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PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
71
2022
333 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.
Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Unter Mitwirkung von: spm - Swiss Project Management Association und Projekt Management Austria P R OJ E K T M A N A G E M E N T A K T U E L L www.pm-aktuell.de Wie leben wir in der Zukunft? Mit der All-in-One-Software von PLANTA haben Sie alle Funktionen, die Sie für erfolgreiches Projektmanagement brauchen, in einem System. Ob klassische, agile oder hybride PM-Methode, ob Projekt oder Portfolio, Sie sind für alle Projektsituationen gerüstet. Präzise Planungsfeatures für Termine, Kosten, Ressourcen und Fortschritte sorgen dafür, dass Sie nicht nur weniger Zeit benötigen, um Projekte zu managen, sondern Ihre Projekte auch schneller zum Abschluss bringen. Dank der agilen Komponente reagieren Sie außerdem mit Leichtigkeit auf Projektveränderungen. Alle Projektteams behalten dabei den Überblick über ihre Aufgaben und kommunizieren Infos im Handumdrehen, egal ob im Büro oder am heimischen Schreibtisch. 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Souveräne Verkaufsstrategien - Umsätze steigern Hamburg 27.-29.07.2022 Nachhaltigkeit im Projektmanagement online 18.08.2022 Exzellentes Projektmarketing Berlin 24.08.2022 Grundlagenseminar online 05.-07.09.2022 online 07.-09.12.2022 Nachhaltigkeit erfolgreich in Unternehmen verankern Nürnberg 09.09.2022 Konvergente Transformation Hamburg 14.-16.09.2022 Agiles Projektmanagement 4.0 Stuttgart 15.-16.09.2022 Stuttgart 20.-21.10.2022 Agile Führung 4.0 von Teams und Organisationen Stuttgart 10.-11.11.2022 Agile Transformation 4.0 Stuttgart 01.- 02.12.2022 Veränderungsprozesse in Unternehmen verstehen Nürnberg 19.-20.09.2022 Internationale Projekte erfolgreich durchführen Nürnberg 22.-23.09.2022 Optimales Selbst- und Zeitmanagement online 23.09.2022 Strategisches Projektmarketing kompakt online 27.09.2022 Führungstraining für Projektmanager Nürnberg 28.-29.09.2022 Mehr Projekte unter Zeitdruck online 04.-05.10.2022 Digitalisierung im Projekt - von der Strategie bis zur Umsetzung online 13.10.2022 Nachhaltigkeit im Projektmanagement online 27.10.2022 Cleveres Marketing für Ihr Projekt Berlin 04.11.2022 Systemisches Konsensieren im Projekt Stuttgart 07.-08.11.2022 Projekterfolge sichern - Konflikte lösen - Modul 1 Nürnberg 19.-20.10.2022 Projekterfolge sichern - Konflikte lösen - Modul 2 Frankfurt 23.-24.11.2022 Konflikttraining nach der Harvard-Methode online 14.-15.11.2022 Stakeholdermanagement in China Stuttgart 15.-16.11.2022 Erfolgreiches Projektmanagement in Asien Stuttgart 17.-18.11.2022 Lernentwicklung im Projekt Nürnberg 21.-22.11.2022 Komplexität im Projekt managen Erfurt 24.-25.11.2022 Gründung und Etablierung von PMOs Berlin 02.12.2022 Mehr Projektmanagement-Wissen für Sie und Ihren Unternehmenserfolg! Aus dem profunden und vielfältigen Know-how des Vereins entstehen die Ideen für das Seminarangebot der GPM. Dank des gemeinnützigen Charakters der GPM können Sie sich dabei auf faire Preise verlassen. Weitere Seminare unter: www.gpm-ipma.de/ seminare GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. I seminar@gpm-ipma.de I www.gpm-ipma.de Know-how für Ihren Projekterfolg Jetzt informieren und anmelden unter: www.gpm-ipma.de/ seminare Profitieren Sie vom Expertenwissen der GPM - dem deutschen Fachverband für Projektmanagement. WEITERBILDUNG Das GPM Weiterbildungsprogramm - Seminare 2. Halbjahr 2022 1. 2. 3. Agiles Projektmanagement 4.0 Stuttgart 15.-16.09.2022 Stuttgart 20.-21.10.2022 Agile Führung 4.0 von Teams und Organisationen Stuttgart 10.-11.11.2022 Agile Transformation 4.0 Stuttgart 01.- 02.12.2022 Grundlagenseminar online 05.-07.09.2022 online 07.-09.12.2022 Projekterfolge sichern - Konflikte lösen - Modul 1 Nürnberg 19.-20.10.2022 Projekterfolge sichern - Konflikte lösen - Modul 2 Frankfurt 23.-24.11.2022 1. 2. 1 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Am Tullnaupark 15, 90402 Nürnberg Unter Mitwirkung von Spm - Swiss Project Management Association Flughofstraße 50, CH-8152 Glattbrugg und Projekt Management Austria Palais Schlick, Türkenstraße 27/ 2/ 21, A-1090 Wien Redaktion: Prof. Dr. Steffen Scheurer, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (Chefredakteur) Oliver Steeger, Alfter (Ressort Report) Nadja Saoudi, GPM Nürnberg Dr. Thor Möller, prometicon projects GmbH, Bremen Redaktionsbeirat: Prof. Dr. Peter Thuy (Präsident GPM) Dr. Dieter Butz Axel Graser, Südwestrundfunk / SWR Prof. Dr. Nino Grau, Grauconsult GmbH Prof. Dr. Katrin Hassenstein, Hochschule der Medien Stuttgart Prof. Dr. Claus Hüsselmann, Technische Hochschule Mittelhessen Dr. Hans Knöpfel, spm, Schweizerische Gesellschaft für Projektmanagement Brigitte Schaden, pma (Projektmanagement Austria) Prof. Dr. Heinz Schelle, GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Prof. Dr. Doris Weßels, Fachhochschule Kiel G 6010 33. Jahrgang, 3/ 2022 ISSN 0942-1017 Verlag: UVK Verlag. Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5, 72070 Tübingen Telefon: +49 (0)7071 97 97 0 Telefax: +49 (0)7071 97 97 11 www.projektmanagement.digital © 2022 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Tübingen Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages. Namentlich gekennzeichnete Beiträge sowie die Inhalte von Interviews geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion oder des Verlages wieder. Zeitschriftenkoordination: Patrick Sorg eMail: sorg@narr.de Anzeigenverwaltung: Stefanie Richter Telefon: +49 (0) 89 / 120 224 12 eMail: richter@narr.de Erscheinungsweise: 5 Hefte pro Jahr Bezugspreise für Privatpersonen: Einzelheftpreis: EUR 20,- Jahresbezugspreis (print): EUR 67,- Jahresbezugspreis (print & online): EUR 88,- Bezugspreise für Institutionen: Jahresbezugspreis (print): EUR 67,- Jahresbezugspreis (print & online): EUR 198,- Preisänderungen vorbehalten. Der Bezugspreis für Mitglieder der GPM ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Alle Preise zzgl. Versandkosten und inkl. MwSt. Die Kündigung ist sechs Wochen vor Ende eines Kalenderjahres schriftlich an den Verlag zu richten. Sonderausgaben werden zusätzlich berechnet. Bei Nichterscheinen der Zeitschrift ohne Verschulden des Verlages oder infolge höherer Gewalt entfällt für den Verlag jegliche Lieferpflicht. Umschlagabbildung: © iStock.com/ mikkelwilliam Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird die männliche Form verwendet (generisches Maskulinum). Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter und beinhalten keine Wertung. Impressum 2 Editorial Reportage 4 Ein neues Projektmanagement braucht die Welt Hendrik Backerra, Robin Aden, Clemens Drilling 11 Der freundliche Roboter erklärt Emotionen 18 „Projekte starten, solange wir die Zeit dafür haben! “ Klimaschutz: Weshalb Sven Plöger optimistisch ist 24 Die Zukunft des Wohnens in neuen Stadtquartieren im Fokus des forschenden Lernens 29 (Urbanes) Leben ins Parkhaus! 38 Smart Cities-- schöne, neue, intelligente Zukunftswelt! Wissen 45 Driving Digital --… but Human is Key (2) 53 Agiles Management-- ein systemischer Ansatz Ohne agiles Mindset der Organisation müssen agile Projekte scheitern 61 Auf dem Weg zu mehr Agilität Ein Feld für Projekteinsätze von Beschäftigten aus Unternehmen in öffentlichen Verwaltungen Nachgefragt 68 Mentoring Programm der GPM 72 Buchbesprechung Kolumne 74 Alles Beethoven, oder was? Aus den DACH-Verbänden 75 IPMA intern 77 GPM intern 79 pma intern 80 Auf ein Wort mit-… Rodger D. Borowy Editorial | Wie leben wir in der Zukunft? 2 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0048 Wie leben wir in der Zukunft? Und was können Projekte dazu beitragen? Liebe Leserinnen und Leser, „Natürlich kümmere ich mich um die Zukunft“, schrieb einst Mark Twain, „ich habe vor, den Rest meines Lebens darin zu verbringen“. Was Mark Twain mit seinem typischen Humor ausdrückt, hat einen ernsten Hintergrund. Besonders heute. Wollen wir die Dinge auf uns zukommen lassen-- und dann reagieren? Oder wollen wir versuchen, die zukünftige Herausforderungen als Chance zu begreifen und möglichst proaktiv handeln? Einige Herausforderungen, die unsere Zukunft prägen werden, können wir schon heute erkennen. So zwingt uns der Klimawandel zu einer ressourcenschonenderen Lebensweise-- mit markanten Konsequenzen für die Zukunft unserer Städte und für unsere Mobilität. Nachhaltiges Entscheiden und Handeln wird zu einer Grundmaxime. Auch auf Basis der in der Pandemie gemachten Erfahrungen werden sich Städte und das Arbeiten in Städten verändern. Möglicherweise werden wir in Zukunft nicht mehr face to face zusammenarbeiten, sondern vernetzt im Metaversum kooperieren. Wir stehen vor einem fundamentalen Wertewandel. Der starke Fokus in Gesellschaft und Wirtschaft auf rein ökonomische Wertsteigerung wird zunehmend abgelöst. An seine Stelle tritt der Wunsch, durch die eigenen Anstrengungen einen gesellschaftsrelevanten Beitrag zu erbringen. Generell fordern die jungen Generationen mehr Teilhabe. Es entsteht eine Art „Sinn-Ökonomie“. Je vernetzter und vielfältiger unsere Herausforderungen und Aufgaben werden, desto mehr Bedeutung gewinnt die Diversität im Arbeitsleben. Wir werden für eine möglichst umfassende Inklusion aller Beteiligten mit all ihren spezifischen Kompetenzen sorgen müssen. Und auch die veränderte geostrategische Situation-- eine sich andeutende neue Weltordnung- - wird unser Leben in Zukunft beeinflussen. Schon allein diese wenigen Beispiele zeigen den enormen Entwicklungs- und Erneuerungsbedarf, dem wir uns stellen müssen. Doch wo anfangen? Erscheinen Aufgaben fast unüberwindbar, hilft es erste Aufgaben abzugrenzen und in eine überschaubare und handelbare Größe zu bringen. Damit sind wir beim Thema Projekte und Projektmanagement- - sofern die Umsetzung dann noch einen zeitlich definierten Rahmen bekommt. Projektmanagement zeigt, dass wir vor großen Herausforderungen nicht einzuknicken brauchen. Wenn wir anpacken wollen, zeigt uns Projektmanagement, wie wir die Zukunftsaufgaben anpacken können. In diesem Heft zeigen wir Ihnen Projekte, denen genau dies gelungen ist. Nämlich Zukunft zu gestalten. Robin Aden, Hendrik Backerra und Clemens Drilling fordern in ihrem Beitrag nicht weniger als ein neues Projektmanagement, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt und zugleich die Nachhaltigkeit unseres Planeten wie auch den Wohlstand unserer globalen Gemeinschaft miteinbezieht. Ein Projekt mit gesellschaftlicher Wirkung stellt Oliver Steeger im Interview mit Simone Kirst, Julian Sessner, Martin Strehler und Martina Simon vor. Das interdisziplinäre Team hat einen Roboter entwickelt, der autistischen Kindern Emotionen erklärt. Der Diplom-Meteorologe, Wettermoderator und Autor Sven Plöger berichtet im Interview von weltweit ermutigenden Leuchtturm-Projekten zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit, etwa von einem Wiederaufforstungsprojekt in Äthiopien, wo mit geringen Mitteln Großes bewirkt wird. Die folgenden Beiträge berichten, wie sich unser Leben in der Stadt verändern wird. Robin Ganser und Franziska Schneider beschäftigen sich mit der Zukunft des Wohnens in neuen Stadtquartieren. Die Autoren zeigen, wie Studierende der HfWU in einem Projekt die Methoden und Prinzipien der Lehrmeister des Bauhauses wieder aufgenommen haben und so Herausforderungen, wie den Klimawandel und den Mangel an bezahlbarem Wohnraum, in das Projekt integrieren konnten. In einem Interview mit Oliver Steeger berichtet Tina Unruh über das Hamburger Parkhaus „Gröninger Hof“. Mit diesem Projekt werden neue Wege in der Stadtentwicklung gegangen: Das mittlerweile geschlossene Parkhaus wird umgenutzt und zu einem neuartigen Modell für städtisches Wohnen, Arbeiten und Zusammenleben entwickelt. Wie vielfältig die Herausforderungen für Städte sind- - dies zeigt Melanie Mergler an einem Projekt zur Digitalisierung des Verkehrs in Hamburg, das dort im Rahmen des Smart-City-Konzeptes umgesetzt wird. Bei all diesen Herausforderungen steht der Mensch mit seinen Ideen im Mittelpunkt. Lesen Sie dazu den zweiten Teil des Essays „Anthropozentrisches (ITund) Projektmanagement“ von Matthias Pietzner. Hubertus C. Tuczek, Agnetha Flore, Helge F. R. Nuhn, und Norbert Schaffitzel stellen den systemischen Ansatz der GPM Fachgruppe "Agile Management (AM)" vor. Christoph Richter zeigt in seinem Beitrag, wie durch Projekteinsätze von Beschäftigten aus Unternehmen in öffentlichen Verwaltungen Agilität im öffentlichen Dienst gefördert werden soll. Nadia Saoudi und Emel Erat stellen im Rahmen des GPM Mentoring-Programms Mentee Dominik Robst und Mentor Holger Barth vor. Wenn wir die Zukunft als Chance begreifen und daran glauben, dass wir die Zukunft durch unser Handeln in der Gegenwart mitbestimmen können, sollten wir schon heute damit beginnen uns um die Zukunft zu kümmern. Dann gilt: Die Zukunft will gestaltet werden, und zwar mit Projektmanagement! Ihr Steffen Scheurer EDITORIAL Editorial | Wie leben wir in der Zukunft? 3 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0048 project process change agile project process change agile www.nextlevelconsulting.com Mit Begeisterung, Leidenschaft und Verstand unterstützen wir Menschen und Organisationen, ihre Struktur und Kultur erfolgreich zu entwickeln. Expert*innen für Ihren Erfolg. Wir unterstützen Sie dabei, Projekte durchzuführen, Prozesse zu verbessern und Veränderungen so zu steuern, dass Ihr Unternehmen den größtmöglichen Nutzen daraus ziehen kann. Unser erfahrenes Team von internationalen Expert*innen steht für Sie bereit mit branchenspezifischem Know-how. Energie für Ihre Ziele. Kundenzufriedenheit ist der Maßstab für unseren Erfolg. Wir bieten Ihnen: Training, Beratung, Coaching, Interim Management und begleiten Ihr Unternehmen durch die digitale Transformation! Profitieren Sie zusätzlich von unseren zahlreichen Aus- und Weiterbildungsangeboten und Projekt- und Prozessmanagement-Tools. AUSBILDUNGSHIGHLIGH T S Kompetenzen erweitern Webcode Veranstaltung Termine Preis exkl. USt. Prozessmanagement Kompakt ab 22.08.2022 EUR 1.150,- D01 Kompaktlehrgang Projektmanagement ab Oktober 2022 in München, Hamburg, Köln und Frankfurt am Main EUR 3.470,- Lehrgang Professional Coaching ab 08.09.2022 in Wien und München EUR 4.790,- Scrum in Projekten nutzen ab 11.10.2022 EUR 1.150,- D87 Per Webcode zu Ihrem Training Weitere Informationen finden Sie schnell und einfach durch Eingabe des Webcodes auf unserer Website. Irrtümer, Satz- und Druckfehler vorbehalten. D04 D39 online online Alle Trainings 4 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0049 Ein neues Projektmanagement braucht die Welt Hendrik Backerra, Robin Aden, Clemens Drilling Schlagwörter | Ganz egal, um welchen Wandel es geht, die Umsetzung findet durch Projekte statt, oder- - im politischen Raum- - durch sogenannte strategische Initiativen, deren Kernelemente aber wieder Programme und Projekte sind. Damit kommt dem Projektmanagement eine wesentliche Verantwortung zu, denn es ist der größte Hebel, den wir haben, Nachhaltigkeit tatsächlich „auf die Straße“ zu bekommen. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, müssen wir die Art und Weise, wie wir gute Projekte machen, radikal ändern. Wir empfehlen die Einführung eines multiperspektivischen Initiativen- und Projektmanagements, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt, auf Werten wie Integrität, Teilen und Vertrauen basiert und auch die Nachhaltigkeit unseres Planeten wie auch den Wohlstand unserer globalen Gemeinschaft miteinbezieht. Schlagwörter | G20, Earth's Overshoot Day, Nachhaltigkeit, Agenda 2030, ViPM, Standards GLOBALE HERAUSFORDERUNG Unser Planet steckt in der Krise. Der sogenannte Earth's Overshoot Day, von dem ab wir jedes Jahr mehr Ressourcen verbrauchen, als der Planet wieder regenerieren kann, fiel im Jahr 2021 auf den 29. Juli. „Bis zu 30 % aller Säugetier-, Vogel- und Amphibienarten werden in diesem Jahrhundert vom Aussterben bedroht sein“ (Rockström, Steffen, Noone 2009). Klimachaos, Massenarmut, Massenmigration-- wir sind in ein Zeitalter großer Störungen eingetreten (Scharmer und Kaufer 2009). Auf der Grundlage der 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung- - Formulierungen, die für das Überleben der globalen Gemeinschaft von entscheidender Bedeutung sind- - versprechen zahlreiche strategische Initiativen mit ihren Projektportfolios und zahllosen Programmen und Projekten, notwendige Ergebnisse zu liefern, sowohl global in der UN als auch auf europäischer wie nationaler Ebene. Als mittelfristig außerordentlich wirksames Beispiel sei der ESG-Standard genannt, der drei nachhaltigkeitsbezogene Verantwortungsbereiche für Unternehmen beschreibt. Das „E“ für Environment steht hierbei z. B. für Umweltverschmutzung oder -gefährdung, Treibhausgasemissionen oder Energieeffizienzthemen (Umwelt). Social („S“) beinhaltet Aspekte wie Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, Diversity oder gesellschaftliches Engagement (Corporate Social Responsibility). Unter Governance („G“) wird eine nachhaltige Unternehmensführung verstanden. Hierzu zählen z. B. Themen wie Unternehmenswerte oder Steuerungs- und Kontrollprozesse (Corporate Governance). Darauf basieren bereits heute Kennzahlensysteme der EU und diverse Nachhaltigkeitsratings [ESG-Kriterien • Definition | Gabler Wirtschaftslexikon]. Initiativen und Projekte sind damit das wichtigste Instrument, mit dem strategische Veränderungen umgesetzt werden (Mansell, Simon, Plodowski 2019). Doch mehr als 50 % aller weltweit durchgeführten Projekte liefern nicht die erwarteten Ergebnisse (PMI 2019), und trotz mehrerer Veröffentlichungen (Gavlin, Tywoniak, Sutherland 2021; Ellmann, Månsson 2009) sind sowohl das Portfolioals auch das Projektmanagement (PM) weit davon entfernt, nachhaltig zu sein. Tatsächlich gibt es trotz einiger vielversprechender Versuche (Jaes, Faganel 2013; McManus, Cacioppe 2011; Silvius et al. 2017) kaum ein gemeinsames Verständnis für ein „nachhaltiges“ Portfolio- und Projektmanagement. Die Hinweis: Dieser Artikel ist Teil des Communiqués der Globalen Values Community (values20.org) für die G20. Er wurde im November 2021 im Rahmenprogramms des G20 Gipfels in Rom vorgestellt. Reportage | Ein neues Projektmanagement braucht die Welt 5 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0049 hohe Zahl gescheiterter Projekte macht deutlich, vor welchen Herausforderungen wir stehen. Etablierte Projektmanagementprinzipien basieren auf einer Denkweise von gestern, einem Top-down-Ansatz für Budget, Umfang, Zeit und Führung (Silvius et al. 2017). Es fehlt ihnen an langfristiger Verantwortlichkeit. Die Entscheidungsträger konzentrieren sich auf die termingerechte Fertigstellung und die Kostenkontrolle als ihre Benchmarks, aber sie sind kaum bereit, engagierte Menschen zu schätzen und die Auswirkungen der Projektergebnisse nach dem Projektabschluss ebenfalls zu berücksichtigen. Obwohl wir wissen, dass der Erfolg von Projekten wesentlich von der Qualität der Führung abhängt, wird Projektmanagement immer noch als methodisches Instrumentarium und nicht als Führungskonzept verwendet. Stakeholder-Themen werden in den PM-Normen nur oberflächlich behandelt. Ihre Einbindung in den Kontext der nachhaltigen Entwicklung erfordert einen Paradigmenwechsel in Bezug auf Kultur und Werte. Anstelle des heutigen Management-of-Stakeholder- Ansatzes (d. h. Stakeholder dazu zu bringen, die Projektanforderungen zu erfüllen und dem Projekt nicht „im Wege zu stehen“) könnte ein Management-for-Stakeholder-Ansatz von Vorteil sein (Eskerod, Huemann 2013). Die globale Herausforderung besteht darin, alle Stakeholder-Gruppen einzubinden, indem organisatorische Werte mit menschlichen Werten zusammengebracht und mit den Strukturen, Prozessen und gewünschten Projektergebnissen in Abstimmung gebracht werden. Das Projektmanagement stützt sich häufig auf das Menschenbild der Theorie X mit seiner strengen hierarchischen Entscheidungsfindung und Kommandostruktur. Unterschiede zwischen den Individuen oder kulturellen Gepflogenheiten werden meist nicht genügend beachtet und in die Tagesarbeit miteinbezogen, ja oft überhaupt nicht wahrgenommen. Das traditionelle Projektmanagement bietet kaum Konzepte zur partizipativen Entscheidungsfindung oder Prozesse zur Problemlösung, Selbstorganisation und Selbstverantwortung. Der Begriff der Nachhaltigkeit wird daher meist nur für das organisationale Lernen des eigenen Kompetenzwerkes verwendet (Lessons Learned). Soziale Indikatoren, die aus den SDGs abgeleitet sind, Umwelt-, Sozial- und Governance-Indikatoren (ESG), Corporate Social Responsibility (CSR) oder andere nachhaltige Indikatorensysteme wie die Taxonomie der Europäischen Union (EU) oder das von Green Project Management (Carboni et al. 2018) vorgeschlagene System sind im Projektalltag fast völlig abwesend. Tharp betont, dass „Nachhaltigkeit nicht nur bedeutet, ‚grün‘ zu sein und sich unserer Auswirkungen auf die Umwelt bewusst zu sein. Wir müssen auch die Risiken im Zusammenhang mit Arbeitspraktiken, Menschenrechten, fairen Geschäftspraktiken und Verbraucherfragen bewerten“ (Tharp 2012). GLOBALE LÖSUNG „Im dritten Jahrtausend haben wir Menschen die Möglichkeit, ein Zusammenspiel mit dem planetarischen Lebensraum zu entfalten, der organismisch und zukunftsfähig ist. Es geht jetzt darum, das Alte zu transformieren und eine neue Kultur zu schaffen, die eine tiefe Integration von Menschen und Natur in den Lebensprozess in den Mittelpunkt unserer Orientierung stellt.