registrierte die Poststelle erstmals Engpässe. Aufträge und Anfragen blieben liegen. Im Sommer 1999 häuften sich Reklamationen verärgerter Kunden: Wo bleibt die Antwort auf meine Post? Überstunden und zusätzliches Personal halfen nichts, neues Personal fand das Unternehmen nicht so schnell wie nötig. Die in der Projektleiter Thomas Wolf: „Bei unserem Projekt ging es nicht darum, eine Zwischenlösung aus dem Hut zu zaubern, sondern einen Grundstein für eine langjährige Weiterentwicklung zu legen.“ Projektkoordinator Peter Manias: „Wir haben uns in unserem Projekt nie fortbewegt, ohne die beteiligten Stakeholder ‚mitzunehmen‘.“ Klaus Schmieder vom debitel-Qualitätsmanagement: „Unser Management hat bei diesem Projekt verstanden, wie sehr Projektmanagement helfen kann.“ Fotos: Steeger P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 10 REPORT Poststelle freudig mitgeteilte Nachricht, es sei wieder Wochenendarbeit bewilligt worden, entlockte der ohnehin belasteten Besatzung nur noch Seufzen. Zuletzt schaltete sich das hausinterne Qualitätsmanagement ein und stieß das Projekt als Notbremse wider die schleppende Postbearbeitung an. Indes, entgegen der gebotenen Eile entschloss sich das Projektteam, in puncto Postbearbeitung Zukunftsweisendes zu leisten. Zeit für Zielerkundung „Trotz des Drucks haben wir viel Zeit in die Zieldefinition und Analyse der Ausgangssituation investiert und eine umfassende Antwort auf die Frage gesucht, was wir eigentlich erreichen wollen“, erläutert Klaus Schmieder. Das Team setzte durch, dass es nicht nur eine kurzfristige Problemlösung auf den Arbeitsplan nehmen durfte. Das automatische Postverteilungssystem, so Klaus Schmieder, sollte keine Sackgasse für weitere Entwicklungen werden. Daher: „Wir haben eine zukunftssichere Lösung gesucht, auf die wir später aufsetzen können, wenn wir die Postbearbeitung weiter optimieren wollen.“ Projektleiter Thomas Wolf ahnte früh: „Hier ging es nicht darum, eine Zwischenlösung aus dem Hut zu zaubern, sondern einen Grundstein für eine langjährige Weiterentwicklung zu legen.“ Für ihn stand schnell fest: „Wir müssen weit über das unmittelbar vor uns liegende Projekt hinausdenken.“ Über mehrere Wochen analysierte das Projektteam fachliche, technische und organisatorische Eckdaten und klärte Erwartungen an die neue Technik. Es holte Mitarbeiter aus der Poststelle, Qualitätsmanager, Kundenberater und IT-Fachleute in die Runde. Allein vier Wochen lang untersuchte es die Arbeitsprozesse in der Poststelle, legte dann die Rahmendaten für das System fest und überprüfte Verzahnungen mit anderen Bereichen. IT-Projekt unter Regie des Kundenbetreuers „Besonders die Schnittstellen zu den IT-Fachleuten mussten wir abstimmen“, erklärt Manias. Was mehr bedeutete, als mit den IT-Fachleuten nur über Technik zu reden und darüber, wie die neue Erkennungs-Software in die bestehende IT-Landschaft nahtlos einzupassen sei. Das Problem lag auf „politischem“, mitunter spiegelglattem Parkett. Denn: Das Team drohte sich verdächtig zu machen, den IT-Leuten ins Handwerk pfuschen zu wollen. Gewissermaßen in fremden Revieren wildern, ein Ansinnen, das in keinem Unternehmen gerne gesehen ist. „Normalerweise werden derartige Projekte von der IT-Abteilung aufgesetzt und betreut“, umreißt Klaus Schmieder das Diffizile des Projekts, „hier aber ging die Initiative von den Anwendern und dem Qualitätsmanagement aus.“ Auch hätten die gesamte Projektverantwortung und Projektabwicklung in der Verantwortung der Kundenbetreuung gelegen. Freilich, den Nutzern der neuen Technik in Poststelle und Kundenbetreuung kam es zugute, dass ihre eigene Abteilung für sie arbeitete und entwickeln ließ. Die Leute aus den eigenen Reihen wussten von den Problemen und Bedürfnissen der künftigen Nutzer. Sie waren ihre Anwälte. Den Preis dafür umschreibt Schmieder vorsichtig: „Wir mussten den DV-Bereich für unser Projekt gewinnen - und das immer wieder.“ „Kompromiss-Management“ Bei derlei bereichsübergreifenden Projekten droht der Projektleiter schnell zwischen allen Stühlen zu sitzen. Im Team kollidieren ungleiche, häufig gegensätzliche Interessen. Schnell können sich Gewitterwolken auftürmen und sich in handfesten Konflikten entladen. Sieben verschiedene Projekt-Fraktionen zählten Thomas Wolf und Projektkoordinator Peter Manias in ihrem Projekt, Parteien, zwischen denen sie vermitteln und deren teilweise gegensätzliche Interessen sie unter einen Hut bringen mussten. „Wir haben früh verstanden, dass wir den Fraktionen unser Vorhaben nicht nur schmackhaft machen mussten“, erklärt Schmieder, „wir mussten ihnen vermitteln, dass es ihr eigenes System ist.“ Erster Schritt zur Verständigung: Gemeinsam mit den Interessengruppen planten sie die Projektroute und bereiteten zusammen Entscheidungen vor. „Wir haben uns von Anfang an im Projekt, also beginnend mit Zieldefinition und Analyse, gewissermaßen nie weiter fortbewegt, ohne die verschiedenen Gruppen mitzunehmen“, betont Manias. Voraussetzung dafür war, so sein Rezept, eine jederzeit aktuelle und vollständige Projektdokumentation. Er habe, berichtet er heute, nie zuvor so viele Protokolle, Memos und Anfragen getippt. „Meine Projektbeteiligten und Stakeholder waren ständig aktuell über Projektstand, Pläne und offene Entscheidungen auf dem Laufenden.“ Zweiter Schritt bei der Verständigung: Kompromisse schließen. „Hier haben wir Größe und Grenzen des Instruments ‚Kompromiss‘ gründlich kennen gelernt“, meint Projektleiter Wolf. Projektkoordinator Manias ergänzt: „Ein Kompromiss ist ja nie eine Entscheidung, bei der man sich auf halbem Wege, quasi in der Mitte, trifft.“ Und: „Bei jedem Kompromiss ist die eine Partei gezwungen, der anderen mehr Zugeständnisse zu Post einscannen - und fertig. Häufig kann die neue Software Inhalt und Absender der Post lesen und stellt die Briefe und Faxe automatisch den Fachbereichen zu. Foto: Steeger P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 11 machen, als sie selbst bekommt.“ Letztlich sei es eben die Kunst des Projektmanagers, über alle notwendigen Kompromisse hinweg für alle Interessengruppen die klassische Win-win-Situation sicherzustellen, ohne dabei die festgelegten Projektziele aus dem Blick zu verlieren. Beispiel IT-Technik. Viele Interessenkonflikte entstehen erst im fortgeschrittenen Stadium des Projekts. So auch bei debitel: Trotz aller vorab getroffenen Analysen und Absprachen schlich sich zwischen den IT-Fachleuten (auf der einen Seite) und dem Systemlieferanten (auf der anderen Seite) ein Missverständnis ein, eine Unstimmigkeit während der Feinkonzeption, die das Verständnis einer Standard-Datenbankanbindung betraf. Als dieses Missverständnis bei der abschließenden Diskussion offenbar wurde, wollte zunächst keine Partei ihren Standpunkt räumen: Die eine hielt an ihrer Argumentation fest, weil sie schlechte Erfahrungen mit der „einfachen Lösung“ gemacht hatte. Die andere Partei beharrte auf ihrer Position, weil sie hohe Kosten und Terminverzögerungen zur Realisierung des „Hausstandards“ fürchtete. Die Fronten verhärteten sich sogar so weit, dass das Projekt an diesem Punkt fast zu kippen drohte. Die Weshalb Mobilfunk-Provider? Provider wie debitel haben kein eigenes Mobilfunknetz - und nehmen trotzdem eine bedeutende Marktposition gegenüber Platzhirschen wie Vodafone, T-Mobile & Co. ein. Als „Zwischenhändler“ führen sie ein gutes und einträgliches Leben, trotz kleiner Margen. Provider sind gesetzlich abgesichert. Die Netzbetreiber sind verpflichtet, ihnen Kapazitäten abzutreten, die sie weiterverkaufen können. Doch die eigentlichen Marktchancen der Provider liegen beim Vertrieb, Marketing, beim Service - und künftig bei neuen, mobilen Info-Diensten. ❏ Vertriebswege - Provider verfügen über eigene Vertriebswege und Kanäle zu Kunden. Sie sind beispielsweise flächendeckend mit Agenturen oder Ladenketten in den Innenstädten präsent. DaimlerChrysler und Metro, die hinter debitel stehen, haben binnen kurzer Zeit ein solches Vertriebsnetz aufgebaut und Vorsprung gegenüber den Netzbetreibern gewonnen. ❏ Marketing - Provider sind Marketingspezialisten. Sie haben aus der Not, dass sie kein eigenes Netz betreiben können, von Anfang an eine Tugend gemacht und ihre Energie auf das Marketing konzentriert. ❏ Unabhängigkeit - Provider betreiben „gemischte Flotten“. Sie stellen Großkunden günstige Angebote mit den „Rosinen“ verschiedener Netzbetreiber zusammen. ❏ „Customer Care“ und „Billing“ - Kundenfreundlichkeit und Service zählt nach Meinung vieler Provider zu den Kernkompetenzen der netzunabhängigen Anbieter. Auch gelingt es Providern, günstig die Leistungen bei ihren Kunden abzurechnen und bei dem so genannten „Billing“ Geld zu sparen. ❏ Neue Produkte - Bislang erwirtschaftet die Mobilfunkbranche den Löwenanteil ihres Umsatzes mit Telefongebühren und Gesprächszeiten. An die Seite dieses klassischen Produkts treten neuerdings weitere lukrative Dienstleistungen. Kostenpflichtige Info-Dienste und SMS-Service erhalten zunehmend Gewicht. Verbreitet ist, sich aktuelle Wirtschaftsnachrichten, Sportergebnisse oder Staumeldungen aufs Handy schicken zu lassen. Mit der UMTS-Technik, die neben den Telefongesprächen auch Multi-Media-Service ermöglicht, wird dieses neue Produktsegment einen weiteren Schub erhalten. Vorteil für die Provider: Sie können selbständig in diesen Markt einsteigen und eigene Inhalte bieten. So betreibt debitel heute schon ein eigenes SMS-Zentrum und kooperiert mit dem Info-Anbieter Midray. Mobilfunker wollen nicht warten: Binnen weniger Tage erhalten Kunden Antwort auf ihre Post. In einem preisgekrönten Projekt hat das Stuttgarter Unternehmen seine Postbearbeitung revolutioniert. Foto: T-Mobile P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 12 REPORT Situation eskalierte bis zum Lenkungsausschuss. Die Projektziele vor Augen, einigten sich die Parteien schließlich darauf, es trotz aller Vorbehalte mit dem einfacheren Standard der Datenbankanbindung zu versuchen - verbunden mit der strengen Auflage, dass die IT-Fachleute alle Schnittstellenmodule des Systemlieferanten vor dem Einsatz bei debitel einer zusätzlichen internen Prüfung unterziehen und die Module bei Bedarf nachzubessern seien. Ein Mehraufwand im Projekt, der aber im Rahmen blieb. Für Projektleiter Thomas Wolf steht fest: „So konnten in der Realisierung die besonderen Anforderungen der debitel berücksichtigt werden.“ Sowohl Systemlieferant als auch IT-Fachleute der debitel sahen ihre Interessen gewahrt. „Sie erarbeiteten eine für alle Seiten zufrieden stellende Lösung. Und Probleme mit dieser Schnittstelle gab es im Systembetrieb bislang nicht.“ Projektprobleme moderierend lösen Fazit für Peter Manias: „In kritischen Situationen müssen Projektleiter die Beteiligten ‚abholen‘.“ Will meinen: Projektleiter müssen Die debitel-Kundenbetreuer erhalten Post binnen weniger Stunden. Allerdings nicht mehr auf Papier, sondern elektronisch auf den Bildschirm. Die in einem erfolgreichen Projekt neu organisierte Poststelle bereitet die Briefe und Faxe vor und scannt sie ein. Foto: debitel Externer Projektleiter - ja oder nein? Neues Projekt, neues Unternehmen und neue Kollegen: Projektkoordinator Peter Manias stieß als externer Fachmann zum Projekt. Branchenwissen, Projektmanagementwissen und Marktkenntnis brachte Manias mit nach Stuttgart - genau die drei Kompetenzen, die debitel suchte. Doch Unternehmen kalkulieren mit weiteren Vorteilen, wenn sie freie Fachleute für Projekte an Bord nehmen. Einige Beispiele: ❏ Externe Projektleiter bringen Objektivität mit. Sie stehen gewissermaßen über den Dingen, können sie aus anderer Perspektive betrachten und neue Lösungen entwickeln. Auch die Moderation von Prozessen fällt Externen leichter als Kollegen, die bereits im Sozialgefüge des Unternehmens eingegliedert sind und Rücksichten nehmen müssen. ❏ Externe Kräfte schlagen - auf den ersten Blick - in der Kostenrechnung deutlich zu Buche. Doch sie rechnen sich. Sie gewährleisten bei internen Ressourcenengpässen im Projektmanagement, dass das Projekt termingerecht und kostengerecht verläuft. So helfen sie, unkalkulierbare Folgekosten eines in die Länge gezogenen Projekts zu vermeiden. ❏ Anwalt für das Projekt: Externe Projektleiter fühlen sich nur dem Projekt verpflichtet. Das Umfeld des Projektes interessiert sie nur, sofern sie das Projekt berühren. Politische Verpflichtungen und „Altlasten“ spielen kaum eine Rolle. ❏ Externe Fachleute arbeiten sehr zielorientiert und segeln hart am Wind. Ihr Erfolg wird am Projekterfolg gemessen, andere Parameter für die Leistungsbewertung spielen eine untergeordnete Rolle. Zugleich gilt: Sie dürfen den Erfolg nicht mit der Brechstange, ohne Rücksicht auf Verluste erzwingen. Sie tragen beispielsweise Verantwortung dafür, dass das System, das am Ende des Projekts produktiv genutzt wird, die Anforderungen aller Beteiligten erfüllt. P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 13 in die Rolle der Beteiligten „schlüpfen“ können, sie verstehen und einbinden lernen - statt die Konfrontation zu wagen. Weiteres Beispiel, wie Kompromiss und vertrauensbildende Maßnahmen Konfrontation verhindern: Die debitel fordert vor der Übergabe eines IT-Systems eine umfassende, nach internen Richtlinien zu erstellende Systemdokumentation. Dies war dem Projektteam im eng gesteckten Terminplan während der ersten Stufe der Systemeinführung nicht möglich. „Wir haben uns verpflichtet, die Dokumentation nachzureichen, und durften das System schon vorher in Betrieb nehmen“, erklärt Wolf. Indes, zu dieser Zeit war das Vertrauen zwischen den Partnern bereits gewachsen, ein Erfolg, den Manias auch seiner Moderation zuschreibt. Heute vertritt er umso entschiedener die These, es sei Aufgabe des Projektleiters, die Parteien immer wieder an einen Tisch zu holen, zu vermitteln, sich in die Positionen der Beteiligten einzufinden und Diplomatie zu üben: Konflikten vorzubeugen, bevor Fronten entstehen. Vorbildlich: Vorstand förderte Projekt „Unter der Moderation verstehe ich aber nicht, eine weiche Linie zu fahren“, betont Manias, „es geht ganz wesentlich darum, dass ein Kompromiss zu Gunsten einzelner Interessengruppen nie die Projektziele außer Acht lässt oder sie gar verändert.“ Und: „Veränderungen der Projektziele sind nur mit Zustimmung aller Interessengruppen möglich.“ Wichtiger Vorteil des Prinzips „Management by Moderation“: Einmal gelungene Kompromisse bauen Vertrauen auf. Dieses Vertrauen wiederum mindert den Abstimmungsaufwand zwischen den Beteiligten und ermöglicht weitere Kompromisse. Eine beflügelnde Aufwärtsspirale. Die Parteien gehen schlichtweg davon aus, dass der andere das Richtige tut - und im Sinne der Sache agiert. Klaus Schmieder, Thomas Wolf und Peter Manias wissen aber auch: Das harmonische Miteinander der Abteilungen gelingt nur, wenn das Top- Management ein Auge auf Projekt und Fortschritt hält. Ein gewisser Druck „von oben“, so stellen Projektmanager fest, reduziert unnötige Diskussionen. Überflüssig scheinende Probleme kommen seltener auf den Tisch, die Beteiligten denken schnell an die Sache - und verschwenden kaum Zeit damit, ihre Reviere zu verteidigen. „Eine gewisse Aufmerksamkeit von oben ist guter Rückenwind für zielorientiertes Arbeiten“, weiß Schmieder, „deshalb ist die geschickte Wahl des Lenkungsausschusses wichtig.“ So fand das Projekt unter dem Dach des Vorstandsressorts „Operations“ statt, ein Ressort, das rund zwei Drittel aller Mitarbeiter der debitel AG umfasst. Handy - jeder hat’s, überall bimmelt’s. Der Mobilfunk-Markt boomt. Netzbetreiber und Provider konnten dem Wachstum organisatorisch nicht immer folgen. In einem eigenen Projekt machte debitel seine Poststelle flott und sieht sich für die Zukunft optimal gerüstet. Mit seinem Projektmanagement gelang dem Stuttgarter Unternehmen 2001 der Sprung ins Finale um den „Projektmanagement Award“ der GPM. Foto: Nokia P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 14 REPORT Aufwändiges Testverfahren für neue Software Indes, die debitel-Projektprofis werten nicht nur den „Human Factor“ als Erfolgsbaustein ihrer Arbeit. Da gibt es Weiteres, was ihr Projektmanagement auszeichnet. Beispielsweise die konsequent phasenorientierte Vorgehensweise. Einen Schritt nach dem anderen tun: Erst wenn der vorausgegangene Schritt zuverlässige und belastbare Ergebnisse erbracht hatte, genehmigte Projektleiter Wolf den nächsten Schritt. So beim Systemtest. Wer neue IT-Elemente in ein bestehendes System integrieren will, muss die neuen Elemente mehrfach testen. Erst dann ist sichergestellt, dass es später nicht zu unliebsamen Pannen kommt. Nach einem Vier-Schritt-Modell ging das debitel-Team vor. Erstens: Abnahmetest. Das System wird in der Testumgebung beim Systemlieferanten getestet. Hat es diese Probe bestanden, wird es in seine künftige Umgebung „eingebaut“. Zweitens: Integrationstest. Grundsätzlich betrachtet, funktioniert das neue System auch in seiner künftigen Umgebung? Drittens: Akzeptanztest. Nach der technischen Belastungsprobe die Probe bei den künftigen Nutzern. So genannte Key-User - ausgewählte Testnutzer - prüfen das System. Viertens: Stresstest, die Feuertaufe. Das System ist an seinem Platz, die Verbindungen zur Umgebung sind geschaltet. Jetzt wird es hochgefahren und bei maximaler Belastung getestet. Bleiben Bearbeitungsgeschwindigkeit und Datendurchsatz stabil? „Dieses hierarchisch organisierte Testverfahren war zwingend vorgeschrieben“, erläutert Peter Manias, „alle Tests wurden mit Checklisten durchgeführt und protokolliert.“ Ähnlich kompromisslos und systematisch verfuhr das Projektteam bei seinem Projekthandbuch. Es legte in dem Buch seine komplette Projektorganisation sowie sämtliche Phasen, Meilensteine und Termine fest. Auch Qualitätsmanagement, Berichtswesen, Änderungsmanagement, Ressourceneinsatz sowie Kommunikationswege fixierte es auf Papier. Pilot-Projekt für künftige Vorhaben „Vom Aufwand und Budget her war das Projekt eher klein“, weiß Klaus Schmieder. Die debitel AG habe allemal umfangreichere Vorhaben gestemmt. Dennoch, der Qualitätsmanagement-Fachmann bezeichnet das Post-Projekt als richtungweisend. „Wir haben in unserem Unternehmen einiges damit angestoßen“, meint er. Es setzte generelle Standards beim Projektmanagement. So sammelte das Team in Reviews seine Erfahrungen und zog seine Lehren aus dem Projekt, Know-how, das Maßstab für künftige Projektarbeit ist. „Auch das Management hat verstanden, wie sehr Projektmanagement helfen kann“, beschreibt Schmieder den Referenzcharakter des Projekts. Weiterer positiver Verstärker: Dem Team glückte mit seinem Projekt im letzten Jahr der Sprung ins Finale um den „Internationalen Deutschen Projektmanagement Award“ der GPM. Unabhängige Assessoren bescheinigten den Stuttgartern Spitzenleistungen im Projektmanagement. Bei aller Euphorie für Projektmanagement warnt Schmieder davor, in Unternehmen „Projektitis“ ausbrechen zu lassen. „Es ist die Frage, ab wann es sich lohnt, eine anstehende Aufgabe Projekt zu nennen.“ Es sei nicht sinnvoll, beim Projektmanagement mit Kanonen auf Spatzen zu schießen, auch dann nicht, wenn die „klassischen“ Projektkriterien gegeben sind: Einmaligkeit, Ziele, Termine, Kosten. Schmieder: „Eine Aufgabe ist manchmal schon erledigt, bevor in einer größeren Organisation ein entsprechendes Projekt aufgesetzt ist.“ Sei jedoch kar, dass eine Aufgabe mehrere, möglicherweise konkurrierende Gruppen berühre, führe kein Weg an einer „sauberen Projektdefinition“ vorbei. ■ Foto: debitel Erfolgreich vor einem Jahr beim Projektmanagement Award der GPM platziert: Ein Team der debitel AG bewies Spitzenleistungen bei der Projektarbeit. P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 15 Projektmanagement in guter Sache „Wir sind ein ganz normales Unternehmen.