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PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2022
331 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.
Editorial | XX 5 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 10.24053/ PM-2022-0001 Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Unter Mitwirkung von: spm - Swiss Project Management Association und Projekt Management Austria P R OJ E K T M A N A G E M E N T A K T U E L L www.pmaktuell.de Projektmanagement für die Gesellschaft Ausgabe 1/ 2022 | 33. Jahrgang Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Unter Mitwirkung von: spm - Swiss Project Management Association und Projekt Management Austria P R OJ E K T M A N A G E M E N T A K T U E L L www.pmaktuell.de Projektmanagement für die Gesellschaft Ausgabe 1/ 2022 | 33. Jahrgang Editorial | XX 7 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 10.24053/ PM-2022-0001 www.junfermann.de - Wir liefern versandkostenfrei! Marshall B. Rosenberg Kartenset Gewaltfreie Kommunikation Empathische Impulse für den Alltag Für dieses Kartenset wurden zentrale Inhalte aus Rosenbergs Grundlagenwerk „Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens“ entnommen. Sie wurden so aufbereitet, dass sie sich gut in Lerngruppen und Trainings, aber auch für das Selbststudium einsetzen lassen. Die Karten vermitteln die Essenz der GFK in knappen, konzentrierten Schlüsselsätzen: Impulse, Einsichten und überraschende Gedanken wechseln mit konkreten Übungssätzen und Handlungsempfehlungen ab. Auf der Rückseite jeder Karte wird der jeweilige Schlüsselsatz erläutert und in den Kontext von Rosenbergs Denken gestellt. So üben Sie täglich eine kleine Portion GFK ein und werden auf diese Weise die „Sprache des Lebens“ besser anwenden können. Kartenset, 60 Seiten • € (D) 32,00 • ISBN 978-3-95571-766-7 Sandra Brauer Werte-Karten Reflexion - Klärung - Veränderung Je besser Menschen ihr Wertesystem kennen, desto leichter fällt es ihnen, sich zu akzeptieren oder an sich zu arbeiten. Das Werte- Kartenset lädt zur Erforschung der eigenen Werte und Normen, des inneren Regelwerks und der inneren Persönlichkeitsstruktur ein. Die Karten sind auf das Wesentliche reduziert. Sie können in Coaching, Beratung und Therapie eingesetzt werden, mit Einzelnen oder auch in Gruppen und Teams. Sie eignen sich ebenfalls zur Selbstreflexion und zum Selbstcoaching. Kartenset, 80 Seiten • € (D) 29,00 • ISBN 978-3-7495-0252-3 Oliver Kruth & Jörg Schmidt FlipBox Mit professionellen Flipcharts Lern- und Dialogprozesse unterstützen Visualisierungen helfen bei Lern- und Dialogprozessen und sind dabei sehr wirkungsvoll. Gerade für das gemeinsame Erarbeiten in Workshops ist das Flipchart bestens geeignet, um Beiträge zu visualisieren. Bilder und Motive, die ad hoc im Dialog entstehen, regen an, mitzudiskutieren und mitzudenken. In der Box gibt es eine große Auswahl an Flipchart-Vorlagen. Für die unterschiedlichsten Phasen von Workshops lassen sich schnell die passenden Motive finden und einfach abmalen. Tipps und Schritt-für-Schritt Anleitungen unterstützen bei der Umsetzung und erweitern die eigenen Visualisierungsfähigkeiten. Kartenset, 169 Seiten • € (D) 45,00 • ISBN 978-3-7495-0257-8 Kartensets für Coaching, Beratung & Konfliktlösung Impulse für die Praxis 1 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Am Tullnaupark 15, 90402 Nürnberg Unter Mitwirkung von Spm - Swiss Project Management Association Flughofstraße 50, CH-8152 Glattbrugg und Projekt Management Austria Palais Schlick, Türkenstraße 27/ 2/ 21, A-1090 Wien Redaktion: Prof. Dr. Steffen Scheurer, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (Chefredakteur) Oliver Steeger, Alfter (Ressort Report) Nadja Saoudi, GPM Nürnberg Dr. Thor Möller, con-thor, Ganderkesee Redaktionsbeirat: Dr. Dieter Butz Axel Graser, Südwestrundfunk / SWR Prof. Dr. Nino Grau, Grauconsult GmbH Prof. Dr. Katrin Hassenstein, Hochschule der Medien Stuttgart Prof. Dr. Claus Hüsselmann, Technische Hochschule Mittelhessen Dr. Hans Knöpfel, spm, Schweizerische Gesellschaft für Projektmanagement Brigitte Schaden, pma (Projektmanagement Austria) Prof. Dr. Heinz Schelle, GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Reinhard Wagner, Tiba GmbH Prof. Dr. Doris Weßels, Fachhochschule Kiel G 6010 33. Jahrgang, 1/ 2022 ISSN 0942-1017 Verlag: UVK Verlag. Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5, 72070 Tübingen Telefon: +49 (0)7071 97 97 0 Telefax: +49 (0)7071 97 97 11 www.projektmanagement.digital © 2022 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Tübingen Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages. Namentlich gekennzeichnete Beiträge sowie die Inhalte von Interviews geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion oder des Verlages wieder. Zeitschriftenkoordination: Elena Gastring eMail: gastring@narr.de Anzeigenverwaltung: Stefanie Richter Telefon: +49 (0) 89 / 120 224 12 eMail: richter@narr.de Erscheinungsweise: 5 Hefte pro Jahr Bezugspreise für Privatpersonen: Einzelheftpreis: EUR 20,- Jahresbezugspreis (print): EUR 67,- Jahresbezugspreis (print & online): EUR 88,- Bezugspreise für Institutionen: Jahresbezugspreis (print): EUR 67,- Jahresbezugspreis (print & online): EUR 198,- Preisänderungen vorbehalten. Der Bezugspreis für Mitglieder der GPM ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Alle Preise zzgl. Versandkosten und inkl. MwSt. Die Kündigung ist sechs Wochen vor Ende eines Kalenderjahres schriftlich an den Verlag zu richten. Sonderausgaben werden zusätzlich berechnet. Bei Nichterscheinen der Zeitschrift ohne Verschulden des Verlages oder infolge höherer Gewalt entfällt für den Verlag jegliche Lieferpflicht. Umschlagabbildung: © Rawpixel.com/ Shutterstock.com Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird die männliche Form verwendet (generisches Maskulinum). Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter und beinhalten keine Wertung. Impressum 2 Editorial Reportage 4 „Teilt Euer reiches Wissen in aller Welt! “ Beim „Senior Experten Service“ (SES) engagieren sich auch Projektmanager 12 Terra Incognita-- Projektmanagement für bürgerschaftliches Engagement 14 Erfolg der Bremer Impfkampagne mit Projektmanagement Norman Heydenreich im Gespräch mit Dr. Lutz Liffers Schwerpunkt 19 Projektifizierung der Gesellschaft in Deutschland-- Status, Trends und Akteure 24 Schwerpunkt: Projektmanagement für die Gesellschaft Wissen 34 Anerkennung für stille Helden-- WAFA und der Oskar für erfolgreiche Projekte 38 Raumarrangements: Wandel von Raum, Zeit und Rollen in der Projektorganisation 43 Agilität trifft Projektmanagement Gibt es künftig noch Projekte und Projektmanager? 49 Hinter dem Bambusvorhang-- Stakeholder auf Chinesisch Interkulturelles Projektmanagement 52 Interkulturelles Projektmanagement im Fokus: Erfolgsfaktoren für die Arbeit in internationalen Teams 56 Komplexe internationale Herausforderungen und internationale Standards für Agiles Projektmanagement Die neue Study Group AHG15 des ISO / TC258 63 Auswirkungen agiler Methoden auf die Zusammenarbeit im Unternehmen Agilität im Multiprojektmanagement 68 Sich beruflich und persönlich weiterentwickeln, an Sichtbarkeit gewinnen und Wissen teilen-- mit dem Mentoring- Programm der GPM 71 Mit Projektmanagement-Spirit Long Covid begegnen 73 Buchbesprechung 74 Der andere Stromberg-Typ Aus den DACH-Verbänden 75 IPMA intern 76 GPM intern 78 spm intern 79 pma intern 80 Auf ein Wort mit-… Sarah Bätzold Editorial | XX 2 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0001 Projektmanagement für die Gesellschaft Liebe Leserinnen und Leser, seit über 40 Jahren fördert die GPM e. V. als gemeinnütziger Fachverband das Projektmanagement in Deutschland. Mit über 8.000 Mitgliedern- - aus allen Bereichen der Wirtschaft, der Hochschulen und der öffentlichen Institutionen- - bildet die GPM das größte Netzwerk von Projektmanagement-Experten auf dem europäischen Kontinent. Die Startseite der GPM empfängt Besucher mit dem Slogan: „Willkommen in der Community der Projektmanager-- Mit Projekten die Welt verändern! “ „Mit Projekten die Welt verändern! “-- ist das nicht ein wenig dick aufgetragen? Wie vermochte es ein gemeinnütziger Verein, sich 40 Jahre lang stetig weiterzuentwickeln? Wie kommt es, dass sich so viele Menschen für eine Sache einsetzen? Viele sehen offenbar Bedarf die Welt zu verändern! Dafür braucht es eine geeignete Methodik, mit der solche Veränderungen zielgerichtet angegangen werden können. Und offenbar kann die GPM sinnvolle Beiträge dazu leisten! Nach § 2 der Satzung der GPM ist der Zweck des Vereins die Förderung des Projektmanagements, insbesondere der Aus- und Weiterbildung sowie der Forschung und Information auf diesem Gebiet. Dass genau diese Aktivitäten seit 40 Jahren ihre Berechtigung haben und in Zukunft vielleicht sogar noch wichtiger werden-- dies zeigen aktuelle Entwicklungen. Projekte spielen heute in allen Bereichen der Gesellschaft eine wichtige Rolle: Projekte helfen die Transformation unserer Energieversorgung zu bewältigen. In Projekten beschäftigt man sich mit der Entwicklung neuer Mobilitätsformen. Projekte helfen bei der dringend benötigten Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Projekte sind das Mittel zur Bewältigung von Krisen wie der aktuellen Pandemie. Durch Projekte werden die Veränderung unserer Städte und die Modernisierung der Infrastruktur vorangetrieben. Forschung findet zumeist in Projekten statt. Projekte helfen bei der Inklusion behinderter Menschen. Projekte sind wichtige Beschleuniger in der Entwicklungshilfe. Mit anderen Worten: Projekte sind aus der Wirtschaft aber auch aus der Mitte unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken! In diesem Heft zeigen wir Ihnen ein ganzes Kaleidoskop unterschiedlichster Projekte für die Gesellschaft. An dieser Stelle möchte ich mich bei Reinhard Wagner bedanken, der seine zahlreichen Kontakte einbrachte, Interviews geführt hat, selbst an Beiträgen mitgewirkt hat und damit diesen breiten Überblick mit ermöglicht hat. Dieses Kaleidoskop wird ergänzt durch die Interviews, die wir mit Bettina Hartmann und Michael Mente zum Senior Experten Service geführt haben. Darüber hinaus sprach Norman Heydenreich mit Lutz Liffers über den Erfolg der Bremer Impfkampagne. Rolf Kästner zeigt in seinem Beitrag, auf was es in gemeinnützigen Projekten ankommt. Darüber hinaus greifen wir in diesem Heft wichtige Themen auf. So erläutern Sibylle Peters und Martin Elbe , wie sich Organisationen in Zeiten der Unsicherheit immer stärker zu temporären Repräsentationsräumen wandeln und wie sich dabei auch die Rollen der Projektbeteiligten immer wieder flexibel anpassen müssen. Marco Liechti, Anne-Kathrin Bolender und Reto Scherrer werfen in ihrem Beitrag die Frage auf: Gibt es in der Agilität überhaupt noch Projekte und Projektmanagement? Sie entwickeln einen Ordnungsrahmen, welcher dazu dienen kann, die Diskussion von Agilität in Zusammenhang mit „Projektmanagement” besser zu strukturieren. In den Beiträgen der nächsten drei Autoren beschäftigen wir uns mit Projektmanagement im internationalen Umfeld. Karl Waldkirch erklärt Besonderheiten des Stakeholdermanagements in China. Kai Buchholzer berichtet über die Herausforderungen des interkulturellen Projektmanagements am Beispiel der Fertigstellung des „Campus Germany“ für die Expo 2020 in Dubai. Welche wichtige Rolle Standards gerade auch im internationalen Projektmanagement spielen- - das zeigt Norman Heydenreich am Beispiel der Study Group AHG15 des ISO / TC258 und deren Aktivitäten zur Formulierung internationaler Standards für Agiles Projektmanagement. Darüber hinaus finden Sie in unserer kleinen Serie zum „Deutschen Studienpreis Projektmanagement 2021“ den Beitrag der Preisträgerin Jana Bechtel zur Agilität im Multiprojektmanagement. Zudem stellen Ihnen Nadia Saoudi und Emel Erat im Rahmen des GPM Mentoring-Programms Mentee Malte Mayer und Mentor Sebastian Korsch vor. Wie aus eigener Betroffenheit ein Projekt für die Gesellschaft werden kann, beschreibt Claudia Stöhler in ihrem Beitrag. Wir hoffen, dass Sie in den vielfältigen Beiträgen in diesem Heft interessante Anregungen finden. Vielleicht helfen Ihnen die Beiträge sogar, Ideen für komplett neue Projekte zu entwickeln, die Sie für das Gemeinwohl initiieren können. Auf diese Weise können wir tatsächlich dazu beitragen mit Projekten die Welt zu verändern. Ihr Steffen Scheurer EDITORIAL WINGS-FERNSTUDIUM Onlinestudium Projekt- & Prozessmanagement Berufsbegleitend & praxisnah Flexibel per App nach IPAM©, PMI© & Prince2© Staatlicher Hochschulabschluss B.A. Zulassung auch ohne Abitur möglich Karriere-Kick 2022? wings.de/ projektmanagement 98 % Weiterempfehlungen bei fernstudiumcheck.de Sehr gut 4.3/ 5.0 4 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0002 Beim „Senior Experten Service“ (SES) engagieren sich auch Projektmanager „Teilt Euer reiches Wissen in aller Welt! “ Oliver Steeger Mission „Mentorship“: Der „Senior Experten Service“ (SES) aus Bonn schickt Expertinnen und Experten zu Hilfsprojekten in alle Welt-- zumeist Menschen im vorgerückten Alter, die ihr Berufsleben hinter sich haben. Ihr Auftrag: „Teile Dein reiches Wissen und Deine Erfahrung mit Menschen an Deinem Einsatzort.“ Rund 12.000 ehrenamtliche Expertinnen und Experten hat der SES in seiner Kartei. GPM Mitglied Michael Mente ist einer der rund eintausend Projektmanager, die beim SES gelistet sind. Der SES brachte ihn zu Hilfsprojekten unter anderem nach Tansania. Im Gespräch beschreiben Bettina Hartmann (Senior Experten Service) und Michael Mente den Reiz dieser Einsätze, die Rolle von Projektmanagement-- und wie man Ehrenamtliche durch „Management by Cookies“ führt. Nach ihrem Berufsleben nehmen viele Menschen den Begriff „Ruhestand“ wörtlich. Anders die rund 12 . 000 Expertinnen und Experten die Sie beim „Senior Experten Service“-- kurz SES - - in der Kartei haben. Nach dem Berufsleben brennen sie darauf, nochmals in die Welt hinausz ugehen und in Hilfsprojekten ihr Wissen zu teilen: Als Ärzte, Ingenieure, Lehrer-- oder eben auch als Projektmanager. Was bewegt Menschen um die 70 Jahre, ehrenamtlich durchzustarten? Bettina Hartmann: Früher spielte Reiselust eine Rolle. Der SES entsendet Expertinnen und Experten weltweit in Unternehmen, Institutionen oder Bildungseinrichtungen. Unsere Expertinnen und Experten sind dort vor Ort ehrenamtlich tätig, etwa drei Wochen bis einige Monate, selten mehr als ein halbes Jahr. Sie lösen dort klar umrissene Aufgaben-- und teilen dabei ihr Wissen. Eine schöne Art, in ferne Länder zu kommen, die sich touristisch nicht bereisen ließen-… Heute ist dies anders. Wer nur reisen will, kann dies ohne uns tun. Heute beobachte ich bei unseren Expertinnen und Experten stärker den Wunsch, etwas nach einem langen Berufsleben zurückzugeben. Vielleicht, weil es ihnen im Leben selbst sehr gut gegangen ist. Weil sie eine hervorragende Ausbildung und gute Arbeitsmöglichkeiten genossen haben. Diese Menschen erkennen häufig für sich: Jeder, der hier in Westeuropa lebt, ist per se privilegiert-- gleich, wie individuell das Leben und die Karriere verlaufen ist. Was hinzukommt: Viele verlieren mit dem Eintritt in den Ruhestand eine wichtige Komponente ihres Lebens. Das Arbeitsleben ist ja auch sozial sehr wichtig. Man hat Verbindungen zu anderen Menschen. Man ist in einer Struktur eingebettet, hat Aufgaben und findet Bestätigung. Das fällt dann im Ruhestand mit einem Mal alles weg. Häufig ohne Ersatz. Für viele ist es dann eine erfüllende Erfahrung, bei uns nochmals zu starten. Viele hatten gut dotierte Berufe in der Wirtschaft-… …- und gerade sie schätzen die neue Erfahrung, nicht mehr in der Rolle etwa eines Geschäftsmanns unterwegs zu sein, der man früher vielleicht mal war- - mit Fünf-Sterne-Hotels, Verhandlungen in klimatisierten Büros und großen Abschlüssen. Sondern jetzt als Helfer und Mentor für andere, die vor einer konkreten Herausforderung stehen. Für viele ist es ein neues Erlebnis, einen Schritt zurückzugehen von der großen Geschäftswelt in diese häufig kleinere Welt. Wir haben einen zugleich fordernden und erfüllenden Auftrag für sie: Lass' Dein Wissen und Deine Erfahrung an Deinem Einsatzort zurück! Qualifiziere die Menschen, mit denen Du zusammenarbeitest- - damit sie hinterher das, was sie tun, besser tun als vorher. Zu einem Punkt, der unsere Leser interessieren wird: Unter Ihren Experten sind auch viele Projektmanager-… …- weit über eintausend! Neun Prozent unserer Expertinnen und Experten haben Projektmanagement als Kompetenz angegeben. Wahrscheinlich beherrschen noch mehr Projektmanagement, hatten aber nie eine formale Ausbildung. Reportage | „Teilt Euer reiches Wissen in aller Welt! “ 6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0002 …-das heißt, Sie etablieren auch Projektmanagement in ihren Zielländern? Natürlich! Das ist Teil der Missionen. Herr Mente, als Projektmanager haben Sie sich in die Kartei des Senior Experten Service eintragen lassen. Sie sind mehrfach auf Mission gewesen, häufig in Afrika. Wie haben Sie auf Ihren Missionen gearbeitet? Michael Mente: In Tansania habe ich beispielsweise ein sehr kleines Unternehmen mit rund 20 Mitarbeitern unterstützt-- im Norden von Tansania, unweit des Kilimandscharos. Das Unternehmen hat Photovoltaik-Anlagen auf Dächern installiert. In der Werkstatt wurden schweißtechnische Arbeiten durchgeführt. Ich bin Ingenieur und habe ursprünglich Schweißtechnik gelernt. Da ist mir geläufig, was man bei Schweißen machen kann, darf und sollte. Ich habe vor Ort das Unternehmen bei der Verbesserung von Sicherheitsstandards unterstützt, unter anderem mit zweiwöchigen Sicherheitstrainings und Schulungen. Das Ganze fand unter freiem Himmel statt. Die Werkstatt des Unternehmens hatte kein Dach. Stühle fehlten; wir haben sie in einer nahegelegenen Kirche ausgeliehen, damit die Leute bei der Schulung sitzen konnten. Hat das Wissen, das Sie geteilt haben, gefruchtet? Zwei oder drei Jahre nach meinem Einsatz habe ich nochmals mit dem Geschäftsführer des Unternehmens in Tansania gesprochen. Tatsächlich hat es seit meiner Schulung keinen schweren Unfall mehr gegeben. Damit war ich sehr froh. Sie sind nicht nur Ingenieur, sondern auch Projektmanager. Haben Sie Projektmanagement weitergeben können? Ja, in einfacher Form. Damit das Unternehmen in Tansania seine Aufträge pünktlich und erfolgreich abwickeln konnte, musste es sich organisieren: Baumaterialien rechtzeitig an der Baustelle anliefern. Die Solarpanels überhaupt rechtzeitig beschaffen, teilweise in China. Monteure müssen vor Ort an der Baustelle sein, gleiches gilt für Werkzeuge, Armaturen, Rohrleitungen und Kabelanschlüsse. Dann muss das Vorhaben zügig umgesetzt werden. Das Personal sollte keinen Leerlauf haben. So etwas setzt Zeitmanagement, Terminplanung und Logistik voraus. Das ist nicht trivial! Da ist beispielsweise die Frage, wann man Panels zu bestellen hat, damit sie unter Berücksichtigung von Liefer- und Transportzeiten oder der Zollabfertigung rechtzeitig an der Baustelle eintreffen. Transport in Afrika ist kompliziert. Häufig geht es mit LKWs über holprige Straßen; man muss achtgeben, dass die empfindlichen Panels beim Transport nicht durchbrechen. Ein weiteres Beispiel? Gerne! Ebenfalls in Tansania war ich für das Erzbistum Arusha tätig. Es unterhielt dort Projekte, die von der Caritas über zehn oder fünfzehn Jahre finanziert worden sind. Mit dem Geld wurden beispielsweise Kindergärten oder Krankenhäuser gebaut. Das Problem: Die Förderung dieser erfolgreichen Projekte lief aus. Man wollte weltweit neue Fördermittel beantragen. Dafür brauchten die Mitarbeiter Hilfe. Ich habe mit ihnen Trainings etwa zum Einwerben von Fördermitteln und zum entsprechenden Berichtswesen aufgebaut und gezeigt worauf man dabei achten muss und welche Stakeholder etwa einzubeziehen sind. Dabei spielte Projektmanagement eine wichtige Rolle-- sowohl für das Einwerben der Gelder als auch für die Projekte selbst, etwa für Kostenmanagement, Aufgabenmanagement oder Personalmanagement. Frau Hartmann, der Senior Experten Service hat seit 1983 rund 60.000 ehrenamtliche Einsätze im In- und Ausland durchgeführt. Er deckt rund 50 Branchen und 100 Tätigkeitsbereiche ab. Welche Rolle spielt Ihre Organisation bei diesen Hilfsprojekten? Was machen Sie genau? Wir führen die beiden Seiten zusammen. Wir haben eine große Datenbank-- wobei zu unserer Arbeit mehr als ein Computer gehört. Auf der einen Seite werben wir Expertinnen und Experten für unser Register an. Die 12.000 Personen in unserer Kartei sind quasi unser Kapital. Wir hoffen, dass es bald 15.000 sind. Auf der anderen Seite haben wir ein Netzwerk von rund 200 Repräsentanten im Ausland. Sie machen uns und unsere Dienstleistung in den Einsatzländern bekannt. Durch sie wissen dort Firmen, Organisationen und Institutionen, dass es uns gibt. Anfragen aus diesen Ländern gehen bei uns ein, und die bearbeiten wir. Das heißt-- Sie warten auf Bedarf und Anfragen aus den Zielländern? Sie führen dort keine Projekte quasi auf eigene Faust durch? Nein, das tun wir nicht. Und dies unterscheidet uns von anderen Organisationen der Entwicklungshilfe. Deren Profi-Entwicklungshelfer gehen für ein oder zwei Jahre an ihren Einsatzort, manchmal sogar länger. Wir dagegen entwickeln keine Projekte selbst. Wir gehen nicht in ein Land und setzen dort von uns aus etwa ein Gemüsebau-Projekt auf. Die Anfragen kommen immer von unseren Partnern vor Ort, und diese Partner haben bereit selbst den Bedarf definiert. Sie wissen also genau, was sie wollen und welche Spezialisten sie brauchen? Richtig! Treffen ihre Anfragen ein, überprüfen wir diese auf Stichhaltigkeit und Durchführbarkeit. Dann suchen wir in unserer Datenbank nach geeigneten Personen. Übrigens suchen bei uns in der Regel ehrenamtliche Expertinnen und Experten nach den Kandidaten. Das heißt, auch in Ihrer Bonner Zentrale arbeiten Ehrenamtliche? Ja. Der ehrenamtliche Schweißtechnik-Experte hier in Deutschland sucht in unserer Kartei nach einem Schweißtechnik-Experten etwa für Afrika. Oder der Arzt den Arzt, oder der Bildungsexperte den Lehrer. Bei uns redet fachlich der Experte mit dem Experten. Vermutlich ergibt sich daraus eine Art Augenhöhe zwischen den Experten-… Unsere Expertinnen und Experten merken, dass sie fachlich angesprochen werden. Sie steigen direkt im ersten Gespräch in die Fachdiskussion ein. Sie diskutieren erste Fragen und klären den Auftrag. Dies kommt auch der Vorbereitung der Mission zugute, der Arbeitsqualität und letztlich den Ergebnissen. Während der Pandemie hat sich dieser Dialog sogar Reportage | „Teilt Euer reiches Wissen in aller Welt! “ 7 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0002 Damit agiles Projektmanagement nicht nur in der Theorie stets zum Erfolg führt. uvk.de Reportage | „Teilt Euer reiches Wissen in aller Welt! “ 8 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0002 noch verstärkt. In Videokonferenzen können wir mehr aus den vorbereitenden Gesprächen für alle Beteiligten herausholen. Wir kitzeln heraus, was in den Anfragen steht und was mit Aufträgen genau gemeint ist. Stichwort Auftragsklärung? Ja. Fragen können im Vorfeld geklärt werden und Informationen einholt werden, auf die man am Einsatzort zurückgreifen kann. Die Experten selbst können sich danach besser vorbereiten. Sie können ihr eigenes Fachwissen überprüfen und- - falls nötig-- ergänzen. Herr Mente, sprechen wir bitte über die Vorbereitung von Einsätzen aus Ihrer Sicht. In welchen Fällen haben Sie Ihr eigenes Wissen für eine Mission ergänzt? Michael Mente: Bei einem Einsatz in Tansania ging es darum, eine kleine NGO bei der Durchführung von Kampagnen zu unterstützen. Es handelte sich also um ein PR-Projekt und klassischem Kampagnenmanagement, das ja auch stark mit Projektmanagement zusammenhängt. Durch meine dreißigjährige ehrenamtliche Tätigkeit bei der GPM hatte ich bereits Erfahrung aus der PR- und Kampagnenarbeit. Ich habe vorbereitend zu diesem Thema weiter recherchiert und gelesen. Die Bausteine der PR habe ich mir stückweise erarbeitet. Aber man wird sich vermutlich nicht auf alle Eventualitäten vorbereiten können, die am Einsatzort auftreten? Nein. Häufig sind die Gegebenheiten vor Ort anders als hier. Das sollte man vorher wissen. Beispielsweise werden Kampagnen in Tansania sehr stark über Social-Media-Kanäle durchgeführt. In Afrika sind Handys weit verbreitet, vielleicht, weil es an anderer Infrastruktur vielfach mangelt. Die Menschen nutzen Social Media, um in Verbindung zu bleiben. Ich habe schnell verstanden, dass man stark auf diese Kanäle setzen muss. Beim Besuch eines Massai-Stamms war ich überrascht, dass selbst dort junge Krieger mit Handys ausgestattet sind. Welche Rolle spielen Sprachprobleme zwischen Ihnen und den Menschen, die Sie unterstützen? Wie bereiten Sie sich vor? In Tansania wird viel Englisch gesprochen. Beruflich habe ich viel bei der EU gearbeitet; dort sind Englisch und Französisch üblich. Fremdsprachen gehörten damals zu meinem Tagesgeschäft; ich habe sogar nachts in diesen Sprachen geträumt. Nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben musste ich die Sprachen etwas auffrischen- - nicht durch Sprachkurse, sondern durch fremdsprachiges TV-Programm oder Radio. Doch einiges lässt sich nicht durch Vorbereitungen abdecken. Im Zielland muss man gut beobachten lernen und sehr aufmerksam zuhören, um die dortigen Gegebenheiten zu verstehen. Zum Beispiel? Eine meiner Einsätze war in Usbekistan. Dort wurden eine Summer-School (übrigens mit Bezug auf IPMA-Inhalte und einer Frage nach der GPM) sowie einige Fachgespräche mit Hochschullehrern angefragt. Ich sollte zeigen, wie Menschen besser mit Projektmanagement umgehen können. Es war für mich schwierig vorab herauszufinden, ob die anfragende Stelle eine Regierungseinrichtung war oder ein eigenständiges Unternehmen. Ich wusste: Sie war regierungsnah. Doch war es ein Unternehmen, das etwa Schulen oder Brücken baut? Oder war es eine staatliche Weiterbildungsakademie- - oder eine für Controlling zuständige Einrichtung? Die Organisation wirkte wie ein Unternehmen, hatte allerdings Charakter eines Ministeriums. Der Unternehmensleiter war ein Vizeminister. Solche Konstrukte kennt man hier nicht. Ich musste vor Ort herausfinden, wer der Auftraggeber ist und die Menschen sind, die ich trainieren sollte. Waren es Controller, Manager-- oder Menschen, die selbst kreativ Probleme lösen und innovativ Projekte durchführen? Solche Überlegungen haben ja Einfluss auf Inhalte und Didaktik. Man darf ja nicht vergessen: Ist man vor Ort im Einsatz, ist man auf sich allein erstellt. Man hat sich gewissermaßen abgenabelt von der Heimat. Wie kommen Sie mit dieser Situation zurecht? Projektmanagement hilft da weiter. Das gilt vor allem für agile Methoden. Aus meiner Sicht ist eines wichtig: Man sollte sich nicht auf eine perfekte Lösung versteifen, also kein „Vollständigkeitsfanatiker“ sein. Eine Achtzig-Prozent-Lösung hilft meistens sehr gut weiter. Ich versuche immer, auf die Partner vor Ort einzugehen, keinen Druck mit meinem Projekt aufzubauen, ihnen nichts aufzuzwingen. Also sensibel die Fühler ausstrecken? Fühler ausstrecken und schauen, was möglich ist. In der asiatischen oder arabischen Welt beispielsweise ist der Umgang mit Kolleginnen und Kollegen anders als hier. Manager und Mitarbeiter stehen hinsichtlich der Machtdistanz wesentlich weiter auseinander als in Europa. Das muss man vorher wissen-- oder zumindest vor Ort sehr schnell merken. Man wird natürlich beim SES vorbereitet. Doch wenn man am Einsatzort ist, dann erlebt man die Theorie häufig intensiver als erwartet. Solche Missionen sind auch für erfahrene Projektmanager mit Herausforderungen verbunden. Was bewegt Sie, an solchen Missionen ehrenamtlich mitzuwirken? Wenn ich eine 80-Prozent-Lösungen erreicht habe und dann die Zufriedenheit der Menschen spüre-- dann motiviert mich dieses Gefühl sehr. Einige Male bin ich später in die Länder zurückgekehrt und habe die positiven Auswirkungen der Lösungen gesehen. Dort erkennt man die Leistung an. Es ist eine andere Art, wie man empfangen und später verabschiedet wird. Die Menschen lassen einen spüren, wie zufrieden sie mit der Unterstützung sind. Und: Natürlich spielt auch eine gewisse Entdeckerfreude und Abenteuerlust eine Rolle-… Inwiefern Entdeckerlust? Man kommt buchstäblich in eine andere Welt. Bemerkenswert etwa war beispielsweise das PM-Training bei einem afrikanischen Schwesternorden. Eine der Schwestern hatte einen Lehrstuhl für Recht an der örtlichen Universität. Eines Tages brachte sie einen Kollegen zu meinen Trainings mit, der dort Betriebswirtschaft gelesen hatte. Er setzte sich dazu und erschien auch an den folgenden Tagen. Offenbar wurde das, was ich dort vortrug, als wissenswert und hilfreich bewertet. Wir sind auf Augenhöhe zusammengekommen und haben fachlich diskutiert. Zudem habe ich drei Wochen mit dem Orden zusammengelebt und an dem Alltag im Kloster teilge- Reportage | „Teilt Euer reiches Wissen in aller Welt! “ 9 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0002 nommen. Ich wurde freundlich einbezogen-- aber man wollte mich nicht missionieren! So etwas Interessantes habe ich selten in meinem Leben erlebt. Übrigens war für mich auch eine Erkenntnis interessant: Die Durchführung von Ehrenamtsprojekten und agile Verfahren haben viel gemeinsam. Frau Hartmann, es ist ein Grundsatz des Senior Experten Services, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Es geht dabei um Nachhaltigkeit, darum, Menschen zu befähigen, ihre Situation zu verbessern. Wie setzt der SES diesen Grundsatz um? Bettina Hartmann: Diese Beschreibung beinhaltet immer die Qualifizierung der Menschen vor Ort. Das ist bereits im Auftrag an unsere Expertinnen und Experten verankert. Wie eingangs gesagt, der Auftrag schließt das Zurücklassen von Wissen ein. Auf Basis der Anfrage und der Einsatzanforderungen machen wir vor dem Start eine Aufgabenbeschreibung. Sie ist Vertragsbestandteil für alle Seiten. Hinzu kommt: Der Partner vor Ort beschreibt in seiner Anfrage genau, was er braucht. Auf Basis dieser Anforderungen befragen wir nach Ende der Mission den Auftraggeber, den Repräsentanten vor Ort und den Experten: Ist das Personal vor Ort qualifiziert? Welcher Nutzen ist im Projekt entstanden? In einem zweiten Schritt evaluieren wir nochmals nach sechs bis neun Monaten stichprobenartig Projekte. Wir wollen damit auch die mittelbis langfristigen Effekte der Zusammenarbeit ermitteln. In beiden Befragungsrunden erreichen uns übrigens gute Ergebnisse. Wir haben immerhin 80 Prozent Rücklauf, und neunzig Prozent der Rückläufe bewerten die Arbeit mit sehr gut bis gut. Sie sprachen vorhin über die Hingabe, mit denen sich Ihre Expertinnen und Experten engagieren. Jeder, der sich mit Führung beschäftigt, schätzt eine hohe intrinsische Motivation. Sie ist unbezahlbar im Führungsalltag. Aber man weiß auch: Sie kann durch ungeeignete Führung schnell zerstört werden. Wie führt man Ehrenamtliche? Hart gesagt: Sie können jederzeit gehen. Jeder Ehrenamtliche kann sofort gehen, das stimmt. Eine Führungskraft hat keine hierarchischen Hebel. Und trotzdem: Wir haben mal ausgerechnet, dass Ehrenamtliche bei uns zwischen 10 und 18 Jahre bleiben. Dies gilt auch für die Ehrenamtlichen, die in unserer Zentrale in Bonn arbeiten. Sie sind hier in unsere Organisation eingebettet. Meine Abteilung beispielsweise besteht zu 70 Prozent aus Ehrenamtlichen. Ich denke, erfolgreiche Führung von Ehrenamtlichen steht und fällt mit der Wertschätzung- - was übrigens auch für Hauptamtliche gilt. Jeder, der mitarbeitet, will persönlich wahrgenommen und mit seiner Arbeit wertgeschätzt werden. Niemand will stupide Papierstapel auf dem Schreibtisch von rechts nach links schieben. Gleich, ob im Ehrenamt oder Hauptamt-- die Menschen wollen mitwirken. Mitgestaltung - was bedeutet dies für die Führung? Bei uns sind die Ehrenamtlichen wirklich in alle Prozesse integriert. An unseren Strategiesitzungen nehmen gleichermaßen Hauptamtliche und Ehrenamtliche teil. Entwickeln wir neue Geschäftsmodelle, sind die Arbeitskreise ebenfalls gemischt. Aus meiner Sicht kommt noch etwas hinzu, nämlich bedingungsloses Zugewandtsein des Führenden! Jeder in der Organisation sollte spüren, dass seine Führungskraft ihn sieht und zu „seinen Leuten“ zählt. Das heißt, ich streite und kämpfe auch für meine Ehrenamtlichen-- übrigens auch in privaten Belangen. Sehe ich, dass jemand einen verletzten Fuß hat, dann frage ich ihn, was ich für ihn tun kann. Man hat vor einiger Zeit mal meinen Führungsstil scherzhaft „Management by Cookies“ genannt. Management by Cookies? Bei mir steht immer eine Keksdose für meine Leute. Natürlich könnte sich jeder seine Kekse selbst besorgen. Doch das ist nicht der Punkt. Es geht um die Geste. Die Keksdose ist das Symbol, dass meine Türe immer offen ist. Vorhin sagten sie, dass Sie Gestaltungsspielraum geben. Berührt dies dann auch agile Führung und agiles Projektmanagement? Vermutlich arbeiten wir stellenweise agil. Jeder kann seine Ideen einbringen und Arbeit gestalten- - ohne dass ihn der Vorgesetzte stoppt. Das heißt, wir zeigen Vertrauen. Ich signalisiere: Ich bin sicher, dass meine Mitarbeitenden wissen was sie tun. Sie sollen sich nicht durch Richtlinien und Vorgesetzte unter Zwang gesetzt sehen-- egal, wie alt sie sind oder in welcher Konstellation sie für uns tätig sind. Aber einen gewissen Rahmen, bestimmte Leitplanken müssen Mitarbeiter beachten. Das ist im agilen Projektmanagement nicht anders. Das stimmt! Doch wenn jemand Freiraum und vor allem Vertrauen bekommt-- dann wird er diesen Rahmen akzeptieren. Dann wird er auch eher den notwendigen Papierkram hinneh- Zeigen, wie es geht: Seit 1983 hat der Senior Experten Service (SES) rund fast 60.000 ehrenamtliche Einsätze in 160 Ländern durchgeführt. Foto: SES Reportage | „Teilt Euer reiches Wissen in aller Welt! “ 10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0002 men. Vielleicht ist er mit Details des Prozesses nicht einverstanden. Dennoch weiß er: Seine Führungskraft ist für ihn da. Dies wiegt vieles auf! Heißt dies am Ende, dass man als Führungskraft mal ein Auge zudrücken muss? Sagen wir es so: Ich muss wissen, wann ich nicht so genau hinschaue. Läuft etwas nicht ganz regelkonform, dann lasse ich dies häufig zu. Ich erkenne die gute Absicht dahinter. Dies geht natürlich nur, solange kein Schaden angerichtet wird. Es gibt Punkte, an denen man einschreiten muss. Häufig eine Gratwanderung! Hat sich an den Erwartungen der Ehrenamtlichen, die Sie führen, in den vergangenen Jahren etwas verändert? Der Wunsch nach Partizipation und zugewandter Führung hat sich nicht verändert. Der Mensch möchte wahrgenommen werden. Er möchte hören, ob seine Arbeit gut ist. Falls sie nicht gut war, möchte er wissen, weshalb. Er will die Begründung hören. Das alles verändert sich nicht. Das scheint ewig zu sein. Aber? Ich denke, dass sich die Erwartungshaltung der Ehrenamtler verändert hat. Vor 25 Jahren war das Anspruchsdenken vielleicht nicht so groß. Der Senior Experten Service war damals die Organisationen, mit der man in ferne, sonst verschlossene Länder kam. Aus Sicht der Ehrenamtler gab es zu unserer Organisation kaum Alternativen. Sie haben vieles akzeptiert. Musste man im Zelt schlafen, hat man halt im Zelt geschlafen. Man kam mit Kugelschreiber und Block häufig aus. Heute wollen die Experten besser versorgt werden. Gestatten Sie mir eine Abschlussfrage. Die allermeisten Expertinnen und Experten des Senior Experten Service haben ihr Berufsleben bereits hinter sich gelassen. Viele sind um die 70 Jahre alt, einige auch älter. Welche Auswirkungen hat das Alter auf die Zusammenarbeit? Ergeben sich daraus Vorteile? In vielen Teilen der Welt ist das vorgerückte Alter ein Vorteil. Besonders auf dem afrikanischen Kontinent wird das Alter hoch geschätzt. Afrika ist ein sehr junger Kontinent. Rund achtzig Prozent der Bevölkerung sind unter 30 Jahren alt. Das Alter wird dort ohnehin mit großem Respekt behandelt. Als Senior wird man dort zusätzlich geschätzt, wenn man sich jüngeren Menschen zuwendet. Ähnliches gilt auch für asiatische Länder. Dort wird etwa Mentorship dankbar angenommen. Wie sieht dies mit Ehrenamtlichen aus, mit denen Sie in Ihrer Bonner Zentrale zusammenarbeiten? Die Alterspanne in unserer Organisation ist zwischen 22 und 85 Jahren. Das ist recht einzigartig für eine Organisation, finde ich. Und es entstehen tatsächlich spannende Synergien. Die älteren Kolleginnen und Kollegen begegnen den Jüngeren mit ausgesprochenem Wohlwollen und Unterstützung. Senior Expertin im Einsatz: Wissen zu teilen ist eine der zentralen Aufgaben für die ehrenamtlich tätigen Mentoren. Foto: SES Über den Senior Experten Service (SES) Der Senior Experten Service (SES)-- die Stiftung der Deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit-- ist die führende deutsche Entsendeorganisation für ehrenamtliche Fach- und Führungskräfte im Ruhestand oder in einer beruflichen Auszeit (Weltdienst 30+). Der SES mit Sitz in Bonn hat rund 200 Repräsentanzen in 90 Ländern. Beim SES sind derzeit 12.000 Expertinnen und Experten registriert. Sie bringen das Fachwissen aus über 50 Branchen mit. Seit Gründung im Jahr 1983 hat der SES fast 60.000 ehrenamtliche Einsätze in 160 Ländern durchgeführt, davon rund ein Drittel in Deutschland. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt die Tätigkeit des SES im Ausland, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert sein Engagement für Auszubildende in Deutschland. Hinter dem SES stehen unter anderem der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Weitere Informationen: www.ses-bonn.de; Kontakt für Expertinnen und Experten: registrierung@ses-bonn.de und Tel. 0228 26 090 - 75 Reportage | „Teilt Euer reiches Wissen in aller Welt! “ 11 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0002 Michael Mente Michael Mente war bis zu seiner Pensionierung etwa 20 Jahre Mitarbeiter bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR, einer Ressortforschungseinrichtung des BMWi. Sein Maschinenbaustudium war auf Bau und Betrieb von Fabrikanlagen ausgerichtet. In den ersten 20 Berufsjahren war er an Planung und Errichtung von Kernkraftwerken und der Wideraufarbeitungsanlage beteiligt und befasste sich u. a. auch mit dem Einsatz von PM-Tools. In den späten 70er-Jahren hatte er, noch vor Einrichtung der GPM, erstmals Kontakt mit einigen ihrer Gründungsväter. Die Verbindung zur GPM besteht bis heute. Bei der BGR führte er das Projekt- und Qualitätsmanagement für die wissenschaftlichen Aufgaben der Endlagerung ein. Er war mehrere Jahre an die Europäische Kommission zur Begleitung von Nachhaltigkeitsprojekten abgeordnet. Er war fünf Jahre Deutscher Repräsentant eines europäischen Umweltprogramms. Heute ist er ehrenamtlich für SES und GPM tätig. Michael Mente Foto: SES Bettina Hartmann Bettina Hartmann, stellvertretende Geschäftsführerin beim SES und Leiterin der Abteilung Experten, koordiniert bei der Bonner Organisation den „Matching“-Prozess- - die fachliche Zuordnung von Experten zu Anfragen nach Unterstützung und Qualifizierung aus aller Welt. Bettina Hartmann ist seit über 25 Jahren Teil des SES und wirbt für die Verbindung von hoher fachlicher Professionalität und Ehrenamt. Sie sagt: „Projektmanagement gehört zum Beruf. Aber es hat auch seinen Platz, wenn Beruf und fachliches Know-how ehrenamtlich eingesetzt werden. Dafür steht der Senior Experten Service (SES).