“ (Dahm 2019) Die Autoren schlagen ein wertebasiertes (value based), integrales Initiativen- und Projektmanagement (ViPM) vor, einen neuen Ansatz, der die Herausforderungen des traditionellen Projektmanagements überwindet und die Erfolgsquote von Projekten deutlich erhöht. ViPM kann einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der SDGs leisten. ViPM ist ein wertebasierter Ansatz für das Initiativen- und Projektmanagement Die Initiativen der G20 bewegen sich in einer Welt der komplexen globalen Herausforderungen und können auch nur durch globale Zusammenarbeit gemeistert werden. Die Akteure kommen aus verschiedenen Kulturen mit ihren je eigenen Wertvorstellungen. Das kann zu einem Spannungsfeld durch unterschiedliche Wahrnehmungen und Interpretationen führen, z. B. in Bezug auf den Wert Nachhaltigkeit. Wenn man die unterschiedlichen Wertesysteme anerkennt und sie in einem partnerschaftlichen Prozess für das konkrete Vorhaben unter einem Dach gemeinsamer Werte vereinen kann, dann können in der Qualität der Umsetzung neue Maßstäbe gesetzt werden. ViPM begreift die Unterschiedlichkeit von Werten der Menschen als Potenzial. ViPM folgt der Theorie Y von McGregor (McGregor 1960) und geht davon aus, dass Menschen intrinsisch motiviert sind und daran arbeiten, sich selbst weiterzuentwickeln, ohne eine direkte Belohnung zu suchen. Gute Projekte werden von Men- Abbildung 1: Beispielhafte Übersicht ESG Kriterien (Quelle: www.wuestpartner.com, ESG-konforme Immobilienbewertung) Reportage | Ein neues Projektmanagement braucht die Welt 6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0049 schen, die die volle Verantwortung für ihr Tun übernehmen und nicht überwacht werden müssen, um die besten Ergebnisse zu erzielen. Der wertebasierte integrale PM Ansatz definiert Führung daher als eine dienende (ermöglichende) Aufgabe. Es geht darum, dem Team Hindernisse aus dem Weg zu räumen, anstatt ihm die „Wahrheit“, oder „wo es lang geht“ mitzuteilen. Die ViPM-Führungskraft versteht die Einzigartigkeit der Einzelnen und die Vielfalt ihrer Wertesysteme. Oft wird das Spiral Dynamics Modell von Clare Grave-- oder eines der Nachfolgemodelle-- verwendet, um die Teammitglieder in Haltung und Verhalten besser zu verstehen. Es dient auch als Hilfsmittel für die respektvolle Anerkennung der Beteiligten während der gemeinsamen Arbeit. Spiral Dynamics ist ein äußerst nützliches Modell, das bei der Analyse von Stakeholder-Umgebungen angewendet werden kann (Drilling 2019). ViPM definiert den Begriff Erfolg neu Projekte sind nicht nur für den kurzfristigen Output, also die Erreichung der vereinbarten konkreten Ziele verantwortlich, sondern auch für die mittel- und langfristigen Auswirkungen ihrer Ergebnisse. Damit kommen zu den traditionellen Erfolgskriterien- - Einhaltung des Zeitplans, des Budgets, der Qualität-- Kriterien für die Nachhaltigkeit hinzu, ganz gleich, ob sie nun nach dem oben erwähnten ESG- oder mit dem „Triple-Bottom-Line“ Ansatz (Menschen, Ökologie, Ökonomie) strukturiert werden. In Zukunft werden auch die Kriterien der Werte- und der kulturellen Orientierung eine wichtige Rolle bei der Bestimmung des Projekterfolgs spielen. Die „Triple Bottom Line" kann die SDGs mit normativen Projekterfolgskriterien verbinden (Mansell, Philbin, Plodowski 2019). Visualisiert wird aus dem magischen Dreieck des traditionellen Projektmanagements durch die Erweiterung der Ecken „Kultur“ und „ESG“ die Doppelpyramide für Nachhaltigkeit im ViPM. ViPM wirkt in vier Dimensionen Mindset, Kultur, Kompetenzen und Systeme Als wegweisender Ansatz für das Initiativ- und Projektmanagement erneuert ViPM die Governance-Prinzipien und legt den Schwerpunkt auf eine wertebasierte, nachhaltige Projektgestaltung und -durchführung, die die vier Dimensionen Mindset, Kompetenzen, Systeme (Werkzeuge) und kulturelle Arbeit miteinander verbindet (Barrett 2017) und daher als integral bezeichnet wird. ViPM entwickelt sich zu einer Teammoderation, bei der das Ausbalancieren widersprüchlicher Erwartungen aufgrund unterschiedlicher Denkweisen in gegenseitigem Respekt zu einem zentralen Bestandteil jeder werteorientierten Initiative und jedes Projekts wird. Im Mittelpunkt von ViPM steht das Management für die Interessengruppen. Um in multikulturellen Umgebungen etwas zu erreichen, sind neue Modelle der Zusammenarbeit erforderlich, wie z. B. Soziokratie, Deep Democracy, Multi-Stakeholder-Partnerships, bei denen Projektteams und Stakeholder in die Lage versetzt werden, Probleme partizipativ zu lösen und Entscheidungsprozesse mitzugestalten. Die Zusammenarbeit der Zukunft nutzt gut ausgestattete physische und virtuelle Räume. Digitalisierte Prozesse, Plattformen und Kommunikationsgeräte fördern die Zusammenarbeit auf globaler Ebene. Um diese unterstützenden Technologien möglichst effektiv zu nutzen, müssen Teams eine respektvolle Zusammenarbeit entwickeln. Ein integrales Stakeholder-Management und Multi-Stakeholder-Partnerschaften schaffen eine Vertrauenskultur, die Projekte beschleunigt sowie die Integrität und den Austausch der Beteiligten fördert. Die Integration von Nachhaltigkeit ist das Kernstück von ViPM In Anlehnung an Silvius und Schipper (2014a, 2014b) definieren wir nachhaltiges Projektmanagement als die Planung, Abbildung 2: PM Erfolg neu definieren (Doppelpyramide, eigene Darstellung) Abbildung 3: ViPM: Vom übergeordneten Sinn bis zum Einzelprojekt (eigene Darstellung) PRAXIS KOMMUNIKATION ist das Magazin für angewandte Psychologie in Coaching, Training und Beratung. Wir berichten aus der Praxis der Veränderungsarbeit. Coaches und Trainer lassen sich bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen und schreiben über ihre eigenen Erfahrungen mit Methoden, Tools, Klienten und Beratungssituationen. Theoretische Ansätze und neue Forschungserkenntnisse kommen bei uns nicht zu kurz - wir bereiten sie verständlich auf und laden zum Weiterdenken ein. Wir geben Orientierung über Trends, neue Konzepte und Entwicklungen in der Trainings- und Beratungsbranche - das alles geprägt von einem humanistischen Menschenbild. w w w. p k m a g a z i n . d e 8 . J a h r g a n g A u s g a b e 3 J u n i / J u l i 2 0 2 2 12 € 19 18 3 I S S N 2 3 6 4 - 6 8 0 2 P R A X I S K O M M U N I K A T I O N PRAXIS KOMMUNIKATION ANGEWANDTE PSYCHOLOGIE IN COACHING, TRAINING UND BERATUNG 3 202 2 K reative Lösungen im Coaching LASST UNS SPIELEN! Kreativität - du Miststück! / / / Gedanken eines Scanners „Nein, ich bin nicht zu teuer! “ / / Preise selbstsicher vertreten Spielerische Interventionen / / Das EMDR des 21. Jahrhunderts www.pkmagazin.de PRAXIS KOMMUNIKATION jetzt probelesen! Das E-Journal bieten wir ab sofort zum dauerhaft vergünstigten Preis von € 48 an! PRAXIS KOMMUNIKATION gibt es im Zeitschriftenhandel und im Abo als Print- und E-Journal. Testen Sie uns - bestellen Sie unter www.junfermann.de das günstige Probe-Abo (3 Hefte für € 20,00 inkl. Versandkosten). Das Magazin für Profis. Und solche, die es werden wollen. Reportage | Ein neues Projektmanagement braucht die Welt 8 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0049 Überwachung und Steuerung von Prozessen der Projektdurchführung und der Projektunterstützung unter der Berücksichtigung ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Aspekte in Bezug auf Ressourcen, Prozesse und Ergebnisse. Nachhaltiges Projektmanagement zielt darauf ab, Vorteile für die Beteiligten zu erzielen und die Leistung auf transparente, faire und ethische Weise zu gewährleisten, die eine proaktive Beteiligung der Beteiligten einschließt. Nachhaltigkeit in Initiativen und Projekten umfasst die folgenden drei Bereiche, die für ein besseres Verständnis getrennt betrachtet werden sollen. Nachhaltigkeit im Hinblick auf den Projektgegenstand und die Projektziele Diese Dimension berücksichtigt den Grad der Integration von Nachhhaltigkeitszielen im Projektgegenstand, seien es Initiativen im Rahmen der 17 SDGs oder ihrer insgesamt 169 Unterzielen, seien es Projekte mit dem Gegenstand der Entwicklung entsprechender Kennzahlensysteme, des Monitorings oder der (jährlichen) Berichterstattung. Für Deutschland beispielsweise wird der Pfad zur Erreichung der SDGs in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS) beschrieben. In ihr sind die Prinzipien für das Management von Nachhaltigkeitsherausforderungen festgelegt, für jedes der 17 Ziele konkrete Unterziele und Maßnahmen aufgezeigt sowie Indikatoren zur Überprüfung des Handlungsfortschritts definiert. Nachhaltigkeit im Hinblick auf die Produktionsprozesse Unabhängig vom Projektgegenstand kann der Grad von Nachhaltigkeit gemessen werden in Bezug auf eingesetzte Produktionsverfahren, auf die Verwendung (und Herkunft) von Materialien, Maschinen, Werkzeugen, Dienstleistungen Dritter, oder Finanzierungen. Für diese Dimension erarbeitet die Europäische Union aktuell ein umfangreiches Kennzahlensystem zur Steuerung von Finanzströmen in der Zukunft (die ESG-Metriken). Ein Fokus auf Nachhaltigkeit anerkennt die Interdependenz von Organisationen und der Gesellschaft im weiteren Sinne und umfasst Menschenrechte, Kampf gegen die Diskriminierung von gefährdeten Gruppen, Bürgerrechte, Arbeitsbedingungen, Gesundheit und Sicherheit sowie Entwicklung und Ausbildung, Umwelt, nachhaltige Ressourcennutzung und Wiederverwendung (Kreislaufwirtschaft), Vermeidung von Umweltverschmutzung und Eindämmung des Klimawandels, faire Geschäftspraktiken, Korruptionsbekämpfung, fairer Wettbewerb und Achtung der Eigentumsrechte, Verbraucherfragen, faire Vertragspraktiken, Streitbeilegung und faires Marketing, und Engagement für die Gemeinschaft, Ausbildung und Qualifizierung von Mitarbeitern, Schaffung von Wohlstand und Einkommen und Engagement für die Gemeinschaft. Nachhaltigkeit der Führungsprozesse Die traditionelle Projektplanung konzentriert sich lediglich auf Kosten, Qualität und Zeit. Ein wertebasiertes (integrales) Projektmanagement berücksichtigt soziale und ökologische Dimensionen bei der Projektplanung und -durchführung (Bozesan, Mariana 2020). Darüber hinaus integriert diese Dimension der Nachhaltigkeit die Fragen rund um die Integration von Nachhaltigkeitskonzepten in das Projektmanagement. Nachhaltigkeit bezieht sich auch auf Verantwortung und Rechenschaftspflicht sowie auf Werte in Bezug auf Ethik, Fairness und Gleichheit (Silvius et al. 2017). Diese soziale Dimension umfasst die Arbeit an günstigen Denkweisen und gemeinsamen Werten für die Durchführung eines Vorhabens (beispielsweise durch die unter Verwendung bewährter Rahmenwerke wie der CTT (Cultural Transformation Tools von Richard Barrett) ebenso wie die Beachtung des Wohlergehens der Projektteammitglieder und Stakeholder. Schon in der Analyse umfasst das ein tiefes Verständnis der Denkweise, des Wertesystems und der Bedürfnisse der Stakeholder, gefolgt von einer entsprechenden Kommunikations- und Aktionsplanung, um die Bedürfnisse der Interessengruppen und des Projekts in Einklang zu bringen. Auf Grundlage einer auf den Menschen ausgerichteten Haltung arbeiten diese Projekte mit einem fördernden Führungsstil, der auf einem ganzheitlichen Ansatz hoher Diversität der Interessengruppen und partizipativer Entscheidungsfindung beruht. Sie schaffen eine wertebasierte Zusammenarbeit, die sich auf Vertrauen, Selbstorganisation, Verantwortung und Transparenz konzentriert. Die Vorteile von Gruppenentscheidungen sind weithin bekannt: besseres Denken, bessere Akzeptanz, bessere Entscheidungen (Kaner 2014, Ellmann, Månsson 2009). Politische Empfehlungen an die Gruppe der G20 Wir empfehlen das Etablieren eines wertebasierten integralen Initiativen- und Projektmanagements (ViPM), von der Vision bis zum realisierten Nutzen. Dies bietet eine großartige Gelegenheit, die SDGs zu erreichen. 1. Den Begriff „Erfolg“ für Initiativen, Portfolios und Projekte neu definieren Erfolg aus einer nachhaltigen Perspektive bedeutet, die ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekte zu berück- Abbildung 4: Dimensionen der Nachhaltigkeit im Portfolio-, Programm- und Projektmanagement. (eigene Darstellung) Reportage | Ein neues Projektmanagement braucht die Welt 9 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0049 sichtigen. Dazu zählt auch das Formulieren von Erfolgskriterien (Kennzahlen) in den fünf Kernbereichen Planet, Menschen, Wohlstand, Frieden und Partnerschaften- - erweitert um den Sinn (Purpose) der globalen SDGs. 2. Schaffung eines ViPM-Standards Schaffung eines Standards als normative Grundlage für die Durchführung künftiger Initiativen, Programme und Projekte. Schaffung eines ViPM-Frameworks durch Aktualisierung der bestehenden Kodizes, Verflechtung des technischen Projekts mit Maßnahmen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Einführung eines partizipativen Portfolio- und Projektgestaltungsprozesses. 3. Einrichtung eines G20-ViPM-Büros zur Umsetzung dieses neuen Ansatzes in aktuellen und künftigen strategischen Projekten. Das Büro nimmt die Bedarfe der politischen Institutionen wie des privaten Sektors auf, analysiert die global erforderlichen finanziellen und nichtfinanziellen Ressourcen und unterstützt die Durchführung dieser neuen strategischen Programme und Projekte. Das Büro kann auch als Knotenpunkt für den Aufbau einer Plattform für globale Ressourcenfinanzierungsmechanismen dienen. Dafür bietet sich die enge Zusammenarbeit mit der UNOPS an. 4. Erarbeitung eines ViPM-Ausbildungs-, -Zertifizierungs- und -Bewertungssystems für den weltweiten Wissenstransfer über ViPM, der auch Erfahrungen und bewährte Verfahren aus den durchgeführten Abbildung 5: 5+1 Kernbereiche der 17 SDGs (Quelle: vale. com, 2021) Das System, bei dem die Ressourcenplanung funktioniert Ressourcenmanagement Projektportfolio-Management Aufwand- & Kosten-Controlling Projektplanung Unverbindlich online kennenlernen! www.ressolution.ch Scheuring AG +41 61 853 01 54 info@scheuring.ch Initiativen und Projekten sammelt und zur Verfügung stellt. Unterstützend kann die Einrichtung einer ViPM-Zertifizierungsstelle sicherstellen, dass zukünftige Projektportfoliomanager und Initiativenbzw. Projektleiter ein wertebasiertes integrales Projektmanagement in hoher Qualität durchführen. 5. Aufbau einer globalen ViPM-Gemeinschaft durch die Verbindung und Erweiterung bestehender Netzwerke von traditionellem Projektmanagement und dem integralen Bereich. Befähigen Sie die nächste Generation von Projekt-Managern durch aktive Teilnahme an dieser globalen Gemeinschaft. Aufbau einer tragfähigen Kommunikationsplattform zur Stärkung der Zusammenarbeit und des Austauschs. Literatur Barrett, Richard. 2017. Values-driven organisation- - Cultural Health and Employee Well-Being as a Pathway to Sustainable Performance. New York: Routledge. Bozesan, Mariana. 2020. Integral Investing: From Profit to Prosperity. Cham: Springer. Carboni, Joel, and Duncan, William, and Gonzalez, Monica, and Milsom, Peter, and Young, Michael. 2018. Sustainable Project Management: The GPM Reference Guide. Novi: GPM Global. Dahm, Daniel. 2019. Benchmark Nachhaltigkeit: Sustainability Zeroline: Das Maß für eine zukunftsfähige Ökonomie. Bielefeld: transcript Verlag. Drilling, Clemens, and Prof. Grau, Nino, and Dr. Oswald, Alfred. 2019. “Kultur und Werte.” in Kompetenzbasiertes Projektmanagement. Nürnberg: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement, Hrsg. 464-495. Drilling, Clemens, and Linder-Hofman, Bernd. 2020. “Beyond Agile- - Integrales Projektmanagement für Menschen- und Wert(e)orientierung in einer hoffnungsarmen Zeit”. Integrales Forum: Wirtschaft im Wandel, June. Anzeige Reportage | Ein neues Projektmanagement braucht die Welt 10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0049 Ellmann, Sonja, and Månsson, Erik. 2009. “Holistic Stakeholder Management: Coping with Stakeholder challenges in the 21st century”. 23th IPMA World Congress, Finland. Eskerod, Pernille, and Huemann, Martina. 2013. "Sustainable development and project stakeholder management: what standards say", International Journal of Managing Projects in Business. Vol. 6 Iss 1. 36-50. Gavlin, Peter, and Tywoniak, Stephane, and Sutherland, Janet. 2021. “Collaboration and opportunism in megaproject alliance contracts: The interplay between governance, trust and culture”. International Journal of Project Management, April 5th, 23-48. 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Sein Beratungsansatz verbindet pragmatische Geschäftsentscheidungen mit einem tiefgreifenden Verständnis von Organisationsentwicklung und Kulturgestaltung, um die nachhaltige Entwicklung von Firmen zu ermöglichen. hb@hendrikbackerra.de Robin Aden Robin Aden, MHP- - A Porsche Company, Berater im Bereich Organizational Transformation, Fokus Automotive & Manufacturing Seine Expertise liegt im Bereich der integral-systemischen Organisationsentwicklung, um Unternehmen mit ihren Mitarbeitern, Werten, Strukturen und Prozessen auf die nächste Stufe der werteorientierten Zusammenarbeit zu begleiten. eMail: robin.aden@mhp.com Clemens Drilling Clemens Drilling, geschäftsführender Gesellschafter der newTrust GmbH, einem internationalen Beratungsunternehmen mit den Schwerpunkten Organisationsentwicklung und integral-nachhaltiges Projektmanagement; Initiator von pm4future für ein gemeinwohlorientiertes Projektmanagement. Delegierter der und Autor für die globale Gruppe Values 20. 