“ Oliver Steeger Die „Quote“ verblüfft manchen Mittelständler: Im hohen Norden, in Rendsburg, ließ eine Organisation sage und schreibe jeden Achten ihrer Mitarbeiter zum Projektmanagementfachmann ausbilden. Und auch der Rest des Projektmanagementprogramms kann sich sehen lassen. Ein eigens eingerichtetes Projektmanagementbüro überwacht die Projekte. Ein detaillierter Projektleitfaden beschreibt neben Prozessen auch die Projektkultur und das Miteinander in Teams. Die Projektorganisation ist aufgebaut, Multiprojektmanagement ebenfalls. Mit einem vorbildlichen Blitzstart hat das norddeutsche „Unternehmen“ binnen zwei Jahren Projektmanagement eingeführt und alle Ampeln für dieses Konzept auf Grün geschaltet. IT-Branche? Ein Ingenieurbüro? Weit gefehlt. Das Unternehmen „verkauft“ Dienst am Nächsten, von dem Gedanken christlicher Nächstenliebe geleitet. Und jetzt von Projektmanagement beflügelt, wie Bernd Agge, Leiter des Projektbüros, zufrieden feststellt. P rojektmanagement in der Wohlfahrt? Weshalb denn nicht? Das „Diakonische Werk Schleswig Holstein“, so betont Bernd Agge, funktioniert wie jedes andere Unternehmen. Will meinen, in der Wohlfahrt diktieren knappe Budgets und steigende Qualitätsansprüche das Handeln. Das sei, meint der Projektfachmann, nicht anders als in anderen „Branchen“, eher schlimmer. Der Wind in der norddeutschen Wohlfahrt weht wie überall in der Republik schärfer. Und: Neue pädagogische Ansätze oder Pflegekonzepte und Entwicklungen versprechen, soziale Not und Probleme wenn nicht zu lösen, dann doch stärker zu lindern. Schnell fällt der Begriff Effektivität, allerdings mit der Einschränkung, dass es um einen humanen Anspruch geht. Und gerade zwischen diesen beiden Ansprüchen - Wirksamkeit und soziales Denken - könne Projektmanagement hervorragend vermitteln. Das ist für Bernd Agge klar wie der blaue Küstenhimmel. „Als Dachverband der Wohlfahrtspflege müssen wir betriebswirtschaftlichem und unternehmensstrategischem Denken folgen“, meint er, „nur so können wir in der heutigen Zeit wirksam helfen.“ Gleiches gelte für die 425 Einrichtungen, die Partner in dem Verband sind. Auch sie müssen, salopp pointiert, aus immer weniger Geld immer mehr „Wohlfahrt“ für die rund 55.000 Plätze im nördlichsten Bundesland machen. Bernd Agge weiß: „Wir sind ein Unternehmen.“ Und: „Wir wollen neben der Linienarbeit interne Veränderungen in Gang setzen und nach außen neue Dienstleistungen entwickeln.“ Für ihn ist Projektmanagement nicht nur ein Werkzeug, sondern ein Führungskonzept, in dem Stammorganisation und Linie gleichberechtigt nebeneinander existieren. Bernd Agges erste Bilanz für seinen Verband, der in Rendsburg direkt am Nord-Ostsee-Kanal sein moder- Macht sich stark für Projektmanagement im „Diakonischen Werk Schleswig-Holstein“: Bernd Agge, Leiter des Projektbüros. Foto: Diakonie P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 16 REPORT nes Domizil hat, ist vielversprechend. Die Projektorganisation steht. Sie ergänzt die Linienorganisation. Gemeinsam mit dem Vorstand gelang es sogar, die anderswo viel gefürchtete „Linie“ von den Methoden und Werkzeugen des Projektmanagements zu überzeugen. Berührungsängste gab es selten. Heute will selbst die Linie die Segnungen des Projektmanagements nicht mehr missen. Agge weiß aber auch, wie die Startbedingungen seine Arbeit beflügelt haben: In der Wohlfahrtspflege, generell in der „Sozialen Branche“, ist die Kooperation zwischen Mitarbeitern ausgeprägt. Über vieles wird hier offen gesprochen, was anderswo still bekämpft oder unter den Teppich gekehrt wird. Sachlicher, auch kontroverser, immer aber respektvoller Umgang verhindert das schädliche Kästchen- und Abteilungsdenken. Das kam Agges Werben für Projektmanagement entgegen. Was ihm beim Diakonischen Werk ebenfalls Wind unter die Flügel gab, als er Projektmanagement einführte: Der Dachverband mit seinen knapp 80 Mitarbeitern war in seinen Schlüsselpositionen soeben mit neuen, aufgeschlossenen Mitarbeiterinnen besetzt worden. Sogar der Vorstand war neu - derweil Bernd Agge sein „Unternehmen“ seit rund zwanzig Jahren kannte. Projektmanager qualifizieren, die Organisation „projektfit“ machen, Leitlinien und Prozesse bestimmen - er nutzte den klassischen Dreischritt, den Experten für alle Branchen empfehlen. Mit Cornelia Stehr, die ihre Arbeit auf Gesundheit und Soziales konzentriert, nahm er eine Beraterin an Bord. Erste entscheidende Projektmanagement beim „Dienst am Nächsten“: Experten halten Projektmanagement für eine gute Methode, mit wenig Mitteln viel zu helfen. Projektmanagement kann, so betonen Experten, effektive Arbeitsweisen und den humanen Anspruch der Wohlfahrtsorganisationen zusammenführen. Foto: Alzheimer-Hilfe Foto: Otto Bock, HealthCare P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 17 Weichenstellung: Der Verbandsvorstand macht „Projektmanagement“ zur Chefsache. Statt jemanden am Rande damit zu beschäftigen, richtet das Diakonische Werk ein eigenes Büro ein. Das Signal wirkt - auch in Richtung der 425 Partner im Verband, in Behinderteneinrichtungen, Pflegeheimen, Altenhilfe oder Einrichtungen der Psychiatrie. Bislang hatten sich nur wenige ansatzweise mit Projektmanagement beschäftigt. Heute registriert Agge steigende Nachfrage von der Basis, die rund 28.000 Arbeitsplätze in Schleswig- Holstein stellt. „Unsere Mitglieder scheinen darauf zu warten, dass vom Landesverband der Funke überspringt und dass wir Konzepte entwickeln.“ Doch langsam. Zunächst zehn Mit- GPM-Fachgruppe gegründet Zum Projektmanagement im Bereich „Gesundheit, Soziales und Umwelt“ hat sich eine eigene GPM-Fachgruppe gebildet. Hintergrund: Die so genannten „Non-Profit-Unternehmen“ benötigen Projektmanagement, um den anstehenden Wandel zu bewältigen. Steigendes Qualitätsbeswusstsein in den Organisationen, zunehmend individuelle Kundenanforderungen, ein sich verschärfender Wettbewerb, knappe Ressourcen sowie politische Veränderungen erfordern ein erweitertes Repertoire an Methoden und Werkzeugen. So hat sich die im November 2001 gegründete GPM-Fachgruppe auf die Fahnen geschrieben, Projektmanagement für diesen Bereich zu entwickeln und zu fördern. Zudem will sie Netzwerk und Know-how der GPM für Non-Profit-Unternehmen nutzen. „Wir werden in der nächsten Zeit die PM-Methoden den Kunden anpassen und die Unternehmen unterstützen, Projektmanagement einzuführen“, erklärt Cornelia Stehr (Cornelia Stehr Projektmanagement - Beratung und Fortbildung für Projektarbeit, Hamburg). Auch Erfahrungsaustausch und Publikationen stehen auf dem Programm der Fachgruppe, die sich vier Mal im Jahr trifft. Bislang haben sich Petra Bickelbacher (Diakonie Neuendettelsau), Bernd Hannemann (Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, Rendsburg), Sylke Känner (Universität Bielefeld) sowie Stefan Schartzkopff (Unternehmensberater, Berlin) der Gruppe angeschlossen. Weitere Aktive können sich bei Cornelia Stehr (Tel. 040/ 32 87 13 53) melden. Mit Projektmanagement neue Angebote für ältere Menschen entwickeln: Das „Diakonische Werk Schleswig-Holstein“ hat Projektmanagement eingeführt, um sich für Zeiten knapper Kassen und steigender Anforderungen zu rüsten. Foto: DRK P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 18 REPORT arbeiter ließ der Verband zu Projektmanagementfachleuten nach den GPM-Richtlinien ausbilden. Cornelia Stehr mischt in ihren Lehrgängen gerne Teilnehmer aus dem Sozialwesen mit Teilnehmern aus Industrie und Wirtschaft, eine Synthese, die sie für sehr befruchtend hält. Ihre Projektmanager schlossen den Lehrgang rundum gut ab, die unterschiedlichen Mentalitäten ergänzten sich. In Pilotprojekten entwickelte das Diakonische Werk Arbeitszeitmodelle, schob Qualitätsentwicklungen an, baute Datenbanken auf und erarbeitete Marketing- Unterlagen. Zweite Weichenstellung: Das „Diakonische Werk“ wertete die Erfahrungen aus diesen fünf Pilotprojekten systematisch aus, eine Basis, auf die der Verband seine PM-Leitlinie stellte. Klare Zieldefinition sowie sorgfältige Auswahl von Projektleiter und Team stehen obenan. Neben der Organisation, Zielen der Projektarbeit, Aufgaben des Vorstands, Steuerung und Schnittstellenklärung machte das Diakonische Werk auch die Projektkultur zum Thema: Die Leitlinien betonen offenes, angstfreies Arbeitsklima und respektvolles Miteinander. Niemand wird zur Projektarbeit „gezwungen“. Konflikte sprechen Teams und Linienmitarbeiter offen an und schlichten sie lösungsorientiert. „In unserer Organisation haben wir uns das Leitbild zu Eigen gemacht, dass der Mensch mit seinen Stärken und auch seinen Schwächen im Zentrum unseres Handelns steht“, erläutert Agge. Zwar spielen betriebswirtschaftliche Erwägungen eine wichtige Rolle, sind aber nicht ausschließliches Maß der Entscheidungen. „Der Gedanke christlicher Nächstenliebe prägt unser Miteinander“, sagt Agge, ein Anspruch, der nicht immer leicht zu erfüllen ist. Ob er sich mit dem Führungsbild verträgt, das Projektmanagement heute vermittelt? Bernd Agge ist sich sicher: „Beides passt ausgezeichnet zueinander. Humanes Handeln und die Optimierung von Arbeitsabläufen sind kein Widerspruch.“ Viele Projektmanagementmethoden, so hat er festgestellt, bringen die Mitarbeiter voran - ungeachtet der Kosten- Nutzenrechnung. Projektmanagement sei auch persönliche Bereicherung, eröffne seinen Kollegen Freiräume und führe zu mehr Mitarbeiterzufriedenheit. Dritte Weichenstellung auf dem Weg zum Projektmanagement: Das Diakonische Werk baute eine eigene Projektmanagementorganisation auf. Das Projektbüro koordiniert die Projekte, hilft Projektleiter und Team auszuwählen, schlägt die Finanzierung der Projekte vor, bereitet Vorstandsentscheidungen vor und übernimmt das Controlling. Die klassischen Aufgaben des Multiprojektmanagements und Project Office. Und nach allen Regeln der Kunst wurde das Büro direkt dem Verbandsvorstand unterstellt. Es machte Agge nur wenig Schwierigkeiten, „the way of project management“ im eigenen Haus der Linie zu vermitteln. Ganz im Gegenteil, er fand es „relativ leicht“, die Kollegen von dem neuen Führungskonzept zu überzeugen. In einem Nutzenpapier machte er „Public Relations“ in eigener Sache und argumentierte für das Konzept. Die Eigenverantwortung der Mitarbeiter, so schrieb er, werde gestärkt, die Arbeit in Richtung Zielorientierung verbessert. Und nicht zuletzt lernen Mitarbeiter im Team wichtige Kniffe und Techniken zur Selbstorganisation und Arbeitsgestaltung - Lektionen, die sich auch in der Linie bezahlt machen. Zugleich weiß Agge, dass er bislang im günstigen Wind gesegelt ist. Den sonst häufig beklagten Konflikt zwischen Linie und Projektorganisation stellt Agge nur selten fest. Nicht, dass der Arbeitsalltag - bei allem respektvollem Miteinander - mit ewig währender Harmonie gesegnet sei. Streitigkeiten und sich widersprechende Interessen gibt es immer wieder, dann beispielsweise, wenn die Linie Mitarbeiter für Projekte freistellen soll. Doch Gefechte und schwelende Kleinkriege bleiben aus, auch hinderliches „Kästchendenken“ stellt er selten fest. „Wir lösen die Konflikte im Konsens“, meint Agge, „und diese Konsensfindung ist Aufgabe meines Büros.“ Bei dieser Konsenssuche allerdings kommt ihm dann doch der spezielle Auftrag seines „Unternehmens“ entgegen. Das gemeinsame Ziel, für die Wohlfahrt im hohen Norden tätig zu sein, verbindet und verschweißt viele Mitarbeiter - gleich, ob in Linie oder Projekt. ■ Die Zahl pflegebedürftiger Menschen steigt. Projektmanagement hilft, so meinen Sozialexperten, neue Angebote und Pflegekonzepte zu entwickeln. Foto: Alzheimer-Hilfe P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 19 Projektmanagement scheint nun auch im Gesundheitswesen und im Sozialbereich Fuß zu fassen. Das verwundert auf den ersten Blick. Cornelia Stehr: Verwundert? Weshalb? Eine projektorientierte Wohlfahrtsinstitution - das mutet sehr wirtschaftsorientiert an. Immerhin geht es um den Dienst am Nächsten. Cornelia Stehr: Ich sehe hier keinen Widerspruch. Sicherlich, die Ziele in diesen Organisationen und Institutionen unterscheiden sich von denen der Wirtschaft. Dennoch unterliegen die Organisationen betriebswirtschaftlichen Zwängen - wie Unternehmen der Wirtschaft auch. Was spricht dafür, den Organisationen Projektmanagement zu empfehlen? Cornelia Stehr: Die Organisationen suchen effektivere Arbeitsweisen. Diese Effektivität soll letztlich den Menschen zugute kommen, die diese Organisationen in Anspruch nehmen. Projektmanagement kann hier helfen, soziale Ziele zu erreichen. Also Projektmanagement als ein Weg, mehr aus den vorhandenen Mitteln zu machen? Cornelia Stehr: Ja! Diese Mittel sind leider nicht mehr so üppig vorhanden wie noch vor Jahren. Ob Krankenkasse oder Wohlfahrtsverband - alle werden zum Sparen gezwungen. Hier kann Projektmanagement in der Tat helfen, vorhandene Ressourcen besser auszuschöpfen. Zugleich steigen die Herausforderungen. Neue Dienstleistungen müssen entworfen werden. Im Bereich Gesundheit denke ich an Vorsorgemaßnahmen. Für Wohlfahrtsverbände gilt Ähnliches. Hier gibt es Konzepte, Menschen auf neuen Wegen zu helfen. Mit einem Wort, der Bereich steht unter Innovationsdruck bei knappen Kassen … Cornelia Stehr: Genau. Die Rahmenbedingungen ändern sich. Hier kann Projektmanagement Effizienz und Innovation herbeiführen. Das haben einige Organisationen erkannt, und es scheinen mehr zu werden, die Interesse am Projektmanagement anmelden. Sie haben von Projektmanagement gehört und überlegen, wie sie es für ihre Ziele verwenden können. Die Bereitschaft, vom Projektmanagement als Führungs- und Organisationskonzept zu lernen, ist groß. Nochmals zurück zur Ausgangsfrage. Diese Organisationen sind keine Wirtschaftsunternehmen im herkömmlichen Sinne. Hier geht es nicht um Produkte und Märkte, sondern um Menschen. Was bedeutet dies, wenn man in diesem Bereich Projektmanagement einführt? Cornelia Stehr: Vorbedingung ist, dass die Organisationen sich über ihre Ziele im Klaren sind und wissen, wo sie hinwollen. Erst dann kann man sehen, welche Dienste Projektmanagement hier leisten kann. Zudem ist wichtig, dass Projektmanagement von Vorständen und Geschäftsführern unterstützt wird. Hier sind ein deutliches Bekenntnis und aktive Unterstützung nötig. „Projektmanagement kann helfen, soziale Ziele zu erreichen.“ Interview mit der Hamburger Projektmanagementexpertin Cornelia Stehr Oliver Steeger Die Hamburger Projektmanagementexpertin Cornelia Stehr hat das „Diakonische Werk Schleswig-Holstein“ bei der Einführung des Projektmanagements beraten. Sie hat über Jahre im Gesundheitswesen und Sozialbereich gearbeitet - Erfahrungen, die ihr bei Verständnis und Beratung sozialer Organisationen zugute kommen. Cornelia Stehr: „Projektmanagement kann helfen, die Ressourcen sozialer Organisationen besser zu nutzen.“ Foto: privat P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 20 REPORT Wie reagieren die Menschen, die im sozialen Bereich tätig sind, auf Projektmanagement? Cornelia Stehr: Es gibt in der Tat einige Unterschiede zur freien Wirtschaft. Wie gesagt, im sozialen Bereich steht der Mensch im Zentrum der Arbeit. Dies färbt auf die Mentalität und auf das Selbstverständnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ab, die hier tätig sind. Beispielsweise ist Mitarbeiterorientierung stark ausgeprägt. Viele Organisationen werden unter humanistischen Gesichtspunkten geführt. Neben den Aspekten qualitativ hochwertiger Dienstleistungen, niedriger Kosten und Zeitersparnis werden immer die Person des einzelnen Mitarbeiters sowie die Gruppe und die Umwelt im Zentrum des Handelns stehen. Allein mit dem magischen Dreieck des Projektmanagements (Qualität, Zeit und Budget) kommt man also nicht voran? Cornelia Stehr: Das Dreieck ist gut und wichtig. Es muss nur entsprechend ergänzt werden. Im sozialen Bereich geht es ja nicht um Entwicklung neuer Produkte, die sich gewissermaßen vom Menschen lösen lassen. Vielmehr müssen diejenigen, die helfen und denen geholfen wird, ins Projektmanagement integriert werden. Sie müssen partizipieren können. Ein Beispiel? Cornelia Stehr: Im sozialen Bereich hat die Gruppe eine besondere Bedeutung. Projektmanagement, das Teamarbeit fördert und zugleich über die Grenzen von Abteilungen hinweg Menschen zusammenbringt, trifft in sozialen Organisationen auf gutes Feedback. Ein anderes Beispiel: In den Organisationen werden Mitarbeiter mit ihren Stärken und Schwächen ganzheitlich, aus den humanistischen Leitgedanken heraus gewürdigt. Ein wesentliches Ziel ist es, dass sich Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz wohl fühlen, sich entfalten können und Feedback auf ihre Arbeit erhalten. Dem müssen PM-Konzepte Rechnung tragen, wenn sie hier wirksam werden wollen. Aus diesem Grunde hat das Diakonische Werk Schleswig-Holstein in seinen Projektmanagement-Leitlinien nicht nur Organisation und Prozesse beschrieben, sondern ein eigenes Kapitel auch der Projektkultur und dem Miteinander gewidmet. Wie kann so etwas in der Praxis aussehen? Cornelia Stehr: Teambildung hat in diesem Bereich einen sehr hohen Stellenwert. Hintergrund ist nicht allein, die Effizienz der Teamarbeit zu verbessern. Es geht auch um Arbeitsbedingungen aus der besagten humanistischen Perspektive. Ähnlicher Wert wird darauf gelegt, dass alle am Projekt Beteiligten und vom Projekt Betroffenen ins Boot geholt werden. Hier kann die Stakeholder-Analyse diesen Prozess unterstützen, methodisieren und standardisieren. Gibt es auch Vorbehalte gegen Projektmanagement? Cornelia Stehr: Ich meine, dass die strenge Ergebnisorientierung und Methodik des Projektmanagements im sozialen Bereich Ressentiments aufbauen kann. Die Menschen fühlen sich kontrollierbarer, sie sind autonomes Arbeiten oder auch Routinen gewöhnt. Bei der Einführung von Projektmanagement ist es deshalb wichtig, über die neuen Methoden und Arbeitsweisen gründlich zu informieren. Und man darf nicht vergessen, die bisherigen Arbeitsweisen wertzuschätzen. ■ P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 21 Gerhard Graf, Gabriele Jordan Der Einsatz virtueller Projektteams, deren besondere Rahmenbedingungen neue Führungsherausforderungen schaffen, nimmt zu. Genau wie andere Teams auch durchlaufen virtuelle Projektteams verschiedene Entwicklungsphasen - diese erfordern jedoch bei der „Arbeit auf Distanz“ besondere Wege des Umgangs: Wichtige Voraussetzungen für erfolgreiche Teamarbeit müssen innerhalb kürzester Zeit geschaffen und tragfähig gemacht werden. Wir schlagen dazu ein Vorgehensmodell in drei Phasen (Initialisierung und Kickoff, Produktivarbeit und Follow-up, Abschluss) vor. Für den Kickoff wird ein gemeinsames outdoorbasiertes Teamtraining empfohlen. In der zweiten Phase steht die Gestaltung der Kommunikation im Vordergrund, die durch ein weiteres gemeinsames Follow-up-Training unterstützt wird. Auch zum Abschluss sollte noch ein gemeinsamer Workshop des Teams stattfinden. Insgesamt ist nach unserer Erfahrung ein virtuelles Team ganz ohne persönlichen Kontakt nicht leistungsfähig, sondern benötigt ein gewisses Maß an bewusst gestalteter gemeinsamer Arbeitszeit. Virtuelles Teammanagement im Projekt Eine neue Herausforderung im Umgang mit Hochleistungsteams - ein Diskussionsansatz 1. Zum Hintergrund Die zunehmende Vernetzung in und zwischen Unternehmen, die fortschreitende Globalisierung, beschleunigter Wettbewerb und die verkürzten Erneuerungszyklen von Produkten und Prozessen erhöhen die Anforderungen an die schnelle Reaktionsfähigkeit von Unternehmen. Gleichzeitig sind die komplexen Herausforderungen zumeist nur noch durch Einsatz von Teamarbeit lösbar. Die weltweite Vernetzung durch Internet-Technologien ermöglicht dabei heute die Zusammenarbeit „virtueller“ Teams 1 über Abteilungs- und Organisationsgrenzen hinweg. Nur wer schnell die richtigen Experten in einem Team zusammenbringt und deren Arbeit optimal unterstützt, kann den Time-to-Market-Prozess verkürzen und so seine Wettbewerbsposition stärken. Die Geschäftsprozesse erfordern hohe Flexibilität in der Zusammenarbeit zwischen - über mehrere Standorte verteilten - Mitarbeitern, Abteilungen etc. sowie Unternehmen und deren Kunden. Virtuelle Projektteams und die notwendigen, damit verbunden Managementskills gewinnen daher zunehmend auf unternehmensstrategischer Ebene an Bedeutung. 