“ Bettina Hartmann Foto: SES Weitere Informationen & Anmeldung unter: www.tiba-business-school.de CHANGE MANAGEMENT THEMENABEND Kostenfrei & virtuell SAVE THE DATE: 24.03.2022 | 17 - 18 Uhr Die Jüngeren wiederum lernen beeindrucke Lebensläufe kennen-- vielleicht als Vorbild oder direkte Inspiration. Stoßen da auch verschiedene Mentalitäten aufeinander? Natürlich! Die Jüngeren marschieren gerne voran, bringen Energie in die Organisation. Die älteren dagegen reagieren etwa bei Problemen häufig gelassener. Sie atmen durch. Sie wissen: Vieles wird nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Daraus entsteht ein inspirierendes Miteinander, von dem alle profitieren. Eingangsabbildung: Die rund 12.000 beim SES registrierten Expertinnen und Experten-- darunter viele Projektmanager-- sind weltweit geschätzt. © Foto: SES Anzeige 12 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0003 Terra Incognita- - Projektmanagement für bürgerschaftliches Engagement Rolf Kaestner Für eilige Leser | Vorhaben zu realisieren, ein Ziel erreichen zu wollen, bewegt viele Menschen neben ihrer Arbeitswelt und der wirtschaftlichen Gestaltung ihres Umfeldes-- vom Fahrradkauf über das Auto bis hin zum eigenen Haus. Dafür organisieren sie sich, fangen mal als Einzelpersonen an, mal schließen sie sich in Gruppen zusammen. Und immer wird nahezu unter prekären Bedingungen in das Abenteuer „Projekt für die Gesellschaft“ gestartet. Was diesen Projekten für die Gesellschaft allen gemeinsam ist und wo sich besondere Risiken feststellen lassen, ist Gegenstand der folgenden Betrachtungen. Schlagwörter | Projektarbeit, Vereine, Verbände, Gesellschaft, GPM Fachgruppe Wann immer Menschen mit einem Zustand nicht zufrieden sind, überlegen sie sich, diesen zu verändern. Das ist so im großen Wirtschaftsleben und der Verwaltung ebenso wie in der kleinen privaten Umgebung. Während dafür allerdings bei erstgenannten Akteuren und im Privaten bei der wirtschaftlichen Gestaltung des Umfeldes sehr früh Budget- oder Haushaltsüberlegungen und -planungen einsetzen, wird bei Projekten mit gesellschaftlicher Zielsetzung meist anders-- also vom gewünschten Zielzustand- - gedacht und nicht von den finanziellen Möglichkeiten. Erster Merksatz: Projekte für die Gesellschaft beginnen meist beim gedachten gewünschten Ergebnis. Nach der Frage, was ich erreicht haben will, beginnt das Nachdenken darüber, wie komme ich dahin. Mit der Eröffnung des Suchraums zum Erreichen des gedachten Projektzieles beginnt auch die Suche nach Verbündeten, weil sich schnell zeigt, dass ein einzelner Mensch nur wenig Resonanz in der Gesellschaft findet- - von unrühmlichen destruktiven Ausnahmen abgesehen. Auch jeder Verein braucht für seine Gründung die berühmten sieben Mitglieder. Zweiter Merksatz: Projekte für die Gesellschaft benötigen Verbündete. Mit der Suche nach Verbündeten ist dann auch schon eine erste Hürde für den Projekterfolg erkennbar. Das gedachte, gewünschte Ergebnis in einem Kopf muss mit den Überlegungen in einem oder mehreren anderen Köpfen eine Schnittmenge bilden, die ein so hohes Maß an Übereinstimmung zeigt, dass sich die verbündete Gruppe auch wirklich gemeinsam auf den Weg macht, das gedachte, gewünschte Ergebnis zu erreichen. Der Zwischenschritt ist getan. Es gibt ein Ziel und eine Gruppe Menschen hat sich darauf verständigt, was sie unter diesem Ziel gemeinsam verstehen. Alle diese Menschen bringen sich dafür freiwillig ein und bleiben dabei, wenn alle anderen Umstände ihnen das auch ermöglichen. Es gibt also verfügbare persönliche Zeit und genug Tatkraft, um mitzuarbeiten, wie es auch die anderen Menschen freiwillig tun. Dritter Merksatz: Projekte für die Gesellschaft werden vom freiwilligen Engagement getragen. Es beginnt der schwierigere Teil in der Projektarbeit für die Gesellschaft: Jetzt werden materielle Ressourcen benötigt. Es kann sich dabei um kleinere Sachmittel handeln, die viele auch bei sich im Haushalt vorfinden. Es kann sich aber auch um Dienstleistungen, Mieten oder Dinge handeln, die ausdrücklich angeschafft werden müssen. Für die Anschaffungen werden finanzielle Mittel benötigt. Diese werden entweder aus dem kleinen Kreis der Aktiven beigesteuert oder es beginnt zusätzlich die Suche nach Finanzierungsquellen. Hier erweitert sich das Spektrum der Handlungsmöglichkeiten einerseits, während andererseits auch ein Schritt in die Normalität der Projektarbeit getan wird: Es Reportage | Terra Incognita-- Projektmanagement für bürgerschaftliches Engagement 13 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0003 werden finanzielle Ressourcen benötigt, ohne die kaum noch ein Projektfortschritt realisiert werden kann. Vierter Merksatz: Auch Projekte für die Gesellschaft brauchen Geld. Projekte für die Gesellschaft haben dazu verschiedene Möglichkeiten finanziert zu werden. Das Spektrum reicht von Spendensammlungen über Mitgliedsbeiträge eines Fördervereins oder Merchandisingaktivitäten bis hin zu Sponsoring durch einzelne große Institutionen oder öffentliche Einrichtungen. Die GPM Fachgruppe „Projektmanagement für bürgerschaftliches Engagement“ bietet speziell zu diesem Thema einen kostenlosen Download auf ihrer Fachgruppenseite innerhalb der GPM Website. Projekte für die Gesellschaft oder Projektmanagement für bürgerschaftliches Engagement als zwei Aspekte einer aktiven Teilhabe an der Gestaltung der Gesellschaft finden allerdings nicht in biedermeierlicher Idylle statt. Es handelt sich eigentlich immer um eine Auseinandersetzung, was gewollt oder nicht gewollt ist von unterschiedlichen Interessengruppen, basierend auf unterschiedlichen Wertvorstellungen über eine gewünschte Zukunft. Damit ist so ziemlich jedes Projekt für die Gesellschaft auch das Austragen eines Konfliktes. Fünfter Merksatz: Projekte für die Gesellschaft bedeuten das Austragen von Konflikten in der Gesellschaft. Um in der Lage zu sein, im Rahmen eines Projektes für die Gesellschaft Position zu beziehen und diese auch darzustellen- - insbesondere nötig bei Konflikten, besteht ein Teil des Projektes auch notwendigerweise aus Kommunikation, sei es um die eigenen Sichtweisen darzustellen und zu transportieren oder um gegenüber anderen Sichtweisen Positionen darzustellen und-- nicht ganz unwesentlich-- um Mehrheiten für die eigenen Sichtweisen zu werben. Sechster Merksatz: Projekte für die Gesellschaft bestehen zu einem deutlichen Anteil aus Öffentlichkeitsarbeit. Projekte für die Gesellschaft unter den skizzierten Rahmenbedingungen tatsächlich unter dem Projektbegriff zu betrachten, darf eigentlich unter den gestrengen Augen eines ICB-festen oder DIN-gläubigen Menschen schon als Lapsus angesehen werden. Was spricht hier gegen den gestrengen Projektbegriff? • Es gibt häufig keinen definierten Auftraggeber für ein solches Vorhaben, sondern diffus initialisiert arbeiten mehrere Menschen an einer Zielformulierung für etwas, welches sie gemeinsam erreichen wollen. Hierarchien entstehen situativ. • Durch die Freiwilligkeit in der Arbeit an einem gemeinsamen Ziel ist jederzeit der Ausfall von einer oder mehreren Schlüsselpersonen vorübergehend oder endgültig möglich. Eine verbindliche Verfügbarkeit der handelnden Personen ist nicht gegeben. Rolf Kaestner Der Autor gehört zur GPM Fachgruppenleitung „Projektmanagement für bürgerschaftliches Engagement“ und arbeitet als Gutachter und Sachverständiger in der Entwicklungszusammenarbeit und im Gesundheitswesen. • Die verfügbaren Finanzmittel bestimmen den Fortschritt beim Zielerreichungsgrad. Fehlende Finanzmittel bedeuten „Projektruhe“ bis wieder Geld zur Verfügung steht- - oder Abbruch des gesamten Vorhabens. • Gut gemeint ist nicht zwingend gut gemacht. Widerstand aus anderen Teilen der Gesellschaft, Blockaden aus der Verwaltung oder von Widersachern mit (anderen) wirtschaftlichen Interessen verhindern das Erreichen des ursprünglichen Ziels oder überhaupt die Fortsetzung des Vorhabens. Trotz dieser vielfachen Gefährdungen machen sich in Vereinen, Verbänden, kleinen und großen Initiativen mittlerweile mit erreichter Lobbymacht bundesweit oder gar international einerseits oder als Kleingruppe in ländlicher Umgebung andererseits unverdrossen Menschen auf den Weg, um ihren Beitrag zur Gestaltung unserer Lebenswelten zu leisten. Eingangsabbildung: © iStock.com / scyther5 Das System, bei dem die Ressourcenplanung funktioniert Ressourcenmanagement Projektportfolio-Management Aufwand- & Kosten-Controlling Projektplanung Unverbindlich online kennenlernen! www.ressolution.ch Scheuring AG +41 61 853 01 54 info@scheuring.ch Anzeige 14 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0004 Norman Heydenreich im Gespräch mit Dr. Lutz Liffers Erfolg der Bremer Impfkampagne mit Projektmanagement In seiner Regierungserklärung am 9. Dezember 2021 konnte der Bremer Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte ein beeindruckendes Zwischenergebnis zur Bremer Impfkampagne verkünden: „Unsere Impfquote liegt mittlerweile deutlich höher-- nämlich bei mehr als 93 Prozent bei den Über-60-Jährigen und etwa 90 Prozent bei den 12bis 59-Jährigen.“ Damit hatte die erfolgreiche Impfkampagne im kleinsten Bundesland eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Bekämpfung der Pandemie geschafft und wie schon in den Monaten zuvor die höchste Impfquote aller Bundesländer erreicht. Wie war es Bremen gelungen, die Impfkampagne so erfolgreich umzusetzen? Auf der Grundlage der von der Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern im November 2020 beschlossenen nationalen Impfstrategie beschloss der Krisenstab in Bremen die Organisation der Bremer Impfkampagne in einer eigenständigen Projektstruktur. Zu deren Nutzen hat sich die Bremer Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard geäußert: „Dank einer grandiosen Steuerung unseres gesamten Projekts durch die Projektleitung und das gesamte Team konnten wir mit allen Unwägbarkeiten umgehen. Gab es neue Rahmenbedingungen, haben wir innerhalb weniger Stunden darauf reagiert. Auch dadurch konnten wir den Bremerinnen und Bremern zu jeder Zeit vermitteln, dass wir alle an einem Strang ziehen, um gemeinsam für Bremen ein Ziel zu erreichen: das Ende dieser Pandemie.“ Zur Projektleitung wurde für die schwierige Startphase von November 2019 bis Juli 2020 der Leiter des V-BÜROs für Projekt- und Veränderungsmanagement Dr. Lutz Liffers abgeordnet. Das V-BÜRO ist eine Einrichtung des Finanzressorts (Finanzministerium) und soll durch die Professionalisierung des Projektmanagements vor allem die Modernisierung und Weiterentwicklung der öffentlichen Verwaltung vorantreiben. Es ist beim Finanzressort angesiedelt, weil dieses als Zentralressort Querschnittsaufgaben für alle Bremer Fachressorts im Bereich Digitalisierung, Personal- und Organisationsentwicklung hat. Die sieben Projektmanagerinnen und -manager des V-BÜROs leiten nicht nur strategisch wichtige Verwaltungsprojekte, sondern entwickeln eine umfassende Unterstützungsstruktur für Projekte in der gesamten Verwaltung und waren beteiligt bei verschiedenen Projekten der Krisenbewältigung (z. B. beim Aufbau eines Cointainmentmanagements zur Nachverfolgung von Infektionsketten). Das Land Bremen engagiert sich nicht nur intern für die Professionalisierung von Projektarbeit in der Öffentlichen Verwaltung. Dr. Anke Saebetzki, Abteilungsleiterin für Personal- und Organisationsentwicklung im Bremer Finanzressort und Initiatorin des V-BÜRO, will sich auch bundesweit für eine stärkere Nutzung von Projektmanagement als Führungs- und Gestaltungsinstrument in der Öffentlichen Verwaltung einsetzen. Als Vertreterin Bremens ist sie auch Gründungsmitglied im Beirat des Aktionsprogramms „Mit Projekten Deutschlands Zukunft gestalten“, denn „die Zukunftsfähigkeit der Verwaltung“ meint Anke Saebetzki „liegt in ihrer Fähigkeit, Veränderungen zu gestalten“. Mit Lutz Liffers sprach Norman Heydenreich, Mitinitiator und Beiratsmitglied des Aktionsprogramms „Mit Projekten Deutschlands Zukunft gestalten“, für die PROJEKTMANAGE- MENT AKTUELL. Bremen hat durch eine wirksame Impfkampagne eine überdurchschnittlich gute Impfquote erreicht. Sie wurden als erfahrener Projektmanager aus der öffentlichen Verwaltung als Leiter des Impfprojekts abgeordnet. Welche Ausgangslage haben Sie vorgefunden? Bereits im Frühjahr 2020 hatte der Bremer Senat wie alle Bundesländer einen Krisenstab eingerichtet, der fortan die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie steuerte. Ein Containment-Management zur Nachverfolgung von Infek- Reportage | Erfolg der Bremer Impfkampagne mit Projektmanagement 15 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0004 tionswegen wurde aufgebaut, aber auch die Beschaffung von Masken und anderen medizinischen Gütern oder der Aufbau von Testzentren wurden im ressortübergreifenden Krisenstab koordiniert. Seine wichtigste Funktion war, auf der Basis der unterschiedlichen Zuständigkeiten der Fachressorts (Ministerien) im Bundesland Bremen die Abstimmungsprozesse zu koordinieren und ein kohärentes und zielgerichtetes Handeln der Verwaltung zur Krisenbekämpfung sicher zu stellen. Im Herbst 2020 zeichnete sich international eine Wende in der Pandemiebekämpfung ab: Mehrere Impfstoffe konnten in kürzester Zeit entwickelt werden und standen kurz vor der Zulassung. Die Bundesregierung beschloss gemeinsam mit den Ländern im November 2020 eine nationale Impfstrategie, die drei Phasen vorsah: In der ersten und zweiten Phase würde noch sehr wenig Impfstoff zur Verfügung stehen. Damit sollten zunächst die gefährdetsten Gruppen geimpft werden. Diese Impfungen sollten ausschließlich durch die Bundesländer zentral organisiert werden. Erst in der dritten Phase sollten die Impfungen dezentral in der ganzen Breite der Bevölkerung durch niedergelassene Ärzte und Betriebsärzte erfolgen. In dieser Situation beschloss der Krisenstab in Bremen die Organisation der Bremer Impfkampagne nicht im Rahmen der bereits bestehenden Stabsstruktur durchzuführen, sondern etablierte dazu eine eigenständige Projektstruktur. Als ich zu diesem Zeitpunkt die Projektmanagementleitung in Bremen übernahm, hatten wir knapp vier Wochen Zeit, ein Impfzentrum aufzubauen. Aber es gab noch keinen Plan, keine Vorbilder, kein Projektteam und die konkreten Rahmenbedingungen waren unklar. Wie kommen die Menschen an ihren Impftermin? In welcher Reihenfolge wird konkret geimpft? Über welchen Weg kann man welche Personengruppen am besten erreichen? Dazu kam die besondere Beschaffenheit des Impfstoffs von BionTech / Pfizer: Er wurde bei minus 70 Grad gelagert, war extrem stoß- und schüttelanfällig und musste aufgetaut wie ein rohes Ei behandelt werden. Wie sollten wir damit beispielsweise in die Altenheime und Pflegeeinrichtungen kommen? Warum wurde in Bremen die Impfkampagne als Projekt organisiert? Die Regelstruktur- - Gesundheitsressort, Gesundheitsamt- - war durch die Krise zu diesem Zeitpunkt schon extrem strapaziert. Es bedurfte also irgendeiner Form der Entlastung. Einfach mehr Personal für die Linienstruktur wäre nicht hilfreich gewesen. Deshalb entschied man sich für eine Projektstruktur. Für die Projektsteuerung konnte der Krisenstab auf Fachleute aus dem V-BÜRO zurückgreifen, ausgebildete Projektmanager mit Verwaltungserfahrung. Ein Projektteam mit zeitweise bis zu 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern steuerte ab dem 28. Dezember die Impfzentren auf dem Messegelände und die zwölf mobilen Impfteams mit insgesamt mehreren Hundert Mitarbeitern. Unser Projektteam war ebenfalls in der Messehalle, also direkt am Impfgeschehen, angesiedelt. Anfänglich gab es gegenüber dem Projekt Impfen eine zwiespältige Haltung: Einerseits war allen klar, dass die Regelstruktur aufgrund der Überlastung nicht in der Lage gewesen wäre, jetzt auch noch ein Impfzentrum aufzubauen. Andererseits gab es viele offene Fragen: Wer sollte denn jetzt was tun? Wer hatte welche Aufgabe? Wer hatte für was die Verantwortung? Wir haben übers Wochenende eine Projektstruktur entworfen und neben die vorhandene Linienstruktur gesetzt. Kein Wunder, dass es zunächst kein gemeinsames Bild gab, wie sich das Projekt in die Krisenstruktur einfügte. Anfangs traten wir allen auf die Füße, weil wir die Abläufe, Entscheidungswege, Verantwortungen neu organisieren mussten. Aber bald hatten die Kollegen aus der Linie die Vorteile der projekthaften Herangehensweise erkannt und dem Projektteam großes Vertrauen entgegengebracht. Die Überlastung des Systems war aber nur ein Grund für die Entscheidung, die Impfkampagne als Projekt zu organisieren. Darüber hinaus war klar, dass die Impfkampagne die Verwaltung vor eine besondere Herausforderung stellt: Im Projekt Impfen hatten wir es mit ständigen Veränderungen Bild 1: Bremer Impfzentrum, Foto: Jan Heitmann Reportage | Erfolg der Bremer Impfkampagne mit Projektmanagement 16 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0004 der Rahmenbedingungen zu tun. Die gesamte Impfkampagne war von fast täglichen Überraschungen gekennzeichnet: Impfstoffe kamen später als erwartet oder angekündigte Mengen wurden nicht geliefert, die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission und Beschlüsse von Bund und Ländern erforderten innerhalb von Stunden völlig neue Planungen, durch eine aufgeheizte öffentliche Debatte wurden wirksame Impfstoffe diskreditiert, Querdenker demonstrierten vor dem Impfzentrum-… Die traditionellen Verwaltungsstrukturen sind für solche komplexen, disruptiven und unbeständigen Rahmenbedingungen nicht gemacht. Verwaltung soll vor allem Beständigkeit und Verlässlichkeit organisieren, ihre Struktur ist auf Sicherheit, Planung und Berechenbarkeit ausgelegt. Im Projekt Impfen standen aber andere Anforderungen im Vordergrund: Wir mussten ständig risikobehaftete Entscheidungen treffen, das Überraschende erwarten und in den Planungen antizipieren und innovative Lösungen in kürzester Zeit entwickeln, erproben, verwerfen oder weiterentwickeln. War es denn möglich, unter diesen Umständen das Projekt solide zu planen? Für eine klassische Projektplanungsphase war gar keine Zeit. Wir mussten sofort mit dem Aufbau beginnen, gleichzeitig ein Projektteam zur Steuerung zusammenstellen, die verstreuten Informationen zum Impfen zusammentragen und bewerten und die wenigen schon angelaufenen Aktivitäten koordinieren und bündeln, Verträge mit den Hilfsorganisationen schließen, IT beschaffen, Software beauftragen, für die es noch gar keine erprobten Vorbilder gab, Sicherheitskonzepte entwickeln und schließlich musste die relativ abstrakte Impfstrategie des Bundes für Bremen konkret ausbuchstabiert werden. Im Grunde hat das Projekt typische Merkmale eines agilen Projektes: Das Ziel- - oder agil gesagt: die user story - - war klar: „Alle Bürger erhalten so schnell wie möglich ein Angebot über eine Covid-Schutzimpfung“- … aber der Weg dorthin musste in iterativen Schritten entwickelt werden mit der Besonderheit, dass mit dem Impfen sofort begonnen werden musste. Durch welche Herangehensweise konnte das Projektteam diese besonderen Herausforderungen hoher Komplexität, Ungewissheit und Volatilität meistern? Der Mindset, also die Denkweise, Orientierung, Haltung, mit der wir das Projekt gesteuert haben, war entscheidend für das Projekt: • Unbedingter Fokus auf den Nutzen für die Bürger und Bürgerinnen, • Orientierung auf eine Kultur der Kooperation zwischen den Ressorts, Ämtern und nicht-staatlichen Partnern statt Anweisungskultur, • Lern- und Anpassungsfähigkeit statt Planungstreue, • Lösungsorientierung. Wir haben deshalb gerade zu Beginn intensiv an diesem Mindset gearbeitet, statt Organigramme und Powerpoints zu malen. Ein Mindset entsteht nicht durch das Schreiben von Grundsatzpapieren, sondern durch entsprechende Arbeitsstrukturen: Bei ständiger Flexibilität definierten wir klare Rollen, Aufgaben, Verantwortungen statt unbeweglicher Geschäftsverteilungspläne, schlanke und effektive Kommunikationsstrukturen statt endloser Sitzungen, strategische Transparenz statt einsamer Beschlüsse der Leitung, rollierende Planung und schließlich Steuerung und Controlling, die allen die notwendige Handlungssicherheit gaben. Steuerung und Controlling werden in Verwaltungsstrukturen oft als repressive Instrumente erlebt und erzeugen häufig Widerstand. In einer Projektstruktur dienen sie dazu, Schwierigkeiten zu überwinden und Lösungen zu schaffen. Das ist am Ende für alle ein befriedigender Weg. Projektmanagement haben Sie als Technik genutzt, um eine solche Aufgabe unter größtem Zeitdruck zu bewältigen. Gab es auch weitere Erfolgsfaktoren für das überdurchschnittliche Ergebnis? Viele Faktoren spielen eine Rolle. Das riesige Engagement vieler Partnerorganisationen und Personen. Sicher auch der Umstand, dass Bremen als Stadtstaat über kurze Wege verfügt und sich die Akteure kennen. Als wir beispielsweise im Mai erstmals probeweise mit einem temporären Impfzentrum in einen Stadtteil mit besonders hohen Inzidenzen gingen, haben wir eng mit den lokalen Kitas, Schulen, Kultur- und Gesundheitseinrichtungen und Ärzten zusammengearbeitet. Diese Einrichtungen genießen das Vertrauen der Bürger und Bürgerinnen und so konnten wir vor allem die Menschen erreichen, die der Staat nicht gut erreichen kann. Das war ein Schlüssel für den Impferfolg, weil wir sehr früh viele Personen in prekären Lebenslagen, Alleinerziehende, Menschen ohne deutsche Sprachkenntnisse, Verunsicherte am Rande der Gesellschaft impfen konnten. In Gröpelingen sagte mir ein bulgarischer Arbeiter im Mai-- also fünf Monate nach Beginn der Impfkampagne: Oh ich wusste gar nicht, dass man sich gegen Covid-19 impfen lassen kann. Er war über die Kita-Leitung seiner Tochter auf unsere Kampagne aufmerksam gemacht worden. Wir machen uns als öffentliche Verwaltung häufig zu wenig Gedanken, wie wir mit den Bürgerinnen und Bürgern kommunizieren sollten, damit wir auch alle erreichen. Mehrsprachige Anschreiben alleine sind noch kein Garant für gute Kommunikation. Bei all diesen Aktivitäten vor Ort, auch bei unseren Impfkampagnen für Wohnungslose oder Sexarbeiterinnen, waren lokale Institutionen der Schlüssel für den Erfolg. In einem Flächenland hätte man hier größere Schwierigkeiten mit lokalen Akteuren eine solche Aktion mit vielen Risiken zu erproben. Kommunen sind da viel näher dran. Auch haben wir viel dafür getan, dass die Bürger und Bürgerinnen der Impfkampagne vertrauen. Wer von uns eine Impfeinladung bekam, musste nicht in endlosen Warteschleifen hängen, sondern bekam sofort einen Termin. Bürgerorientierung war in den Impfzentren oberstes Gebot: Die Menschen sollten sich sicher, gut beraten und wohl fühlen. Die Kollegen in den Impfhallen, die engagierten Hilfsorganisationen, die vielen Helfer aus der Hotellerie und dem Veranstaltungsgewerbe haben maßgeblich dazu beigetragen, dass innerhalb Bremens die Impfzentren bald einen überaus guten Ruf genossen. Das Callcenter, in unserem Auftrag betrieben von einem renommierten Veranstaltungsunternehmer, genoss geradezu einen legendären guten Ruf für seine Serviceorientierung. Heute sind viele Bremer stolz auf „unsere Impfkampagne“. Auch das erhöhte die Impfbereitschaft. Reportage | Erfolg der Bremer Impfkampagne mit Projektmanagement 17 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0004 Ressourcenmanagement Multiprojektcontrolling Projektportfolio Angebote und Rechnungen Scrum, Kanban, PRINCE2 ® , IPMA projektron.de Projektmanagement-Software Projektron BCS Anzeige Ein wichtiger Erfolgsfaktor war aber auch die Unterstützung der Hausleitung, die engmaschige Abstimmung zu jeder Tages- und Nachtzeit und deren Vertrauen in das Projektteam. Als Projektauftraggeberin haben Senatorin und Staatsrätin (und die Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsressort) diese Rolle aktiv gespielt: Politisch und administrativ dem Projekt zum Erfolg zu verhelfen. Welche Rolle haben dabei die persönliche Ausbildung, Kompetenz und Erfahrung als Projektmanager gespielt? Die fachliche Kompetenz und Erfahrung als Projektmanager spielten eine sehr große Rolle. Das war aber nicht nur ich, der Projekterfahrung mitbrachte. Der Leiter des Krisenstabs war ebenfalls ein äußerst erfahrener Projektmanager. Das Projektteam haben wir zu einem großen Teil aus jungen Projekt- und Veranstaltungsmanagerinnen der Bremer Messegesellschaft zusammengestellt, Kollegen aus meinem V-Team haben mit ihrer Erfahrung maßgeblich mitgewirkt. So waren im Kernteam des Projekts alle methodischen, technischen und sozialen Kompetenzen des Projektmanagements vorhanden. Erfahrung bedeutet ja auch, dass man nicht versucht, ein solches Projekt nach dem Lehrbuch umzusetzen. Es braucht eine ständige Überprüfung, welche PM- Techniken wann Sinn ergeben. Auch in den anderen Fachressorts gab es projekterfahrene Partner, mit denen wir schnell agieren konnten. Als wir beispielsweise mit der Impfung der Lehrkräfte starteten, waren das zwei, drei Telefonate mit den zuständigen Kolleginnen im Fachressort, um die schnellste und effektivste Vorgehensweise abzusprechen und dann konnten wir es sofort umsetzen. In der Krise hat sich erneut gezeigt, dass professionelles Projektmanagement in besonderem Maße hilft, schwierige Aufgaben zu steuern. Es sind ja immer die gleichen Aspekte, um die es geht: Überblick verschaffen, priorisieren, Rollen klären, die Stakeholder einbeziehen, auf gemeinsame Ziele orientieren, Konflikte bearbeiten, die Risiken im Blick haben, kommunizieren, lösungsorientiert steuern. In der Krise hat sich gezeigt, dass genau dies der klassischen Verwaltung unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen häufig schwerfällt. Welche Rolle hat für den Impferfolg die organisationale Kompetenz der Bremer Verwaltung gespielt, insbesondere durch den Aufbau von Wissen, Standards, Governance-Strukturen und ein PM-Office? Mit dem V-BÜRO FÜR PROJEKT- UND VERÄNDERUNGSMA- NAGEMENT hat der Senator für Finanzen eine wichtige Struktur aufgebaut, um Projektmanagement in der Verwaltung zu professionalisieren. Das hat Bremen in der Coronakrise enorm geholfen, weil man auf etablierte Strukturen und Erfahrungen zurückgreifen konnte und über Projektmanager mit Verwaltungserfahrung verfügte. In Bremen bauen wir zurzeit noch weitergehende PM- Strukturen auf: • Ein zentraler berufsbegleitender Lehrgang für Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung steht allen Fachressorts zur Verfügung, • wir betreiben ein Netzwerk der Projektverantwortlichen • und haben einen Standard für das Projektmanagement in der öffentlichen bremischen Verwaltung definiert, • wir stellen zentral Techniken und Werkzeuge für das PM zur Verfügung, • und beraten Kollegen, deren Projekte noch in der Initialisierung stecken oder deren Projekte in eine Krise geraten sind. Insbesondere das Beratungssystem wollen wir in diesem Jahr systematisieren und ausbauen. Es geht darum, die Fachressorts und Ämter gezielt und praxisorientiert dabei zu unterstützen, ihre Projekte professionell umzusetzen. Das hilft nicht nur bei zukünftigen Krisen, sondern ist auch deshalb unbedingt notwendig, weil die Bremer Verwaltung sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozess befindet, Stichwort Digitalisierung. Reportage | Erfolg der Bremer Impfkampagne mit Projektmanagement 18 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0004 Welche Rolle spielte dabei eine projektförderliche Kultur der Zusammenarbeit? Ich habe ja vorhin schon berichtet, wie wichtig uns im Projekt Impfen der Mindset war, den wir mit einer guten Arbeitsstruktur befördern können. Aus meiner Perspektive stecken in einer projektorientierten Arbeitsstruktur und der entsprechenden Organisationskultur essenzielle Entwicklungsmöglichkeiten für die Verwaltung insgesamt. Solange Verwaltung allein aus den fachlichen Zuständigkeiten heraus ihre Aufgaben wahrnimmt, ist die Kooperation zwischen den Ämtern und Fachressorts erschwert. Durch Projektstrukturen können wir dieses Ressortdenken überwinden. Wir hatten im Impfprojekt die Möglichkeit, die Zusammenarbeit mit anderen Ressorts, mit Ämtern und mit den vielen nicht-staatlichen Partnern sehr vertrauensvoll zu organisieren. Vor allem die Zusammenarbeit mit nicht-staatlichen Partnern fällt Verwaltung nicht immer leicht. Es ist ja nicht getan mit einem Dienstleistungsvertrag. Gerade im Projekt Impfen waren die Hilfsorganisationen unentbehrliche Partner, mit denen wir transparent und auf Augenhöhe kommunizierten. Auch mit den weiteren Akteuren wie Krankenkassen, Ärztekammer, Kassenärztliche Vereinigung und Kinderärztlicher Vereinigung entwickelten wir vertrauensvolle und kooperative Strukturen der Zusammenarbeit, auch wenn hier zeitweise unterschiedliche Interessen aufeinandertrafen. Aber genau für solche auch konflikthaften Konstellationen sind die PM-Techniken geschaffen. Was lief nicht so gut, was würden Sie beim nächsten vergleichbaren Projekt anders machen? Ich persönlich habe in der ersten Phase des Projektes zu wenig Zeit gehabt, Teamentwicklung und Teamkommunikation in dem Maße zu betreiben, wie es notwendig gewesen wäre. Das ist auch typisch für Projekte: Die Sachaufgaben fordern so viel Aufmerksamkeit und Ressourcen, dass man die Teamentwicklung schleifen lässt. Das rächt sich, vor allem, wenn man den Kollegen und Kolleginnen so viel abverlangt wie in der Corona-Krise. Um ein Projektteam unter solch enormen Belastungen motiviert und arbeitsfähig zu halten, sollten Teamentwicklung und Teamkommunikation von Anfang an eine große Aufmerksamkeit durch die Projektleitung erhalten. Ich habe dann eine Kollegin und einen Kollegen aus dem V-Büro in die Projektleitung geholt, sodass wir zu dritt Konflikte im Team, Perspektiven der Mitarbeitenden und Neueinstellungen besser angehen konnten. Durch unsere gemeinsame Arbeitserfahrung im V-BÜRO konnten wir uns als Leitungsteam quasi blind vertrauen-- auch daran sieht man, wie produktiv ein gemeinsam getragener Mindset ist. Dr. Lutz Liffers Dr. Lutz Liffers, Soziologe und Projektmanager, arbeitete viele Jahre im Kultur- und Bildungsbereich u. a. für die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung, Arbeitnehmerkammer Bremen, Kultur Vor Ort e. V. und in verschiedenen kommunalen Einrichtungen. Seit vier Jahren ist er für den Senator für Finanzen in Bremen in der Organisationsentwicklung tätig und leitet das V-Büro für Projekt- und Veränderungsmanagement der Freien Hansestadt Bremen. Überhaupt: Das Thema Kommunikation-- zwischen Projekt und Linie und zwischen Projekt und Bürgern-- erfordert enorme Kraftanstrengung und kam auch bei uns anfänglich zu kurz. Uns gelang es erst nach einigen Wochen, eine einigermaßen verlässliche Kommunikationsstruktur aufzubauen, mit der die Bürger aktuell informiert werden konnten in einem Feld mit täglichen Veränderungen. Welche generellen Empfehlungen könnten Sie aufgrund der Erfahrungen mit diesem Projekt für die anstehenden Impfprojekte anderer Länder geben? Ich kann nur sagen, was wir aus dem Projekt Impfen schlussfolgern: Unser Eindruck ist, dass Krisenpläne allein nicht durch die Krise helfen, sondern die Verwaltung insgesamt viel krisenresilienter werden muss. Als wir das Projekt im Sommer mit dem Abschluss der ersten Impfphase übergeben hatten, stellte sich für uns die Frage: Was bleibt? Konnten wir mir den Projektstrukturen auch die Regelstrukturen verändern? Das bleibt für uns eine wichtige Frage für die Weiterentwicklung unserer Arbeit. Wie kann es gelingen, dass wir nicht nur Projekte gut managen, sondern dadurch Verwaltung insgesamt verändern und weiterentwickeln? Wie das genau aussehen sollte, versuchen wir zurzeit durch eine umfangreiche Auswertung der Krisenerfahrung zu präzisieren. Aber eine Erfahrung können wir jetzt schon festhalten: Projektmanagement ist für die Öffentliche Verwaltung nicht nur in der Krise eine unschätzbare Ressource, um Veränderungen und schwierige Aufgaben gut zu meistern. Eingangsabbildung: © Dr. Lutz Liffers: Impf-Truck vor Ort beim Bürger 19 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0005 Projektifizierung der Gesellschaft in Deutschland- - Status, Trends und Akteure Reinhard Wagner Für eilige Leser | Die gesellschaftlichen Herausforderungen in Deutschland nehmen weiter zu und fordern von allen Akteuren eine entsprechende Lösungskompetenz. Die deutsche Wirtschaft ist weit fortgeschritten, was die professionelle Umsetzung von Projekten und das Projektmanagement anbelangt. Andere gesellschaftliche Bereiche hinken hier jedoch hinterher. Die Pandemie und die Klimakrise sind nur zwei Beispiele für den gemeinsamen Kraftakt, den alle Akteure in unserer Gesellschaft leisten müssen, um mit Projekten Deutschlands Zukunft nachhaltig zu sichern. Projekte erfreuen sich einer zunehmenden Beliebtheit in Deutschland. In den letzten Jahren sind die Anzahl und Bedeutung von Projekten kontinuierlich gestiegen. Dies hat häufig auch eine Transformation der betroffenen Organisationen zur Folge. Eine Reihe von Studien konnte das für die Wirtschaft klar bestätigen. Obwohl es in der Forschung zum Projektmanagement zunehmend Hinweise darauf gibt, dass diese „Projektifizierung“ nicht nur auf die Wirtschaft beschränkt ist, sondern auch in anderen Bereichen der Gesellschaft an Bedeutung gewinnt, gab es hierfür bislang nur wenig empirisch belastbare Daten. Dieser Beitrag beschreibt den Status und die Trends zur Projektifizierung der Gesellschaft in Deutschland auf Basis einer empirischen Studie und gibt Hinweise auf die Akteure sowie die besondere Rolle der GPM. Schlagwörter | Projektifizierung, Projektwirtschaft, Projektgesellschaft, GPM, Deutschland Einleitung Das Wort „Projektifizierung“ taucht zum ersten Mal in einem Artikel von Christophe Midler [1] im Jahr 1995 auf. In dem Artikel geht er auf die Entwicklungen beim Autobauer Renault ein und beschreibt darin nicht nur die zunehmende Anzahl und Bedeutung von Projekten für den Konzern, sondern auch die damit einhergehende Transformation der dauerhaften Strukturen. In den darauf folgenden Jahren hat sich die Projektmanagement-Forschung intensiv mit dem Begriff und seiner Bedeutung auf verschiedenen Ebenen unserer Gesellschaft auseinandergesetzt und diesen weiter ausdifferenziert [2]. Die meisten Forschungsarbeiten haben sich mit der Wirkung einer zunehmenden Anzahl von Projekten auf Organisationen oder Projektnetzwerke auseinandergesetzt. Nur wenige sind bislang auf die Folgen für den Einzelnen bzw. auf die „dunklen Seiten“ der Zunahme temporären Organisierens eingegangen [3]. Mit der Veröffentlichung ihrer Studie „Makroökonomische Vermessung der Projekttätigkeit in Deutschland“ [4] hat die GPM im Jahr 2015 Pionierarbeit geleistet, denn mit dem gleichen Studiendesign wurden anschließend vergleichbare Studien in Ländern wie z. B. Brasilien, China, Island, Italien, Kroatien, Norwegen und Südafrika durchgeführt. In all diesen Studien war eine Zunahme der Projekttätigkeit in der Wirtschaft zu beobachten und der Anteil der Arbeitszeit in Projekten war in der Regel größer als ein Drittel der Gesamtarbeitszeit. Dabei gibt es von Land zu Land deutliche Unterschiede in Bezug auf die Wirtschaftssektoren und den Entwicklungsstand des Landes. Eine systematische Analyse der Projektifizierung über die Wirtschaft hinaus war bislang jedoch noch nicht verfügbar. Eine empirische Studie zur Projektifizierung der Gesellschaft in Deutschland wurde deshalb im letzten Jahr erstmals realisiert [5]. Mit diesem Beitrag werden wesentliche Erkenntnisse dieser Studie zusammengefasst und ein Ausblick auf die Trends und Potenziale gegeben. Denn die starke Zunahme gesellschaftlicher Herausforderungen (u. a. Pandemie und Klimakrise) erfordern ein leistungsfähiges Projektmanagement zur Umsetzung entsprechender Projekte. Die Berichte in dieser Ausgabe der PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL zeigen das Spektrum der Anwendungsfälle von Projekten in der Breite der Gesellschaft und der hierfür nötigen Schwerpunkt | Projektifizierung der Gesellschaft in Deutschland-- Status, Trends und Akteure 20 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0005 Kompetenzen auf. Aus der vorliegenden Studie zur Projektifizierung der Gesellschaft in Deutschland lassen sich entsprechende Handlungsempfehlungen für die im Projektmanagement tätigen Personen, Organisationen der Wirtschaft, dem Öffentlichen Dienst und gesellschaftlichen Akteuren- - wie z. B. der GPM-- ableiten. Entwicklung der Projektifizierung und mögliche Auslöser Im Jahr 2007 veröffentlicht die Deutsche Bank Research eine Studie zur Entwicklung in Deutschland, in der vor allem die Aussage für große Aufmerksamkeit in Fachkreisen sorgte, die den Anstieg der „Projektwirtschaft“ von 2 % auf 15 % der Wertschöpfung 2020 prognostizierte [6]. Dabei steht der Begriff Projektwirtschaft für zumeist temporäre, außerordentlich kooperative und oft globale Wertschöpfungsprozesse. Denn viele Unternehmen fokussieren sich zunehmend auf bestimmte Leistungen und Produkte und müssen mit anderen Unternehmen in Projekten kooperieren, um komplexe Leistungen oder Systeme (u. a. Anlagen) am Markt anbieten zu können. Die folgende Aussage begründet die zunehmende Bedeutung der Kooperation in Form von Projekten: „Ein wachsender Teil der deutschen Wirtschaft ist heute daher als Folge eigenständiger Projekte mit nach Bedarf wechselnden Teilnehmern organisiert. Dieses Wertschöpfungsmuster passt sich der gestiegenen (Wissens-) Dynamik der Wirtschaft flexibler an, beschleunigt den Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ und hilft, unnötige Fixkosten zu vermeiden. Zudem reduziert es die Markteintrittsbarrieren für den einzelnen Projektpartner: Die Kapitalkosten können geteilt werden.“ Eine innerbetriebliche Vermessung der Projektwirtschaft zeigt drei Jahre später auf, dass in vielen Betrieben Deutschlands die Projektarbeit große Teile der Organisation durchdrungen hat und weiter auf dem Vormarsch ist [7]. So gaben ungefähr drei Viertel der befragten Entscheider an, dass zum Zeitpunkt der Befragung in ihrem Unternehmen bereits projektwirtschaftliche Strukturen etabliert und schon ungefähr 37 Prozent aller Arbeitsabläufe projektwirtschaftlich organisiert waren. Dabei werden vor allem innovative Problemstellungen, wie z. B. die Einführung neuer Prozesse und Abläufe bzw. die Entwicklung neuer Produkte oder Services in Form von Projekten realisiert. Hingegen werden Projekte weit weniger für administrative Aufgaben eingesetzt, die vor allem verlässliche und feste Regelungen in einem dauerhaften Rahmen erfordern. Projekte bieten dagegen den Vorteil, dass Projektteams lösungsorientierter agieren können, eine höhere Identifikation mit ihren Zielen und Zielvorgaben haben sowie selbstständiger arbeiten. Betriebliche Projektwirtschaft ist abteilungsübergreifend und führt das zur Beantwortung neuer Fragestellungen notwendige Know-how aus unterschiedlichen internen wie externen Bereichen in Projekten zusammen. Auch die 2013 durchgeführte und 2015 veröffentlichte Studie der GPM zum Ausmaß der Projektifizierung in der deutschen Wirtschaft zeigt ein Anwachsen des Anteils der Arbeitszeit auf, die in Projekten im Vergleich zur Gesamtarbeitszeit verbracht wird, nämlich von 34,7 % 2013 auf 41,3 % 2019. Die These einer weiter zunehmenden Projektifizierung der Wirtschaft kann damit bestätigt werden, wenngleich das Ausmaß der Projektifizierung von Branche zu Branche deutlich schwankt. Am höchsten ist der Anteil in den Wirtschaftsbereichen „Baugewerbe“, „Unternehmensdienstleister“, „Handel / Verkehr / Gastgewerbe“, „Produzierendes Gewerbe“ sowie „Information und Kommunikation“. Dort scheint der Bedarf an wissensintensiver Zusammenarbeit für den Unternehmenserfolg am größten zu sein. Dagegen folgt der Bereich „Öffentlicher Dienst / Erziehung / Gesundheit“ mit deutlichem Abstand und hat insgesamt in Sachen Projektifizierung großen Nachholbedarf [4]. In unserer, im Jahr 2021 durchgeführten Umfrage [5] wurde auch nach möglichen Auslösern für die zunehmende Projektifizierung in Deutschland gefragt. Dabei landete „Digitalisierung“ mit deutlichem Abstand vor allen anderen Faktoren. Entsprechende Projekte sind Auslöser für die Projektifizierung in der Wirtschaft wie auch in anderen Bereichen der Gesellschaft. Danach folgen Themen wie z. B. „Nachhaltigkeit“ und „Klimawandel“, wobei diese sicher eng miteinander verbunden sind und Auslöser für Projekte in sehr unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft darstellen. Eher abgeschlagen landen „Individualisierung“ und „Globalisierung“ am Ende der Liste. Projektifizierung der Gesellschaft in Deutschland-- Status quo und Trends Bei unserer Befragung zur Projektifizierung der Gesellschaft in Deutschland haben wir zur begrifflichen Klärung auf Maylor et al. [8] zurückgegriffen, die das Phänomen als „Vereinnahmung vieler Lebensbereiche durch projektbezogene Prinzipien, Regeln und Techniken-… sowie die damit einhergehenden Veränderungen in den Bereichen Macht, Politik, Wissen und Normen“ beschrieben haben. Jensen et al. gehen mit ihren Ausführungen sogar noch weiter und schreiben [9]: „Projekte sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Sie durchdringen das, was wir tun, wie wir sprechen, wie wir über unsere täglichen Aktivitäten denken, wie wir unsere Identitäten konstruieren und letztlich, wer wir sind“ (siehe hierzu auch das Interview in dieser Ausgabe der PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL). Auf die Frage, wie stark sich die Projektifizierung insgesamt auf die Gesellschaft in Deutschland auswirkt, haben die Befragten auf einer Skala von 0 (überhaupt kein Einfluss) bis 100 (sehr hoher Einfluss) für das Jahr 2016 („vor 5 Jahren“) einen Wert von 49, für das Jahr 2021 („Aktuell“) den Wert von 61 und für das Jahr 2026 („in 5 Jahren“) einen Wert von 76 angegeben (siehe Abb. 1). Die Projektifizierung hat damit in den letzten Jahren deutlich zugenommen und wird auch zukünftig weiter an Einfluss gewinnen. Das jährliche Wachstum beträgt knapp 3 % und stimmt mit der Studie der GPM in Bezug auf die deutsche Wirtschaft überein, die ebenfalls einen Zuwachs von knapp 3 % vorausgesagt hat [10]. Die Ergebnisse unserer Studie zeigen deutliche Unterschiede bei der Ausprägung der Projektifizierung in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen (siehe Abb. 2). So wirkt sich die Projektifizierung vor allem auf die Wirtschaft aus, gefolgt mit großem Abstand von der Öffentlichen Verwaltung, dem „ehrenamtlichen / sozialen Engagement“ und Bereichen wie Freizeit, Sport, Kunst und Kultur. Schon die breit angelegte Studie der GPM zur Vermessung der Projekttätigkeit in der Wirtschaft Deutschlands im Schwerpunkt | Projektifizierung der Gesellschaft in Deutschland-- Status, Trends und Akteure 21 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0005 Jahr 2015 hat ergeben, dass der Anteil der Projektarbeit an der Gesamtarbeitszeit im produzierenden Gewerbe deutlich höher ist als der in der Öffentlichen Verwaltung. Aufschluss können dabei vielleicht auch die Ursachen für die zunehmende Projektifizierung der Gesellschaft in Deutschland geben. Hier können die zuerst genannten Punkte vor allem der Wirtschaft zugeordnet werden, darunter „steigende Komplexität“, „Digitalisierung“, „Innovationsbedarf“, „Effizienzdruck“ sowie „Veränderungsbedarf“. Erst mit Abstand werden gesellschaftliche Herausforderungen, soziale wie auch persönliche Gründe für die Zunahme der Projektifizierung in der Gesellschaft genannt. Eine mögliche Schlussfolgerung ist, dass Projektifizierung vorrangig durch die Herausforderungen der Wirtschaft angetrieben bzw. durch deren Akteure adressiert wird. Zu beachten ist jedoch, dass von den 200 Befragten in der Studie mehr als zwei Drittel aus der Wirtschaft kamen. Betrachtet man die Analyseergebnisse zur Projektifizierung in unserer Gesellschaft, ausgehend von der Studie der DB Research-Studie 2007 über die betriebliche Vermessung der Projektwirtschaft 2010 und der GPM Studie zur Projektifizierung der deutschen Wirtschaft im Jahr 2015 bis zu unserer aktuellen Studie des Phänomens in der Gesellschaft Deutschlands, so fällt auf, dass die Projektifizierung deutlich zunimmt. Sie wirkt sich vor allem in der Wirtschaft durch steigende Anforderungen in den Bereichen Innovation, Komplexität, und Effizienz sowie aktuellem Handlungsbedarf in Bezug auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit aus. Auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen steigt das Bewusstsein für Projekte und professionelles Management als Lösungsansatz. Jedoch hinken die Öffentliche Verwaltung und andere Bereiche der Wirtschaft hinterher. Dies gibt angesichts der vielfältigen Her- Abbildung. 