2015 - 2019 Vorsitzender des Präsidialrats der GPM. eMail: clemens.drilling@newtrust.de Silvius, Gilbert, and Schipper, Ron, and Planko, Julia, and van der Brink, Jasper. 2017. Sustainability in Project Management. New York: Routledge. Tharp, Jennifer. 2012. “Project management and global sustainability.”. PMI Global Congress-EMEA. Marseilles. Eingangsabbildung: © pathdoc-- stock.adobe.com 11 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0050 Interdisziplinäres Projekt: Ein Roboter hilft Kindern in der Autismus-Therapie Der freundliche Roboter erklärt Emotionen Oliver Steeger Roboter verrichten seit Jahrzehnten in Fabriken einförmige oder für den Menschen gefährliche Arbeiten. Doch die Entwicklung der Roboter geht weiter. Fast menschlich sehen manche Roboter heute aus; sie können Emotionen beim Menschen erkennen und mit Menschen „sprechen“. Derzeit entwickelt ein interdisziplinäres Team eine Roboterinteraktion für Therapie und Lernen. Die Psychologen, Robotik-Experten, Software-Spezialisten und Ethik-Fachleute konzentrieren sich auf die Förderung von Kindern im Autismus-Spektrum. Wie sie dabei vorgehen-- dies erläutern Simone Kirst (Humboldt-Universität zu Berlin), Julian Sessner (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg), Martin Strehler (Innovationsmanufaktur GmbH) und Martina Simon (Fraunhofer IIS, Projektleitung) im Interview. Sie zeigen, wie der Roboter ein Werkzeug für Therapien werden kann-- und wo seine Grenzen (noch) liegen. Die Entwicklung der Robotik schreitet schnell voran. Immer häufiger werden Abläufe durch Roboter automatisiert. Was viele nicht wissen: Roboter bieten auch Potenzial bei bestimmten sozialen Aufgaben, etwa bei der Therapie. Im Team arbeiten sie an einem Roboter, der die Förderung von Kindern mit Autismus unterstützt. Wie kommt es, dass ausgerechnet bei der Arbeit mit autistischen Kindern ein Roboter hilfreiche Dienste leisten kann? Simone Kirst: Menschen aus dem Autismus-Spektrum kann es schwerfallen, mit anderen Menschen umzugehen. Beispielsweise können betroffene Kinder Probleme haben, auf andere Kinder angemessen zuzugehen und mit diesen zu interagieren. Für sie kann es schwierig sein, Emotionen bei anderen zu erkennen-… …-was ja normalerweise ein intuitiver, unbewusster Vorgang ist … Simone Kirst: Dies ist bei Menschen mit Autismus oftmals anders. Sie können unter Umständen große Schwierigkeiten damit haben. Für sie sind beispielsweise Gesichtsausdrücke oder andere Signale vielfach ein Buch mit sieben Siegeln? Simone Kirst: Ja, und deshalb kann es sein, dass Kinder im Autismus-Spektrum im Gespräch mit anderen zu intensiv auftreten. Sie halten vielleicht Monologe und nehmen beispielsweise nicht wahr, dass der andere längst nicht mehr am Gespräch interessiert ist. Sie tun sich also schwer, emotionale Botschaften anderer zu verstehen. Hinzu kommt, dass sie oftmals Schwierigkeiten haben, ihre eigenen Emotionen wahrzunehmen, diese zu differenzieren und angemessen mit ihnen umzugehen. Viele können zum Beispiel Gefühle wie Frustration oder Ärger nicht gut regulieren. Dies erschwert eine soziale Situation zusätzlich: Menschen im Autismus- Spektrum stehen unter Druck, weil sie viele nonverbale Botschaften nicht erkennen-- und überdies ihre eigenen Stressgefühle regulieren müssen. Was macht ein Roboter da anders? Ist er „geduldiger“? Simone Kirst: Er ist nicht nur geduldiger. Es geht um noch etwas anderes. Ein Roboter wirkt auf autistische Menschen weniger komplex als ein Mensch und damit weniger stressauslösend. In der Interaktion ist das Verhalten des Roboters für sie von daher vorhersehbarer. Er hat ja ein eingeschränktes Verhaltensrepertoire. Er sendet nicht so viele soziale Sig- Reportage | Der freundliche Roboter erklärt Emotionen 12 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0050 nale auf einmal, etwa bei Mimik und Stimmlage; er hat immer den gleichen Tonfall. Das Programm läuft gleichbleibend ab, immer mit ähnlichen Worten. Verstehe ich dies richtig? Arbeitet ein Kind aus dem Autismus-Spektrum mit einem menschlichen Therapeuten, ist es bereits in einer sozialen Situation. Es steht unter Druck. Es kann die Vielfalt der emotionalen Botschaften nicht bewältigen. Simone Kirst: Ja, in etwa. Mit Hilfe des Roboters können diese Kinder beispielsweise anhand von Bildern oder Videos die Mimik anderer deuten lernen. Oder sie können in Entspannungsübungen die eigenen Gefühle regulieren. Der Roboter führt sie durch das Trainingsprogramm. Er bereitet die Kinder auf die Interaktion mit einem Therapeuten vor; später kann er dessen Arbeit unterstützen. Wir im Team sind sicher, dass ein Roboter hilfreich werden kann in der therapeutischen Arbeit. Weil ein Roboter gewissermaßen Brücken bauen kann? Simone Kirst: Er kann Kinder an echte soziale Situationen heranführen, zum Beispiel indem durch seine reduzierte soziale Komplexität die Arbeit an schwierigeren sozialen oder emotionalen Themen erleichtert wird. Zudem bringen Kinder im Autismus-Spektrum meistens Interesse an technischen Geräten mit-- eben, weil diese vorsehbar arbeiten. Roboter können sie also motivieren, an der Förderung teilzunehmen. Eines dabei ist wichtig: Wir wollen nicht, dass Kinder ausschließlich mit dem Roboter üben. Mal arbeiten sie mit dem Roboter, mal mit dem Therapeuten. Auch dann, wenn der Roboter mit den Kindern „arbeitet“, steht ein Therapeut im Hintergrund. Er beobachtet und steuert den Prozess. Er ist eine Art Supervisor und hat eine professionelle Sicht auf das Ganze. Ihr Roboter ist noch in der Entwicklung. Er wurde bislang in Studien eingesetzt, aber nicht in der Breite. Was kann Ihr Roboter bereits? Simone Kirst: Wir haben in ihn zwei Trainings-Module integriert. Das eine Modul unterstützt Kinder, Emotionen bei anderen zu erkennen. Das andere Modul hilft Kindern, ihre eigenen Emotionen regulieren zu lernen-- etwa mit Atemübungen. Wir haben außerdem ein Interface für den Therapeuten entwickelt. Über dieses Interface- - ein Tablet- - passt der Therapeut den Therapieprozess situativ an. Beispielsweise kann er entscheiden, ob das Kind eine Pause braucht. Oder ob der Roboter mit ihm eine Atemübung machen soll, wenn es sich gestresst fühlt. Diese beiden Module bilden zunächst den Anfang-… Simone Kirst: Richtig! Für die Zukunft planen wir, sie um einige weitere zu ergänzen. Julian Sessner: Wir haben in unserem multidisziplinären Projekt bislang viele Grundlagen geklärt und sind zu weiterführenden Erkenntnissen gekommen. Doch es handelt sich immer noch um ein wissenschaftliches Projekt. Wir haben eine Art Demonstrator, den wir in Studien testen. Der Ansatz ist vielversprechend. Doch es wird noch einige Zeit dauern, bis solche Roboter etwa in Autismuszentren eingesetzt werden können. Der nächste Schritt in unserem Projekt wird sein, dass wir das System alltagsfähiger machen. Ihr Roboter wirkt bereits erstaunlich alltagsfähig. Vor allem wirkt er menschlich. Was macht ihn technisch so menschlich? Julian Sessner: Dafür braucht es nicht viel. Der Roboter hat eine Gesichtserkennung. Wenn seine Kamera beispielsweise Ihr Gesicht erkannt hat, wendet er sich Ihnen zu. Er schaut Sie gewissermaßen aktiv an. In seinen Augen hat er kleine LED-Kreise, da scheint er manchmal etwas zu blinzeln. Und er hat bestimmte Grundbewegungen. Spricht er mit Ihnen, so bewegt er sich von rechts nach links, und er öffnet und schließt seine Finger. Durch solche Details wirkt er lebendig. Doch das Repertoire an komplexen Bewegungen und Gesten ist derzeit noch begrenzt. Wir mussten im Konsortium auch neue Gesten implementieren. Martin Strehler: Wir geben dem Roboter zudem eine Bibliothek mit Gesten mit, die zu bestimmten Emotionen passen. Wenn er das Kind lobt, reißt er seine Arme hoch- - eine Art unterstützende Jubelgeste. Oder: Wenn der Roboter mit dem Kind eine Atemübung durchführt, dann lehnt er sich beim Einatmen etwas nach hinten, so, wie Menschen dies auch tun. Unterstützt wird dies mit einem Atemgeräusch. Und beim Ausatmen bewegt sich der Roboter etwas nach vorne. Dazu muss man eines wissen: Sie haben diesen Roboter nicht selbst gebaut. Man kann heute Standard-Roboter kaufen. Manchmal sieht man solch einen Roboter beispielsweise in Supermärkten oder bei Events. Die Aufgabe in Ihrem Projekt besteht darin, solch einen Standard- Roboter für seine Aufgabe im Therapie-Setting anzupassen. Wie darf ich mir das genau vorstellen? Julian Sessner: Zunächst einmal: Wir wollten uns nicht von einem bestimmten Standard-Roboter abhängig machen- - also nicht von einem bestimmten Hersteller oder Typen. Manche dieser Roboter verschwinden schnell wieder vom Markt. Deshalb gestalten wir unsere Software unabhängig von dem Roboter oder der Plattform. Funktionen wie Emotionserkennung oder die Therapiemodule sollen auf möglichst vielen Plattformen laufen. Emotionserkennnung-- was ist damit gemeint? Julian Sessner: Dieses System registriert die Emotionen des Kindes. Wir wollen, dass der Roboter erkennt, ob ein Kind beispielsweise gestresst ist-- oder, im Gegenteil, motiviert. Dann können wir das Trainingsprogramm darauf abstimmen, wie das Kind sich fühlt. Stellt der Roboter fest, dass das Kind motiviert oder vielleicht gelangweilt ist, kann der Roboter dem Therapeuten dann eine etwas schwierige Übung empfehlen. Vielleicht kann der Roboter eines Tages sogar autonom das Programm steuern und anpassen. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, und aktuell ist dies auch nicht gewünscht. Simone Kirst: Autistische Menschen haben oftmals eine recht eingeschränkte Mimik. Sie signalisieren Aufregung und Ärger nicht sehr deutlich- - zumindest nicht für die technische Emotionserkennung. Allein die zuverlässig arbeitende Emotionserkennung bildet für uns eine technische Herausforderung. 2022 pma.at 13. Oktober 2022 Austria Center Vienna #pmafocus22 Projektmanagement für alle! Brigitte Schaden © pma/ Ludwig Schedl Stefan Haider © Jan Frankl Bernhard Paul © Circus-Theater Roncalli Martin Moder © Ingo Pertramer Reportage | Der freundliche Roboter erklärt Emotionen 14 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0050 Wie darf ich mir solch eine Emotionserkennung genau vorstellen? Erkennt der Roboter das Lachen im Gesicht seines menschlichen Gegenübers? Julian Sessner: In etwa. Solch eine rudimentäre Emotionserkennung wird dem Standard-Roboter im Software-Paket mitgegeben. Doch diese integrierte Emotionserkennung ist selbst dann für uns nicht genau genug, wenn jemand Emotionen sehr deutlich zeigt. Wir arbeiten in unserem Team und mit unseren Partnern daran, die Software zu verbessern-- so, dass sie Gesichtsausdrücke und auch die Stimmlage wirklich erkennt und dabei grundlegende Emotionen analysiert. Darüber hinaus können wir auch den Puls des Gegenübers erfassen und daraus Rückschlüsse auf seinen emotionalen Zustand ziehen. Puls erfassen-- wie geht das? Julian Sessner: Wir erfassen den Puls anhand von kleinen Farbveränderungen im Gesicht. Durch den Blutfluss unter der Haut können wir so den Herzschlag erfassen. Dies können wir durch verschiedene Filter erkennen, die wir bei der Kamera anwenden. Auch über die Sprache kann man Emotionen erkennen. Anhand der Stimme kann Software ermitteln, ob das Gegenüber positiv oder negativ gestimmt ist. Das ist heute bereits möglich. Aber? Julian Sessner: Die Daten, mit denen solche Systeme normalerweise trainiert werden, kommen in der Regel von Erwachsenen. Wir mussten also zunächst Trainingsdaten von Kindern generieren. Dafür sind unsere Projektpartner beispielsweise in Kindergärten und Schulen gegangen und haben die Kinder sprechen lassen. Sie haben ihnen Videos gezeigt, auf die sie emotional reagieren sollten, etwa Szenen einer Geburtstagsfeier. Dann sollten sie darüber sprechen, wie sie sich fühlen. Sie sprachen vorhin von dem Interface für den Therapeuten, das Tablet, mit dem er den Prozess steuert-… Julian Sessner: Richtig! Heute werden die Rohdaten etwa zum Puls auf dem Tablet angezeigt. Der Therapeut entscheidet dann darüber, wie im Training weitergemacht wird. Der Monitor des Tablets ist geteilt. Auf der einen Seite zeigt es die Daten der Emotionserkennung. Auf der anderen Seite werden dem Therapeuten verschiedene Optionen angezeigt, wie der Roboter das Programm fortführen kann. Simone Kirst: Dieses Interface hat sich zum einen aus den Anforderungen unserer Stakeholder ergeben. Sie wollten, dass der Therapeut weiterhin aktiv und direkt am Therapieprozess beteiligt ist. Zum anderen resultiert das Interface auch aus den technischen Grenzen, vor denen wir noch stehen. Zu Anfang des Projekts haben wir dieses Interface nicht geplant. Wir wollten, dass der Roboter selbständig agieren kann. Von diesem Ziel sind wir, wie gesagt, noch einiges entfernt. Wir gehen jetzt schrittweise voran. Im nächsten Schritt könnte es sein, dass Interface nicht nur Daten abbildet, sondern das klinische Urteil des Therapeuten weiter unterstützt. Es könnte dann vielleicht sogar Empfehlungen anbieten. Der Einsatz von Robotern in Therapien ist heute noch ungewöhnlich. Europaweit gibt es höchstens eine Handvoll von Projekten, die Roboter für Therapien nutzbar machen wollen. Nicht nur praktische technische Herausforderungen setzen derzeit noch Grenzen, sondern auch der Mangel an gesellschaftlicher Akzeptanz. Simone Kirst: Zur Akzeptanz existieren einige Studien. Demnach ist die generelle gesellschaftliche Akzeptanz von Robotern etwa in pädagogischen Kontext recht gering. Dies gilt häufig aber nur für die Allgemeinbevölkerung. Bei Fachleuten ergibt sich ein anderes Bild. Fachleute im Autismusbereich sehen Roboter positiver. Ähnlich sehen dies auch Eltern von Kindern im Autismus-Spektrum. Erklärt man ihnen das Therapie-Setting, in dem der Roboter eingesetzt wird-- dann sehen viele im Roboter eine kluge und sinnvolle Ergänzung. In Ihrem Projekt haben Sie die ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekte eines Therapie-Roboters sorgfältig und aufwändig untersucht. Wie sind Sie dabei vorgegangen? Martina Simon: Wir haben Workshops zu sozialen, rechtlichen und ethischen Risiken und Anforderungen durchgeführt. An diesen Workshops haben unter anderem Therapeuten, Eltern sowie Erwachsene aus dem Autismusspektrum teilgenommen. Wir haben sie nach ihren Bedenken und Einschätzungen gefragt. Wir wollten wissen, welche Anforderungen sie an das Projekt haben. Uns ist klar: Die Akzeptanz des gesamten Systems hängt vielfach davon ab, wie wir auf diese Anforderungen reagieren. Welche Hinweise gab es aus diesen Workshops? Martina Simon: Eine Frage war: Wird sich das Kind an den Roboter binden? Sieht es in ihm einen Freund? Wird es dann noch eingeschränkter im Sozialverhalten-- weil es diesen Roboterfreund hat und eigentlich keine menschlichen Freunde mehr braucht? Manche waren besorgt, dass man den Roboter aus der Therapie nicht mehr ausschleichen kann. Das Kind, so die Befürchtung, will nur noch mit dem Roboter interagieren; er bietet einen hohen Belohnungsfaktor. Andere Teilnehmer hatten die Sorge, dass das Kind den Roboter hinterher imitiert. Also sich bewegt und spricht wie der Roboter. Dann würde es in seinem Umfeld noch mehr auffallen. Sie haben eine große Menge solcher Hinweise in Ihren Workshops gesammelt. Wie sind Sie mit der Fülle der Hinweise umgegangen? Wie haben Sie diese für Ihr Projekt nutzbar gemacht? Martina Simon: In der ersten Stufe ging es um die Ermittlung der Anforderungen überhaupt. Danach hatten wir in der Tat eine große Zahl einzelner Hinweise; viele von ihnen waren auch doppelt genannt. In der zweiten Stufe haben wir diese Einzel-Stichpunkte klassifiziert und sie dann den Teilnehmern nochmals vorgelegt. Um diese Punkte zu ordnen? Martina Simon: Vor allem um sie zu gewichten. Wir haben die Gruppen gebeten, die klassifizierten Punkte zu ranken und zu priorisieren-- und zwar hinsichtlich der Akzeptanz. Ist beispielsweise ein bestimmtes ethisches Kriterium nicht erfüllt-- wie hoch ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass die Teilnehmer das System noch akzeptieren? Reportage | Der freundliche Roboter erklärt Emotionen 15 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0050 Zum Beispiel: Wie würde die völlige Autonomie des Roboters die Akzeptanz beeinflussen? Martina Simon: Richtig. Wie hoch wäre dann die Wahrscheinlichkeit, dass das System nicht mehr akzeptiert werden würde? Auf diesem Wege konnten wir quantifizierte Ergebnisse ermitteln. Wir haben Aspekte mit hohem Akzeptanzrisiko identifiziert, Aspekte mit mittlerem Risiko und niedrigem. Das konnten wir für die weitere Entwicklung direkt nutzbar machen. Was beispielsweise haben diese Anforderungen in Ihrem Projekt ausgelöst? Martina Simon: Eine ethische Anforderung aus unseren Workshops war, dass die Grenze zwischen Mensch und Maschine nicht verwischt werden darf. Es darf zu keiner zu starken Vermenschlichung des Technischen kommen. Daraufhin haben wir uns entschlossen, diese klare Linie zwischen Mensch und Roboter sehr deutlich zum Ausdruck zu bringen. Ein Beispiel: Das Kind geht mit einem Menschen-- etwa seinem Therapeuten-- zu dem Roboter hin und schaltet ihn bewusst ein. Hinterher schaltet es ihn wieder aus. Oder: Der Roboter weist darauf hin, dass er in einer Fabrik hergestellt wurde und eine Maschine ist. Er zeigt klar: Er kommt nicht aus einer schönen anderen Welt oder aus der Zukunft. Er ist ein Gerät. Und er kommuniziert auch über seine eigenen Grenzen-- etwa darüber, dass er Fehler hat. Martin Strehler: Anfangs haben wir überlegt, dem Roboter ein T-Shirt anzuziehen oder ihm einen Rucksack zu geben. Solche Pläne- - so sympathisch sie auf den ersten Blick scheinen-- haben wir schnell aufgegeben. Das würde den Roboter zu sehr vermenschlichen. Wir müssen eine zu enge Bindung vermeiden, sodass die Kinder nach der Therapie mit dem Roboter nicht einen wichtigen Bezugspunkt verlieren-- oder sie den Roboter gar als den besseren Interaktionspartner wahrnehmen. Die Frage der Vermenschlichung hat ja weitergehende Konsequenzen. Ein Beispiel: Roboter, die Ihrem Therapie-Roboter ähnlich sind, werden etwa auch in Supermärkten eingesetzt. Wie stellen Sie sicher, dass das Kind nicht mit diesem Roboter im Supermarkt über seine Gefühle reden will? Martina Simon: Wir verwenden in unserem Projekt, wie eben gesagt, einen Standard-Roboter für unsere Zwecke. Dieser Standard-Roboter heißt Pepper und ist unter diesem Namen verbreitet. Es kann natürlich sein, dass ein Kind diesem Pepper auch woanders begegnet. Unser Roboter aber sagt dem Kind deutlich, dass er eben nicht der Pepper etwa aus dem Supermarkt ist. Damit versuchen wir zu erreichen, dass Pepper sich nicht als Gefährte anbietet. Es muss dem Kind klar sein: Letztlich ist es eine Maschine. Und kein Ersatz für einen Freund. Ich möchte mit Ihnen über Ihr Projektmanagement sprechen. Ihr Projekt ist höchst interdisziplinär. Ethik trifft auf Robotik, Psychologie auf Interaktionsmanagement, Software auf Therapiedesign. Dies alles setzt eine große Offenheit und Kompromissbereitschaft der Beteiligten voraus. Beispielsweise haben Sie im Verlauf Ihres Projekts immer wieder Kompromisse machen müssen, nicht nur aus technischen Gründen, sondern auch aus Gründen der Akzeptanz. Wie sind Sie im Team mit diesen Kompromissen umgegangen? War das eine Herausforderung für Sie? Julian