2. Die Problemstellung und Zielsetzung der vorliegenden Arbeit Virtuelle Projektteams „produzieren“ aufgrund ihrer besonderen Rahmenbedingungen völlig neue Probleme. Sie stellen sowohl Verantwortliche als auch Teammitglieder selbst vor Herausforderungen und Ansprüche, die mit den üblichen Teammanagement-Tools (kontinuierliche Abstimmungsmeetings, Arbeitstreffen etc.) nicht mehr effizient und effektiv gelöst werden können. Virtuelle Teams sind daher aufgrund der „Arbeit auf Distanz“ in einem anderen Licht als herkömmliche Arbeitsgruppen zu sehen. Regelmäßig „kämpfen“ virtuelle Teams mit ❏ einem erhöhten Ausmaß an Abstimmungsproblemen und Missverständnissen, ❏ einem wenig konzertierten, häufig unabgestimmten Vorgehen zwischen den Teammitgliedern, ❏ plötzlichen Ausreißern, ❏ Energie- und Engagementverlust über die Zeit, ❏ einem unterschiedlich verstandenen - obwohl gemeinsam committeten - Arbeitsziel und Ergebnisverständnis aller am Projekt beteiligten Personen. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich in erster Linie mit dieser besonderen Problemlage und versucht, konkrete, praktische Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen, mit deren Hilfe virtuelles Teammanagement effizient und effektiv gestaltet werden kann. WISSEN 1 Für den Begriff Virtualität in diesem Kontext existiert mittlerweile eine Vielzahl verschiedenster Definitionen. Bei der Durchsicht einschlägiger Literatur ist es daher sehr schwierig, ein einheitliches Verständnis zu erkennen. Umso wichtiger erscheint es daher, zu Beginn dieses Beitrages die hier verwendete Begrifflichkeit klar festzulegen. Im Folgenden soll, in Anlehnung an Krystek/ Redel/ Reppegath, unter „virtuellen Teams“ die Zusammenarbeit von Personen verstanden werden, die durch geeignete Informationstechnologien gestützt und vernetzt über Distanz an einer gemeinsam definierten und vereinbarten Aufgabenstellung zeitlich begrenzt zusammenarbeiten [4, S. 7]. P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 22 WISSEN Den theoretischen Hintergrund der vorliegenden Arbeit bildet dabei das klassische Phasenmodell der Gruppenentwicklung von Tuckman 2 . Auf Basis dieses Teamentwicklungsprozesses werden zentrale Themen der Gruppenbildung (Positionen und Rollen im Team, Ziele und Normen von Teams, Bedingungen erfolgreicher Gruppenarbeit) skizziert und auf die Besonderheiten virtuellen Teammanagements hin analysiert. Das Aufzeigen verschiedener konkreter Gestaltungsansätze anhand eines Vorgehensmodells bildet anschließend den Kernteil dieses Beitrages. Das Resümee, verbunden mit einem Ausblick, rundet den Artikel ab. 3. Aspekte virtuellen Teammanagements Analog einer jeden Gruppenarbeit zeichnet sich auch ein virtuell organisiertes und arbeitendes Team durch Merkmale aus, die die Zusammenarbeit von Personen generell charakterisieren. Nun soll hier nicht im Detail auf Arbeitsvoraussetzungen, Vor- und Nachteile, Stärken und Schwächen von Teams in genereller Hinsicht eingegangen werden 3 ; in diesem Beitrag geht es vielmehr um die Besonderheiten virtueller Teams und deren effiziente und effektive Gestaltung. Zunächst drängt sich die Frage auf: Wann und warum sollten überhaupt virtuelle Teams gegründet werden, also Personen über Distanzen zusammenarbeiten? Dazu einige Voraussetzungen: ❏ Eine Teamarbeit ist dann sinnvoll, wenn die zu bewältigende Aufgabenstellung eine Komplexität aufweist, welche eine Zusammenarbeit mehrerer Experten erfordert. ❏ Wenn die Aufgabenstellung an sich eine Zusammenarbeit auf Distanz bedingt (z. B. im Bereich der IT: die Frage des Zusammenspiels verschiedener Server in einem System). Häufig sind derartige Experten nicht an einem gemeinsamen geographischen Ort angesiedelt, sondern müssen sich entweder bewusst in einem Projektbüro zusammenfinden oder über Distanzen konzertiert zusammenarbeiten. In dem vorliegenden Fall fokussieren wir uns auf die Distanzarbeit. ❏ Eine Kooperation über räumliche Entfernung erfordert entsprechende Voraussetzungen auf inhaltlicher, mentaler, sozialer, technischer und organisatorischer Ebene, die einerseits vorhanden sein müssen (mental), andererseits geschaffen werden sollen (sozial, technisch, organisatorisch). Grundsätzlich wird in der Gruppendynamik davon ausgegangen, dass Teams stets gleiche oder ähnliche Gruppenbildungsprozesse durchlaufen, die Tuckman 4 in ein 4-Phasen-Modell gegossen hat. Die bisherigen Erfahrungen mit virtuellen Teams zeigen, dass auch hier diese Prozesse und Abläufe greifen. 3.1 Phasen der Gruppenentwicklung Empirisch ist die Bildung und Entwicklung von Teams meist in psychotherapeutischen und T-Gruppen 5 untersucht worden. Tuckman hat auf der Grundlage einer Phase Gruppenstruktur Aufgabenverhalten (1) Forming Unsicherheit; Abhängigkeit von einem Führer; Ausprobieren, welches Verhalten in der Situation akzeptabel ist; Versuch der Orientierung Mitglieder definieren die Aufgaben, die gewünschten Arbeitsregeln, die Ziele und die geeigneten Methoden; Energie steckt primär im Abtasten und Finden, weniger im effizienten und effektiven Arbeiten (2) Storming Konflikte zwischen Team-Mitgliedern; Aufstand gegen den vermeintlichen Team-Leiter; Polarisierung der Meinungen; Ablehnung einer Kontrolle durch die Gruppe Emotionale Ablehnung der Aufgabenanforderung, -verteilung; Energie steckt primär im Durchsetzen der eigenen Meinung und Einschätzung - Machtkampfphase (3) Norming Entwicklung von Gruppenkohäsion; Einschätzung des individuellen Selbst- und Fremdbildes; Klärung der Stärken, Schwächen und Interessen der Teammitglieder; Aufbau einer funktionalen Vertrautheit Offener Austausch von Meinungen und Gefühlen, Kooperation entsteht; Energie steckt im konstruktiven Erarbeiten akzeptabler und lebbarer Teamregeln (4) Performing Interpersonelle Probleme sind angesprochen und ausdiskutiert; Gruppenstruktur ist funktional zur Aufgabenerfüllung; Rollenverhalten ist flexibel und funktional; es entsteht ein Wir-Gefühl, Teammitglieder können sich zunehmend mit der Aufgabenstellung identifizieren Problemlösungen tauchen auf, konstruktive Aufgabenbearbeitung; Energie des Teams liegt primär im effizienten und effektiven Lösen von Aufgabenstellungen - Hauptarbeitsphase Tabelle 1: Vier Phasen der Gruppenentwicklung. Quelle: Tuckman (1965) zitiert in [7, S. 256]. 2 Vgl. Tuckman (1965), zitiert in [7, S. 256]. 3 Dazu einige Hinweise zur einschlägigen Literatur in [1], [2], [5] und [7]; siehe auch im Besonderen [8, S. 515 ff.] und [9]. 4 Vgl. Tuckman (1965) zitiert in [7, S. 256]. 5 T steht für „Training“. P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 23 umfangreichen Auswertung zahlreicher, ihm vorliegender Studien vier Phasen der Gruppenentwicklung identifiziert (siehe Tabelle 1). Die Realität zeigt, dass die einzelnen Phasen nicht übersprungen werden können, ohne sich negativ auf das Leistungsniveau des Teams auszuwirken. Es gibt jedoch viele Teams, die in den Phasen 1 oder 2 „stecken bleiben“ und sich in der Folge relativ schnell auflösen oder höchst ineffizient performieren. Auch in virtuellen Teams sind diese Phasen evident und müssen, aufgrund der räumlichen Distanz, besonders bewusst gestaltet werden. Ein echtes und tragfähiges Wir-Gefühl, das effiziente Hochleistungsteams charakterisiert, kann ohne das Durchlaufen dieser Phasen nicht entstehen. Hierin liegt jedoch häufig das Kernproblem: Nicht selten wird gerade die Stormingphase umschifft oder ihr Durchleben unterdrückt bzw. kontraproduktiv abgekürzt. Obwohl gerade in dieser Kernphase die Grundlage erfolgreicher Teamarbeit geschaffen wird, wird dieser Aspekt häufig (bewusst oder unbewusst) von den Mitgliedern, aber auch den Verantwortlichen vernachlässigt. Und die Besonderheit virtueller Teams: Die Distanzarbeit „lädt“ förmlich dazu ein, gerade die Bedeutung des bewussten Durchlebens dieser Phasen zu vernachlässigen. Wir wollen kurz festhalten: Teamentwicklungsprozesse sind in virtuellen Teams gleichermaßen wie in jedem anderen Team gegeben. Lediglich der lose Kontakt verführt alle Beteiligten zu einem möglichen Ignorieren, Verdrängen oder Verkürzen. Eine schwache Teamperformance ist daher bei virtuellen Teams sehr häufig zu erkennen 6 . Im Rahmen dieser Teamprozesse müssen schließlich wichtige Kernelemente der Teambildung so erarbeitet werden, dass sie eine tragfähige und lebbare Basis bilden: ❏ Arbeitsregeln, ❏ Teampositionen und -rollen, ❏ ein klarer Vorgehensplan, ❏ echtes Commitment der Teammitglieder zur Aufgabenstellung und zur Roadmap, ❏ funktionale Vertrautheit zwischen den Mitgliedern. 3.2 Kernelemente virtueller Teamarbeit Wann kann von einem gut organisierten und performanten virtuellen Hochleistungsteam ausgegangen werden? a) Den Teammitgliedern ist Ziel, Sinn und Zweck des Projektes klar; die einzelnen Personen können sich mit der Aufgabe identifizieren und sehen einen echten persönlichen Sinn in der Mitarbeit - das Verhältnis zwischen individuellen Interessen und die Möglichkeiten, sich in das Projekt einzubringen, sind für jedes Teammitglied geklärt. b) Der Vorgehensplan des Projektes ist von den Teammitgliedern gemeinsam erarbeitet und verabschiedet. c) Die Regeln der Zusammenarbeit sind festgelegt, von den Teammitgliedern committet und lebbar. d) Alle Teammitglieder haben ihren „Platz“, ihre Rolle gefunden und können sich mit derselben identifizieren; allen Mitgliedern ist jedoch bewusst, dass eine Verschiebung der Herausforderungen oder der Rahmenbedingungen eine Rollenveränderung, -verschiebung nach sich ziehen kann. e) Das Verhältnis der Teammitglieder zueinander kann mit „funktionaler Vertrautheit“ umschrieben werden. Jedes Mitglied hat zu den anderen Teammitgliedern so weit Vertrauen, dass es sich auf die anderen tatsächlich verlässt oder mögliche Probleme sofort ansprechen kann. f) Sämtliche Teammitglieder verfügen über ein notwendiges technisches Equipment (Internetanschluss, E-Mail etc.) und können dieses auch optimal nutzen. g) Kommunikationskanäle (siehe unten) sind eingerichtet, deren Einsatz ist eindeutig und für alle Teammitglieder klar definiert, und alle halten sich an die getroffenen Vereinbarungen. 4. Virtuelles Teammanagement - ein Vorgehensmodell Im Folgenden wird ein Teamentwicklungsmodell vorgestellt, das sich speziell im Bereich virtueller Zusammenarbeit als sehr hilfreich erwiesen hat. Durch die drei Phasen soll auf strukturierte Weise einerseits der Team-Performanceprozess bewusst gestaltet werden, andererseits soll den Teams der Raum der individuellen Anpassung an die jeweiligen konkreten Gegebenheiten ermöglicht werden. Vorweg sei an dieser Stelle erwähnt, dass von Beginn an eindeutig die Gesamtprojektleitung festgelegt sein muss. 4.1 Phase I - Initialisierung und Kickoff Kernelement der Phase I zum effizienten Teamstart bildet ein gemeinsames Outdoor-Teamtraining, in welchem alle Kernthemen des virtuellen Teammanagements bearbeitet und bereits „gelebt“ werden. Wichtige Voraussetzung für die Entwicklung funktionalen Vertrauens ist dabei, dass sämtliche Mitglieder innerhalb einer kurzen Zeit eine gemeinsame Erfahrungswelt aufbauen, auf die sie sich während der Projektarbeit immer wieder beziehen können. Aus diesem Grund wird ein Projekt-Kickoff-Workshop mit Outdoorcharakter, verbunden mit genau auf die Aufgaben des Teams zugeschnittenen Trainingseinheiten, empfohlen. In dieser Kickoff-Veranstaltung, die in der Regel 3-4 Tage umfassen sollte, wird auf zwei Ebenen gleichermaßen gearbeitet. Die Ebene 1 umfasst die konkrete Projektarbeit mit der Definition der Zielsetzungen, Aufgabenstellungen, Arbeitspakete, Projektroadmap etc. Parallel dazu werden auf der Ebene 2 konkret Teamprozesse thematisiert und angestoßen. Genau auf die Herausforderungen abgestimmte, sukzessive schwieriger werdende Aufgabenstellungen mit Outdoorcharakter müssen schrittweise im Team gelöst werden. Dabei kann 6 Evidenzen für eine abnehmende Performance sind: Termine werden nur noch bedingt eingehalten oder geschoben; das Projekt nimmt in der „Prioritätenliste“ der Teammitglieder eine zunehmend nachrangige Position ein; Team-Mitglieder springen ab; Missverständnisse häufen sich; Anzahl von Absprachen aufgrund widersprüchlicher Wahrnehmungen steigt. P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 24 WISSEN genauso ein sich permanent ändernder Rollenmix simuliert werden wie auch gemeinsame Erfahrungen im Aufbau von Vertrauen gesammelt werden können. Wichtig in dieser Phase der Arbeit ist dabei, dass der oben erwähnte Teamentwicklungsprozess bewusst angestoßen wird und von den Teammitgliedern durchlebt werden kann. Durch permanente Teamprozess-Reflexion und Transfer zum Projektauftrag und zu den damit verbundenen Rollen und Spielregeln wird ein Mix von Erfahrungen erarbeitet und erlebt, der die spätere Distanzarbeit wesentlich erleichtert und merkbar die Effizienz und Effektivität virtueller Teams erhöht. Weniger Reibungsverluste von Beginn an innerhalb des Teams und in Bezug zur „Teamaußenwelt“ führen zu höherer Motivation bei den Betroffenen 7 . Welche Ziele werden durch ein solches Kickoff-Training angestrebt? ❏ Durch die besondere Form des angewandten Methodenmix wird der Transfer in den Projektalltag auf Distanz nachhaltig sichergestellt. ❏ Durch Learning by Doing gewinnen die Teilnehmer eine erhöhte Sensibilität für ihr eigenes Verhalten und für soziale Prozesse (gemeinsame, einheitliche „Teambrille“). Wichtige Teamentwicklungsschritte (vier Phasen, s. o.) werden schneller und zielgerichteter durchlaufen. Die Teilnehmer gewinnen Erfahrung mit diesen Prozessen und lernen Tools zur Bewältigung von Teamkrisen konstruktiv anzuwenden. Damit ist eine nachhaltige Performancesteigerung gewährleistet. ❏ Der erforderliche Grad an funktionaler Vertrautheit im Team wird schneller erreicht. ❏ Die spezifischen Teamthemen werden unmittelbar erlebt, dadurch für alle Beteiligten schnell transparent und direkt bearbeitet. ❏ Im Rahmen des Trainings werden allen Mitgliedern ihre jeweiligen Stärken und Schwächen in Bezug auf die Projektthemen transparent. ❏ Es wird erarbeitet, was vom Teamleiter erwartet wird und was der Teamleiter zur Wahrnehmung seiner Aufgabe von jedem Teammitglied erwartet und benötigt. Welcher Methodenmix hat sich dabei als besonders hilfreich erwiesen? ❏ Die konkrete, inhaltliche Projekt- Kickoff-Arbeit erfolgt im Team, wobei alle späteren Teammitglieder auch anwesend sein sollten. ❏ Parallel ablaufende Outdooreinheiten mit unbekannten und genau zugeschnittenen Aufgabenstellungen machen Teamsituationen unmittelbar erfahrbar. ❏ Die Leistungsfähigkeit des Teams wird messbar gemacht. Virtuelles Team - Entwicklungsphasen - Vorgehensmodell Virtuelles Team - Entwicklungsphasen - Vorgehensmodell Virtuelles Team - Entwicklungsphasen - Vorgehensmodell Virtuelles Team - Entwicklungsphasen - Vorgehensmodell Zielsetzung • gemeinsamer Abschluss des Projektes durch die Vorbereitung der Präsentation vor dem Kunden • Planung des weiteren Vorgehens • Lessons-learned-Summary ist erarbeitet Vorgehen (1)Gemeinsame Planung des Abschlusses (frühzeitig) - Telefonkonferenz, Videokonferenz (2)Abschlussworkshop mit Event Zielsetzung • sämtliche Teammitglieder committen sich zu den Zielen des Projektes und zur Projekt-Roadmap • die Teammitglieder kennen sich, wissen in der ersten Phase um ihre Stärken und Schwächen - funktionale Vertrautheit ist gegeben • Art und Qualität der Zusammenarbeit sind festgelegt und lebbar Vorgehen Outdoor-Team-Building mit sämtlichen Team-Mitgliedern Elemente: Teamarbeit, Rollendefinition, Einzelarbeit mit konkreter Zielvorgabe; Simulation von Arbeitsregeln; bewusst die gemeinsame Teambrille aufsetzen; Roadmap des Projektes ist erarbeitet etc.; Medien und Maßnahmen der Kommunikation sind mit Stärken/ Schwächen und Problemen erarbeitet; Zielsetzung • Teammitglieder arbeiten an ihren Aufgabenstellungen • fallweise und periodische Abstimmung über Internet, Videokonferenzen, Telefon etc. • Follow-up-Veranstaltung - Lessons-learned-Training Vorgehen (1) Produktivarbeit der Teammitglieder (2) Abstimmung entsprechend den getroffenen Arbeitsregeln (3) „Distanzabstimmung“ (4) Follow-up-Veranstaltung Lessons-learned-Training laut Roadmap (1-4-mal abhängig von der Dauer des Projektes) Mobilisierung/ Ausrichtung Phase I Initialisierung und Kick-off Phase III Abschluss Phase II Produktivarbeit und Follow-up Doing & Learning Abschluss Abb. 1: Teamentwicklungsmodell ❏ Inhaltliche Inputs durch Trainer garantieren Knowhow-Transfer. ❏ Reflexionsrunden lassen Teamprozesse und Verbesserungsmöglichkeiten transparent werden. ❏ Einzelreflexionen ermöglichen die Klärung der eigenen Position zum Team, zur Aufgabe etc. ❏ Wechselnde Teamkonstellationen stellen hohe Anforderungen an die Integrationsfähigkeit. ❏ Unterschiedliche Rahmenbedingungen beschleunigen Teamprozesse (Arbeitszeiten, Arbeitsrhythmus, Leistungsdruck, Konkurrenzsituation, Arbeit außerhalb des gewohnten Umfeldes etc.). 4.2 Phase II - Produktivarbeit und Follow-up Nachdem in der Phase I während des Kickoffs vom Team gemeinsam die Ziele, Arbeitspakete, Roadmap/ Meilensteinplanung usw. festgelegt wurden, geht es in der Phase II darum, die gesetzten Ziele produktiv umzusetzen - die „eigentliche“ Arbeitsphase des Projektes hat begonnen. Auf der Teamebene bedeutet dies, dass die Mitarbeiter - über die räumlichen Distanzen hinweg - einen konstruktiven Austausch und die abgestimmte Ausrichtung ihrer Aktivitäten aufbauen und aufrechterhalten müssen. Gerade hier fallen virtuelle Teams im Alltagsgeschehen häufig „auseinander“, wenn sie diesen Prozess der Zusammenarbeit nicht bewusst und ergebnisorientiert gestalten sowie immer wieder reflektieren und ihren Erfordernissen anpassen. Somit kommt der permanenten Kommunikation, Abstimmung, Klärung des aktuellen Standes, auftretender Schwierigkeiten, Änderungen und der erforderlichen nächsten Schritte innerhalb des virtuellen Projektteams in der Produktivphase zentrale Bedeutung für den Erfolg zu - es ist eine regelmäßige gemeinsame Vergewisserung des Projektverständnisses erforderlich. 7 Vgl. dazu [10]. P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 25 Im Workshop der Phase I wird daher u. a. vereinbart, wie die Kommunikationsplattform und -strukturen gestaltet werden sollen. Hier sind folgende Elemente von Bedeutung: ❏ schriftliche Kommunikation mittels Internetplattform, E-Mail etc., ❏ mündliche Kommunikation mittels Telefon, Videokonferenz, ❏ gemeinsame Arbeit in Follow-up-Trainings. Schriftliche Kommunikationsformen: An dieser Stelle soll als ein Beispiel einer gemeinsamen Kommunikationsplattform ein Internet-Tool vorgestellt werden, das sich in verschiedenen Projekten bei der Distanzarbeit bewährt hat 8 . Wichtig beim Einsatz von Kommunikationsplattformen ist generell, ❏ dass möglichst alle an den verschiedenen Projektstandorten (Projektleiter, Projektbüro, unterschiedliche Teamstandorte) vorhandenen, verschiedenen Informationen zentral und einheitlich für alle anderen Teammitglieder verfügbar gemacht werden (kein Information Hiding - eine Frage der beim Kickoff committeten Spielregeln), ❏ dass die zur Verfügung gestellten Informationen, Dokumente etc. stets auf aktuellem Stand sind, d. h., dass sich die Teammitglieder auf die Validität der Informationen absolut verlassen können, ❏ dass die Nutzung der Plattform im Projektteam verbindlich geregelt ist, d. h. dass einerseits tatsächlich alle relevanten Informationen in dem Tool öffentlich zur Verfügung stehen, andererseits dieses aber für die „offiziellen“ Informationen auch der einzige Kanal ist, ❏ dass angemessene Möglichkeiten sowohl für die Bereitstellung von Informationen (z. B. Kontaktliste, Teminkalender) als auch für die Möglichkeit der Kommunikation (z. B. Diskussionsforum) bestehen, ❏ dass alle Teammitglieder gleichermaßen Zugriff auf die Anwendungen haben, ❏ dass es eine verantwortliche Stelle (Projektbüro) gibt, die für das Kommunikationstool verantwortlich ist. In den Abb. 2 bis 6 werden unterschiedliche Module einer solchen gemeinsamen Plattform beispielhaft demonstriert und kurz erläutert. Die Thematik E-Mail soll hier nur insofern erwähnt werden, als sich E-Mails sehr gut für kurze schriftliche Nachrichten inkl. Versenden von Arbeitsmaterialien eignen. Niemals sollte eine E-Mail als Instrument der Konfliklösung und Konflikteskalation verwendet werden. Adäquate mündliche Kommunikationsformen: Für die Kommunikation über Distanzen lässt sich das Telefon kaum ersetzen. Kurzfristige Absprachen sind auf diese Art und Weise relativ leicht zu koordinieren. Zu beachten ist hierbei zudem, dass über das Telefon der „persönliche Draht“ innerhalb des Projektteams wesentlich besser als über schriftliche Medien gepflegt und aufrechterhalten werden kann. Da für die Leistungsfähigkeit des Teams nicht nur die rein sachliche Ebene ausschlaggebend ist, ist gerade bei der Distanzarbeit diese Form der direkten Kommunikation unbedingt zu nutzen. 