1: Auswirkungen der Projektifizierung im Verlauf der Zeit Abbildung 2: Auswirkungen der Projektifizierung auf gesellschaftliche Bereiche ausforderungen unserer Gesellschaft zu denken und erfordert Maßnahmen der relevanten Akteure, um das Bewusstsein in der Gesellschaft zu steigern, dass mit Projektmanagement ein geeigneter Ansatz zur Lösung anspruchsvoller Aufgaben in der Wirtschaft erprobt ist, der sich auf andere gesellschaftliche Bereiche übertragen lässt. Der Einfluß verschiedener Akteure auf die Projektifizierung Unsere Studie zur Projektifizierung der Gesellschaft in Deutschland widmete sich auch dem Einfluss unterschiedlicher Akteure. Dabei wurde zwischen individuellen und organisatorischen Akteuren sowie institutionellen Feldern unterschieden. Bei den individuellen Akteuren ging es u. a. um Vorbilder, Persönlichkeiten oder Experten. Unter den zur Auswahl gestellten individuellen Akteuren mit besonderem Einfluss auf die Projektifizierung der Gesellschaft wurden Vorzeigeunternehmer, wie z. B. Elon Musk, mit großem Abstand vor Aktivisten, wie z. B. Greta Thunberg von Fridays for Future, und Ministern der Bundesregierung eingeordnet. Die Verbandsfunktionäre landeten dagegen auf den hinteren Rängen. Bei den organisatorischen Akteuren belegten Vorzeigeunternehmen, wie z. B. Siemens, mit klarem Abstand den ersten Platz, gefolgt von Dienstleistern, wie z. B. Beratungs- und Trainingsanbietern und Bildungseinrichtungen, wie z. B. Hochschulen und Universitäten. Auch hier landeten Verbände und Behörden am unteren Ende der Rangfolge. Schließlich wurden auch institutionelle Felder betrachtet. Damit sind z. B. spezifische Branchen, Berufsgruppen, Cluster oder Netzwerke gemeint. In der Befragung wurden Berufsgruppen, wie z. B. IT-Projektmanager, Branchen, wie z. B. die Baubranche, und Konzerne, wie z. B. Volkswagen mit großem Einfluss auf die Projektifizierung mit den ersten drei Rängen belohnt, wohingegen Cluster, wie z. B. das Münchner Bio-Tech Cluster, und Netzwerke, wie z. B. das Forschungsnetzwerk Wasserstoff weiter hinten landeten. Insgesamt dominiert die Wirtschaft das Feld der einflussreichsten Akteure. So werden Vorzeige-Unternehmen bzw. -Unternehmer bei organisatorischen und individuellen Akteuren mit dem jeweils größten Einfluss auf die Projektifizierung der Gesellschaft eingeschätzt. Bei den institutionellen Feldern befinden sich sogar gleich drei der Wirtschaft zugehörige Akteure an der Spitze, nämlich die Berufsgruppen, Branchen und Konzerne. Dies passt einerseits zu der weiter oben schon erwähnten Teilnehmerstruktur der Studie, andererseits spiegelt sich darin auch ein fehlendes (Selbst-)Bewusstsein Schwerpunkt | Projektifizierung der Gesellschaft in Deutschland-- Status, Trends und Akteure 22 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0005 in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu den Möglichkeiten bzw. dem Einfluss auf die Projektifizierung der Gesellschaft. Interessant ist auch, dass Verbände wie z. B. die GPM nur an vorletzter Stelle der organisatorischen Akteure eingeordnet werden. Dies steht im Widerspruch zu dem Einfluss, den die Literatur den Verbänden im Zusammenhang mit einer zunehmenden Projektifizierung zuschreibt [11]. Schließlich hat uns noch interessiert, mit welchen Institutionen und Aktivitäten die Projektifizierung der Gesellschaft vorangebracht werden kann. Zur Auswahl standen dabei regulative, normative und kulturell-kognitive Institutionen. Regulativ wirken beispielsweise Gesetze, Verordnungen und Richtlinien auf die Akteure ein, diese werden vorgegeben, überwacht und sanktioniert. So fordert z. B. in einigen europäischen Ländern der Gesetzgeber bei der Umsetzung von Projekten der öffentlichen Hand ein anerkanntes Projektmanagement-Zertifikat des Ausführenden. Zu den normativen Institutionen zählen typischerweise Normen, Standards und Zertifikate. Sie wirken durch eine soziale bzw. moralische Verpflichtung auf die Handelnden. In der Praxis werden z. B. häufig die Projektmanagement-Normen des Deutschen Instituts für Normung e. V. (DIN) bzw. der Kompetenzstandard ICB 4.0 von GPM und IPMA in Projekten angewendet. Kulturell-kognitive Institutionen sind die in einer Gesellschaft geteilten Ansichten, Glaubenssätze und Werte. Diese wirken sich häufig unbewusst auf die Handlungen der Akteure aus und werden wie selbstverständlich akzeptiert. Dazu zählen u. a. das Image von Projekten, die Rolle von Vorbildern in der Gesellschaft sowie die Narrative, die man sich zu Projekten erzählt, die sich verbreiten und so möglicherweise die Umgangssprache beeinflussen. Bei der Projektifizierung der Gesellschaft kommt gerade den kulturell-kognitiven Institutionen laut unserer Befragung der größte Einfluss zu, gefolgt von den normativen und regulativen Institutionen sowie den darauf bezogenen Aktivitäten. Dies erscheint überraschend, da vor allem der „Pull-Effekt“ kulturell-kognitiver Ansichten die Gesellschaft in der Projektifizierung voranbringt und weniger die Anforderungen von Normen, Regelwerken und Vorschriften. So wird z. B. der Unternehmer Elon Musk dafür bewundert, mit welcher Geschwindigkeit er es schafft, in Deutschland ein Werk zur Fertigung von Fahrzeugen und Batterien zu errichten, auch wenn dafür bislang noch keine Genehmigung vorliegt. Und dies alles unweit vom Berliner Großflughafen BER, der allzu häufig als schlechtes Beispiel für Projekte und Projektmanagement in Deutschland herhalten muss und trotz seiner Fertigstellung auch weiterhin für negative Schlagzeilen sorgt. Die Rolle der GPM für die Projektifizierung in Deutschland Die GPM hat mit einer Vielzahl von Aktivitäten seit ihrer Gründung im Jahr 1979 dazu beigetragen, das Projektmanagement in Deutschland zu verbreiten. Laut Satzung ist der Zweck des gemeinnützigen Vereins die Förderung des Projektmanagements, insbesondere der Aus- und Weiterbildung sowie der Forschung und Information auf diesem Gebiet. Dabei stand vor allem die Wirtschaft mit den Unternehmen im Fokus der Aktivitäten der GPM, z. B. durch die Entwicklung entsprechender PM-Standards, die dann mittels Qualifizierung und Zertifizierung in den Unternehmen durchgesetzt wurden. Auf Veranstaltungen, wie z. B. dem jährlich stattfindenden PM-Forum können sich Projektmanager über den aktuellen Stand im Projektmanagement informieren, sich vernetzen und sich zu den in Projekten gesammelten Erfahrungen austauschen. Dies geschieht auch in den deutschlandweit verteilten Fachgruppen und Regionen. In den letzten Jahren hat sich die GPM vermehrt in Berlin engagiert, um z. B. im Rahmen des Aktionsprogramms „Mit Projekten Deutschlands Zukunft gestalten“ gemeinsam mit Bund, Ländern und Kommunen die Frage zu klären, welchen Beitrag Projektmanagement leisten kann, die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu erhalten. So stehen zahlreiche Zukunftsaufgaben an, die auch im Koalitionsvertrag der an der Bundesregierung beteiligten Parteien aufgeführt sind. Das Aktionsprogramm bringt die neuen Anforderungen wie folgt auf den Punkt: „Zunehmende Komplexität, Dynamik, Unsicherheit und krisenhafte Zuspitzungen erhöhen die Anforderungen an die Flexibilität und Reaktionsfähigkeit von Staat und Wirtschaft. Ein Schlüssel für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunftsfähigkeit liegt in unserer Kompetenz, Veränderung zu gestalten und Ideen und Initiativen in Projekten umzusetzen.“ [12] Welchen gesellschaftlichen und gemeinwohlorientierten Beitrag die GPM zusammen mit ihren Mitgliedern und relevanten Stakeholdern in der Lage ist zu leisten, hat sich beispielsweise im Rahmen der Flüchtlingskrise von 2015 bis 2017 gezeigt [13]. Die vielfältigen Aktivitäten der GPM für das Projektmanagement werden jedoch in der Gesellschaft anders wahrgenommen. So sehen die Teilnehmer unserer Befragung nur einen geringen Einfluss der GPM auf die Projektifizierung der Gesellschaft. Sie wünschen sich jedoch in Zukunft einen deutlich größeren Einfluss. Die Auswertung der Daten legt eine neue strategische Ausrichtung der GPM nahe, die vor allem Aktivitäten auf dem Gebiet der kulturell-kognitiven Institutionen stärken sollte, u. a. durch eine deutlich intensivere Öffentlichkeitsarbeit, einen stärkeren Einfluss auf Bildungseinrichtungen und durch eine stärkere Zusammenarbeit mit den Ministerien auf Bundes- und der Landesebene. Dabei scheint es besonders wichtig zu sein, ein positives Image von Projekten zu prägen und Projekte als geeignetes Mittel zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen herauszustellen. Hierfür kann die GPM beispielsweise den Project Excellence Award nutzen. Die GPM sollte sich auch stärker in sozialen Projekten engagieren und damit ihrer Vorbildrolle gerecht werden. Hier ist das Flüchtlingsprojekt der GPM sicherlich wegweisend. So kann sich die GPM in Zukunft noch deutlich stärker in sozialen Projekten und in der Entwicklungshilfe engagieren bzw. Bürgerinitiativen wie Fridays for Future oder Corporate Social Responsibility-Initiativen der Wirtschaft unterstützen (siehe hierzu auch die weiteren Beiträge in dieser Ausgabe der PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL). Fazit Projekte erfreuen sich einer zunehmenden Beliebtheit in Deutschland. In den letzten Jahren sind die Anzahl und Bedeutung von Projekten insbesondere in den Unternehmen der Wirtschaft kontinuierlich angestiegen und haben dort zu Veränderungen geführt. Dieses Phänomen, das durch Christophe Midler im Jahr 1995 erstmals beschrieben und mit dem Begriff „Projektifizierung“ bezeichnet wurde, hat sich inzwi- Schwerpunkt | Projektifizierung der Gesellschaft in Deutschland-- Status, Trends und Akteure 23 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0005 schen über die Wirtschaft hinaus in alle Bereiche unserer Gesellschaft ausgebreitet. Jedoch gibt es in diesem Zusammenhang noch kaum empirische Forschung, die den aktuellen Stand, die Trends und wesentliche Akteure beschreibt. Dieser Artikel fasst die wichtigsten Erkenntnisse einer ersten empirischen Studie zum Thema zusammen und geht der Frage nach, wie weit die Projektifizierung in der Gesellschaft schon entwickelt ist, welche Entwicklungen in der Zukunft noch zu erwarten sind und welche Akteure hierbei eine Rolle spielen. Die Projektifizierung ist in Deutschland in der Wirtschaft schon weit fortgeschritten und entwickelt sich auch in den kommenden Jahren weiter. Gesellschaftliche Bereiche wie „öffentliche Verwaltung“, „ehrenamtliches / soziales Engagement“ und „Freizeit, Sport, Kunst und Kultur“ hinken dagegen bei der Projektifizierung hinterher und sollten weiter gefördert werden. Aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen in Deutschland, wie z. B. die Bewältigung der andauernden Covid-19-Pandemie und der Flutkatastrophe sowie der Umgang mit den Folgen der Klimakrise, sind eigentlich idealer Nährboden für Projekte und professionelles Projektmanagement. In Deutschland tritt jedoch immer deutlicher eine Kluft zwischen den Projektaktivitäten der Wirtschaft, der Öffentlichen Hand und dem ehrenamtlichen / sozialen Engagement zu Tage. So wurde zwar von BioNTech in Rekordzeit ein hoch wirksamer Impfstoff gegen Covid-19 entwickelt, die Verteilung und Verabreichung gelang jedoch erst nach der Überwindung einer Vielzahl von organisatorischen Schwierigkeiten. Größten Einfluss auf den Prozess der Projektifizierung haben vor allem Unternehmer und Unternehmen, die als Vorbild in der Gesellschaft für eine erfolgreiche Umsetzung von Projekten gesehen werden. Als Beispiel mögen hier die BioN- Tech-Gründer Özlem Türeci und Uğur Şahin dienen [14]. Prägend für die Projektifizierung in Deutschland sind weniger die regulativen und normativen Institutionen der Gesellschaft, sondern vor allem kulturell-kognitiven Institutionen mit den darauf ausgerichteten Aktivitäten. So kann die GPM als Fachverband dabei helfen, das positive Image von Projekten in der Öffentlichkeit zu prägen, die Vorbilder und Narrative für erfolgreiche Projekte herauszustellen und generell das Bewusstsein für Projekte und Projektmanagement als Lösungsansatz zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen zu fördern. Literatur [1] Midler, C. (1995): “Projectification” of the Firm: The Renault Case. In: Scandinavian Journal of Management 11 (4), S. 363-375 [2] Kuura, A. (2020): 25 Years of Projectification Research. In: PM World Journal IX (8) [3] Braun T., Sydow J. (2019): Projektmanagement und temporäres Organisieren, Stuttgart, Kohlhammer [4] Wald, A., Spanuth, T., Schneider, C., Futterer, F., Schnellbächer, B. (2015): Makroökonomische Vermessung der Projekttätigkeit in Deutschland. Nürnberg, GPM [5] Wagner, R. (2021): Projektifizierung der Gesellschaft in Deutschland- - Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse einer Studie. https: / / www.gpm-ipma.de / know_ how / studienergebnisse.html; Stand: April 2021 Reinhard Wagner Reinhard Wagner ist Geschäftsführer der Tiba Managementberatung GmbH und unterstützt mittelständische Betriebe wie auch Konzerne auf dem Weg zur projekt-orientierten Unternehmung. Dabei bringt er 35 Jahre Erfahrung in verschiedenen Führungsbzw. Projektrollen und mehr als 20 Jahre ehrenamtliches Engagement in GPM, IPMA, DIN und ISO in seine Arbeit mit ein. Er hat bislang 40 Fachbücher zu den Themen Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement veröffentlicht und beschäftigt sich in seiner Forschung mit der Projektifizierung der Gesellschaft. eMail: reinhard.wagner@tiba.de Tiba Managementberatung GmbH, Perchtinger Straße 10, 81 379 München [6] Hofmann, J., Rollwagen, I., Schneider, S. (2007): Deutschland im Jahr 2020. Neue Herausforderungen für ein Land auf Expedition. Frankfurt am Main, Deutsche Bank Research [7] Rump, J., Schabel, F., Alich, D., Groh, S. (2010): Betriebliche Projektwirtschaft. Eine Vermessung. Mannheim, Hays [8] Maylor, H., Brady, T., Cooke-Davies, T., Hodgson, D. (2006): From Projectification to programmification. International Journal of Project Management 24, S. 663-674 [9] Jensen, A. F., Thuesen, C., Geraldi, J. (2016): The Projectification of Everything: Projects as a Human Condition. Project Management Journal 47 (3), S. 21-34 [10] Wald, A., Spanuth, T., Schneider, C., Schoper, Y. (2015): Towards a Measurement of “Projectification”: A Study on the Share of Project Work in the German Economy. In: Wald, A., Wagner, R., Schneider, C., Schwendtner, M. (Eds.): Advanced Project Management (Vol. 4). Flexibility and Innovative Capacity. Nuremberg, GPM, S. 18-36 [11] Hodgson, D., Muzio, D. (2012): Prospects for Professionalism in Project Management. In: Morris, P. W. G., Pinto J. K., Söderlund, J. (Eds.): The Oxford Handbook of Project Management. Oxford, Oxford University Press, S. 107-130 [12] GPM: Aktionsprogramm „Mit Projekten Deutschlands Zukunft gestalten“. https: / / www.gpm-ipma.de / know_ how / aktionsprogramm.html; Stand: Dezember 2021 [13] GPM: Das GPM Flüchtlingsprojekt von 2015 bis 2017. https: / / www.gpm-ipma.de / know_how / gpm_fluechtlingsprojekt.html; Stand Dezember 2021 [14] Miller, J., Türeci, Ö., Sahin, U. (2021): Projekt Lightspeed. Der Weg zum BioNTech-Impfstoff-- und zu einer Medizin von morgen. Hamburg, Rowohlt Eingangsabbildung: © iStock.com / MF3d 24 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0006 Schwerpunkt: Projektmanagement für die Gesellschaft Reinhard Wagner Dass Projekte ein weit verbreitetes Phänomen in unserer Gesellschaft sind, ist nicht erst seit der Hornbach-Werbung „Mach Deinen Vorsatz zum Projekt“ bekannt. Schaut man genau hin, dann findet man ein Kaleidoskop von Anwendungen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Auf den folgenden Seiten geben wir Einblicke in einige Anwendungsbereiche von Projekten in unserer Gesellschaft. Den Auftakt bildet ein Interview mit dem dänischen Philosophen Anders Fogh Jensen, der Projekte als die ständige Suche des Menschen nach Verbindung und gemeinsamer Aktivität auf Zeit beschreibt. Danach folgt ein Interview mit der Fridays for Future-Aktivistin Clara Duvigenau, die Projekte als geeignete Organisationsform zur Durchsetzung ihrer Ziele auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene sieht. Auch der FC Augsburg nutzt Projekte für sein gesellschaftliches Engagement zur Lösung sozialer und ökologischer Herausforderungen. Der Geschäftsführer Michael Ströll gibt Einblicke in die Aktivitäten des Bundesligisten. Ein Interview beleuchtet die Projektarbeit zweier Betriebsgesellschaften der Lebenshilfe-- den Hagsfelder Werkstätten und Wohngemeinschaften Karlsruhe gGmbH mit dem Inklusionsunternehmen worKA gGmbH. Rede und Antwort standen uns dabei Michael Auen, 1. Vorstand der Lebenshilfe Karlsruhe, Ettlingen und Umgebung e. V. sowie die Personalreferentin Julia Strang. Den Abschluss bilden zwei Beispiele aus der internatio nalen Entwicklungshilfe. So gibt Alexander Talmon-l’Armée Einblicke in seine Arbeit in Programme der Entwicklungshilfe in Afrika, wo er durch die Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort die Migration der Menschen nach Europa vermeiden soll. Schließlich zeigt Tina Lindgren am Beispiel der gemeinwohlorientierten Organisation „Water Air & Food Award (WAFA)“, wie Projekte von „Stillen Helden“ mit einem Award zur Nachahmung empfohlen werden. Sicherlich ist dies nur eine kleine Auswahl von Projekten, sie zeigt aber eindrücklich auf, wie das Phänomen in unserer Gesellschaft genutzt wird, um etwas zu bewegen und einen konkreten gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Jeder Projektmanager kann hier seinen Beitrag leisten und sich gemeinwohlorientiert engagieren. In diesem Sinne „Happy Projects“! Eingangsabbildung: ©iStock.com/ BorisRabtsevich Interview mit Anders Fogh Jensen „Projekte sind die wichtigste Form der Organisation von Aktivitäten in einer Welt, die vom Neuen, von der Innovation besessen ist“ Was hat Sie als Philosoph an den Fragen zu Projekten im Kontext unseres Lebens und der Gesellschaft gereizt? Seit einigen Jahren beschäftige ich mich mit Michel Foucault, vor allem mit den unveröffentlichten Manuskripten und Vorlesungen, und ich suchte nach einem anderen Ausweg aus dem, was er die Disziplinargesellschaft nannte, als das, was er ‚Sicherheitsvorkehrungen‘ nannte. Ich suchte nach einer Antwort auf die Frage: Worin besteht die post-disziplinäre Gesellschaft? Und da das Wort ‚Projekt‘ überall auftauchte, fand ich, dass, wenn ich es in die Mitte meines Kaleidoskops stellte, sich die zeitgenössischen Phänomene schön darum herum anordneten. Einige Philosophen- - und ich gehöre zu ihnen- - versuchten, die Kohärenz zwischen den Bereichen in einer umfassenderen Theorie zu erklären, und mir wurde schnell klar, dass die Entwicklung anderer Bereiche derjenigen von Organisationen und Unternehmungen folgte, z. B. Tanz, Fußballstrategien, Sportformen, Sozialpolitik, Architektur, Pädagogik, Einzelleben und Kriegsführung. Die Entwicklung des Kapitalismus, die Boltanski und Chiapello aufzeigen, Schwerpunkt | Projektmanagement für die Gesellschaft 25 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0006 ist inspirierend, aber ich interessierte mich eher für kulturelle Formen des Handelns als für das bloße Management von Projekten. Drittens sah ich, dass die wichtigsten philosophischen Kontexte wie z. B. Raum, Zeit, Beziehungen und Aktivitäten ihre Rollen veränderten, so dass es sich auch um eine philosophische Theorie über den Wandel der (westlichen) Kultur und Zivilisation seit dem Zweiten Weltkrieg handeln könnte. Was meinen Sie, wenn Sie sagen, dass Zeit, Raum, Beziehungen und Aktivitäten ihre Rollen verändert haben? In der Disziplinargesellschaft- - wie auch im Industriezeitalter-- wurden Zeit, Raum und Beziehungen festgelegt, bevor die Aktivität begann. Zum Beispiel wurden vor einem „Lasst den Tanz beginnen! “ eine Tanzfläche, eine Anzahl von Tänzen mit einer bestimmten Abfolge und den jeweiligen Tanzpartnern festgelegt. In der Projektgesellschaft fordert man jedoch niemanden zum Tanzen auf, man verbindet sich durch seinen Tanz mit mehreren Partnern, und die Beziehungen sind offen, da man sich nicht an den Händen hält. Auf einer Party oder einem Konzert öffnet man den Tanzraum durch seine Aktivität, die Tanzbewegungen, und dieser Raum ist nur so lange offen, wie die Aktivität andauert, danach schließt er sich: Die Tanzzeit ist auch mit der Aktivität verbunden. Um sich mit anderen zu verbinden und Beziehungen zu pflegen, muss man weitertanzen. Das gilt auch für die Arbeit: Die jeweiligen Arbeitskollegen sind durch ihre Tätigkeiten miteinander verbunden; sie sind nicht immer auf das Projekt festgelegt. Sie müssen aktiv sein und Vorschläge machen, um im Projekt zu bleiben. Das Projekt ist so lange offen, wie es Aktivität gibt-- und es kann an mehreren Stellen offen sein, wenn die Aktivität das Projekt öffnet. Wenn es keine Aktivität gibt, wird es geschlossen. Die Tätigkeit als solche ist primär von Zeit, Raum und Beziehungen abhängig geworden. Und man muss in der Lage sein, Initiativen zu ergreifen und Vorschläge zu machen, um weiter Verbindungen herzustellen und Projekte zu eröffnen. Deshalb sind Depression und Burnout ein doppeltes Leiden: Neben dem Mangel an Leid und der fehlenden Leidenschaft wird auch die Möglichkeit, sich wieder zu verbinden, eingeschränkt. Welche Rolle spielen Projekte für uns, auf persönlicher, beruflicher und sozialer Ebene? Auf allen drei Ebenen ist es die Form, in der wir uns selbst und mit anderen beschäftigen. Es ist die wichtigste Form der Organisation von Aktivitäten in einer Welt, die vom Neuen, von der Innovation besessen ist. So gestalten wir unser persönliches Leben in zeitlich begrenzten Projekten. Wir können Projekte in der Ausbildung und im Berufsleben nicht vermeiden. Selbst wenn wir uns mit anderen im sozialen Leben beschäftigen, suchen wir nach neuen Verbindungen und betrachten diese als zeitlich begrenzt. Das zeitgenössische Phänomen der ‚Singles‘ ist vielleicht eines der bedeutendsten Beispiele für eine soziale Struktur, die auf vielen wechselnden, temporären Verbindungen beruht. Was bringt uns Menschen dazu, uns so zu verhalten? Man könnte auch sagen, dass es ein Zustand ist, der sich selbst reproduziert. Wenn man keine langfristigen Versprechungen machen kann, dann richtet man seine Absichten auf vorübergehende Bedingungen aus. Und für einige wird es zu einer Vorliebe, sich vorübergehend und mehrfach zu engagieren. Für andere wird es einfach zu einer Bedingung. Der ‚Freiberufler‘ könnte sowohl frei als auch eine Person sein, die sich den Bedingungen anpasst, als eine Art ‚Ich AG‘. Welche Vorteile und Risiken bringt die Zunahme von Projekten mit sich, für uns persönlich und für die Gesellschaft? Die Kehrseite von Wiederholungen ist Langeweile. Und da Projekte niemals wiederholt werden sollten, sind sie für Menschen geeignet, die Langeweile fürchten. Wie oben erläutert, eignen sie sich auch für Innovation (und damit, wie Schumpeter es formulierte, für kreative Zerstörung). Das Leben in Projekten und in Teams ist abwechslungsreich und damit für viele Menschen sehr viel spannender. Auf der anderen Seite kann dieses Leben sehr oberflächlich sein, wenn man sich mit neuen Projekten und vielfältigen Beziehungen herumschlägt. Wenn man mit seinen Kollegen nicht einverstanden ist, gibt es keinen Grund, dies mit ihnen zu klären, da man ja auch nur für eine begrenzte Zeit als Team zusammen ist. Die zeitliche Begrenzung von Projekten wirft jedoch das Problem der ‚Passage‘ auf: Was soll ich danach tun? Was wird kommen? Der Übergang aus Projekten in die Routinewelt wurde schon immer als gefährlich und unsicher angesehen. Deshalb haben wir das ‚Ritual der Passage‘, um eine gewisse Ordnung über die verschiedenen Passagen unseres Lebens sicherzustellen. Aber so wie temporäre Projekte zu einem Zustand geworden sind, so ist auch das Gefährliche und Instabile zu einem Zustand geworden. Die Instabilität bestimmt das Klima in der Projektgesellschaft. In einer Projektgesellschaft verschwindet auch die Bedeutung von ‚Nein‘. Man hat keine Angst mehr vor dem ‚Nein‘ (z. B. gefeuert zu werden), man hat eher Angst davor, das ‚Ja‘ des anderen nicht zu bekommen, und man kämpft um das ‚Ja‘ (z. B. das Ja zu einem neuen, zeitlich begrenzten Projekt). Dies führt zu einer sehr bejahenden und oberflächlichen Kultur, in der sich jeder bejahend verhält und lächelt, auch wenn dies nicht den inneren Gefühlen entspricht. Wie können wir uns auf diese Zunahme der Projekte einstellen, was müssen wir neu lernen und was müssen wir vielleicht verlernen? Wir müssen einige unserer existentiellsten Bedürfnisse loslassen. Beispielsweise das Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit. Sicherheit wird nicht mehr durch die Wiederholung des Bekannten (wie dem Gehaltszettel, der lebenslangen Ehe oder einfach dem Gottvertrauen in die bereits erlebte Welt) vermittelt, und damit verschwindet auch das Gefühl für Sicherheit. Wir müssen die Sicherheit in der Wahrscheinlichkeit TV: https: / / www.filosoffen.dk / sprog / english / the-project-society-ii-tv/ Video: https: / / www.filosoffen.dk / sprog / english / the-project-society-i-video/ Buch: https: / / www.amazon.com / Project-Society-Anders-Fogh-jensen / dp / 8 779 347 223 Artikel: https: / / www.filosoffen.dk / sprog / english / the-project-society / projects-of-time-and-space-paper/ Schwerpunkt | Projektmanagement für die Gesellschaft 26 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0006 denken, und die Vergrößerung der Wahrscheinlichkeit durch Quantität. Wahrscheinlichkeit von was? Die Wahrscheinlichkeit des Übergangs zu einem neuen zeitlich begrenzten Projekt oder einer neuen Phase. Wie können wir diese erhöhen? Zum Beispiel, indem wir die Anzahl der Verbindungen erhöhen durch Vernetzung. Die sozialen Kompetenzen werden dann zur neuen Hierarchie. Ich vergleiche die Projektgesellschaft gerne mit einem lang andauernden Empfang. Sprich nie zu lange mit den Leuten, die du schon kennst, setz dich nie hin, das behindert deine Mobilität, sag nie Nein. Und am Ende des Tages brauchen wir alle immer noch Intimität und stabile Beziehungen, und nicht nur zukünftige Verbindungen-… Es liegt an jedem Einzelnen, wie er in der Lage ist, dies alles vernünftig auszubalancieren. Was ist mit den Schüchternen, den Menschen, die sich mit sozialer Kompetenz schwertun, die von anderen nicht akzeptiert werden? Werden sie die Ausgestoßenen der Projektgesellschaft sein? Schüchtern und sozial unsicher zu sein, bedeutet in der Projektgesellschaft keine Ausgrenzung, denn es gibt keine Ausgrenzung, sondern nur ‚Nicht-Eingliederung‘. Als ob das Nein zugunsten des Ja verschwunden wäre. Die Nicht-Eingliederung wird als Schweigen erlebt, das Telefon, das nicht klingelt, die E-Mail, die nicht ankommt, das Fehlen von ‚Likes‘. Und die schüchternen und sozial inkompetenten Menschen werden es schwer haben. Es sei denn, sie haben eine wirklich attraktive Kompetenz wie ein Programmierer oder sehen besonders schön aus. Die sozialen Medien haben viele aufregende Möglichkeiten zur Vernetzung geschaffen, aber auch Gefahren wie Sucht, Abhängigkeit von Algorithmen, Fake News oder Manipulation. Welche Kompetenzen sind in dieser projektifizierten Welt nötig? Wie oben bezüglich der Aktivität erklärt, muss die Aktivität auch auf allen sozialen Plattformen bereitgestellt werden. Um nicht vergessen zu werden, muss jeder die anderen an seine Existenz durch Aktivität erinnern, also z. B. durch regelmäßige ‚Updates‘. Wie Sie sagen, bringt dies auch die Kehrseite der Sucht zum Vorschein, und kann letztlich zu unsinnigem Aktionismus führen. Was müssen die Gesellschaft, ihre Institutionen und die öffentliche Verwaltung tun, damit sich die Projektifizierung in einem positiven Sinne entfalten kann? Die Gesellschaft, der Staat, kann nicht viel dagegen tun. Natürlich kann er Tinder verbieten, aber das wird das oberflächliche Leben nicht auslöschen. Er kann Leiharbeiter bzw. ‚Aushilfen‘ verbieten, die keine Lösung sind, sondern nur neue Probleme für Menschen schaffen, die auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen wollen. Das bedingungslose Grundeinkommen könnte einige Schäden abmildern. Und Projektunterricht in der Schule bereitet sicher Kinder und Jugendliche schon frühzeitig auf das Projektleben vor. Und dann kann jeder, so wie Sie und ich, die versteckten Spielregeln in einer Projektgesellschaft beleuchten, in der niemand bewusst Nein sagt, sondern eher Schweigen und Vergessen ein verstecktes Nein sind, auf dass sich die Menschen in der Projektgesellschaft besser zurechtfinden können. Sie haben einmal einen Ihrer Artikel mit ‘Projectification of Everything’ betitelt. Ist das die Zukunft unserer Gesellschaft, dass jeder immer und überall mit Projekten zu tun hat? Da ich meine bisherigen Bücher ‚Project Society‘ und ‚Project People‘ betitelt hatte, haben wir nach einem anderen Begriff gesucht. So ist dieser Titel entstanden. Im Grunde läuft es jedoch auf dasselbe raus. Man kann ‚Projektifizierung‘ als Prozess interpretieren, der sich entfaltet und uns zu einer Projektgesellschaft führt. Sind wir noch auf dem Weg oder sind wir schon angekommen? Ich glaube, wir sind angekommen. Das Thema ist heutzutage viel präsenter im Vergleich zu der Zeit vor vierzehn Jahren, als ich meine Doktorarbeit verfasst habe. Könnte die Gesellschaft heute noch projektifizierter sein? Sicherlich. Aber ich denke, das Wort ‚Projektifizierung‘ ist etwas, das in der Vergangenheit beginnt, seit den 1980er Jahren bis heute, und dessen Wurzeln sogar bis zu Pionieren wie Jean-Paul Sartre in den 1940er Jahren zurückreichen. Nun, da die Staats- und Regierungschefs der Welt in Glasgow zusammengekommen sind und viele Versprechungen gemacht haben, was bedeutet das für uns alle im Zusammenhang mit Projekten? Welchen Beitrag kann jeder von uns persönlich leisten? Hier haben wir ein praktisches Paradoxon. Die Arbeit mit den klimatischen Herausforderungen erfordert wirklich eine langfristige Perspektive. Und in der Projektgesellschaft haben die Menschen gelernt, langfristige Verpflichtungen zu vermeiden und persönlich wie auch kollektiv eher kurzfristig zu handeln. Natürlich können wir kurzfristig zugunsten des Klimas denken und handeln, aber ich denke, dass die Nationalstaaten besser beraten sind, dies in eine langfristige Planung einzubetten. Deshalb sehen wir derzeit den Einstieg in eine langfristige angelegte, klimafreundliche Politik, die mit kurzfristigen Projekten unterlegt wird. Die jüngere Generation ist ungeduldig, sie will sofort loslegen und nicht warten, bis diese langfristigen Pläne ausgearbeitet sind. Was raten Sie dieser Generation? Wenn Sie nach dem Zusammenhang zwischen Klimawandel und Projekten fragen, dann können entsprechende Projekte ein gutes Beispiel dafür sein, wie man den Einstieg in eine wirksame Veränderung hinbekommt. Daher kann ich der jüngeren Generation nur raten, viele Projekte durchzuführen bzw. klimafreundliche Räume, Zeiten und Beziehungen durch eine Vielzahl von Aktivitäten zu schaffen. Herzlichen Dank für das Gespräch! Schwerpunkt | Projektmanagement für die Gesellschaft 27 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0007 Interview mit Clara Duvigneau Clara Duvigneau „Es ist wichtig, dass sich Projektmanager*innen so gut wie möglich über die Klimakrise informieren und das erlangte Wissen in ihre konkreten Projekte einfließen lassen“ Was ist das Anliegen von „Fridays for Future" und wie realisiert ihr dieses Anliegen im Rahmen der Gesellschaft hier in Deutschland? Fridays for Future kämpft für Klimagerechtigkeit und damit unter anderem für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens. Das bedeutet konkret, dass wir von der Politik erwarten sich an die eigenen (Wahl-)Versprechen zu halten, nämlich die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels. Mit Klimagerechtigkeit meinen wir, dass Klimaschutz sozial gerecht und im Sinne der Generationengerechtigkeit umgesetzt werden soll, sowohl national als auch global. Wie organisiert ihr euch in Deutschland, um euer Anliegen voranzubringen und wie seid ihr international vernetzt? Es gibt viele Ortsgruppen in Deutschland. In denen können sowohl Lokalprojekte als auch die deutschlandweiten oder internationalen Ziele bestreikt werden. Delegierte aus den Ortsgruppen vernetzten sich auf der Bundesebene, die wiederum Menschen bestimmt, die für eine europäische und internationale Vernetzung zuständig sind, Welche Rolle spielen Projekte bei euren Aktivitäten? Könnt ihr kurz ein konkretes Projektbeispiel beschreiben? Fridays for Future hat dauerhaft unterschiedliche Projekte auf allen Ebenen laufen. Die können konkret in den Ortsgruppen ablaufen, wie z. B. Klimacamps (Beispiel Augsburg), an denen Menschen einen Ort des dauerhaften Protests errichten. Gleichzeitig gibt es deutschlandweite Projekte, wie in den letzten Wochen, z. B. die Ausarbeitung der Hundert-Tage-Forderungen an die neue Bundesregierung. Aber natürlich sind unserer Hauptprojekte die Demos, die jedes Mal einen hohen Organisationsaufwand mit sich bringen. Was können andere Bürger-/ Umweltinitiativen von euch lernen, was macht ihr aus eurer Sicht besonders gut? Was bei uns gut funktioniert, ist nahbar für die Menschen zusein. Wir formulieren und erklären die Klimakrise mit all ihren Facetten so, dass sie für alle Menschen verständlich wird. Wir erzählen von unseren persönlichen Enttäuschungen und Hoffnungen und wie wir politische Entscheidungen erleben. Außerdem versuchen wir möglichst viele junge Menschen zu begeistern und zu politisieren. Wo braucht ihr noch Unterstützung, um die Projekt und Aktivitäten von Fridays for Future noch wirksamer zu gestalten? Wir haben mittlerweile einiges an Reichweite erreicht, deutlich mehr, als einige von uns es sich zu Beginn überhaupt ausmalen konnten. Dennoch erlebe ich immer wieder, dass längst noch nicht alle Menschen verstanden haben, worum es bei der Klimakrise geht. Und da ist es sicherlich sehr hilfreich, wenn nicht sogar die Aufgabe von Akteur*innen mit Reichweite, die Menschen weiter aufzuklären. Menschen mit dem unbequemen Gedanken zu konfrontieren, dass die Klimakrise schon da ist und es in unserer Hand liegt, wie schlimm sie wird, sollte nicht nur durch uns, als Fridays for Future, passieren. Je breiter Klimakommunikation gestaltet wird, desto mehr Menschenwerden erreicht. Was sollte in der Gesellschaft, in der Politik, der Wirtschaft und der Öffentlichen Verwaltung verändert werden, damit wir noch wirksamer der Klimakrise begegnen können? Das wichtigste ist, die Klimakrise endlich als die Krise zu verstehen und anzugehen, die sie ist. Das muss in allen Institutionen ankommen, vor allem aber natürlich in denen der Regierung. Denn wenn wir ehrlich sind, die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie eine Bundesregierung aussieht, die eine Krise ernst nimmt. Das finde ich ziemlich erschreckend, denn wir sehen ja gerade, dass Krisenmagement möglich ist. Gleichzeitig haben sich alle demokratischen Parteien vor der Bundestagswahl zum 1,5-Grad-Ziel bekannt. Wenn man dann mal genauer hinschaut, wird schnell klar, dass die dort beschriebenen Maßnahmen absolut nicht ausreichen. Die Veränderung müsste also dahingehend kommen, dass endlich Konkretes umgesetzt wird und das so schnell wie möglich. Wir verfügen zum Glück über ausreichendes Wissen, wie diese Krise sinnvoll bekämpft werden könnte. Es scheitert nur an der Umsetzung. Was ist aus eurer Sicht beim Projektmanagement in Wirtschaft und Öffentlicher Verwaltung bzw. bei komplexen Vorhaben wie der Energiewende an Veränderungen nötig? Ein festgelegter CO 2 -Preis, der die wirklichen Umweltschäden inkludiert, würde schon vieles verändern, ohne dass an den einzelnen Projekten individuell gearbeitet werden müsste. Wenn dann auch noch eine gesetzliche Grundlage entsteht, die das vom Bundesverfassungsgericht festgelegte CO 2 -Budget einhalten würde, also der Menge CO 2 ,die wir in Deutschland ausstoßen dürfen, dann würden viele Projekte von Grund auf anders konzipiert werden. Ich bin mir relativ sicher, dass wenn sich die Gesetzeslage dahingehend ändern würde, wir Schwerpunkt | Projektmanagement für die Gesellschaft 28 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0008 damit eine viel sinnvollere Veränderung erwirken würden, als wenn einzelne Projekte selbst entscheiden dürfen, wie klimafreundlich sie konzipiert werden sollen. Wie kann euch die GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. mit den dort organisierten Projektmanagern helfen? Ich bin mir sicher, dass es hilfreich wäre, wenn Projektmanger*innen selbst eine gesetzliche Regulierung einfordern würden. Denn Klimaschutz auf die Schultern von Einzelpersonen und einzelnen Akteur*innen abzuwälzen, funktioniert, wie wir seit Jahren sehen, nicht. Solange dieser politische Prozess läuft, ist es natürlich trotzdem relevant, dass sich Projektmanger*innen so gut wie möglich über die Klimakrise informieren und das erlangte Wissen in ihre konkreten Projekte einfließen lassen. Denn mit einem solchen Projekt kommt natürlich immer auch Verantwortung. Welche Rolle seht ihr generell für Projektmanager angesichts der vielen gesellschaftlichen Herausforderungen? Ich kann mir vorstellen, dass man in einer solchen Position viele Interessen berücksichtigen muss, weshalb es sicherlich oft nicht einfach ist, die Klimakrise ausreichend zu berücksichtigen. Umso wichtiger ist die Tatsache, dass Sie, als Projektmanger*innen, mit für die gesetzlichen Rahmenbedingungen kämpfen, die bei solchen Projekten relevant sind. Denn wenn diese so ausgearbeitet sind, dass sie 1,5-Grad-konform sind, dann ist damit eine fundamentale Basis geschaffen, um kommende Projekte klimafreundlich umzusetzen. Clara Duvigneau, 19 Jahre alt, ist Studentin an der Technischen Universität Berlin und Fridays for Future Aktivistin aus Berlin. Zu ihren Projekten gehört unter anderem die Organisation und Moderationen von Demonstrationen sowie ab und an Pressearbeit für die Bewegung. Außerdem hat sie dieses Jahr mit fünf anderen Menschen das Klimagerechtigkeitscamp Berlin auf die Beine gestellt und war vier Wochen vor Ort Ansprechperson für Presse und Programmorganisation. Michael Ströll Interview mit Michael Ströll „Brücken bauen. Menschen bewegen. Umwelt schützen.“-- das Motto des FC Augsburg" Der FC Augsburg will die Kraft des Fußballs nutzen und seine gesellschaftliche Verantwortung noch stärker wahrnehmen, um einen spürbaren Beitrag zur Lösung von sozialen und ökologischen Herausforderungen zu leisten. Unter dem Motto „Brücken bauen. Menschen bewegen. Umwelt schützen.“ hat der FCA drei Säulen definiert, an denen er seine Aktivitäten künftig ausrichtet. Die erste Säule umfasst das bereits langjährig gelebte soziale Engagement des Vereins, mit aktiver Hilfeleistung für Bedürftige und Menschen in Not sowie der Positionierung für Vielfalt und gegen Ausgrenzung und Diskriminierung. Neue Schwerpunkte setzt der FCA mit den weiteren Säulen Bildung und Bewegung sowie Umwelt- und Klimaschutz. Das zentrale Leuchtturmprojekt im Bereich Bewegung und Bildung stellt die FCA-Kita dar, welche sich bereits in Planung befindet und bis 2024 eingeweiht werden soll. Gleichzeitig begleiten die DFL Stiftung und die Deutsche Sportjugend inhaltlich die Entwicklung eines pädagogischen Konzepts mit dem Schwerpunkt „Bewegungsförderung für die Pilot-Kita des FC Augsburg“. Dort sollen Kinder mit einem wissenschaftlich erarbeiteten Konzept frühzeitig für Sport und Bewegung begeistert und in ihrer Aktivität gefördert werden. Die dritte Säule befasst sich mit Umwelt- und Klimaschutz. In diesem Bereich bekennt der FCA sich zum Ziel der ökologischen Verantwortung und begibt sich auf einen Weg der Verbesserung in allen Bereichen. Vor allem will der Verein die Möglichkeiten seiner Plattform und seines Netzwerks nutzen, um Aufmerksamkeit auf drängende Themen und Herausforderungen zu lenken. Im Zentrum dieses Ansatzes stehen dabei der FCA-Wald, der in Kooperation mit der Stadt Augsburg entsteht, und das Schwerpunktthema Wasser, das in Augsburg durch das UNESCO-Welterbe eine zentrale Bedeutung hat. Was hat den FCA dazu bewogen, sich gesellschaftlich so stark in der Region zu engagieren und welche Ziele werden damit verfolgt? Unsere starke regionale Verwurzelung ist Teil unserer Identität und bedeutet für uns eine besondere Verantwortung. Dieser Verantwortung wollen wir gerecht werden, in dem wir einen gesellschaftlichen Beitrag vor allem in der Region leisten, und noch mehr positive Wirkung entfalten. Neben unserem langjährigen sozialen Engagement wollen wir vor allem in den Bereichen Bewegung und Bildung sowie Umwelt- und Klimaschutz neue Impulse setzen. Welche Rollen spielen dabei die Leuchtturmprojekte, die jetzt in der Vorweihnachtszeit im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt wurden? Die Kommunikation unserer Leuchtturmprojekte diente für uns als Startschuss zur Vorstellung der überarbeiteten Strategie unseres gesellschaftlichen Engagements. Die FCA-Kita, der FCA-Wald und unser Ziel für mehr Wertschätzung der Ressource Wasser vereinen wichtige gesellschaftliche Themen, denen wir regional die Aufmerksamkeit geben möchten. Gleichzeitig haben diese auch nationalen bzw. globale Rele- Schwerpunkt | Projektmanagement für die Gesellschaft 29 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0009 vanz. Durch die Fokussierung auf Kernprojekte und Schwerpunktthemen wollen wir unsere Wirkung optimieren, indem wir Ressourcen bestmöglich nutzen, die FCA-Familie aktivieren und unsere Partner mobilisieren. Es gibt ja eine Vielzahl an Initiativen und Projekten zum gesellschaftlichen Engagement des FCA, warum der Begriff „Leuchtturmprojekte“? Die Leuchtturmprojekte sind für uns Meilensteine, inhaltlich und konzeptionell. Für die FCA-Kita gründen wir mit unserem Partner, der Augsburger Lehmbaugruppe, eine eigene GmbH für den Betrieb der FCA-Kita, die als Pilotprojekt mit einem besonderen bewegungspädagogischen Ansatz als Vorlage für weitere FCA-Kitas in der Region dienen soll. Auch mit dem FCA-Wald stoßen wir in neue Projektdimensionen vor. Der FCA-Wald ist zudem ein Kooperationsprojekt, mit dem die Stadt Augsburg ihr groß angelegtes Aufforstungsprojekt plakativ bekannt macht. Und das UNESCO Welterbe des Augsburger Wassermanagementsystems ist ein zeitgeschichtlicher und kultureller Leuchtturm der Region, und als solcher für uns die Inspiration, Wasser zentral in unserer Umweltstrategie zu verankern. Welche Projekte gibt es darüber hinaus und was wurde dabei schon im Sinne eines gesellschaftlichen Beitrags geleistet? Der FC Augsburg ist seit vielen Jahren sozial in der Region stark engagiert. Dieses soziale Engagement ist eine von den nun drei Säulen unseres gesellschaftlichen Engagements und umfasst zum einen die Hilfeleistung für bedürftige und kranke Menschen, sowie Menschen in Notlagen, wie zuletzt aufgrund der Flutkatastrophe im Ahrtal. Außerdem positionieren wir uns stringent und bestimmt für Vielfalt und gegen jede Form von Diskriminierung und Ausgrenzung. Wer initiiert beim FCA diese Projekte, wer koordiniert und steuert diese, damit der gewünschte gesellschaftliche Beitrag auch erreicht wird? Die Inhalte und Projekte werden in einem abteilungsübergreifendem Strategie- und Kreativprozess entwickelt, den auch unserer Fans sowie Sponsoren integriert waren, und dann je nach Schwerpunkt einer Projektleitung zugeteilt. Wir sind aktuell dabei, die entsprechenden Strukturen und Kapazitäten aufzubauen, um unsere Vorhaben im Bereich des gesellschaftlichen Engagements auch nachhaltig umsetzen zu können. Um die bestmögliche Wirkung zu erzielen und zu gewährleisten, laufen alle Themen strategisch bei der Leitung unserer Geschäftsstelle und der Geschäftsführung direkt zusammen. Wendet der FCA bei den Projekten ein bestimmtes „Projektmanagement“ an? Oder worauf kommt es beim Management dieser Projekte vor allem an? Die Art des Projektmanagements ist ganz unterschiedlich, je nach Art des Projekts und Programms. Grundsätzlich geschieht alles in einer engen Verzahnung der Abteilungen, gute Kommunikation und Team-Work sind bei uns dabei zu jeder Zeit der Schlüssel. Auch unser Beitrag als Club unterscheidet sich von Projekt zu Projekt. Viele Projekte werden inhouse aus der Taufe gehoben und komplett intern umgesetzt. Michael Ströll ist bereits seit insgesamt 15 Jahren für den Fußball-Club Augsburg 1907 e. V. (FCA) tätig und verantwortet als kaufmännischer Geschäftsführer die Bereiche Marketing, Finanzen, Organisation sowie Personal. Michael Auen Julia Strang Bei manchen Projekten agieren wir gemeinsam mit Partnern und Projektträgern und nutzen vor allem unsere Plattform und unser Netzwerk für das Projekt. Wird es in Zukunft mehr solcher Projekte bzw. mehr gesellschaftliches Engagement des FCA geben und was wünscht sich der FCA von der Politik, der Wirtschaft und anderen Vereinen? Wir haben das Ziel, noch mehr Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen, und wollen unser Engagement in Form von Projekten und Impulsen weiter ausbauen- - im Rahmen unserer Möglichkeiten und Ressourcen, mit dem entsprechenden Fokus auf Wirkung und Wesentlichkeiten. Die Zusammenarbeit und Kooperation von privaten und öffentlichen Organisationen und Institutionen ist dabei der Schlüssel zum Erfolg, und daher in den globalen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen im #SDG 17 zentral verankert. Es gilt, unsere Partnerschaften stetig zu stärken und weiterzuentwickeln. Der FC Augsburg ist dabei immer offen für gute Ideen und Initiativen. Interview mit Michael Auen und Julia Strang „Mit Projekten die Teilhabe für Menschen mit Behinderung fördern“ Welchen gesellschaftlichen Auftrag erfüllen Sie mit der Lebenshilfe Karlsruhe, Ettlingen und Umgebung e. V.? Die Förderung und Sicherung von Selbstbestimmung und Teilhabe in den Bereichen Bildung, Arbeit, Wohnen und Freizeit ist der Auftrag der Lebenshilfe Karlsruhe, Ettlingen und Umgebung und dieser wird umgesetzt in den beiden Betriebsgesellschaften der Lebenshilfe-- den Hagsfelder Werkstätten und Wohngemeinschaften Karlsruhe gGmbH und dem Inklusionsunternehmen worKA gGmbH. Wie sehen die konkreten Angebote aus, die Sie Menschen mit Behinderung in der Lebenshilfe machen? Zu den Aufgaben des Vereins Lebenshilfe gehört die Beratung von Menschen mit Behinderung und ihren Angehöri- Schwerpunkt | Projektmanagement für die Gesellschaft 30 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0009 gen, die Zusammenarbeit mit örtlichen Vereinen im Freizeitbereich und die Umsetzung inklusiver frühkindlicher Bildung in der vereinseigenen Kita im Lebenshilfehaus. Angebote der beruflichen Bildung und Arbeit in vielfältigen Bereichen finden Menschen mit wesentlicher Behinderung im Bereich der Werkstätten der HWK gGmbH sowie dem Inklusionsunternehmen worKA gGmbH. Ein Leben in größtmöglicher Selbstbestimmung für Menschen mit geistiger Behinderung ist Ziel der Wohnbegleitung der HWK gGmbH in den besonderen Wohnformen, in Wohngemeinschaften und im Rahmen des begleiteten Einzelwohnens. In allen Bereichen orientiert sich das Angebot an der Nachfrage, den Interessen und Bedarfen der Menschen mit Behinderung. Welche Rolle spielen Projekte im Rahmen Ihrer Arbeit? Projekte bieten uns die Chance, mit wenig wirtschaftlichen und