Sessner: Die Herausforderung war vielleicht nicht so groß wie es auf den ersten Blick scheint. Eines unserer Hauptziele ist, dass wir dieses System für unsere Nutzer entwickeln. Wir wollen Kindern aus dem Autismus-Spektrum helfen und eine passende Lösung erarbeiten, die ankommt, wirkt und genutzt wird. Diese Leitvision mussten wir im Laufe des Projekts nicht verwässern-- trotz einiger größerer Anpassungen. Ressourcenmanagement Multiprojektcontrolling Projektportfolio Angebote und Rechnungen Scrum, Kanban, PRINCE2 ® , IPMA, BPMN Projektmanagement-Software Projektron BCS im Darkmode PROCESSES Anzeige Reportage | Der freundliche Roboter erklärt Emotionen 16 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0050 Uns war von Anfang an klar, dass man bei solch einem Projekt nicht stur an seinem individuellen Forschungsinteresse festhalten kann. Simone Kirst: Meiner Einschätzung nach kommt es in solch einem Projekt darauf an, dass man genau und aktiv zuhört: Was wünschen sich die Eltern und die Kinder, wenn sie den Roboter ausprobiert haben? Was wünschen sich die Therapeuten und Fachleute? Wir haben beispielsweise sorgfältig beobachtet, was den Kindern Freude gemacht hat beim Interagieren mit dem Roboter. Oder was sie frustriert hat, weil der Roboter nicht so agiert, wie wir dies alle dachten. Dieser Prozess braucht Flexibilität bei allen beteiligten Partnern, auch bei den Stakeholdern. Aus Ihrer Projekterfahrung heraus-- wo liegen die harten ethischen und sozialen Grenzen solcher Robotersysteme? Wo sind Ihrer Einschätzung nach die No-Gos? Martina Simon: Aus sozialer Rolle spielt zum Beispiel die Frage eine Rolle, wer die Systeme später bezahlt und wer sie nutzen darf. Es wurden Befürchtungen laut, dass solch ein System in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft bei den Förderungstrainings führt. Was das Ethische betriff: Da liegt eine harte Grenze in der Frage, inwieweit der Roboter den Menschen ersetzen kann und soll. Trifft der Roboter an Stelle des Menschen Entscheidungen? Martin Strehler: Wir hörten immer wieder die Sorge, dass der Roboter autonom etwa dem Kind sagt, ob seine Reaktion angemessen war oder nicht. Bis ein Roboter wirklich autonom handeln kann, wird noch einiges an Zeit vergehen. Im Augenblick kann der Roboter selber weder Annahmen treffen noch aufgrund dieser Annahmen eigenständig handeln. Martin Strehler Martin Strehler hat im Jahr 2000 die Innovationsmanufaktur mitbegründet und leitet dort den Bereich Forschung. Er ist Experte in Sachen Innovationsmethoden und bei der Einbindung von Nutzern in Innovationsprozesse. Er betreut regelmäßig verschiedene Innovations- und Trendforschungsprojekte unter anderem für BMW, Intel, Infineon oder den deutschen Spitzensport. In den letzten zwanzig Jahren hat er unterschiedliche nationale und europäische Forschungsprojekte initiiert und geleitet, zum Beispiel die Verwandlung eines Wohnzimmersessels in eine aktive Gesundheitszentrale oder die Entwicklung eines Hearables als täglicher Assistent für ältere Menschen. Er ist zertifizierter GPM Projektmanagement Fachmann und war u. a. als Gastdozent zu Themen rund um Innovation für die TU München, den Campus M21 (München) und die UDLA (Universidad de las américas; Mexico) tätig. Seit 2016 ist er Reviewer für die Europäische Kommission und hilft bei der Bewertung und Einschätzung europäischer Forschungsanträge. Vor seiner Tätigkeit bei der Innovationsmanufaktur trotze er der Schwerkraft und Alltäglichem u. a. an der Zirkusschule in Paris oder beim Test eines Astronautenanzuges in der Schwerelosigkeit für die European Space Agency (ESA). Foto: Innovationsmanufaktur Eine Abschlussfrage: Wie gelingt es Ihnen im Projektteam selbst, unterschiedliche Perspektiven unter einen Hut zu bringen? Martin Strehler: Wie vorhin gesagt, wir haben die Vision, dass wir Kindern helfen wollen. Diese Vision bildet gewissermaßen die Klammer für unser Projekt. Sie hält das Projekt trotz der verschiedenen Perspektiven zusammen. Doch manchmal treffen diametral gegenläufige Meinungen aufeinander. Wie gehen Sie praktisch damit um? Martin Strehler: Beim Kick-off-Meeting haben wir kleine Eisbrecher-Spiele gemacht. Wir haben uns alle sehr mit Emotionen beschäftigt und kleine Übungen dazu gemacht. Da ging es beispielsweise darum, bei anderen Emotionen zu erkennen. Auf diese Weise baut man zum einen Bindung in der Gruppe auf, und zum anderen kommt man in den Austausch. Im Verlauf des weiteren Projekts haben wir immer wieder versucht, unsere Perspektive zu wechseln. Wir haben zum Beispiel unser Projekt aus Sicht eines Stakeholders präsentiert-… Also ganz bewusst die Brille von anderen aufgesetzt? Martin Strehler: Richtig! Kolleginnen und Kollegen aus nicht-technischen Disziplinen haben zum Beispiel einmal die Interaktionen aus der Roboter Sicht durchgespielt- - um die technischen Anforderungen zu begreifen und ein Gefühl für den Rahmen der technischen Entwicklung bekommen. An- Martina Simon Martina Simon ist seit 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin in der Gruppe „Human Centered Innovation“ am Fraunhofer- Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Nürnberg. Sie initiiert und verantwortet Forschungs- und Beratungsprojekte im Bereich menschlichen Erlebens, Verhaltens und Entscheidens, speziell mit Hinblick auf digitale Lebenswelten und Transformation. Ihre Schwerpunkte liegen dabei auf der Mensch-Technik-Interaktion und der Technik-/ KI-Akzeptanzforschung, wo sie ein methodisches Rahmenmodell zur sozio-ethischen Bewertung anwendergerechter technischer Lösungen für unterschiedliche Branchen und Nutzergruppen entwickelte. Vor ihrer wissenschaftlichen Laufbahn arbeitete sie nach einem abgeschlossenen Lehramtsstudium 15 Jahre bei der hotel.de AG. Dort leitete sie zunächst den Kundensupport, bevor sie in den Bereich Produkt-, Content & Translation Management wechselte, wo sie den Aufbau und die Steuerung des Übersetzungs- und Lokalisierungsprozesses in 38 Sprachen verantwortete. Parallel begann sie an der FernUniversität in Hagen ein nebenberufliches Studium, das sie 2020 als Master of Science in Psychologie abschloss. Foto: Fraunhofer IIS Reportage | Der freundliche Roboter erklärt Emotionen 17 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0050 dersherum haben Techniker versucht, für verschiedene Settings die Sicht eines Kindes im Autismus Spektrum einzunehmen. Man lernt durch den Perspektivwechsel die Sichtweise anderer kennen-- was nicht zuletzt die Beteiligten motiviert, das Verständnis verbessert und das Team näher zusammenbringt. Mir persönlich macht es auf jeden Fall Spaß, mich auch mit anderen Disziplinen zu befassen. Eingangsabbildung: © iStock.com / EvgeniyShkolenko Das Symbolbild zeigt nicht den eingesetzten Roboter und gibt keine Therapie-Situation wieder. Project Office ist Enterprise-Software für beeindruckende Projekte wie den Gotthard- Basistunnel. Agiles Teamwork und hohe Prozesssicherheit verbinden sich dabei zu konsequent hybridem Projektmanagement. Mit agilen Elementen wie Task Boards, Issues und Activities machen Sie Ihre Teams schneller und produktiver. Bewährte Elemente wie die Planung der Ecktermine liefern zuverlässige Leitplanken. Erfolgreiche Projekte durch verlässliche Prozesse und bessere Teamarbeit Engineering success - the agile way Kundenerfolge mit Project Office Erfahren Sie, wie die Adler Pelzer Group ihr globales Projektmanagement verbessert hat. https: / / bit.ly/ 3Gb69TQ energizing great minds contact-sofware.com Anzeige Simone Kirst Simone Kirst (Humboldt-Universität zu Berlin)- - Simone Kirst ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Klinische Psychologie Sozialer Interaktion an der Humboldt-Universität zu Berlin. Während ihrer Promotion in Psychologie entwickelte sie federführend die mobile Applikation „Zirkus Empathico“ zur Förderung sozio-emotionaler Kompetenzen von Kindern im Autismus-Spektrum und leitete die randomisiert-klinische Interventionsstudie in Deutschland und Österreich. Von 2018 bis 2022 forschte sie innerhalb des BMBF-Verbundprojekts „ERIK“ zum Einsatz von Robotersystemen in der Autismustherapie und entwickelt Interaktionsstrategien zur Förderung der Emotionserkennung und Emotionsregulation. Ebenfalls führte sie die begleitenden Usability-, Akzeptanz- und Wirksamkeitsstudien zur Evaluation der Roboterinteraktion federführend durch. Vor ihrer wissenschaftlichen Laufbahn arbeitete sie über sechs Jahre verhaltenstherapeutisch mit Kindern im Autismus-Spektrum und deren Familien. Foto: privat Julian Sessner Julian Sessner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik (FAPS) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Im Rahmen seiner Forschung befasst er sich mit mechatronischen Assistenzsystemen im Kontext der Medizintechnik. So entwickelte er unter anderem ein Assistenzsystem zur Unterstützung sehbehinderter Personen bei der Navigation. Im Rahmen des Forschungsprojektes ERIK wurde am FAPS die Gesamtsystemarchitektur der Roboterplattform entwickelt, um die vielfältigen Komponenten zu integrieren und so die Interaktion zwischen Roboter, Kind und TherapeutInnen zu ermöglichen. Foto: privat 18 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0051 Klimaschutz: Weshalb Sven Plöger optimistisch ist „Projekte starten, solange wir die Zeit dafür haben! “ Oliver Steeger Klimawandel-- ein Thema, das die meisten bedrückt. Die Hochwasser-Katastrophe im vergangenen Jahr an der Ahr hat gezeigt, welche Macht Klima und Wetter haben. Derweil viele die Zukunft grau bis schwarz sehen, verbreitet der Diplom-Meteorologe, Wettermoderator und Autor Sven Plöger Optimismus. Zum einen, weil wir noch die Chance haben, das Schlimmste abzuwenden. Zum anderen, weil er weltweit ermutigende Leuchtturm-Projekte zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit beobachtet. „Für mich ist Optimismus eine Grundhaltung, eine Grundlage,“ erklärt er im Interview, „mit Pessimismus erreichen wir nichts.“ Im Interview legt Sven Plöger dar, welche Möglichkeiten wir bei der Bewältigung des Klimawandels haben, wie wir Menschen für Nachhaltigkeit gewinnen-- und wie Projekte den Klimaschutz unterstützen können. Sie haben ein optimistisches Buch zum Klimawandel geschrieben, Herr Plöger (gemeinsam mit Christoph Waffenschmidt: „Besser machen! : Hoffnungsvolle Entwicklungen und Initiativen für eine lebenswerte Zukunft“). Optimismus ist eine derzeit selten verbreitete Haltung-- besonders nicht hinsichtlich der Anstrengungen zum Klimaschutz. Was bewegt Sie als Meteorologe und Wissenschaftler zum Optimismus? Mein Optimismus hat zunächst damit zu tun, dass ich Rheinländer bin. Für den Rheinländer gilt der Grundsatz: Et hätt noch immer jot jejange. Zu Hochdeutsch: Es ist bisher alles immer gut gegangen. Vielleicht geht auch beim Klimawandel der Kelch an uns vorüber? Nein, ganz bestimmt nicht. Darauf dürfen wir nicht hoffen. Das wäre naiver Optimismus. Die Fakten, die uns die Naturwissenschaft zum Klimawandel liefert, sind unzweifelhaft. Auch habe ich meine sehr kritischen Gedanken zu dem, was ich beobachte und was gesellschaftlich vor sich geht. Es geht mir aber um etwas anderes-- nämlich um die Grundhaltung. Zum verbreiteten Pessimismus gibt es eine Gegenfrage: Was wird für mich und die Welt und die Gesellschaft besser mit einer hoffnungslos pessimistischen Weltsicht? Was kann ich mit dieser Haltung besser bewältigen? Ich komme bei dieser Frage schnell zu dem Ergebnis: Ich schaffe nichts mit Pessimismus. Dagegen ist Optimismus-… …- eine Grundlage für mich. Optimismus hält mich in dem Zustand, in dem ich Chancen finde, statt schwarzzusehen. Ich bleibe offen für Ideen, für hoffnungsvolle Leuchtturmprojekte- - von denen ich einige in dem Buch aufgreife, das ich gemeinsam mit Christoph Waffenschmidt geschrieben habe. Mir geht es besser mit dieser Haltung. Viele Menschen zweifeln, dass wir den Klimawandel noch verhindern können. Was entgegnen Sie dieser Mutlosigkeit? Mir wird häufig die „Klima-Schaff-Frage“ gestellt: Schaffen wir es noch, den Klimawandel abzuwenden- - oder auch nur zu mildern? Manche meinen, wir sollten einfach aufgeben. Die globale Aufgabe des Klimaschutzes ist zu groß. Das ist nicht zu schaffen. Der Wandel kommt sowieso. Wie eben gesagt, solch eine Haltung nützt niemandem. Und das sage ich in meinen Gesprächen auch. Reportage | „Projekte starten, solange wir die Zeit dafür haben! “ 19 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0051 Wie sehen Sie wissenschaftlich die Chance, dass wir den Klimawandel abwenden können? Als Wissenschaftler orientiere ich mich natürlich an Fakten. Das Ziel, die Erhöhung der globalen Temperatur auf 1,5 Grad zu begrenzen- - das könnten wir schaffen. Das würde allerdings einen radikalen Klimaschutz voraussetzen. Diese Radikalität wollen wir vielleicht gesellschaftlich nicht. Sie hätte weitreichende soziale, politische und ökonomische Nebenwirkungen. Aber aus rein physikalischer Perspektive-- wir könnten es schaffen, wenn wir uns ab sofort umstellen und uns sehr vernünftig verhalten! Was wäre möglich ohne solche radikalen Maßnahmen? Greifen wir viel Vernünftiges von dem auf, was wir in Paris 2015 beschlossen haben-- dann sind 2 Grad ein Horizont, den wir halten könnten, ohne das Wort radikal verwenden zu müssen. Das erzeugt bei mir Optimismus. Was entgegnen Sie Menschen, die Ihnen sagen: „Mit allem haben Sie Recht, Herr Plöger - aber selbst die weniger radikalen Ziele schaffen wir nicht! “? Als erstes stelle ich eine Gegenfrage: Haben Sie Kinder? Viele Menschen haben Kinder, Patenkinder oder zumindest Kinder in der Familie. Ich frage sie dann, ob sie wirklich ihren Kindern sagen wollen, dass es ihnen später schlechter geht, als es ihren Eltern ergangen ist. Viele Eltern wollen das nicht, ganz im Gegenteil. Ihre Kinder sollen es besser haben. Ist dies wirklich so- - dann müssen wir unsere Welt enkelfähig machen. Das heißt, wir müssen diese Ziele erreichen. Wir müssen so nachhaltig leben, dass unsere Kinder und Enkelkinder so leben können wie wir selbst. Dann bin ich im Gespräch an der Stelle, dass ich sagen kann: Wir alle müssen uns zusammenreißen. Das scheint das Hindernis zu sein: Individuell das Verhalten und den Lebensstil zu verändern. Natürlich! Dies ist der Kernpunkt. Ob bewusst oder ohne es zu wissen-- wir haben über Jahrzehnte einen falschen Lebensstil gehabt. Der Klimawandel ist ja nicht aus dem Weltall auf die Erde gefallen. Unser falscher Lebensstil hat zu der jetzigen Situation geführt. Das müssen wir anerkennen, und wir müssen Verantwortung dafür übernehmen. Sich jetzt weinerlich dagegen zu wehren, sein Leben umzustellen- - das finde ich eine trostlose und gegenüber den jungen Generationen sehr unfaire Haltung. Deshalb versuche ich in Diskussionen das Thema Kinder aufzugreifen. Das löst Emotionen aus. Viele Menschen sind an Kindern und Enkelfähigkeit interessiert, zusätzlich versuche ich sie dann über den Geldbeutel zu erreichen. Die Investitionen in Klimaschutz reduzieren ja auch den Energieverbrauch-- und damit die Kosten, die jeder einzelne zu tragen hat. Wer jetzt Energie spart, spürt dies im Portemonnaie, tut gutes für das Klima und damit für Kinder und Enkel. Grundhaltung und Einsicht sind Voraussetzungen. Am Ende kommt es aber darauf an, dass man Maßnahmen auch umsetzt. In Deutschland fehlt es kaum an Ideen und technischen Lösungen. Doch viele Projekte bleiben im Konjunktiv. Man sollte, man könnte, man müsste-… Was läuft aus Ihrer Sicht falsch? In Deutschland neigen wir aus meiner Sicht zu einer kleinteiligen Diskussion. Wir vergeuden damit die Zeit, die uns bleibt. Wir zerreden die Herausforderungen ins Unendliche, drehen diese hin und her-- und kommen dann zu dem Ergebnis, dass wir kaum etwas verändern können. Dann kommen Schockwellen wie Flutkatastrophen oder dieser furchtbare Angriffskrieg in der Ukraine. Dann sagen wir, dass sofort alles anders werden muss-… Ein Beispiel? Wir haben in Deutschland auf Erdgas als Brückentechnologie gesetzt. Dies hat sich jetzt als gefährlicher Irrtum erwiesen. Wir haben die Zeit nicht für Veränderungen genutzt, die wir durch die Nutzung von Erdgas bekommen haben. Das scheint mir hier das Hauptproblem zu sein: Wenn wir Zeit haben, Probleme zu lösen- - dann reden wir und tun nichts. Drängen sich die Probleme später auf, sagen wir: Wir können sie nicht bewältigen. Diese Blockade müssen wir lösen. Also die Probleme bewältigen, Veränderung herbeiführen und Projekte starten solange wir die Zeit dafür haben. Sven Plöger bringt im Gespräch Menschen den naturwissenschaftlichen Hintergrund des Klimawandels nahe. „Greifen wir viel Vernünftiges von dem auf, was wir in Paris 2015 beschlossen haben-- dann sind 2 Grad ein Horizont, den wir halten könnten“, sagt er. Foto: betabande Reportage | „Projekte starten, solange wir die Zeit dafür haben! “ 20 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0051 Spricht daraus auch kognitive Dissonanz? Wir sind uns eigentlich einig, dass etwas getan werden müsste - doch keiner fängt an. Wir bleiben im Konjunktiv. Kognitive Dissonanz ist ein gutes Stichwort. Erinnern Sie sich an die Zeit vor der Pandemie? Im Jahr 2019 war der Klimaschutz überall präsent. Fridays for Future war auf der Straße. In den Medien waren Klimaschutz und Umweltschutz ein großes Thema. Und doch- - das Jahr 2019 war das Jahr mit den weltweit meisten Flugreisen, den meisten Kreuzfahrten und dem meisten Plastikmüll. Und in Deutschland wurden 2019 mehr SUVs zugelassen denn je. Wir haben also das Gegenteil von dem gemacht, was wir für richtig erkannt haben. Jeder macht für sich Ausnahmen beim Klimaschutz. Vielleicht weil man meint, dass sein Beitrag global gesehen nicht ins Gewicht fällt. Wenn alle Menschen so denken und für sich eine Ausnahme machen, werden wir keinen Schritt vorankommen. Sprechen wir über den Beitrag, den die Deutschen machen könnten. Deutschland trägt nach einigen Studien zwei Prozent zur weltweiten Emission von Kohlendioxid bei. Provozierend gefragt: Machen diese zwei Prozent wirklich einen Unterschied? Selbstverständlich leisten unsere Anstrengungen einen unverzichtbaren Beitrag! Die Argumentation, unser Beitrag sei nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, ist absolut verheerend. Und sie ist obendrein gefährlich, weil sie nicht zuendegedacht ist und eine beruhigende Wirkung hat. Nicht zuendegedacht? Wie darf ich das verstehen? Ich nenne Ihnen eine andere Zahl. Wir in Deutschland liegen bei den CO2-Emissionen weltweit auf Platz 6-- unter 194 Ländern unseres Planeten. Das heißt: 188 Länder emittieren weniger CO2 als wir. Wie kommen wir dazu zu sagen, dass erst einmal andere Länder vorangehen müssen? Ich wundere mich über solche Aussagen, die ich sogar von intelligenten Menschen in Talkshows höre. Wenn man auf Platz 6 liegt, können alle 188 Länder „hinter uns” ganz sicher den gleichen Satz formulieren. Es ist doch unglaublich sinnlos, wenn man die Beiträge nicht addiert. Machen wir noch eine weitere Rechnung auf: Alle Länder der Erde können ja zusammen nicht mehr emittieren als 100 Prozent, das ist der ganze Kuchen. Runden wir der Einfachheit halber auf, dann haben wir 200 Länder auf der Erde. Wenn wir den Kuchen nun aufteilen, dann bekommt jedes Land natürlich 0,5 Prozent davon. Jedes Land „darf“ demnach 0,5 % der weltweiten Emissionen auf sich nehmen. Dann wären unsere 2 Prozent viermal so viel wie uns eigentlich zustände-… Genau! Ich verstehe