8 Vgl. [3]. Abb. 2: Beispielanwendung Personen: Aktuelle Personen- und Adresslisten ermöglichen es jederzeit, verantwortliche Ansprechpartner mit allen Kontaktinformationen zu finden oder direkt per E-Mail mit ihnen zu kommunizieren. (Quelle: [3, S. 12 ff.]) Abb. 3: Beispielanwendung Projektstatus: Für jedes Einzelprojekt werden Arbeitspakete definiert und dafür die entscheidenden Meilensteine mit Fertigstellungsterminen festgelegt. Der Projektleiter hat jederzeit den Überblick über den aktuellen Status. (Quelle: [3, S. 12 ff.]) Interessant für virtuelle Teamarbeit mittels Telefon erscheint die Telefonkonferenz. Sie ist prinzipiell unkompliziert zu handhaben, schnell einsetzbar, erfordert jedoch bei den Teammitgliedern eine besondere Art des Umgangs miteinander. Der Teammanager sollte dabei dieses Instrument bewusst für Absprachen nutzen. Von besonderer Bedeutung erscheint dabei, dass diese Form der Konferenz bei allen Beteiligten eine Eingewöhnungsphase erfordert. Gerade in dieser ersten Zeit erwiesen sich bisher konsequent durchgeführte, kurze Erfahrungsreflexionen (sie können bereits im Kickoff-Training starten) als sehr hilfreich. P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 26 WISSEN Schließlich sollte die Möglichkeit von Videokonferenzen genutzt werden (sofern die notwendige Ausstattung bei allen Teammitgliedern vorhanden ist). Während der Projektarbeit ist es speziell aufgrund der Distanz besonders wichtig, immer wieder über Teamthemen, Rollenerwartungen, Performances etc. mit allen Teammitgliedern gemeinsam zu reflektieren. Hierfür sollte bewusst Zeit eingeräumt werden, wobei ein einfaches „Abarbeiten“ sehr kontraproduktiv wirkt. Wenn Reflexion, dann bewusst und intensiv, ansonsten sollte dieses Element lieber gar keine Anwendung finden. Nach einer angemessenen Arbeitsphase wird schließlich ein erstes Follow-up-Training mit Lessons-learned-Elementen im Gesamtteam empfohlen, um gemeinsam etwaige Fehlentwicklungen zu erkennen und zeitgerecht gegenzusteuern. Gemeinsame Arbeit im Follow-up-Training: Im Follow-up-Training, das nach einer Zeitspanne von ca. 2-3 Monaten durchgeführt werden sollte, wird primär über den bisherigen Arbeitsprozess und den Status quo reflektiert und nächste konkrete Schritte im Team werden gemeinsam geplant. Für den Erfolg des virtuellen Teams ist es dabei von zentraler Bedeutung, diesen Schritt nicht zu überspringen (häufig wird er aufgrund kurzsichtiger Zeit- und Kostenargumente „beiseite geschoben“). Es ist jedoch zu bedenken, dass hier im Grunde „die“ wesentliche „Stellschraube“ in der virtuellen Teamarbeit besteht, um die Qualität der bisherigen Zusammenarbeit zu überprüfen, mögliche Schwierigkeiten auszuräumen, Klärungen herbeizuführen und Fehlentwicklungen zu korrigieren. Wenn in dieser Phase keine aktive, konstruktive Auseinandersetzung mit dem Prozess der Teamarbeit erfolgt, droht das virtuelle Team in seiner Entwicklung „stecken zu bleiben“, bevor es die Phase der hohen Performance erreicht bzw. stabilisiert hat. Dabei werden wiederum sowohl fachlich-inhaltliche als auch soziale und persönliche Themen angesprochen und diskutiert. Auf den in Abb. 7 gezeigten vier Ebenen sollte diese Reflexion schrittweise erfolgen. Die einzelnen Ebenen sind in den Abbildungen 8 bis 11 kurz skizziert. Idealerweise sollte dieser Workshop wieder auf ca. 2-3 Tage angesetzt sein, wobei sich auch hier für den Gesamtprozess durchaus Aufgaben mit Outdoorcharakter eignen. Abb. 4: Beispielanwendung Dokumentbibliothek: Alle relevanten Unterlagen werden zentral abgelegt, nach Schlagworten kategorisiert und sind weltweit den Mitarbeitern in den aktuellen Versionen zugänglich. Zugriffsrechte regeln dabei die Einsicht. (Quelle: [3, S. 12 ff.]) Abb. 5: Beispielanwendung Diskussion: Alle Projektbeteiligten können Beiträge in ein „Schwarzes Brett” einstellen. Kommunikationsformen ermöglichen damit den Wissensaustausch über alle Ebenen. (Quelle: [3, S. 12 ff.]) Abb. 6: Beispielanwendung Terminkalender: Alle wichtigen Termine für das Projekt werden in einen zentralen Kalender eingetragen, der allen Mitgliedern zur Verfügung steht. (Quelle: [3, S. 12 ff.]) Reflexions- und Lernebene Managementebene Sachebene Psycho-soziale, emotionale Ebene 1 2 3 4 Abb. 7: Das Modell der vier Ebenen P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 27 4.3 Phase III - Abschluss des Projektes Der Gesamtabschluss des Projektes sollte nicht mit der Endpräsentation vor dem Kunden, vor dem Steering Committee etc. enden, sondern muss vom Gesamtprojektverantwortlichen gemeinsam mit dem Team konsequent geplant und realisiert werden. Denn in der Abschlussphase sind drei Aspekte relevant: ❏ Erbzw. Fertigstellung der geforderten Ergebnisse, Übergabe an den Kunden/ Auftraggeber, Abschlusspräsentation ❏ Projektteam-interner Abschluss des Projektes, d. h. Feststellung und Verteilung der noch anstehenden Aktivitäten und „Aufräumarbeiten“, Aufarbeitung der Zusammenarbeit und Ergebnisse im Sinne der Lessons learned ❏ Emotionaler Abschluss der Zusammenarbeit, „Abschied” vom Team Um einen angemessenen, auch für Folgeprojekte sowohl nützlichen als auch motivierenden Abschluss des Projektes zu erreichen, müssen alle drei dieser Aspekte berücksichtigt werden. Dabei ist in der Praxis meist zu beobachten, dass nur der erste Punkt tatsächlich angegangen wird. Aus Sicht sowohl der Teammitglieder als auch des Unternehmens ist es jedoch wichtig, die in dem jeweiligen Projekt erarbeiteten Ergebnisse und Erfahrungen (auf Sach- und Teamebene) zu sichten und für spätere Projekte auch nutzbar zu machen. Gleichzeitig sollte auf persönlicher Ebene den Teammitgliedern das emotionale „Ausschwingen“ aus der Projektarbeit ermöglicht werden. Hierzu gehört, dass auch ein individuelles Resümee gezogen wird, indem sich jeder Mitarbeiter beispielsweise über seine persönlichen Stärken und Schwächen in diesem virtuellen Team, seine Lernerfahrungen sowie seine erforderlichen nächsten Entwicklungsschritte bewusster wird. Nicht zuletzt sollte die gemeinsame Arbeit gewürdigt und der gemeinsame Erfolg zum Abschluss des Projektes unbedingt gefeiert werden. Neben der Abschlusspräsentation etc. wird daher unbedingt empfohlen, den Abschluss mit der Durchführung eines abschließenden Teamevents zu akzentuieren. Hier bietet sich ein letzter gemeinsamer Workshop von 2 Tagen an, bei dem zum einen das Thema Lessons learned gemeinsam bearbeitet wird, zum anderen auch Gelegenheit zu einer Abschlussfeier besteht. 5. Resümee und Ausblick Aufgrund der bisherigen Erfahrungen über die Qualität und Leistungsfähigkeit virtueller Projektteams kann trotz aller Technik davon ausgegangen werden, dass ein persönlicher Kontakt zwischen den Mitgliedern eine unbedingte Voraussetzung für ein effizient und effektiv arbeitendes virtuelles Hochleistungsteam darstellt. Auch virtuelle Teams, die mehrheitlich auf Distanz zusammenarbeiten, benötigen ein gewisses Maß an räumlich gemeinsamer „Teamarbeitszeit“, um überhaupt zu einem Hochleistungsteam zusammenwachsen zu können. Im unserem Artikel wurden dabei drei Meilensteine im Sinne des Teams herausgehoben, die für das virtuelle Team eine Schlüsselfunktion haben: ❏ Kickoff-Training ❏ Follow-up-Training ❏ Abschlussworkshop Sachebene 1 Thema, Aufgabe, Inhalte, Produktion • Was ist der Projektauftrag? • Welche inhaltlichen Meilensteine sind definiert und wurden bisher erreicht? • Wie sind die konkreten, inhaltlichen Aufgaben definiert? • Was ist konkret zu tun? • Was sind die messbaren, abzuliefernden Teilergebnisse? • Wie wird das Projekt inhaltlich „vorangetrieben“? • etc. Reflexions - und Lernebene 2 3 4 Managementebene Psycho-soziale, emotionale E. Abb. 8: 1. Die Sachebene (Quelle: [6]) Managementebene 2 Organisation, Ressourcengestaltung , Entscheidung, von Zielen, Gestaltung des Prozesses • Wie und durch welche Kanäle erfolgt die Informationsbeschaffung? • Wie werden die Ziele gesetzt? Welche Ziele wurden gesetzt? • Welche Entscheidungen sind notwendig, wer sind die Entscheidungsträger? Von welchen Entscheidungen ist das Projekt abhängig? • Wie erfolgt die Planung der Zwischenschritte (Abstimmung)? • Wie werden die notwendigen Ressourcen gesichert? • Wie wird das gesamte Projekt in Bezug auf Stakeholder koordiniert? • Wie wird das Erreichen von Ergebnissen sichergestellt und kontrolliert? • etc. 1 Reflexions- und Lernebene 3 4 Sachebene Psycho-soziale, emotionale E. Abb. 9: 2. Die Managementebene (Quelle: [6]) Psycho-soziale, emotionale Ebene 3 Einstellungen, Gefühle, Emotionen, Motivation, Gerüchte, Befürchtungen, Ängste, Hoffnungen, Chancen • Wie motiviert sind die wichtigen Stakeholder des Projektes (Interesse, Informations- und Ressourcenbereitstellung)? • Wie engagiert sind die Keyplayer des Projektes? • Auf welcher Ebene laufen in der Regel Diskussionen ab (sachlich, emotional)? • Wie sieht das Klima des gesamten Prozesses aus - Zustimmung, Ablehnung etc. • Welche Phantasien in Bezug auf das Projekt könnten unter den Stakeholdern bestehen? • Was sagt die Gerüchteküche? etc. 1 Reflexions - und Lernebene 4 Sachebene 2 Managementebene Abb. 10: 3. Die psycho-soziale, emotionale Ebene (Quelle: [6]) Reflexions- und Lernebene 4 Wahrnehmungen sammeln - Phänomene beschreiben - Zusammenhänge erkennen • Welche Spielregeln gelten im Projekt, unter den Projektmitgliedern unter/ zwischen den Stakeholdern des Projektes? • Was ereignet sich auf den verschiedenen Prozessebenen und warum? • Welche Zusammenhänge lassen sich hier erkennen? • Was läuft im Moment im Projekt gut, was schlecht? • Warum ist es bisher so gelaufen, wie es gelaufen ist? • Was kann ich verbessern, wo muss ich steuernd eingreifen? • Wie soll ich steuernd eingreifen? etc. 1 Sachebene 2 Managementebene 3 Psycho-soziale, emotionale E. Abb. 11: 4. Die Reflexions- und Lernebene (Quelle: [6]) P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 28 WISSEN Aus unserer Sicht sollte keiner dieser mindestens drei (selbstverständlich können gerade in längeren Projekten auch mehrere Follow-ups erforderlich sein) Teamevents ausgelassen werden. Erfahrungen zeigen immer wieder, dass die scheinbaren Einsparungen bei „aufwendigen“ Teamveranstaltungen in der Folge umso kontraproduktivere, „teurere“ Konsequenzen mit sich bringen. Wo der Einsatz von virtuellen Teams notwendig ist, sollte man diese daher bewusst gestalten und mit den notwendigen Voraussetzungen ausstatten. Ohne diese Investitionen in die Arbeitsfähigkeit des virtuellen Teams wird dieses seine erforderliche Leistungsfähigkeit nicht erreichen. Neben dem technischen Equipment als Conditio sine qua non virtueller Teamarbeit zeigt sich der „Teamprozess aus der Distanz“ als besondere sowohl mentale als auch soziale Herausforderung aller Team-Mitglieder gleichermaßen. Dem Teamleiter kommt daher eine Schlüsselfunktion zu, denn die Qualität der Zusammenarbeit hängt stark vom Fingerspitzengefühl und der allgemeinen Akzeptanz des Teamleiters selbst ab. Für die Zukunft kann davon ausgegangen werden, dass der Einsatz virtueller Teams zunehmen wird. Das heißt sowohl für die Unternehmen als auch für die einzelnen Mitarbeiter, dass sie ihre Fähigkeiten im Umgang mit diesen Herausforderungen erhöhen müssen, wollen sie ihre Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen. Für die Unternehmen bedeutet dies, die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für erfolgreiche virtuelle Teamarbeit zu erkennen und auch bereitzustellen, und zwar in technischer, personeller und kostenmäßiger Hinsicht - technische Infrastrukturen müssen verbessert, zu virtueller Teamarbeit befähigte Mitarbeiter müssen qualifiziert und eingesetzt werden, die Bedeutung von Teamevents für die Leistungsfähigkeit muss gewürdigt und entsprechende Maßnahmen müssen durchgeführt werden. Für den Mitarbeiter bedeutet dies, dass er seine Fähigkeiten zur Team- und Projektarbeit zunehmend auch auf den Bereich virtueller Teams ausweiten muss. Seine Fähigkeit und Bereitschaft, sich in Teams einzubringen, seine Stärken und Schwächen zu erkennen, sie anzunehmen und an ihnen zu arbeiten, seine Kommunikationsfähigkeit und nicht zuletzt sein Biss, Ziele und Aufgaben in einem Team zu bewältigen - alle diese Kompetenzen werden im virtuellen Team durch die räumliche Distanz noch mehr als bisher gefordert sein. Gleichzeitig sind jedoch gerade die von uns skizzierten Teammanagement-Trainings, die genau diese Fähigkeiten im Teamprozess reflektieren und damit Ansatzpunkte zur individuellen und gemeinsamen Verbesserung herausarbeiten, ein permanentes Learning by Doing und bieten daher sowohl für den Einzelnen als auch für das Unternehmen eine interessante Möglichkeit, die virtuelle Teamfähigkeit und -performance dauerhaft zu steigern. Jedes Mitglied erwirbt somit durch die konkreten Projekte die erforderlichen Kompetenzen und Erfahrungen, die es für die virtuelle Teamarbeit benötigt. ■ Literatur [1] Crosby, P. B.: Qualität 2000 - kundennah, teamorientiert, umfassend. München 1994 [2] Hofstätter, P. R.: Gruppendynamik. Hamburg 1971 [3] Jordan, G., et al.: Transparente Projekte durch innovative Intranetnutzung. In: Projektmanagement 1/ 1999, S. 12-18 [4] Krystek, U./ Redel, W./ Reppegather, S.: Grundzüge virtueller Organisationen. Elemente und Erfolgsfaktoren, Chancen und Risiken. Wiesbaden 1997 [5] Redel, W.: Kollegienmanagement. Effizienzaussagen über Einsatz und interne Gestaltung betrieblicher Kollegien. Bern/ Stuttgart 1982 [6] Rieckmann, H. J.: Management of Change. Mastering change in complex organizations and dynamic environments. Unveröffentlichtes Typoskript; Universität Klagenfurt 1996 [7] Staehle, W. H.: Management. Eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive. München 1991 [8] Steinmann, H./ Schreyögg, G.: Management. Grundlagen der Unternehmensführung. Konzepte - Funktionen - Fallstudien. 4. Auflage; Wiesbaden 1997 [9] Stöber, A. M./ Bindig, R./ Derschka, P.: Kritisches Führungswissen. Stuttgart etc. 1974 [10] TCG-München: Team-Management-Training. Unveröffentlichtes Typoskript, München 2000 Schlagwörter Ebenen der Teamarbeit, Entwicklungsphasen im Team, Kickoff-Workshop, Outdoor-Teamtraining, Teambuilding, virtuelles Team Autor Dr. Gerhard Graf ist seit Anfang 2001 Senior Project Manager bei der VMP Management Partner AG St. Gallen, nachdem er zuvor einige Jahre als Senior Consultant im Bereich Management Consulting der Siemens Business Services GmbH & Co. OHG tätig war. Zu seinen thematischen Schwerpunkten zählen die Gestaltung und das Management von Veränderungsprozessen, Teammanagement sowie die Strategieberatung. Er hat zahlreiche Projekte in diesem Umfeld verantwortlich begleitet. Zuvor war Dr. Graf Assistent an der Universität Klagenfurt, wo er sich unter anderem mit der Gestaltung von Großprojekten befasst hat. Anschrift VMP Management Partner AG St. Gallen Zürcherstr. 202 CH-9014 St. Gallen Tel.: ++41/ 71/ 2 72 23 00 Mobil: ++49/ 1 71/ 9 73 00 84 E-Mail: ggraf@vmp.ch Autorin Gabriele Jordan, Dipl.-Kauffrau, geprüfte Projektmanagerin (GPM), ist seit Ende 2000 Principal Consultant bei der Transformation Consulting Group - München GmbH. Zuvor war sie mehrere Jahre als Beraterin bei der Eutelis Consult GmbH sowie im Bereich Management Consulting der Siemens Business Services GmbH & Co. OHG tätig. Zu ihren Beratungsschwerpunkten gehören Change/ Transformation Management, Teammanagement, Kommunikation sowie Projekt- und Programmmanagement, gerade in Organisations- und Veränderungsprojekten. Zudem ist sie neben ihrer Beratungstätigkeit auch als Trainerin zu diesen Themen tätig. Anschrift Transformation Consulting Group - München Gotthardstr. 49 D-80686 München Tel.: ++49/ 89/ 51 51 38 24 Mobil: ++49/ 1 70/ 6 34 46 66 E-Mail: gabriele.jordan@tcg-munich.com P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 29 1. Einleitung „Die Zukunft kann man am besten voraussagen, indem man sie aktiv gestaltet“ - so ein mir überliefertes Zitat eines amerikanischen Managementtrainers. Wie können heutzutage Organisationen ihre Zukunft „voraussagen“ und vor allem ihre Zukunftsfähigkeit sicherstellen? In einer Umwelt, die geprägt ist von tief greifenden gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen, von zunehmender Konkurrenz - national, international und global, von beschleunigten und gravierenden Veränderungsprozessen? In einer Gesellschaft, in der sich die Einstellungen, Werte und Ansprüche der Menschen grundlegend gewandelt haben und auch weiterhin im Fluss sind? Die Antwort liefert das oben genannte Zitat: Unternehmen müssen ihre Zukunft aktiv in die Hand nehmen, sich den Herausforderungen des Wandels stellen. Sie müssen sich weiterentwickeln, lernen, anpassen und verändern können, also zu „lernenden Unternehmen“ werden. Lernende Unternehmen greifen Umweltveränderungen nicht nur auf, sondern sie nehmen selbst Einfluss auf die Weiterentwicklung ihrer Unternehmensumwelt, indem sie sich als offene und eingebettete Systeme begreifen. Dies bedeutet nicht nur ein Reagieren auf äußere Veränderungen, es erfordert auch das Antizipieren von Entwicklungen und ein aktives Gestalten dieser Prozesse - mit allen im Unternehmen tätigen Menschen, die bereit sind, daran mitzuwirken. Was liegt näher als Projektarbeit, wenn es um die praktische Bewältigung neuer Herausforderungen geht? Neuartige und komplexe Vorhaben sind in der Regel mit Risiken behaftet. Ob sie gelingen können, hängt entscheidend davon ab, wie planvoll, systematisch und umsichtig an die Aufgabe herangegangen wird. Projektmanagement als Arbeitsform liefert das Konzept und zugleich das Handwerkszeug dazu. Projektarbeit im lernenden Unternehmen kann aber noch weit mehr, als Geburtshilfe für das Gelingen ehrgeiziger Vorhaben zu leisten. Projektarbeit bietet allen daran Beteiligten vielfältige und hervorragende Chancen und Anlässe, im konkreten Handeln zu lernen - von der Zielfindung und Planung über die Durchführung bis zum Abschluss eines Projektes. Projektarbeit berührt und erfordert viele Kompetenzfelder, sie kann zugleich Personalentwicklung, Qualifizierung und Mitarbeiterförderung bedeuten. Voraussetzung dafür: Die Arbeit in Projekten ist als Lernprozess zu gestalten. In allen Phasen eines Projektes müssen Zeit und Raum für Reflexionsschritte in geeigneter Form geschaffen werden. Das gilt natürlich in besonderem Maße für die Abschlussphase von Projekten. Dieser Artikel widmet sich dem Anliegen, das Lernpotenzial in der Projektarbeit aufzuzeigen und zugleich praktische Wege zu erschließen, wie Lernen und Entwicklung in Projekten gefördert und gesichert werden kann. Mehrwert statt Mehraufwand ist dabei die Devise, d. h., es geht nicht um zeit- und kostenintensive Evaluationsdesigns zur „Beweisführung“, sondern um teilnehmerorientierte Strategien. Hintergrund ist die Erfahrung der Autorin, sowohl im eigenen Unternehmen als auch aus der Beobachtung externer Projekte, dass Evaluation, Reflexion, Lernen aus Erfolgen und aus Misserfolgen in aller Regel stark vernachlässigt werden. „Beinahe allen Projekten gemeinsam ist, dass sie enden, ohne dass man bewusst aus den Erfahrungen im Projekt lernt. (…) in vielen Organisationen gibt es schlichtweg keine Kultur, Fehler zu besprechen und daraus lernen zu dürfen.