personalen Ressourcen und einem kurzen Zeitrahmen neue und innovative Ideen auszuprobieren und weiterzuentwickeln. Dies immer mit dem Ziel, die Teilhabe für Menschen mit Behinderung zu fördern. Sowohl externe als auch interne Projekte können dabei eine wichtige Rolle spielen. Ein Beispiel für ein externes Projekt ist die Zusammenarbeit mit der Karlshochschule International University. Im Rahmen der Einführung einer digitalen Bildungsplattform haben Studierende in Zusammenarbeit mit Mitarbeiterinnen der HWK eine Kampagne entwickelt, um die Einführung der Plattform zu bewerben. Im Jahr 2022 wird ein Projekt mit einer Forschungsgruppe des KIT im Bereich Robotik gestartet. Ein humanoider Roboter wird dann in der Kindertagesstätte die Bildungsarbeit der Erzieher*innen unterstützen. Dieses Projekt wird von einem IT- Lehrstuhl begleitet und evaluiert. Ziel ist es Kinder zum einen an die digitale Welt heranzuführen und zum anderen Kindern mit Behinderung die Robotik als Assistenzsystem anzubieten. Interne Projekte fördern indirekt oder direkt Teilhabe auf ganz unterschiedliche Art. Sie sind für uns als Organisation ebenfalls wichtig, um Expertenwissen unserer vielfältigen Bereiche zu nutzen, Synergien zu schaffen und neue Ideen voranzutreiben. Ein Beispiel hierfür ist die Einführung der eben genannten digitalen Lernplattform. Im Zuge der Pandemie ist die bisherige Fort- und Weiterbildung fast komplett zum Erliegen gekommen, da wir bislang lediglich mit Präsenzformaten gearbeitet haben. Daher haben wir in Form eines Projektes die Konzeption, die Planung und den Aufbau der Plattform durchgeführt, die im Frühjahr 2022 starten wird. Digitalisierung ist in allen Bereichen ein wichtiges Thema, um die Weiterentwicklung unserer Organisation zu gewährleisten. Durch Projekte können wir diese vorantreiben, sodass unsere Organisation insgesamt davon profitiert. Nimmt die projekthafte Arbeit in den letzten Jahren eher zu oder ab? Im Wesentlichen ist es gleichbleibend, was die Anzahl der Projekte betrifft. Verändert haben sich die Inhalte. In Zeiten des Wachstums der Organisationen lag der Schwerpunkt auf Bauprojekten und Neuplanungen. Inzwischen sind es mehr fachlich geprägte Projekte wie z. B. die Angebotsschaffung für neue Zielgruppen oder Projekte zu konkreten Themen der Organisationsentwicklung. Projektarbeit ist seit Beginn der Organisation bereits ein fester Bestandteil, um weitere Teilhabemöglichkeiten zu schaffen. Nur ist dies bislang keine Projektarbeit mit festen Instrumenten im herkömmlichen Sinne des Projektmanagements, wie beispielsweise SCRUM. Können Sie Beispiele benennen, bei denen Sie durch Projekte besondere Erfolge erzielt haben? Ein gutes Beispiel ist das dreijährige von der Aktion Mensch geförderte Projekt „Individuelle Ruhestandsgestaltung“ (2008-2011), aus dem heraus die Stelle der Fachberatung Senioren entstanden war sowie die Implementierung der individuellen Ruhestandsplanung in den Hagsfelder Werkstätten und Wohngemeinschaften Karlsruhe gGmbH (HWK). Ziel des Projektes war unter anderem die Entwicklung von Maßnahmen und Angeboten älterer Menschen mit Behinderung, welche heute innerhalb der HWK fest etabliert sind. Gibt es Besonderheiten bei der Realisierung von Projekten, die Sie bemerkenswert finden? In unserer Arbeit stehen immer die Bedarfe der Menschen mit Behinderung im Fokus. Aus dem Bereich Arbeit sind unsere Werkstätten dazu da, die Teilhabe am Arbeitsleben zu fördern. Daher müssen wir dies im Vergleich zu anderen industriellen Betrieben besonders berücksichtigen. Ein Beispiel: Wenn wir von unseren Kunden Aufträge erhalten, kann es unter Umständen sein, dass mit den vorhandenen Werkzeugen und Maschinen der Arbeitsvorgang nicht ausgeführt werden kann, da es spezielle Anpassungen braucht, damit Menschen mit Behinderung diesen eigenständig durchführen können. Aus diesem Grund gibt es einen speziellen Vorrichtungsbau, der Anpassungen und zum Teil zusätzliche individuelle Einzelanfertigungen macht. Dies ist streng genommen kein herkömmliches Projekt, jedoch hat unser Vorrichtungsbau aufgrund der Individualität und zeitlichen Begrenzung für jeden Vorrichtungsbau durchaus einen Projektcharakter. Bemerkenswert ist dabei, dass dadurch Arbeitsvorgänge für Menschen mit Behinderung überhaupt erst möglich gemacht werden. Partner in diesen Projekten ist dann der jeweilige Kunde für den entsprechenden Auftrag. Mit ihm zusammen werden dann wirtschaftlich sinnvolle Fertigungsprozesse entwickelt, die dem Menschen mit Behinderung auf seine Bedarfe zugeschnittene Arbeitsmöglichkeiten bieten. Welche Rolle spielt bei Projekten die berufliche Bildung, Rehabilitation sowie betriebliche Integration? Diese finden meist nicht in Form von klassischen Projekten statt, sondern sind gesetzlich verankerte Regelangebote der Werkstatt. Beispielsweise wird im kommenden Jahr das Qualifizierungsprojekt „Streuobstwiese“ starten, welches der Berufsbildunsgbereich in Form eines Projektes in Zusammenarbeit mit dem BUND Stutensee und der örtlichen Streuobstwieseninitiative durchführen wird. Hier werden Teilnehmer*innen des Berufsbildunsgbereichs in der Pflege von Streuobstwiesen geschult und können dies in der Praxis erproben. Ziele sind die Qualifizierung von HWK-Beschäftigten im Bereich nachhaltiger Landschaftspflege, ggf. mit der Entwicklung entsprechender Qualitätsbausteine in der Fachgruppe Berufliche Bildung, die Bildung von Nachwuchs für den Garten- und Landschaftsbereich der HWK sowie die Förderung von Teilhabe in der Szene der Obst- und Gartenbauvereine und die Bewusstseinsbildung für nachhaltige Landschaftspflege. Schwerpunkt | Projektmanagement für die Gesellschaft 31 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0010 Wie könnte eine bessere Inklusion in der Gesellschaft mit Hilfe von Projekten aussehen? Gibt es dazu ggf. schon Beispiele? Inklusion kann dadurch gefördert werden, indem mehr Kooperationen, beispielsweise durch Netzwerkarbeit, in Form von Projekten entstehen. Dadurch entstehen Möglichkeiten in den Bereichen Bildung, Arbeit, Wohnen oder Freizeit, die vorher nicht unbedingt denkbar waren. Projekte, die erst einmal für einen gewissen Zeitraum und einem Ziel ausgerichtet sind, bieten die Möglichkeit, sich an etwas Neues auszuprobieren und mögliche Hürden zu senken. Nach einem Projekt kann eine Evaluation zeigen, ob dieses in der Form oder angepasst als dauerhaftes inklusives Angebot bestehen kann. Ein Beispiel ist die inklusive Theatergruppe D! E SP! NNER am Sandkorntheater, die als Theaterprojekt im Rahmen des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderung gegründet wurden und nun bereits seit fast 20 Jahren inklusive Theaterarbeit machen. Im Inklusionsunternehmen worKA gGmbh entwickelte sich der Geschäftsbereich Digitalisierung aus einem Projekt heraus: die Stadt Karlsruhe wollte vor einigen Jahren erproben, ob der sich der über 100 Jahre entwickelte Aktenbestand des Tiefbauamtes digitalisieren lässt. Zunächst wurde mit einer kleinen Gruppe von Inklusionsmitarbeiter*innen über einen begrenzten Zeitraum hinweg ‚probiert‘, wie sich das realisieren lässt. Aus diesem Projekt heraus ist eine Arbeitsgruppe im Tiefbauamt entstanden, eine weitere in der Archivierung des Landratsamtes mit ähnlicher Fragestellung und im vergangenen Jahr eine dritte Arbeitsgruppe, die diese Arbeiten nun für Kundensysteme der Industrie anbietet und die sich am eigenen Standort der worKA angesiedelt hat. So sind aus anfänglich 2-3 Projektplätzen inzwischen mehr als 10 feste Arbeitsplätze entstanden. Julia Strang (M. A.) Personalreferentin mit Schwerpunkt Gesundheitsmanagement & Fort- und Weiterbildung Michael Auen Diplom Sozialpädagoge (FH) 1. Vorstand der Lebenshilfe Karlsruhe, Ettlingen und Umgebung e. V., Hauptgeschäftsführer HWK gGmbH, Geschäftsführer worKA, gGmbH Interview mit Alex Talmon-l'Armée Alex Talmon-l‘Armée „Für Projektmanager wichtig ist technisches Wissen, interkulturelles Verständnis und Akzeptanz“ Welche Berufsbezeichnung passt am ehesten auf das, was Sie derzeit in der ganzen Welt für die Gesellschaft tun? Arbeitsplatzschaffer und Migrationsverhinderer auf Programmebene bzw. Direktor für technisches Engineering und Evaluator auf Projektebene. Welchen Beitrag leisten Sie mit den Projekten für die jeweilige Gesellschaft bzw. die Gemeinschaft vor Ort? Primär geht es um das Schaffen von 100.000 neuen Arbeitsplätzen in acht afrikanischen Ländern, finanziert durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und implementiert durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Sekundär geht es darum, durch die Schaffung dieser Arbeitsplätze Migration zu verhindern. Die Zielgruppen unseres Programms sind sowohl private wie auch öffentliche Betriebe und Institutionen, die nachweislich keine Finanzierung durch lokale Banken bekommen. Durch nicht rückzahlbare Zuschüsse wird diesen die Möglichkeit gegeben, Projekte durchzuführen und damit Arbeitsplätze zu schaffen. Welche Rolle spielen generell Projekte bzw. Programme im Rahmen der internationalen Entwicklungshilfe? Meiner Meinung nach haben Projekte bzw. Programme der internationalen Entwicklungshilfe mindestens zwei Zwecke. Erstens eine Verbesserung der Lebensumstände der Zielbevölkerung und zweitens das Verhindern von Auswirkungen auf den Geldgeber. Diese Auswirkungen sind oft Migration. Es ist günstiger Schulprogramme, Ausbildungsprogramme, Arbeitsplätze, inklusive nötiger Infrastruktur, zu schaffen, als Menschen z. B. in Westeuropa anzusiedeln. Was ist das Besondere beim Projektmanagement? Gibt es spezielle Standards zu beachten und wie lernt man diese? Das Besondere beim Projektmanagement ist sicherlich, dass es unterschiedliche Auffassungen und Verständnisse gibt. Zum einen erreichen uns Projektanträge, die nicht reif und in Schwerpunkt | Projektmanagement für die Gesellschaft 32 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0010 ihrer eingereichten Form finanzierbar sind, zum anderen fehlen Unterlagen oder Dokumente sind nicht legitimiert. Etwa 90-95 % der Projektanträge werden nicht finanziert, jedoch nicht aus Geldmangel. Dies zeigt, dass die durchaus detaillierten Bewerbungsrichtlinien entweder nicht verstanden werden oder nicht verstanden werden wollen. Zweiteres verschwendet die Zeit des Antragstellers und der Evaluationen. Während der Projektimplementierung kommt es hauptsächlich zu Herausforderungen in der Beschaffung und der Durchführung zu den geforderten Standards (u. a. KfW). Die Projekte werden teilweise durch die Zuschussempfänger finanziert, der andere Teil durch Geldgeber. Der Zuschussempfänger kann seine Beschaffungsaktivitäten selbst vornehmen (oft in Form einer Direktvergabe), für die von internationalen Entwicklungsbanken finanzierten Aktivitäten müssen jedoch deren Richtlinien angewandt werden. Diese sind in der Regel aufwendiger und kostspieliger, was bei den meisten Projektanträgen nicht berücksichtigt wurde. Ein weiterer Punkt bei der Durchführung ist, dass z. B. Gesundheits- und Sicherheitsstandards nicht in der geforderten Form (z. B. Einhaltung von Richtlinien der Industry Foundation Classes (IFC)) angewandt werden, zum Teil aus Unkenntnis, zum Teil aus Kostengründen. Welche Kompetenzen sind für Projektmanager besonders wichtig und wie eignet sich jemand diese in der Praxis an? Für Projektmanager wichtig ist, neben dem in Bildungsanstalten angeeigneten technischen Wissen, interkulturelles Verständnis und Akzeptanz- - Arroganz in jeglicher Form ist kontraproduktiv. Weiterhin ist es wichtig mit den Durchführenden in einem Land kommunizieren zu können, also Interpretation von Körpersprache, Bereitschaft zum Verstehen und zuzuhören, Geduld beim Zuhören und Erklären, sowie idealerweise Kenntnisse einer gemeinsamen Sprache. All dies kann man sich theoretisch aneignen, man muss es aber in der Praxis lernen, über Jahre und Jahrzehnte. Es ist auch wichtig, dass man sich mental auf die Aufgabe und die Umgebung einstellt. Dies ist natürlich umso einfacher, wenn man ähnliche Situation schon erlebt hat und auf diese Erfahrung(en) zurückgreifen kann. Ich erinnere mich gut an einen jungen Projektmanager, den ich nach Gaza gefahren und dort in einem schönen Hotel, nach einem leckeren Essen auf der Terrasse am Meer zurückgelassen habe, um wieder nach Jerusalem zu fahren. Er bekam in der Nacht solche Panikattacken, dass wir ihn am nächsten Morgen evakuieren mussten und er schließlich wieder in sein Heimatland zurückflog. Wie werden die Belange der Menschen vor Ort bei den Projekten und im Projektmanagement berücksichtigt? Die Belange der Menschen vor Ort werden berücksichtigt, indem man zum einen Bedürfnisse bespricht und darauf Projekte entwickelt und abstimmt, anstatt ‚Lösungen‘ aufzuoktroyieren. Nur so generiert man Akzeptanz und Eigentümerschaft (engl.: ownership ). Zum anderen muss eben das Projetmanagement so erfolgen, dass man die Leute ‚mitnimmt‘, das heißt, dass sie verstehen, was man macht und wie man es macht und wieso. Man muss Fähigkeiten für das Projektma- Alex Talmon-l‘Armée studierte an der FH Regensburg Architektur, wechselte später zum Bauingenieurwesen und schloss 1994 als Dipl. Ing. (FH) ab. 2001 absolvierte er noch einen MSc Desaster Management. Eher zufällig begann er im Januar 1996 einen dreimonatigen Job bei einer humanitären Organisation in Bosnien, aus der dann vor Ort ein Einsatz von insgesamt 4,5 Jahren wurde und ihn bis heute mit Projekten in mehr als 30 Länder auf vier Kontinenten gebracht hat. Als Projektleiter arbeitet er mit multikulturellen Teams, Programmen und Projekten im Bereich von Desaster und Risikomanagement, Response und Wiederaufbau, Schadensaufnahme nach Katastrophen, IT & ICT für Desaster Management, Aufbau und Wiederaufbau von sozialer Infrastruktur, Entwickeln und Evaluierung von verschiedensten Aufbauprogrammen, Vertragsmanagement, Machbarkeitsstudien etc. Alexander Talmon-l‘Armée eMail: alexander.talmon@ife-invest.com Mehr zu der Initiative: https: / / invest-for-jobs.com / en / investing-for-employment#top Projekte: https: / / invest-for-jobs.com / en / projects nagement bilden und darf / kann eben nicht verlangen, dass alle Parteien dasselbe Verständnis und dieselben Kenntnisse besitzen. Gibt es ein herausragendes Beispiel für den gesellschaftlichen Beitrag, den Sie mit Projekten für die Menschen erreichen konnten? Mein erstes Projekt in der Entwicklungszusammenarbeit war 1996 und den folgenden Jahren in Bosnien. Ich kam zwei Monate nach dem Dayton Abkommen in Sarajevo an und baute in den folgenden Monaten eine Bauabteilung für eine Nichtregierungsorganisation auf. Wir bauten unter meiner Leitung 860 zerschossene Häuser wieder auf, 56 Schulen und Kindergärten, sowie 10 Kliniken und Gesundheitseinrichtungen, inklusiv Wasser, Strom, Heizung. Wir reparierten auch 3200 Wohnungen, die beschossen und beschädigt wurden. Dies ermöglichte tausenden von Personen in ihre ehemaligen Unterkünfte zurückzukehren oder diese mit ethnisch anderen zu tauschen, damit beide dort leben können, wo sie sich sicher und wohlfühlen. Ein anderes Beispiel war die Implementierung von 764 Mikroprojekten (u. a. Krankenstationen, Schulerweiterungen, Wassertürme und Bohrlöcher, Gemeindehallen, landwirtschaftliche Gebäude und Märkte) in acht Staaten des Nigerdeltas in Nigeria. Diese 764 Gemeinden unterliefen einem mehrjährigen konsultativen Prozess, durchgeführt von einer Anthropologin, zur Identifizierung der Priorität jeder Gemeinde. Die Baudurchführung mit all seinen Herausforderungen unterlag dann mir und einem Team von lokalen Architekten und Ingenieuren. Wiederum wurden (hoffentlich! ) die Lebensbedingungen von tausenden von Menschen verbessert. Wie kann die GPM und die im Rahmen des Verbandes organisierten Projektmanager Entwicklungshilfeprojekte unterstützen? Anzudenken wäre zum Beispiel ein Training von internationalen Projektmanagern, entweder bevor diese in ein Projektland gehen oder wenn sie bereits dort sind (online). Dies könnte Schwerpunkt | Projektmanagement für die Gesellschaft 33 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0010 zum einen humanitären Organisationen angeboten werde, oder auch Consulting Firmen. Auf lokaler Ebene kann, durch zuvor genannte Organisationen, ein Projektmanagement-Training für nationale Mitarbeiter angeboten werden. In einem späteren Schritt kann es eine Zertifizierung geben, die von Geldgebern, die Durchführungsorganisationen anhand der Lebensläufe der potenziellen Mitarbeiter bewerten, verlangt oder zumindest mit zusätzlichen Punkten bewertet wird. Es ist auch vorstellbar, dass in der GPM organisierte Projektmanager Kurzzeiteinsätze machen, um Prozesse vor Ort zu untersuchen, zu bewerten und zu verbessern. Welche Bedeutung kommt den Entwicklungshilfeprojekten in Zukunft zu? Spielt das auch in Deutschland eine wichtige Rolle? Deutschland ist, nach den USA, der größte Geldgeber in der Entwicklungshilfe mit über 23 Milliarden USD (2020). Dies zeigt die Bedeutung der Entwicklungshilfe in und für Deutschland. Die Zielländer der neuen Bundesregierung mögen sich ändern, die Größenordnung der Zuwendung wird aber auch in den folgenden Jahren sicher gleichbleiben. Project Office ist Enterprise-Software für beeindruckende Projekte wie den Gotthard- Basistunnel. Agiles Teamwork und hohe Prozesssicherheit verbinden sich dabei zu konsequent hybridem Projektmanagement. Mit agilen Elementen wie Task Boards, Issues und Activities machen Sie Ihre Teams schneller und produktiver. Bewährte Elemente wie die Planung der Ecktermine liefern zuverlässige Leitplanken. Erfolgreiche Projekte durch verlässliche Prozesse und bessere Teamarbeit Engineering success - the agile way WEBCAST | Digitale Kollaboration mit Project Office Mit zielführenden Informationen die digitale Kollaboration in Projekten optimal gestalten https: / / bit.ly/ 3fwWtGF energizing great minds contact-sofware.com Anzeige 34 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0011 Anerkennung für stille Helden-- WAFA und der Oskar für erfolgreiche Projekte Tina Lindgren, Reinhard Wagner Für eilige Leser | Unsere Gesellschaft steht vor ungeahnten Herausforderungen. Dabei gibt es weltweit schon heute eine Vielzahl von Graswurzelinitiativen und stille Helden, die nachhaltige Lösungen in ihrem Umfeld entwickelt haben. WAFA (Water Air Food Awards), eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in Kopenhagen, sucht diese stillen Helden, macht ihre Erfolgsgeschichten mit einem Preis für die ganze Welt sichtbar und fördert so die Verbreitung nachhaltig erfolgreicher Projektideen. Angesichts der Anzahl und Komplexität gesellschaftlicher Herausforderungen gestaltet sich die Suche nach passenden Lösungen heute relativ schwierig. Internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen, Regierungen wie auch Nicht-Regierungsorganisationen scheitern allzu häufig bei dem Versuch, die drängenden Sorgen der Bevölkerung durch passende Projekte zu lösen. Dabei existieren schon heute eine Vielzahl von Projekten, die lokal angepasst Lösungen für die Probleme der Bevölkerung gefunden haben. Allzu oft bekommen diese Graswurzelbewegungen oder stille Helden jedoch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dies hat sich WAFA zur Aufgabe gestellt und lobt jährlich je einen Preis in den Kategorien Wasser, Luft, Lebensmittel und Klima aus. Dabei ist WAFA selbst eine Graswurzelbewegung, die mit Unterstützung vieler ehrenamtlich engagierter Helfer die Projekte identifiziert, auswählt, mit einem Preis auszeichnet und so nicht nur auf die Projekte aufmerksam macht, sondern allen Teilnehmern durch die öffentliche Wirkung auch weitergehende Unterstützung zukommen lässt. WAFA unterstützt also mit eigenen Projekten und viele Engagement nachhaltige Projekte mit großem gesellschaftlichem Mehrwert. Dies ist angesichts der vielen Herausforderungen der Menschheit sicher ein erfolgversprechendes Zukunftsmodell. Schlagwörter | Stille Helden, ehrenamtliches Engagement, Klima, Graswurzelinitiativen, nachhaltige Projekte Einführung Die gemeinnützige Organisation WAFA (Water Air Food Awards) wurde 2008 gegründet und hat ihren Hauptsitz in Kopenhagen. Sie ist eine zukunftsorientierte Nichtregierungsorganisation, die sich für gesundes Wasser, gesunde Luft, gesunde Lebensmittel und ein gesundes Klima auf der Erde einsetzt. Und sie tut dies auf die einfachste Art und Weise, nämlich indem sie herausfindet, welche praktikablen Lösungen es in den Bereichen Wasser, Lebensmittel und Klima bereits gibt und diese dann ins rechte Licht rückt. Einfach ausgedrückt: WAFA vergibt jährlich einen Oskar für nachhaltig erfolgreiche Graswurzelinitiativen. Die Organisation identifiziert und würdigt Menschen, die durch ihren heldenhaften Einsatz dafür sorgen, dass das Leben auf unserem Planeten lebenswert bleibt und ein spürbarer gesellschaftlicher Beitrag im lokalen Umfeld geleistet wird. Der Name für diese Menschen? „Stille Helden“, oder auf Englisch „Silent Heroes“. Dies sind eher unbekannte Pioniere auf dieser Erde, die bisher keine Anerkennung bekommen haben, mit ihren Low-Tech-Lösungen jedoch eine große Wirkung bzw. einen bedeutenden Unterschied machen- - in ihrem Dorf, ihrer Gemeinde, Stadt oder Region. Der gute Zweck Genauso wie die Oscars an außergewöhnliche Menschen in einer Reihe von Kategorien verliehen werden, gibt es auch vier WAFA-Preise: Wasser, Luft, Lebensmittel und Klimaaktionen. Warum vier und warum diese? Weil sie die Umwelt- DNA unseres Planeten sind. Ohne Zugang zu gesunder Luft, gesundem Wasser sowie gesunden Lebensmitteln und ohne ein Klima, das gesunde Luft, gesundes Wasser und gesunde Lebensmittel unterstützt, werden unser Planet und Millionen von Menschen weiterhin leiden und vorzeitig sterben. Es gibt zwei Arten von Helden in der Welt: fiktive und reale. Die meisten fiktiven Helden-- wie Superman, Wonder Woman und Batman-- sind bekannt. Die meisten echten Helden sind es nicht. Im Gegensatz zu ihren klassischen griechischen Vorbildern sind sie nicht halb Gott, halb Mensch. Sie sind zu 100 % menschlich- - gewöhnliche Menschen, die trotz aller Widrigkeiten außergewöhnliche Leistungen vollbringen. Da sie für die meisten Menschen unsichtbar sind, setzt WAFA alles daran, sie und ihre Projekte ins rechte Licht zu rücken. Während die stillen Helden damit beschäftigt sind, den Planeten zu retten, nimmt sich WAFA ihrer Sache und ihrem Einfallsreichtum, ihrem Mut und ihrem Engagement an und macht auf sie aufmerksam. Wozu dient das alles? Es dient vor allem dazu, dass das, was diese erstaunlichen Menschen tun und wie sie es tun, in jedem Dorf, jeder Stadt und jedem Ort auf der ganzen Welt das tägliche Heldentum entfesseln hilft. „Global denken, lokal handeln“ ist das Motto von WAFA. Darauf zu warten, dass Regierungen und Unternehmen die Probleme der Welt lösen, hat bislang nicht funktioniert. Und wenn die jüngste Pandemie ein Anzeichen dafür ist, wird es wohl auch in nächster Zeit nicht funktionieren. Was die Gesellschaft braucht, sind Lösungen von unten nach oben, von der Basis aus- - ökologische, gemeinschaftsbasierte Durchbrüche, die sich skalieren und imitieren lassen. Und genau darum geht es bei der Arbeit von WAFA. Schwerpunkt | Anerkennung für stille Helden-- WAFA und der Oskar für erfolgreiche Projekte 35 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0011 Die Vision von WAFA lautet: „Gesundes Wasser, gesunde Luft und gesunde Lebensmittel für alle auf einem gesunden Planeten“ und wird um die folgende Mission ergänzt: „Aufbau einer globalen Preisverleihungsplattform, um die nachhaltigen Innovationen stiller Helden überall zu würdigen.“ Gemeinwohlorientierte Projekte Alles begann im Jahr 2006, als Prem Rawat, der Gründer des ‚Food for People‘-Programms der Prem Rawat Foundation, ein kleines Dorf in Nordindien besuchte. Dort wurde er Zeuge, wie Kinder ihre Tage damit verbrachten, Lebensmittel aus Rattennestern zu stehlen, um sich und ihre hungernden Familien zu ernähren. Dies ist sicherlich ein bewegender Moment- - Kinder, die aus Rattennestern stehlen, um zu überleben. Dieser einzigartige Moment brachte Prem auf die Idee, WAFA zu gründen. Er wandte sich mit der Idee an Tina Lindgreen, die heutige Vorstandsvorsitzende von WAFA, um gemeinsam mit ihr die Idee in die Tat umzusetzen. Die ursprüngliche Idee brachte Prem wie folgt auf den Punkt: „Ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die viel Innovatives leisten, um ihren lokalen Gemeinschaften zu helfen. Aber oft erhalten diese Menschen keine Anerkennung. Sie sind die stillen Helden. Meine Idee ist es, sie anzuerkennen und zu unterstützen, damit sie die Ermutigung erhalten, die sie brauchen, um ihre Bemühungen zum Schutz von Mensch und Umwelt fortzusetzen. Unser Ziel ist es, einfach gesagt, das Gute im Menschen zu wecken.“ Seit 2010 hat WAFA 14 Preise an stille Helden aus zehn verschiedenen Ländern verliehen: Jordanien, Simbabwe, Nigeria, Südafrika, Nicaragua, China, Nepal, Haiti, Indien und Kanada. Die Preisträger wurden aus 33 Finalisten ausgewählt. Diese waren wieder Teil einer Gruppe aus 74 vorausgewählten Kandidaten aus einem Pool von 401 Bewerbern aus mehr als 80 Ländern. Doch nicht nur die Gewinner stehen bei WAFA im Rampenlicht. Alle Geschichten von WAFAs stillem Helden genießen eine große mediale Aufmerksamkeit mit globaler Reichweite. 84 Millionen Menschen hatten bereits die Gelegenheit, Einblicke in die Geschichten der Projekte zu gewinnen. Besonders die Medien in den Heimatländern der stillen Helden nehmen die Geschichten begeistert auf und helfen so, die Erfolgsmuster dieser Projekte weiterzutragen. Wie wählt WAFA die Gewinner aus? Alle Kampagnen basieren auf Graswurzelinitiativen und sind gemeinwohlorientiert. Monate vor einer Preisverleihung beginnt WAFA mit einer weltweiten Suche nach Projekten über soziale Medien, also die eigene Website, Newsletter, Mailinglisten, Twitter, Facebook, Instagram, Google Anzeigen, Blogs und die Netzwerke der Sponsoren, Unterstützer, Spender und anderer gemeinnützigen Initiativen. Das Ziel ist einfach: Es sollen so viele geeignete Projekte auf der ganzen Welt gefunden werden, auch an den entlegensten Orten. Die Nominierten erhalten dann die Möglichkeit, zu begründen, warum sie einen WAFA-Preis verdienen-- und sie tun dies durch die Einreichung von Videos, Diashows, Fotos, Erfolgsgeschichten, Berichten und Zeugnissen, die alle auf der WAFA-Website veröffentlicht werden. Sobald dies geschehen ist, unterzieht das international besetzte WAFA-Prüfungsgremium jedes Projekt einem strengen Prüfverfahren nach sieben Kriterien: Innovation, Nachhaltigkeit, Empowerment, Skalierbarkeit, Wiederholbarkeit, Wirkung und quantifizierbare Ergebnisse (über mindestens zwei Jahre). Schließlich werden zwölf Finalisten ausgewählt und auf der WAFA-Website vorgestellt. Das WAFA Social-Media-Team verbreitet die Nachricht und es beginnt ein weltweites Abstimmungsverfahren. Der Finalist, der in jeder Kategorie die meisten Stimmen erhält, wird zum Gewinner erklärt. Anschließend organisiert die WAFA auch eine Preisverleihung, entweder virtuell, in einer Großstadt oder am Standort des Gewinnerprojekts-- eine Veranstaltung, die manchmal live in die ganze Welt gestreamt wird. Mit der Award-Verleihung ist es aber nicht getan. WAFA hat es sich zur Aufgabe gesetzt, den stillen Helden dieser Welt die Anerkennung zu verschaffen, die notwendig ist, um Unterstützung für ihre Nachhaltigkeitsinitiativen zu gewinnen. Die Anerkennung durch WAFA erhöht die Chancen der Preisträger, Unterstützung von Regierungen, Unternehmen, Forschungszentren, Philanthropen und Organisationen zu bekommen, die Zuschüsse gewähren. WAFA bietet dabei keine Beratung und wird dies auch in Zukunft nicht tun. Die Idee ist, wie bei den Oscars, ganz einfach: Durch die Aktivitäten von WAFA wird Großartiges entdeckt und gewürdigt. Nicht mehr und nicht weniger. Genauso wenig wie die Oscars Filme Beispiel: Das Chiapas-Wasserprojekt (Finalist 2016) Das Problem Wasser ist ein chronisches Problem im Bundesstaat Chiapas, insbesondere für die indigenen Maya-Gemeinden. Regelmäßige Dürreperioden behindern die Landwirtschaft und bedrohen die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen. Die daraus resultierende Notwendigkeit, Wasser aus großen Entfernungen zu holen, hindert Frauen daran, sich um andere Prioritäten zu kümmern- - und viele Kinder daran, die Schule zu besuchen. Durch Wasser übertragene Krankheiten schaden auch der Gesundheit der Gemeinschaften, insbesondere derjenigen, die weit von Gesundheitszentren entfernt sind. Zusammenarbeit mit der Gemeinschaft Die 1972 gegründete Organisation Concern America (CA) konzentriert sich auf die langfristige Entwicklung von Gemeinden in Mexiko und anderen Entwicklungsländern auf der ganzen Welt. Anfang der 1990er Jahre rief CA das Chiapas-Wasserprojekt ins Leben, um die indigenen Maya-Gemeinden in Chiapas, Mexiko, mit sauberem Wasser zu versorgen. Ziel war es, den Zugang zu Nahrungsmitteln zu sichern, Einkommen zu schaffen, die Hygiene zu fördern, Krankheiten vorzubeugen und die Zeit unter den Haushaltsmitgliedern gerecht zu verteilen. Schwerpunkt | Anerkennung für stille Helden-- WAFA und der Oskar für erfolgreiche Projekte 36 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0011 produzieren, Drehbücher schreiben, Filme finanzieren oder die Filmemacher beraten, mischt sich WAFA auch nicht in das Innenleben der Projekte ein, die ausgezeichnet werden. Obwohl WAFA schon mehrmals gebeten wurde mit Denkfabriken, Universitäten und verschiedenen Regierungsbehörden zusammenzuarbeiten, hat der Vorstand dies immer wieder abgelehnt. WAFA schafft die Plattform, auf der stille Helden ihre Anerkennung finden und sie selbst und ihre Projekte damit eine Zeitlang im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen. Engagement zum Wohl der Gesellschaft-- zur Nachahmung empfohlen! Die Arbeit von WAFA erfolgt ausschließlich ehrenamtlich und beruht auf der Zeit, die mehr als 30 freiwillige Helfer aus Ländern wie z. B. Chile, Dänemark, Deutschland, Indien, Italien, Kanada, Malaysia, Nigeria, Portugal, Saudi-Arabien, Südafrika, Thailand, Türkei und den USA einbringen. Neben dem ehrenamtlich tätigen Vorstand unter Leitung der Gründerin und langjährigen Vorstandsvorsitzenden, Tina Lindgren, sind viele Freiwillige aktiv und unterstützen u. a. bei der Auswahl der Finalisten, der Kommunikation, der Gewinnung von Spenden und Partnern im Rahmen von Corporate Social Responsibility (CSR)-Aktionen, der Betreuung von Projekten in den weltweiten Regionen oder bei der Vorbereitung von Veranstaltungen. In regelmäßigen Abständen berät der Vorstand zusammen mit den Führungskräften der WAFA, wie die Vision und Mission in die Tat umgesetzt werden können. Hieraus entstehen dann ein strategischer Plan und eine Reihe von Projekten, die eine gemeinwohlorientierte Organisation wie WAFA erst voranbringen. Eine Einweisung in die Grundlagen des Projektmanagements hat den Helfern die wichtigsten Aspekte der Abwicklung kleiner Projekte vermittelt. Denn häufig bringen die Freiwilligen zwar eine sehr große Motivation mit, jedoch wenig praktische Erfahrungen für die Umsetzung von herausfordernden Projekten. Hier bestehen in der Tat mögliche Synergien für Projektmanagement-Verbände und den Der Aktionsplan von CA basiert auf der „Arbeit mit der reichhaltigsten Ressource in den Gemeinden: den Menschen selbst“. Es werden Versammlungen mit den Gemeindemitgliedern abgehalten, um den Umfang der Arbeit zu erläutern und die Beteiligung der Gemeinde zu fördern. Es wird ein gemeinschaftlicher Wasserausschuss gegründet, der technische Unterstützung erhält und sich für die Instandhaltung des Systems einsetzt. Dem Ausschuss gehören ein aktiver Dorfvorsteher mit Verbindungen zu den Regierungsstrukturen und jüngere Mitglieder an, die zweisprachig (Spanisch und Maya) und reisefähig sind. Einige wenige Gemeindemitglieder werden sorgfältig geschult, um das Wassersystem zu beurteilen und das Wasserprojekt ohne fremde Hilfe instand zu halten. Schulungen und technische Unterstützung sind für die Nachhaltigkeit von entscheidender Bedeutung. Sie konzentrieren sich auf das Anschließen, Reparieren, Ersetzen und Erweitern von Kapazitäten. Alle Materialien und Werkzeuge sind vertraut, lokal zugänglich und stehen dem Wasserkomitee zur Verfügung. Obwohl Chiapas unter Konflikten, materieller Armut und extremen Wetterbedingungen leidet, haben diese Hindernisse ein Wassersystemprojekt nie daran gehindert, voranzukommen, sobald eine Gemeinde sich engagiert und bereit ist. Durch Geduld und gute Kommunikation mit der Gemeinde konnten gelegentliche Verzögerungen immer innerhalb von ein oder zwei Monaten überwunden werden. Bis heute hat Concern America 40 Wassersysteme in der Region gebaut, von denen mehr als 12.000 Menschen profitieren. Sichtbare Vorteile Die Zeit, die für das Wasserholen verloren geht, kann nun für andere nützliche Aufgaben verwendet werden. Durch Wasser übertragene Krankheiten sind weitgehend eliminiert und Hautkrankheiten stark reduziert. Hinter all dem steht die Stärkung der Gemeinschaft durch einen gemeinsamen Erfolg. Und die Gemeinden zeigen ihren Stolz! Religiöse und kulturelle Feiern begleiten stets die Einweihung des Systems in einem Dorf. Viele legen großen Wert auf die Bemalung ihrer Wassertanks, oft unter Einbeziehung der Schulkinder, die die Geschichte ihres Dorfes darstellen. Kommende Unternehmungen Die nächsten Schritte des Chiapas-Wasserprojekts umfassen die Installation von fünf weiteren Wassersystemen und den Bau von zusätzlichen Wasserfiltern in drei Gemeinden. Dies geht einher mit einer zusätzlichen Schulung der Gemeindemitglieder und einer Verbesserung der Überwachungs- und Bewertungspraktiken. Davon werden 300 Mitglieder in etwa 60 Familien der Maya-Kaffeeanbaugemeinde in Chiapas, Mexiko, direkt profitieren. Eine reproduzierbare Lösung Der gemeinschaftsorientierte Ansatz von CA lässt sich in jeder beliebigen Situation wiederholen, sei es bei Wassersystemen oder anderen Gemeinschaftsprojekten. Die Arbeit der Organisation in ganz Lateinamerika und in Afrika in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Einkommensschaffung (zusätzlich zur Wasserversorgung und Abwasserentsorgung) folgt demselben Modell der Stärkung der Eigenverantwortung der Gemeinden. CA ist offen für den Austausch und die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen. Schwerpunkt | Anerkennung für stille Helden-- WAFA und der Oskar für erfolgreiche Projekte 37 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0011 Tina Lindgren Tina Lindgreen ist Gründerin und Vorstandsvorsitzende von Water Air Food Awards (WAFA). Sie arbeitet seit mehr als 15 Jahren als Coach und Trainerin für Führungskräfte, um Personalressourcen und eine unterstützende Unternehmenskultur zu entwickeln. Zu ihren Erfahrungen gehört die Arbeit mit internationalen Unternehmen, dem Europäischen Parlament und TV2, wo sie dazu beitrug, das Engagement der Mitarbeiter zu fördern, die Teamarbeit zu verbessern und die Kundenbeziehungen zu stärken. Sie hat sich auch als Trainerin und Projektmanagerin bei internationalen humanitären Veranstaltungen in Europa, Asien, dem Südpazifik und den USA engagiert. eMail: tili@wafaward.org Reinhard Wagner Reinhard Wagner ist Geschäftsführer der Tiba Managementberatung GmbH und seit mehr als 35 Jahren in verschiedenen Führungs- und Projektfunktionen der Wirtschaft sowie ehrenamtlich in einer Vielzahl von Fachverbänden (u. a. GPM und IPMA) bzw. gemeinwohlorientierten Initiativen (u. a. Outreach Europe, Coaching for Development, Responsible PM) aktiv. Seit 7 Jahren unterstützt er WAFA als Botschafter, Vorstandsmitglied und -berater. eMail: reinhard.wagner@tiba.de darin organisierten Projektmanagement-Experten. Diese können sich bei WAFA ehrenamtlich mit ihren besonderen Kompetenzen engagieren und so nicht nur einer gemeinnützigen Organisation wie WAFA helfen, sondern auch die Gesellschaft dabei unterstützen, noch mehr über die Arbeit der stillen Helden und ihrer Projekte zu erfahren. Eingangsabbildung: © matusciac-- stock.adobe.com Janine Tychsen Frauen, geht in Führung! 90 Tage Führungsmuskeltraining 1., Auflage 2022, ca. 180 Seiten €[D] 24,90 ISBN 978-3-7398-3116-9 eISBN 978-3-7398-8116-4 Wie kommen Frauen in Führungspositionen? Dieses Buch sprengt Klischees und regt zum Perspektivwechsel an. Um das “Warum-ist-das-alles-so? ” dürfen sich andere kümmern. Führungsmuskeltraining richtet seine Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt und wie jede mit ihrer Persönlichkeit Führung gestalten kann. Die Autorin legt die Verantwortung für die eigene Karriere in die Hände jeder einzelnen Frau. Anzeige 38 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0012 Raumarrangements: Wandel von Raum, Zeit und Rollen in der Projektorganisation Sibylle Peters, Martin Elbe Für eilige Leser | In Zeiten wachsender Unsicherheit und Digitalisierung nimmt auch die Arbeit in Projekten zu. Organisationen werden immer mehr zu temporären Repräsentationsräumen. Damit treten auch neue Projekträume in Erscheinung, in denen soziale Rollen und vertraute soziale Identitätsformen flexibilisiert werden. Der Projektraum ist abhängig von Bewegungen und Veränderungen in Struktur und Handeln der Akteure. Kollaboration bedeutet hier, auszuhandeln, was im jeweiligen Kontext von Bedeutung ist und wie dies im Zusammenhang mit der Gesamtorganisation steht. Das gilt für den Projekterfolg ebenso wie für den Zusammenhalt als Gruppe und die Weiterentwicklung der Akteure. Die neuen Räume sind vielfältig, aber sie helfen Unsicherheit in Ungewissheit zu überführen und dadurch zu bewältigen. Schlagwörter | Identität, Kollaboration, Projekträume, Raumtheorie, Rollen, Ungewissheit, Unsicherheit, Virtualisierung 1. Ungewissheit und neue Herausforderungen in Projekten Der Umgang mit Unsicherheit ist eine der zentralen Herausforderungen in Projekten, was durch die Corona-Pandemie und die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels weiter gesteigert wird. Vielfach sind damit handlungslähmende Unsicherheits-Erfahrungen für die Arbeit in Projekten verbunden, wodurch ein Management von Ungewissheit in diesem Kontext immer wichtiger wird. Durch die Offenlegung von Handlungsfreiräumen bietet die Ungewissheitsperspektive die Chance, jenseits von Planung und Kontrolle, [1] Wege zur Realisierung von Projektzielen zu finden. Das Agile Projektmanagement kann Antworten für eine innovative Gestaltung der Projektpraxis geben, worauf neue Experimente in Agilen Projekten verweisen. Diese generelle Entwicklung wurde durch die Corona-Pandemie noch verstärkt und so sehen sich Akteure in Projekt-Organisationen mit Handlungsungewissheiten, auch in Hinblick auf ihrer beruflichsozialen und professionellen Identitäten, konfrontiert. Sie stehen vor Herausforderungen, neue Handlungsoptionen mit verbessertem Anpassungsverhalten zu entwickeln und diese gruppenbasiert selbst zu steuern. So bleibt es nicht aus, immer intensiver nach neuen Kommunikationsformen und -foren zu suchen, die den Umgang mit Ungewissheit und Unsicherheit ermöglichen und neu zu arrangieren helfen. [1, 2, 3] Die Herausforderungen konzentrieren sich auf das Erstarken temporärer, projektorientierter Organisationsformen gegenüber klassischen, industriellen Organisationsformen. Innerhalb von Projekten entstehen neue Anforderungen an individuelle wie organisationale Handlungsabstimmungen und mit neuen Projektformen verändern sich auch Wissensarbeit und Kollaboration. Es entsteht eine doppelte Anforderungsstruktur individueller und organisationaler Bearbeitungsmodi. In diesem Kontext will der vorliegende Artikel den Fokus auf die Wissensarbeit in Projekten lenken und auf eine, das Agile Projektmanagement ergänzende Perspektive verweisen-- auf die Veränderung des Raums, in dem Wissensarbeit erbracht wird. Der Raum in Projektorganisationen steht für neue Konstellationen und veränderte Innovationserwartungen sowie Handlungsoptionen der Projekt-Akteure. Wenn verstärktes Anpassungsverhalten und Selbststeuerungen in den (agilen) Projektformen die neuen Herausforderungen sind, dann ziehen die temporären Projekt-Räume u. a. neue Rollen in der Ausgestaltung der Zusammenarbeit in Projekten nach sich. Salopp formuliert: Funktionsrollen, ebenso wie beruflich-soziale und professionelle Rollen innerhalb der bestehenden Organisationsstrukturen gelten nicht mehr in uneingeschränkter Weise und Prozessorientierung bekommt mehr Aufmerksamkeit als es bisher im Projektmanagement innehatte. Diese bereits länger andauernde Entwicklung hat mit der Ausbreitung temporärer Organisationsformen (z. B. Wissen | Raumarrangements: Wandel von Raum, Zeit und Rollen in der Projektorganisation 39 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0012 im Rahmen der Verprojektierung unmittelbar auf der Prozessebene) immer dichtere Anforderungen an Management und Akteure zur Konsequenz. Das erhöht Anforderungen an die Bewältigung und damit auch Nutzbarmachung von Ungewissheit, auf die mit neuen Ausdifferenzierungen von Anforderungen reagiert wird und das sind im Zuge von Wissensarbeit Raum- und Rollenüberlegungen sowie ein sich änderndes Verständnis von Zeit. Die Raumperspektive wird in Bezug auf Projekte genutzt, um Prozessen der Wissensarbeit (sowohl im Kooperationsals auch im Lernmodus) einen Rahmen zur Bewusstmachung und Weiterentwicklung zu bieten. Der Raum ermöglicht es, veränderte Sinnkonstellationen zu thematisieren, die den Handlungen der Akteure neue Gestaltungsoptionen bieten, wodurch Erweiterungen und Flexibilisierungen des beruflichsozialen Handelns ermöglicht wird. Räume in dieser Perspektive sind Sinnzuschreibungen, die bestimmte Personen-, Gegenstands-, Zeit- und Tätigkeitskonstellation bezeichnen. Wie Elbe und Erhard [4] anmerken, sind in diesem Kontext auch Organisationen als Räume zu verstehen, die sich an spezifischen Orten manifestieren (z. B. in Büros, im Homeoffice, in Besprechungsräumen- - kurz: wo immer sich organisationsspezifisch Arbeitsorte verstetigen) und aus gemeinsamen Sinnzuschreibungen geschaffen werden. Raum bedeutet, dass die Zusammenarbeit und die Sinnzuschreibungen von „einem Ort aus mehr Gemeinsamkeiten aufweisen als von unterschiedlichen Orten“ [5, S. 202]- - das kann allerdings auch ein virtueller Raum sein, oder eine zeitlich und örtlich asynchrone Kollaboration, wie sie für Projekte durchaus üblich ist. Aber die gemeinsame Sinnkonstruktion und der spezifische Handlungsrahmen sind konstitutiv. Hinsichtlich der Veränderung der professionellen Handlungsperspektive spricht man von neuen Raumrepräsentationen, die die Handlungsoptionen der Akteure beeinflussen, alle können den Raum des Projektes gemeinsam gestalten. Das Handeln des Managements und der Akteure kann in diesem Kontext unterschiedliche, neue Formen annehmen, die über die, durch traditionelle berufliche Identitäten begründeten, hinausgehen. Diese Veränderungen bringen neue Arbeitsweisen und neue Rollen für die Bewältigung der sich wandelnden Kollaboration durch Wissensaustausch in Projekten hervor. Die Temporalität der Organisation wird insbesondere dann unterstützt, wenn die bekannte Kooperation und Koordination von Struktur und Prozess nunmehr den Fokus auf die Prozessebene als entscheidenden Handlungsraum legen. Hier werden weitgehend autonom und temporär Projekt-Entscheidungen getroffen, z. B. im Agilen Projektmanagement. [2] Anders formuliert: Wenn Raumbeschreibungen als temporäre Repräsentationen Gestalt annehmen, verändert dieses auch Rollen bzw. die Erzeugung neuer Rollen findet dann in Projektstrukturen statt- - relativ unabhängig von hierarchischen Bedingungen der traditionellen Organisationsstruktur. Dies betrifft auch den Umgang mit Arbeitszeit, veränderte Bewältigungsmuster von Konflikten in der Zusammenarbeit, Vertrauensstiftung in temporären und virtuellen Räumen etc., wovon insbesondere Wissensarbeiter profitieren, die unter den veränderten Bedingungen ein erhöhtes Maß an Ungewissheit zu bewältigen haben. Diese neuen Anforderungen haben Einfluss auf Personalentwicklung und die Inanspruchnahme von souveränen Arbeits(zeit)formen. 