nicht, weshalb dies den Menschen nicht auffällt. Unsere zwei Prozent mindestens viermal zu viel sind. Oder anders herum: Würde jedes Land 2 Prozent emittieren, dann wären das bei 200 Ländern 400 Prozent. Wie soll das denn gehen? Wir profitieren einfach davon, dass viele Länder-- die armen Länder-- nicht so luxuriös leben können! Wir reden hier also über Schutzbehauptungen - statt endlich die globalen Rahmenbedingungen zu verändern. Beispielsweise, dass nicht Umweltverschmutzer reicher werden dürfen als diejenigen, die Ressourcen schonen und sich nachhaltig verhalten. Sprechen wir über die Leuchtturmprojekte, die Hoffnung machen. In Ihrem Buch berichten Sie von außergewöhnlichen Projekten für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Welche Projekte sind dies beispielsweise? Eines dieser Projekte hat mich besonders tief beeindruckt. Es handelt sich um ein Wiederaufforstungs-Projekt in Äthiopien. Äthiopien hatte früher viel Wald. Die Bäume wurden abgeholzt- - mit der Folge, dass der Boden überhitzt wurde und austrocknete. Dort, wo früher Wald war, ist häufig nur noch Steinwüste. Es gibt nur noch wenige, häufig kranke Bäume. Sie schaffen es aber trotzdem noch, ans tiefliegende Grundwasser zu kommen und mehr schlecht als recht zu überleben. Der Australier Tony Rinaudo hat erkannt, dass diese Pflanzen eine Chance sind. Er hat ihnen mit einem einfachen Messer die abgestorbenen Äste entfernt. Dann hat er die Menschen vor Ort mit ins Boot genommen. Er hat ihnen gesagt, sie sollen die von ihm bearbeiteten Bäume nicht fällen und mit Zäunen dafür sorgen, dass Tiere die Rinde nicht abfressen. Durch Entwicklungshilfe wurde den Menschen ermöglicht, das umzusetzen - ohne an Brennholz- oder Nahrungsmangel für die Tiere zu leiden. Dann hieß es warten. Binnen einiger Jahre hat sich die öde Gesteinslandschaft in immer grüner werdende Wälder verwandelt. Mein Co-Autor Christoph Waffenschmidt und ich haben Tony Rinaudo 2018 besucht und diese aufblühende Natur gesehen. Ich glaubte manchmal, dass ich in der Schweiz bin und Tony ein Zauberer ist. Kein Trick? Nein, sicherlich nicht. Ich stand vor vier Jahren in den Wäldern. Tony Rinaudo hat mir Fotos von 2006 gezeigt: Zwölf Jahre zuvor war dort öde Steinwüste. Daran gibt es keinen Zweifel. Wie kam es zu diesem Erfolg? Die verbliebenen Bäume haben sich erholt. Sie haben den Boden beschattet. Der Boden konnte sich wieder regenerieren, er kann Wasser aufnehmen und speichern. Ich habe Wasserquellen in den Wäldern gesehen. Das Wasser war sauber und trinkbar. Das hat die Wasserversorgung für die Menschen nachhaltig verbessert. Sie konnten wieder Landwirtschaft betreiben, Geld verdienen und ihre Kinder zu Schulen schicken. Für sein Projekt hat Tony Rinaudo 2018 den alternativen Nobelpreis, den Right Livelihood Award, gewonnen. Ich habe ihn übrigens als sehr bescheiden auftretenden Mann kennengelernt, der aber gleichzeitig eine beeindruckende Überzeugungskraft hat und so Menschen für Projekte gewinnen kann. Was zeigt aus Ihrer Sicht dieses Projekt? Erstens, für derartige Projekte braucht es keine Millionenbudgets. Tony Rinaudo hat mit wenigen Mitteln gearbeitet. Die wichtigsten Werkzeuge waren sein Messer, Überzeugungskraft - und eine gute Idee natürlich! Zweitens, man kann durch Nachhaltigkeit etwas zurückgewinnen, was zuvor durch falsches Verhalten verlorengegangen ist. Drittens, das Projekt zeigt, dass es sich lohnt, einfach mal anzufangen, ohne alles perfektionistisch durchzuplanen. Perfektionistisch zu planen - inwiefern? Wir neigen oft dazu, Vorhaben als kompliziert, risikobehaftet und schwierig zu sehen. Wir wollen die Ziele zu 100 Prozent Modelle, Methoden und Instrumente der Projektdiagnose praxisnah vermittelt uvk.de Reportage | „Projekte starten, solange wir die Zeit dafür haben! “ 22 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0051 erreichen- - wobei 75 oder auch 50 Prozent schon Wirkung entfalten. Dadurch ersticken wir aber die Flamme des ersten Engagements. Man muss einfach nur anfangen? Ja. Ein privates Erlebnis dazu: Kürzlich habe ich mich mit meinen Eltern darüber unterhalten, dass der Keller in ihrem Haus aufgeräumt werden müsste. Kennt fast jeder! Ein Langzeitproblem. Man weiß nicht, wo man anfangen soll-- und schiebt das „Projekt Kelleraufräumen“ immer wieder auf. Ein kaum zu bewältigender Berg. Aber irgendwann fängt man vielleicht doch an. In einer Ecke. Mit einem Schrank. Man räumt auf, man räumt weg, sortiert aus. Und plötzlich entsteht Platz im Keller, den man für weiteres Aufräumen nutzen kann. So etwas kann sogar Spaß machen und motivieren. Man zerlegt das Vorhaben in seine einzelnen Schritte und startet einfach mal. Dann kann es zum Selbstläufer werden. Ähnlich sollten wir es für unsere Projekte zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz machen. Daraus spricht wieder Ihr Optimismus-… Natürlich! Mal anfangen, Ideen umzusetzen und Projekte zu starten- - das ist meine Botschaft für die Projekte. Wir brauchen Einzelne, die gute Ideen haben, starten, Mitstreiter gewinnen und sehen, wie sie zu guten Ergebnissen kommen. Es hängt also an der Initiative Einzelner? Ich denke, es geht bei dem ersten Schritt um Einzelne, die einfach etwas tun. Ich werde häufig gefragt, was man als Einzelner tun kann. Die Menschen sehen die Probleme, sind aber sehr unsicher darüber, was sie beitragen können. Sie sind in einem Es-muss-mal-jemand-kommen-Zustand. Ich würde mir wünschen, dass man mehr auf die Menschen zugeht. Ein Beispiel aus der Kommunalpolitik: Kommunen, die umweltfreundlicher werden wollen, könnten bei den Heizungssystemen in ihrem Ort ansetzen. Sie könnten Energieberater zu den Bürgern schicken, die ihnen die Möglichkeiten umweltfreundlicher Wärmepumpen erklären. Die meisten Menschen haben keine Idee, wie solch eine Pumpe funktioniert und wie man sie einsetzen kann. Sie fühlen sich fremd mit dieser Technologie. Die Hilflosigkeit manifestiert sich dann im Nichtstun. Energieberater gibt es bereits-… Ja- - aber es kommt darauf an, andere Menschen direkt anzusprechen und für die Projekte zu gewinnen. So, wie Tony Rinaudo auf andere zugegangen ist und sie zum Mitmachen bewegt hat. Um auf Ihr Beispiel mit den Energieberatern zurückzukommen. Der Ersatz von Gasheizungen durch Wärmepumpen kostet Geld. Hausbesitzer müssen investieren. Wo Geld ins Spiel kommt, wird Idealismus häufig gebremst. Damit sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Die Projekte müssen nicht nur am Ende funktionieren, sondern auch ein Geschäft sein. Das halte ich für den Kern im Umgang mit dem Klimaschutz. Verstehen Sie mich bitte richtig: Es gibt mit Sicherheit Idealisten, die aus reiner Einsicht heraus handeln. Ich finde es großartig, wenn Menschen Ideale haben und sich aus ihren Idealen heraus für Fortschritt einsetzen. Aber? Nicht jeder ist Idealist, vielleicht sind es nur 5 oder 10 Prozent. Wenn aber die Masse nicht mitmacht, werden wir keinen Erfolg haben. Deshalb sage ich: Der Umgang mit dem Klimawandel muss ein Jahrhundertgeschäft werden. Wir brauchen dafür ein Geschäftsmodell. Menschen, die das Klima schützen, müssen verdienen. Im Augenblick verdienen meistens diejenigen, die wenig auf Nachhaltigkeit achten. Dies sagten Sie vorhin. Die Rahmenbedingungen müssten verändert werden. Genau, leider ist das so. Aber es gibt heute viele Start-ups mit nachhaltigen Geschäftsideen. Es mangelt nicht an Kreativität und Kompetenz. Wir müssen die Rahmenbedingungen so verändern, dass die Produkte und Dienstleistungen der Startups attraktiver werden-- und diese Unternehmen mehr Geld verdienen können. Das Problem ist, dass diese Produkte meistens teurer sind als konventionelle Ware. Nicht jeder kann oder will die Mehrkosten auf sich nehmen. Wie geht man damit um? Wir sollten eines verstehen: Klimaschutz gibt es nicht kostenlos. Wir werden viel zahlen und dafür arbeiten müssen. Nach aktuellen Studien muss jeder Euro, der heute nicht sinnvoll in Klimaschutz investiert wird, zukünftig mit zwei bis elf Euro zurückgezahlt werden. Entweder wir investieren jetzt, oder wir werden in Zukunft ein Vielfaches davon für Anpassungsmaßnahmen ausgeben müssen. Anders gesagt: Das, was wir heute investieren, legt das Fundament für künftigen Wohlstand. Kurzfristiger Profit einzelner tut das nicht. In diesem Zusammenhang greifen Sie etwas auf, was es in Deutschland bereits einmal gab - ein obligatorischer Dienst an der Gesellschaft für junge Menschen. Wie kommt es, dass Sie sich auf diese Idee zurückbesinnen und ein soziales Jahr oder Umwelt-Pflichtjahr für alle fordern? Augenblick, bitte! Ich fordere dies nicht. Ich bringe diese Idee nur ins Gespräch. Für mich ist sie ein großer Gedanke. Wir werden heute im Schnitt über achtzig Jahre alt. Was spricht dagegen, zwölf Monate eines langen Lebens in den Dienst der Gesellschaft zu stellen-- für soziale Arbeit oder in Umwelt- Projekten, von denen wir viele brauchen werden? Gemessen an der heutigen Lebenserwartung handelt es sich um einen überschaubaren Zeitraum, den man opfert. Die Gesellschaft könnte durch solche Pflichtjahre sehr gewinnen. Vielleicht gewinnt auch der Einzelne, der bei Projekten in Kontakt mit der Natur kommt und dabei von Profis begleitet wird. Er könnte dadurch einen anderen Blick auf die Natur gewinnen und auf das, auf was es im Leben wirklich ankommt. Auf was es im Leben ankommt? Wie darf ich dies verstehen? Ich denke, wir müssen bei Menschen auch Lust machen auf Veränderung; die finanzielle Seite, über die wir eben gesprochen haben, kann dabei unterstützen. Reportage | „Projekte starten, solange wir die Zeit dafür haben! “ 23 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0051 Allein das Geld ist auf Dauer eine schlechte Motivation-… Richtig! Während der Corona-Pandemie haben wir gemerkt, wie Entschleunigung im Alltag auf uns wirkt. Die Pandemie hat viele schreckliche Momente gebracht mit Krankheit, Leid und großer Existenzangst. Ich habe allerdings von Menschen auch gehört, dass die Entschleunigung ihnen gutgetan hat. Es ging im Leben plötzlich um mehr als nur das Streben nach mehr Geld, Ansehen, Status oder Spaß. Dies bedeutet, dass wir den erforderlichen Veränderungen auch etwas Gutes abgewinnen können? Die Einschränkungen nicht nur als Verzicht zu sehen? Ich kenne viele Menschen, die sich wie im Hamsterrad fühlen. Sie sind über alle Maßen gestresst. Sie fühlen sich gezwungen, bei dieser Hektik mitzumachen-- ohne dass sie es zwingend wollen. Burnout und chronische Erschöpfung prägen ja unser Leben heute im stetigen „schneller, weiter, höher, mehr”. Da stellt sich mir die „Für-was-Frage“. Wer sagt uns, dass unser heutiger Lebensstil gut ist? Wer sagt, dass er notwendig ist? Wohin wollen wir damit? Die Veränderungen könnten neue Antworten ermöglichen-- und zu einem besseren Leben führen. Ich möchte Veränderungen, die für Klimaschutz und Nachhaltigkeit erforderlich sind, von einer anderen Seite her betrachten. Weltweit beobachten wir den Trend zu Verstädterung. Auch in Deutschland zieht es Menschen aus vielen Gründen in die Städte. Wie können besonders Städte klimatisch nachhaltiger werden? Ich bringe dieses weite Thema auf eine kurze Formel: Wir müssen Städte „verländlichen“. Wir brauchen mehr Grün und Blau in den Städten, also mehr Pflanzen und Wasser. Durch Pflanzen kann mehr Feuchtigkeit verdunsten-- was die Städte kühlt. In Hitzeperioden ist es in einigen Städten bereits heute um neun Grad wärmer als im Umland. Außerdem brauchen wir beispielsweise Luftkorridore, die Luftzirkulation ermöglichen und Frischluft in die Städte bringen. Städteplaner und Architekten müssen in dieser Hinsicht genau planen, wo aus meteorologischer Sicht gebaut werden darf- - und wo nicht. Das ist der naturwissenschaftliche Teil meiner Antwort. Es gibt auch noch einen sozialen Teil. Einen sozialen Teil - welchen? Je mehr Menschen in Städten leben wollen oder müssen, desto mehr werden die Mieten und andere Kosten steigen. Dies kann dazu führen, dass vor allem Familien die Städte wieder verlassen müssen. Sie wohnen dann in den Randbereichen und pendeln in die Stadt-- mit allen Emissionen, die dies mit sich bringt. Das bedeutet, dass wir politisch dafür sorgen sollten, dass Menschen ihr Leben in den Städten bezahlen können und kurze Wege haben. Sven Plöger Sven Plöger präsentiert seit 1999 Hörfunk- und Fernsehwetterberichte und ist den Zuschauern u. a. aus dem „Wetter im Ersten“ vor der Tagesschau und in den Tagesthemen bekannt. Seit vielen Jahren beteiligt sich der Diplom-Meteorologe und Autor intensiv an den Diskussionen zum Klimawandel. Seit 2015 moderiert er Dokumentarfilme für die ARD und den SWR. Der Diplom-Meteorologe und Wettermoderator war schon als Kind fasziniert vom Himmel, von den Wolken und der Fliegerei. Er studierte bis 1996 Meteorologie in Köln und nahm nach dem Diplom die Chance wahr, Meteorologie und Medien zu verknüpfen. Live im Radio ist Sven Plöger seit 1996 zu hören- - seit 1999 steht er vor der Kamera. Auch als Buchautor hat er sich einen Namen gemacht, u. a. mit dem Buch „Gute Aussichten für morgen. Wie wir den Klimawandel für uns nutzen können“. Foto: Sebastian Knoth Eine Abschlussfrage: Der Sommer hat begonnen. Sehr bald starten die Sommerferien - und tausende Menschen starten in den Urlaub. Ich möchte das Thema Flugreisen nochmals aufgreifen. Müssen wir uns schämen, wenn wir in den Urlaub fliegen? Wie stehen Sie zum Thema Fliegen? Zuletzt bin ich im Jahr 2018 geflogen, obwohl ich viel unterwegs bin. Für meine Reisen nutze ich heute die Bahn statt Inlandsflüge. Aber generell-- ich fliege gerne! Und ich gönne jedem seine Flugreise, auch Fernreisen. Es ist sicherlich sinnvoll, dass wir lernen, die Welt auch durch die Brille anderer Kulturen zu sehen. Also Fernreisen sind unter bestimmten Bedingungen okay? Es nehme mir nicht heraus zu bestimmen, was gutes oder schlechtes Reisen ist. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Für mich entscheidend ist die Frage, warum man wohin reist-- und wie man reist. Es kommt auf die Für-was-Frage an, von der Sie eben sprachen? Aus meiner Sicht- - ja! Wollen Sie wirklich anderen Kulturen begegnen und begreifen? Party machen geht auch daheim, und für eine gesunde Entschleunigung ist vielleicht eine dreiwöchige Alpen-Wanderung mit Bahnanreise die bessere Wahl. Sowohl für Sie selbst als auch für das Klima. Aber das ist meine Sicht der Dinge, jede und jeder muss all das für sich selbst bewerten. Aber jede Entscheidung ist eben auch ein Stück Verantwortung-… * Literatur: Sven Plöger und Christoph Waffenschmidt: „Besser machen! : Hoffnungsvolle Entwicklungen und Initiativen für eine lebenswerte Zukunft“, Adeo, 2021 Eingangsabbildung: © Foto: Christian Zecha. So kennen ihn Fernsehzuschauer: Sven Plöger berichtet vom Klima aus aller Welt. 24 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0052 100 Jahre Bauhaus trifft IBA Stuttgart Die Zukunft des Wohnens in neuen Stadtquartieren im Fokus des forschenden Lernens Robin Ganser, Franziska Schneider Für eilige Leser | „Wir müssen der Jugend mehr Gelegenheit geben, während ihrer Ausbildungszeit persönliche Erfahrungen zu machen. Nur wenn wir sie selbst Tatsachen finden lassen, kann Wissen zur Weisheit werden.“ (Walter Gropius) Ganz nach den Lehrbzw. Lernmethoden des Bauhaus‘, bereits vor 100 Jahren, sind Studierende des Studiengangs Stadtplanung an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen in die Methoden und Prinzipien der damaligen Lehrmeister eingetaucht und haben nach deren Vorbild ein Stadtquartier im Kontext der Internationalen Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA 2027) entwickelt. Dabei wurden aktuelle planerische und gesellschaftliche Herausforderungen thematisiert, wie der Klimawandel und der Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Schlagwörter | projektbasiert, Constructive Alignment, Bauhaus, Transit Oriented Development Herausforderungen für die Stadtplanung Der Mangel an geeignetem Wohnraum hat in den vergangenen Jahren die politische Diskussionsebene erreicht. Die hohe Zuwanderung verstärkte zuletzt noch den politischen Handlungsdruck. Tatsächlich manifestiert sich ein in Teilen unausgewogener (Wohn-) Immobilienmarkt mit Nachteilen für die Nachfrageseite, wobei sich zeigt, dass gerade Defizite im Segment des bezahlbaren Wohnraums auftreten, welche durch öffentliche und private Akteure adressiert werden müssen (vgl. Ganser, R. und Schneider, F., 2020). Betroffen sind vor allem die prosperierenden Verdichtungsräume der großen Großstädte und Universitätsstädte (vgl. Simons, H. und Weiden, L. 2016; Siedentop, S. 2008). Gleichzeitig werden durch den demographischen und strukturellen Wandel zusätzliche Ansprüche an Wohnformen und Standorte gestellt, um einerseits altersgerechtes Wohnen zu ermöglichen und andererseits für die benötigten Fachkräfte arbeitsplatznahe Wohnangebote machen zu können. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Bemühens um einen sparsamen Umgang mit der Ressource Fläche, aber auch der Erkenntnis, dass eine fortgesetzt zusätzliche Flächenneuinanspruchnahme auch in ökonomischer Perspektive negativ zu beurteilen ist, haben sich viele Städte vorrangig auf die Innenentwicklung konzentriert. Die Reaktivierung von Brachflächen, das Schließen von Baulücken wie auch die Nachverdichtung etwa im Blockinnenbereich sind Ansätze, welche verfolgt wurden bzw. werden. Strategisches politisches Oberziel ist dabei das Verringern der täglichen Flächenneuinanspruchnahme für Siedlungs- und Verkehrszwecke in Deutschland auf weniger als 30 ha pro Tag bis zum Jahr 2030 (vgl. Deutsche Bundesregierung, Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, 2021, SDG 11.1.a). Dadurch wachsen allerdings auch der Nutzungsdruck auf urbane Frei- und Grünflächen sowie die damit verbundenen Zielkonflikte. Die Potenziale vorhandener Freiräume in bestehenden Stadtgebieten werden oft nicht adäquat genutzt. Nachverdichtung im Bestand und kompakter Wohnungsbau mit hohen Bebauungsdichten in neuen urbanen Quartieren verknappen Reportage | Die Zukunft des Wohnens in neuen Stadtquartieren im Fokus des forschenden Lernens 25 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0052 städtische Freiräume. Das Grün schwand in den letzten Jahrzehnten auch aufgrund der starken Baukonjunktur. Das Ziel einer doppelten Innenentwicklung fordert in diesem Kontext dazu auf, die nicht besiedelte Landschaft zu schonen. Parallel sollen die Städte durch Innenentwicklung (nach)verdichtet werden, mit dem Fokus, mehr Gewicht auf das Grün zu legen und dies explizit in Wert zu setzen ist, um einen Ausgleich für hohe städtebauliche Dichten zu gewähren. Auch die Region Stuttgart ist von den vorgenannten Herausforderungen betroffen. Auf strategischer Ebene zielt die Regionalplanung darauf ab, an günstig gelegenen Standorten Wohnungsbauschwerpunkte zu entwickeln, als Beitrag zur Bewältigung der obenstehenden Problemlagen. Auch die IBA der Region Stuttgart widmet sich diesen aktuellen und zukünftigen Fragen der Stadtplanung (vgl. Stadtregion Stuttgart GmbH, online). In diesem Zusammenhang gewinnt die Planung sowie Mobilisierung neuer Wohnbauflächen in der Größenordnung neuer Stadtteile und -quartiere wieder vermehrt an Bedeutung. Die Analyse der Quantität sowie Qualität dieser Quartiere, sowohl hinsichtlich der Planungs- und Prozessphasen als auch der Ergebnisqualität war auch Gegenstand eines deutschlandweiten Forschungsprojektes des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR, 2021). Aufgrund der Größenordnung sind diese neuen Stadtteile meist nicht ausschließlich prägend für ihre direkte Nachbarschaft, sondern oft auch für die Gesamtstadt, umliegende Gemeinden und Regionen. Bedeutend ist deshalb die Einbettung in eine gesamt- und überörtliche Strategie. Die neuen Stadtteile und -quartiere haben aufgrund ihrer Dimensionierung auch das Potenzial, als ‚Leuchtturm‘ mit Modellcharakter zu wirken. Die Innovationsfähigkeit auf konzeptioneller Ebene und die koordinierte Umsetzung stellen dabei mögliche Erfolgsfaktoren dar. Es ist ebenfalls festzuhalten, dass die vorstehenden Fragen und Herausforderungen kein vollständig neues Phänomen darstellen. Bereits zu Zeiten des Bauhauses in Dessau stellten sich damals die gleichen bzw. ähnliche Fragen. Forschendes und projektorientiertes Lernen Oberziel des hier beschriebenen Projektes „Forschendes Lernen in der Stadtentwicklung“ war die Verknüpfung von Projekt basiertem Lernen und von forschendem Lernen im 4. Semester des Studiengangs Stadtplanung (Bachelor of Engineering) im Sommersemester 2019. Dabei sollten die Studierenden im Rahmen des Forschenden Lernens die ‚großen Herausforderungen‘ unserer Zeit (Mangel an bezahlbarem Wohnraum an Wachstumsstandorten, Klimawandel etc.) analysieren und mit Problemen sowie Lösungsansätzen aus der Vergangenheit vergleichen. Grundstein und Inspiration für das Projekt war das 100-jährige Jubiläum des Bauhauses in Dessau sowie die gut 100 Jahre später folgende Internationale Bauausstellung der Stadtregion Stuttgart (IBA 2027). In der Bauhauslehre war die Stadtplanung bereits Bestandteil einer interdisziplinären Ausbildung, die sich neben dem Konstruieren und Entwerfen auch im Sinne der „Wesensforschung“ mit gesellschaftlichen und stadtsoziologischen Themen beschäftigte (vgl. Bauhaus Kooperation 2022, online). Die Studierenden sollten in diesem Kontext, angeregt von den Ideen von Walter Gropius und weiteren historischen Vordenkern des Bauhauses, ein innovatives und nachhaltiges Stadtquartier für ein Projektgebiet entwickeln. Ein Ziel war dabei vor Ort in Dessau die damals wegweisenden Ansätze, wie z. B. Modulares Bauen für bezahlbaren Wohnraum, zu analysieren und Adaptionsmöglichkeiten für Problemlösungen der heutigen Zeit zu suchen. Diese Ideen sollten in der Folge in die projektbasierte Lehre einfließen, in Kooperation mit der Stadt Ostfildern, wo der Wohnungsbauschwerpunkt Ruit Nord-West in Form einer Arrondierungsfläche, auch im Sinne von ‚Transit Oriented Development‘ an einer S-Bahnlinie nach Stuttgart, ausgewiesen ist.Ein weiteres Ziel war es dabei, die Studierenden durch den konkreten Anwendungsbezug am Standort Ostfildern direkt in die Planungspraxis eintauchen zu lassen und einen neuen Stadtteil für Ostfildern in einem iterativen Prozess zu konzipieren. Begleitend erstellten die Studierenden ein Lernportfolio, welches das Projekt inhaltlich sowie methodisch dokumentierte und evaluierte. Gefördert wurde dieses Projekt mit Mitteln aus dem Landesprogramm HUMUS+. Zunächst sollten die Studierenden in drei Bausteinen des Forschenden Lernens eigenständig Themenschwerpunkte finden, in denen sie sich im Rahmen ihrer Forschung und Konzeption bewegen können. Nach einer ersten Recherche vor Ort im Bauhaus in Dessau, wobei erste allgemeine Lösungsansätze für die selbst definierten Fragestellungen erarbeitet wurden, erfolgte im Rahmen des zweiten Bausteins die fachliche Analyse des Plangebiets in Ostfildern. Im dritten Projektbaustein wurden dann die generierten Erkenntnisse in einer städtebaulichen Gesamtkonzeption zusammengeführt. Der gesamte Lernprozess der Studierenden basierte auf der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen thematischen Inhalten im Sinne des ‚Constructive Alignment‘-Ansatzes (vgl. Biggs, J. 2003, S. 11 ff.). Die Lehrmethoden werden dabei konsequent an den Lernaktivitäten der Studierenden ausgerichtet. Für diese wurde durch die Definition von Meilensteinen innerhalb der Aufgabenstellung ein Rahmen vorgegeben, der Abbildung 1: Übersicht zentrale Planungsprinzipien, Quelle: Studierendenprojekt von Joy Hertel, Marie-Theres Lück und Sophie Straub Bachelorstudiengang Stadtplanung HfWU Reportage | Die Zukunft des Wohnens in neuen Stadtquartieren im Fokus des forschenden Lernens 26 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0052 Lernerfolg war dabei im Wesentlichen jedoch abhängig von der eigenen Initiative und der selbstgewählten Forschungsausrichtung innerhalb des Projekts. Beispielhafte Ansätze für neue Stadtquartiere Das nachfolgend dargestellte Konzept für ein neues Stadtquartier steht beispielhaft für eine Reihe von Planungsalternativen, welche die Studierenden unter der Anleitung von Prof. Dr.-Ing. Robin Ganser und der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Franziska Schneider erarbeitet haben. Vor dem Hintergrund der oben dargestellten planerischen und gesellschaftlichen Problemstellungen ist hier ein Konzept entstanden, das sich unter anderem mit dem Ziel nachhaltiger Wohn- und Bauformen der Zukunft und der kostengünstigen Wohnraumschaffung auseinandersetzt. Die Antwort auf die Klimakrise liegt hier insbesondere in der Holzbauweise und nachhaltigen attraktiven Grünstrukturen sowohl auf der Gebäudeals auch auf der Freiflächenebene. Wie auch die Bauhausschüler vor ihrem eigentlichen Studium einen Vorkurs zu Materialeigenschaften belegen mussten, haben sich einige Studierende im Rahmen des Projekts mit unterschiedlichen Materialien und deren Umsetzung im Städtebau beschäftigt. Inspiriert von der sogenannten „timber town“ in Schweden haben die Studierenden in diesem Beispiel ein Konzept entwickelt, das auf der einen Seite ortsspezifische Lösungsansätze für die Fläche in Ostfildern aufzeigt, sich aber gleichzeitig auf viele andere Plangebiete anwenden lässt. Zukunftsweisend ist dabei insbesondere die grundlegende Annahme, dass ein neuer Stadtteil nicht nur im Betrieb klimagerecht sein sollte, sondern bereits in den vorlaufenden Planungs-, Erschließungs- und Bauphasen. Dies ist auch heute noch kein Standard: die meisten aktuell geplanten oder bereits realisierten Öko-Quartiere stellen z. B. lediglich auf CO2-Neutralität der späteren (Energie)versorgung im Betrieb ab. Die Energie, welche beim Bauen und bei der Produktion der Baumaterialien aufgewendet werden muss, wird regelmäßig außer Acht gelassen. Der hier gewählte Ansatz baut auf nachwachsende Rohstoffe (u. a. Holz), um Klimagerechtigkeit bereits beim Bau zu erreichen, wie dies beispielsweise auch die ökologische Mustersiedlung Prinz Eugen Park anstrebt. Die Studierenden haben sich ferner von den Prinzipien der Bauhauslehre (‚form follows function‘) anregen lassen und kompakte Bauformen konzipiert, auf denen sich planerische Ziele, wie Gebäudebegrünungen, die Installation von Photovoltaikanlagen sowie die Berücksichtigung von Kaltluftschneisen zur Belüftung des Siedlungskerns, leicht umsetzen lassen. Darüber hinaus sind diese klaren Gebäudestrukturen aus ökonomischer Sicht leichter realisierbar. Auch für die Schaffung kostengünstigen Wohnraums haben sich die Studierenden vom Minimalismus des Bauhaus‘ anregen, lassen und flächensparsame sowie bezahlbare Wohnformen, ganz nach dem Vorbild der Bauhaussiedlung Dessau-Törten, ins Konzept integriert. Begleitet werden diese Baukörper durch Freiraumstrukturen die gemeinschaftlich nutzbar sowie multikodiert sind und dabei entsprechend sparsam mit der Ressource Fläche umgehen. Gleichzeitig finden sich unterschiedliche Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel wieder. Diese ermöglichen unter anderem, den Prinzipien der Schwammstadt folgend, die dezentrale Retention und Nutzung von Regenwasser. Als „Transit Oriented Development“ ist das geplante Quartier auto-arm und setzt stark auf die Nutzung des schienengebundenen öffentlichen Verkehrs, welcher durch eine hohe Kapazität und Qualität den Verzicht auf das private Auto erleichtert. Dadurch wiederum werden weniger private Stellplätze für Autos benötigt, so dass auch dadurch das Bauen günstiger wird. Ferner sind durch die guten Erreichbarkeiten auch nur reduzierte öffentliche Parkplätze erforderlich, wobei auch die Kommune einerseits Geld sparen kann und andererseits attraktivere öffentliche Freiräume geschaffen werden können, in denen nicht das Auto das Stadtbild dominiert. Zudem ist der neue Stadtteil im Sinne einer ‚kompakten Stadt der kurzen Wege‘ konzipiert, so dass durch Nutzungsmischung unterschiedlicher Abbildung 2: X 3D-Modellierung Städtebaulicher Entwurf Ruit Nord-West, Quelle: Studierendenprojekt von Joy Hertel, Marie-Theres Lück und Sophie Straub Bachelorstudiengang Stadtplanung HfWU Reportage | Die Zukunft des Wohnens in neuen Stadtquartieren im Fokus des forschenden Lernens 27 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0052 Körnung viele Wege im Quartier zu Fuß oder mit dem Fahrrad bewältigt werden können. Bausteine hierfür sind Nahversorgung, soziale Einrichtungen und Dienstleistungen, welche den Bedürfnissen der zukünftigen Bevölkerung entsprechen. Durch die modulare Herangehensweise an städtebauliche Fragestellungen, haben die Studierenden einen Baukasten geschaffen, der Lösungsansätze beinhaltet, welche über die Aufgabe in Ostfildern hinaus auf unterschiedliche städtebauliche Projekte übertragbar sind. Planungsrechtliche Weiterentwicklung der Ergebnisse Auf das Projekt aufbauend haben die Studierenden im siebten Semester aus einem Teilbereich ihres Konzepts, mit möglichst innovativen Ideen und multiplen Herausforderungen, einen Bebauungsplan erarbeitet. Zu Beginn war es dabei notwendig, den eigenen städtebaulichen Entwurf zu hinterfragen und, wo notwendig, das Konzept anzupassen. Dabei spielten vor allem die planungsrechtlichen Möglichkeiten zur Sicherung ökologischer und sozialer Ziele in der Quartiersentwicklung, wie zum Beispiel die Schaffung bezahlbaren Wohnraums, eine besondere Rolle. Dabei mussten die Studierenden feststellen, dass allein durch Festsetzungen im Bebauungsplan nicht alle Probleme gelöst werden können. Ergänzend zur Aufgabe der Bebauungsplanung wurden deshalb ergänzend Empfehlungen zu möglichen vertraglichen Konstruktionen mit Projektträgern und informellen Instrumentarien erarbeitet, mit deren Hilfe die planerischen und gesellschaftlichen Ziele für das Wohnen der Zukunft umgesetzt werden können. Übertragbarkeit von Projektergebnissen Die Erkenntnisse der Studierenden zeigen, dass viele innovative Ideen aus der Exkursion nach Dessau und aus der forschenden Auseinandersetzung mit den ‚Bauhaus-Prinzipien‘ hervorgegangen sind, welche in die Erarbeitung des stadtplanerischen Konzepts am Standort Ostfildern einfließen konnten. Darüber hinaus machen die Projektergebnisse deutlich, dass viele grundlegende gesellschaftliche und planerische Herausforderungen wiederkehrend sind und aus vergangenen Erfahrungen gelernt werden kann. Die Zukunft des Wohnens muss nicht immer grundlegend neu erfunden werden. Stattdessen können auch Ansätze aus bereits vorhanden Erfahrungen übertragen und für aktuelle Bedürfnisse, Herausforderungen sowie Akteure adaptiert werden. Insbesondere die Frage nach bezahlbarem Wohnraum, wie auch die nach nachhaltigen und flächensparsamen Bauweisen wurden im Rahmen des Projekts häufig in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt. Eine Systematisierung und Modularisierung von Lösungsansätzen vereinfacht dabei die Übertragbarkeit und Anpassbarkeit für andere Standorte, die bei zukünftigen Projekten mit ähnlichen stadtplanerischen Problemlagen konfrontiert sind. Abbildung: 4 Ausschnitt Bebauungsplan, Quelle: Studierendenprojekt von Joy Hertel, Marie-Theres Lück und Sophie Straub Bachelorstudiengang Stadtplanung HfWU Reportage | Die Zukunft des Wohnens in neuen Stadtquartieren im Fokus des forschenden Lernens 28 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0052 Literatur Bauhaus Kooperation 2022, online: https: / / www.bauhauskooperation.de/ wissen/ das-bauhaus/ lehre/ unterricht/ baulehre/ . Stand: 13. 05. 2022. Biggs, John.: Teaching for Quality Learning at University. 2. Auflage. Cromwell Press, Trowbridge 2005. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (Hrsg.): Neue Stadtquartiere. Konzepte und gebaute Realität. 04 / 2021. Deutsche Bundesregierung: Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, 2021. Ganser, Robin; Schneider, Franziska: Bezahlbares Wohnen durch Stadtplanung? ! Kommunale Instrumente und Stadtentwicklungspolitiken zur Kostenbeteiligung Privater an der Bereitstellung bezahlbaren und bedarfsgerechten Wohnraums, in: RaumPlanung, 2 / 3 2020 Siedentop, Stefan: Die Rückkehr der Städte. Zur Plausibilität der Reurbanisierungshypothese; In: IzR 3 / 2008. Simons, Harald; Weiden, Lukas: Schwarmverhalten, Reurbanisierung und Suburbanisierung. In: IzR 3 / 2016. Stadtregion Stuttgart GmbH, online: https: / / www.iba27.de/ wissen/ iba27/ themen-und-raeume/ . Stand: 13. 05. 2022. Eingangsabbildung: angelehnt an das Titelblatt „artspezial - 100 Jahr Bauhaus“. Robin Ganser Prof. Dr.-Ing. Robin Ganser ist seit 2012 Professor für Stadtplanung an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen sowie Leiter des Instituts für Stadt und Immobilie (ISI) an der HfWU. Franziska Schneider Franziska Schneider ist seit 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Wirtschaft um Umwelt und Doktorandin sowie Mitarbeiterin in der kommunalen Stadtplanung. Abbildung 3: Städtebaulicher Entwurf für das Quartier Ruit Nord- West, Quelle: Studierendenprojekt von Joy Hertel, Marie-Theres Lück und Sophie Straub Bachelorstudiengang Stadtplanung HfWU 29 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0053 Wie ein Hamburger Kollektiv ein Großprojekt fürs Gemeinwohl stemmt (Urbanes) Leben ins Parkhaus! Oliver Steeger In den 1960er Jahren galten Parkhäuser als Symbol für Aufbruch. Sie standen damals für „freie Fahrt“ in autogerechten Städten. Sechzig Jahre später ist das Hamburger Parkhaus „Gröninger Hof“ erneut ein Symbol: Dieses Mal für modernes, am Gemeinwohl orientiertes urbanes Leben. Eine breit von Bürgern getragene Genossenschaft sucht neue Wege bei der Stadtentwicklung. Sie möchte das mittlerweile geschlossene Parkhaus umnutzen und ein Modell für städtisches Wohnen, Arbeiten und Zusammenleben entwickeln. Im Interview berichtet Tina Unruh (Vorsitzende im Aufsichtsrat der Genossenschaft) über ein Projekt, mit dem in Hamburg neue Wege gegangen werden sollen. Das Interview wurde bereits im Januar 2022 geführt. Ihr Vorhaben hat deutschlandweit Aufmerksamkeit gefunden: In der Hamburger Innenstadt steht ein Parkhaus leer. Als das Parkhaus 1963 eröffnet wurde, hat der Autoverkehr das städtebauliche Denken geprägt. Jetzt wollen Sie dem leerstehenden Gebäude neues Leben geben-- als einen innovativen Stadtbaustein, in dem Menschen zusammenwohnen, arbeiten und ihre Freizeit verbringen können. Das Entscheidende: Dieses Projekt wird nicht von „oben herab“ geplant. Es wird gemeinsam entwickelt, ein Bauprojekt im Schulterschluss mit dem Quartier. Statt an Rendite für Investoren ist das Modellprojekt am Wohl der städtischen Gesellschaft ausgerichtet. Aus Ihrer Sicht-- was macht das Projekt so wünschenswert und so notwendig? Tina Unruh: Zum einen ist das Bauprojekt selbst wünschenswert. Das ist die Objektebene. In dem ehemaligen Parkhaus entsteht ein lebendiger Stadtbaustein. Wir alle möchten eine gut durchmischte Stadt, wie sie etwa in der Charta von Leipzig beschrieben ist. Hier werden im Sinne der Vielfalt Menschen aus allen Schichten zusammenleben. Es wird geförderten Wohnraum geben, und wir werden auch Menschen eine Wohnung bieten, die sonst auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt sind. Wir haben aber auch Haushalte mit mittlerem Einkommen in der Bewohnerschaft. Neben diesen Wohnflächen planen wir im „Gröninger Hof“ Flächen für Gewerbe, für Begegnung, Kultur und Freizeit. Ideen zur Nachhaltigkeit und einem an Menschen orientiertem Stadtbild spielen eine große Rolle. Für das Objekt haben wir unlängst einen Architekturwettbewerb durchgeführt. Jetzt werden die Planungen immer detaillierter. Bald geht es an den Bauantrag, voraussichtlich noch in diesem Jahr. Das Parkhaus stammt aus der Zeit, als in der Stadt das Auto das Maß aller Dinge war. Jetzt weicht es für ein Bauobjekt-… Augenblick! Das Parkhaus weicht nicht ganz. Es ist Teil der Hamburger Geschichte und Identität dieses Stadtviertels. Wir werden das Parkhaus also nicht komplett abreißen, sondern um- und weiterbauen und es so neu nutzen. Das heißt: Dieses Mal entsteht nicht Fläche für Autos, sondern für Menschen, die hier leben werden. In Ihrem Projekt denken Sie das Thema Leben und Arbeiten in der Stadt neu. Was zum Beispiel konzipieren Sie anders? Ein Beispiel dafür sind innovative Wohnformen. Fünfzig Prozent der Haushalte in Hamburg sind Einpersonenhaushalte. Dadurch wird nicht nur viel Fläche verbraucht, sondern solche Wohnformen können auch zur Vereinsamung führen. Wir gehen davon aus, dass Menschen, die allein in ihrem Haushalt wohnen, nicht zwingend alleine leben möchten. Darum werden wir im Gröninger Hof viele Möglichkeiten zur Begegnung geben. Reportage | (Urbanes) Leben ins Parkhaus! 30 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0053 Konkret? Wir bieten beispielsweise Clusterwohnungen an, eine innovative Wohnform, die unser Angebot an Wohnungen ergänzen. In einer Clusterwohnung haben Bewohner*innen ein kleines Zimmer, die Möglichkeiten für eine eigene Teeküche und ein eigenes Bad. Die Küche, den Wohnraum und die Terrasse teilen sie sich in unserem Projekt mit maximal 5 weiteren Bewohner*innen. Das dürfte aus Studenten-WGs nicht unbekannt sein. Den Unterschied zur WG macht das eigene Bad! Es wird vielleicht nicht einfach, dieses Wohnen im Cluster zu belegen, doch ich bin voller Zuversicht. In der Schweiz gibt es bereits einige Beispiele dafür. Auch bei uns melden sich erste Interessierte, die sich diese Art des Zusammenwohnens vorstellen können. Sie sprachen eben von Gewerbeflächen. Welche innovativen Modelle werden am Gröninger Hof für Gewerbeansiedlung ausprobiert? Wir wissen noch nicht genau, welche Nutzer*innen sich hier einmieten. Verträge für Gewerbeflächen werden in der Regel recht kurzfristig geschlossen. Daher haben wir hier noch keine festen Zusagen. Doch wir haben von Anfang an Lotsinnen und Lotsen für unsere Sache gewonnen. Darunter verstehen wir Unternehmen, die in Hamburg bekannt sind, etwa für Co-Working Spaces, Gastronomen mit angeschlossener Lebensmittelversorgung oder ein FabLab- - die unsere Ideen unterstützen. Auch, wenn sie vielleicht später nicht einziehen, demonstrieren sie damit, dass unsere Vorstellungen plausibel sind. Sie haben ein FabLab genannt. Was darf ich darunter verstehen? Ein Fabrikationslabor. Dabei handelt es sich um eine weltweite Bewegung mit einer vernetzten Community. FabLabs bieten sehr gut ausgestattete Werkstätten an, in denen beispielsweise Scanner und 3D-Drucker für Prototyping stehen. FabLabs sind auch für Hochschulen und Unternehmen aus der Nachbarschaft interessant. Viele skandinavische Bibliotheken oder Schweizer Hochschulen verfügen beispielsweise über Makerspaces, kleine Einheiten dieser FabLabs. Pointiert gefragt-- weshalb ein FabLab statt eines Supermarkts? Wir möchten Menschen, die etwas entwickeln wollen, Raum für Ihre Vorhaben geben. Nicht nur den Gewerbetreibenden und den Bewohner*innen, sondern auch der Nachbarschaft. In diesem Rahmen kann auch eine „konventionelle“ Werkstatt mit angeboten werden, in der man beispielsweise einen Stuhl streichen oder ein Fahrrad reparieren kann. Viele Hamburger Wohnungen sind klein. Für solche Aktivitäten fehlt häufig der Platz. Die Idee, am Gröninger Hof eine offene Werkstatt anzubieten, kommt aus dem Quartier und ist auch bei der künftigen Bewohnerschaft auf breites Interesse gestoßen. Vorhin sagten Sie, dass nicht nur das Gebäude den Charakter eines Modells hat-- sondern auch der Prozess in der Stadtentwicklung selbst. Weshalb ist die Prozessebene dieses Projekts für Sie so wichtig? In die Stadtentwicklung fließt viel Geld. Wir glauben, dass diese Investitionen nicht immer alle mit dem Gemeinwohl vereinbar sind. Deshalb möchten wir zeigen, wie Stadtentwicklung auch auf andere Weise gelingen könnte. Wie würden Alternativen zu den herkömmlichen Prozessen im Städtebau aussehen? Das möchten wir mit diesem Vorhaben ausloten. Also eine Revolution in der Stadtentwicklung auslösen? Langsam! Die herkömmlichen Verfahren in Stadtentwicklung und Städtebau sind hochkomplex und für viele Bauprojekte sinnvoll-- etwa dann, wenn Wohnungsbaugesellschaften viele Wohnungen errichten. Diese Prozesse möchten wir nicht in Gänze hinterfragen! Innovationen entstehen allerdings nicht aus Repetition. Mit dem Gröninger Hof haben wir ein Angebot formuliert, gemeinsam mit allen Beteiligten Anderes auszuprobieren. Ein altes Parkhaus wie hunderte in Deutschland: Doch hier entwickelt sich ein einzigartiges Modellprojekt. Foto: Groeninger Hof Reportage | (Urbanes) Leben ins Parkhaus! 