“ [9, S. 167] Dies bestätigt sich, betrachtet man einen Querschnitt der Fachliteratur zum Thema: In vielen Veröffentlichungen ist nichts, in nur wenigen sind brauchbare Ansätze zur Projektevaluation zu finden. Zeit für Veränderung! Elisabeth Stauber Unbestritten und geläufig ist es, Projektmanagement als Methode zur Realisierung anspruchsvoller Vorhaben einzusetzen und deren Erfolg durch systematische Planung und Durchführung zu sichern. Projektarbeit kann darüber hinaus aber in Unternehmen einen weit höheren Nutzen bringen. Durch gezielte Lernprozesse, die in die Arbeit integriert sind, werden Personalentwicklung und Mitarbeiterförderung in wirkungsvollster Weise erfahrbar. Projektarbeit ist geeignet, alle Mitwirkenden in wesentlichen Kompetenzfeldern zu qualifizieren. Nicht nur fachbezogenes Wissen, sondern vor allem auch Schlüsselkompetenzen können nachhaltig gestärkt werden. Voraussetzung: Die Arbeit in Projekten ist als ein Lernprozess zu gestalten, in dem aus Erfolgen und aus Fehlern Schlüsse gezogen werden. In diesem Artikel werden geeignete Wege dafür aufgezeigt, dieses Entwicklungspotenzial in der Projektarbeit zu erschließen. In und aus Projekten lernen Projektarbeit im lernenden Unternehmen P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 30 WISSEN 2. Projektarbeit im lernenden Unternehmen 2.1 Was ist ein „lernendes Unternehmen“? Wie kann ein Unternehmen lernen? Lernen können doch nur die Menschen, die in einem Unternehmen arbeiten. Und wozu soll ein Unternehmen lernen? Es soll schließlich Gewinn erzielen und sich erfolgreich gegenüber der Konkurrenz behaupten - da bleibt doch keine Zeit für idealisierende Konzepte. Gebraucht werden MitarbeiterInnen, die kompetent und einsatzbereit sind und nicht erst experimentieren und lernen müssen. Ist die Rede vom „lernenden Unternehmen“ nicht einer der vielen „Mode-Konzepte“, die kommen und gehen und mehr Schaum schlagen als Wirkung erzeugen? Nein - die Idee des lernenden Unternehmens ist weder neu noch Schaumschlägerei. Sie ist die Offenlegung eines Grundprinzips in der Entwicklung des Menschen, der Natur sowie der vom Menschen geschaffenen Organisationen. Nur wer oder was lernt, sich verändernden Umweltbedingungen anzupassen und auf diese Einfluss zu nehmen, kann auf lange Sicht überleben. Daran kommen auch Unternehmen nicht vorbei. Natürlich lernen streng genommen nur die einzelnen Menschen in diesen Unternehmen. Entscheidend dabei ist aber, ob diese Lernprozesse geteilt und genutzt werden, sowohl auf der Ebene von Mitarbeitergruppen, die in sinnhaftem Bezug zueinander stehen, als auch auf der Ebene der Unternehmensprozesse und -strukturen (Organisationslernen). So schreibt Sattelberger, „dass lernende Organisationen individuelle mit teambezogenen und organisatorischen Lernprozessen verknüpfen und dabei Lernprozesse auf hohem Tiefenniveau anstelle von Oberflächenkosmetik realisieren …“ [11, S. 16]. Ebenso wenig wie ein Unternehmen es sich leisten kann, Ressourcen zu vergeuden, kann es sich leisten, Lernprozesse, Wissen und Erfahrungstiefe brachliegen zu lassen. Ein Unternehmen, das Rahmenbedingungen schafft für „geteiltes Lernen“, ist ein lernendes Unternehmen. Es sucht nach kontinuierlicher Entwicklung und Verbesserung und lernt aus Fehlern ebenso wie aus Erfolgen. 2.2 Welche Bedeutung kommt dabei der Projektarbeit zu? Der Projektbegriff wird gegenwärtig nahezu inflationär gebraucht, oft wie ein Etikett, das wenig mit dem Inhalt dessen, was „darin“ ist, zu tun hat. Unter einem Projekt verstehen wir entsprechend der DIN-Norm 69901 „ein Vorhaben, das im Wesentlichen durch die Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist, z. B. durch Zielvorgabe, durch zeitliche, finanzielle, personelle und andere Begrenzungen, durch Abgrenzung gegenüber anderen Vorhaben und durch projektspezifische Organisation“ [9, S. 13]. Graf-Götz und Glatz fassen die entscheidenden Kriterien dafür, eine Aufgabe als Projekt abzuwickeln, zusammen: Einmaligkeit und zeitliche Befristung, vorgegebenes Ziel, begrenzte Ressourcen, interdisziplinäre Zusammenarbeit im Team, Koordination einer Vielzahl von Aktivitäten [4, S. 163]. Der Begriff Projektmanagement wird sehr unterschiedlich definiert - als Führungskonzept zur Abwicklung von Projekten, als umfassende Arbeitsmethode, als Oberbegriff für alle anstehenden Planungs-, Überwachungs- und Steuerungsaufgaben in Projekten (Letzteres siehe [7, S. 4] sowie [2, S. 23]). Die DIN-Norm 69901 definiert Projektmanagement als „die Gesamtheit von Führungsaufgabe, -organisation, -techniken und -mitteln für die Abwicklung eines Projektes“. Zugleich steht der Begriff für einen umfassenden Arbeitsansatz, Welchen Nutzen bringt Projektmanagement? Nachhaltige Zielverfolgung und -erreichung Klare gemeinsame Basis für die Zusammenarbeit Verringertes Risiko/ weniger Ungewissheit Wirtschaftlicher Umgang mit Ressourcen (Zeit, Geld, Energie) Klar erkennbare Erfolge und Ergebnisse Ziele werden gut überdacht und mit allen Beteiligten geklärt Aufgaben und Termine werden sorgfältig geplant, die Verantwortlichkeiten festgelegt Das Umfeld wird berücksichtigt, Risiken/ Probleme werden frühzeitig erkannt Ressourcen werden kalkuliert, eingeteilt, geplant und überwacht Teilziele und erwünschte Ergebnisse werden konkretisiert Und worauf kommt es dabei an? Abb. 1: Projektmanagement, Nutzen und Anforderungen P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 31 ein methodisches Konzept für die Planung und Abwicklung einmaliger und komplexer Vorhaben. Unter Projektarbeit verstehen wir die tatsächliche praktische Ausgestaltung und Durchführung von Projekten in einem Unternehmen. Diese kann (und sollte) methodisch fundiert und sorgfältig organisiert erfolgen, findet in der Realität aber oft fehlerhaft und unsystematisch statt. Für ein Unternehmen, das neuartige und komplexe Vorhaben mit Erfolg bewältigen will, ist Projektmanagement ein unentbehrliches Arbeitskonzept mit vielfachem Nutzen, sofern entsprechende Grundprinzipien beachtet werden. Abb. 1 stellt Nutzen und Anforderungen einander gegenüber. Projektarbeit bedeutet für ein lernendes Unternehmen zudem eine wahre Fundgrube an Lerngelegenheiten und Entwicklungsmöglichkeiten. Denn die Arbeit in Projekten berührt sehr unterschiedliche Handlungs- und Kompetenzfelder, sie erfordert und fördert zugleich Fähigkeiten in den Bereichen Fach-, Methoden-, Persönlichkeits- und Sozialkompetenz, die im Arbeitsgeschehen untereinander sinnvoll verknüpft werden. So wird ganzheitliches Lernen durch Handeln im Arbeitsgeschehen ermöglicht. Was liegt also näher für ein lernendes Unternehmen, als Projektarbeit - neben dem Ziel optimaler Aufgabenerfüllung - auch auf allen Ebenen gezielt als Entwicklungsinstrument einzusetzen? Im Rahmen systematischer Personalentwicklung können einzelne MitarbeiterInnen gezielt in Projekten mitwirken, um ihre Kompetenzen zu erweitern. Teams und Gruppen können mit Projektmanagement gemeinsam neue Arbeitsformen erproben und ihre Kooperationsfähigkeit vertiefen. Das Unternehmen als Ganzes kann zentrale Erfahrungen aus der Projektarbeit auswerten und organisationale Verbesserungen auf Struktur- und Prozessebene in die Wege leiten. Die Abb. 2 veranschaulicht, in wie vielen Bereichen Kompetenzentwicklung durch Lernen in Prozessen der Projektarbeit stattfinden kann. Mit Hilfe von Projektarbeit können also wesentliche Personal- und Organisationsentwicklungsprozesse unterstützt und vorangetrieben werden. Dabei kommt es darauf an, die zentralen Entwicklungsvorhaben im Unternehmen in einem Gesamtzusammenhang zu sehen und dabei Wechselwirkungen aktiv zu fördern und zu nutzen. 2.3 Warum spielt Auswertung dabei eine tragende Rolle? Voraussetzung für diese erweiterte Nutzung der Projektarbeit im lernenden Unternehmen ist es, Zeit und Raum zu schaffen für „Denkpausen“, für Auswertungsprozesse im Arbeitsgeschehen. Kompetent planen ❏ Situations- und Umfeldanalyse ❏ Konzeptionsentwicklung ❏ Qualitätssicherung ❏ Problemlösung und Entscheidungsfindung ❏ Ressourceneinsatz Im Team zusammenarbeiten ❏ Führung und Motivation ❏ Kommunikation und Kooperation ❏ Konfliktlösung ❏ Effektive Besprechungen ❏ Moderation „Ein komplexes Vorhaben steht an.“ ➯ Projektmanagement ➯ Systemische Vorgehensweise Außenkontakte Wert schöpfend gestalten ❏ Vortrags- und Präsentationstechnik ❏ Öffentlichkeitsarbeit ❏ Verhandlungsführung ❏ Proaktives Handeln Effektiv und effizient arbeiten ❏ Prioritätensetzung und Zeitmanagement ❏ Arbeitstechniken ❏ Zielorientiertes Arbeiten/ Zielvereinbarungen Abb. 2: Aufgabenbereiche und Kompetenzfelder rund ums Projektmanagement P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 32 WISSEN „Projekte sind soziale Systeme, die ständig lernen und damit Erfahrungen und Wissen generieren. Das Problem ist, dass diese Erkenntnisse oft ungeplant und unreflektiert entstehen. … Ziel sollte es jedoch sein, das entstandene Know-how für das gesamte Projektteam und sogar für die gesamte Organisation verfügbar zu machen. Das geschieht mit Hilfe einer Systematisierung des Lernprozesses … durch regelmäßige Reflexionsschleifen innerhalb der Projektarbeit.“ [9, S. 20] In der Praxis werden jedoch viele, vielleicht die Mehrzahl der Projekte durchgeführt, ohne dass die damit verbundenen positiven und negativen Erfahrungen besprochen, geteilt und genutzt werden. Oft fehlt es an der Unternehmenskultur, Fehler zu besprechen und daraus zu lernen. Die Folgen fehlender Auswertung der Erfahrungen sind gravierend: ❏ Lernen findet, wenn überhaupt, nur auf individueller Ebene statt. ❏ Fehler und Unzulänglichkeiten wiederholen sich bei Folgeprojekten. ❏ Feedback, Anerkennung und Würdigung der Arbeit kommen zu kurz. ❏ Unzufriedenheit, Kritik und Verbesserungsansätze bleiben verdeckt. ❏ Die Motivation der Projektmitwirkenden wird nicht gefördert. ❏ Risiken und Handlungserfordernisse bleiben teilweise unerkannt. Daraus folgt, dass viele Chancen der Projektarbeit ungenutzt bleiben. Die Förderung einer Lernkultur durch Reflexions- und Auswertungsschleifen in und am Ende der Projektarbeit hilft, Gewinn aus den Erfahrungen zu ziehen. Die dafür benötigte Zeit und Energie sind gut investiert, da die erfolgenden Lernprozesse maßgeblich zum Gelingen weiterer Vorhaben beitragen können. Die folgende überlieferte Geschichte macht dies sehr anschaulich: Ein Spaziergänger begegnet im Wald zwei Waldarbeitern, die sich abmühen, einen Baum zu fällen. „Warum plagt ihr euch so ab? “, fragt er die Arbeiter. „Unsere Säge ist leider stumpf geworden“, so die Antwort. „Warum geht ihr nicht, die Säge zu schärfen? “, rät der freundliche Spaziergänger. „Dazu haben wir leider keine Zeit, wir müssen Bäume fällen“, entgegnen die beiden und fahren in ihrer Arbeit fort. „Die Säge zu schärfen“ bedeutet dagegen, sich diese Zeit zum Innehalten in der Arbeit zu nehmen, um die eigene Handlungskompetenz und damit auch die Arbeitseffektivität zu erhöhen. 2.4 Projekte als lernende Organisationen begreifen und gestalten Konsequent und hilfreich ist es, Projekte selbst als lernende Organisationen zu begreifen und die Projektarbeit dementsprechend zu gestalten. Dies hat insbesondere Einfluss auf den Stil, die Kultur in der Zusammenarbeit im Projekt. Mayrshöfer/ Kröger sehen als Erfordernisse für einen effektiven Lernprozess: ❏ „eine Atmosphäre, in der ungeklärte Fragen und Fehler als Lernchance gesehen werden (…), ❏ definierte Ziele und Standards und deren regelmäßige Reflexion und Überprüfung, ❏ ein regelmäßiges Erarbeiten von Verbesserungsmöglichkeiten und deren konsequente Umsetzung.“ [9, S. 39] Anzustreben ist ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess, in dem Projekte als lernende Systeme, die in ihre Umwelt eingebettet sind, verstanden werden. Individuelles Lernen, Lernen in der Projektgruppe und Lernen im Unternehmen greifen ineinander. Hilfreich dabei sind die Vergegenwärtigung und Anwendung des Deming-Kreises der ständigen Verbesserung mit den Schritten: Planen - Handeln - Prüfen - Anpassen. All dies kann nur gelingen, wenn die Beteiligten, allen voran die Unternehmensleitung und die Projektleitung, dies ernsthaft wollen und persönlich sichtbar umsetzen. Zudem bedarf es unternehmens- und projektspezifisch geeigneter Wege und Methoden der Auswertung und Erfahrungssicherung. Diese werden im Folgenden aufgezeigt. 3. Reflexion und Auswertung in der Projektarbeit 3.1 Aufgaben, Anforderungen und Lernfelder in der Projektarbeit Projektarbeit bedeutet handlungsorientiertes Lernen durch das Bewältigen konkreter Anforderungen. In der Fachliteratur wird vom Projektlebenszyklus gesprochen, der sich in Phasen unterteilt, in denen jeweils bestimmte Aufgaben und Anforderungen zu leisten sind. Auf Basis der Phasenmodelle von Boy/ Dudeck/ Kuschel [2] sowie Schelle [12] lassen sich zentralen Aufgaben entsprechende Anforderungen und Lernfelder zuordnen (siehe Tabelle 1). Jede Phase in der Projektarbeit bringt also ihre eigenen Lernanforderungen und -chancen mit sich. Hinzu kommen Kompetenzfelder, die im Sinne von Schlüsselqualifikationen für die Projektarbeit in allen Phasen bedeutend sind. Auswertungsschleifen während und am Schluss der Projektarbeit lassen Stärken, Lernerfolge wie auch den weiteren Entwicklungsbedarf erkennen. Dabei sollte der Fokus der Auswertung gezielt auf die Felder und Bereiche gelenkt werden, die für das Unternehmen, für die Projektgruppe oder für einzelne ProjektmitarbeiterInnen von Relevanz sind. Das bedeutet, dass nicht extern standardisierte Evaluationsinstrumente übernommen werden, sondern unternehmensspezifische Auswertungsformen entwickelt werden müssen. 3.2 Grundlagen für eine qualifizierte Auswertung der Projektarbeit Begriffe und Bedeutungsgehalte zum Thema Auswertung: In Verbindung mit dem Thema Auswertung werden in der Fachliteratur wie in der Arbeitspraxis viele Begriffe teilweise synonym, teilweise mit unterschiedlichem Bedeutungsgehalt gebraucht, was oft zu Unklarheiten führt. Deshalb hier zunächst eine Abgrenzung und Definition dieser Begriffe. Unter Auswertung verstehen wir, eine Sache, einen Vorgang, ein Ereignis oder einen Prozess rückblickend und bewertend zu betrachten, um Stärken und Schwachpunkte zu erkennen und um daraus Schlussfolgerungen ziehen zu können. Dabei ergänzen sich Ergebnisauswertung und Erfahrungssicherung. Reflexion wird in Fremdwörterlexika übersetzt mit Begriffen wie: Nachdenken, Betrachtung, vergleichendes P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 33 und prüfendes Denken, Vertiefung in einen Gedankengang. Reflexion ist somit stets Bestandteil einer Auswertung; nicht jede Reflexion führt aber zu einem abschließenden Ergebnis oder zu einer Auswertung. Der Begriff Evaluation beinhaltet nach Meinhold „die Überprüfung oder die Bewertung einer Dienstleistung, eines Programms oder Modellversuchs“ [10, S. 54]. Evaluationen zielen darauf, den Erfolg, die Wirkung, Leistungsfähigkeit und/ oder die Resonanz des Untersuchungsgegenstandes möglichst „objektiv“ zu bewerten. Deshalb werden Evaluationen von außen stehenden Experten durchgeführt (= Fremdevaluation) und sind in der Regel zeit- und kostenaufwändig. In vielen Evaluationen geht es mehr um eine Rechtfertigung des Aufwands und um die Sicherung weiterer Vorhaben als um Entwicklung und Verbesserung. Zu unterscheiden sind Produkt- und Prozessevaluationen, wobei Erstere die Ergebnisse und Wirkungen eines Produktes (bzw. eines Projektes oder einer Dienstleistung) und Letztere den Verlauf eines Programms (oder Projektes) bewerten. Bei der Selbstevaluation bewerten die jeweiligen MitarbeiterInnen selbst ihre Arbeitsweise, ihre Ergebnisse bzw. Teilaspekte davon. Dies hat neben dem geringeren Aufwand einen entscheidenden Vorteil: „Da die Vorhaben zur Selbstevaluation auf freiwilliger Basis geplant und durchgeführt werden und die betroffenen Mitarbeiter selbst bestimmen, welche Fragestellung sie für bearbeitenswert halten, ist die Motivation der Beteiligten vergleichsweise hoch.“ [10, S. 55] Selbstevaluation bewirkt zugleich Selbstkontrolle und Qualifizierung und dient damit der Qualitätssicherung in der Arbeit. Hiltrud von Spiegel sieht Selbstevaluation als Teil methodischen Handelns im Sinne professionellen, systematischen Handelns: „Das Konzept der Selbstevaluation vereinigt … Anteile von Supervision und Evaluation … Wie in der Supervision geht es um Selbstreflexion und um fachlich begründetes, situationsentsprechendes, persönlichkeitsadäquates Handeln. Wie in der Evaluation geht es aber auch um die Optimierung der eigenen Arbeitsweise, um die Einführung von Innovationen und Projektphase Zentrale Schritte und Aufgaben Anforderungen und Lernfelder Projektauswahl ❏ Strategiebezogene und zielorientierte Entscheidung für ein Projekt ❏ Strategieentwicklung und Transfer in Projektvorhaben ❏ Kosten-Nutzen-Ermittlung ❏ Entscheidungsfindung unter mehrdimensionaler Perspektive Projektdefinition ❏ Auftragsklärung und Zielbestimmung ❏ Projektteam bilden und Rollen klären ❏ Projektumfeld und Risiken analysieren ❏ Projektstart ❏ Zielklärung und -operationalisierung ❏ Interessenkonflikte klären ❏ Teambildung/ -organisation ❏ Kooperationswege und -regeln klären ❏ Systemische und kontextbezogene Analyse der Projektbedingungen Projektplanung ❏ Projektstruktur-, Ablauf- und Terminplan erstellen ❏ Meilensteine setzen, Phasenmodell entwickeln ❏ Ressourceneinsatz und Kosten planen ❏ Strukturierte und systematische Planung der Aufgaben ❏ Sorgfältige Arbeits- und Verantwortungsaufteilung ❏ Entscheidende Zwischenstationen und Teilergebnisse festlegen ❏ Realistische Zeitplanung und Ressourceneinteilung Projektdurchführung ❏ Erfolgreiche Kooperation in der Projektabwicklung ❏ Kosten-, Termin- und Ressourcenkontrolle ❏ Qualitätssicherung ❏ Projektsteuerung ❏ Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit ❏ Effektives Berichts- und Besprechungswesen, Dokumentation ❏ Kontinuierliches Controlling ❏ Konfliktlösung und Bewältigung von Projektkrisen ❏ Kritikfähigkeit und Feedbackprozesse ❏ Passende Steuerungsmaßnahmen Projektabschluss ❏ Projektauswertung und -abnahme ❏ Abschlussbericht und Ergebnispräsentation ❏ (Re-)Integration der ProjektmitarbeiterInnen ❏ Planung weiterer Schritte ❏ Würdigung der Erfolge ❏ Evaluation, Reflexion und Bewertung von Ergebnissen und Arbeitsweise ❏ Kundenorientierte Präsentation der Ergebnisse ❏ Antizipation erforderlicher Schritte über das Projektende hinaus ❏ Konsequenzen aus Erfolgen und Misserfolgen ziehen ❏ Abschluss und Neubeginn Tabelle 1: Projektphasen: Aufgaben, Anforderungen und Lernfelder P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 34 WISSEN Prozesse der Bewertung.“ [5, S. 266] Und an anderer Stelle: „Das Ziel der Selbstevaluation ist die Qualifizierung der beruflichen Handlungskompetenz.