2. Ungewissheit und Wissensarbeit in der Projektorganisation Ungewissheit und Raum bilden neue Koalitionen, die eigene Situations- und Sinndefinitionen durch die in Projekten Handelnden zulassen, wobei der Raum die Entscheidungsfindungen rahmt. Das Agile Projektmanagement ist gegenwärtig die konkrete Projektform, um dies zu gewährleisten. Hierbei eignet sich der Begriff Repräsentationsraum, um in Projekten kulturell gehandelte Symbolwerte des Austausches aller Akteure in ihren beruflich-sozialen Rollen zu thematisieren. [6] Der Raum erlaubt, Fragen des Handelns der Akteure und entsprechende Gestaltungsoptionen für autonome Entwicklungen-- ausschließlich auf der Prozessebene-- zu nutzen. Neue individuelle bzw. beruflich-soziale Gestaltungsoptionen können den begrenzten Rahmen des individuellen handlungsanleitenden Kompetenzbegriff „sprengen“. Dies zeigt sich z. B. wenn mit Hilfe von Scout-Fähigkeiten und unter Nutzung neuer Rollen „sinnsprengendes“ Neues aufgespürt wird. Der Raum wird damit eine Kategorie für Wissensbearbeitungen und Wissensaustausch. Individuelle Rollen und die beruflichsoziale Identität tritt in den Hintergrund. Die Umwandlung von Unsicherheit in Ungewissheit verändert die Arbeitserbringung in klassischen beruflichen Funktions-Rollen. Neue temporäre Raum-Arrangements stehen für Innovationserwartungen und einen Wandel der sozialen Identität. Der Raumbegriff gibt neue Impulse, in Projekten weniger die beruflich-sozialen Identität zu reproduzieren, als vielmehr sich als vernetztes Individuum mit Ungewissheitspotenzialen zu begreifen. Die veränderten Raumkonstellationen erlauben Projekte für die Wissensarbeit zu erschließen, die eine neue Ressource für die Ausgestaltungen beruflicher Identitäten sein könnte. Hierbei geht es um das Verfügbarmachen von Wissen in dynamischen Projektstrukturen und Einflussmöglichkeiten für alle dort arbeitenden Akteure, die spätestens jetzt zu Wissensarbeitern werden. Die institutionelle Verfasstheit der temporären Projektform wird nun deutlich und kann die Aufmerksamkeit auf neue Kontexte der Arbeitsorte, der Arbeitsmittel und der Arbeitsprozesse, jenseits von individueller Handlungskompetenz, richten. Der Sinnraum des Projektes wird Gegenstand für neue Rollendifferenzierungen und Gestaltungsüberlegungen, und damit auch für neue Lern- und Kompetenzoptionen innerhalb von Wissensarbeit. Wissensarbeit betrifft in diesem Kontext nicht nur die Nutzung, Aneignung und ökonomische Verwertung von professionellem Wissen, sondern bezieht sich auf die Erzeugung und den Austausch spezifisch raumbezogenen Wissens. Wissen ist in diesem Kontext Handlungsvermögen, das sich weiterentwickelt in der Arbeit und sich verändernden Bedingungen anpasst, ggf. auch die Bedingungen selbst verändert. In dieser Verbindung wird der temporäre Raum ein neuer Gegenstand von Organisations- und Personalfragen, [6] wobei Ungewissheit neue Entwicklungen induziert. Die Akteure erwarten Unterstützung in Hinblick auf diese Veränderungen und eine angemessene Offenheit für die dabei auftretenden Reibungsverluste, z. B. durch Wissensunterschiede und durch neue Formen des Umgangs mit Nähe und Distanz. In der klassischen beruflich-soziale Rolle ist die Kombination aus Nähe und Distanz gegenüber anderen Rollen festgeschrieben. In neuen Räumen der Wissensarbeit ist ein gemeinschaftlicher Wissensaustausch Voraussetzung dafür, konkrete Problem- Wissen | Raumarrangements: Wandel von Raum, Zeit und Rollen in der Projektorganisation 40 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0012 stellungen zu bewältigen. Genau diese Wissensformen erzeugen immer häufiger Innovationsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft. In zurückliegenden Jahren wurde Wissen als ökonomisches Gut innerhalb von Wissensmanagement diskutiert. Wissensarbeit in neueren Diskussionen betrifft Formen des Wissens als Fähigkeit zum praktischen Handeln und folglich erhält die Arbeitsorganisation eine zunehmende Bedeutung, z. B. als remote work im Homeoffice oder durch mobiles Arbeiten (auch in shared work spaces). 3. Veränderte Arrangements und neue Repräsentationen in Raum, Zeit und Rollen Für die Projektarbeit haben der Umgang mit Ungewissheit und die Repräsentation in agilen Projektformen eine besondere Bedeutung. Hierdurch wird das traditionelle (planungsbasierte) Projektmanagement in Richtung eines Managements der Ungewissheit ergänzt. Während aktuell insbesondere Aspekte von Agilen Organisationskulturen für Projekte thematisiert werden, greift der raumorientierte Ansatz insbesondere auf die Perspektive des wissensbasierten Arbeitens zurück und wirkt dadurch auf die Gestaltung der Projektrollen der Mitarbeiter. Die Suche nach gemeinsamen Sinnkontexten zeigt sich in neuen Konstellationen von Raum und Rolle im Sinne des Agilen Projektmanagements. Diese Entwicklungen prägen im Projektraum, der insbesondere durch seine temporäre Begrenzung konstituiert wird, spezifische Entscheidungsstrukturen sowie eigenständige Management- und Mitarbeiterrollen. Hierdurch wird der Fokus auf neue Arbeitsformen und Arbeitsmittel der Informatisierung gelenkt und die jeweilige organisatorische Einbindung selbst wird Gegenstand neuer hybrider und agiler Projektformen, die sich traditionellen Planungsprozessen in den Organisationen entziehen. Dies geht mit einer Flexibilisierung der Rollen der Prozessverantwortlichen einher, was sowohl die Führung durch Projektleiter betreffen kann als auch das Handeln von Projektmitarbeitern im Umgang mit Wissen und Gestaltung einer selbstorganisierten Zusammenarbeit. [7] Die neuen Rollen in temporären Projekträumen sind von Informatisierung geprägt, die den Austausch von Wissen essenziell machen. Handlungen und Entscheidungen im Rahmen der Informatisierung zeigen, dass nicht allein das Wissen aus der beruflich-sozialen Identität von Belang ist, sondern die Neu-Generierungen von Wissen generell. Dies betrifft die gesamten projektbezogenen Arbeitsformen und -mittel, wodurch eine neue systemische Integration der Projektakteure und ihrer Zusammenarbeit nötig wird. Die Projektakteure werden nunmehr in das temporäre Geflecht des Wissensaustausches in der Organisation, über ihre individuelle soziale Verortung hinaus, eingebunden-- z. B. mit Hilfe von wissensbezogenen kognitiven Landkarten-- und institutionalisieren dies in neuen Projektrollen. Die neuen Gruppenrollen sind an die Temporalität der Projekte gebunden und wirken sowohl flexibilisierend als auch innovationsfördernd. Das schafft Anpassungspotenziale hinsichtlich der Ausgestaltung neuer Rollenarrangements und neuer Leistungsbewertungen. Die Tätigkeit von Projektakteuren und Management sind Teil der Gestaltung vernetzt-flexibler Arbeit, wodurch Ungewissheit gestaltbar wird. Dies zeigt sich in Tätigkeiten wie z. B. Trainieren, Coachen und Moderieren, aber auch in neuen Rollen, wie der des Mentors, die allgemein zunehmen und nicht mehr in der Hierarchie begründet werden. Sie sind Teil der neuen Informatisierungsprozesse und als solche selbstverständlich. Traditionell individuelle Kompetenzerfordernisse erfahren in temporären Strukturen eine Aufsplittung und Vervielfältigung in gemeinsam gehaltene Wissensbereiche, was zur Ausbildung neuer (temporärer) Rollen führt, die kaum mehr auf Hierarchie zurückgreifen müssen. Im Kontext wechselnder Projektstrukturen ist immer wieder neu zu klären, welche Rollen mit spezifischen kurzfristigen Aufgaben verbunden sind und welche Rollen im Expertenmodus eingenommen werden. Dies erfordert verstärkt Selbststeuerungen, die auch den Sinnzusammenhang der Gruppe betreffen, z. B. wenn Projektmitarbeiter zu Akteuren werden, die an der Grenze der Gruppe in Kontakt mit der Umwelt treten und in ihren Rollenarrangements neue Kopplungen von Prozessen und organisationalen Zielen realisieren. Unterschiedlichen Rollenzuschnitten, Befindlichkeiten und Selbstansprüche werden von den Projektakteuren ausprobiert, wodurch Innovationsfähigkeit gefördert wird. Zugleich wandern Aufgaben aus der Geschäftsebene in die Verantwortungsbereiche von Projekten ab und Rollenträger übernehmen in spezifischen Projekten Aufgaben zur Bewältigung wiederkehrender Prozesse. Sie ‚inszenieren‘ diese Aufgaben temporär und öffentlich sichtbar, wodurch soziale Kontrolle in Organisationen informatisiert und temporalisiert wird. Soziale Kontrolle verliert in diesen wechselnden Rollen ihren formellen Charakter, was ja in agilen Projekten auch angestrebt wird, und wodurch Bedingungen für Verhandlungspotentiale sowohl innerhalb der Projektgruppe als auch im Rahmen der Abstimmung mit anderen Organisationseinheiten geschaffen werden. Es bilden sich hierbei projektspezifische neue Gruppenrollen heraus: [8] • die regelmäßig Entscheidungsvorbereitung und -findung initiieren (Gastgeberrollen), • die gemeinsam getroffenen Entscheidungen dokumentieren, damit ein einheitlicher Informationsstand gegeben ist und Vereinbarungen eingehalten werden (Dokumentarrollen), • die Lernprozesse anregen, z. B. über die gemeinsame Arbeit und Selbstorganisation zu reflektieren und Foren schaffen, um Verbesserungen zu vereinbaren (Lernbegleiterrollen). Hierbei handelt es sich nicht um formale, sondern um gruppenspezifische Rollen, die als Gruppenaufbaurollen und Gruppenaufgabenrollen der Kohäsion und Zielerreichung von Gruppen generell dienen und durchaus auch Überschneidungen und Doppelungen aufweisen. Hier bilden sich temporär Erwartungssets an Gruppenmitglieder in neuen Räumen heraus, die dann vielfach für die spezifische Raumkonstellation (z. B. in einem Projekt) Gültigkeit haben, nicht aber grundsätzlich für die sozialen Beziehungen der Beteiligten in einem spezifischen institutionellen Setting (also z. B. generell in einer Organisation) gelten. Dies lässt sich nach Elbe und Peters [6] anhand folgender Beispiele konkretisieren: Die Gastgeberrolle kann z. B. Führungsaufgaben aus dem Verantwortungsbereich der Geschäftsebene in Projekte überführen, ohne dass die Person, die hier diese Rolle einnimmt, generell in einer Vorgesetztenrolle zu verorten wäre. Sie nimmt in diesem Sinn Gruppen aufgaben rollen war. Der projekteigene Entscheidungsmodus kann damit zur partiellen Sinnstiftung und zum Projekterfolg beitragen, wobei dies im Rahmen Wissen | Raumarrangements: Wandel von Raum, Zeit und Rollen in der Projektorganisation 41 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0012 der Gestaltung der Projekte immer wieder neu zu regeln ist. Ein Gastgeber ist aber auch für die Zusammenstellung der Gruppe mitverantwortlich- - er oder sie lädt ein und ist damit für den Aufbau der Gruppe von zentraler Bedeutung. Die Dokumentarrolle deckt insbesondere methodenbezogene Verhaltenssets ab, die helfen, Lessons-Learned-Erfahrungen im Projekt zu verankern, und in anderen Bereichen zur Informatisierung oder für veränderte Zusammenarbeit zur Verfügung zu stellen-- dies kann als Raumübertragung verstanden werden, da dadurch Sinnzusammenhänge, die sich für Projekte als erfolgsversprechend erweisen, sich über mehrere Projekte hinweg verbreiten. Die Dokumentarrolle ist damit ebenfalls aufgabenorientiert. Auch Lernbegleiterrollen haben Aufgabenanteile und sorgen u. a. dafür, dass die Wissensübertragung im Arbeitsprozess in einem Projekt eine zentrale Bedeutung bekommt. Die Bedeutung des Lernens im Prozess der Arbeit hat in temporären Projektformen eine besondere Bedeutung und zeigt die Verbindung von individuellen und organisatorischen Kompetenz- und Wissenszuwächsen auf. Hierbei geht es auch darum, den Akteuren in den Repräsentationsräumen der Projekte aufzuzeigen, wie Raumkonzepte und damit auch -praktiken sich ändern und wie die Ausgestaltung der Rollen durch kontinuierliche Lernbegleitung unterstützt werden kann. Meilensteine innerhalb von Projekten helfen- - als ‚kleine Lernschleifen‘- - über die eigene Arbeit und Selbstorganisation zu reflektieren und den Prozess der Generierung neuen Wissens in digitalen Anforderungssituationen interaktiv zu gestalten. [6, 7] Das gemeinsame Lernen wird zum Teil des Gruppenerlebens und damit auch des Gruppenaufbaus. Lernergebnisse sind hier offen und kommen z. B. im Sinne von Scouting-Verfahren innerhalb von Gruppen hochqualifizierter Akteure zum Einsatz. Diese erwarten hinsichtlich der Lernbegleitung individuell zugeschnittene Coaching-Angebote und legen vielfach den Schwerpunkt auf das Lernen im Prozess der Projekt-Arbeit. Alle diese Aspekte tragen zu neuen Raumrepräsentationen in der temporären Projektarbeit bei. Es ist ein wichtiger Aspekt in den neuen Projekträumen, dass die Trennung von Aufgabenrollen und Aufbaurollen vielfach aufgehoben wird und zunehmend eine Überschneidung der klassischen Rollenzuschreibungen stattfindet. 4. Beispiele neuer Arrangements in Raum, Zeit und Rollen Beispiele für neue Raumarrangements und deren Auswirkung auf Zeit und Rollen finden sich z. B. in den Studien zu Arbeitszeitselbstbestimmung und Arbeitszeitsouveränität in wissensintensiven und digitalisierten Projektwelten, in den Jahren 2016 und 2021 im Auftrag der GPM (Gesellschaft für Projektmanagement e. V.). Die erste Studie von 2015 / 2016 [9] zielte darauf ab, Bedingungen und Optionen von wissensorientierter Projektarbeit sowie daraus resultierender Formen und Grenzen der Gestaltung von Arbeitszeit zu analysieren. Die zweite Studie von 2020 / 2021 [10] nimmt aufbauend darauf ausgewählte Fragen aus diesem Themenfeld auf und erweitert den ursprünglichen Fokus um ein Modell der Arbeitssouveränität. In beiden Untersuchungen bilden die Anforderungen einer sich rasant verändernden Arbeitswelt den Ausgangspunkt, und fokussieren auf den wissensintensiven Sektor der Arbeitswelt, der durch Digitalisierung und technologische Innovation geprägt ist. Die neuen Herausforderungen betreffen den gesamten Bereich der remote work, also Arbeitsprozesse, -strukturen und -formen, die durch arbeitssouveränes, zeit- und ortsunabhängiges Arbeiten geprägt sind. Darüber hinaus hat interaktives sowie vernetztes Arbeiten wesentlich an Bedeutung gewonnen. Die Ergebnisse beider Studien verdeutlichen, dass arbeitssouveränes Handeln unter Projekt-Mitarbeitern in wissensintensiven temporären Organisationsformen weit verbreitet ist. Auf der Handlungsebene der Akteure verdeutlichen die Ergebnisse, dass das Erleben von Kompetenz, von sozialer Eingebundenheit und von Autonomie zentrale Grundbedürfnisse der Akteure und damit Voraussetzung für selbstbestimmtes Handeln sind. Dies wiederum beeinflusst die Motivation der Akteure signifikant positiv und weist auch eine signifikante Korrelation mit der selbstempfundenen Arbeitssouveränität auf. [11] Insgesamt wird der souveräne Umgang mit der eigenen Arbeit und Arbeitszeit von den Projektakteuren als sinnstiftend angesehen sowie als Form der Anerkennung empfunden. In der Folge wächst die individuelle Verantwortungsübernahme der Projektmitarbeiter, was die Wahrnehmung erweiterter Handlungsspielräume verspricht. Hingewiesen werden soll auch auf eine empirische Untersuchung des Instituts für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft in Hannover, [12] die sich in Zeiten von Ungewissheit mit Fragen von Zeitgestaltung in (temporären) Arbeitsprozessen befasst und den individuellen Umgang mit verschiedenen Zeitformen hinsichtlich der Personalentwicklung aufgreift. Der Wandel von Arbeit und Arbeitszeit in Projektformen wirkt demnach nicht nur in herkömmlichen Organisationsstrukturen als Innovationstreiber, sondern ermöglicht die Suche nach neuen Lösungen in projektförmiger Arbeit- - wodurch neue, virtualisierte Projekträume in den Organisationen geschaffen werden. Die Informatisierung und der Austausch von Wissen bedingen ein eigenständiges Weiterlernen der Akteure in diesen Prozessen der Arbeit, verbunden mit einer Weiterentwicklung der Organisation als Sinn- und Innovationsraum insgesamt unter Beachtung des institutionellen Charakters der Organisation. 5. Einschätzung Organisationen werden durch Virtualisierung und Digitalisierung immer deutlicher zu temporären Repräsentationsräumen. Im Zuge der Entwicklung von Wissensarbeit mit permanenten Innovationserwartungen und dementsprechenden Aktivitäten, die räumlich verteilt und dabei arbeitsteilig angelegt sind, treten neue Projekträume hervor. Die Entwicklungen dieser Räume beeinflussen die sozialen Rollen und die Identitätsbildungen in Organisationen-- vertraute soziale Identitätsformen werden flexibilisiert. Auch der Einzelne kann unter diesen Bedingungen seine (beruflich-)soziale Situation aus professionsbezogener Sicht und die daran gebundene soziale Position nicht mehr nur anhand festgefügter Rollen in stabilen Gruppen beanspruchen, sondern ist auf neue Erfahrungen in unterschiedlichen Kontexten angewiesen, ohne eine gemeinsame Sinnkonstruktion im übergeordneten Raum der Organisation aufzugeben. Entscheidungssituationen werden offenbar abhängig vom Umgang mit Ungewissheit in jeweils eigenständigen Projektkonstellationen und damit be- Wissen | Raumarrangements: Wandel von Raum, Zeit und Rollen in der Projektorganisation 42 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0012 dürfen Entscheidungssituationen nicht zuletzt eines zunehmenden Selbstvertrauens. Hier wird die Bedeutsamkeit der neuen Rollen z. B. als Lernbegleiter deutlich, da die Einzelnen auch der Unterstützung in der Einbindung bedürfen. Es bedarf der Reflexionsfähigkeit, um die eigenen kognitiven Wissens-Landkarten in Strukturen der temporären Organisation, mit entsprechendem Rollenverhalten, zu überführen. Die Zusammenarbeit in den neuen Räumen hilft Unsicherheit in Ungewissheit zu überführen, sich im Kollektiv weiterzuentwickeln und Projekterfolge zu sichern. Literatur [1] Böhle, Fritz / Busch, Siegried (Hrsg.): Management von Ungewissheit, transcript, Bielefeld 2012 [2] Elbe, Martin / Peters, Sibylle: Die temporäre Organisation. Grundlagen der Kooperation, Gestaltung und Beratung, Springer Gabler, Berlin 2016 [3] Jeschke, Sabina, Jakobs, Eva-Maria, Dröge, Alicia (Hrsg.): Exploring Uncertainty. Ungewissheit und Unsicherheit im interdisziplinären Diskurs, Springer Gabler, Wiesbaden 2013 [4] Elbe, Martin / Erhardt, Ulrich: Konstruktive Organisationsentwicklung: Menschen verstehen · Organisationen gestalten · Lernkulturen entwickeln, Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler 2020 [5] Löw, Martina: Raumsoziologie, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2001 [6] Elbe, Martin / Peters, Sibylle: Neue Räume-- neue Rollen? Ungewissheit im Kontext der Temporären Organisation. In: Gruppendynamik, Organisation, Interaktion (GOI) 52. Jg. Heft 4/ 2021, S. 589-599 [7] Bolte, Annegret/ Neumer, Judith: Lernen in der Arbeit. Erfahrungswissen und lernförderliche Arbeitsgestaltung in wissensintensiven Berufen, Hampp, München 2020 [8] Oestereich, Bernd / Schröder, Claudia: Agile Organisationsentwicklung. Handbuch zum Aufbau anpassungsfähiger Organisationen, Vahlen, München 2020 Martin Elbe Martin Elbe, Prof. Dr., Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Arbeitsschwerpunkte: Sozialpsychologie und Militärsoziologie (insbesondere: Organisation, Arbeit, Personal, Gesundheit, Sport, Verstehen). martinelbe@bundeswehr.org Sibylle Peters Sibylle Peters, Prof. Dr., Gastwissenschaftlerin im Bereich Arbeitslehre / Technik und Partizipation der TU Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Soziologie der Arbeit (insbesondere: Führungsnachwuchs, Arbeitszeitsouveränität, Wissens- und Projektmanagement). sibylle.peters@campus.tu-berlin.de [9] Peters, Sibylle/ Garrel, Jörg v./ Düben, Ansgar/ Dienel, Hans-Liudger: Arbeit- - Zeit- - Souveränität. Eine empirische Untersuchung zur selbstbestimmten Projektarbeit, Hampp, München 2016 [10] Peters, Sibylle/ Garrel, Jörg v./ Düben, Ansgar/ Dienel, Hans-Liudger: Neue Formen von Arbeitszeitselbstbestimmung in digitalisierten Projektwelten. Projektbericht, Nexus- Institut, Berlin 2021 [11] Garrel, Jörg v.: Arbeits(zeit)souveränität in digitalisierten Projektwelten, Manuskript, Darmstadt 2021 [12] Haunschild, Axel/ Krause, Florian / Perschke-Hartmann, Christiane / Schubert, Andrea-Kristin / Vedder, Günther / Vogel, Martin (Hrsg.): Arbeit und Zeit, Hampp, München 2020 Eingangsabbildung: © iStock.com / Mikolette 43 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0013 Gibt es künftig noch Projekte und Projektmanager? Agilität trifft Projektmanagement Marco Liechti, Anne-Kathrin Bolender, Reto Scherrer Für eilige Leser I „Projektmanagement“ als Begriff ist bestens in der Literatur definiert. Mit „Agilität“ sieht es etwas anders aus-- und die beiden Begriffe im Zusammenhang zu diskutieren, birgt ein hohes Potenzial für Missverständnisse. Um dem abzuhelfen, sollte der Kontext im Unternehmen betrachtet werden: Wird ein klassisches Projekt- und Projektportfoliomanagement geführt und die Diskussion zu Agilität findet innerhalb der Projekte statt? Oder wird Agilität als Grundlage für ein ganzes Portfolio-Design vorausgesetzt, wodurch der Projektbegriff per definitionem obsolet wird? Im vorliegenden Artikel wird dieser Kontext im Unternehmen in einem Ordnungsrahmen strukturiert und beschrieben. Dadurch ergibt sich ein besserer Überblick im Dschungel der Methoden und die Diskussion zu Agilität und Projektmanagement kann versachlicht werden. Schlagwörter I Ordnungsrahmen, Projektkontext, Klassisches Projektmanagement, Hybrides Projektmanagement, Agiles Projektmanagement Gibt es in der Agilität überhaupt noch Projekte und Projektmanagement? Schon nur diese Frage zu hören, empört viele- - und birgt das Potenzial, Glaubenskriege zu führen. Im vorliegenden Artikel versucht die Fachgruppe „Agile und Projektmanagement“ der Schweizerischen Gesellschaft für Projektmanagement (spm), der Frage rational auf den Grund zu gehen [1]. Sie hat dafür einen Ordnungsrahmen entwickelt, welcher dazu dienen kann, die Diskussion von Agilität in Zusammenhang mit „Projektmanagement” zu strukturieren. Projektmanagement und Agilität „Projektmanagement“ als Begriff ist bestens definiert und beschrieben. „Agilität“ hingegen ist ein jüngerer Begriff, und wird in einer großen Bandbreite mit unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Dazu gehören unter anderem Führungsaspekte („agile Organisationsentwicklung“ [2] „Management 3.0“ [3]), Formen der Arbeitssteuerung („Scrum“ [4], „Kanban“ [5]), ein Mindset, sowie ganze Frameworks für Zielvereinbarungen („OKR“ [6]) oder Lösungsentwicklung („Scaled Agile Framework“ [7], „LeSS“ [8]). Deshalb ist es nicht zielführend, beide Begriffe mit einem allgemeingültigen Anspruch zueinander in Beziehung zu setzen. Vielmehr würden sich hieraus fehlgeleitete Pauschalurteile ergeben, wie „Agilisten machen nur alten Wein in neuen Schläuchen“, oder „Projektmanagement hat mit Agilität ausgedient“. Bedeutung des Kontextes für die Diskussion Der vorliegende Artikel hat zum Ziel, Diskussionen rund um „Agilität“ und „Projektmanagement“ mit strukturierenden Elementen zu unterstützen. Der eingangs erwähnte Ordnungsrahmen beschreibt zu diesem Zweck mehrere mögliche Kontexte, in welchen sich ein Unternehmen oder Unternehmensteil in Bezug auf die beiden Begrifflichkeiten befinden kann (vgl. Abbildung 1). Durch die Kenntnis des Kontextes und seiner Definition kann die Diskussion an Qualität gewinnen. Es wird zum Beispiel ersichtlich, dass sich die Notwendigkeit und Aufgaben eines Projektleiters je nach Kontext unterscheiden. Auch lassen sich die vielen Formen von „hybridem“ Projektmanagement im Sinne von gemischtem Einsatz klassischer und agiler Werkzeuge besser beschreiben und einordnen (z. B. [9] oder [10]). In den folgenden Abschnitten wird der Aufbau des Ordnungsrahmens auf Basis von verschiedenen Merkmalen des Projektmanagements hergeleitet (vgl. Abbildung 1). Dieses systematische Vorgehen wird auch in anderen Disziplinen angewendet (basierend auf [11]). Danach werden die einzelnen Merkmale und deren Ausprägungen beschrieben. Abschlies- Wissen | Agilität trifft Projektmanagement 44 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0013 send wird der Frage nachgegangen, ob es neben der Agilität weiterhin Projektmanagement gibt und wie Agilität und Projektmanagement sich ggf. auch künftig ergänzen. „Agil“ und Projektmanagement in verschiedenen Kontexten Als „Kontext“ wird im vorliegenden Artikel der Bezug zwischen Agilität und Projektmanagement verstanden. Hierbei werden die organisatorischen Arbeitsbedingungen (Rahmenbedingungen) innerhalb des Unternehmens betrachtet. Sollte ein Unternehmen in Bezug auf Projekt-, Programm- und Projektportfoliomanagement größere Agilität anstreben, so ist anhand der Kontexte erkennbar, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, welche Veränderungen zu realisieren sind und welche organisatorischen Implikationen dadurch entstehen. Anhand der Merkmale werden verschiedene Ausprägungen beschrieben, welche für den jeweiligen Kontext bestimmend sind. Abbildung 1 stellt die typischen Kontexte nebeneinander. Die Bandbreite reicht vom Kontext 1 „Kein Agile“ bis hin zum Kontext 4 „Agile als Grundlage für das Programm- oder Portfolio-Design“. Der Ordnungsrahmen ist rein beschreibend und dient der Orientierung. Es ist wichtig zu verstehen, dass bspw. mit der Einordnung in Kontext 1 oder 2 keine Wertung verbunden ist-- nicht jedes Unternehmen kann oder muss Kontext 3 oder 4 anstreben. Je nach Kontext wird Agilität und Projektmanagement auf eine bestimmte Weise in Zusammenhang gebracht. Hierdurch verändert sich die Bedeutung der beiden Begriffe leicht, was aus ihrer Beziehung zueinander resultiert. Zum Beispiel zeigt Kontext 4, dass das Projektportfolio eines Unternehmens dauerhaft aus agilen Umsetzungsorganisationen besteht. In diesem Kontext wird der Projektbegriff auf eine Art und Weise hinterfragt, wie es in den anderen Kontexten nicht der Fall ist: Die temporäre Organisation als grundlegendes Merkmal eines Projektes ist nicht mehr gegeben. Die Merkmale und ihre Ausprägungen, welche aus Sicht der Fachgruppe bestimmend für die Unterscheidung der Kontexte sind, können den Zeilen der Abbildung 1 entnommen werden. Es handelt sich nicht um eine Vollständige Auflistung, sondern um eine Auswahl, die für die Unterscheidung der Kontexte relevant sind. Zudem ist farblich gekennzeichnet, welche Ausprägungen weniger oder mehr mit Agilität in Verbindung gebracht werden. Die einzelnen Merkmale und Ausprägungen sind summarisch in den Tabellen 1 bis 5 beschrieben. Abbildung 1: Ordnungsrahmen: Spektrum der Kontexte für „Agilität und Projektmanagement“ (eigene Darstellung) Ausprägung Beschreibung A.1 Projektauftrag legt die drei Ecken des „Magischen Dreiecks“ fest Der Auftrag für eine Veränderung wird als Projektauftrag zwischen Auftraggeber bzw. Auftraggeberin und Projektleiter bzw. Projektleiterin vereinbart. Die Dimensionen Leistung, Zeit und Budget werden darin festgelegt (d. h. die drei Ecken des „Magischen Dreiecks“ des Projektmanagements). Die Steuerung erfolgt über das Managen von Abweichungen in den drei Dimensionen. A.2 Zeit und Budget fix, Leistung dynamisch Der Auftrag für eine Veränderung wird zwischen Auftraggeber bzw. Auftraggeberin und einer oder mehreren Rollen der Führung vereinbart. Dabei steht die Größe der umsetzenden Mannschaft und die Zeit im Vordergrund (Zeit und Budget); die Leistung wird als Backlog gesehen und in der zur Verfügung stehenden Zeit so weit wie möglich bearbeitet. Die Steuerung erfolgt über die laufende Priorisierung des Backlogs. A.3 „Fluss“ an Arbeitspaketen In Erweiterung zu A.2: Die Umsetzung besteht aus mehreren Backlogs, möglicherweise auf verschiedenen Flughöhen, und beinhaltet Arbeitspakete unterschiedlicher Größe. Die Aufträge werden selbst zu Arbeitspaketen und „durchfließen“ in einem iterativen Requirements Engineering Prozess diese Backlogs. Tabelle 1: Beschreibung der Ausprägungen des Merkmals „Form der Beauftragung“ Wissen | Agilität trifft Projektmanagement 45 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0013 Kontext 1: Kein „Agile“ Dieser Kontext ist dem traditionellen Projektmanagement am nächsten. Beim klassischen Verständnis eines Projekts liegt eine temporäre Organisation zur Erreichung eines Zieles vor, Agilität hat keine besondere Bedeutung. Verschiedene Projektmanagementstandards, z. B. das PMBOK des Project Management Institutes (PMI) [12] oder die Individual Competence Baseline (ICB4) der International Project Management Association (IPMA) [13, S. 36], definieren Projekte als einmalige, temporäre, multidisziplinäre Organisationen, um vereinbarte Lieferobjekte innerhalb der gesetzten Anforderungen und Rahmenbedingungen zu erfüllen, damit ein einmaliges Projektziel zu erreichen. Die permanente Unternehmung beauftragt Projekte unter Beachtung des magischen Dreiecks, die Werkzeuge des Projektmanagements sind bekannt und der Projektleiter bestimmt über deren Einsatz. Ausprägung Beschreibung B.1 Temporäre Organisation je Projekt Für das Projekt wird eine neue, temporäre Projektorganisation zusammengestellt, welche nach Projektende wieder aufgelöst wird. Dies wird auch „projektorientierte Organisationsform“ genannt. Dabei kann auch eine temporäre Organisation als „Agile Release Train“ organisiert sein. B.2 Permanente Organisationen Die Arbeitspakete werden durch permanente Organisationen rund um die Backlogs auf den verschiedenen Flughöhen (vgl. A.3) bearbeitet. Dies wird auch als „produktorientierte Organisationsform“ umschrieben. Tabelle 2: Beschreibung der Ausprägungen des Merkmals „Organisationsform“ Ausprägung Beschreibung C.1 Konzentrierte Führung (eine Rolle) Der Projektleiter bzw. die Projektleiterin steuert alle drei Dimensionen Leistung, Zeit und Budget. C.2 Verteilte Führung (auf verschiedene Rollen) Die Führung wird auf verschiedene Rollen verteilt. Jede erhält einen Teil der Verantwortung. Typischerweise wird unterschieden zwischen der inhaltlichen Verantwortung (Prioritäten im Backlog, inhaltlicher Beschrieb der Arbeitspakete) und der methodischen Verantwortung (Arbeitsweise, Teamproduktivität, Prozesse). Teilweise werden auch weitere Rollen definiert. Tabelle 3: Beschreibung der Ausprägungen des Merkmals „Rolle der Führung“ Ausprägung Beschreibung D.1 Phasenweise, iterativ oder adaptiv Der Projektleiter bzw. die Projektleiterin verantwortet die Strukturierung des Ablaufs. Er oder sie entscheidet, ob ein phasenweises, iteratives oder adaptives Vorgehen am besten geeignet ist. Das adaptive Vorgehen beschreibt dabei den Wechsel zwischen Vorgehensweisen je nach Projektphase. D.2 Iterativ Die iterative Strukturierung ist vorgegeben aus der permanenten Organisation (vgl. B.2) und dem „Fluss“ an Arbeitspaketen (vgl. A.3). Tabelle 4: Beschreibung der Ausprägungen des Merkmals „Strukturierung des Ablaufs“ Ausprägung Beschreibung E.1 Kein Einsatz Diese Ausprägung ist im Ordnungsrahmen aufgenommen, damit dieser das vollständige Spektrum abbildet. In Realität verantwortet der Projektleiter bzw. die Projektleiterin, ob und wie viele agile Werkzeuge zum Einsatz kommen. E.2 Teilweiser Einsatz Agile Werkzeuge werden innerhalb eines klassischen Projektvorgehens teilweise eingesetzt. Dies kann beispielsweise ein Kanban Board zur Arbeitssteuerung sein, Scrum als Arbeitsweise eines Entwicklungsteams, oder Daily Standup-Meetings im Projektteam. Der Entscheid über den Einsatz liegt beim Projektleiter bzw. der Projektleiterin. E.3 Konsequenter Einsatz Das Projekt-, Programm- oder Portfoliodesign ist auf den konsequenten Einsatz agiler Werkzeuge ausgerichtet. Tabelle 5: Beschreibung der Ausprägungen des Merkmals „Einsatz Agiler Werkzeuge“ Wissen | Agilität trifft Projektmanagement 46 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0013 Dieser Kontext zeichnet sich durch eine phasenorientierte Umsetzung aus, die linear, inkrementell oder auch iterativ sein kann. Kontext 2: Einsatz einzelner Werkzeuge aus „Agile“ In diesem Kontext ähneln fast alle Merkmale denen des Kontexts 1. Analog zu Kontext 1 beauftragt die permanente Unternehmung Projekte unter Beachtung des magischen Dreiecks. Ebenfalls analog zu Kontext 1 bestimmen die Projektleitenden über den Einsatz der Werkzeuge des Projektmanagements zur bestmöglichen Erreichung des Projektziels. Der relevante Unterschied liegt jedoch darin, dass unter diesen Werkzeugen einzelne agile Werkzeuge angewendet werden. Dies können einfache Werkzeuge sein, wie z. B. Daily Standup-Meetings oder Kanban Boards zur Arbeitssteuerung [14], oder aber auch anspruchsvollere Werkzeuge, wie z. B. bei einer Software-Entwicklung, welche im Projekt nach Scrum [15] organisiert wird. Der Kontext 2 ist in der Praxis durch etablierte Grundlagen des Projektmanagements gekennzeichnet, die mit einzelnen agilen Werkzeugen kombiniert werden. Wann der Einsatz agiler Werkzeuge sinnvoll ist und wie diese angepasst werden können, wird z. B. durch die „Agile Extension“ zum BABOK für Agiles Requirement Engineering [16] oder im „Agile Practice Guide“ der PMI als Ergänzung zum PMBOK [17] diskutiert. Wie in Kontext 1 kann z. B. die ICB 4 [13] als Referenz für eine Übersicht der benötigten Kompetenzen verwendet werden, da sie nicht an ein bestimmtes Vorgehensmodell gebunden ist. Kontext 3: „Agile“ als Grundlage des Projektdesigns Die ICB 4 beschreibt als Kompetenz des „Projektdesigns“, wie Bedürfnisse, Wünsche und Einflüsse der Organisation interpretiert, gewichtet und in die Grundprinzipien des Projekts übertragen werden, um die höchste Erfolgswahrscheinlichkeit sicherzustellen. Es entspricht folglich einer Art „groben Skizze“ für das gesamte Projekt [13, S. 116-121]. Was bedeutet es nun, wenn Agilität die Grundlage des Projektdesigns ist? Der Unterschied zwischen den Kontexten 3 und 2 ist deutlich größer als derjenige zwischen Kontext 1 und 2. Das iterative Vorgehen wird zur Grundlage der Projektabwicklung, wodurch das gesamte Projekt als Backlog von Elementen beschrieben wird und das Projektziel nicht mehr von vorneherein klar definiert ist. Daraus folgt, dass die Beauftragung nicht mehr als „magisches Dreieck” erfolgt, denn damit würden Leistung, Zeit, und Budget fixiert und als Auftrag formuliert. In einem Projekt des Kontexts 3 liegt das „umgekehrte“ magische Dreieck vor, wie es häufig mit „agilem Projektmanagement“ in Verbindung gebracht wird. Dieses besagt, dass der Aspekt der Leistung erst im Projektverlauf festgelegt wird. Weiterhin gehört zu einem agilen Projektdesign auch eine andere Organisationsform: Die Rolle der Führung wird auf oberster Ebene der Projektleitung geteilt. Scrum bspw. unterteilt die Führungsrolle in einem Entwicklungsteam in die Rollen des Product Owners (fachliche Führung) und des Scrum Masters (methodische Führung) [15]. Im Kontext 3 wird folglich die Projektleitung in mindestens eine Rolle verantwortlich für Arbeitsweise sowie eine für Inhalt aufgeteilt. Dieser Kontext ist den agilen Skalierungsframeworks nahe (z. B. das Scaled Agile Framework in der „Essential SAFe“ Konfiguration). Insbesondere in der Software-Entwicklung, aber auch in anderen Branchen, ist es oft möglich, ein Projekt so mit Ressourcen auszustatten, dass mehrere Scrum-Teams in der Form eines Projektes synchronisiert werden und auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Im Kontext 3 sind Projekte weiterhin als temporäre Organisation erkennbar und werden durch die darüber liegende Ebene des Programms oder Projektportfolios beauftragt. Dies ist ein entscheidender Unterschied zu Kontext 4. Kontext 4: „Agile“ als Grundlage des Programm- oder Portfoliodesigns Auch die Beschreibung des Kontexts 4 wird mit der Definition der Kompetenz „Portfoliodesign“ aus der ICB 4 eingeleitet: „Portfoliodesign“ beschreibt, wie Bedürfnisse, Wünsche und Einflüsse der Organisation interpretiert, gewichtet und in die Grundprinzipien des Portfolios übertragen werden, um die höchste Erfolgswahrscheinlichkeit sicherzustellen [13, S. 48-49 und S. 116-118]. Übertragen gilt dasselbe für das Programmdesign. Im vorliegenden Artikel wird von Programm- oder Projektportfoliodesign gesprochen, da die über dem Projekt als Entität des Programms oder Projektportfolios angesiedelte Strukturebene relevant ist [18, S. 30]. Wenn Agilität die Grundlage für ein Portfoliodesign ist, ist dies wiederum ein markanter Schritt gegenüber des Kontexts 3. Im Kontext 4 wird das Prinzip des „Bring work to the people“ auf das ganze Programm oder Projektportfolio skaliert. Im Gegensatz zum „Bring people to the work“ (der Personalbeschaffung für Projekte als temporäre Organisation [19]) sind hier die Ressourcen für alle Projekte im Programm oder Projektportfolio als agile Teams Teil der permanenten Umsetzungsorganisationen des Programms oder Projektportfolios. Umzusetzende Inhalte werden als Arbeitspakete identifiziert, formuliert und an die Umsetzungsorganisationen übergeben. In Summe wird die erwartete Leistung erbracht. Als Konsequenz des Kontexts 4 löst sich der Projektbegriff, wie ihn PMI, IPMA oder DIN definieren, auf. Es könnte argumentiert werden, das Projekt sei nunmehr ein eben erwähnter „umzusetzender Inhalt“, was als Arbeitshypothese hilfreich zu sein scheint. Hierbei würde jedoch eine Person, welche einen solchen „umzusetzenden Inhalt“ über mehrere Umsetzungsorganisationen hinweg verantwortet, zur Projektleitung. Das Spannungsfeld, indem sich Projektleitende bewegen würde, wäre enorm: Es können nicht alle Dimensionen des magischen Dreiecks in dem Verantwortungsbereich einer Person gebündelt werden. Die Aufgaben der Projektleitung werden vielmehr auf die permanenten Umsetzungsorganisationen in verschiedene Rollen aufgeteilt [20]. Dadurch erfolgt ein bedeutender Wechsel in der Form der Beauftragung: Es liegt kein Projektauftrag mehr vor, da die drei Dimensionen Leistung, Zeit und Budget nicht zum Projektstart ermittelt werden können. An die Stelle des Projektauftrages tritt stattdessen ein permanenter Fluss an Arbeitspaketen, respektive ein Zusammenspiel von „Backlogs“ auf verschiedenen Ebenen- - auch auf der Strukturebene oberhalb derjenigen des Projektes. Wissen | Agilität trifft Projektmanagement 47 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0013 Dieser Kontext wird in letzter Konsequenz durch die agilen Skalierungsframeworks wie SAFe (in der „Full SAFe“ oder „Portfolio SAFe“ Konfiguration) und LeSS beschrieben. Allen diesen Frameworks liegt das beschriebene Paradigma des „Bring work to the people“ zugrunde, weshalb sie alle aus Umsetzungsorganisationen und einem Fluss an Arbeitspaketen bestehen. Schlussfolgerung Mit den unterschiedlichen Kontexten kann der Kreis zur einleitend gestellten Frage geschlossen werden, ob der Projektbegriff und das Projektmanagement in Zusammenhang mit Agilität noch relevant sind. Und die Antwort ist: Ja, unbedingt. Es kommt jedoch auf den Kontext im Unternehmen an, wie sich dies äußert und was Agilität bedeutet: • Sofern ein Unternehmen in seiner Organisationsform ein Projektportfolio mit Projekten führt- - das ist in den dargestellten Kontexte 1, 2 und 3 der Fall-- gibt es weiterhin Projekte, und Projektmanagement bleibt relevant. In Kontext 3 wird sich die Rolle der Projektleitenden verändern, da die geteilte Führung durch das Unternehmen vorausgesetzt wird. • Im Kontext 4 gibt es keine Projekte mehr gemäß der Definition als temporäre Organisation, um ein Vorhaben umzusetzen. Die Begriffe „Projekt“ und „Projektmanagement“ kommen nicht mehr vor, ebenso wenig die Rolle der „Projektleitung“. Kompetenzen des Projektmanagements sind jedoch weiterhin von großer Relevanz. Sie sind jedoch auf verschiedene Rollen der permanenten Organisation aufgeteilt. Ein Unternehmen, welches sich in diesem Kontext befindet oder sich auf diesen Kontext zubewegt, wird sich mit den daraus resultierenden Implikationen auf das Projektmanagement auseinandersetzen müssen. Zudem wird klar: Ein Unternehmen kann in Bezug auf die Organisation von Veränderung systematisch vorgehen, ungeachtet des Kontexts und damit des Einsatzgrades von Agilität. Die Forschung zeigt denn auch, dass erfolgreiche, agile Projekte keine „Selbstläufer” sind, sondern eine Planung und Organisationsform erfordern [21]. Ausblick Die Mitglieder der Fachgruppe „Agile und Projektmanagement“ beobachten, dass sich im Schweizer Markt Technologieunternehmen sowie Unternehmen mit einem hohen Anteil Software-Entwicklung im Wandel befinden. Die Organisation ihres Projektportfolios wird nach und nach auf „Agile“ umgestellt, und ein Zielbild nach Kontext 4 angestrebt. Dieser Wandel wird von Fachgesellschaften und -organisationen, z. B. der IPMA (im deutschsprachigen Raum vertreten durch die Gesellschaft für Projektmanagement (GPM), den spm und der Projekt Management Austria) oder dem PMI unterstützt, indem z. B. die Einführung einer IPMA-Zertifizierung als „Agile Leader“ [22] oder der „Agile Practice Guide“ [17] aufgebaut werden. Die GPM fördert zudem den hybriden Ansatz mit einem Zusatzzertifikat hybrid+ [23], da „Reinformen” sowohl des klassischen als auch des agilen Projektmanagements in der Praxis immer weniger anzutreffen sind. Diese Publikationen und Zertifizierungen gehen jedoch weitgehend nach wie vor vom dargestellten Kontext 2 aus, indem ein hybrider Projektmanagementansatz mit einzelnen agilen Werkzeugen verfolgt wird. Die Kontexte 3 und 4, welche Agilität als Grundlage für das Projektdesign respektive das Programm- oder Projektportfoliodesign sehen, haben noch großes Potenzial zur Erkundung und Bearbeitung. Auf Basis des vorgestellten Ordnungsrahmens ergeben sich beispielsweise weitere Forschungsfragen wie: • Welches Spektrum an Organisationsformen gibt es für ein einzelnes Projekt, welches über den Einsatz von agilen Methoden nachdenkt? • Wie können Projektleitende ihre nachgewiesenen Kompetenzen weiterentwickeln- - insbesondere, wenn sie in Rollen der Kontexte 3 und 4 wechseln? • Welche Bedeutung ist der zunehmenden Ausbreitung des Kontext 4 in Unternehmen für die Berufsgattung der Projektleitenden beizumessen? Wie beeinflusst dies die Ausbildung professioneller Projektmanager, ihre Zertifizierungen und berufliche Entwicklungspfade? • Was ist bei der Synchronisation zwischen mehreren permanenten Organisationen in Kontext 4 zu beachten? • Wie können die beiden Funktionsweisen der Umsetzung von Veränderung durch „temporäre Organisationen” und durch „permanente Organisationen” koexistieren? Welche Herausforderungen ergeben sich, wenn sich in einem Projektportfolio Ressourcen sowohl in agilen Organisationsstrukturen als auch in „Projekten” wiederfinden? • Welche Steuerungsmöglichkeiten bestehen inhaltlich, terminlich und finanziell in einem vollständig „Agile“ organisierten Projektportfolio des Kontextes 4? Über die Fachgruppe „Agile und Projektmanagement” Die beiden Begriffe „Projektmanagement“ und „Agile“ werden oft als inkompatibel betrachtet. Die Fachgruppe hat bewusst bei der Benennung auf das englische Adjektiv „agile“ Bezug genommen, um nicht eine Abgrenzung zwischen Agilität und Projektmanagement herbeizuführen. Stattdessen sollen auch Konzepte des agilen Projektmanagements einbezogen werden. In der Fachgruppe „Agile und Projektmanagement“ der Schweizerischen Gesellschaft für Projektmanagement spm kommen Projekt- und Programmleitende aus verschiedenen Firmen und Branchen zusammen (u. a. von den größten Schweizer Handels-, Transport-, Finanzdienstleistungs- und Telekommunikationsunternehmen), um den Zusammenhang zwischen den zwei Begrifflichkeiten zu strukturieren und nutzbar zu machen. Die Fachgruppe will einen konstruktiven Beitrag leisten, damit sich Unternehmen bei der Organisation ihrer eigenen Veränderung besser im „Dschungel der Methoden” orientieren können. Mit Unterstützung der erarbeiteten Inhalte der Fachgruppe sollen Unternehmen in die Lage versetzt werden, sachlich und zielführend zu diskutieren. Literatur [1] spm Schweizerische Gesellschaft für Projektmanagement (Hrsg.): Agile und Projektmanagement. Glattbrugg. Online verfügbar unter: https: / / spm.ch / fachgruppen / agile-und-projektmanagement/ . Stand: 21. Oktober 2021. Wissen | Agilität trifft Projektmanagement 48 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0013 [2] Oesterreich, Bernd / Schröder, Claudia: Agile Organisationsentwicklung. Handbuch zum Aufbau anpassungsfähiger Organisationen. Verlag Franz Vahlen, München 2019. [3] Appelo, Jürgen: Management 3.0. Leading Agile Developers, Developing Agile Leaders. 