31 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0053 Sie möchten herausfinden, ob und wie alternative Verfahren funktionieren? Ja. Dabei sagen wir keinesfalls, dass wir von vornherein exakt wissen, wie man vorgehen sollte oder dass wir es besser könnten als andere. Es geht hier vielmehr darum, Raum für das Ausprobieren, das Experimentieren zu schaffen-- immer mit dem Ziel, eine ortsgebundene, gemeinwohlorientierte Projekt- und Immobilienentwicklung zu etablieren. Man kann diese Prozesse nicht eins-zu-eins auf andere Situationen übertragen, doch hoffentlich ein Modell entwickeln, dass reproduzierbar wäre. An Ihrem Vorhaben springen zwei Punkte besonders ins Auge. Erstens, in die Vorbereitung und Planung sind viele Gruppen involviert: beispielsweise künftige Bewohner des Gebäudes, Nachbarn, Unternehmen oder angesehene Hamburger Organisationen. Sie gehen neue Wege bei der Partizipation. Zweiter Punkt: Hinter Ihrem Projekt steht eine eigens gegründete Genossenschaft, ein Kollektiv, das in Hamburg breit getragen wird. Kollektiv ist ein gutes Wort! Bei uns sind viele Hände tätig-- fast alle im Ehrenamt. Entscheidungswege werden im Kollektiv gegangen und Finanzierung gemeinsam gestemmt. Eine Genossenschaft als Rechtsform ist unserer Ansicht nach am ehesten geeignet für dieses offene, am Gemeinwohl orientierte Vorhaben. Hier können sich viele Stimmen einbringen. Aber: Diese Offenheit im Kollektiv hat auch Leitplanken. Wir handeln trotz der Mitwirkung Aller sehr professionell. Professionell-- inwiefern? Wir spannen das Wissen von Expert*innen aus dem Planen und Bauen mit dem Wissen der Expert*innen des Ortes zusammen. Menschen, die das Thema Stadt- und Immobilienentwicklung professionell betreiben, reden auf Augenhöhe mit Menschen, die den Ort, Stadtteil und die Nachbarschaft kennen. Daraus ergibt sich große Stimmenvielfalt, aber auch spezifisches Wissen. Die Genossenschaft hat aktuell rund 300 Mitglieder unterschiedlichster Couleur. Wir möchten gerne Viele mehr werden. Ich stelle es mir schwierig vor, diese Vielfalt von Interessen, Ideen, Meinungen und Erwartungen in einem Projekt abzubilden. Die Offenheit bedeutet nicht, dass sich jeder hier mit seinen eigenen Vorstellungen verwirklichen kann. Wir handeln beständig Erwartungen und Anforderungen aus- - immer mit dem Ziel, die Interessen des Gemeinwohls vor die Interessen einzelner Personen oder Gruppen zu stellen. Wer mitmacht, sollte bereit sein zuzuhören und Kompromisse einzugehen. Das ehemalige Parkhaus Gröninger Hof liegt zentral in Hamburg, und es gehörte indirekt der Stadt Hamburg. Solche Immobilien werden häufig dem meistbietenden Investor verkauft, der sie dann abreißt und Neues baut. Beim Parkhaus Gröninger Hof hat sich die Hansestadt indes anders entschieden. Wie kommt es, dass sie Grundstück und Bauwerk Ihrer Genossenschaft an die Hand gegeben hat? Heute werden städtische Grundstücke zum Glück nicht immer nur an den Meistbietenden verkauft. In einer Konzeptausschreibung beispielsweise spielt neben dem gebotenen Preis auch das Nutzungskonzept eine Rolle bei der Auswahl der Bietenden. In der Ausschreibung für den Gröninger Hof hat die Stadt Ideen aufgegriffen, die beispielsweise aus der Initiative „Altstadt für Alle! “ kamen. Diese Initiative setzt sich für mehr Lebendigkeit in der Innenstadt und damit auch für das Wohnen ein. Da ging es bereits um Gemeinnützigkeit und Nachhaltigkeit. Klassische Investoren bringen diese Orientierung bisher meistens nicht mit. Ein Vorteil für Sie? Die neu gegründete Genossenschaft Gröninger Hof konnte von Anfang an diese intensive Einbeziehung der Menschen vor Ort vorweisen, die in der Ausschreibung gefordert war. Wer sich kurzfristig im Stadtviertel vernetzen und nur für die Bewerbung um das Grundstück mit lokalen Initiativen ver- Das Vorhaben ist breit aufgestellt und bezieht Menschen aktiv ein. Foto: Anja Eichinger Reportage | (Urbanes) Leben ins Parkhaus! 32 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0053 binden wollte, kam so gesehen zu spät. Mit vorgeschalteten Workshops und Veranstaltungen hatten wir uns bereits vor der Bewerbung um das Grundstück mit den Akteurinnen und Akteuren vor Ort zusammengetan. Wie kam dies? Wir wollten von vornherein die Nachbarschaft und damit die Expert*innen kennenlernen und einbeziehen, etwa kulturelle Organisationen, Clubbetreiber oder Anwohner*innen und Hamburger Stadtinteressierte. Sie haben dann auch gemeinsam das Programm entwickelt: Was braucht das Quartier? Was fehlt und was wäre sinnvoll an dieser Stelle? Es gab also eine vielstimmige Basis, aus der heraus die Genossenschaft entstand. Später kamen immer mehr Menschen dazu. Wie haben Sie persönlich zu dieser Initiative gefunden? Zufällig war ich war vor einigen Jahren auf einem Workshop einer dieser Initiativen. Ebenso zufällig las ich morgens in der Zeitung, dass das Parkhaus aufgegeben würde. Und zufällig wurde auch mir als Architektin nach der Veranstaltung die Frage gestellt, ob man bei der Vergabe des Parkhauses nicht mal anders vorgehen könnte? Ich habe an neue und innovative Genossenschaften aus der Schweiz gedacht, wie die „Kalkbreite“ oder „Mehr als Wohnen“. Ich habe geantwortet, dass es schon auch andere Wege geben könnte-… …-heute sind Sie Mitglied im Aufsichtsrat der Genossenschaft-… Richtig. Aber wie eben gesagt, dieses Projekt hat viele geistige Mütter und Väter. Sie haben früh Ideen für eine Umnutzung des Parkhauses entwickelt. Wie hat man in Hamburg auf diese Ideen reagiert? Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir unsere Ideen als ein Angebot an die Stadt vorbringen. Dieser kooperative Ansatz hat uns Türen geöffnet und Aufmerksamkeit gebracht, sowohl bei bürgerlichen Institutionen als auch in der Politik. An einigen Stellen hat man uns empfohlen, einen starken Partner für die Realisierung zu suchen. Anderenfalls hätten wir vermutlich nicht ausreichend Gewicht, um das Projekt auch wirklich zu realisieren und das Grundstück zu erhalten. Es wäre denkbar, sich einem bekannten Investor oder Projektentwickler anzuschließen. Wir haben darüber nachgedacht. Es hätte Dinge vereinfacht und natürlich auch Vorteile gehabt. Aber wir hatten Sorge, dass etwas von unserem neugierigen Ansatz „kann man es nicht mal anders machen“ verloren gegangen wäre. Deshalb haben wir den Spieß umgedreht: Statt einen starken Partner zu suchen haben wir beschlossen, die Genossenschaft stark zu machen. Jede Hamburgerin und jeder Hamburger, der in irgendeiner Form an dem Projekt interessiert ist, sollte Mitglied werden können. Statt sich einem starken Partner anzuschließen haben Sie starke Partner aufgenommen? Ja. Wir haben beispielsweise soziale Träger und alteingesessene Institutionen angesprochen, die sehr gewichtig in Hamburg sind. Die Patriotische Gesellschaft von 1765 und der Architekten- und Ingenieurverein, aiv Hamburg stehen hinter uns. Gleiches gilt für die benachbarte Hauptkirche St. Katharinen und die Evangelische Stiftung Alsterdorf, für das Studierendenwerk und die Jugendhilfe e. V. Sie sind teilweise lokal verankert. Sie repräsentieren eine stabile bürgerliche Mitte und sind alle gut vernetzt. Wir wussten: Wenn sich solche Organisationen zu uns stellen, dann kann es was werden mit unseren Ideen. 2020 hat Ihnen die Stadt das Grundstück übergeben. Nach wie vor befindet sich Ihr Bauprojekt im Planungsstadium. Was ist der derzeitige Stand? Seitens der Genossenschaft haben wir mit der Stadt einen Anhandgabe-Vertrag geschlossen, das heißt wir haben einen definierten Zeitraum, um das Projekt entwickeln zu können. Wenn wir es finanziert und genehmigt bekommen, können wir das Grundstück im Erbbaurecht übernehmen. Dafür haben wir uns mit Stadt und Bezirk auf eine bestimmte Anzahl von Wohneinheiten und auf Gewerbeflächen geeinigt. Zudem haben wir bestimmte Kriterien vereinbart, die wir mit dem Projekt erfüllen. Ein großer Schritt auf diesem Weg war der Architektenwettbewerb. Er wurde im Juni 2021 entschieden. In diesem Jahr werden wir den Bauantrag stellen. Mit der Zeit stellen wir auch fest, dass das Konzept nachjustiert werden muss. Ein Beispiel: Mit der Stadt ist ein Anteil von Gewerbeflächen von 35 % vereinbart gewesen, doch mit der Pandemie haben wir in Hamburg viel Leerstand bei Gewerbeflächen. Wir stehen in diesem Punkt in Nachverhandlungen. mit der Stadt, um die Gewerbefläche auf 20 % zu reduzieren und 70 % Wohnflächen zu realisieren. Augenblick! Das macht rechnerisch neunzig Prozent. Was ist mit den restlichen zehn Prozent? Diese werden zu sogenannten Hybridflächen, die die Bewohnerschaft gemeinschaftlich nutzt. Wir wollen ja, dass die Menschen hier gemeinschaftlich zusammenleben und sich im Alltag begegnen. Die innovative Idee ist: Jeder Wohnung entnehmen wir bis zu maximal zehn Prozent ihrer Fläche. Diese schlagen wir den gemeinsam genutzten Hybridflächen zu; dies können die Fahrradwerkstatt oder ein kleines Kino sein, ein Kinderzimmer auf der Dachterrasse, Raum für Yoga oder sogar eine Sauna. Was mit den Hybridflächen genau geschehen wird, das verhandeln wir gerade miteinander. Fest steht heute: Die Räume sollen sehr flexibel mehrfach nutzbar sein. Ein gutes Beispiel ist der Waschsalon. Da könnte ein großer Tisch stehen zum Wäschefalten-- den man aber auch nutzen könnte, um spontan etwas zu feiern. Die Wohnungen sind klein, dafür aber gibt es viel Raum, den sich die Menschen teilen. Ähnlich wie beim Car-Sharing? Mehrere Personen teilen sich ein Auto, weil damit keiner mehr ein eigenes vorhalten muss? Auch, um mit Ressourcen nachhaltiger umzugehen? Ja, darum geht es uns! Da neben Energie und Material auch Raum eine Ressource ist, benötigen wir Räume, die heute das Wohnen als Familie und morgen vielleicht auch das Arbeiten zulassen-- und zwar ohne, dass der Raum dabei beliebig und gesichtslos wird. Reportage | (Urbanes) Leben ins Parkhaus! 33 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0053 Also buchstäblich Raum für das urbanes Leben, das sich spontan und selbst organisiert? Ja, denn bisher sind wir es gewohnt, stark in spezifische Nutzung zu denken. Unser Leben findet vielfach räumlich getrennt statt: Arbeitsplätze im Gewerbegebiet, Schlafen in der Wohnung, Freizeit vielleicht im Fitnesscenter oder im Wochenendhaus. Diese Räume haben alle einen eng gefassten Zweck. Entsprechend sind sie auch gestaltet. Und sie stehen oft leer. Während der Pandemie sind wir mit diesem starren urbanen Denken an die Grenzen gestoßen. In vielen städtischen Wohnungen ist für Homeoffices buchstäblich kaum Raum. Das ist genau der Punkt! Zwei Jahre vor der Pandemie hat die Hamburgische Architektenkammer einem Workshop zur Zukunft der Stadt organisiert. Dafür wurde beispielsweise angenommen, dass sich durch die Digitalisierung Arbeitszeiten beträchtlich reduzieren. Dies würde dazu führen, dass sich mehr Menschen länger in ihren Wohnungen aufhielten-- und in ihrem Stadtviertel. Die Fragen waren damals: Wie müssten dafür die Häuser, Straßen, Plätze aussehen? Was sollten Wohnungen bieten, wenn Menschen einen den größten Teil ihrer Zeit in ihrer Wohnung sind? Niemand hat gedacht, dass diese Thesen durch Corona so schnell Realität werden würden. Die Frage, wie wir die Ressource Raum so gestalten, dass sie für Viele zugänglich wird, ist von enormer Bedeutung! In einigen Städten-- Paris beispielsweise-- gibt es eine Rückbesinnung auf die Nachbarschaft. Die Idee ist, Arbeit und Wohnen, Einkaufen und Freizeit, Kultur und Sport räumlich nicht mehr voneinander zu trennen. Das Konzept der 15-Minuten-Stadt: Alles, was man für den Alltag braucht, findet sich in der direkten Umgebung. Dazu gehören nicht nur Arzt, Schule und Büro, sondern auch Freiraum. Etwa ein Park, der Entlastung aus der Dichte bietet und es Menschen ermöglicht, beispielsweise ihrer kleinen Wohnung zu entkommen. Solche Ideen finden in Paris gute Resonanz. Sie beschäftigen uns auch hier in Hamburg sehr-- übrigens nicht nur in dem erwähnten Workshop! Darüber wird intensiv auch im Zusammenhang mit der Mobilitätswende und der klimagerechten Stadt nachgedacht. Sie sagten vorhin, dass Ihre Planungen jetzt feinkörniger werden. Ihre Vision des urbanen Stadtbausteins nimmt konkrete Züge an. Mehrfach haben Sie betont, dass Ihr Projekt offen ist und viele verschiedene Erwartungen aufnimmt. Sie sagten auch, dass es Leitplanken gibt. Wie darf ich mir dies konkret vorstellen? Ich denke, dass die Rechtsform der Genossenschaft ein gutes Instrument ist, diese Vielfalt aufzunehmen und abzubilden. Auf der einen Seite werden Menschen mit Ihren Interessen und Erwartungen einbezogen. Auf der anderen Seite gibt es in der Genossenschaft die Satzung mit einem klar definierten Ziel, welches die Leitplanken bildet. Die Ziele der Genossenschaft stehen über allem. Die Genossenschaft steht über allem-- wie darf ich dies verstehen? Das kann man sich bildlich vorstellen: Oben steht das Modell, die gemeinnützige Idee, die wir verwirklichen möchten und die in der Satzung als Präambel festgehalten wurde. Dies ist die erklärte Aufgabe der Genossenschaft. Unter dem Dach dieser Genossenschaft entsteht jetzt ein Haus, mit dem die Wünsche und Erwartungen der Bewohnerschaft und Nutzer*innen erfüllt werden. Laufen diese Wünsche und Erwartungen dem Ziel der Genossenschaft zuwider- - können sie nicht verwirklicht werden. Fürs Parken wird das in den 1960er Jahren errichtete Parkhaus schon seit einiger Zeit nicht mehr genutzt. Hier soll bald neues Leben einziehen. Ohne Autos. Foto: Jochen Blauel Reportage | (Urbanes) Leben ins Parkhaus! 34 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0053 Mit anderen Worten-- Sie balancieren laufend Partikularinteressen mit Interessen des Gemeinwohls aus? Richtig. Und um das besser gewährleisten zu können, werden diejenigen, die momentan rechtlich gesehen die Genossenschaft vertreten, nicht in diesem Haus wohnen. Mitglieder aus dem Vorstand und Aufsichtsrat haben dies von Anfang an so bekräftigt, sie werden im Gröninger Hof nicht selbst einziehen. Natürlich ist das manchmal eine bedauerliche Aussicht, doch ich halte dies für die Entwicklung des Projektes besonders wichtig. Weshalb? Wir sind verpflichtet, das Gemeinwohl über Einzelinteressen zu stellen-- auch über unsere eigenen. Dadurch, dass wir weder Geld verdienen noch Wohnungen erhalten werden, sondern uns für rein idealistische Ziele engagieren, haben wir einen anderen Leumund. Wir können manche Ideen, die dem Satzungsvorhaben zuwiderlaufen könnten, klarer erkennen. Manchmal sind Interessen beispielsweise für das Bauobjekt selbst zwar verträglich, aber nicht unbedingt mit der Genossenschaftsidee zu vereinbaren. Hat es solche Konflikte tatsächlich gegeben? Natürlich! Manche Gruppen erwarten Privilegien, weil sie lange dabei sind und an dem Vorhaben mitwirken. Es gibt jedoch einen Gleichbehandlungsgrundsatz in Genossenschaften. Manchmal erzielt man Kompromisse, aber einige sehr engagierte Menschen sind auch abgesprungen, da sie ihre Vorstellungen nicht so umsetzen konnten. Die Dinge entwickeln sich stetig. Die Genossenschaft muss also widerstandkräftig sein-- sowohl nach innen als auch nach außen. Wie ist sie organisatorisch aufgebaut? Ich vergleiche den Aufbau mal mit einem Baumstamm: Vorstand und Aufsichtsrat bilden eine Art Kern in diesem Stamm und sind von konzentrischen Ringen umgeben. Wer ist konkret in diesem Kern? Das sind momentan sechs Personen: Zwei Vorstände, drei Aufsichtsräte, ein Sprecher. Sie arbeiten alle ehrenamtlich seit Jahren mit einem enorm hohen Aufwand, um dieses Projekt zu realisieren. Sie sitzen wöchentlich in der Koordinierungsrunde zusammen, an der auch weitere Personen teilnehmen. Da ist beispielsweise die Referentin des Vorstandes, eine junge Frau, die sehr viel Know-how zum Genossenschaftswesen und zur Förderung im Wohnungsbau mitbringt. Sie hat sich bei uns vor einiger Zeit mit dem Wunsch, sich ehrenamtlich zu engagieren gemeldet. Sie wollte kein offizielles Amt. Wir haben gemeinsam ihre Rolle und den passenden Titel gefunden. Eine Rolle und einen Titel-- weshalb? Wir versuchen denen, die an diesem Projekt mitwirken, möglichst eine Rolle zu geben und so auch bestimmte Aufgaben und Kompetenzen zu definieren. Das halten wir schriftlich fest-- im Sinne einer Rollenbeschreibung. Diese Maß an Professionalität ist essenziell. Sie sprachen von konzentrischen Ringen um den Kern der Genossenschaft. Wer oder was bildet den ersten Ring? Die erste Schicht um diesen Kern- - der erste Ring- - besteht aus Einzelpersonen wie der Vorstandsreferentin, aber auch der Geschäftsstelle und der Projektsteuerung, für die wir Menschen angestellt haben. Dazu gehört auch die Schnittstelle in die zukünftige Bewohnerschaft. Hier ist gute Kommunikation besonders wichtig, beispielsweise wegen der eben angesprochenen, möglichen Zielkonflikte. In dem nächsten Ring gruppieren sich die Arbeitskreise mit ihren bestimmten Aufgaben, die wiederum alle im Ehrenamt besetzt sind. Sie bereiten Entscheidungen vor, die dann der Vorstand in der Steuerungsrunde trifft. In diesen Arbeitskreisen engagieren sich Personen mit professionellem Hintergrund. Damit wird Fachwissen sichergestellt. Fachwissen ist wichtig, um professionell agieren zu können- - beispielsweise hinsichtlich der Finanzen, aber auch beim Planen und Bauen. Was, wenn sich jemand ohne fachlichen Hintergrund engagieren will? Er kann sich an offenen Arbeitsgruppen beteiligen. Also weitere Arbeitskreise? Nicht ganz, bitte auf die Begriffe achtgeben: Arbeitskreise sind geschlossene Kreise von Profis, die pro bono für dieses Projekt gemeinsam mit den beauftragten Fachleuten arbeiten. Dagegen sind Arbeitsgruppen offen für alle. Diese Arbeitsgruppen bilden einen weiteren konzentrischen Ring. Wer in Arbeitsgruppen mitwirkt, bringt Interesse mit, aber nicht unbedingt eine Qualifizierung. Es gibt beispielsweise eine Arbeitsgruppe zur Öffentlichkeitsarbeit. Wer gerne Newsletter schreibt, kann in dieser Gruppe aktiv werden. Er muss aber nicht zwingend ein Medienprofi sein. Ein wichtiger Punkt für alle diese Gruppierungen ist: Wie bei Einzelpersonen und den oben beschriebenen Rollen, sollte es auch bei den Arbeitskreisen oder Arbeitsgruppen möglichst klar sein, was dort gemacht wird. Für was ist der Kreis oder die Gruppe zuständig? Wer hat den Hut auf? Wer gehört dazu? Dafür gibt es Steckbriefe, die dies festhalten und natürlich auch oft angepasst werden müssen. Es sind dynamische Gruppierungen. Allen ist es immer möglich Vorschläge und Entscheidungsgrundlagen zu formulieren. Jedoch fassen sie keine für die Genossenschaft geltenden Beschlüsse. Dies geschieht immer in der Steuerungsrunde; die Geschäftsführung liegt klar beim Vorstand. Im Kern der Vorstand, im ersten Ring die Steuerung und Geschäftsstelle, dann geschlossen Arbeitskreise mit professionellem Ehrenamt, und offene Arbeitsgruppen für die, die mitmachen wollen. Wie finden Menschen Zugang zu Ihrer Organisation? Jede*r, ist erst einmal willkommen. Für Menschen, die reinschnuppern wollen, haben wir ein Aktivenplenum, eine regelmäßige Veranstaltung. Sie ist häufig die erste Anlaufstelle. Hier stellen sich die Gruppen vor, in denen Mitwirkung möglich ist. Themen werden gemeinsam diskutiert. Entscheidungen, die aus diesen Diskussionen heraus getroffen werden müssen, trifft dann allerdings wieder-- nach Abstimmung mit den Beteiligten-- der Vorstand. Reportage | (Urbanes) Leben ins Parkhaus! 