“ [14, S. 124] Aus der Betrachtung dieser Begriffe und ihrer Bedeutung ergeben sich die folgenden Empfehlungen: Eine qualifizierte und gewinnbringende Auswertung der Projektarbeit in Lernenden Unternehmen sollte Elemente der Evaluation und Selbstevaluation kombinieren und dabei Reflexionsprozesse - individuell und gemeinschaftlich - fördern. Es müssen unternehmensspezifische Mischformen entwickelt werden, die sowohl Aspekte der Fremdwie auch der Selbstbewertung beinhalten und Ergebnisse wie Erfahrungen in der Projektarbeit berücksichtigen. Unternehmensspezifisch standardisierte Teile der Auswertung sollten verbunden werden mit projektspezifischen und individuellen Schwerpunktsetzungen. Schwerpunktmäßig sollte die Auswertung der Projektarbeit dem Ansatz der Selbstevaluation folgen, denn Motivation und eigenes Lerninteresse der Beteiligten sind maßgeblich für wirkliche und nicht nur proklamierte Entwicklungsprozesse. Gegenstandsbereiche, Ebenen und Akteure bei der Auswertung: Eine Auswertung der Projektarbeit umfasst unterschiedliche Gegenstandsbereiche, die sich in so genannte „weiche“ und „harte“ Faktoren unterteilen lassen (siehe Tabelle 2). Durch die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen den „weichen“ und den „harten“ Faktoren (sprich: Wie wurde gearbeitet und was wurde erreicht? ) findet Lernen statt; Konsequenzen und Erfolgsfaktoren für weitere Projekte können erarbeitet werden. Die Auswertung sollte auf verschiedenen Ebenen von und mit möglichst allen am Projekt beteiligten Akteuren vorgenommen werden, wobei die Inhalte sich nach deren Rolle und Funktion im Projekt ausrichten. Die jeweils unterschiedlichen Perspektiven, Erkenntnisinteressen und Verantwortlichkeiten von Projektmitarbeiter- Innen, Projektleitung und Auftraggeber müssen ihren Niederschlag in der Gestaltung der Auswertungsprozesse finden. Beispielhaft zeigt dies Tabelle 3 auf. Empfehlungen für die Auswahl geeigneter Auswertungsmethoden: Wie bereits eingehend betont, kommt es darauf an, die zur Unternehmenskultur, zum Projekt und zu den daran Beteiligten passenden Methoden und Formen der Auswertung zu finden. Für diesen Auswahlprozess empfehle ich ein systematisches und stufenweises Vorgehen (vgl. hierzu auch [3, S. 54]): ❏ Klärung und Festlegung der Zielsetzung der Auswertung: Was soll durch die Auswertung erreicht bzw. in Erfahrung gebracht werden? (Z. B. Verbesserung der Projektarbeit/ -ergebnisse, Förderung von Lernprozessen, Motivation, Qualitätssicherung im Projekt, Veränderungsprozesse fördern, Kommunikation und Kooperation verbessern, Methodenkompetenz erhöhen); ❏ Ermittlung der grundsätzlich infrage kommenden Methoden (z. B. Feedback-Runden, Workshops, Fragebögen und Checklisten, strukturierte Gespräche oder Interviews, Impulsplakate - ausführlicher siehe folgendes Kapitel); ❏ Betrachtung der situativen, unternehmensbzw. projektspezifischen Bedingungen, Festlegung der Auswahlkriterien (z. B. Erkenntnisinteresse, Zahl und Zusammensetzung der zu beteiligenden Personen, Zeitfaktor und Aufwand, Vorerfahrungen und Kultur, Expertise, Raum und Ort); „Weiche Faktoren“ „Harte Faktoren“ ❏ Qualität der Zusammenarbeit ❏ Qualität der Projektleitung ❏ Zufriedenheit der ProjektmitarbeiterInnen mit Arbeitsweise und Ergebnissen ❏ Erfahrungen mit eingesetzten Projektmanagementmethoden ❏ Qualifikationsbedarf und Lernerfolge in der Projektarbeit Feedback der Projektgruppe einholen, ergänzende Bewertung durch die Projektleitung ❏ Überprüfung der Zielerreichung: - Leistung - Umfang - Termin - Kosten und Ressourcen - Qualität - Einhaltung der Vorgaben - Effektivität der Arbeitsweise Abschlusssitzung von Projektleitung und Auftraggeber: Abgleich der Einschätzungen und Bewertungen Tabelle 2: Auswertung „weicher“ und „harter“ Faktoren Projektauswertung durch die ProjektmitarbeiterInnen durch die Projektleitung durch den Auftraggeber ❏ Individuell, eigeninitiativ, informell ❏ Mündlich und strukturiert, moderiert (z. B. Feedback-Runden) ❏ Schriftlich und systematisch (z. B. Fragebögen, Plakatabfrage) (Lern-)Erfahrungen, (Lern-)- Bedarf, Erfolge und Verbesserungsvorschläge, Feed-back an die Projektleitung ❏ Auswertung der Rückmeldungen der Projektgruppe ❏ Bewertung der Vorgehensweise im Projekt (insbesondere bei kritischen Ereignissen) ❏ Beurteilung der Projektergebnisse ❏ Austausch mit Auftraggeber Fazit und Konsequenzen für die Ausgestaltung der Rolle als Projektleitung, Verbesserungsvorschläge ❏ Auseinandersetzung mit den Rückmeldungen der Projektleitung ❏ Beurteilung der Projektergebnisse und des Projektverlaufs ❏ Austausch und Projektbilanz mit der Projektleitung Fazit und Konsequenzen: für Folgeprojekte, weitere Schritte, Verbesserung von Strukturen und Abläufen sowie für die Ausfüllung der Rolle als Auftraggeber Tabelle 3: Projektauswertung auf verschiedenen Ebenen P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 35 ❏ Gewichtung, Beurteilung und Auswahl der (bzw. Entwicklung von) geeigneten Methode(n) anhand der erarbeiteten Ziele, Bedingungen und Kriterien; ❏ Vorbereitung und Durchführung der Auswertungsmethode; ❏ Rückschau und Bewertung (am besten unter Beteiligung der Projektgruppe): War diese Methode geeignet, hilfreich, gewinnbringend? Sind Abwandlungen oder Ergänzungen sinnvoll? Die in die Wahl gezogenen Auswertungsmethoden sollten ferner so gestaltet und geprüft werden, dass sie ❏ auch offene Fragen beinhalten, denn geschlossene Fragen lassen zu wenig Spielraum für persönliche Aussagen; ❏ aktivierend wirken und geeignet sind, Kommunikations-, Reflexions- und Lernprozesse anzustoßen; ❏ in ausgewogener Form ein Lernen aus Fehlern und Gelungenem fördern (Äußerung von Kritik, Verbesserungsideen und Anerkennung anregen); ❏ den Austausch und Vergleich von Einschätzungen und Bewertungen aus unterschiedlichen Perspektiven (MitarbeiterInnen, Projektleitung, Auftraggeber, Stakeholder) ermöglichen. 4. Wege und Methoden der Projektauswertung 4.1 Basiszugänge für alle Projekte Offene Grundhaltung und Gesprächsbereitschaft: Eine offene Grundhaltung der Projektleitung und des unternehmensinternen Auftraggebers bildet die Basis des Projektlernens in der Organisation. Es müssen für alle Projektmitwirkenden klare Signale gesetzt werden, dass Lernen aus Problemen und Fehlern, Risikoanzeigen, weiterführende Fragen, Ideen und Verbesserungsvorschläge erwünscht sind und ein offenes Ohr finden. Qualität und Projekterfolg liegen - ungeachtet klar strukturierter Projektleitung - in der Verantwortung und Gestaltung aller Beteiligten und werden nicht erst im Nachhinein in das Projekt „hineingeprüft“. Regelmäßige Feedback-Prozesse: Gut durchgeführte Feedback-Prozesse verbessern die Zusammenarbeit in der Gruppe und fördern zugleich persönliches Lernen. Rückmeldungen sollten deshalb von der Projektleitung immer wieder, besonders (jedoch nicht ausschließlich) in kritischen Phasen und Situationen (Motivationsprobleme, Zeitverzug, Qualitätsdefizite, Kooperationsschwierigkeiten, Konflikte) eingeholt werden. Dies kann und sollte sowohl durch kurze Einzelkontakte als auch mittels Feedback-Runden in der Projektgruppe erfolgen. Das richtige Fingerspitzengefühl für Zeitpunkt und Art und Weise zu entwickeln ist Aufgabe und Anforderung an die Projektleitung. 4.2 Wähl- und kombinierbare Zugänge und Methoden Schriftliche Auswertung mit Hilfe von Fragebögen: Befragungen in schriftlicher Form haben, wenn sie ergänzend zu und nicht anstelle von mündlichem Feedback erfolgen, viele Vorteile: ❏ Meinungstendenzen und Schwerpunktaussagen lassen sich gut ermitteln, ❏ Vergleiche werden ermöglicht, ❏ Reflexion und Auswertung können in Ruhe und Sorgfalt erfolgen, ❏ Einschätzungen werden weniger durch die „Gruppenmeinung“ beeinflusst. Zu empfehlen sind Fragebögen, die skalierende Bewertungen mit offenen Fragen kombinieren, sodass Einschätzungen von den Befragten begründet werden und individuelle Anmerkungen dazu gemacht werden können. Dies erhöht freilich den Aufwand bei der Auswertung der Antworten, liefert aber weitaus aussagekräftigere Ergebnisse. Ein Abgleich der Einschätzungen aus verschiedenen Perspektiven kann wichtige Impulse für Lernprozesse geben. Schriftliche Befragungen sind gut kombinierbar mit anderen Methoden, z. B. können die Ergebnisse beim Projektabschluss- oder einem Folgetreffen vorgestellt und diskutiert, mit dem Auftraggeber durchgesprochen werden. Ein geeigneter Fragebogen, der die Ebenen der MitarbeiterInnen und der Projektleitung verbindet, ist in den Abbildungen 3 und 4 dargestellt. Workshop zur Zwischen- oder Abschlussauswertung: Bei der aktivierenden Arbeitsform eines Workshops wird die Auswertung von der Projektgruppe gemeinsam erarbeitet. Ein Auswertungsworkshop muss sorgfältig vorbereitet, klar strukturiert und gut moderiert sein, sei es durch die Projektleitung oder eine(n) externe(n) ModeratorIn. Eine sehr gute Hilfestellung dazu bieten Lipp und Will in ihrem Handbuch zur Workshoparbeit [8]. Abwechslungsreich, unter Berücksichtigung der Gruppendynamik und mit einem Schuss Kreativität gestaltet, wirkt ein Workshop motivierend und setzt Energien frei. Erfahrungen werden geteilt, Schlussfolgerungen und Verbesserungsansätze für die Projektarbeit gemeinsam entwickelt. In Workshops können Phasen der Einzelreflexion gut integriert werden, und es können weitere Personen, z. B. der Auftraggeber und Stakeholder, hinzugezogen und beteiligt werden. Workshops können in unterschiedlichen Zeitrahmen durchgeführt werden, auch in „Miniaturausgabe als Projekt-Zwischenstopp“. Auswertungsskalen zur Teamarbeit: Gelingende Kooperation im Projektteam kann gefördert werden, wenn zu passenden Zeitpunkten im Projektverlauf (und nicht erst bei Projektabschluss) die Qualität der Zusammenarbeit ausgewertet wird. Hierzu gibt es zahlreiche geeignete Arbeitshilfen; Schmidt und Berg [13, S. 288 ff.) stellen hierzu eine Reihe gut einsetzbarer Methoden vor. „Lessions-learned“-Methode: H. Kellner [6, S. 111 f.] schlägt diese Auswertungsmethode, die in zwei Schritten erfolgt, für den Projektabschluss vor. Zunächst werden in einem Brainstorming zu bestimmten Auswertungsfragen die Meinungen aus der gesamten Projektgruppe zusammengetragen. Daran anschließend werden Kleingruppen gebildet, die die fünf wichtigsten „Lektionen“, also Lernerfahrungen aus dem Projektverlauf und den damit erzielten Ergebnissen, erarbeiten sollen. Leitend dabei ist die Frage, welche Schlussfolgerungen und Empfehlungen aus der Projektarbeit für die Zukunft zu ziehen sind. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen werden verglichen und durchgesprochen. Das hierbei erarbeitete Gesamtergebnis kann wichtige Verbesserungsansätze für die Gestaltung weiterer Projekte oder Unternehmensabläufe geben. Impulsfragen/ Impulsplakate: Spezifisch auf das Projekt, das Unternehmen und die Gruppe ausgerichtete refle- P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 36 WISSEN xionsanregende Fragen werden auf Metaplantafeln als Impuls vorbereitet. In verschiedener Weise kann damit gearbeitet werden, z. B. ❏ als Wandzeitung/ Meinungsmarkt/ schriftliche Diskussion auf den Metaplanwänden, evtl. kombiniert mit dem Einsatz einer Bilderkartei, ❏ in Einzel- oder Kleingruppenarbeit mit anschließender Plenumpräsentation (auf Visualisierung achten), ❏ mit Auswertungsrunden in der Gesamtgruppe schrittweise zu den einzelnen Impulsfragen - mit stichwortartiger Visualisierung durch die/ den ModeratorIn. Checklisten und Bewertungsfragen für die Projektleitung: Vorbereitete Fragelisten helfen der Projektleitung, bei markanten Punkten und am Projektabschluss zu prüfen, ob wichtige Elemente/ Anforderungen in der Projektarbeit berücksichtigt und umgesetzt wurden. Solche Checklisten können unternehmensspezifisch entwickelt werden, oder es können Arbeitshilfen aus der Fachliteratur, gegebenenfalls nach Anpassung, verwendet werden. Unternehmen können auf diese Weise diejenigen Bereiche der Projektarbeit, die von besonderer Bedeutung für Kompetenzentwicklung sind, fokussieren. In Krämer-Stürzl [7, S. 111 f.] findet sich ein geeigneter Fragebogen zur Überprüfung der Kompetenzfelder, mit Hilfe dessen die Projektleitung Schwachpunkte erkennen und rechtzeitige Interventionen planen kann. „Project-Excellence“-Bewertungsmodell der GPM: Die deutsche Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) hat in Anlehnung an das EFQM-Modell ein umfassendes Projektbewertungssystem entwickelt, das für Unternehmen mit vielen Großprojekten lohnenswert sein kann, jedoch mit hohem Aufwand verbunden ist (siehe [12]). Weitere Methoden: Es gibt unzählige weitere Methoden und Ansätze, die verwendet und kombiniert werden können. Um nur eine kleine Auswahl anzuführen: ❏ Mind-Mapping, Projektauswertung Rückmeldung der Projektgruppenmitglieder Projekt: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teilprojekt/ Arbeitsgruppe: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Name: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (ggf. anonym) 1. Wie zufrieden sind Sie mit dem Projektstart, der Beschreibung der Aufgabenstellung sowie der Zielklärung? 1 2 3 4 5 6 sehr zufrieden nicht zufrieden Begründung/ Anmerkungen: 2. Wie zufrieden sind Sie mit der Betreuung des Projektes durch die Projektleitung? 1 2 3 4 5 6 sehr zufrieden nicht zufrieden Begründung/ Anmerkungen: 3. Wie zufrieden sind Sie mit der Zusammenarbeit und Kommunikation im Projekt? 1 2 3 4 5 6 sehr zufrieden nicht zufrieden Begründung/ Anmerkungen: 4. Wie gut war es Ihnen möglich, sich einzubringen und zum Projekterfolg/ zu den Ergebnissen beizutragen? 1 2 3 4 5 6 sehr gut sehr schlecht Begründung/ Anmerkungen: 5. Wie zufrieden sind Sie mit der Erreichung der inhaltlichen Projektziele und der Qualität der Ergebnisse? 1 2 3 4 5 6 sehr zufrieden sehr unzufrieden Begründung/ Anmerkungen: 6. Welche Methoden und Vorgehensweisen haben sich in diesem Projekt bewährt? Was war Ihrer Meinung nach besonders gut und hilfreich? 7. Welche Verbesserungen sollten bei der Planung und Durchführung künftiger Projekte erfolgen? Zum Abschluss: Möchten Sie darüber hinaus noch etwas anmerken? Vielen Dank für Ihre Rückmeldung! Abb. 3: Bogen zur Projektauswertung: Rückmeldung der Projektgruppenmitglieder P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 37 ❏ Interviews (auch Partner- oder Gruppen-Interview), ❏ Kartenabfragen, ❏ Bewertungen mittels Punkten/ Eintragungen auf Plakaten, ❏ „Fish-Pool“ oder „Aquarium“ (kleiner Kreis diskutiert für alle sichtbar in der Mitte, mit freiem Stuhl zum „Einklinken“), ❏ Arbeit mit einer Bilderkartei oder mit anderen kreativen Medien. Im Grunde können die unterschiedlichsten Methoden herangezogen und für die jeweils eigenen Zwecke abgewandelt werden. Oft sind „selbst gestrickte“ Zugänge die besten, wenn sie passend zur Ausgangssituation und mit etwas Mut zu Neuem gestaltet werden. Zu achten ist auf eine gute Moderation und auf Visualisierung, die zugleich der Ergebnissicherung dient. Auch müssen geeignete Konsequenzen aus den Ergebnissen abgeleitet und in konkrete Schritte umgesetzt werden. Projektauswertung Zusammenfassung der Rückmeldungen und Auswertung durch die Projektleitung Projekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Projektleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anzahl MitarbeiterInnen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zufriedenheit der Projektgruppe mit dem Projektstart, der Beschreibung der Aufgabenstellung sowie der Zielklärung 1 2 3 4 5 6 sehr zufrieden (Verteilung jeweils eintragen) nicht zufrieden Begründungslinien der ProjektmitarbeiterInnen: Anmerkungen/ Schlussfolgerungen der Projektleitung: 2. Zufriedenheit der Projektgruppe mit der Betreuung durch die Projektleitung 1 2 3 4 5 6 sehr zufrieden nicht zufrieden Begründungslinien: Anmerkungen/ Schlussfolgerungen der Projektleitung: 3. Zufriedenheit der Projektgruppe mit der Kooperation und Kommunikation im Projekt 1 2 3 4 5 6 sehr zufrieden nicht zufrieden Begründungslinien: Anmerkungen/ Schlussfolgerungen der Projektleitung: 4. Möglichkeit der MitarbeiterInnen, sich einzubringen und zum Projekterfolg beizutragen 1 2 3 4 5 6 sehr gut sehr schlecht Begründungslinien: Anmerkungen/ Schlussfolgerungen der Projektleitung: 5. Zufriedenheit der Projektgruppe mit der Zielerreichung und der Qualität der Ergebnisse 1 2 3 4 5 6 sehr zufrieden nicht zufrieden Begründungslinien: Anmerkungen/ Schlussfolgerungen: 6. Methoden und Vorgehensweisen, die sich im Projekt bewährt haben, aus der Sicht der ProjektmitarbeiterInnen: : aus der Perspektive der Projektleitung: 7. Verbesserungsvorschläge für die Planung und Durchführung künftiger Projekte aus der Sicht der ProjektmitarbeiterInnen; aus der Perspektive der Projektleitung: 8. Darüber hinausgehende Anmerkungen und Fazit der Projektgruppenmitglieder: „Fazit“, wichtigste Schlussfolgerungen der Projektleitung: Abb. 4: Bogen zur Projektauswertung: Zusammenfassung der Rückmeldungen und Auswertung durch die Projektleitung P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 38 WISSEN 5. Zusammenfassung und Fazit Aus und in Projekten lernen - die darin liegenden Chancen aufzuzeigen und Wege des Projektlernens durch Auswertung zu eröffnen war Anliegen dieser Arbeit. Gut und gerne könnte man mehr zu diesem Thema ausführen, z. B. zu Prozessen der Teamentwicklung, Gruppendynamik und Potenzialförderung, die wesentlich für das Gelingen oder Scheitern eines Projektes sein können. Dass Reflexion und Auswertung nicht nur beim Abschluss von Projekten ihren Sinn und Platz haben, dass Lernprozesse vielmehr fortlaufend im Projektverlauf stattfinden, begleitet und gefördert werden können, wurde anhand der Projektphasen und der damit verbundenen Herausforderungen beschrieben. Entscheidend für wirkungsvolle Auswertungsprozesse ist der Wunsch weiterzukommen und aus den Erfahrungen zu lernen. Wo dieses Anliegen ernsthaft vorhanden ist, können auch geeignete Wege gesucht und gefunden werden. An Grundlagen und geeigneten Methoden mangelt es nicht, sie müssen nur für die Projektarbeit genutzt werden. Zu hoffen ist, dass sich die Idee des „lernenden Unternehmens“ auch nach und nach stärker in der Projektarbeit niederschlägt, indem Projekte selbst als lernende Organisationen begriffen und gestaltet werden. Erst dann können die darin liegenden Chancen voll für das Unternehmen erschlossen werden - auch für eine aktive Gestaltung deren Zukunft. ■ Literatur [1] Blom, H.: Sitzungen erfolgreich managen. Weinheim/ Basel 1999 [2] Boy, J./ Dudek, C./ Kuschel, S. : Projektmanagement. Offenbach 1997 [3] Domsch, M. E./ Harms, M./ Sticksel, P.: Bildungsbedarfsanalyse. Studienbrief des ZFUW, Kaiserslautern 2000 [4] Graf-Götz, F./ Glatz, H.: Organisation gestalten. Weinheim/ Basel 1999 [5] Heiner, M./ Meinhold, M./ Spiegel, H. v./ Staub-Bernasconi, S.: Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit. Freiburg i. B. 1994 [6] Kellner, H.: Ganz nach oben durch Projektmanagement. München/ Wien 2000 [7] Krämer-Stürzl, A.: Projektmanagement. Studienbrief des ZFUW, Kaiserslautern 2000 [8] Lipp, U./ Will, H.: Das große Workshop-Buch. Weinheim/ Basel 1996 [9] Mayrshofer D./ Kröger H. A.: Prozesskompetenz in der Projektarbeit. Hamburg 1999 [10] Meinhold M.: Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement in der Sozialen Arbeit. Freiburg i. B. 1996 [11] Sattelberger, T.: Die Lernende Organisation. Wiesbaden 1996 [12] Schelle, H.: Projekte zum Erfolg führen. München 1999 [13] Schmidt E. R./ Berg, H. G.: Beraten mit Kontakt. Handbuch für die Gemeinde- und Organisationsberatung. Offenbach/ M. 1995 [14] Spiegel, H. v.: Aus Erfahrung lernen - Qualifizierung durch Selbstevaluation. Münster 1993 [15] Stürzl, W.: Potentialförderung durch Teamaktivitäten und Interventionstechniken. Studienbrief des ZFUW, Kaiserslautern 1998 Schlagwörter Lernen aus Projekten, Lernende Organisation, Projektabschluss, Projektbewertung, Projekterfolg, Zufriedenheit der Projektbeteiligten Autorin Elisabeth Stauber, Jahrgang 1962; Diplompädagogin, Aufbaustudium Personalentwicklung, Weiterbildung in Systemtherapie. Referentin für Personalentwicklung beim Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart e. V. und nebenberuflich Dozentin an der Ev. Fachhochschule für Sozialwesen Ludwigsburg-Reutlingen. Zuvor langjährige beraterisch-therapeutische Arbeit, Lehrtätigkeit und Leitung der Caritas im Landkreis Tübingen. Seit 5 Jahren haupt- und freiberufliche Arbeit in den Bereichen Fortbildung, Training und Coaching für Fach- und Führungskräfte, Projektberatung, Moderation und Konzeptentwicklung. Inhaltliche Schwerpunkte dabei: Projektmanagement, Selbstmanagement, Personalführung und -entwicklung, Future Research. Anschrift Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart e. V. Bereich Bildung und Entwicklung Strombergstr. 