3. Auflage Addison-Wesley, Boston 2011. [4] Scrum.org (Hrsg.): Welcome to the home of Scrum! TM. Online verfügbar unter: https: / / www.scrum.org/ . Stand: 21. Oktober 2021. [5] Helmold, Marc: Kaizen, Lean Management und Digitalisierung. Mit den japanischen Konzepten Wettbewerbsvorteile für das Unternehmen erzielen. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2021. [6] Doerr, John: OKR: Objectives & Key Results. Wie Sie Ziele, auf die es wirklich ankommt, entwickeln, messen und umsetzen. Verlag Franz Vahlen, München 2018. [7] Scaled Agile (Hrsg.): SAFe 5 for Lean Enterprises. Boulder, CO. Online verfügbar unter: https: / / www.scaledagileframework.com/ . Stand: 21. Oktober 2021. [8] The LeSS Company (Hrsg.): [Why LeSS Framework? ]. Boxtel, Niederlande. Online verfügbar unter: https: / / less.works/ . Stand: 21. Oktober 2021. [9] Cooper, Roger G./ Sommer, Anita F.: Agile-Stage-Gate for manufacturers. Changing the way new products are developed. In: Research Technology Management 2 / 2018, S. 17-26. [10] Lalmia, Abdallah / Fernandes, Gabriela / Souad, Sassi Boudemagh: A conceptual hybrid project management model for construction projects. In: Procedia Computer Science 181 / 2021, S. 921-930. [11] Zwicky, Fritz: A way of thinking. Discovery, invention, research through the morphological approach. Macmillian, New York 1969. [12] Project Management Institute (Hrsg.): The standard for the project management and a guide to the project management body of knowledge (PMBOK guide). 7. Auflage Project Management Institute, Newton Square 2021. [13] Sedlmayer, Martin et al.: Individual Competence Baseline for Project Management Version 4.0.1, IPMA Publications, Zürich 2015. [14] Karlström, Daniel / Runeson, Per: Combining agile methods with Stage-Gate project management. In: IEEE Software 3 / 2005, S. 43-49. [15] Schwaber, Ken / Sutherland, Jeff: The scrum guide. 2020. Online verfügbar unter: https: / / scrumguides. org / docs / scrumguide / v2020 / 2020-Scrum-Guide-US. pdf#zoom=100. Stand: 6. Oktober 2021. [16] International Institute of Business Analysis / Agile Alliance (Hrsg.): Agile extension to the BABOK® guide (Version 2). Toronto 2017. [17] Project Management Institute (Hrsg.): Agile practice guide. Project Management Institute, Newton Square 2017. [18] Wagner, Reinhard et al.: Organisational Competence Baseline for developing competence in Managing by Projects Version 1.1. IPMA Publications, Zürich 2016. [19] Lundin, Rolf A./ Söderholm, Anders: A theory of the temporary organization. In: Scandinavian Journal of Management 4 / 1995, S. 437-455. [20] Butvina, Nikolai: Shifting from projects to products. Keynote Präsentation des 32. IPMA Weltkongresses. St. Petersburg, 21. -23. September 2021. Marco Liechti Marco Liechti ist Elektroingenieur ETH und hat zu Beginn seiner Karriere Software in der Telekom-Industrie entwickelt. Nach verschiedenen Stationen im Projektmanagement leitet er seit 2017 das Projektportfolio der Schweizerischen Mobiliar Versicherung. Er ist IPMA Level B zertifizierter Senior Portfolio Manager. eMail: marco.liechti@spm.ch Anne-Kathrin Bolender Anne-Kathrin Bolender studierte Betriebswirtschaftslehre und Supply Chain Management an der Hochschule Fulda. Nach mehrjähriger Erfahrung als Projekt- und Programmmanagerin in der Luftfahrtindustrie ist sie heute als Studiengangsleiterin an der Kalaidos Fachhochschule Schweiz tätig. Internet: https: / / www.kalaidos-fh.ch / de-CH / Kontakt / Personenverzeichnis / B/ Bolender-Anne-Kathrin eMail: anne-kathrin.bolender@kalaidos-fh.ch Reto Scherrer Reto Scherrer ist Informatik Ingenieur (FH). Seit über 20 Jahre beschäftigt sich Reto mit Projektmanagement in verschiedenen Branchen wie in der Industrie- und im Finanzsektor. Seit 2017 coacht er die Transformation in der Zürcher Kantonalbank im Bereich Vertrieb und Kanäle als Agile Coach und RTE. Er ist IPMA Level B zertifizierter Senior Portfolio Manager. eMail: rscherrer@swissonline.ch [21] Serrador, Pedro / Pinto, Jeffrey K.: Does agile work? A quantitative analysis of agile project success. In: International Journal of Project Management 5 / 2015, S. 1040-1051. [22] Haas, Thomas / Käser, Christian / Knöpfel, Hans / Widmann, Jean-Pierre: Arbeiten in agilen Organisationen. Swiss Individual Agile Competence Reference Guide IPMA Version 2.3. Glattbrugg 2019. Online verfügbar unter: https: / / www.vzpm.ch / fileadmin / dokumente / downloads / Deutsch / swiss.ICB4agile_DE.pdf. Stand: 21. Oktober 2021. [23] Gesellschaft für Projektmanagement (Hrsg.): Zusatzzertifikat hybrid+. Online verfügbar unter: https: / / www. gpm-ipma.de / zertifizierung / projektmanager / zusatzzertifikat_hybrid_gpm.html. Stand: 21. Oktober 2021. Eingangsabbildung: www.pixabay.com 49 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0014 Interkulturelles Projektmanagement Hinter dem Bambusvorhang-- Stakeholder auf Chinesisch Karl Waldkirch Für eilige Leser | Sie sind auf der Suche nach einem chinesischen Geschäftspartner? Wie Familienunternehmen bzw. Hierarchien aufgebaut sind, was Sie bei der Auswahl an Partnern sowie bei Vertragsverhandlungen beachten müssen, erfahren Sie in diesem Artikel. Tipps& Tricks zur Identifikation von Stakeholdern: Bestehen Sie auf eine Vorstellungsrunde aller Teilnehmer und deren Erläuterungen, welche Interessen und Anliegen sie in Verbindung mit dem zu verhandelnden Projekt haben. Staats- und Partei-Apparat, gehen Sie damit sensibel um. Durch indirektes Fragen lässt sich eine mittel- oder unmittelbare Einflussnahme ggf. ermitteln. Schlagwörter | Stakeholderidentifikation, Parteiorganisation, Betriebsgewerkschaft, Familienhierarchiebesetzung 1. Einleitung Stakeholder Im internationalen Projektmanagement mit Asien gibt es allzu oft Störfeuer aus den eigenen Reihen. Auch Kräfte von außen lähmen und verzögern zuweilen den Projektfortschritt. Ein projektgefährdender Einfluss ist zu Beginn des Projektunterfangens meistens nicht feststellbar. Diesbezügliche Herausforderungen treten erst während der Projektlaufzeit auf. Verantwortlich hierfür zeichnen die sogenannten Stakeholder. Diese mit dem Oberbegriff Anspruchsgruppen bezeichnen alle Personen, die intern wie extern auf das Projekt Einfluss nehmen, negativ oder positiv. Besonders in China ist es wichtig, bevor das Projekt in Angriff genommen wird, die Stakeholder eindeutig zu identifizieren und deren Hauptinteressen sowie Anspruchsgrundlagen zu ermitteln. Dann folgt die Bewertung, welcher potenzielle Einfluss ausgeübt werden kann und welche Handlungsstrategie aufgesetzt werden sollte. 2. Stakeholder Beispiel Beispielhaft soll dieses Stakeholder-Phänomen an einem Geschäft zwischen einem europäischen und chinesischen Unternehmen dargestellt werden. Lieferantenhistorie Das Unternehmen Global Bearing Ltd. Guangzhou wurde Mitte der 1990er-Jahre von Herrn Washington Wang gegründet und hat sich zu einem bedeutenden Partner für die internationale Industrie entwickelt. Im Vergleich zu europäischen Standorten können in der Metallverarbeitung bei lokaler Fertigung dort bis zu 60 % der Kosten eingespart werden. Der europäische Maschinenbauer Patrick Technologies (PT) suchte schon seit langem eine Gelegenheit, seine Gleitlager kostengünstig im Reich der Mitte fertigen zu lassen, um sie dann nach Europa zu exportieren. Nach einem Messebesuch entschied sich das europäische Unternehmen Global Bearing zu kontaktieren. Auch das Interesse an einer langfristigen Kooperation seitens des chinesischen Unternehmens bestand. Wissen | Hinter dem Bambusvorhang-- Stakeholder auf Chinesisch 50 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0014 Dies war der Startschuss für die Verhandlung mit dem Unternehmen Global Bearing. Das europäische Unternehmen verfolgte folgende Geschäftsidee: Es wollte eine fünfjährige Auftragsfertigung an Global Bearing vergeben. Dieses Lizenzgeschäft beinhaltete Abnahmemengen und Preise sowie Qualitätsstandards für die zu fertigenden Gleitlager. Diese sollen in China gefertigt und kostengünstig nach Europa exportiert werden. Dazu sucht der Anlagenbauer einen geeigneten Partner. Der Mittelständler- - etwas unbeholfen und unbedarft- - kontaktiert Fred Li, der für den Einkauf zuständig ist. Die Verhandlungen mit Fred Li als Delegationsleiter verlaufen sehr zäh. Einer großen Delegation von Chinesen sitzen drei Wirtschaftsvertreter gegenüber. Die Preisfindung für die zu liefernden Gleitlager zieht sich immer wieder in die Länge. Die Protokollantin Frau Yang-- eigentlich unauffällig-- torpediert die Diskussion um die Abnahmekontingente mit dem Hinweis, „entschieden werde nur nach internen Absprachen“. Herr Shih, Abteilungsleiter Beschaffung, argumentiert jedes Mal, wenn es zum Verhandlungsstillstand kommt, „sinnvoll wäre es, gleich ein Joint-Venture zu gründen, mit chinesischer Mehrheit versteht sich“. Diese Geschäftsanbahnung dauerte nun schon mehrere Wochen. Kennzeichnend war, dass bereits aus europäischer Sicht erfolgreich abgehackte Themen, stets von chinesischer Seite in Frage gestellt wurden. All das, was entscheidungsreif schien, wird erneut behandelt. Solange bis Patrick Technologies sich einem anderen Lieferanten zuwendet und das Geschäft platzen lässt. 2.1 Stakeholder-Identifikation-- das A und O Das Unternehmen PT kennt weder die direkten Entscheidungsstrukturen noch die Drahtzieher im Hintergrund, die einen bedeutsamen Einfluss auf den Projektfortschritt haben. Die politische Dimension von kommerziellen Geschäften in China wird weitestgehend unterschätzt. In China sind Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet, eine Parteiorganisation aufzubauen-- auch ausländische Unternehmen. Die meisten Unternehmen bewahren darüber aber Stillschweigen. So verwundert es nicht, dass auch Global Bearing einen Parteisekretär besitzt, in der Person von Fiona Yang. Sie muss täglich nach der Sitzung Ihren Parteioberen rapportieren und deren Okay einholen, sonst kann nicht weiterverhandelt werden. Der zweite Machtfaktor „hinter dem Bambusvorhang“ ist die jeweilige Betriebsgewerkschaft, die offensiv die Vertretung der Arbeitnehmerinteressen auf Betriebsebene wahr zu nehmen hat. Nach Maßgabe des PRC Trade Union Law ist dann ein Betriebsrat zu gründen, wenn im Unternehmen 25 oder mehr Gewerkschaftsmitglieder arbeiten. Hier ist der Quertreiber Vincent Shih, mit präziser Vorgabe, langfristige Sicherung der Arbeitnehmer durch Zufluss von Know-how und Investitionen in Form eines Gemeinschaftsunternehmens. Das westliche Unternehmen hat sich nicht informiert über die Anteilseigner des Unternehmens. Und mit der Familienbande, die das Management verbindet, sich auseinanderzusetzen, wäre vorab sinnvoll gewesen. Die Historie des Unternehmens Global Bearing hätte Aufschluss über den eigentlichen Firmenboss gegeben. Folgerichtig wäre zuallererst ein Höflichkeitsbesuch unbedingt erforderlich gewesen. So tappt PT erst einmal im Dunkeln. Die Entscheidungsträger werden durch ein Ablenkungsmanöver über Herrn Fred Li so gesteuert, dass PT glauben soll, dass er sozusagen das Zünglein an der Waage ist. 2.2 Hierarchiebesetzung der Familie Die Schlüsselpositionen sind auf den engen sowie weiten Kreis der Familie ausgerichtet; der Sohn Charles Wang ist für den Verkauf zuständig und seine Mutter, die ihren Mädchennamen Lin behalten hat, besitzt die Verantwortung für die drei Bereiche Rechnungswesen, Personal und Verwaltung. Herr Fred Li wurde durch die Heirat mit der Schwester von Wang sen. zu dessen Schwager und zeichnet sich für die Produktion und den Einkauf verantwortlich. PT kommt nicht dahinter, dass der eigentliche „Drahtzieher“ der Gründer und „wahre“ Chef Washington Wang ist, der Abbildung 1: Stakeholdermanagement Wissen | Hinter dem Bambusvorhang-- Stakeholder auf Chinesisch 51 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0014 wie „hinter einem Bambusvorhang“-- für die westlichen Verhandler unsichtbar-- die Entscheidungen trifft. Was an der Organisationsstruktur geradezu ins Auge fällt, sind die drei hierarchisch auf gleicher Ebene angeordneten Ressorts. Zu erwarten wäre, dass die Position des Geschäftsführers direkt unter dem Chairman angesiedelt ist und nachrangig die anderen beiden Abteilungen von Fred Li und Rita Lin. Dem ist aber nicht so. Dies hängt mit der Seniorität zusammen: Charles Wang ist Mitte 30, während Schwager und Ehefrau des Firmengründers Wang sen. über 60 Jahre alt sind. Der Aufsichtsratsvorsitzende tritt nach außen nicht in Erscheinung, sondern erst, wenn wichtige Entscheidungen gefällt werden müssen. 3. Praktikable Tipps und Tricks zur Identifikation von Stakeholdern • Vor der Aufnahme von Verhandlungen ist es zweckmäßig, über eine Auskunftei mit Sitz in China Informationen zu Gesellschafter, Bonität und Jahresabschlüssen (P&L / Bilanz) einzuholen. Die Managementstruktur (Organigramm) ist auch abzufragen. • Durch Ihren Dolmetscher oder Agenten lassen Sie sich die Zusammensetzung der chinesischen Verhandlungsdelegation (Namen, Position etc.) geben. • Vor Beginn der Verhandlung bringen Sie alle Namen mit Positionen der chinesischen Verhandlungsteilnehmer in Erfahrung. Ordnen Sie diese Visitenkarten gemäß Sitzordnung, sodass Sie sie immer wissen, mit Namen, wer was gesagt hat. • Bestehen Sie auf eine Vorstellungsrunde aller Teilnehmer und deren Erläuterungen, welche Interessen und Anliegen sie in Verbindung mit dem zu verhandelnden Projekt haben. Abbildung 2: Organigramm Bearing Ltd. Dr. Karl Waldkirch Dr. Karl Waldkirch Doppelqualifikation in Sinologie / Volkswirtschaft mit Prädikatsexamina Führungspositionen in internationalen Konzernen Seit 2003 CEO der ASC (auf Asien spezialisiertes Beratungsunternehmen mit Tochtergesellschaften in Fernost) Umfassende Seminartätigkeit und Coaching Maßgebende Buchveröffentlichungen und Fachartikel in der Wirtschaftspresse eMail: KW@asc-Waldkirch.de Internet: http: / / asc-seminarzentrum.de/ http: / / asc-waldkirch.com/ • Staats- und Partei-Apparat: Gehen Sie damit sensibel um. Durch indirektes Fragen lässt sich eine mittel- oder unmittelbare Einflussnahme ggf. ermitteln. • Richten Sie ein besonderes Augenmerk auf lokale (ortsansässige) Behörden. • Nach der Identifikation der Stakeholder kommen die Bearbeitung und die Überzeugungsarbeit der einzelnen Interessengruppierungen. Das Projekt muss als Win-win für alle Beteiligten argumentativ dargestellt werden. Eingangsabbildung: © iStock.com / Atstock Productions 52 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0015 Interkulturelles Projektmanagement im Fokus: Erfolgsfaktoren für die Arbeit in internationalen Teams Kai Buchholzer, Senior-Projektmanager bei THOST Projektmanagement Für eilige Leser | Märkte verschmelzen, die internationale Zusammenarbeit nimmt stetig zu: Die Globalisierung bricht immer mehr Grenzen in den Köpfen der Menschen auf. Dennoch bestehen weiterhin interkulturelle Unterschiede, die bei Großprojekten für alle Beteiligten oftmals herausfordernd sind. Deshalb kommt dem interkulturellen Projektmanagement eine wichtige Rolle zu, um Prestigeprojekte mit gesellschaftlicher Trageweite-- wie die Expo 2020-- gemeinsam erfolgreich auf die Beine zu stellen. Schlagwörter | Expo 2020, deutscher Pavillon, interkulturelles Projektmanagement, international, Weltausstellung Kulturelle Unterschiede betreffen nicht nur Traditionen und Kommunikation, sondern auch organisatorisches Denken und Handeln sowie Arbeitsweisen. Durch die verstärkte internationale Kollaboration entstehen hieraus völlig neue Herausforderungen für das Projektmanagement- - vor allem, wenn eine Pandemie das Großprojekt zusätzlich beeinflusst. Die Expo 2020 in Dubai stellt hierbei ein Paradebeispiel dar-- sowohl für die internationale Zusammenarbeit als auch für die zunehmende Globalisierung. Die Weltausstellung läuft unter dem Motto: Connecting Minds, Creating the Future. Sie steht symbolisch für Völkerverständigung und ein „Wir-Gefühl“, wenn es darum geht, globale Herausforderungen wie den Klimawandel zu meistern. Innovationen sollen präsentiert, Ideen geteilt und internationale Zusammenarbeit gefördert werden. Neben den 190 Ländern, die sich auf der Weltausstellung vorstellen, kamen allein beim Bau des deutschen Pavillons mehr als 500 Arbeitskräfte aus 15 Nationen zusammen-- 45 Subunternehmen beteiligten sich an dem Prestigeprojekt. Nach insgesamt 24 Monaten intensiver Arbeit und ca. 350 Meetings konnte der „Campus Germany“ termingerecht fertiggestellt und übergeben werden. Der Weg dorthin war allerdings nicht immer leicht. Herausforderungen internationaler Zusammenarbeit Alle Beteiligten mussten eine Vielzahl an Herausforderungen meistern, um das Projekt erfolgreich zum Abschluss zu bringen: Zum einen Barrieren in der interkulturellen Zusammenarbeit, zum anderen die klassischen Hürden, die bei Großprojekten allgegenwärtig sind. Selbst innerhalb einer Branche gibt es Gräben, die gemeinsam überwunden werden müssen. So sind beispielsweise die Arbeits- und Herangehensweisen an Aufgaben teils völlig unterschiedlich und nur durch ein intensives Micro-Management sowie die Bereitschaft zu einer „Hands-onthe-job“-Mentalität zu überwinden. Hierbei dürfen sich Projektmanagerinnen und Projektmanager nicht scheuen, selbst tätig zu werden und Arbeitsschritte vorzumachen. Während im Managementbereich die Kommunikation aufgrund umfassender Englischkenntnisse leichtfällt, sind Gastarbeiter der Weltsprache oft nicht mächtig. An diesem Punkt gehen interkulturelle wie projektspezifische Herausforderungen Hand in Hand. Auch unterschiedliche Angewohnheiten im Kommunikationsverhalten können zu Missverständnissen führen: Viele der Gastarbeiter kommen aus Indien. Auf dem Subkontinent bedeutet das Kopfnicken, beziehungsweise -schütteln zwar auch „Ja“ respektive „Nein“-- allerdings nicht mit demselben Nachdruck wie in Deutschland, weshalb es eher mit einem „Ja, vielleicht“ gleichzusetzen ist. Wissen | Interkulturelles Projektmanagement im Fokus 53 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0015 Aufgrund der vielen Gastarbeiter kommt auf Projektverantwortliche eine weitere Herausforderung zu: Die Teams sind nicht eingespielt und haben somit keine gängigen Konventionen, die sich normalerweise bei längerer Zusammenarbeit ergeben. Deshalb müssen vorab Regeln und Normen aufgestellt und verinnerlicht werden, auf welche sich alle Projektbeteiligten jederzeit beziehen. So können Arbeitsabläufe flüssiger gestaltet und Abstimmungen vereinfacht werden, da sich mit der Zeit Mechanismen etablieren und nicht jeder Arbeitsschritt neu kommuniziert werden muss. Einziger Nachteil: Die Kompetenzen, die vor Ort vermittelt werden, haben über das Projektende hinaus keinen Effekt, da die Arbeiter anschließend wieder in ihre Heimatländer reisen und nicht erneut in dieser Konstellation zusammenarbeiten. Der Aufbau von festen Strukturen und eine nachhaltige Wissensvermittlung bleiben so auf der Strecke. Bei künftigen Projekten in Dubai und der Umgebung fangen die Projektmanagerinnen und -manager sowie andere Beteiligte oft wieder bei null an. Prestigeprojekt Weltausstellung Neben der Internationalität des Projekts bringen Bauvorhaben auf Weltausstellungen weitere Besonderheiten mit sich: Während in Deutschland die temporären Strukturen auf Ausstellungen normal sind, kennen die Behörden in Dubai derlei nicht. Deshalb mussten die Pavillons allesamt feste Strukturen aufweisen: Die Gebäude-- abgesehen von der Klimaanlage-- wurden folglich für einen langfristigen Betrieb konzipiert und könnten nun problemlos die nächsten 20 Jahre genutzt werden. Auch in der Bauphase gibt es erhebliche Unterschiede: Während den Bauherren in Deutschland Baustrom über das reguläre Stromnetz zur Verfügung gestellt wird, läuft die Versorgung in Dubai bis zur Abnahme der elektrischen Anlagen über Notstromgeneratoren. Das bringt Gefahren für die Terminplanung und die Kostenkontrolle mit sich, denn Notstromgeneratoren sind teuer, wartungsintensiv und instabil. Ausfälle und ein damit einhergehender Tausch des Geräts kosten Zeit- - und somit Geld. Erst nach intensiven Verhandlungen mit den lokalen Behörden und den Verantwortlichen der Expo wurden die Richtlinien angepasst. So konnten die Bauherren schon zu einem früheren Zeitpunkt Baustrom zurückgreifen. Voraussetzung: Die Verteiler und Leitungen im Gebäude mussten fertiggestellt und behördlich abgenommen sein. Auch beim Vorgang der Gebäudeabnahme bestehen bedeutende Unterschiede. In Dubai erfolgt die Abnahme durch die drei zuständigen Behörden (Feuerwehr- - DCD, Strom / Wasser / Abfluss- - DEWA, Sicherheitssysteme mit der Polizei- - SIRA) erst dann, wenn das Gebäude aus baulicher Sicht fertiggestellt und „besenrein“ ist. Vorher ist es nicht möglich das „Building Completion Certificate“ (BCC) zu erlangen. Das BCC ist ebenfalls Bestandteil des Vertrages mit dem BMWi und elementar für dessen Erfüllung. Darüber hinaus regelt der Vertrag mit dem BMWi die deutschen Vorgaben für die Technische Gebäudeausrüstung (TA), die ebenso den lokalen Ansprüchen genügen muss. Außerdem legen die Veranstalter der Expo großen Wert auf Sicherheit. Das betrifft nicht nur die allgemeine Betriebssicherheit auf dem Gelände, sondern explizit auch auf den Baustellen. Maschinen wie Bagger oder Krane werden strengen Kontrollen unterzogen. Geräte, die nicht den Sicherheitsrichtlinien entsprachen, durften folglich nicht auf das Expo- Areal gebracht werden. Vor allem bei Subunternehmen, die oftmals ausgemusterte Maschinen aufkaufen und weiter nutzen, stellte dies aufgrund der engen Terminschiene eine große Herausforderung dar. Hatte eine Maschine nicht die Zulassung bekommen, musste eine neue- - im schlimmsten Fall aus Übersee- - nach Dubai gebracht werden. Nicht nur die Baugeräte und alle Fahrzeuge wurden streng kontrolliert, auch jegliches Personal wurde genau überprüft und musste teils lange auf die Zutrittserlaubnis warten. Eine weitere Belastung für den durch die Corona-Pandemie ohnehin schon durcheinandergewürfelten Terminplan: Engpässe bei Materiallieferungen und steigende Rohstoffpreise-- besonders betroffen waren hier die Industriemetalle. Die Lage wurde durch das havarierte Frachtschiff „Ever Given“ im Suez-Kanal noch verschärft. Eine besondere Situation für alle Projektbeteiligten, die dadurch improvisieren und umdenken mussten. Zahlreiche Meetings waren notwendig, um die ständig wechselnden Umstände immer wieder neu zu Außenansicht des deutschen Pavillons während der Bauphase © Deutscher Pavillon EXPO 2020 / Björn Lauen Wissen | Interkulturelles Projektmanagement im Fokus 54 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0015 bewerten. So entstand ein echter Papierkrieg: Jedes Meeting musste gewissenhaft protokolliert und an alle Projektbeteiligten sowie den Generalunternehmer versendet werden. Die Vielzahl an Herausforderungen verlangten den Projektverantwortlichen sowie den Arbeitskräften einiges ab- - und sorgten sogar für die Wiederbelebung einer in den Hintergrund geratenen Managementmethode. Erfolgreiches Projektmanagement im Ausland In einem modernen Projektumfeld wird das Micro-Management heutzutage kaum noch genutzt, da eine ständige Kontrolle und intensive Beobachtung jedes Arbeitsschrittes demotivierte Mitarbeitende zur Folge haben können. Allerdings machten die widrigen Umstände die Renaissance des Micro- Managements nötig. Schwierigkeiten bei der Kommunikation und fehlende einheitliche Sprachsowie Fachkenntnisse machten es unabdingbar, jeden Prozessschritt sorgfältig zu prüfen. Darüber hinaus war die lehrende Funktion der Projektmanagerinnen und -manager entscheidend für den Projekterfolg: Kompetenzen und konventionelle Arbeitsweisen wurden an die Workforce vermittelt. Auch die Materialbeschaffung (Procurement) musste aufgrund der externen Umstände (Corona-Pandemie, Havarie im Suez-Kanal) engmaschig und dauerhaft überwacht werden. Die Planungen des Procurements wurden auf der Grundlage des Final Designs vorgenommen und gingen anschließend an den Konsulenten, der die Einkaufslisten kontrollierte und freigab, sofern sie den Spezifikationen entsprachen. Wenn Projektmanagerinnen und -manager wie hier die Tätigkeiten eines Generalunternehmers übernehmen, müssen sie vor allem betriebswirtschaftliches Know-how mitbringen: Kenntnisse in den Bereichen Finanzen, Vertragsrecht und Controlling sind elementar, um Prozesse strukturiert und erfolgreich voranzutreiben- - speziell in Krisensituationen. Außerdem liegt ein besonderer Fokus auf der detaillierten Ausführungsplanung, insbesondere in einem Umfeld, das von einer effektiven und zielgerichteten Kommunikation lebt. Eine möglichst Außenansicht des deutschen Pavillons während der Bauphase aus der Nähe © Deutscher Pavillon EXPO 2020 / Björn Lauen Rund 200 geladene Gäste feiern auf der Baustelle das Richtfest des deutschen Pavillons © Deutscher Pavillon EXPO 2020 / Björn Lauen Wissen | Interkulturelles Projektmanagement im Fokus 55 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0015 exakte Ausführungsplanung hilft dabei, Missverständnisse auf der Baustelle zu verhindern, einen reibungslosen Bauprozess zu gewährleisten-- und bestmöglich für die behördlichen Abnahmen gerüstet zu sein: Die lokalen Behörden haben äußerst strenge Anforderungen und legen größten Wert auf Sicherheit. Das betrifft sowohl die allgemeine Betriebssicherheit als auch den Schutz der Besucher sowie Mitarbeitenden. In Dubai sind drei Behörden für die Gebäudeabnahmen zuständig: Das E-Werk DEWA kontrolliert, ob Verteilerkästen und Stromleitungen sicher sind, die Polizei-SIRA begutachtet die Zutritts-, Alarm- und Videoüberwachung, die aus Datenschutzgründen (nach deutschem Recht) nur außerhalb des Gebäudes angebracht werden durfte, und die Feuerwehr DCD ist für den Check der Brandschutzanlagen zuständig. Erst wenn alle drei Behörden grünes Licht geben, gilt ein Gebäude als fertiggestellt und betriebsbereit. Aufgrund der strengen Vorgaben seitens der lokalen Behörden ist es wichtig, dass der Inbetriebnahmeprozess schon in der Planungsphase beginnt und das gesamte Bauvorhaben über alle Phasen hinweg begleitet. Ziel ist es hierbei, die spätere Inbetriebnahme möglichst reibungslos zu gestalten und die Technische Gebäudeausrüstung effizient und genau aufeinander abgestimmt zum Laufen zu bringen-- nur dann kann eine behördliche Freigabe des Gebäudes erfolgen. Erfahrung als Schlüssel zum Erfolg Doch woher wissen die Verantwortlichen im Projektmanagement, wann sie welches Tool einsetzen oder welche Maßnahme sie ergreifen müssen? Die Antwort lautet hier zuallererst: Erfahrung. Darüber hinaus sind Marktkenntnisse von unschätzbarem Wert, wenn es darum geht, mit den Verantwortlichen über eine Änderung der Richtlinien zu verhandeln oder selbst eingemottete Managementmethoden wie das Micro-Management zu reaktiveren. Auch der Umgang mit der Workforce, den lokalen Behörden oder Subunternehmen ist für Neulinge ohne Erfahrung kaum zu stemmen und mündet selten im Erfolg. Die THOST-Experten haben schon einige Projekte im Mittleren Osten erfolgreich abgeschlossen und konnten so auf umfangreiche Markkenntnisse zurückgreifen, die maßgeblich zum Projekterfolg beigetragen haben. Kai Buchholzer ist seit 2019 Senior-Projektmanager bei THOST Projektmanagement und war auf der Expo 2020 in Dubai maßgeblich an der erfolgreichen Fertigstellung des deutschen, des österreichischen und des chinesischen Pavillons beteiligt. Während seiner 20-jährigen beruflichen Laufbahn betreute der studierte Industrial Manager schon diverse Projekte aus den Segmenten Kultur, Immobilien, Mobilität, Anlagenbau und Energie. Innenansicht des deutschen Pavillons © German Pavilion Expo 2020 Dubai / Bjoern Lauen Trotz des Erfahrungsschatzes stellen langfristige Großprojekte im Ausland auch immer wieder eine persönliche Herausforderung dar: Projektmanagerinnen und -manager müssen sich darauf einstellen, lange von ihrer Familie und dem vertrauten Umfeld getrennt zu sein- - teilweise können Zeitverschiebungen die Kommunikation mit der Heimat zusätzlich erschweren. Darüber hinaus sind Sechs- oder Sieben- Tage-Wochen keine Seltenheit und verlangen den Beteiligten einiges ab. Vor allem bei besonderen Projekten wie einer Weltausstellung stehen Verantwortliche und Arbeitskräfte unter dauerhaftem Zeitdruck. Nichtsdestotrotz haben derartige Vorhaben auch Sonnenseiten: In einem internationalen Umfeld zu arbeiten, ist immer wieder etwas Besonderes. Der Kontakt mit Menschen anderer Herkunft und Kultur fördert nicht nur die fachliche, sondern auch die persönliche Weiterbildung. Gerade bei der Expo: Die enge Zusammenarbeit mit den Kreativen, die für die Fassade und Ausstellung innerhalb des „Campus Germany“ zuständig waren, lieferte immer wieder neue Einblicke und Erkenntnisse, die nicht alltäglich sind. Aber auch die Marktkenntnisse konnten während des langen Aufenthaltes nochmals geschärft werden: Dubai ist ein Land, das sich im Aufbruch befindet. Somit sind Veränderungen innerhalb der Nation und der Strukturen keine Seltenheit. Mit dem Wandel muss auch das Projektmanagement Schritt halten, da sich die lokalen Gegebenheiten schnell ändern und gegenwärtige Marktkenntnisse morgen schon veraltet sein können. Klar ist auch, dass besonders das internationale und interkulturelle Projektmanagement künftig von noch größerer Bedeutung sein wird. Die Nachfrage nach internationaler Expertise wird weiter ansteigen- - vor allem im wachsenden und zunehmend fortschrittlichen Mittleren Osten, der gleichzeitig das Tor zu Afrika darstellt. Auch auf dem zweitgrößten Kontinent steigt die Nachfrage nach internationalem Projektmanagement, und hierfür sollten sich Verantwortliche bestmöglich rüsten und zukunftsfähig aufstellen- - denn die Zukunft bleibt spannend. Das Prestigeprojekt zur Expo 2020 hat gezeigt, dass internationale Großprojekte mit entsprechender Marktkenntnis, interkulturellen Kompetenzen und einer Hands-on-Mentalität erfolgreich bewältigt werden können. Eingangsabbildung: © German Pavilion Expo 2020 / Björn Lauen 56 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0016 Die neue Study Group AHG15 des ISO / TC258 Komplexe internationale Herausforderungen und internationale Standards für Agiles Projektmanagement Norman Heydenreich Für eilige Leser | Seit zwei Jahren wird Deutschland durch die Pandemiekrise erschüttert. In vielen Bereichen wurde unter Zeitdruck improvisiert und aus dabei gemachten Fehlern oft nicht schnell genug gelernt. Gravierende Defizite im Krisenmanagement, aber auch bei der Umsetzung der Digitalen Transformation wurden sichtbar. Herausforderungen wie die Pandemie, aber auch die Klimakrise sowie die Digitale Transformation brauchen standardisierte Führungs- und Governanceprinzipien zur Förderung organisationsübergreifender und internationaler Zusammenarbeit in Projekten und Programmen. Mit der zunehmenden Komplexität und Ungewissheit steigt der Bedarf an einem internationalen Standard für agiles und adaptives Management. In einer internationalen Abstimmung aller im technischen Komitee „ISO / TC258-- Project, programme and portfolio management“ der International Standard Organisation (ISO) vertretenen nationalen Standardisierungsorganisationen wurde 2021 ein Vorschlag Deutschlands angenommen, durch eine Study Group offene Fragen zu einem möglichen ISO-Standard für Agiles Projektmanagement zu klären und Empfehlungen für das weitere Vorgehen zu erarbeiten. Die deutsche Spiegelarbeitsgruppe im DIN wird dabei durch die GPM-Fachgruppen „Normen und Standards“ sowie „Agile Management“ unterstützt. Schlagwörter | Study Group, ISO, Agile, adaptive, PM-Standards, Normung Es sind Projekte, die gesellschaftlich notwendige Veränderungen umsetzen, wie z. B. die Bewältigung der Klimakrise, die Reduzierung sozialer Ungleichheit, die Bereitstellung umweltfreundlicherer Lösungen und Leistungen, die Verbesserung von Gesundheit und Sicherheit, das Vorantreiben verbesserter Produkt- oder Servicequalität und betrieblicher Effizienz. In den letzten Jahrzehnten haben wir einen Anstieg der Investitionen vom operativen Geschäft hin zu einem stärkeren Fokus auf die Projektarbeit gesehen und damit eine Beschleunigung des Wandels und die Zunahme von Komplexität und Unsicherheit. 30-40 % des weltweiten BIP werden für Projekte aufgewendet und die Zahl wächst [1], Bild 1. In der VUCA-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) können traditionelle Organisationsstrukturen und (Projekt-) Managementansätze auf das große Maß an Komplexität und Unsicherheit nicht angemessen reagieren. Die Erfolgsquote der zunehmend komplexen öffentlichen Projekte und Programme ist trotz erheblicher Fortschritte bei der Weiterentwicklung der Kompetenzen und Managementsysteme viel zu gering [2]. Bei agilen / adaptiven Managementansätzen ist sie allerdings signifikant höher als bei traditionellen plangetriebenen Ansätzen [3]. Die neue Study Group „Agile / adaptive“ des ISO / TC258 Der ISO-Standard ISO 21 502: 2020, „Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement- - Leitlinien für das Projektmanagement“ enthält Konzepte, die für agile und adaptive Ansätze durch verallgemeinerte Prozess- und Lebenszyklusmodelle Raum schaffen. Er ist auf jede Organisation und Projektart anwendbar, unabhängig von Zweck, Durchführungsansätzen, verwendetem Lebenszyklusmodell, Komplexität, Größe, Wissen | Internationale Herausforderungen und Standards für Agiles Projektmanagement 57 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0016 Kosten oder Dauer und „prädiktive, inkrementelle, iterative, adaptive oder hybride, einschließlich agiler Ansätze"[4]. Durch Umfrage unter den Mitgliedsländern des ISO-Komitee für Projektmanagement-Normen TC258 wurde 2020 Agiles Projektmanagement als wichtigstes Thema ermittelt. In einer internationalen Abstimmung aller im TC258 vertretenen nationalen Standardisierungs-Organisationen wurde 2021 ein Vorschlag Deutschlands angenommen, offene Fragen durch eine Study Group zu klären und einen Vorschlag für das weitere Vorgehen zu erarbeiten. Ein Vertreter der deutschen Standardisierungsorganisation DIN hat dabei, gemeinsam mit einem Vertreter der US-amerikanischen Liaison Organisation PMI die Projektleitung übernommen. Aufgaben der Study Group AHG15 sind die Analyse der Unterschiede zwischen „agilen “ und „adaptiven “ sowie anderen verwandten Konzepten und Praktiken; eine Untersuchung der globalen Marktbedürfnisse und des potenziellen Nutzens eines ISO-Standards; die Entwicklung einer breiteren Basis für Modelle, Methoden und Perspektiven für die beste Struktur und Form eines ISO- Dokuments; sowie die Erstellung eines White Papers, in dem der Kundennutzen des vorgeschlagenen Ergebnisses und die Gründe für die nächsten Schritte erläutert werden. Agile / adaptive Ansätze haben sich seit 75 Jahren entwickelt und entwickeln sich weiter Ein Ausgangspunkt der Study Group ist die Betrachtung der historischen Entwicklung der vielfältigen adaptiven Ansätze in verschiedenen Branchen und Disziplinen. Ein Blick in die Forschungsliteratur zeigt, dass sich die zugrundeliegenden Aktivitäten in den letzten 75 Jahren entwickelt haben, bevor Elemente adaptiver Ansätze mit Begriffen wie „Lean“, „Agile “ und „Design Thinking “ versehen wurden. Umfangreiche Forschungsarbeiten haben die Wirksamkeit und wachsende Akzeptanz adaptiver Ansätze in Projekten nachgewiesen. „Lean Management“ bezeichnet ein Konzept zur Planung und Steuerung von Prozessen mit den Kernelementen: Umgang mit Problemen und Fehlern, Vermeidung der Verschwendung von Ressourcen und Zeit durch nicht wertschöpfende Aktivitäten. W. Edwards Deming, der das „Plan- Do-Study-Act (PDSA)“ Modell des empirischen Engineerings weiterentwickelte und verbreitete, ist für seine 1950 begonnene Arbeit mit den Führern der japanischen Industrie bekannt [5]. Dem japanischen Automobilhersteller Toyota ist es mit diesen Methoden gelungen, ein hohes Qualitätsniveau seiner Produkte durch eine stabile Prozessorganisation zu erreichen [5a]. Laut Protzman, et al. [22] „war die Entwicklung von Lean ein unglaubliches Beispiel für kontinuierliche Verbesserung auf globaler Ebene…“ „ Adaptives Management “ ( AM ) wurde ab den 1970er Jahren von Wissenschaftlern entwickelt, die die Bedeutung systemischer und ökologischer Zusammenhänge bei der Festlegung von Zielen für das Umweltmanagement erkannten. Wesentliche Aspekte sind: lernende Organisation, Systemtheorie, industrielle Ökologie sowie die Verknüpfung von sozialem Lernen mit Politik. AM als Strategie für die Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen findet seit der Arbeit von Walters and Holling 1990 breite und systematische Anwendung [6]. Ein zentrales Anliegen von AM ist die Einbettung der Wissenschaft in Managementprozesse im Dienst sozialer Werte [7]. Auch die U. S. Agency for International Development (USAID) sieht AM als ein zentrales Mittel für eine nachhaltige internationale Entwicklung: „Damit ihre Programme wirksam sind, muss USAID in der Lage sein, sich an Veränderungen im Kontext und an neue Informationen anzupassen. Die Fähigkeit zur Anpassung erfordert ein Umfeld, das Lernen und flexibles Projekt- und Aktivitätsdesign fördert, Hindernisse für die Programmgestaltung minimiert und Anreize für ein anpassungsfähiges Management schafft“ [8]. Die Weiterentwicklung zum „ Adaptive Collaborative Management ( ACM )“ tritt zusätzlich für die Schaffung öffentlicher Prozesse ein, um soziales Lernen zum Schutz und zur Wiederherstellung ökologischer Systeme zu fördern. Die Agile -Bewegung hat eine ähnlich lange evolutionäre Entwicklung durchlaufen. „ Agil“ ist heute ein Sammelbegriff für Praktiken, die auf einer Reihe von Grundwerten und Prinzipien beruhen und bei denen Lösungen durch Zusammenarbeit zwischen selbstorganisierten, funktionsübergreifenden Teams Abbildung 1, Quelle: Antonio Nieto-Rodriguez (2012): The Focused Organization, Gower, London Wissen | Internationale Herausforderungen und Standards für Agiles Projektmanagement 58 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0016 entstehen. Sie fördern adaptive Planung, evolutionäre Entwicklung, frühzeitige Bereitstellung und kontinuierliche Verbesserung sowie schnelle und flexible Reaktion auf Veränderungen [9]. Die meisten heutigen agilen Methoden und Praktiken haben ihren Ursprung in älteren Methoden, u. a. des „ Iterativen und Inkrementellen Design und Entwicklung ( IIDD )“, das vor über 75 Jahren von Ingenieuren entwickelt wurde. Zu deren frühen Anwendern in der Luft- und Raumfahrtindustrie gehören die NASA und die U. S. Air Force, die komplexe Systeme unter Verwendung von time-boxed, iterativen und inkrementellen Produktentwicklungszyklen entwickelten. Tom Gilb und Barry Boehm entwickelten in den 80er Jahren aus ihren Erfahrungen mit komplexen Softwareprojekten neue evolutionäre, iterative und adaptive Vorgehensmodelle für die Softwareentwicklung [10] [11], u. a. das „ Spiralmodell “ zur Risikominderung [12]. Der Autor dieses Beitrags nutzte den von Boehm 1981 vorgeschlagenen Ansatz der inkrementellen und risikoorientierten Entwicklung erstmalig 1985-1988 als Projektmanager eines risikobehafteten Softwareentwicklungsprojekts: Diese Vorgehensweise „machte das große Projekt beherrschbar, ermöglichte eine intensive Mitarbeit der Anwender, förderte die notwendigen Lernprozesse bei Entwicklern und Anwendern im Verlauf des Projektes und sicherte dadurch die Benutzerakzeptanz der realisierten Lösung.- … Die Kommunikation erfolgte nicht nur über Spezifikationen, sondern auch über eine Folge von Vorabversionen. Revisionen waren eingeplant, eine enge Zusammenarbeit von Entwicklern und Benutzern wurde bewusst gestaltet. Der Motivationsschub für alle Mitarbeiter, der aus frühzeitigen, vorzeigbaren Ergebnissen kommt, war unverkennbar. Fachliche und technische Probleme wurden rechtzeitig deutlich und konnten in einer verbesserten Version im Rahmen der geplanten Entwicklungszeit ausgeräumt werden. Die frühzeitig vorliegenden Testergebnisse erlaubten eine weitgehende Objektivierung des Projektfortschritts. Das Projektmanagement hatte Klarheit über den Projektstand und konnte beizeiten Maßnahmen ergreifen.“ [13]. Das Wort „Agil“ wurde durch das „ Agile Manifesto “ [14] 2001 in der Softwareentwicklung geprägt. Darin wurden folgende Werte und Prinzipien formuliert: den Menschen mehr in den Mittelpunkt stellen, Kollaboration im Team fördern, weniger Bürokratie, schnellere Ergebnisse, mit Kunden enger und vertrauensvoller zusammenarbeiten und offen für Änderungen sein. Seitdem hat sich das Wort „agil“ und das dadurch bezeichnete „Mindset“ schnell ausgebreitet und es wurde zum Synonym für Schnelligkeit und Selbstorganisation- - als Gegenbewegung zu einem als starr und bürokratisch wahrgenommenen, meist als „klassisch“ bezeichneten Vorgehen. Scrum ist ein leichtgewichtiges Rahmenwerk, das Menschen, Teams und Organisationen hilft, durch adaptive Lösun- Zusammengesetzt zu Frameworks / Methoden Agile Denkweisen Perspektiven auf agiles Denken und Handeln Beschrieben durch Werte Geleitet durch Prinzipien Manifestiert durch Praktiken Agil denken Agil handeln Abbildung 2: Beziehungen zwischen Mindset, Werten, Prinzipien und Praktiken, ©GPM-Fachgruppe Normen und Standards Abbildung 3: Der PDSA / PDCA im Adaptiven Management nach [21] Wissen | Internationale Herausforderungen und Standards für Agiles Projektmanagement 59 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0016 gen für komplexe Probleme Werte zu generieren [15]. 1995 wurde der erste Konferenzbeitrag über Scrum veröffentlicht [16]. Darin schrieb Schwaber: „Scrum akzeptiert, dass der Entwicklungsprozess nicht vorherzusehen ist.“ Die Entwicklungsteams arbeiten als kleine, selbstorganisierte Einheiten und bekommen von außen nur eine Richtung vorgegeben, bestimmen aber selbst die Taktik, wie sie ihr gemeinsames Ziel erreichen. Die Theorie komplexer (adaptiver) Systeme und ihre Anwendung auf Organisationen schaffte Grundlagen für eine theoretische Fundierung, Systematisierung und Reflexion der vielfältigen agile / adaptiven Managementansätze und -praktiken [17], [18], [19], [20]. Die GPM -Fachgruppe Agiles Management nutzt das PDSA / PDCA-Modell als Grundlage und definiert „Complex Adaptive System Management“ oder „Management 4.0“ als „eine Führungs- und Management- Theorie und Praxis, um in einem komplexen und von Unsicherheit gekennzeichneten Handlungsfeld adaptiv und proaktiv agieren zu können. Sie ist gekennzeichnet durch ein agiles Mindset mit dem Fokus auf: einer Führung, deren Grundlage das Lernen und die Selbstführung ist,-… die belebte und unbelebte Natur als Basis unseres Lebens schützt und respektiert,-… die Menschen zur Selbstorganisation befähigt.