11 D-70188 Stuttgart Tel.: 07 11/ 26 33-14 57 Fax: 07 11/ 26 33-12 87 E-Mail: stauber@caritas-dicvrs.de P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 42 NACHRICHTEN „Projektmanagement-Oscar“ für Petrochemie-Projekt ■ Die Würfel sind gefallen. Mit einem ehrgeizigen Petrochemie- Projekt hat das niederländische Unternehmen Fluor Daniel (Haarlem) den „Internationalen Projektmanagement Award“ der GPM gewonnen. Zudem gingen in diesem Jahr zwei Preisträger aus dem Wettbewerb hervor. Ein Projektteam des polnischen Unternehmens Transsystem (Spezialist für Automobil-Fertigungsanlagen) sowie ein Gemeinschaftsteam der deutschen DeTeMobil Deutsche Telekom MobilNet und ACTERNA Deutschland erhielten Preise für vorbildliche Leistungen. Erstmals hatten Teams aus aller Welt um die Trophäe für Spitzenleistungen im Projektmanagement gerungen. Was haben die preisgekrönten Projekte geleistet? Gewinner Fluor Daniel: Mit einem Petrochemie-Projekt bewarben sich die niederländischen Projektmanagement-Spezialisten von Fluor Daniel um den Award. Sie hatten für die Veba-Tochter „Ruhröl“ ein Projekt mit Budget in dreistelliger Millionenhöhe geleitet. Die Aufgabe: In kürzester Zeit passten die Fachleute aus Haarlem eine Gelsenkirchener Raffinerie so an, dass Ruhröl Treibstoff nach neuen EU-Richtlinien produzieren konnte - eine Aufgabe, die 1999 für das Unternehmen überlebenswichtig war. In einem engen Korsett aus Terminen, Budget und Qualitätsansprüchen rüstete ein rund zwanzigköpfiges Kernteam des weltweit tätigen Spezialunternehmens „Fluor Corporation“ (Stammsitz USA, weltweit über 50.000 Mitarbeiter) die Raffinerie bis Mitte 2001 um. Dabei setzte es beim Projektmanagement Meilensteine. Heute ist sich das niederländische Projektteam sicher: Das Projekt „ROG- APOII“, das unter Druck von Zeitzielen und Kosten stand, konnte nur gelingen, wenn alle Beteiligten an einem Strang zogen. So bündelte das Team seine Kräfte und schwor alle am Projekt beteiligten Gruppen auf eine Allianz der Offenheit und Kooperation ein. Statt ordnerweise Verträge zu erstellen, reduzierte das Team die Unterlagen auf nur rund 35 Seiten mit wenigen Anhängen - eine Seltenheit im Anlagenbau. Darin schloss es einen „Allianzvertrag“, in dem die Beteiligten sich kompromisslos zu Teamwork verpflichteten. Mögliche Konfliktfelder lotete die Allianz - neben dem Fluor-Daniel-Team auch Lieferanten und der Kunde - im Vorfeld aus. Auch wurden im Allianzvertrag „Kästchendenken“ und gegenseitige Schuldzuweisungen bei Problemen von vornherein ausgeschlossen. Obgleich der Begriff „Mediation“ nie ausdrücklich fiel, löste die Allianz Probleme gemeinsam im gegenseitigen Einvernehmen und mit Blick auf die Projektziele. Dabei verzichtete sie beispielsweise auf unnötige Hierarchien im Projekt und förderte offene Kommunikation. Probleme sprach das Team sofort und vertrauensvoll an; „unterdrückte“ Konflikte sollten nicht im Verborgenen schwelen und die Arbeiten torpedieren. Zudem baute das Team ein straffes Informationsmanagement auf. Alle wichtigen Fakten waren für die Allianz verfügbar. Regelmäßige Meetings stützten den Informationsfluss. „In diesen Informationsfluss und in die ‚Open-Book-Mentalität’ wurde auch der Kunde vorbildlich einbezogen“, urteilt Projektmanagement-Experte Werner Grützner, der für die Award-Jury mit seinem dänisch-belgisch-ukrainischdeutschen Assessorenteam dieses Projekt untersuchte und beurteilte. Auch fiel den Assessoren die hohe Zufriedenheit der Mitarbeiter auf. Sie eigneten sich im Projekt überdurchschnittlich viel Know-how an, arbeiteten weitgehend eigenverantwortlich und profitierten von dem Allianz-Gedanken, der auch in Teilprojekten umgesetzt wurde. Flankiert wurde der Allianz-Vertrag von einem „Projekt-Codex“, der in acht Punkten neben den Projektzielen Mitarbeiterzufriedenheit, Sicherheit und Wirtschaftsethik betonte. Grützner: „Für den Erfolg des Projekts spricht, dass das Team das festgelegte Budget um neun Prozent unterschritt und die Arbeiten bei hohem Sicherheitsgrad früher als geplant abgeschlossen waren.“ Preisträger DeTeMobil Deutsche Telekom MobilNet/ ACTERNA Deutschland: So genannte „Monitoring Systeme“ zeichnen die technischen Daten von Mobilfunkgesprächen auf. Die Systeme erfassen beispielsweise Gesprächsdauer, die Übergabe zwischen Vermittlungspunkten und (für den Kunden unmerkliche) Störungen. Herausforderung für die Techniker und IT-Fachleute: Die Systeme müssen schnell arbeiten und Datensicherheit gewährleisten. Das nach eigenen Angaben weltgrößte Monitoring System hat jüngst DeTeMobil Deutsche Telekom MobilNet gemeinsam mit dem IT-Spezialisten ACTERNA Deutschland aufgebaut. Die Aufgabe: In ihrem Projekt mussten die beiden Partner das System weiterentwickeln, eine „Knacknuss“ auch für das Projektmanagement. Um dieses Projekt erfolgreich zu stemmen, schloss sich DeTeMobil eng mit seinem Lieferanten ACTERNA zusammen. Sie bildeten früh für das gemeinsame Projekt PARTNER eine vertrauensvolle Partnerschaft, die das im Projektmanagement sonst gängige Kunden-Lieferanten- Verhältnis weit übertraf. Bereits bei den Zielvereinbarungen und den Spezifikationen bewiesen die Unternehmen, dass die Partnerschaft fest trug. Das Projekt startete im August 2000 mit vielen unbekannten technischen Größen. So konnten die Unternehmen kaum die Leistungsfähigkeit des zu entwickelnden Systems abschätzen und in die Vertragsunterlagen aufnehmen. Das Problem lösten sie, indem sie diese wichtigen technischen Detailfragen nicht zum Projektbeginn, sondern kurz vor Abnahme festschrieben. „Die Partner haben in ihren Verträgen die Ziele mehr beschrieben als in technischen Fakten festgelegt“, beschreibt Udo Schmidt den ungewöhnlichen Projektmanagement-Ansatz. Schmidt hatte das Assessorenteam geleitet, das das preisgekrönte Projekt für den „Internationalen Projektmanagement Award“ bewertete. Zudem fielen den Assessoren das vertrauensvolle Miteinander und die überdurchschnittlich intensive Zusammenarbeit im Projektteam auf. Umfangreiches Berichtswesen stützte das Projektmanagement, das das Assessorenteam für vorbildlich P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 43 hält. Udo Schmidt: „Nachdem das Team das Projekt im vergangenen März abgeschlossen hat, gilt das Management dieses Projektes in beiden Unternehmen als Referenz.“ Es habe bereits andere Projekte befruchtet und die Projektkultur beider Unternehmen gefördert. Preisträger Transsystem: „Pioniertat“ in Sachen Projektmanagement: Binnen eines Jahres stellte der polnische Spezialist für Automobil-Fertigungsanlagen Transsystem sein Unternehmen auf projektorientiertes Arbeiten um. In einem eigenen Projekt ließ das Unternehmen Mitarbeiter ausbilden, führte Methoden und Werkzeuge aus dem Projektmanagement ein und passte seine Arbeitsprozesse den Projektmanagement-Leitlinien an. Mit diesem „Projekt einer Projektmanagement-Einführung“ hat das Unternehmen, das sich seit zehn Jahren an Fabrikprojekten in Nordamerika, Russland und Europa beteiligt, einen Preis beim Wettbewerb um den „Internationalen Projektmanagement Award“ gewonnen. Heute setzt sich bei dem Unternehmen, das hauptsächlich Förderanlagen und Sicherheitstechnik für die Automobilindustrie liefert, der Projektmanagement-Gedanke bis in die Fertigungshallen durch. Ein fünfköpfiges Assessorenteam aus Schweden, Polen, Großbritannien und Deutschland besuchte Transsystem vor Ort, prüfte die Bewerbung und machte gründlich Bestandsaufnahme der Projektmanagement-Leistungen. Was die Assessoren besonders beeindruckte: Obgleich Transsystem bereits umfangreich Qualitätsmanagement betrieben hatte, musste es beim Projektmanagement quasi „von unten“ beginnen. So heben Assessoren die sorgfältige Zieldefinition des Projekts hervor. Das Unternehmen habe das neue Projektmanagement-System umsichtig geplant sowie seiner Vision und der Strategie angepasst. Auch bei der Analyse der gesteckten und erreichten Ziele schnitt das Unternehmen gut ab. „Es hat energisch die Planungen umgesetzt und den ‚Esprit’ des Projektmanagements verbreitet“, erläutert Harald Karl, Leiter des Assessorenteams. Und: „Uns ist aufgefallen, dass das Unternehmen während des Projekts in einer ausgeprägten Wachstumsphase stand.“ Derweil andere Firmen in dieser Situation mit ihrer Produktion und Auftragsabwicklung beschäftigt sind, habe Transsystem zusätzlich sein Projekt strikt umgesetzt. Auch bei der Kundenzufriedenheit punktete das osteuropäische Unternehmen. Bei namhaften Autoherstellern, die ihre Fabriken selbst mit konsequentem Projektmanagement aufbauen, fiel das Projektmanagement positiv auf. Das lasse sich, so Harald Karl, mit Zahlen belegen. Transsystem erreichen jetzt messbar mehr Anfragen nach Fertigungsanlagen. O. Steeger Die strahlenden Gewinner mit Gratulanten Foto: Steeger P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 45 „Aufschieberitis“ in Projekten: Die Bugwelle unerledigter Arbeiten ■ Der Teilprojektleiter hebt auf dem Jour fixe beschwörend die Hände. Ja, morgen. Morgen ist der Statusbericht fertig. Ganz bestimmt. Und der überfällige Budgetplan für das Teilprojekt nächste Woche Dienstag, mit Sicherheit, er ist ja zur Hälfte schon geschrieben. Am Wochenende ist ja notfalls noch Zeit. - Der Mann scheint völlig überlastet. Er tut dem Projektleiter sogar leid. Seine To-do-Liste erstreckt sich mittlerweile über zwei Seiten. Armer Kerl. Aber: Andere schaffen doch auch ihr Pensum. Weshalb nicht er? Was ist los? Was los ist? Der Teilprojektleiter schiebt seine Arbeit vor sich her, eine Bugwelle von unerledigten Aufgaben. Aufschieberitis. Das ist nicht nur sein Problem. Von seinen aufgeschobenen Arbeiten hängen die weiteren Projektschritte ab. Der Zeitplan droht mittlerweile im Domino-Effekt zu stürzen. Und schon wieder bittet er um Aufschub, um Zeit, um eine Atempause. Er könne, meint er, nur unter Druck arbeiten. Dass er mit seiner Saumseligkeit nicht nur sich Druck macht, sondern dem gesamten Projekt - das nimmt er schuldbewusst zur Kenntnis. „Aufschieberitis“ ist in der Projektarbeit wie eine Virusinfektion, die den Organismus lähmt. Rund vierzig Prozent aller Befragten gaben in den USA an, dass ihnen durch Aufschieben bereits Nachteile entstanden sind. Jeder Vierte steht seiner Neigung, Aufgaben erst einmal liegen zu lassen, hilflos gegenüber. Des Teufels schlimmstes Möbelstück ist die „lange Bank“. Aufschieberitis. Die Übergänge zwischen Powerworking an der Terminkante und der chronischschädlichen Verzögerungstaktik sind fließend. Derweil die einen nur unter Zeitdruck (rechtzeitig) fertig werden, entwickeln andere Methode darin, Protokolle und Pläne, Entwicklungsarbeiten, Tests, Marketingpapiere, Kalkulationen und Berichte so lange liegen zu lassen, bis sie kaum noch eine Chance haben. Fatalerweise wissen chronische Aufschieber ihre Saumseligkeit gut zu kaschieren. Sie sind Meister darin, neue Fristen auszuhandeln. Schließlich müssen sie - ähnlich einem Unternehmen, das nicht mehr umschulden kann - ihren Bankrott erklären. Für Projekte kann dies einen schweren Schlag bedeuten. Aufschieber, so stellt der Psychologe Hans-Werner Rückert fest, kommen häufig zu spät, sind unvorbereitet, unorganisiert und haben schlechte Beziehungen zu Kollegen. Sie vermeiden es, Rechenschaft über ihren Arbeitsstil zu geben, und versuchen stattdessen, ihr Image zu pflegen. Mit „Faulheit“ hat dies allerdings selten zu tun. Versagensängste, falsche Aufgaben und ein Mangel an Selbstorganisation machen Aufschiebern das Leben schwer und lassen sie scheitern. Das Problem für Projektleiter: Sie entdecken den Virus „Aufschieberitis“ in der Regel zu spät bei ihren Mitarbeitern, und wenn sie ihn entdecken, stehen sie ebenso hilflos vor dem Aufschieber wie der Aufschieber vor seinem Arbeitsberg. Erfahrene Projektleiter berücksichtigen Aufschieberitis mittlerweile in ihrem Risikomanagement. Welcher Mitarbeiter könnte aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur zu Aufschiebern gehören - und wie kann man sich wappnen, falls er tatsächlich Arbeiten auf die lange Bank schiebt? „Die Berücksichtung im Risikomanagement ist durchaus sinnvoll und zu empfehlen“, betont Ulrike Wikner, Projektmanagement-Fachmann-Trainerin und Coach im Projektmanagement. Die Nürnberger Expertin weist zugleich darauf hin, dass gegen die Aufschieberitis gutes Kraut gewachsen ist. Das heißt: Mit vorbeugenden Maßnahmen können Projektleiter ihre Mitarbeiter gegen den Virus abhärten. Umsichtiger Führungsstil und ein Notfallplan helfen zudem, das Schlimmste zu verhindern. Ulrike Wikner: „Projektleiter können Aufschieberitis in ihrem Team nie ganz vermeiden. Sie können sie aber eindämmen und sich so darauf vorbereiten, dass sie von ihr nicht überrascht werden.“ - Also, was ist zu tun? Rahmenbedingungen prüfen: In zu großen Teams und bei schlechtem Informationsmanagement gedeiht Aufschieberitis schnell. Je mehr Mitarbeiter am Projekt beteiligt sind, desto besser können sich die säumigen Kollegen „verstecken“. Abhilfe: Untergruppen bilden, kleine Arbeitsgruppen mit drei Mitarbeitern, in denen sich niemand so schnell davonstehlen und aus der Verantwortung ziehen kann. Ulrike Wikner: „In meiner Coaching-Praxis bilde ich häufig diese überschaubaren ‚Power-Teams‘, bei denen es in der Regel wenig Konfliktpotenzial gibt.“ Ähnliches gilt für die Informationspolitik. Aufschieber kennen häufig nicht den Gesamtzusammenhang ihrer Arbeitspakete. Sie wissen kaum die Konsequenzen ihrer Pflichtvergessenheit einzuschätzen. Verständnis dafür, wie wichtig ihr Baustein für das Ganze ist, kann beflügeln. Verbindlichkeit definieren: Über Pünktlichkeit gehen die Meinungen auseinander. Das Erste, was Studenten kennen lernen, ist die „c.t.“- Regel. Die für elf Uhr angesetzte Vorlesung fängt obligatorisch eine Viertelstunde später an - cum tempore, mit Zeit. Das gilt in der Uni, nicht aber im Projekt. Was heißt es also, eine Arbeit pünktlich fertig zu stellen? Am exakten Stichtag, drei Tage später - oder erst nach der ersten Mahnung des Projektleiters? Hier können Teams sich Spielregeln geben und Verbindlichkeit definieren. Wichtig: Sie sollten gemeinsam diese „Pünktlichkeitsregeln“ festlegen und verabschieden. Aufschieber identifizieren: Schon Ulrike Wikner: „Projektmanager sollten sich gegen Aufschieberitis wappnen.“ Foto: privat P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 46 NACHRICHTEN bei der Teamauswahl können mit Persönlichkeitsmodellen potenzielle Aufschieber ermittelt werden. Bei den ersten Anzeichen des Schlendrians sollten Projektleiter mit Aufschiebern reden und ihnen die Konsequenzen klar machen. Der Hinweis, dass ihre Arbeitsweise Bedeutung für das Risikomanagement hat (und einen Vermerk in den Risikomanagement-Unterlagen nach sich zieht), kann wirken. Eine Rosskur? „Zum einen müssen die Arbeitsbedingungen so gestaltet sein, dass sie die Aufschieberitis nicht unterstützen“, meint Ulrike Wikner, „zum anderen sollten Projektmanager den Konflikt mit aufschiebenden Mitarbeitern nicht scheuen.“ Ursachen der Aufschieberitis erkennen: Die meisten Aufschieber leiden unter ihrem eigenen Missmanagement, und dennoch ziehen sie gewissermaßen einen Nutzen aus ihrem Arbeitsstil. Zumeist liegen der Fahrlässigkeit in Sachen Terminarbeit Versagensängste zugrunde, dann beispielsweise, wenn Mitarbeiter Perfektion von sich fordern und aus Angst vor ihrem eigenen Anspruch sich nicht ans Werk machen. Berüchtigt sind die Mitarbeiter, die stundenlang am Layout ihrer Besprechungsprotokolle feilen und optische Gesamtkunstwerke anstreben. Ulrike Wikner: „Legen Sie fest, welche Qualität gefordert ist. Und machen Sie unmissverständlich klar, dass Übererfüllung dieser Ansprüche nicht erwünscht ist.“ Solche Hinweise können auf Aufschieber befreiend wirken. Ähnlich blockieren negative Gefühle den Aufschieber. Aus Angst, beispielsweise vor schwierigen Gesprächen, vertagt er wiederholt Meetings. Ihm helfen können Fragen, wie er zu der Aufgabe steht und welche Hilfe er benötigt. Überlastungen erkennen: Aufschieberitis muss nicht immer Ursache in „inneren Widerständen“ haben. Auch Arbeitsüberlastung, zusätzlicher Druck durch sich ändernde Zeitpläne oder Konflikte zwischen Tages- und Projektarbeit können ihm zu schaffen machen. Fühlt sich der Mitarbeiter überfordert, entgleitet ihm die Identifikation mit dem Projekt. Ulrike Wikner: „Projektleiter sollten vorbeugen und Gespräche führen, bevor Überlastung oder Überforderung Mitarbeiter blockieren.“ Hilfreich sind Fragen nach dem Zu-viel-zu-wenig-Schema: Was ist dem Mitarbeiter zu viel? Und was vermisst er? Arbeitsplatzorganisation: Der Schreibtisch biegt sich unter Papierstapeln, manchmal liegen sogar noch Unterlagen vom Vorgänger am Arbeitsplatz. Das Chaos trübt den Überblick. Hier hilf nur: gründlich aufräumen in den Regalen, auf dem Schreibtisch und auf der Festplatte des Computers. Für ihre Projektberatung engagiert die Nürnberger Expertin gelegentlich eine Mitarbeiterin, die den persönlichen Workflow einzelner Mitarbeiter organisieren hilft. Indes, bei aller Vorsorge werden Projektmanager den Kampf gegen die Aufschieberitis im Team nicht gänzlich gewinnen können. Typische Situation: Nach fünftägiger Geschäftsreise kehren sie zum Team zurück - und stellen bestürzt fest, dass in puncto Terminarbeiten an einigen Ecken kräftig die Hütte brennt. Was tun? Mit positiven und negativen Anreizen gleichermaßen die Motivation der Mitarbeiter wieder in Gang setzen. Belohnungen - aber auch Konsequenzen - sollten dem Team klar werden. „Es muss dem Aufschieber deutlich vor Augen stehen, dass sein Verhalten Konsequenzen hat auch seitens des Teams“, meint Ulrike Wikner. Es hat keinen Zweck, die drohenden Probleme nur zu lösen - und dann über das Missmanagement Einzelner den Mantel des Schweigens zu hüllen. Kunstgriff „Erledigungspate“: Seit vier Wochen tüftelt ein Mitarbeiter an einem juristischen Entwurf, recherchiert tagelang Fakten - und kommt mit dem dringend gebrauchten Papier nicht voran. Geschickte Projektleiter stellen ihm jetzt einen „Erledigungspaten“ an die Seite, einen erfahrenen Kollegen, der einen guten Draht zu dem Aufschieber hat und ihm auf die Sprünge hilft, ihn unterstützt und begleitet. Eine Mail am Morgen, die den Aufschieber an Arbeitsschritte erinnert, kann durchaus schon helfen. Notwendig: Der Pate selbst darf sich durch die Paten-Aufgabe nicht wiederum überlastet fühlen („Jetzt muss ich mich auch darum noch kümmern …! “). Patenschaft muss „Projektaufgabe“ sein - und auch entsprechend gewürdigt und belohnt werden. Ein Blick in die Vergangenheit: „Die Aufgabe haben Sie doch früher im- Zielstrebig und doch entspannt die Aufgaben erledigen - nicht jedem fällt das leicht. Wer Arbeiten ständig vor sich herschiebt, gefährdet den Projekterfolg. Foto: Nokia P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 47 mer pünktlich geschafft.“ Was als stiller Vorwurf gemeint ist, bietet Denkanstöße und leitet ein ernstes Gespräch ein. Weshalb hat er das früher pünktlich geschafft? Was hat geholfen? Was kann er daraus für die gegenwärtige Situation lernen? Im Notfall: Es ist fünf vor zwölf. Die liegen gebliebene Arbeit stört empfindlich den Projektverlauf. „Fordern Sie Erledigung unmissverständlich ein“, erklärt Ulrike Wikner. Nur im äußersten Fall sollte der Projektleiter das Arbeitspaket an andere delegieren oder selbst erledigen. Denn das Signal, dass „Papa“ (oder „Mama“) Projektleiter die Kartoffeln schon aus dem Feuer holen wird, ist fatal. Der chronische Aufschieber wird dies werten als „nochmal davongekommen“. „Lassen Sie den Fall nicht auf sich beruhen“, empfiehlt Ulrike Wikner ein gehöriges Maß Konfliktfähigkeit, „erläutern Sie die Konsequenzen.“ Aufschieberitis, die Folgen für das Projekt hat, muss auch ein Nachspiel für den säumigen Mitarbeiter haben. „Ein Nachgespräch sollte auf jeden Fall stattfinden.“ O. Steeger Literatur: Hans Werner Rückert: „Schluss mit dem ewigen Aufschieben! “ Campus-Verlag Projektleiter-Karriere schmackhafter machen ■ „Pilot-Projekt“ bei der IT-Tochter der Lufthansa: Seit Oktober letzten Jahres bietet die „Lufthansa Systems Business Solutions“ Projektleitern eine eigene, dreistufige Karriere an. Die allererste Bilanz fiel günstig aus. Trotzdem hat sie das Unternehmen noch nicht rundum zufrieden gestellt. Die Projektleiter, die sich bisher umfassend weitergebildet haben und sich bei der GPM-eigenen PM-ZERT zertifizieren ließen, verbuchten nach eigenen Angaben Erfolge bei ihrer Qualifikation, noch nicht aber die gewünschten beruflichen Fortschritte. Der Konzern bleibt dran: Er überlegt, wie er Projektleitern die Karriere noch schmackhafter machen kann - und stellt bemerkenswerte Überlegungen an, was Karriere Projektleitern bieten sollte. Hintergrund der Projektmanagement-Offensive: Immer häufiger erkundigen sich internationale IT- Kunden in ihren Ausschreibungen nach dem Projektmanagement künftiger Partner. Wer in Zukunft keine Managementkompetenz nachweist, kommt im Wettbewerb um internationale Aufträge nur schwer an den Start. „Seit drei Jahren wird der Kompetenznachweis immer häufiger gefordert“, hat Susanne Fleischmann, Projektmanagement- Expertin des Unternehmens, festgestellt. Vor allem Kunden aus den USA schauen möglichen Lieferanten und Dienstleistern auf die Finger und wollen wissen, ob Projektleiter qualifiziert sind und mit welchen Tools sie arbeiten. Für das Kelsterbacher Unternehmen ein deutliches Zeichen. Es hat in den letzten Jahren sein Projektmanagement verbessert und Projektleiter ausbilden lassen. Wichtiger noch: Die IT-Spezialisten haben ein eigenes Karrieresystem für Projektmanager aufgebaut und dabei die GPM ins Boot geholt. So orientiert sich das 1994 gegründete Unternehmen an den Projektmanagement-Normen, die die GPM zusammengestellt hat. Das Wissen, über das Projektleiter verfügen müssen, umfasst 39 „Knowledge“-Elemente, darunter neben Projektmanagement-Techniken und Methoden auch Themen wie Kommunikation, Soziale Kompetenz, Lernende Organisation, Konfliktmanagement, Kreativitätstechniken und Selbstmanagement. Auch ist das vierstufige Zertifizierungssystem der GPM-eigenen, unabhängigen Zertifzierungsgesellschaft PM-Zert Maßstab für die Sprossen der Karriereleiter für Projektmanagement. Derweil in dem Unternehmen für die klassische Karriere der Führungskräfte, Consulter und IT-Experten Modelle fest verankert sind, fehlen für Projektleiter vergleichbare Stufen. „Wir haben quasi eine vierte Karrieresäule aufgebaut“, erklärt Susanne Fleischmann. Eine ganze Schar von Projektleitern haben sich bereits bei PM-ZERT umfangreich prüfen und zertifizieren lassen, ein Schritt, von dem sich die Lufthansa-Tochter auch Wettbewerbsvorteile bei der Vergabe von Projektaufträgen erhofft. Die Rechnung ging bei internationalen Kunden auf. In 29 Ländern ist das Gütesiegel anerkannt und weist Projektleiter als sattelfest aus. Doch was hat die Zertifizierung den Projektleitern gebracht? Das Unter- Foto: Steeger P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 47 mer pünktlich geschafft.“ Was als stiller Vorwurf gemeint ist, bietet Denkanstöße und leitet ein ernstes Gespräch ein. Weshalb hat er das früher pünktlich geschafft? Was hat geholfen? Was kann er daraus für die gegenwärtige Situation lernen? Im Notfall: Es ist fünf vor zwölf. Die liegen gebliebene Arbeit stört empfindlich den Projektverlauf. „Fordern Sie Erledigung unmissverständlich ein“, erklärt Ulrike Wikner. Nur im äußersten Fall sollte der Projektleiter das Arbeitspaket an andere delegieren oder selbst erledigen. Denn das Signal, dass „Papa“ (oder „Mama“) Projektleiter die Kartoffeln schon aus dem Feuer holen wird, ist fatal. Der chronische Aufschieber wird dies werten als „nochmal davongekommen“. „Lassen Sie den Fall nicht auf sich beruhen“, empfiehlt Ulrike Wikner ein gehöriges Maß Konfliktfähigkeit, „erläutern Sie die Konsequenzen.“ Aufschieberitis, die Folgen für das Projekt hat, muss auch ein Nachspiel für den säumigen Mitarbeiter haben. „Ein Nachgespräch sollte auf jeden Fall stattfinden.“ O. Steeger Literatur: Hans Werner Rückert: „Schluss mit dem ewigen Aufschieben! “ Campus-Verlag Projektleiter-Karriere schmackhafter machen ■ „Pilot-Projekt“ bei der IT-Tochter der Lufthansa: Seit Oktober letzten Jahres bietet die „Lufthansa Systems Business Solutions“ Projektleitern eine eigene, dreistufige Karriere an. Die allererste Bilanz fiel günstig aus. Trotzdem hat sie das Unternehmen noch nicht rundum zufrieden gestellt. Die Projektleiter, die sich bisher umfassend weitergebildet haben und sich bei der GPM-eigenen PM-ZERT zertifizieren ließen, verbuchten nach eigenen Angaben Erfolge bei ihrer Qualifikation, noch nicht aber die gewünschten beruflichen Fortschritte. Der Konzern bleibt dran: Er überlegt, wie er Projektleitern die Karriere noch schmackhafter machen kann - und stellt bemerkenswerte Überlegungen an, was Karriere Projektleitern bieten sollte. Hintergrund der Projektmanagement-Offensive: Immer häufiger erkundigen sich internationale IT- Kunden in ihren Ausschreibungen nach dem Projektmanagement künftiger Partner. Wer in Zukunft keine Managementkompetenz nachweist, kommt im Wettbewerb um internationale Aufträge nur schwer an den Start. „Seit drei Jahren wird der Kompetenznachweis immer häufiger gefordert“, hat Susanne Fleischmann, Projektmanagement- Expertin des Unternehmens, festgestellt. Vor allem Kunden aus den USA schauen möglichen Lieferanten und Dienstleistern auf die Finger und wollen wissen, ob Projektleiter qualifiziert sind und mit welchen Tools sie arbeiten. Für das Kelsterbacher Unternehmen ein deutliches Zeichen. Es hat in den letzten Jahren sein Projektmanagement verbessert und Projektleiter ausbilden lassen. Wichtiger noch: Die IT-Spezialisten haben ein eigenes Karrieresystem für Projektmanager aufgebaut und dabei die GPM ins Boot geholt. So orientiert sich das 1994 gegründete Unternehmen an den Projektmanagement-Normen, die die GPM zusammengestellt hat. Das Wissen, über das Projektleiter verfügen müssen, umfasst 39 „Knowledge“-Elemente, darunter neben Projektmanagement-Techniken und Methoden auch Themen wie Kommunikation, Soziale Kompetenz, Lernende Organisation, Konfliktmanagement, Kreativitätstechniken und Selbstmanagement. Auch ist das vierstufige Zertifizierungssystem der GPM-eigenen, unabhängigen Zertifzierungsgesellschaft PM-Zert Maßstab für die Sprossen der Karriereleiter für Projektmanagement. Derweil in dem Unternehmen für die klassische Karriere der Führungskräfte, Consulter und IT-Experten Modelle fest verankert sind, fehlen für Projektleiter vergleichbare Stufen. „Wir haben quasi eine vierte Karrieresäule aufgebaut“, erklärt Susanne Fleischmann. Eine ganze Schar von Projektleitern haben sich bereits bei PM-ZERT umfangreich prüfen und zertifizieren lassen, ein Schritt, von dem sich die Lufthansa-Tochter auch Wettbewerbsvorteile bei der Vergabe von Projektaufträgen erhofft. Die Rechnung ging bei internationalen Kunden auf. In 29 Ländern ist das Gütesiegel anerkannt und weist Projektleiter als sattelfest aus. Doch was hat die Zertifizierung den Projektleitern gebracht? Das Unter- Foto: Steeger Susanne Fleischmann („Lufthansa Systems Business Solutions“, Kelsterbach): „Projektleiter sollten auf Messen und Kongressen definierte Ansprechpartner für ihr Projekt sein. Das hat für die Projektleiter auch emotionale Dimension. Es ist schlichtweg Anerkennung ihres Engagements.“ nehmen befragte seine zertifizierten Projektleiter - mit überraschenden Ergebnissen. Nach der Erfahrung der Projektleiter lohnt sich das Zertifikat in der Tat. Es dient als Expertisennachweis und kann dem Kunden als Qualifikation „verkauft“ werden. Was die eigene PM-Qualifizierung betrifft: Auch hier bilanzierten die Projektleiter positiv. Ihr Wissen und Methodenfundus seien erweitert worden. Sie verfügen über wertvolle Kenntnisse und umfassendes Projektmanagement-Know-how. So weit, so gut. Nur in der Rubrik „Berufliches Weiterkommen“ äußerten sich die Projektleiter verhalten. Sie hatten, so das Fazit, festgestellt, dass sie die P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 48 NACHRICHTEN Zertifizierung zunächst nicht wie gewünscht vorangebracht hatte. „Man muss natürlich berücksichtigen, dass die Befragung relativ kurz nach der Zertifizierung stattgefunden hat“, betont Susanne Fleischmann. So überlegt das Unternehmen, wie es die Projektleiter-Karriere noch weiter mit Leben füllen kann, eine durchweg sinnvolle Strategie. Immerhin soll sich die Projektleiter-Karriere zu einer attraktiven Alternative zur Führungskarriere entwickeln. Und: Fast ein Viertel aller Mitarbeiter will das Unternehmen zu Höherem berufen. Ihnen sollen Karrierewege offen stehen. „Wir haben uns gefragt, welche Elemente zu einer Karriere gehören und wie diese Elemente für Projektleiter aussehen könnten“, erklärt Susanne Fleischmann. Hierarchie beispielsweise sei ein Kernelement der Karriere. Der Projektleiter muss wissen, wo und „wie hoch“ er im Unternehmen steht. Wissen müssen dies auch Mitarbeiter und Vorgesetzte. Es ist also Sache des Unternehmens, das Projektleiter- Karrieresystem im Haus bekannt zu machen. Das heißt: Es reicht nicht hin, wenn nur der Projektleiter und sein Vorgesetzter über Kompetenzen und Position Bescheid wissen. Ähnlich hat Susanne Fleischmann weitere Elemente bearbeitet und geprüft, wie ihr Unternehmen Projektleitern das Gefühl geben kann, auf der Karriereleiter nach oben gekommen zu sein. Verantwortung - Ein attraktives Karriereangebot muss Projektleitern Verantwortung anbieten. Nicht nur Verantwortung für sein Projekt, sondern auch Personalverantwortung muss ihm zugebilligt werden. Sie muss bei ihm allein liegen und darf nicht mit der Linie geteilt werden. Information - Wie jede andere Führungskraft muss ein Projektleiter am Informationsfluss des Unternehmens teilhaben können - und sogar einen Vorsprung vor Mitarbeitern ohne Führungstitel genießen. Susanne Fleischmann: „Sie müssen an der strategischen Unternehmensentwicklung teilhaben.“ Auch müssen sie in Gremien eingebunden werden. Repräsentant - Projektleiter, die die Karriereleiter aufsteigen, wollen ihr Unternehmen repräsentieren dürfen. So erwägt „Lufthansa Systems Business Solutions“, dass Projektleiter ihr Projekt beispielsweise auf Messen und Kongressen vertreten. „Sie sind damit der definierte Ansprechpartner nach außen“, erläutert Susanne Fleischmann, „das hat auch emotionale Dimension für die Projektleiter. Es ist schlichtweg Anerkennung ihres Engagements.“ Vergütung - Verdienst und Finanzen gelten nach wie vor als wichtiges Karrierekriterium. „Dieser Punkt muss gut im Auge behalten werden“, meint Susanne Fleischmann, „das ist eine ganz wichtige Steuerschraube.“ O. Steeger Fachkompetenz für IT-Lösungen und Großrechner bei der „Lufthansa Systems Group“. Mit Projektmanagement-Kompetenz schafft sich das 1994 gegründete Unternehmen zusätzliche Wettbewerbsvorteile. Foto: Lufthansa Systems Group ■ Um fast ein Drittel geschrumpft ist der Stellenmarkt für Ingenieure und Informatiker. Gegenüber 2000 registrierte der VDI im letzten Jahr auf dem Arbeitsmarkt einen deutlichen Einbruch um rund dreißig Prozent. Dennoch wird es weiter in Deutschland an Fachkräften mangeln. Die Zahl der Hochschulabgänger ist zu gering, um den bundesdeutschen Bedarf zu decken - sogar nach dem Einbruch auf dem Stellenmarkt. Darauf weist der VDI hin. Auch betont der VDI, der knappe Stellenmarkt sei allein durch das aktuelle Wirtschaftsklima bedingt. Auf längere Sicht werden Unternehmen vermehrt hoch qualifizierte Fachleute suchen. Damit setzt sich der seit Jahrzehnten anhaltende Trend fort. In Zahlen: Im vergangenen Jahr zählte der VDI rund 20.500 offene Stellen für Elektrotechnik, denen 6.400 Absolventen gegenüberstanden. Im Bereich Maschinenbau kamen auf 18.200 Anzeigen (minus 17 Prozent im Vergleich zum Jahr 2000) rund 10.500 Absolventen. Der VDI warnt, dass die derzeitige Flaute wie in den neunziger Jahren Abiturienten vom technischen Studium abschreckt. Die Folgen für die Wirtschaft wären fatal. Dann würden Unternehmen mit dem Fachkräftemangel noch mindestens zehn weitere Jahre belastet. Weniger Stellen und trotzdem Ingenieurmangel P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 50 GPM INTERN Projektdiagnose mit „PM DELTA compact“ ■ Der kurze Projekttest in Zweitauflage: Mit neuen Features und verbessertem Komfort hat die „GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.“ (Nürnberg) ihre neue Version des Projektmanagement-Diagnosesystems „PM DEL- TA compact“ vorgestellt. Mit dem überarbeiteten Programm machen Projektmanager Bestandsaufnahme ihres Projektmanagements. „Diese Software sollte immer dann eingesetzt werden, wenn Projekte besser laufen könnten - aber man nicht so recht weiß, wie“, erklärt Walter Eschwei vom Entwicklungsteam. So liefere „PM DELTA compact“ anhand anerkannter Standards ein Leistungsprofil des Projektmanagements - mit konkreten Hinweisen für Verbesserungen. Für die Schnelldiagnose am PC brauchen Anwender weniger als einen halben Tag. Dabei fragt PM DELTA in rund 200 Schritten die wesentlichen Merkmale und Regelungen des Projektmanagements ab. „Die Fragen sind aus den gängigen Projektmanagement- Standards abgeleitet, und der gesamte Fragenkatalog ist nach den neunzehn Elementen der DIN 69904 gegliedert“, erläutert Gernot Waschek, Projektleiter des Entwicklungsteams. In der Auswertung stellt das System detailliert Stärken und Schwächen der Projektarbeit zusammen, allesamt gegliedert nach den Projektmanagement-Prozessen, beispielsweise Zieldefinition, Personalmanagement, Kostenmanagement, Controlling und Berichtswesen. Vor allem Project Offices und Beratungsunternehmen setzen die vor zwei Jahren erstmals vorgestellte Software ein. Sie verschaffen sich per Selbstdiagnose einen ersten Überblick über die fachgerechte Abwicklung ihrer Projekte und leiten - optional - auch Benchmarking ein. Für die neue Version hat das sechsköpfige Expertenteam der GPM die Software runderneuert. Die Benutzeroberfläche ist arbeitsfreundlicher und prozessorientiert geworden. Fortschrittsbalken signalisieren, wie weit die Diagnose vorangeschritten ist. Zudem müssen Anwender jetzt nicht mehr alle neunzehn Elemente bearbeiten. Fragenbereiche können ausgelassen werden, eine Hilfe, mit der die Entwickler vor allem kleineren, wenig komplexen Projekten entgegenkommen, die beispielsweise auf Personalmanagement oder Logistik bewusst verzichten. Auch haben die Entwickler die Beantwortung von Einzelfragen der Praxis angepasst. Statt nur mit „Ja“ oder „Nein“ können Anwender Fragen auch mit „nicht zutreffend“ beantworten, was die projektspezifische Bewertung verbessert. „Damit haben wir die Software flexibler gestaltet“, meint Walter Eschwei. Ein umfangreiches Glossar erläutert verständlich Fachbegriffe. Außerdem neu: Künftig lassen sich die Testergebnisse und Auswertungen problemlos beispielsweise in Textverarbeitung, Tabellenkalkulationen und Präsentationssoftware weiterverarbeiten. Entwickler Dieter Eysel: „Hier haben viele Nutzer um Verbesserungen gebeten.“ Diskretion Ehrensache: Mit der GPM-Software „PM DELTA compact“ machen Projektleiter unbeobachtet Bestandsaufnahme ihres Projektmanagements. Die Software liegt jetzt in der verbesserten Version 2.0 vor. GPM-Mitglieder: 2.832 Davon Firmenmitglieder: 170 Teilnehmer am Lehrgang „Projektmanagement-Fachmann“: 3.331 Durch PM-Zert vergebene Projektmanagement-Zertifikate insgesamt: 1.073 + +++ +++ +++ +++ +++ + + +++ +++ +++ +++ +++ + Foto: Nokia P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 51 Zwei Jahre ist es her, dass das Entwicklungsteam der GPM erstmals „PM DELTA compact“ vorgestellt hat. Seither hat das Team - neben Verbesserungsvorschlägen - viel Lob für das Software-Tool empfangen. Das ursprüngliche Konzept, scheint’s, ging auf. So schätzen Anwender nach wie vor die „Diskretion“ des Systems. Projektleiter und Berater können quasi im stillen Kämmerchen die schnelle Selbstdiagnose durchführen und sich unbeobachtet einen ersten Überblick über die Qualität ihrer Arbeit verschaffen. Ein Vorteil: Sonst prüfen unabhängige Experten in Assessments die Projektqualität, ein Vorgang, der nicht allen Projektleitern recht ist. Generell werde, so die Entwickler, „PM DELTA compact“ eingesetzt, um die Projektarbeit zu verbessern. Das System zeigt Verbesserungspotenziale auf, allesamt Hinweise, die helfen, die Projektarbeit grundlegend zu verbessern. Nach einiger Zeit können Projektleiter erneut ihr Managementsystem diagnostizieren und Fortschritte kontrollieren. Solcherlei Zwischenprüfungen tun im Projektalltag Not. Gefürchtet ist die „Betriebsblindheit“. Projektleiter und Team kann im Arbeitseifer der Blick für sorgfältiges Management verloren gehen. Selten nur werden sie von außen auf Versäumnisse und Nachlässigkeiten aufmerksam gemacht, die möglicherweise unentdeckt wie Sand im Getriebe den Projektverlauf behindern. „Hier kann ‚PM DELTA compact‘ helfen, in Sachen professionellen Projektmanagements die Arbeiten auf Kurs zu halten“, meint Uwe Neiser. Dabei schreibe die Software nicht vor, wie in der Praxis die PM-Prozesse gestaltet und geführt werden. Diese Entscheidungen überlasse sie dem Anwender. Dr. Wolfgang Schallehn: „Es handelt sich nicht um eine Prüfung, sondern um eine neutrale, sachliche Bestandsaufnahme, die dem Anwender Entscheidungsdaten an die Hand gibt.“ Mehr noch: Bewusst haben die Entwickler „PM DELTA compact“ so aufgebaut, dass Benutzer Benchmarking machen können. Wie bislang biete die GPM an, ein Benchmarking mit ihrem zentralen Datenbestand durchführen zu lassen. Doch jetzt gestattet es die Software auch den Benutzern, eigene Projekte untereinander zu vergleichen. Mit einem zusätzlich angebotenen Programm können sogar Daten aus Erhebungen anderer Anwender eingespeist werden. „Damit gleichen Berater beispielsweise ein Projekt mit dem Durchschnitt und Bestleistungen der Branche ab“, erläutert Dieter Eysel vom Entwicklungsteam, „sie können sich einen eigenen Datenpool aufbauen. Wir haben die Software also geöffnet.“ Geöffnet hat das Team die Software auch dem internationalen Markt. Die neue Version wird in allen Funktionen und Ergebnissen zweisprachig in Deutsch und Englisch ausgeliefert. Rolf Kästner: „Das ist für global agierende Firmen überaus hilfreich.“ Für ihre Software stützt sich das Expertenteam nicht nur auf den Erfahrungsschatz der GPM. Es hat dem System gängige Normen und internationale Standards zugrunde gelegt, darunter allen voran die DIN-Norm 69904, die ISO-Norm 10006 und die „International Competence Baseline ICB“ der IPMA, International Project Management Association. Ein Teil dieser Dokumente ist in der neuen PM DELTA- Version erstmals mit Suchfunktionen als PDF-Datei abrufbar. Als Zielgruppe der Software nennen die Entwickler neben Projektmanagern Berater, Personalplaner, Ausbildungsstellen, Projektkoordinatoren, Multi-Projektmanager, PM-Offices. Zudem können sich Projektträger, Auftraggeber oder auch Banken mit dem Tool ein Bild von Projekten und Dienstleistern machen - oder zumindest darlegen lassen. Weitere Informationen: GPM-Geschäftsstelle, Tel. 09 11/ 3 93 14 99. GPM-Seminar zum Konfigurationsmanagement ■ Projektänderungen, technische Modifikationen und Claimmanagement - was viele Projektmanager als „Störungen“ ihrer Arbeit ärgert, betrachten Konfigurationsmanager als täglichen Bestandteil der Projektarbeit. Mit Recht, wie Experte Manfred Saynisch betont. „Konfigurationsmanagement steuert die vielfältigen Änderungsprozesse im Projekt“, erklärt er, „es stellt durch systematische Dokumentationsprozesse sicher, dass zum einen das Produkt und seine Struktur generiert werden, zum anderen Inhalt und Umfang des Projektes mit seinen Projektplänen ständig auf dem aktuellen Stand sind.“ Derzeit ist Konfigurationsmanagement in Fachkreisen ein viel diskutiertes Thema. Immer kürzere Produktzyklen, an Komplexität zunehmende Projekte, neue Arbeitsstrukturen und vernetzte Projekte geben der kurz „KM“ genannten Disziplin neues Gewicht. Das gelte, so Saynisch, besonders für die Produkt- und Softwareentwicklung, für die Telekommunikation, für Anlagenbau und Bauwesen. Mit einem neuen Seminar wird die GPM dem Trend Rechnung tragen. Am 22. und 23. Oktober 2002 geben Manfred Saynisch und Wilhelm Bolkart gründlich Übersicht über Konfigurationsmanagement. Teilnehmer lernen Grundlagen, Prozesse und Anwendungsbedingungen kennen. KM-Einführung, Systematisierung und Organisation stehen ebenfalls auf dem Lehrplan des zweitägigen Seminars. Seminarleiter Manfred Saynisch: „Teilnehmer sind dann in der Lage, wichtige Lösungsansätze für ihre Praxis zu erkennen und zu formulieren.“ Auch können sie die Konsequenzen, die sich durch die neue DIN/ ISO für KM ergeben, beurteilen sowie Auswirkungen bei einer Zertifizierung nach der Normenreihe DIN/ ISO 9000 bewerten. Hilfreich: In der „Erfahrungswerkstatt“ erläutern die Referenten praxisnah, wie Teilnehmer KM im eigenen Unternehmen umsetzen und Verbesserungspotentiale entdecken. Weitere Informationen zu dem Seminar bei der GPM-Geschäftsstelle unter Tel. 09 11/ 3 93 14 99. http: / / www.gpm-ipma.de/ 02-1.htm