“ Mindsets werden auf der Grundlage der aus der Veränderungsarbeit bekannten Dilts Pyramide zur Charakterisierung von sozialen Systemen definiert [21]. Potenzieller Nutzen eines ISO-Dokuments „Agile / adaptive“ Die Forschung hat in den existierenden agilen und adaptiven Methoden Schwachstellen und Lücken identifiziert, die durch zusätzliche Differenzierungen und Präzisierungen in einem ISO-Dokument für agile / adaptive Ansätze geschlossen werden könnten, darunter: • Bessere Berücksichtigung der Menschen in Projekten als Brücke zwischen dem rationalen wissenschaftlichen Ansatz und den eher humanistischen adaptiven / agilen Ansätzen [22], • Agile Ansätze decken bestimmte Phasen ab, doch die meisten von ihnen bieten keine angemessene Unterstützung für ein integriertes Projektmanagement des gesamten Lebenszyklus [23], • Präzisere, klarere, kohärentere und besser integrierte Definitionen von Schlüsselbegriffen, die für alle adaptiven Projekttypen entlang des Projekt-Spektrums relevant sind [24]. Im Zusammenhang mit adaptiven Ansätzen in der bestehenden Norm ISO 21 502 besteht der Bedarf nach einer Schärfung der Konzepte. Die Norm stellt ein Spektrum von Projektlebenszyklen und -ansätzen vor und identifiziert ausdrücklich inkrementelle, iterative und adaptive Lebenszyklen und Ansätze. Es besteht jedoch die Möglichkeit, diese Elemente des Projektmanagements durch zusätzliche Anleitungen weiter zu vertiefen: • Ausarbeitung von Praktiken, die sich bei Projekten mit adaptiven Lebenszyklen und Ansätzen unterscheiden können, wie z. B. Roadmaps, Backlogs, Kanban-Boards und verwandte Planungsansätze, und wie sich diese mit der Terminplanung, Kostenschätzung und anderen wichtigen Projektmanagement-Praktiken überschneiden • Untersuchung von Team-, Management- und Governance- Funktionen, die im Rahmen von agilen / adaptiven Ansätzen tendenziell anders organisiert sind • Nutzen- und Qualitätsmanagement und verwandte Praktiken in adaptiven Ansätzen • Untersuchung des Umgangs mit Risiken, Veränderungen und Ungewissheit in adaptiven Ansätzen • Kontext von Agilität im Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement und zugehöriger Governance (PPPM&G) und in den Trägerorganisationen. Bei der Planung und Durchführung von Projekten, die adaptive Lebenszyklen und Ansätze verwenden, könnten zum Beispiel folgende Alternativen näher erläutert werden; Roadmap (anstelle Business Case); Backlog und User Stories (anstelle von detailliertem Projektplan und Anforderungen); Retrospektiven (anstelle von Lessons Learned); und Demonstrationen (anstelle von Approval Gates). Gegenwärtig werden solche allgemein akzeptierten Planungs- und Ausführungsaktivitäten in ISO 21 502 nicht als alternative Optionen identifiziert, obwohl sie in Projekten mit adaptiven und hybriden Ansätzen verbreitet genutzt werden. Diese Präzisierungen und Differenzierungen könnten dazu beitragen, die Relevanz der Normen für Anwender adaptiver Ansätze zu erhöhen. Die Veranschaulichung der gemeinsamen Herausforderungen aller Projekte kann den Nutzen der Anwendung von ISO 21 502: 2020 über das gesamte Spektrum der Projektentwicklung hinweg sichtbar machen. Aus der Sicht der ISO 21 502 wird Agilität von einem rein methodischen Standpunkt aus als ein Lieferansatz (Delivery Approach) und die Entscheidung für einen agilen / adaptiven Ansatz als eine nachrangige Frage des WIE betrachtet. Viele agile Ansätze des adaptiven Spektrums, wie z. B. Agile, Lean und Design Thinking, beruhen jedoch auf menschenzentrierten Prinzipien und betonen andere grundlegende Aspekte wie Werte, Denkweisen, Kultur, Kompetenzen sowie Verhaltensweisen. Darüber hinaus stellen sich folgende strategische Fragen: • Wie kann die Relevanz der ISO-Normen für agile Communities außerhalb von ISO / TC258 gesteigert werden, indem deren Schlüsselkonzepte und -aspekte einbezogen werden (z. B. die Werte und Prinzipien von Agile und SCRUM, der Fokus von PM² auf Mindset und Kultur und der Fokus der ICB4 auf Kompetenzen) • Ist agil / adaptiv nur ein Lieferansatz (Delivery Approach)-- oder ein grundlegender Wandel von Managementsystemen, Kultur, Denkweisen und Kompetenzen, der der zunehmenden Komplexität und Unsicherheit von Projekten im 21. Jahrhundert entspricht? Was heißt das für die Grundkonzepte der ISO PPPM&G-Standards? Um die globale Relevanz und Wirkung eines ISO-Dokuments sicherzustellen, sind die unterschiedlichen Bedarfe und Ausprägungen verschiedener Marktsegmente, Regionen und Kulturen hinsichtlich agiler und adaptiver Managementansätze in Projekten zu klären. Für viele Organisationen stellt sich die Frage, wie die agilen / adaptiven Praktiken in die etablierten Verfahren des klassischen PPPM&G integriert werden können. Agile Ansätze ste- Wissen | Internationale Herausforderungen und Standards für Agiles Projektmanagement 60 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0016 hen vor verschiedenen Herausforderungen, die mit der Größe der Organisationen, in denen sie angewandt werden, wachsen. Diese Herausforderungen können sein: die Koordination zwischen agilen und nicht-agilen Teams; die Einhaltung der verschiedenen organisatorischen Governance- und Audit- Anforderungen; sowie die Einhaltung der organisatorischen Architektur- und Interoperabilitätszwänge. Dazu gibt es verschiedene hybride Strategien, abhängig von der Komplexität der Projekte, der vorherrschenden Führungskultur und den Werten der Organisation [20]. Ein ISO-Dokument „Agile / adaptive“ könnte Organisationen und agile Teams bei der Erreichung der gewünschten Agilität unter Berücksichtigung strenger Beschaffungs- und Audit-Anforderungen, guter Koordination mit Programm- und Portfolio-Ebenen sowie der Zusammenarbeit mit anderen Projekten, Auftragnehmern, anderen Organisationseinheiten und externen Organisationen unterstützen. Gemeinwohlorientierte Perspektiven und Positionen Der gemeinnützige Satzungszweck der GPM ist „die Förderung des Projektmanagements, insbesondere der Aus- und Weiterbildung sowie der Forschung und Information auf diesem Gebiet“. Er wird durch gesellschaftliche Interessenvertretung und das Aktionsprogramm „Mit Projekten Deutschlands Zukunft gestalten“ unterstützt [25]. Die Entwicklung und Verbreitung internationaler Projektmanagement-Standards ist eine wesentliche Satzungsaufgabe der GPM und schafft zugleich Grundlagen für weitere Satzungsaufgaben: Qualitätsverbesserung des Projektmanagements, Erstellung von Leitlinien für die Aus- und Weiterbildung sowie Kompetenzbeurteilungen und Zertifizierung. Die offenen IPMA-Kompetenzstandards ICB, OCB und PEB gehören zum Markenkern der GPM. Der offene IPMA Reference Guide „ICB4 in an Agile World“ [26] beschreibt, wie die unterschiedlichen Kompetenzelemente des internationalen Kompetenzstandards „Individual Competence Baseline ICB4“ [27] in einer agilen Umgebung zu interpretieren sind. Ein Fokus auf detaillierte Prozessvorgaben und Pläne und ein Grundverständnis von Organisationen als maschinengleiche Systeme von Prozessen führen in komplexen Projekten und Programmen nicht zum Erfolg, sondern zu organisierter Verantwortungslosigkeit. Damit komplexe Projekte gelingen, braucht es Verantwortung, Vertrauen, gute Zusammenarbeit und Gestaltungsspielraum für die Menschen im Projekt und ein anderes Mindset: ausprobieren, improvisieren, lernen, Verantwortung übernehmen, mit dem Blick nicht nur auf die vereinbarten Leistungen, sondern auch darüber hinaus auf die Zwecke, den Nutzen, die Chancen und Risiken des Projekts. Es braucht kompetente Gestalter und Führungskräfte, die wissen, welche Projektmanagement-Praktiken am besten zum Kontext und den Anforderungen des Projekts passen und wie viel davon in einer konkreten Situation nötig ist. Agile Führung heißt, andere zu inspirieren, die agile Denkweise in agile Praxis umzusetzen und dadurch Werte für Kunden und für die Gesellschaft zu schaffen. Darüber hinaus bedarf es auch der organisationalen Projektmanagementkompetenz für das Management der Vielzahl vernetzter Projekte, Programme und Projektportfolios durch die Ziele, Strategien und Programme von Organisationen und Gesellschaften umgesetzt werden. Wesentliche Führungsinstrumente sind dabei: Management- und Governance-Standards für Projekte, Programme und Portfolios, Ausbildungs- und Zertifizierungssysteme und kontinuierliche Verbesserungen von Managementsystemen, Kompetenzen und Organisationskulturen. Dazu braucht es Prinzipien, Verantwortungsstrukturen und eine Kultur, die Verantwortlichkeit, Performance, Qualität und Zusammenarbeit fördern [2]. Wesentlich dabei ist die Klärung und Stärkung der Verantwortung der Projekt-Owner und -Sponsoren einerseits und selbstorganisierter Teams andererseits, um die bestehenden Verantwortungslücken zu schließen- - daher müssen beide Perspektiven in eine Internationale Norm für agiles / adaptives PPP&G eingehen. Normungspolitische Positionen der GPM leiten sich auch aus deren Satzungsaufgabe „Förderung der internationalen Zusammenarbeit“ ab. Nur durch eine engere Kooperation innerhalb der IPMA wird deren kompetenzorientierte Sicht des Abb. 4: Open PM²-- eine gemeinsame Projektmanagementmethodik für EU-Institutionen,Mitgliedstaaten, Auftragnehmer und Unionsbürger [28] Wissen | Internationale Herausforderungen und Standards für Agiles Projektmanagement 61 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0016 Projektmanagements in der internationalen Normung ausreichende Berücksichtigung finden. Und nur durch eine engere Kooperation europäischer Länder können diese einen stärkeren Einfluss auf die Entwicklung der internationalen Projektmanagement-Standards im ISO / TC258 nehmen, um dort europäische Werte und Interessen einzubringen. Das gilt auch für den von der EU-Kommission entwickelten und mit der ICB kompatiblen europäischen Standard PM² [28]. Die „Open PM²“ Initiative der EU-Kommission bietet allen Institutionen und Auftragnehmern der Europäischen Union, öffentlichen Verwaltungen in den einzelnen Mitgliedstaaten sowie Stakeholder-Gruppen der EU freien Zugang zu PM² und zu den dazugehörigen Ressourcen. Ziel dieser Initiative ist es, Projekte wirksamer zu gestalten und auf diese Weise den Zielen der Europäischen Union und den Erfordernissen der Mitgliedstaaten und Unionsbürger zu dienen. Weitere Ziele der Initiative sind u. a. die Förderung von Transparenz sowie wirksamer Projektkommunikation und organisationsübergreifender Projektzusammenarbeit. Europäische und auch deutsche Verwaltungen und Unternehmen setzen PM² zunehmend ein. Daher sollte dieser europäische Standard, der auf europäischen Werten und Stärken aufbaut, mit seinem zugehörigen PM² Agile Guide [9] auch in der internationalen Normung berücksichtigt werden. In der gegenwärtigen Situation sich verschärfender internationaler Konflikte bekommen Normungsfragen zusätzliche gesellschaftliche Bedeutung. Aufgrund seiner kommerziell expansiven Wachstumsstrategie dominiert ein US-Anbieter heute nicht nur den internationalen Zertifizierungsmarkt, sondern auch die internationale PM-Normung. Bei aller Wertschätzung für seine fachlichen Beiträge zur Weiterentwicklung des Projektmanagements braucht es eine gemeinwohlorientierte IPMA als Alternative, die den europäischen Werten und einer Weltordnung verbunden ist, in der auch die Sichten kleinerer Länder berücksichtigt und in deren Rahmen die großen Herausforderungen der Menschheit-- wie die Klimakrise und die Pandemie- - als gemeinsame Projekte aller Staaten angegangen werden können. Dazu können ein gemeinsames internationales Verständnis der Werte, Prinzipien und Standards sowie gemeinsame Begriffe und Konzepte für das Management und die Governance von komplexen Projekten einen wesentlichen Beitrag leisten [2]. Ausblick und Mitwirkung Die Ergebnisse der internationalen Study Group “Agile / adaptive“ sollen zur Plenarsitzung des ISO / TC258 im September 2022 vorgelegt werden. Die deutsche Spiegelarbeitsgruppe zur internationalen Study Group im DIN wird von der GPM- Fachgruppe „Normen und Standards“ [29] durch ein Teilprojekt „Agile PM-Standards“ unterstützt, das sich weitgehend an den Aufgaben der internationalen Study Group orientiert (Klärung der Unterschiede zwischen unterschiedlichen agilen / adaptiven Konzepten und Praktiken, Untersuchung der Marktbedürfnisse und des potenziellen Nutzens eines agilen Standards). Zur Ermittlung der Marktanforderungen wird zurzeit eine Umfrage für unterschiedliche Stakeholdergruppen vorbereitet. Eine wichtige Aufgabe ist auch die Nutzung der Ergebnisse für die anstehende Überarbeitung der nationalen Projektmanagement-Normenreihe DIN69 900. GPM-Mitglieder, die ihre Erfahrungen und Kompetenzen einbringen wollen, sind willkommen und können sich dazu gerne an die Fachgruppenleitung wenden (normen-im-pm@gpm-ipma. de). 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V., Projektleiter der „ISO Study Group ‚Agile/ adaptive‘ und Beiratsmitglied des Aktionsprogramms „Mit Projekten Deutschlands Zukunft gestalten“ sowie in der „GPM Fachgruppen ‚Normen und Standards‘“. 2013-2017 vertrat er als Hauptstadtrepräsentant die gesellschaftlichen Interessen der GPM und initiierte das Aktionsprogramm „Mit Projekten Deutschlands Zukunft gestalten“ sowie die Gründung der Fachgruppen „PM in der Öffentlichen Verwaltung“, „Bau- und Infrastrukturprojekte“ sowie „Digitale Transformation“. Er wirkte mit an der Entwicklung des internationalen Standards ISO 21 505 „Projektgovernance“ und in der ISO Study Group „Projektmanagement-Kompetenzen“. 2018-2021 vertrat er als Delegierter die Interessen der Thüringer Mitglieder. Im Rahmen von Lehraufträgen an der TU Berlin sowie in Fachartikeln und Vorträgen gibt er seine Erfahrungen weiter. Otto Eberhardt, Michael Erbsland Die EU-Maschinenrichtlinie Praktische Anleitung zur Anwendung der europäischen Richtlinien zur Maschinensicherheit - Mit allen Richtlinientexten 7., überarbeitete Auflage 2022, 184 Seiten €[D] 54,90 ISBN 978-3-8169-3476-9 eISBN 978-3-8169-8476-4 Am 01.01.1995 wurde für alle Maschinen in der EU das CE-Zeichen und die Konformitätserklärung der Maschinenhersteller und -händler zur Pflicht. Seit dem 01.01.1999 müssen die Maschinen auch den Schutzanforderungen der EMV-Richtlinie und der Richtlinie für elektrische Betriebsmittel genügen. Spätestens seit dem gleichen Datum sind alle Maschinenbetreiber durch die Arbeitsmittelbenutzungsrichtlinie gesetzlich verpflichtet, nur noch CE-gekennzeichnete Maschinen aufzustellen und alte Maschinen entsprechend nachzurüsten. Am 29.07.2006 trat die überarbeitete Maschinenrichtlinie 2006/ 42/ EG in Kraft, in der insbesondere die Risikobeurteilung und die Baumusterprüfung neu geregelt wurden. Die Autoren informieren umfassend über die Anwendung der Richtlinien zur Maschinensicherheit und schöpfen dabei aus einem Erfahrungsschatz von vielen Entwicklungs- und Konstruktionsprojekten. Anzeige 63 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0017 Agilität im Multiprojektmanagement Auswirkungen agiler Methoden auf die Zusammenarbeit im Unternehmen Jadena Bechtel Für eilige Leser | Eine der bedeutendsten Herausforderungen im Multiprojektmanagement ist die Koordination der Stakeholder unter Berücksichtigung all ihrer Interessen. Insbesondere am Projektportfoliomanagement sind verschiedenste Stakeholder beteiligt, die Einfluss auf das Projektportfolio haben. Durch das Hinzukommen neuer Trends, wie das agile Projektmanagement, ändern sich die Interaktionen zwischen den Interessensgruppen im Portfolio. Daher wurde in der Arbeit untersucht, welche Merkmale die Zusammenarbeitsqualität auf Portfolioebene beeinflussen. Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere kulturelle Faktoren wie die Risiko- und Innovationskultur im positiven Zusammenhang mit der Zusammenarbeitsqualität stehen. Die Anwendung von Business Cases wirkt sich allerdings bei einem Portfolio mit vielen agilen Projekten weniger positiv auf die Zusammenarbeit aus. Schlagwörter | Projektportfoliomanagement, Multiprojektmanagement, Zusammenarbeit, Benchmarking-Studie, Agile Praktiken 1. Einleitung Eine der größten Herausforderungen im Multiprojektmanagement ist die Koordination der Stakeholder und Berücksichtigung ihrer Interessen. Häufig wird in diesem Zusammenhang von einem kritischen Erfolgsfaktor des Unternehmens gesprochen. Insbesondere am Projektportfoliomanagement sind verschiedenste Stakeholder beteiligt und haben Einfluss auf das Projektportfolio. Die Zusammensetzung und Handhabung von Projektportfolios haben sich aufgrund einer immer dynamischer werdenden Umwelt in den letzten Jahren gewandelt. Mittlerweile gibt es nur noch wenige Projektportfolios, die rein klassische Projektmanagementmethoden verwenden. Meistens setzt sich das Projektportfolio aus klassischen, agilen und hybriden* Projekten anteilig zusammen. Unternehmen stehen vor der Herausforderung alle Projektformen mit den bestehenden Prozessen im Portfoliomanagement abzustimmen. Ebenfalls bedürfen hoch innovative Projekte einer anderen Handhabung. Da durch Agilität und Innovation in Projekten oftmals Kreativität und Autonomie der Mitarbeiter gefordert wird, stellt sich die Frage, ob die neuen Projektansätze Konflikte zwischen den verschiedenen Stakeholdern verursachen oder die Zusammenarbeit fördern. Neben Untersuchungen zur Zusammenarbeit in Teams gibt es bisher wenig quantitative Studien zur projektübergreifenden Zusammenarbeit im Unternehmen. Die Auswirkungen von agilen Projekten auf das Projektportfoliomanagement sind ebenso wenig erforscht. Daher wurde in der Arbeit untersucht, welche Merkmale die Zusammenarbeitsqualität auf Portfolioebene beeinflussen und welchen Effekt Innovativität und agile Projekte auf die Zusammenarbeitsqualität haben. Basierend auf der theoretischen Arbeit von Davis et al. [1] wurden Hypothesen zur Zusammenarbeit im Unternehmen aufgestellt. Darüber hinaus werden zwei mögliche Moderationseffekte berücksichtigt. Zum einen wird die Auswirkung agiler Projekte im Portfolio untersucht und zum anderen wird Wissen | Auswirkungen agiler Methoden auf die Zusammenarbeit im Unternehmen 64 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0017 der Einfluss des Innovationsgrads des Portfolios betrachtet. Getestet werden die Hypothesen unter Zuhilfenahme der 8. Multiprojektmanagementstudie. Die Arbeit leistet einen quantitativen Forschungsbeitrag zur Zusammenarbeitsqualität anhand einer branchenübergreifenden Studie. Ergänzend werden agile Methoden auf Projektportfolioebene quantitativ erforscht. Außerdem können im Hinblick auf praktische Implikationen kritische Merkmale identifiziert werden, auf die bei der Implementierung agiler Methoden oder Umsetzung innovativer Projekte geachtet werden muss. 2. Forschungsgegenstand agiles Projektportfoliomanagement Projektportfoliomanagement (PPM) hat einerseits die Aufgabe die richtige Auswahl an durchzuführenden Projekten zu identifizieren, welche mit der Strategie des Unternehmens einhergeht. Andererseits wird ein projektübergreifendes Ressourcenmanagement als zweite Hauptaufgabe identifiziert. Effektives und effizientes PPM ist für viele Unternehmen mittlerweile eine Kernaufgabe geworden, um die zahlreichen Projekte ihres Portfolios gleichzeitig zu koordinieren. Agilität ist die Fähigkeit eines Unternehmens Chancen für wettbewerbsorientiertes Handeln zu erkennen und die notwendigen Ressourcen zu mobilisieren, um Marktchancen zu nutzen. Auch Innovationsmaßnahmen eines Unternehmens in Form neuer Produkte und Dienstleistungen sowie die Anpassungsfähigkeit gegenüber neuen Herausforderungen sind Eigenschaften agiler Ansätze einer Organisation. Erstmals wurde agiles Projektmanagement im Bereich der Softwareentwicklung verwendet. Hieraus entstand das agile Manifest (agilemanifesto.org), welches von Praktikern für agile Methoden formuliert wurde. Im agilen Projektmanagement gibt es eine Vielzahl an Methoden, die aus dem Feld der Softwareentwicklung entstanden sind. Die meistgenutzte Methode, die auch für andere Projekttypen genutzt wird und einen Zusammenhang zum Projektmanagement herstellt ist Scrum. Viele Unternehmen versuchen nun, agile Praktiken auf der Portfolioebene anzuwenden. Ein weit verbreiteter Ansatz für agiles Portfoliomanagement ist das Scaled Agile Framework (SAFe) von Leffingwell [3] oder Frameworks, die von Krebs oder Vähäniitty entwickelt wurden. Allerdings haben Unternehmen immer noch Schwierigkeiten, agile Methoden auf Portfolioebene zu skalieren, und die meisten Unternehmen verwenden weiterhin gleichzeitig agile und traditionelle Projektmanagementmethoden in einem traditionell verwalteten Projektportfolio. Die Erweiterung des Projektbacklogs, das bereits aus dem agilen Projektmanagement bekannt ist, ist auf Portfolioebene eine zentrale Methode, die von agilen Portfolios genutzt wird [4]. Auch die SAFe-Methode verwendet Portfoliobacklogs, welche durch sogenannte „Epics“ definiert werden. „Epics“ formulieren übergeordnete Ziele des Unternehmens, die auf Projektebene in „Features“ unterteilt und in den Projektbacklog aufgenommen werden. Ein weiterer Aspekt agiler Portfolios ist die Zusammenarbeit über die verschiedenen Abteilungen hinaus. Unterstützend wirken direkte Kommunikation und Wissensdokumentation, um die Agilität nachhaltig im Unternehmen zu integrieren. Abschließend wird in agilen Projektportfolios die Überprüfung des Portfolios frequentierter durchgeführt, was in der schnelleren Fertigstellung von Prototypen auf Projektebene begründet ist. Auch in klassischen Ansätzen ist eine regelmäßige Überwachung des Portfolios sinnvoll, um gegenüber des Linienmanagements eine transparente Verteilung der Ressourcen auf die Projekte begründen zu können. Die Forschung zeigt, dass agile Fähigkeiten auf Portfolioebene die Erkennung emergenter (bottom-up) Strategien verbessern, weil sie einen intensiven Wissensaustausch und größere Vertrautheit zwischen den einzelnen Personen in Teams ermöglichen. Außerdem sind sich Unternehmen mit einer starken strategischen Kontrolle emergenter Strategien stärker bewusst und unterstützen agile Teams, da sie wissen, dass auch emergente Strategien für ihren Erfolg erforderlich sind [5]. 3. Zusammenarbeitsqualität der verschiedenen Stakeholder im Projektportfoliomanagement Ein Unternehmen, das sowohl aus Projekten als auch einer Linienorganisation besteht, umfasst verschiedenste Rollen: Leitung, Auftraggeber, Anwender / Kunden, Linienbzw. Ressourcenpoolverantwortliche, Projektleiter und Projektmitarbeiter. Ergänzt wird diese Auswahl, sofern ein Projektportfolio besteht, durch den Projektportfoliokoordinator und das Project Management Office (PMO). Die Zusammenarbeitsqualität beschreibt daher inwieweit sich Projektteams gegenseitig unterstützen und eine konfliktfreie Zusammenarbeit zwischen Projekt und Linie herrscht. Im Folgenden wird die Rolle des Projektleiters und Projektportfoliokoordinators erläutert sowie Auswirkungen verschiedener Interkation zwischen den Stakeholdern analysiert. Der Projektleiter ist verantwortlich für die Zielerreichung des Projektes und vertritt sein Projektteam gegenüber anderen Interessensgruppen im Unternehmensumfeld. Er ist primär an seinem Projekterfolg interessiert [6]. Projektleiter sollen über Fachwissen in Projektmanagement verfügen und dieses praktisch anwenden können. Neben der fachlichen Komponente zeichnet sich ein guter Projektleiter durch ausgeprägte zwischenmenschliche Fähigkeiten aus. Hierunter fallen beispielsweise Führungsqualitäten, Konfliktbewältigung und Kommunikationsfähigkeiten. Der Projektportfoliokoordinator begleitet und überwacht die Phasen des Portfoliomanagements. Eine grundlegende Aufgabe ist die Koordination des Portfolios und die entsprechende Bereitstellung von Informationen zur Unterstützung der Geschäftsleitung. Oftmals übernimmt der Koordinator zusätzlich die Überwachung des Risiko- und Ressourcenmanagements innerhalb des Portfolios. Aufgrund der Vielfalt der Aufgaben ist eine klare Definition und Abgrenzung der Rolle des Portfoliokoordinators wichtig. Zudem wird der Koordinator in seinen Managementaufgaben gestärkt, wenn er in hohem Maße an der Steuerung des Portfolios beteiligt ist und dies durch die Geschäftsleitung unterstützt wird. In der Literatur gibt es viele Belege dafür, dass Zusammenarbeit in Teams wichtig für Projekte ist [7]. Zudem ist ein stetiger Informationsaustausch zwischen einzelnen Projektteams einer Organisation wichtig, um Synergien oder mögliche Konkurrenzverhältnisse zwischen Projekten zu erkennen. Wissensaustausch auf Unternehmensebene kann für komplexere Projekte oder Strukturen eine Herausforderung sein. Allerdings kann diese Fähigkeit ebenso einen kompetitiven Vorteil im Unternehmen schaffen, da Erfahrungen oder Wissen | Auswirkungen agiler Methoden auf die Zusammenarbeit im Unternehmen 65 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0017 Ideen aus früheren Projekten auf neue Projekte übertragen und angewendet werden. Ein zentrales Problem auf Portfolioebene ist die Ressourcenaufteilung zwischen Linienmanagern und Projektleitern. Im Multiprojektmanagement kann eine problematische Ressourcenzuteilung durch Abhängigkeiten zwischen Projekten und politisch getriebenen Gründen entstehen. Die Zusammenarbeit verbessert sich wiederum, je transparenter und nachvollziehbarer die Ressourcenverteilung gestaltet wird. Zwischen dem Projektportfoliokoordinator und Linienmanagern müssen Rollen und Ermächtigungen klar definiert werden. Mögliche Konflikte entstehen, sofern diese Verhältnisse nicht geklärt sind. Schließlich ist eine Betrachtung der Interaktionen zwischen Projektportfoliokoordinator und Projektleiter interessant. Im Multiprojektmanagementkontext unterstützen Projektleiter das Projektportfoliomanagement, indem sie ausreichend Informationen zu ihrem Projekt bereitstellen. Des Weiteren kann ein effektives Portfoliomanagement durch offene Kommunikation der Projektleiter gewährleistet werden, da infolgedessen schnelle Anpassungen im Projektportfolio ermöglicht werden. 4. Konzeptionelles Modell Abbildung 1 gibt einen Überblick des konzeptionellen Modells der Arbeit. Insgesamt wurden vier übergreifende Hypothesen aufgestellt. Die grundsätzliche Annahme der Thesis ist, dass kulturelle Faktoren (hier, Voice Behavior, Risikokultur und Innovationskultur) sich positiv auf die Zusammenarbeitsqualität im Projektportfolio auswirken. Dieser Zusammenhang wird durch einen hohen marktorientierten Innovationsgrad und durch eine steigende Anzahl agiler Projekte im Projektportfolio noch weiter verstärkt. Zuletzt wird angenommen, dass die Verwendung von Business Cases sich negativ auf die Zusammenarbeitsqualität auswirkt, wenn der Innovationsgrad und die Anzahl agiler Projekte hoch ist. Der Business Case ist ein Kontrollmechanismus, der sich im Projektportfoliomanagement etabliert hat. Starke Kontrolle von Mitarbeitern kann das Verhältnis zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten im Unternehmen aufgrund von fehlendem Vertrauen schwächen. Die Mitarbeiter fühlen sich möglicherweise eingeschränkt und die Zusammenarbeitsqualität sinkt. Agile Methoden basieren auf Vertrauen und intrinsischer Motivation. Ebenso schränken Business Cases die Kreativität und Innovativität während des Projektverlaufs ein, da oftmals zu Beginn des Projektes das Budget und der Projektplan im Business Case festgelegt werden müssen [8]. Deshalb wird durch eine steigende Anzahl agiler Projekte die Zusammenarbeitsqualität weiter geschwächt-- so die Annahme. Die aufgestellten Hypothesen der Thesis orientieren sich an der Stewardship-Theorie. Diese stützt sich auf ein kollektivistisches Verhalten der beteiligten Parteien. Stewardship bedeutet aus dem Englischen übersetzt Verwaltung oder auch Verantwortung. Folglich ist ein Steward in diesem Zusammenhang ein Manager, der die Interessen seines Prinzipals vertritt. Der Prinzipal ist im Managementsinne ein Vorgesetzter des Stewards. Die Stewardship-Theorie beschreibt demnach ein Verhältnis zwischen zwei Parteien, die in einem unterschiedlichen Machtverhältnis zueinanderstehen. Bezogen auf das Multiprojektmanagement ist dies bei unterschiedlichen Stakeholdern der Fall wie bspw. dem Projektleiter und seinem Team oder dem Projektportfoliokoordinator. Grundsätzlich baut die Stewardship-Theorie auf soziologischen und psychologischen Verhaltensweisen auf. Zwei dieser Verhaltensweisen, die eine Zusammenarbeit im Unternehmen beeinflussen können, sind die Philosophie des Managements und die Kultur des Unternehmens. Die ausgewählten Faktoren der Hypothesen lassen sich den Verhaltensweisen zuordnen (siehe Abbildung 1). 5. Methodik und Einblicke in die Ergebnisse Die Hypothesen werden anhand einer branchenübergreifenden Stichprobe deutscher Unternehmen getestet. Der Datensatz ist aus der Multiprojektmanagement-Benchmarking- Studie (MPM-Studie) von 2017 entnommen. Grundsätzlich untersucht die MPM-Studie im Rahmen regelmäßiger Benchmarking-Studien bewährte Praktiken und Erfolgsfaktoren im Projektportfoliomanagement. Für diese Arbeit werden die Antworten von zwei der drei befragten Informanten eines Unternehmens oder einer Geschäftseinheit verwendet. Der erste Informant ist Koordinator wie z. B. Multiprojekt-Manager, Portfolio-Manager, Programm-Manager oder Verantwortlicher des Abbildung 1: Konzeptionelles Modell der Thesis; I: Informant; KO: Koordinator; EN: Entscheider Wissen | Auswirkungen agiler Methoden auf die Zusammenarbeit im Unternehmen 66 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0017 Project Management Office (PMO) und wird für die unabhängigen Variablen und Moderatoren verwendet. Für die abhängige Variable (Zusammenarbeitsqualität) ist der Informant der Portfolio-Entscheider aus Vorstand, Geschäfts-, Bereichs- und Abteilungsleiter. Die finale Stichprobe enthält 134 Projektportfolios. Eine nähere Beschreibung der Stichprobe finden Sie in Tabelle 1. Die Regressionsanalysen wurden unter Zuhilfenahme der Methode der kleinsten Quadrate durchgeführt. Die Moderationseffekte werden hierarchisch aufgebaut und durch einzelne Regressionsanalysen dargestellt. Es konnte eine Hypothese (H2 a und b) statistisch bestätigt werden. Das bedeutet, dass der Einsatz von Business Cases am besten funktioniert, wenn das Portfolio gering innovativ handelt und wenige agile Projekte beinhaltet. Steigt die Anzahl der agilen Projekte oder ist das Portfolio innovativer, sind die Ergebnisse weniger eindeutig. Hier zeigt sich, dass die Zusammenarbeitsqualität im Projektportfolio auch sinken kann, wenn Business Cases verwendet werden. Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass eine Risikokultur sowie eine Innovationskultur einen positiven Einfluss auf die Zusammenarbeitsqualität haben. 6. Implikationen für die Praxis Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung geben einige Empfehlungen für Portfoliokoordinatoren und das höhere Management in der Praxis. Insbesondere Projektportfoliokoordinatoren sind an einer guten Zusammenarbeit der Stakeholder im Portfolio interessiert, da sie mit allen Parteien kommunizieren. Zum einen müssen sie bei Allokationskonflikten zwischen Projektleitern und Linienmanagern vermitteln. Ferner berichten sie an das obere Management über das Projektportfolio. Die Einführung einer Unternehmenskultur, die von Offenheit, Transparenz und Vertrauen geprägt ist, kann förderlich für die Zusammenarbeit auf Portfolioebene sein. Dies kann durch eine offene Risiko- und Innovationskultur ermöglicht werden. Überdies sind entsprechende Trainings für Projektleiter zu leisten, um eine einheitliche Managementphilosophie zu implementieren. Die Führungsstile können weiterhin situativ vom Projekt abhängig sein, sollten jedoch die Grundwerte des Unternehmens berücksichtigen. Neue Ansätze wie agiles Projekt- oder gar Portfoliomanagement bergen viele Herausforderungen und Barrieren bei der Implementierung, die erst überwunden werden müssen. In innovativen Portfolien und mit einer hohen Anzahl an agilen Projekten ist der Business Case als Kontrollmechanismus weniger wichtig oder gar kontraproduktiv. Das Management muss sich bewusstwerden, dass die Anforderungen an agile oder hoch innovative Projekte im Vergleich zu klassischen Projekten differenziert betrachtet werden müssen. Kontrollgegenstände wie Business Cases sollten gegebenenfalls angepasst werden. 7. Fazit und Ausblick Die Arbeit trägt in mehrfacher Hinsicht zum Verständnis der Zusammenarbeitsqualität auf Unternehmensebene bei-- insbesondere, wenn Unternehmen sich dazu entscheiden, agile Projekte in das Portfolio aufzunehmen. Die Möglichkeiten zum Einsatz agiler Methoden sind groß, sollten allerdings immer mit dem Kontext des Projektes bzw. Projektportfolios abgestimmt werden. Nicht für jedes Projekt ist ein Einsatz agiler Methoden sinnhaft und kann möglichweise sogar Konflikte hervorrufen. Weitere Forschung hat gezeigt, dass es auch zu Problemen bei der Zusammenarbeit auf Teamebene kommt, wenn die Projekte agil durchgeführt werden, aber das Portfoliomanagement weiterhin an einem traditionellen Ansatz orientiert ist [9]. Darüber hinaus wird die Anwendung agiler Methoden auch im Bereich von Forschungs- & Entwicklungsabteilungen untersucht, da sie eine schnelle und reaktionsschnelle Produktentwicklung ermöglichen [10]. Die Daten der vorliegenden Arbeit sind aus der 8. MPM- Studie entnommen. Im Frühling 2022 startet die 10. MPM Benchmarking Studie in Deutschland und Europa. Neben den traditionellen Erfolgsfaktoren sind die Fokusthemen dieser Jubiläumsausgabe der Studie insbesondere Nachhaltigkeit und Resilienz im Projekt- und Portfoliomanagement. Teilnehmer der Studie erhalten kostenfrei einen umfassenden individuellen Auswertungsbericht, der sowohl die allgemeinen Studienergebnisse als auch einen individuellen Benchmark des MPMs mit Stärken und konkreten Handlungsimplikationen enthält. Alle Informationen zur Studie, einen exemplarischen individuellen Auswertungsbericht und die Möglichkeit der Anmeldung finden Sie auf der offiziellen Studienhomepage unter www. multiprojectmanagement.org. Unternehmen in der Stichprobe (n=134) Mitarbeiterzahl Branchen durchschn. Anzahl durchgeführter Projekte im Jahr N % N % N % ≤250 30 22,4 Chemie / Pharma 29 21,6 ≤10 15 11,2 251-2000 46 34,3 Bau 28 20,9 11-100 82 61,2 2001-5000 17 12,7 Banken / Versicherung 19 14,2 101-500 32 23,9 >5000 41 30,6 Elektro- und Informationstechnik 15 11,2 >500 5 3,7 Rest 43 32,1 Tabelle 1: Stichprobenbeschreibung Wissen | Auswirkungen agiler Methoden auf die Zusammenarbeit im Unternehmen Jadena Bechtel Jadena Bechtel ist derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Technologie- und Innovationsmanagement der TU Darmstadt. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Anpassungsfähigkeit und Nachhaltigkeitsintegration in Projektportfolios. Technische Universität Darmstadt eMail: jadena.bechtel@tu-darmstadt.de Orcid: https: / / orcid.org / 0000-0003-4586 - 258X Literatur [1] J. H. Davis, F. D. Schoorman, and L. Donaldson, "Toward a stewardship theory of management," Academy of Management Review, vol. 22, no. 1, pp. 20-47, 1997. [2] Multiprojektmanagement- - Management von Projektportfolios, Programmen und Projekten- - Teil 1 : Grundlagen , DIN 69 909-1, 2013. [3] D. Leffingwell, Agile software requirements: lean requirements practices for teams, programs, and the enterprise . Boston: Pearson Education, 2010. [4] C. J. Stettina and J. Hörz, "Agile portfolio management: An empirical perspective on the practice in use," International Journal of Project Management, vol. 33, no. 1, pp. 140-152, 2015. [5] C. Kaufmann, A. Kock, and H. G. Gemünden, "Emerging strategy recognition in agile portfolios," International Journal of Project Management, vol. 38, no. 7, pp. 429-440, 2020. [6] D. Jonas, A. Kock, and H. G. Gemünden, "Predicting project portfolio success by measuring management quality—a longitudinal study," IEEE Transactions on Engineering Management, vol. 60, no. 2, pp. 215-226, 2013. [7] M. Hoegl and H. G. Gemuenden, "Teamwork quality and the success of innovative projects: A theoretical concept and empirical evidence," Organization Science, vol. 12, no. 4, pp. 435-449, 2001. [8] J. Kopmann, A. Kock, C. P. Killen, and H. G. Gemünden, "Business case control in project portfolios—an empirical investigation of performance consequences and moderating effects," IEEE Transactions on Engineering Management, vol. 62, no. 4, pp. 529-543, 2015. [9] J. Bechtel, C. Kaufmann, and A. Kock, "Agile Projects in Nonagile Portfolios: How Project Portfolio Contingencies Constrain Agile Projects’ Teamwork Quality," IEEE Transactions on Engineering Management, pp. 1-15, 2021. [10] A. Meier and A. Kock, "Agile R&D Units’ Organization Beyond Software—Developing and Validating a Multidimensional Scale in an Engineering Context," IEEE Transactions on Engineering Management, pp. 1-13, 2021. *Die Beschreibung der Projekte als klassisch, hybrid und agil trägt zur vereinfachten Schreibweise bei. Gemeint ist hiermit die jeweils angewendete Projektmanagementmethode. Eingangsabbildung: © iStock.com/ http: / / www.fotogestoeber.de Ulrich Engelmann, Martin Baumann Zielführend moderieren Kompetenzen - Methoden - Wege zum Gesprächserfolg 1., Auflage 2022, 438 Seiten €[D] 34,90 ISBN 978-3-8252-5689-0 eISBN 978-3-8385-5689-5 In der Teamarbeit wird Moderation zum Erfolgsfaktor, der jedoch häufig unterschätzt wird. Ausgehend vom persönlichen Kompetenzniveau verknüpft dieses Buch Grundlagen und Methoden zu Wegen, um Ihre persönliche Entwicklung individuell zu begleiten: Einsteiger: innen finden hilfreiche Checklisten und Basistechniken für ihre ersten Moderationen, Fortgeschrittene wertvolle Praxistipps und Methoden für den Ausbau ihrer Moderationskompetenz. Profis schließlich genießen eine raffinierte Aussicht auf weniger bekannte Techniken und neue Anwendungen. Weiterführende Exkurse zum Meeting-Management und zur Online-Moderation runden den Anwendungshorizont ab. Ob in Beruf, Studium oder Ehrenamt - derart ausgestattet gelingen Ihre eigene sowie die Entwicklung Ihres Teams durch zielführende Moderation. Anzeige 68 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0018 Sich beruflich und persönlich weiterentwickeln, an Sichtbarkeit gewinnen und Wissen teilen-- mit dem Mentoring-Programm der GPM Im Fokus diesmal: Mentee Malte Mayer und Mentor Sebastian Korsch. Das GPM Mentoring-Programm Mit ihrer GPM Mitgliedschaft setzen Projektmanagende ein klares Statement im Hinblick auf ein verantwortungsvolles Projektmanagement, das Persönlichkeitsentwicklung, Kultur und Werte einbezieht und den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Darüber hinaus profitieren Mitglieder von vielfältigen und exklusiven Leistungen und Angeboten, eines davon ist das GPM Mentoring-Programm. Mit diesem Angebot bringt die GPM Young Professionals und erfahrene PM-Expertinnen und -Experten zusammen. Mentorinnen und Mentoren teilen ihre Erfahrung und ihr Wissen mit ihrem Mentee-- und profitieren dabei in vielfacher Hinsicht selbst. Wie wertvoll diese Partnerschaft für die Teilnehmenden ist und welchen Mehrwert sie für ihre persönliche und fachliche Weiterentwicklung ziehen, darüber gibt die GPM „Nachgefragt“-Reihe Einblick. Mentee Malte Mayer im Interview Herr Mayer, seit wann und weshalb sind Sie GPM Mitglied und wie wurden Sie auf den Verband aufmerksam? Ich bin Malte Mayer, 32 Jahre alt und arbeite als Projektmanager bei owl maschinenbau e. V. in Bielefeld. Ich bin im Herbst 2018 in die GPM eingetreten. Bis dato hatte ich noch keinerlei persönliche Kontakte zur GPM und bin über eine einfache Onlinerecherche zu Netzwerken und Verbänden rund um das Projektmanagement auf die GPM aufmerksam geworden. Seit jeher bin ich davon überzeugt, dass es sinnvoll ist sich mit Menschen zusammenzuschließen, die die gleichen Interessen teilen, um voneinander zu lernen und sich dadurch weiterzuentwickeln. Das war auch meine Motivation, als ich nach einem Interessenverband suchte. Ich habe mich für die Mitgliedschaft entschieden, da die GPM für mich die zentrale Anlaufstelle für das Handwerk ist, das ich beruflich nutze-- das Projektmanagement. Die GPM hat mich sofort überzeugt. Ich kam aus einem sehr theoretischem Soziologiestudium und hatte das Bedürfnis, meine praktischen Fähigkeiten zu professionalisieren. Mir war schnell klar, dass die GPM die beste Anlaufstelle dafür ist! Neben dem Ausbau meiner Expertise hatte ich vor allem vor Augen ein persönliches Netzwerk zu knüpfen. Wenn man sich bewegt, wenn man aktiv wird, ergeben sich daraus oft so viele spannende Möglichkeiten, das wollte ich nutzen. Und seit wann sind Sie Mentee im Rahmen des GPM Mentoring-Programms? Ich hatte immer mal geschaut, welche Möglichkeiten mir die GPM bietet, war aber zunächst passives Mitglied. Als ich gegen Ende 2020 die E-Mail mit dem Hinweis auf das Mentoring-Programm bekam, war mir klar, dass das jetzt die perfekte Möglichkeit für mich ist. Dank des sehr unkomplizierten und schnellen Bewerbungs- und Abstimmungsverfahrens konnte mir Anfang 2021 schon mein Mentor Sebastian zur Seite gestellt werden. Wir sind sofort gestartet und haben uns das gesamte Jahr über in regelmäßigen Abständen in Onlinemeetings getroffen. Nachgefragt-- die Interview-Reihe der GPM Wissen | Mentoring-Programm der GPM 69 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0018 Herr Mayer, mit welchen Erwartungen und Zielen sind Sie in diese Partnerschaft gegangen? Mir ging es vor allem darum, meine bis dahin zweijährige Berufserfahrung mit einer Expertin oder einem Experten zu reflektieren und mein Gesamtverständnis von Projektmanagement neu zu kalibrieren. Außerdem war ich einfach offen für das, was mich da erwartet und was aus einem so engen Austausch entstehen kann. Nicht zuletzt wollte ich mich auch persönlich und charakterlich weiterentwickeln. Mit einer zunächst fremden Person auch offen über eigene Fehler und Unsicherheiten zu sprechen, ist nicht einfach. Das war eine Herausforderung, der ich mich stellen wollte. Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt oder haben sich Ihre Erwartungen und Ziele verändert? Was sich im Mentoring entwickelt hat, hat meine anfänglichen Erwartungen absolut übertroffen. Sebastian ist ein absoluter Profi auf dem Gebiet. Sein Vorschlag zu Beginn war, sich an den Kompetenzen der „Individual Competence Baseline“ zu orientieren, einige davon genauer zu beleuchten und anhand der Themen tiefer ins Detail zu gehen. So habe ich mir am Anfang zehn der dort aufgeführten Kompetenzen ausgesucht, die für mich besonders relevant waren. Daraus haben sich schnell tiefe Gespräche entwickelt, in denen wir auf Augenhöhe sowohl theoretisch als auch immer wieder an Fallbeispielen die Themen sehr persönlich durchgegangen sind. Mich hat hier vor allem immer das Erfahrungswissen-- das Zwischenmenschliche und das allgemeine Gefühl für den richtigen Weg- - interessiert. So konnte ich mein bisheriges Arbeitsleben super reflektieren und habe definitiv mein allgemeines Verständnis von Projektmanagement stark vertiefen können. Meine anfänglichen Erwartungen wurden absolut übererfüllt. Ich habe so viele neue Inputs und Perspektiven für mich mitgenommen, die mir keine Weiterbildung in dieser Intensität und Realitätsnähe jemals hätte vermitteln können! Diese vielen Learnings werden mich in meiner Berufslaufbahn noch lange begleiten. Wie würden Sie Ihre Partnerschaft beschreiben? Unsere Zusammenarbeit war von Anfang an auf Augenhöhe und Sebastian hat mich stets als Kollegen adressiert, was ich als sehr wertschätzend empfand. Natürlich war klar, dass die Berufserfahrung hier ungleich verteilt ist. Ich bin überzeugt, dass gerade der Austausch mit Personen, die noch eher neu im Feld sind, auch eine erfahrene Perspektive nochmal bereichern kann. Ich bin mir sicher, dass wir beide etwas für uns und unsere Arbeit aus diesem Austausch mitgenommen haben. Die regelmäßig terminierten Meetings und den Austausch über die ICB haben wir abgeschlossen, wir sind aber weiter im Kontakt. Ich hoffe, auch in Zukunft mit Sebastian rund um das Thema Projektmanagement im Austausch zu bleiben. Herr Mayer, würden Sie das Mentoring-Programm weiterempfehlen und wenn ja, warum? Ich kann das Programm zu hundert Prozent und aus voller Überzeugung weiterempfehlen! Nicht nur der fachliche und persönliche Austausch, auch die neu geknüpften Verbindungen und Möglichkeiten sind Gold wert. Ich kann allen Projektmanagenden nur empfehlen, diese Chance zu ergreifen. Mentor Sebastian Korsch im Interview Herr Korsch, seit wann und weshalb sind Sie GPM Mitglied und wie wurden Sie auf den Verband aufmerksam? Mein Name ist Sebastian Korsch, IPMA Level C zertifiziert und seit über 15 Jahren freiberuflich als Projektleiter, Change Manager und Coach-- primär in den Bereichen IT, Advisory, Banking & Finance-- tätig. GPM Mitglied bin ich seit 2004, mein damaliger Auftraggeber und späterer Mentor setzte zu diesem Zeitpunkt ein Projektprogramm auf und meinte zu mir, es könnte nicht schaden sich vorher noch ein bisschen aufzuschlauen. Ich verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und hielt einige intensive Trainingseinheiten und durchlernte Wochenenden später mein IPMA Level-D-Zertifikat in den Händen. Unter der Woche konnte ich die erworbenen Kenntnisse und Kompetenzen in diesem Programm direkt anwenden und vertiefen. Dadurch habe ich von dem profitiert, was die Bildungsforschung als selbstbestimmtes Erfahrungslernen bezeichnet: Wissen als Handlungskompetenz. Weil das Ganze parallel zum Studium passierte, gab es noch ein paar Lektionen in Resilienz sowie persönlichem Zeit- und Ressourcenmanagement mit dazu. Mit dem Level D begann für mich die spannende Reise kontinuierlicher Weiterbildung, deren Konstante zunächst die Höher- und dann die Rezertifizierungen nach GPM Standard war. Ich habe im Laufe meiner PM-Karriere aus persönlicher und professioneller Neugier verschiedene Methoden, Frameworks und Ansätze (SCRUM, SAFe, PMI, DevOps, Lean, AD- KAR, TCO) studiert, praktiziert, kombiniert und mich teilweise auch zertifizieren lassen. Sowohl in didaktischer als auch in inhaltlicher Hinsicht blieb die GPM immer der Standard, an dem sich andere Anbieter, Formate und Ansätze messen lassen mussten. Ich möchte hier vor allem die herausragenden Trainer-Persönlichkeiten, die Unterstützung meines Mentors und das professionelle Netzwerk erwähnen. Herr Korsch, seit wann sind Sie Mentor im Rahmen des GPM Mentoring-Programms und mit welchen Erwartungen und Zielen sind Sie in diese Partnerschaft gegangen? Ende 2020 kam die GPM zeitgleich auf mich und einen Kollegen in meinem Umfeld zu. Wir fanden die Idee gut, haben uns besprochen und vernetzt und werden das auch noch weiter ausbauen. Wissen | Mentoring-Programm der GPM 70 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0018 Mein Ziel war es, einer jungen Kollegin oder einem jungen Kollegen die grundsätzliche Relevanz und die persönlichen Chancen einer Karriere im Projektmanagement näher zu bringen. Gleichzeitig wollte ich ein paar Warnschilder vor den Schlaglöchern, Irr- und Abwegen aufstellen, welche dieser Weg für mich und andere bisher so auf Lager hatte. Vor dem Hintergrund meiner Arbeit als Trainer und Coach war mir klar, dass Mentoring die Grundlagenausbildung nicht ersetzen, aber sinnvoll unterstützen, begleiten und dadurch andere Perspektiven und Bezüge anbieten kann. Daher habe ich mich darauf konzentriert, die individuelle Ausgangssituation und spezifischen Ziele meines Mentees abzufragen, um darauf gemeinsam eine plausible Agenda und Struktur aufzubauen. Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt oder haben sich Ihre Erwartungen und Ziele verändert? Ich denke, dass Malte und ich offen und effektiv unsere wechselseitigen Erwartungen artikuliert, reflektiert und operationalisiert haben. Die ICB war als Struktur und Impulsgeber hilfreich, Mentoring als offenes Format lebt jedoch davon, dass es flexibel ist und sich an Lernkurven und -zielen anpasst. Manchmal muss man auch mal abbiegen, um spannende und vielschichtige Themen wie Führung oder Verhandlungen tiefer zu legen. Herr Korsch, was wollten Sie Ihrem Mentee unbedingt mit auf den Weg geben? Kein falscher Respekt vor Titeln, Funktionen oder formalen Qualifikationen! Projekte sind je nach Definition einmalig und neuartig, erfordern Spezialwissen, haben spezifische Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren. Sie implizieren Dynamik, Innovation und Veränderung. In der gleichermaßen einzigartigen Gruppe von Individuen, die zusammenkommen, um das Projekt umzusetzen, gibt es daher zwangsläufig Klärungsbedarf, Wissensgefälle und Konflikte. Diese gilt es zu überwinden, daraus zu lernen, gemeinsam besser zu werden und Ziele zu erreichen. Kritische Erfolgsfaktoren sind hierbei Offenheit, Reflektion und Kommunikation. Projekte sind immer auch Agenten des Wandels, den sie für die Menschen, die Organisation und deren Umfeld herbeiführen. Wie würden Sie Ihre Partnerschaft beschreiben? Da wir beide Sozialwissenschaftler sind, gab es von Anfang an viel an geteiltem Wissen über den Faktor Mensch im Projekt, das Bewusstsein für organisatorische und soziale Dynamik, über kontinuierliche Qualifizierung und darüber, dass Kommunikations- und Konfliktfähigkeit essenziell für die erfolgreiche Zusammenarbeit sind. Unabhängig davon, stand es jedoch für mich nie infrage, dass wir uns respektvoll auf Augenhöhe begegnen und uns beide aktiv einbringen müssen, um unsere Gespräche sinnvoll und zielführend auszugestalten. Ich freue mich sehr darüber, dass uns das alles gelungen ist und über das Interesse daran, den Dialog fortzuführen, den Kreis größer zu ziehen und sich mit anderen Projektprofis, Mentees, Mentorinnen und Mentoren zu vernetzen. Würden Sie das GPM Mentoring-Programm weiterempfehlen und wenn ja, warum? Ja, weil Mentoring für alle Beteiligten bereichernd ist, denn es wirkt in beide Richtungen. Lebenslanges Lernen ist kein Mantra, sondern praktische Notwendigkeit, um den sich beschleunigenden Wandel nicht nur mitzuerleben, sondern mitzugestalten. Neben formalen Qualifizierungsangeboten ist es jedoch vor allem der interdisziplinäre Austausch- - am Beispiel von Malte und mir- - zwischen Softwareentwicklung und Maschinenbau, Digital Only und produzierendem Gewerbe, Großkonzern und Mittelstand und nicht zuletzt zwischen Silberrücken und Jungfuchs. Dieser Austausch ist es, der uns menschlich und professionell wachsen lässt. Herr Korsch, werden Sie auch anderen Mentees zur Verfügung stehen? Selbstverständlich. Ich denke, ich habe von diesem Austausch mindestens so sehr profitiert, wie mein jüngerer Kollege und ich werde weiterhin aktiv sein, um etwas von der Relevanz, Wertschätzung und Begeisterung weiterzugeben, die ich selbst für unsere Disziplin erfahren habe. Dieter Brendt, Olaf Mackowiak Führung in der Technik 1., Auflage 2021, 177 Seiten €[D] 34,90 ISBN 978-3-8169-3467-7 eISBN 978-3-8169-8467-2 Mitarbeitende zielgerichtet und effektiv führen zu können, ist ein Schlüssel für nachhaltigen Unternehmenserfolg. In diesem Buch werden den Leser: innen durch die direkte Ansprache und die Praxisbeispiele von Kolleg: innen in vergleichbaren Situationen Denkanstöße und Tipps geboten, um ihren Führungsstil zu analysieren und darauf aufbauend zu optimieren. Es werden bewährte Maßnahmen und Techniken zur effizienten Gestaltung und Beherrschung der vielfältigen Anforderungen im sich schnell verändernden technischen wie gesellschaftlichen Umfeld vorgeschlagen, die praxisgerecht im Führungsalltag eingesetzt werden können. Anzeige 71 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0019 Mit Projektmanagement-Spirit Long Covid begegnen Claudia Stöhler Normalerweise denke ich nicht darüber nach, ob ich das schaffe, ob meine Energie reicht, an wen ich Arbeit abgeben kann und ob dieser „Schnörkel“ für das Ergebnis wirklich wichtig ist. Wenn ich ein neues Projekt annehme, dann mache ich einfach. Ich beherrsche mein Handwerk, kann aus der Fülle von PM-Methoden wählen und Werkzeuge zielsicher einsetzen. Meine Studenten haben ihren Spaß mit mir und ich mit Ihnen, wenn ich an der Hochschule unterwegs bin. Mega-- einen Beitrag leisten zur Ausbildung zukünftiger Fach- und Führungskräfte. Aber was ist seit zwei Jahren schon normal. Corona beherrscht unser aller Alltag und wen das Virus erwischt, den legt es nicht selten lahm. Mich hat Covid vor einem Jahr zu Ostern 2021 auf den Standstreifen geschickt. Ich war in meinem Leben noch nie so krank. Fast schon zynisch kam eine Woche nach meinem positiven Testergebnis die Einladung zum Impftermin. Pech gehabt, dachte ich. Das ich auch ein Jahr später immer noch zu kämpfen haben würde, daran habe ich damals nicht gedacht. Post-Covid-Syndrom heißt das, eine Folgeerkrankung, die ganz ähnlich auch von anderen schweren Viruserkrankungen bekannt ist. Häufigstes Symptom (die WHO listet 200) ist eine chronische Fatigue- - eine Erschöpfung, die sich mit nichts vergleichen lässt. Anfangs war aufstehen und Zähneputzen so anstrengend, dass ich danach vier Stunden im Bett lag und die weiße Wand anstarrte, selbst denken war zu viel. Als es besser wurde, da konnte ich irgendwann die Spülmaschine ausräumen: schön langsam, erst ein paar Teller, dann ein bisschen Zeit auf dem Sofa, dann das Besteck und so nach 30 Minuten war es geschafft. Was für eine Erleichterung, als ich nach drei Monaten erstmals wieder selbst den Supermarkteinkauf schaffte. Voll krass, wenn ich daran denke, wie ich sonst durch meinen Alltag geflitzt bin. Wie kommt man damit klar nicht zu wissen was hilft, wie lange das dauert und ob es überhaupt jemals wieder alles „normal“ wird? Im April 2021 gründete sich die Selbsthilfegruppe Long Covid Deutschland, die auf ihrer Webseite so ziemlich alles zusammentrugen, was an Informationen und neuen Erkenntnissen gab. Wow, dachte ich, wenn es denen genauso geht wie mir, dann verdienen sie einen Wahnsinns Respekt. Sie engagieren sich politisch: dass die Erkrankung gesellschaftlich anerkannt wird, Forschungsgelder bewilligt und eine Versorgungsstruktur aufgebaut wird. Sie haben diese Anliegen bis in den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung getrieben. Gerne hätte ich mich dort eingebracht, Projektmanagementerfahrung hätten sie gut gebrauchen können, aber für diesen großen Kampf fehlt es mir schlichtweg an Kraft. Oh weh, denk‘ ich daran, dass nach aktuellen Schätzungen ca. 1 % aller Infektionen mit Corona zu so schweren Langzeitfolgen führen (Prof. Dr. Scheibenbogen, Charité Berlin) dann wären das bei 12,3 Mio. Genesenen in Deutschland (Stand 12. 2. 2022) 120.000 Schicksale. Da muss man echt was tun. Als es mir Ende letzten Jahres so weit besser ging, griff ich eine Idee aus der Reha auf: Meine Zimmernachbarin Elfriede ist sehr musikalisch. So gingen wir eines Abends zu einer nah gelegenen Schafherde und begannen zu singen. Schlaflieder für die Schafe. Es entwickelte sich zu einem Abendritual und manchmal sangen vorbeikommende Spaziergänger mit. Das war sehr schön. „Der Mond ist aufgegangen-…“ tönte es über die Wiese und die Schafe waren ein geduldiges Publikum. Wenn es mir guttat, könnte es auch anderen guttun. Das fühlte sich richtig an. Die Idee war geboren. „Mit Kehle und Seele“- - gemeinsames Singen nach einer Corona Infektion. Ich wusste, dass ich eine Selbsthilfegruppe nicht alleine gründen kann. Ich brauchte Hilfe. Bei dem Titel kam mir sofort unser Pfarrer in den Sinn, also sprach ich ihn an. Herr Hegner sagte spontan zu und so machten wir uns an dieses Projekt. St. Anna ist eine traditionsreiche evangelische Gemeinde in Augsburg. Schon Martin Luther fand hier während seines Prozesses eine Bleibe. Der Katholik Jakob Fugger ist mit seiner Familie hier begraben. Konstellationen, die sicherlich von der Fähigkeit zu Perspektivwechseln zeugen. „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ (Psalm 31,9) ist das Gemeindemotto, welches ich zutiefst teile. Wir werden in diese Welt geboren und haben Möglichkeiten uns darin zu bewegen. Es ist an uns, diese Lebensmöglichkeiten zu ergreifen, darauf Vertrauen zu dürfen, dabei nicht allein zu sein. „Mach was daraus“, diese Lebensphilosophie steckt in mir drin, Gott sei Dank. Ich kenne etliche, die aufgrund des eklatanten Leistungsabfalls mit Depressionen zu kämpfen haben. Ganz so, wie ich es immer mache, setzte ich ein Projekt auf, überlegte was das Ziel ist, was dafür nötig ist und wer mitmachen kann. Das war ganz schön anstrengend. Ich baute mir einen Projektstrukturplan, der sich mit der Zeit in ein Kanban-Board voller Post-its verwandelte. „Zettellitis“ in meinem Arbeitszimmer, lästerte eine Freundin. So behielt ich den Überblick in dem kleinteiligsten Projektfahrplan, den ich je erstellt hatte. Denn auf mein sonst so blitzgescheites Hirn konnte ich mich nicht verlassen- - Konzentrationsschwierigkeiten, ich brauchte externen Arbeitsspeicher. Schmunzel. Es war überwältigend, wie alle mitzogen und welche Hilfe wir erhielten. Ich wollte unbedingt Qualität in die Gruppe bringen: Die Lunge trainieren, die Kehle lockern und die Seele beglücken. Das alles konnte ich als Singneuling überhaupt nicht anleiten. Das erzählte ich meiner Physiotherapeutin, die griff sofort während meiner Behandlung zum Hörer und rief eine andere Patientin an, die wiederum eine Sängerin kannte. Nachdem ich eine Woche später bei Frau Haumann zu einer Probestunde war, sagte sie spontan zu, unsere Gruppe zu leiten. Unser Pfarrer machte die Finanzierung mit dem Kirchenvorstand aus und damit konnte es dann wirklich losgehen. Ein befreundeter grafikaffiner Pfarrer erstellte das Logo und designte Flyer nach meinen Textentwürfen. Die Webseite war auch schnell eingerichtet. Das Pfarramt dient als Kontaktstel- Wissen | Mit Projektmanagement-Spirit Long Covid begegnen 72 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0019 le und nimmt alle Anfragen und Anmeldungen entgegen, eine wirklich große Hilfe. Die Öffentlichkeitsarbeit des Dekanats gab eine Pressemitteilung heraus und wenige Stunden später rief mich eine Journalistin der Augsburger Allgemeinen an. Prima, kostenlose Zeitungswerbung. Ein wenig Überwindung hat es mich schon gekostet meine Erkrankung öffentlich zu machen-- eine Managerin und Hochschuldozentin sagt, dass ihr die Energie fehlt und sie unter kognitiven Defiziten leidet. Ich vertraue darauf, dass sich schon alles irgendwie finden wird. An mir ist es, das Angebot bekannt zu machen, denn ich bin mir sicher, da wo ich die letzten Monate recherchiert hatte, da tun es auch andere Long-Covid-Patienten. Immer schön langsam, jeden Tag ein bisschen. Listung an öffentlichen Stellen: beim Gesundheitsreferat, Selbsthilfestellen in Bayern und Deutschland. Ärzte kontaktieren, den Kliniken in Augsburg Flyer geben und Plakate hängen, z. B. im Impfzentrum. Unsere Sängerin gab Interviews im Radio und meine Therapeuten empfehlen das Angebot an ihre Patienten. Über die Long-Covid-Selbsthilfegruppen in Deutschland verbreitete es sich via Social Media. Ende Januar war ich dann eingeladen auf einem Long-Covid-Online-Netzwerktreffen der NA- KOS (Nationale Kontakt- und Informationsstelle zu Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen in Berlin). Überraschenderweise war ich dort nicht unbekannt, unser Slogan „Mit Kehle und Seele“ hatte sich schon rumgesprochen und mir bat sich die Möglichkeit, mich direkt bei Vertretern von „Long Covid Deutschland“ zu bedanken für ihre Arbeit und absolut wertvollen Infos auf ihrer Webseite https: / / longcoviddeutschland.org/ . Inzwischen haben wir schon fünfmal gesungen, jedes Mal waren neue Mitsängerinnen dabei. Ganz unterschiedlich sind wir: zwischen 25 und 70 Jahre, Professorin bis Krankenschwester, Einheimische und Immigrantin. Nur Männer haben sich bislang nicht zu uns gesellt. Es ist wunderbar, ich liebe es. Die Vibration im Brustkorb zu spüren, löst Gänsehaut aus. Aus dem Bauch heraus singen und lachen, das schafft Volumen. Pure Lebensfreude trägt unsere Stimmen. Die Töne schwingen durch den Raum, völlig egal ob wir die Tonlagen treffen, und verbinden uns. Wir fühlen uns wohl in der Gewissheit verstanden zu sein, wie es uns geht ohne viel Worte darüber zu verlieren. Wirklich immer gehen alle mit einem fröhlichen Grinsen im Gesicht nach Hause. Wer weiß, vielleicht findet sich auch in Augsburg eine Schafherde, zu der wir dann im Frühling pilgern können. Die AOK ist auf unsere Idee aufmerksam geworden und hat es einer Long-Covid-Gruppe in Heilbronn empfohlen. Daraufhin meldete sich die Sprecherin bei mir und unsere Frau Haumann konnte eine Sängerin vermitteln, die mit ihnen nun online singt. Das ist voll cool. Wir träumen schon von einer Initiative „Mit Kehle und Seele“, die sich durch Deutschland zieht. Träumen darf man ja mal. Falls also jemand etwas Ähnliches auf den Weg bringen möchte, teile ich meine Erfahrungen gerne. Give&Take, ganz so wie ich es als GPM Mitglied und Fachgruppenleitung „PM an Hochschulen“ seit vielen Jahren erlebe. Happy projects und bleibt gesund! Claudia Stöhler Claudia Stöhler ist „Head of global Logistics“ der Schönberger-Gruppe in München. Sie lehrt seit vielen Jahren Logistik und Projektmanagement an den Hochschulen in Augsburg und Ulm. Seit 2014 ist sie in der Fachgruppenleitung „PM an Hochschulen“ der GPM, mehrere Bücher von ihr sind im Springer Gabler Verlag erschienen. Internet: www.st-anna-augsburg.de / gemeinsames-singen-nach-einer-corona-infektion eMail: c.stoehler@gpm-ipma.de 73 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0020 Buchbesprechung Projektdiagnose. Auch hinter die Kulissen des Projektes schauen Heinz Schelle Lomnitz,G.: ISBN 978-3-7398-3099-5, Schriftenreihe Projektmanagement neu denken. Herausgegeben von der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V., UVK Verlag 2021, 187 Seiten, Preis 34,99 Gero Lomnitz, seit langem in der GPM bekannt als Trainer und als Autor von zwei sehr originellen Projektmanagementbüchern mit organisationspsychologischem Hintergrund, legt ein Buch mit einem Titel vor, der so in der PM-Literatur bisher nicht vorkommt. Die Methode der Projektdiagnose, die er kreiert hat, ist neu. Der Autor grenzt sie zunächst von den vertrauten Methoden Projektreview und Projektaudit ab. Der entscheidende Unterschied, wie ihn Lomnitz selbst definiert, besteht darin, dass Audits und Reviews sich normalerweise nicht mit den Kernursachen beschäftigen, die hinter den Symptomen liegen. Hingegen „werden Diagnosen durchführt, wenn Fehlentwicklungen, nicht selten verbunden mit Orientierungslosigkeit, Schuldzuweisungen oder Konflikten, auftreten“. Eine Projektdiagnose wird für besonders wichtige oder kritische Projekte geplant, also z. B. für Strategieprojekte, ist also keine Routinetätigkeit im Rahmen des Projektcontrolling. Die Diagnose wegen vermuteter Fehlentwicklungen findet, wie sich aus dem Terminus bereits ergibt, während des laufenden Projekts statt, aber eine Reihe von kritischen Fragen können auch bereits in einer sehr frühen Phase gestellt werden. Hier gibt es Parallelen zu Mason und Mitroff*, die eine Methode entwickelt haben, um erfolgskritische Faktoren, die nicht explizit offengelegt wurden, aufzudecken und zu prüfen, wie wahrscheinlich es ist, dass sie während des Vorhabens gegeben sind oder fehlen. Der Lomnitz‘sche Ansatz ist freilich ungleich detaillierter und enthält eine beeindruckende Fülle von Ratschlägen und Werkzeugen, in denen sich die Erfahrungen des Unternehmensberaters niedergeschlagen haben. Mithilfe eines groben Phasenmodells, das aus den Phasen Initiierungsphase, Auftragsklärung, Datensammlung, Datenanalyse und -bewertung, Berichtausarbeitung und Datenfeedback besteht, führt der Verfasser durch das Werk. Für mich besonders interessant ist dabei das Kapitel 5, das Beispiele für Diagnosefelder wie etwa Projektziele, Informationsfluss, Entscheidungsprozesse und Zusammenarbeit bringt und die entsprechenden Diagnosefragen aufführt. Bewertung: Die von Lomnitz entwickelte Methodik ist, wie einem beim Lesen klar wird, verhältnismäßig aufwendig. Deshalb sehe ich die Gefahr, dass sie selbst dann unterbleibt, wenn sie dringend geboten erscheint. Solche negativen Erfahrungen liegen ja z. B. für das Modell Project Excellence vor, obwohl es weit gröber strukturiert ist. Nicht nur der Aufwand kann ein Hindernis sein, sondern auch die Angst, dass die Diagnose zu Resultaten führt, die man nicht aufgedeckt haben möchte, weil sie beispielsweise die eigene Karriere gefährden können. Wer es allerdings schafft, diese Hindernisse zu überwinden-- vermutlich am ehesten mithilfe eines Unternehmensberaters- -, dürfte mit einem hohen Ertrag an Erkenntnissen belohnt werden. Da Lomnitz nicht nur auf der Sachebene analysiert, sondern auch untersucht, wie die Betroffenen mit den Problemen umgehen, kann die Diagnose wirklich in die Tiefen des Projekts eindringen. Konkreter: Der Diagnostiker stellt beispielsweise nicht nur ständige Terminüberschreitungen fest, sondern versucht die Ursachen zu ergründen. Sie könnten ihren Grund etwa in einem Dauerkonflikt zwischen Linie und Projekt haben. Das Buch bietet, um mich zu wiederholen, mit seinen Grundlagen, Modellen, Methoden und Instrumenten und der großen Praxisnähe die Mittel für eine gründliche Analyse und ist ohne Einschränkung zu empfehlen. *Schelle, H.: A dialectical approach to project planning. In: Gareis, R. (Ed.): Handbook of Management by Projects. Wien 1990, p. 342-346. 74 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0021 Jens Köhler Priesberg und Ehrlich sitzen nach dem Ende einer enttäuschenden Projektteamsitzung im Besprechungszimmer. Priesberg ist richtig wütend: „Dieser verdammte Projektleiter. Erzählt uns letzte Woche noch, wie großartig unser Projekt ist und wie sehr das Management dahintersteht. Heute sagt der gleiche Mensch, das Management unterstütze das Projekt nicht mehr und ist heilfroh, dass er, der Projektleiter, dies erkannt und gestoppt hat. Der Projektleiter steht gut da, aber wir als Team nicht.“ Ehrlich winkt ab. „Wir haben es hier mit dem Stromberg- Faktor zu tun, in Anspielung an die Bürocomedy aus den 2000er-Jahren. Die Hauptrolle Bernd Stromberg bietet ein generisches Verhaltensmuster, in einer Organisation überleben zu können, ohne arbeiten zu müssen.“ Priesberg ist entsetzt: „Ich kenne die gesamte Staffel aus dieser Zeit. Nach jeder Folge wurde ich frustrierter, denn: So ganz realistisch ist das nicht. Stromberg verstößt doch schon bereits zu Anfang gegen so ziemlich alle Compliance-Regeln. Ich verstehe nicht, weshalb so viele Stromberg als Erklärung für all die Probleme im Büroalltag heranziehen.“ Ehrlich kann ein Lachen nur schwer unterdrücken. „Auf der Inhaltsebene hast du völlig Recht, auf der Metaebene sehe ich da Anknüpfungspunkte. Welches Projekt verfolgt Bernd Stromberg? “ Priesberg entgegnet matt: „Natürlich das Projekt ‚Bernd Stromberg‘ und sonst nichts.“ Ehrlich antwortet: „Genau. Und daher lohnt es sich nach den Verhaltensmustern zu schauen.“ Priesberg erklärt: „Das ist einfach. Wenn ich immer auf der Sonnenseite stehen will, dann brauche ich Unterstützer. Also stelle ich mich bei den Menschen, die mich gerade am besten unterstützen können, ins richtige Licht, ohne Rücksicht auf vorherige Absprachen gegenüber anderen Personen. Getreu dem Satz: ‚Was geht mich mein Geschwätz von gestern an.‘ Die Rolle Stromberg verkörpert das auf eine perfide Art und erzeugt damit eine wahnsinnige Dynamik.“ Ehrlich unterdrückt sein Lachen immer noch: „Und auch auf sehr unterhaltsame Weise, wie ich zugeben muss. Ich habe unlängst alle Staffeln in einer Woche gesehen.“ Priesberg bleibt monoton: „Gratuliere! Das nenne ich Bildung. Und da dieses Muster frei von jedem Sachinhalt ist, fürchte ich, es ist universell anwendbar, du hast es ja vorhin als generisch bezeichnet. Tja, dann komme ich zu dem einfachen Schluss: Mach‘ es wie Stromberg, und du bist im Büro erfolgreich.“ Ehrlich fällt ihm ins Wort: „…und alle anderen schauen in die Röhre, Klappe, letzter Vorhang und Schluss ist. Damit ist dann auch jede Diskussion über Projektmanagement oder Management sinnlos, meinst du das? “ Priesberg antwortet einsilbig: „So ungefähr.“ Ehrlich ermutigt ihn: „Im wahren Leben werden Organisationen, wie zum Beispiel unsere Firma, am Ende daran gemessen, dass ein Gewinn eingefahren wird. Es müssen tatsächlich Dinge hergestellt werden, seien es Güter, Dienstleistungen oder Software.“ Priesberg, weiterhin genervt, fährt ihn an: „Soll das jetzt BWL für Anfänger werden? Dafür habe ich wirklich keinen Bedarf-…“ „Nicht so hastig, lieber Kollege“, ruft Ehrlich schnell und fährt fort: „Ich will damit sagen, ein reiner Stromberg, nennen wir ihn Stromberg-Typ A, bringt in einer Organisation nichts voran. Es geht mir eher um einen abgeleiteten Typ, nennen wir ihn Stromberg-Typ B. Mit einer prinzipiellen Änderung können wir aus ihm sogar was Produktives machen.“ Priesberg wirkt langsam motiviert: „Also ein Typ, der reale Projektziele vor Augen hat und sich trotzdem opportunistisch verhält? “ Ehrlich bestätigt, „ja, so kann man es ausdrücken. Und dieser Typ kann eine Organisation tatsächlich voranbringen: Er wird seine Ziele mit denen der Organisation zur Deckung bringen und dadurch ein Momentum erzeugen, das ein Projekt nach vorne bringt.“ Priesberg unterbricht: „Weil er Menschen das Gefühl gibt, für einen Augenblick wichtig für ihn zu sein? “ Ehrlich beschwichtigt. „Ganz genau. Verstehe mich nicht falsch: Ich möchte für diesen Typ nicht wirklich werben, aber er kann Dinge nach vorne bringen, wie es durch reine Sacharbeit oft nicht erreicht werden kann. Denn die konzentriert sich mehr auf die Inhalte und weniger auf deren Außenwirkung. Priesberg wirkt erleichtert: „Organisationen ziehen solche Typen an. Das habe ich jetzt verstanden. Persönlich sollte man solchen Menschen emotional mit Distanz begegnen. Aber sinnvoll arbeiten lassen können wir sie schon. Somit ist Stromberg kein unausweichliches Schicksal.“ Eingangsabbildung: © iStock.com / Comback Images Kolumne Der andere Stromberg-Typ Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch-- Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Dr. Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. Sein Spezialgebiet ist die Regulation sozialer Komplexität zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams. Anschrift: BASF SE, RB / IC, 67 056 Ludwigshafen, eMail: Jens.Koehler@basf.com 75 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0022 Neues aus der IPMA Im Jahr 2022 gibt es einige Neuerungen im Hinblick auf die Besetzung der Positionen im Executive Board (ExBo) der IPMA, bedingt durch den Rücktritt von Martin Sedlmeyer, Schweiz, als Vice President Marketing und das reguläre Ende der Amtszeit von Prof. Constanta Bodea, Rumänien, als Vice Presidentin Research. Da für diese regulär frei gewordene Position keine Bewerbungen von den IPMA Mitgliedsverbänden eingingen, hat das Executive Board von der satzungsgemäßen Möglichkeit Gebrauch gemacht, Kandidaten für das ExBo für ein Jahr zu kooptieren. Der neue Vice President Marketing ist José Reyes aus Panama, der neue Vice President Research ist Prof. Ding Ringgui aus China. José Reyes war bis Dezember 2021 Vizepräsident des Panamakanals, er ist seit 2013 Direktor von IPMA LATNET, langjähriges Vorstandsmitglied des Panamesischen Member Association APGP und organisierte den IPMA Weltkongress im Jahr 2015 in Panama. Prof. Ding Ringgui war in den vergangenen drei Jahren bereits der Research Coordinator der IPMA und ist somit gut vorbereitet und eingearbeitet in seine neue Rolle als Vice President. Damit hat das Executive Board der IPMA nun wieder insgesamt sieben Mitglieder aus Europa, Asien und Amerika und repräsentiert somit die Diversität und Vielfalt der IPMA auch in seinem Board. Darüber hinaus möchte ich auf diese beiden wichtigen Veranstaltungen der IPMA im Jahr 2022 hinweisen: • 10. IPMA Research Conference 2022 findet statt vom 19. -21. Juni 2022 in Belgrad, Serbien unter dem Motto: “Value co-creation in the project society“ Die Deadline für den Call for Paper ist am 1. Mai 2022 Nähere Informationen finden Sie unter: https: / / www.ipmaresearch-conference.world/ Prof. Dr. Yvonne Schoper ist Professorin an der HTW Berlin mit dem Schwerpunkt Internationales Projektmanagement und Vizepräsidentin der IPMA für den Bereich Membership und Young Crew. Ihre Forschungsinteressen sind die Projektifizierung der Wirtschaft und Gesellschaft, und Karrieren und Gehalt im Projektmanagement. eMail: yvonne.schoper@HTW-Berlin.de ORCID: 0000-0002-7731-5081 Aus den DACH-Verbänden | IPMA intern • Der 33. IPMA Weltkongress 2022 findet statt vom 23. -25. November 2022 in Tokyo, Japan unter dem Motto: “Role of Project Management for Building a Sustainable Future” Nähere Informationen finden Sie unter: https: / / worldcongress.ipma.world/ Dabei ist die IPMA Research Conference nicht nur für Projektmanagement-ForscherInnen eine gute Gelegenheit, gemeinsam mit anderen Gleichgesinnten über wichtige Zukunftsthemen des Projektmanagements nachzudenken und zu diskutieren. Die Teilnahme am IPMA Weltkongress bietet die Chance die aktuellen Herausforderungen des Projektmanagements in anderen Teilen der Welt zu erfahren. Tickets für beide Veranstaltungen sind für die Mitglieder der GPM, pma und spm zu ermäßigten Eintrittspreisen erhältlich. Ob diese Veranstaltungen auch als Online-Events stattfinden werden, hängt von der jeweiligen pandemischen Lage ab und ist noch nicht entschieden. Berlin, den 13. 01. 2022 76 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0023 Aus den DACH-Verbänden | GPM intern Neue Firmenmitglieder stellen sich vor-… Firma Hauptgeschäftsgebiet PM-Aufgaben und -Bedeutung Erwartungen an die GPM Projektmanagement mit Tiefe www.pm-tiefe.de Mit seiner jahrelangen Erfahrung bietet Patrick Fiebeler Beratung, Training und Support für Projekte mit Tiefe. Als Projektleitung unterstützt er durch seine Mitarbeit in herausfordernden Situationen und ist als Coach u. a. für GPM Zertifizierungen tätig. PM mit Tiefe heißt: Verbindlichkeit, Transparenz, Veränderung, Moral, Achtsamkeit, Präsenz, Konfliktlösung, Krisenmanagement und internationale Verhandlungsführung. Potenzial des Netzwerks, Kunden zu finden, die sich mit der Idee „Tiefe“ identifizieren können. B. Braun SE www.bbraun.com B. Braun ist einer der führenden Hersteller von Medizintechnik-, Pharmaprodukten und Dienstleistungen weltweit in 64 Ländern mit über 5.000 Produkten für den Krankenhaus- und ambulanten Markt. Das Portfolio- und Projektmanagement umfasst unterschiedliche Projekttypen (technische kapitalintensive Neu- und Umbauten von Fertigungsstätten sowie Produktionsprozessen, Produktentwicklungs-/ R&D Projekte, IT / Digitalisierungs-Projekte, kaufmännische Projekte) und wird durch einen einheitlichen und ganzheitlichen Projektmanagement Standard unterstützt. Austausch zu aktuellen Themen im Projektmanagement. Unterstützung bei der Suche nach qualifiziertem Personal. Carl Zeiss SMT GmbH www.zeiss.de Entwicklung und Herstellung von Halbleiterfertigungs- Optiken, insbesondere für Lithographie-Systeme, sowie von Photomasken- und Prozesskontrolllösungen für die Halbleiterindustrie. Steuerung von komplexen, langjährigen Programmen in der Hochtechnologie. Weiterentwicklung der PM- Qualifikationslandschaft. Austausch zum Projektmanagement mit anderen Industrieunternehmen. Die GPM Fach- und Regionalgruppen Die derzeit 39 Regionalsowie 38 Fachgruppen der GPM bieten eine Plattform zum branchenübergreifenden Networking und Erfahrungsaustausch. Sie leisten damit wichtige fachliche Basisarbeit innerhalb des Vereins. Die Regional- und Fachgruppen bieten darüber hinaus ein breites Angebot von in der Regel kostenlosen Veranstaltungen zum Projektmanagement. Weitere Informationen und Ansprechpartner der einzelnen GPM Fach- und Regionalgruppen finden Sie auf der GPM Website unter: www.gpm-ipma.de / know_how / fachgruppen.html bzw. www.gpm-ipma.de / ueber_uns / regionen. html Aus den DACH-Verbänden | Zertifizierung von Organisationen und Personen 77 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0024 DResearch Digital Media Systems GmbH https: / / www.dresearch.de Wir sind ein mittelständisches IT-Entwicklungs- und -Beratungsunternehmen mit Sitz in Berlin. DResearch entwickelt individuelle Hard- und Software-Lösungen für Kunden aus Verwaltung und Industrie mit dem Schwerpunkt Sicherheit. Wir sind ein Projektunternehmen und beraten auch zu PM-Themen. Austausch im Netzwerk über Erfahrungen und aktuelle Trends im PM, aktive Mitgestaltung der Weiterentwicklung und Positionierung des PM in Politik und Gesellschaft. ukafacilities GmbH ein Unternehmen der Uniklinik RWTH-Aachen www.ukaachen.de/ kliniken-institute/ ukafacilities Übernahme von Bauherrenaufgaben für das Universitätsklinikum Aachen. Die Umsetzung eines guten Projektmanagements ist für uns das wesentliche Fundament, um Kundenanforderungen termin- und kostentreu abzuwickeln. Nutzung des Netzwerks zum Erfahrungsaustausch zu Methoden und Werkzeugen in der praktischen Anwendung. Quelle für Mitarbeiterschulungen. Aus den DACH-Verbänden | spm intern Zertifizierung von Organisationen und Personen I. Die Kompetenz einer Organisation im Management von Projekten, Programmen und Portfolios ist für ihren Erfolg notwendig. Die IPMA hat sich verpflichtet, international anerkannte Zertifizierungen für Projektmanagement und verwandte Organisationskompetenzen zu entwickeln und bereitzustellen. Die IPMA Delta®-Zertifizierung für Organisationen wurde seit dem Jahr 2010 in 13 Ländern realisiert: Insgesamt wurden 37 Organisationen mit IPMA Delta® zertifiziert. Die zertifizierten Organisationen können wie folgt charakterisiert werden: Im Jahr 2021 wurden 6 Organisationen zertifiziert, eine in Spanien, drei in Russland, eine in Schweden und eine in Portugal. Aus den DACH-Verbänden | Zertifizierung von Organisationen und Personen 78 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0024 Rang IPMA Level A IPMA Level B IPMA Level C IPMA Level D 1 Deutschland Schweiz China Deutschland 2 Schweiz Deutschland Deutschland Schweiz 3 Italien Niederlande Finnland Österreich 4 Polen Österreich Schweiz Polen 5 China China Österreich Niederlande 6 Ägypten Italien Niederlande Italien 7 Finnland Finnland Frankreich Ägypten 8 9 Länder Schweden Schweden China Jahr 2020 Erstzertifizierung Rang IPMA Level A IPMA Level B IPMA Level C IPMA Level D 1 Russland Deutschland China Deutschland 2 Ukraine Schweiz Deutschland Schweiz 3 Indien Österreich Österreich China 4 China China Schweiz Österreich 5 Frankreich Russland Russland Niederlande 6 Deutschland Frankreich Indien Irland 7 Italien Schweden Kasachstan Polen 8 Niederlande Italien Frankreich Indien Jahr 2020 Rezertifizierung UK (apm) und Australien haben eigene Systeme auf einer ähnlichen Basis wie die IPMA ICB®, Lateinamerika hat Potential mit der ICB. Hans Knöpfel, spm Vorstand II. Die Kompetenz von Personen im Management von Projekten, Programmen und Portfolios ist für den Erfolg der Projekte notwendig. Im Jahr 2020 wurden von den Zertifizierungsstellen der Landesorganisationen, die IPMA-Mitglieder sind, 17'226 Zertifikate erteilt. Die Top-Performer kamen weitgehend aus Europa und Asien: 79 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0025 Auch heuer wieder verlieh Projekt Management Austria die pma awards für herausragende Projekte und exzellentes Projektmanagement. project manager of the year ist Stefan Zeillinger. Der VA- MED-Projektleiter war für die Generalsanierung des Klinikums Mistelbach verantwortlich. Insgesamt hat das Land Niederösterreich 222 Millionen Euro in dieses Projekt investiert. Das Besondere war, dass mit dem Auftraggeber ein Fixkostensatz vereinbart und auch eingehalten wurde. Das Klinikum Mistelbach ist heute eines der modernsten Krankenhäuser Österreichs. Project Manager of the Year ist Stefan Zeilinger von der VAMED Standortentwicklung © L. Schedl Das Team des Volkstheaters gewinnt den pma award für project excellence © L. Schedl Aus den DACH-Verbänden | pma intern Ausgezeichnete Projekte Den pma project excellence award gewinnt das Team des Volkstheaters rund um Eva Luzia Preindl, Hannes Leiter und Daniela Neubauer für „Black Box Phantomtheater für eine Person“. Weil Aufführungen während des Lockdowns nicht stattfinden konnten, spielte man nur für jeweils eine Person. Entwickelt wurde das Projekt von Stefan Kaegi und der Gruppe Rimini Protokoll. Studierende der FH Joanneum Bad Gleichenberg gewinnen den pma junior award . Projektleiterin Tonja Ofner und ihr Team widmeten sich der Analyse der Tele-Rehabilitation für Kinder mit zerebralen oder körperlichen Einschränkungen. Brigitte Schaden, pma Präsidentin, meint: Projektmanagement ist heute mehr denn je gefragt! Gerade in diesen Zeiten wird uns allen bewusst, wie wichtig fundiertes PM-Know-how und PM-Skills sind. Nur so kommen wir gut durch die (Gesundheits-)Krise. Exzellentes Projektmanagement ist jedoch nicht nur da um aktuelle Krisen zu bewältigen, sondern kann insgesamt das Vertrauen in Wirtschaft und Gesellschaft stärken. Die österreichische PM-Branche hat wieder einmal gezeigt, was sie alles kann und welche Bedeutung sie hat. Ich gratuliere allen Gewinner*innen und Nominierten herzlich. Ihnen allen gebührt unsere Anerkennung und Applaus. Coronabedingt fand die Verleihung der pma awards 2021 auf der virtuellen Bühne statt. Ich verspreche, die Feier holen wir nach. brigitte.schaden@pma.at pma Mitglied vor den Vorhang eurofunk KAPPACHER GmbH eurofunk-Straße 1-8 5600 St. Johann im Pongau www.eurofunk.com Hauptgeschäftsgebiet Mit integrierten 360°-Kommunikations- und Leitstellenlösungen hat sich eurofunk auf den Markt für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben spezialisiert und leistet damit einen nachhaltigen Beitrag zur öffentlichen Sicherheit. PM-Aufgaben und Bedeutung Im Customer Delivery Management werden sämtliche Kundenaufträge in einem Portfolio gesteuert. In Summe werden jährlich mehr als 30 Projekte erfolgreich abgeschlossen und stellen eine wichtige Säule des Unternehmenserfolges dar. Alle Projekte werden durch erfahrene und zertifizierte (PMA, Prince II) Projektmanager / innen nach einheitlichen Standards abgewickelt. project owner of the year ist Mark Kreuscher von der Stadtwerke am See GmbH., für das Projekt ‚GIS-Erneuerung‘. Innerhalb von nur drei Monaten musste das IT- und Datensystem durch ein neues ersetzt werden. 80 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0026 Wie sind Sie zum Projektmanagement gekommen? Mit der Unternehmensfusion zwischen RWE und innogy im Jahr 2016 wurde das Projekt New Ways of Working, ein Transformationsprojekt zur Verbesserung der Arbeitsweisen der Innogy SE, implementiert. In meiner Rolle als Referentin Security Reviews & Quality Assurance verantwortete ich die Leitung eines Workstreams des Projektes innerhalb der Konzernsicherheit. Welches Projekt hat Sie besonders geprägt oder war für Sie besonders wichtig? Besonders prägend war ein Projekt bei E.ON im Jahre 2020, bei dem extern erbrachte Infrastruktur Services ingesourced wurden. Dieses Projekt hatte viele verschiedene Schnittstellen, es bestand ein großer Zeitdruck und hatte hohe Management Attention. Gelten in Ihrem Bereich bestimmte Standards und Methoden? Ja, der Energiesektor als kritische Infrastruktur unterliegt vielen Vorgaben und Standards. Welches historische Projekt bewundern sie am meisten? Ich bewundere die Errichtung der antiken Bauten, wie bspw. des Kolosseums in Rom. An der Art der Bausubstanz lässt sich herausfinden, wie bestimmte Aufgaben gelöst wurden, woher das Material stammte und wie man es dorthin transportiert hat. Was wäre Ihr Traumprojekt? Das Transformationsprojekt „New Ways of Working“ würde ich gerne noch einmal aufnehmen und mit den jetzigen Erfahrungen durchführen, um es noch nachhaltiger zu gestalten. Was zeichnet Sie als Projektmanagerin besonders aus? Ich steuere Projekte auf Augenhöhe, binde alle Beteiligten gleichermaßen ein, fordere aktiv Feedback ein und motiviere alle Mitarbeitenden. Was motiviert Sie, in Projekten zu arbeiten und Projekte zu leiten? Mir macht es Spaß, mich in neue Themen einzuarbeiten und diese weiterzuentwickeln, um so einen Blick über den eigenen Tellerrand zu erhalten. Außerdem ist der Abschluss eines Projektes immer sehr positiv hervorzuheben. Welche Tipps haben Sie für den Projektmanagement-Nachwuchs? Lassen Sie sich nicht entmutigen! Nutzen Sie Rückschläge für sich, holen Sie sich Unterstützung und Feedback, um sich zu reflektieren und stetig zu verbessern. Achten Sie auf eine gute Ziel- und Auftragsklärung und schaffen Sie Strukturen für Kommunikation und Transparenz. Welche Trends sehen Sie im Projektmanagement? Die Verzahnung von traditionellen, agilen und hybriden Arbeitsweisen. Die steigende Bedeutung der Selbstbestimmtheit der Mitarbeiter sowie damit einhergehend flexiblere Arbeitsweisen. Was geben Sie den Lesern mit auf den Weg geben? Neugierde und Motivation sind die entscheidenden Faktoren, um Spaß an der Arbeit zu haben, langfristig erfolgreich zu sein und über den Tellerrand hinaus zu schauen. Auf ein Wort mit-… Sarah Bätzold, Project Managerin Cyber Security in der E.ON Digital Technology GmbH in Essen Von Martina Peuser Zur Person | Sarah Bätzold ist seit Januar 2021 Project Managerin Cyber Security in der E.ON Digital Technology GmbH in Essen. Aktuell ist sie als Projektleiterin in einem Projekt zur Abwehr von Cyber-Angriffen tätig. Prof. Dr. Martina Peuser ist Professorin für allgemeine BWL, insbesondere Organisation und Projektmanagement, an der Leibniz Fachhochschule in Hannover. Als Inhaberin des „Institut für praxisnahe Mittelstandberatung” ist sie Expertin für kundenzentrierte, agile Organisationsstrukturen und begleitet Unternehmen dabei, ihre Strukturen mit dem Fokus auf Kunden flexibel anzupassen. In ihrer Kolumne gibt sie spannende Kurzeinblicke in Lebensläufe und Gedanken von im Projekt tätigen Personen. Editorial | XX 6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 10.24053/ PM-2022-0001 Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM3) FÜR IHRE KARRIERE IM PROJEKTMANAGEMENT GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. I www.gpm-ipma.de I weiterbildung@gpm-ipma.de Das GPM Weiterbildungsangebot Das umfassende GPM Weiterbildungsangebot bietet Ihnen den Schlüssel für erfolgreiches Projektmanagement. Besuchen Sie deutschlandweit Lehrgänge und Coachings nach GPM Qualitätsstandards - durchgeführt von erfahrenen Autorisierten Trainingspartnern und Akkreditierten Trainern. Zusätzlich werden Ihnen aus aktuellem Anlass auch reine Online-Trainings angeboten. Autorisierter Trainingspartner Bei unseren Weiterbildungspartnern finden Sie das passende Angebot. Jetzt Kontakt aufnehmen und beraten lassen! weiterbildung@gpm-ipma.de Unsere Weiterbildungspartner finden Sie hier: www.gpm-ipma.de/ lehrgangsanbieter Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM3) FÜR IHRE KARRIERE IM PROJEKTMANAGEMENT GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. I www.gpm-ipma.de I weiterbildung@gpm-ipma.de Das GPM Weiterbildungsangebot Das umfassende GPM Weiterbildungsangebot bietet Ihnen den Schlüssel für erfolgreiches Projektmanagement. Besuchen Sie deutschlandweit Lehrgänge und Coachings nach GPM Qualitätsstandards - durchgeführt von erfahrenen Autorisierten Trainingspartnern und Akkreditierten Trainern. Zusätzlich werden Ihnen aus aktuellem Anlass auch reine Online-Trainings angeboten. Autorisierter Trainingspartner Bei unseren Weiterbildungspartnern finden Sie das passende Angebot. Jetzt Kontakt aufnehmen und beraten lassen! weiterbildung@gpm-ipma.de Unsere Weiterbildungspartner finden Sie hier: www.gpm-ipma.de/ lehrgangsanbieter Editorial | XX 4 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 10.24053/ PM-2022-0001 Mit der All-in-One-Software von PLANTA haben Sie alle Funktionen, die Sie für erfolgreiches Projektmanagement brauchen, in einem System. 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