35 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0053 Ideen, Vorschläge, Wünsche, Kritik-- all dies wandert durch die Ringe von außen nach innen. Im Inneren werden sie geprüft und hinsichtlich ihrer Machbarkeit abgeglichen. Im Kern wachen Vorstand und Aufsichtsrat also darüber, dass die Entscheidungen mit dem in der Satzung formulierten Ziel der Genossenschaft übereinstimmen. Richtig. Das System ist durchlässig und immer in Bewegung, doch dieser innerste Kreis birgt die Stabilität in diesem dynamischen Projekt. Deshalb muss er selbst möglichst stabil bleiben. Im Vorstand und Aufsichtsrat müssen wir einander blind vertrauen können, keine*r von uns kann alles überblicken und alles verstehen. Dafür ist das Projekt viel zu komplex. Wir brauchen unbedingte Verlässlichkeit, eine Mischung aus Transparenz, Offenheit und Wohlwollen. Veränderungen in dem inneren Kreis könnten das ganze System in Unruhe bringen. Genau da liegt natürlich auch ein Risiko: In dem Kreis könnte Streit entstehen, der in einem Zerwürfnis endet. Hat es solche kritischen Situationen bereits gegeben? Es gab sicher für jede*n Einzelne*n von uns Situationen, in denen er oder sie sich nicht mehr imstande fühlten weiterzumachen. Zu unserem Glück spürten wohl nie alle gleichzeitig diese Unsicherheit. Wir konnten einander auffangen. Doch während der Corona-Pandemie kam es zu unübersichtlichen Momenten, nachdem wir uns über Monate nur noch online getroffen hatten und durchaus auch Konflikte auszutragen waren. Es wurde sehr deutlich: Wir brauchen einander leibhaftig, also die persönliche Begegnung. Was haben Sie unternommen? Unter strengen Vorkehrungen haben wir uns in der ehemaligen Werkstatt des Parkhauses getroffen. Zu fünft, weit voneinander entfernt. Wir haben uns drei Stunden lang alles von der Seele gesprochen, manchmal auch laut, nicht immer freundlich. Aber wir hatten wieder das Gefühl, dass es echte Nähe gab, die sich digital eben nicht herstellen lässt. Und wir wussten wieder, dass wir dasselbe wollen- - manchmal aber aus verschiedenen Perspektiven darauf schauen. Diese Treffen sind für uns nun unerlässlich geworden. Neben den zahlreichen notwendigen Terminen jede Woche gibt es nun regelmäßig diese „Synchronisationstreffen“. Wir bleiben dafür unter uns, diskutieren auch unsere Rollen, reden über Konflikte, über unsere Ängste. Ängste? Wir unterschreiben manchmal Verträge über enorme Geldsummen, bauen ein mittelständiges Unternehmen im Ehrenamt auf. Da konnten einige nicht mehr schlafen. Ich glaube, wir sind alle mutig, aber nicht leichtsinnig und manchmal möchte man das neu ausloten, das Vertrauen untereinander wieder aufbauen und aus den Begegnungen auch Zuversicht schöpfen. Mich interessiert ein weiterer Punkt. Auch in anderen Städten sind in der Vergangenheit Initiativen gestartet, um urbanes Zusammenleben neu und gemeinwohlorientiert zu denken. Doch vielen Projekte und Gruppen geht unterwegs die Gemeinwohlorientierung verloren. Was läuft da schief? Mit solchen Projekten habe ich zu Beginn unseres Vorhabens gesprochen. Ich habe gefragt, was sie heute anders machen würden. Die Antwort war häufig: Es ist nicht gelungen, das Gemeinwohl über die Partikularinteressen zu stellen. Wenn man Offenheit und Partizipation möchte, muss man die „Fenster weit aufmachen“. Um die Projekte aber auch zu realisieren und wirtschaftlich stabil zu bleiben, muss man diese „Fenster der Beteiligung“ auch wieder schließen, und dann fachliche Meinungen erzeugen. Fenster nach außen öffnen und wieder schließen-- was darf ich darunter verstehen? Das hat wieder mit Ausbalancieren zu tun. Wie vorhin gesagt, wir sind zwar ein breit getragenes Kollektiv- - doch wir handeln so professionell wie man dies vielleicht von Investoren Eine „Projekt-Werkstatt“ in der ehemaligen Werkstatt des Parkhauses: Pläne für das Modellprojekt werden an Ort und Stelle vorgestellt. Foto: Groeninger Hof Reportage | (Urbanes) Leben ins Parkhaus! 36 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0053 erwarten würde. Bei uns engagieren sich beispielsweise Profis für Bau oder Finanzen. Das Fenster für Alle öffnen heißt: Die Profis lernen das Meinungsbild der Laien zu einem spezifischen Thema kennen, sie machen sich mit den Vorstellungen von Nutzer*innen und Bewohner*innen vertraut und nehmen diese ernst. Dann schließt sich das Fenster der Beteiligung; die Profis beziehen das Meinungsbild in ihren Entscheidungen ein. Spricht ein fachlicher Grund gegen die Umsetzung von Wünschen, wird dem nicht nachgegeben. In einigen Projekten, mit deren Initiatoren ich gesprochen habe, hat man mir gesagt: Wir haben zu oft nachgegeben. Wir haben gelernt, dass neben der guten Vorbereitung für jeden dieser Schritte vor allem eine klare Kommunikation wichtig ist. Letztlich geht es dabei auch um etwas wie Erwartungsmanagement? Ja. Im Augenblick zahlen die Mitglieder unserer Genossenschaft, die Bewohner*innen des Gröninger Hofes werden, ihr Eigenkapital für die Wohnung ein. Manche nehmen dafür Kredite auf. Andere, die einziehen werden, müssen ja irgendwann ihre Wohnungen kündigen. Jetzt wird es also für die zukünftigen Bewohner*innen sehr verbindlich. Daraus entstehen selbstverständlich Erwartungen an die Genossenschaft. Diese gilt es auch kennenzulernen und abzuwägen. Auch dafür haben wir Formate entwickelt, etwa unsere Echoräume. Echoräume-- was darf ich darunter verstehen? In Echoräumen können Mitglieder der Genossenschaft, die künftige Bewohnerschaft oder andere Interessierte Stellung zu den aktuellen Plänen beziehen. Beispielsweise haben wir einen Echoraum zum Thema Wohnungen veranstaltet oder zu den gemeinschaftlich genutzten Hybridflächen- - immer mit dem Ziel, wertvolles Feedback von den Beteiligten zu bekommen. Beispielsweise wurden Wohnungen für Alleinerziehende vermisst. Andere forderten, die Wohnungen mehr zu durchmischen. Im Echoraum stellen die Architekt*innen den Stand der Planungen vor. So bekommen alle, die mitwirken wollen, auch die Gelegenheit sich gut zu informieren. Wie gehen Sie genau auf diesen Veranstaltungen vor? Nach der Präsentation der Pläne und des Themas bilden wir Arbeitsgruppen aus den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, meistens vier oder fünf Personen, in denen mindestens eine Person aus dem Arbeitskreis Planen und Bauen sowie eine Person aus dem Architekturbüro dabei sind. Diese Gruppe beugt sich dann über die Pläne mit dem Fokus auf ein Thema, wie dem Wohnen, dem Gewerbe oder den Gemeinschaftsflächen. Sie diskutiert, was auffällt, was missfällt und was sich wer noch vorstellen kann. Im Anschluss präsentiert jede Gruppe ihre Kernaussagen im Plenum. Welchen Vorteil hat es, kleine Arbeitsgruppen zu bilden? Es hilft, bei den Rückmeldungen heraushören, ob es sich um Einzelinteressen oder breit getragenen Vorschläge handelt. Trägt jede Gruppe andere Wünsche oder Kritik vor, dürfte es sich eher um Partikularinteressen handeln. Benennen mehrere Gruppen- - oder sogar vielleicht die meisten- - gleiche Punkte: dann liegt offenbar ein echtes Bedürfnis des Kollektivs vor. In den Protokollen formulieren wir dann den Auftrag an die Planer*innen, die Anregungen aufzunehmen und die Konsequenzen einer eventuellen Umplanung zu überprüfen. Dieses Format hilft bei der Willensbildung im Kollektiv? Wir können auf diese Weise Mehrheiten feststellen, gut kommunizieren und auch bestimmte Fragestellungen aushandeln. Ein Beispiel: Eine Gruppe zukünftiger Bewohner*innen wünscht sich eine Sauna. Ein Teil der Genossinnen und Genossen empfindet die Einrichtung einer Sauna ökologische problematisch und unnötig luxuriös. In der Diskussion wird entgegnet, dass die künftigen Bewohner*innen in den sehr kleinen Wohnungen, die in das alte Parkhaus mit den niedrigen Decken eingebaut werden, auf einiges verzichten. Eine eigene Sauna könnte als ein kleiner Ausgleich dafür verstanden werden. Diese Frage wird im Augenblick weiter ausgehandelt. Ideen entwickeln und Lösungen aushandeln, die breit getragen werden: Dies gehört zur täglichen Arbeit in diesem Projekt. Foto: Anja Eichinger Reportage | (Urbanes) Leben ins Parkhaus! 37 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0053 Werteähnlichkeit-- inwiefern? Ein Kollektiv ist idealerweise vielfältig und divers. Nicht alle sind mit den gleichen Zielen und Erwartungen unterwegs. Bei uns wird beispielsweise kritisch gesehen, dass einige das Satzungsziel über das Bauprojekt stellen. Dies teilen diejenigen, die dort einziehen wollen, verständlicherweise nicht immer. Sie haben eine andere Perspektive auf das Gesamtprojekt Gröninger Hof. Wie kann eine Gruppe solch eine Diversität aushalten? Durch gemeinsame-- oder zumindest ähnliche Werte. Sie bilden meiner Meinung nach das Fundament. Streiten wir uns, so stellen wir oft fest, dass wir eigentlich das Gleiche wollen. Nur auf verschiedenen Wegen. Dies zu respektieren ist viel einfacher, wenn man sich der ähnlichen Werte auch bei unterschiedlichen Ansichten bewusst ist. Ist dies nicht in vielen gemeinnützigen Projekten so? Ich beobachte, dass in manchen gemeinnützigen Projekten Allianzen gebildet werden. Zweckbündnisse. Ich denke, in unserem Fall hätte dies nicht funktioniert, langfristig braucht es einfach mehr, um belastbar zu bleiben. Uns einen diese gemeinsamen Werte. Sie erlauben uns, zu träumen, aber auch konstruktiv zu streiten. Durch gemeinsame Werte entsteht Wohlwollen. Und auf der Basis von Wohlwollen kann man Offenheit leben, Diversität und die dafür notwendige Kultur geduldigen Aushandelns entwickeln. Eingangsabbildung: © Thomas Hampel Zeichnet sich ein Meinungsbild ab? Ich beobachte, dass immer mehr der ursprünglichen Gegner die Einrichtung einer Sauna inzwischen mittragen-- auch wenn sie diese nicht nutzen möchten. Vielleicht hat es mit dem Selbstbewusstsein der Bewohnerschaft zu tun: Es wird auf einiges verzichtet, dafür anderes ermöglicht und nicht immer trifft es den ganz persönlichen eigenen Bedarf. Vermutlich wird diese Sauna unter der Bedingung eingeplant, dass der Raum auch anders genutzt werden kann, falls die Sauna zu wenig Zuspruch findet. Dieser Aushandlungs-Prozess ist anstrengend und aufwendig, doch auf diese Weise kann urbane Lebensqualität entstehen. Die Verhandlung der Räume in der Stadt ist wichtig. Offenheit wird hergestellt. Möglichkeiten werden so erst geschaffen. Echoräume bringen sehr viel konstruktive Kommunikation und tolle Ideen in das Projekt. Sie sind „offene Fenster der Beteiligung“. Sie sagten Eingangs, dass Sie das Projekt Gröninger Hof als ein Modell verstehen, das man an anderen Standorten reproduzieren kann. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten drei Empfehlungen, die Sie Menschen geben, die ein ähnliches Vorhaben starten wollen? Es ist unwesentlich, ob Sie ein solches gemeinwohlorientiertes Bauobjekt in Angriff nehmen oder ein Straßenfest machen möchten-- die Empfehlungen gelten aus meiner Sicht auf jeder Ebene. Meine erste wäre: Sie benötigen freudiges Interesse an dem Vorhaben und den Willen zu lernen. Sie brauchen vermutlich etwas Abenteuerlust, einen gewissen Wagemut. Einen gewissen Wagemut? Ja, den braucht man. Dies heißt aber auch: Man sollte selbst in der Situation sein, sich diese Abenteuerlust leisten zu können. Meine zweite Empfehlung betrifft die Professionalität: Gehen Sie auch im Ehrenamt möglichst ernsthaft und professionell miteinander um und in der Sache vor. Mangelnde Professionalität kostet schnell Zeit und Geld und am Schluss die Nerven. Falls Fachgebiete nicht abgedeckt werden können, holen Sie Fachexpertise ins Team. Wir haben beispielsweise Juristen oder Coaches hinzugeholt, wenn wir selbst nicht weiterkamen. Die dritte Empfehlung betrifft die notwendige Werteähnlichkeit. Grafik: Nele Palmtag Tina Unruh Tina Unruh (50) ist Architektin und studierte in Hamburg, Potsdam und Zürich. Nach beruflichen Erfahrungen in Architekturbüros in New York und Hamburg wechselte sie in die Selbstständigkeit und parallel in die Forschung und Lehre in der Schweiz. Nach der Rückkehr an die Elbe, ist sie seit 2017 in der Hamburgischen Architektenkammer tätig, inzwischen als eine der beiden stellvertretenden Geschäftsführerinnen. Sie ist zudem designierte Geschäftsführerin der in Gründung befindlichen Hamburger Stiftung Baukultur. Gemeinsam mit Gleichgesinnten initiierte Tina Unruh 2018 das Projekt Gröninger Hof sowie die gleichnamige Genossenschaft, in der sie Mitglied im Aufsichtsrat ist. Foto: privat 38 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0054 Projekte als Wegbereiter für die digitale Transformation Smart Cities-- schöne, neue, intelligente Zukunftswelt! Melanie Mergler Für eilige Leser | Städte werden zunehmend smart und stehen vor der Herausforderung, Daten intelligent zu verbinden, um zukunftsfähige Entscheidungen in kommunalen Bereichen treffen zu können. Der Weg zur Smart City bedeutet: Digitalisierung, Transparenz und Kommunikation. Weltweit gibt es gegenwärtig über 30 Megacities mit mehr als 10 Millionen Einwohner*innen, 2050 werden fast zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Dies stellt eine Herausforderung für Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Umwelt dar, zu deren Bewältigung Smart-City-Konzepte von grundlegender Bedeutung sein werden. Das Ziel: Das Leben in den Städten effizienter, grüner, nachhaltiger und lebenswerter gestalten-- digitalisiert, fortschrittlich, vernetzt. Der Artikel zeigt zentrale Leitlinien und Attribute ebenso wie strategische Handlungsfelder für Kommunen im Smart- City-Kontext auf, geht auf Smart Mobility als Schlüsselelement von Smart Cities ein und zeigt die Digitalisierung des Verkehrs am Beispiel der Stadt Hamburg auf. Exemplarisch wird auf das ITS-Ankerprojekt #transmove eingegangen, das sich aktuell mit einem hybriden Projektmanagement-Framework in der Umsetzung befindet. Schlagwörter | Smart City, Smart Mobility, Urban Future, Stadt der Zukunft, Digitale Transformation, Mobilität, Hybrides Projektmanagement, Mobilitätswende Endlos in den schwarzen Nachthimmel ragende hell erleuchtete Wolkenkratzer inmitten menschenleerer, von mobilen Lichtströmen durchfluteter, Straßen sind verbunden durch ein neon-leuchtendes digitales Datennetz mit Datenpunkten. Die visuelle Darstellung von Smart Cities gleicht einer weit entfernten Science-Fiction-Illusion, die mit der Realität wenig zu tun zu haben scheint. Morgens das Haus verlassen, wissend, dass das Licht von selbst ausgeht, die Heizung automatisch herunterfährt, das Auto in der Garage fertig geladen ist. Entspannt zur Arbeit fahren- - in der Gewissheit, dass es keinen Stress bei der Parkplatzsuche gibt, weil die App oder das Auto entweder weiß, wo ein Parkplatz frei ist oder das E-Auto, der E-Scooter oder das E-Bike direkt neben dem Büro abgestellt werden können bzw. autonom zum nächsten Parkplatz fahren. Staus? Fehlanzeige! Die Mobility-App zeigt genau an, wo die Straßen frei sind und wo ggf. eine Baustelle den Weg blockiert. In der Mittagspause bequem online den Status des beantragten Personalausweises checken, per App die Zutaten für das Abendessen im Supermarkt bestellen und abends im Licht der smarten Laternen eine Runde joggen. Wenn das Licht im Wohnzimmer dann automatisch angeht und sich die Heizung erwärmt, sobald man sich der Wohnungstür nähert, man die mittags bestellte und vor die Haustür gelieferte Dinner-Box auspacken und schließlich bei einem Espresso-- diesen dann aber ausnahmsweise manuell per Knopfdruck angestoßen-- genießen kann, weiß man: Das Leben ist smart. Und: Dieses Leben ist heute. Nicht in einer fernen Zukunft, nicht abseits der Realität, sondern heute in vielen Städten-- weltweit, in Europa, in Deutschland. 33 Megacities mit mehr als 10 Millionen Einwohner*innen gibt es weltweit [1]. 2030 sollen es über 40 Megacities sein. 2050 werden fast zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Eine Herausforderung- - für Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Umwelt. Eine Antwort ist das Konzept der Smart Cities, um das Leben in den Großstädten effizienter, grüner, nachhaltiger und lebenswerter zu gestalten- - digitalisiert, technologisch, fortschrittlich, vernetzt. Als internationale Megacities führen Städte wie Tokio (Japan), Neu-Delhi (Indien) Reportage | Smart Cities-- schöne, neue, intelligente Zukunftswelt! 39 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0054 und Shanghai (China) das Ranking der größten Städte weltweit an [2]. In Deutschland liegen Hamburg, Köln und Karlsruhe auf den ersten Plätzen; der vom Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) veröffentlichte Smart City Index bewertete 2021 zuletzt 81 deutsche Städte über 100.000 Einwohner in den Kategorien Verwaltung, Informations- und Kommunikationstechnik, Energie und Umwelt, Mobilität und Gesellschaft [3]. Die Bundesregierung fördert aktuell mehr als 70 Modellprojekte Smart Cities (MPSC) mit insgesamt 820 Mio. Euro, die seit 2019 ausgewählt wurden [4]. 1. Städte auf Basis intelligent verknüpfter Daten Bereits in den 1970er Jahren wurde die Idee der digitalen Stadt diskutiert, der Begriff der Smart City entstand Ende des letzten Jahrtausends und kann als Reaktion auf die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Herausforderungen verstanden werden, mit denen die postindustriellen Gesellschaften seit Beginn des 21. Jahrhunderts konfrontiert sind: demographischer Wandel, Bevölkerungswachstum, Finanzkrise, Ressourcenknappheit, Klimawandel, Umweltverschmutzung- - und seit kurzem auch globale Pandemien. Der Begriff wird seit den 2000er Jahren von Akteuren in Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Stadtplanung uneinheitlich im Kontext von Nachhaltigkeit, Stadtplanung und Digitalisierung verwendet. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich die „intelligente Stadt“ als gängige Übersetzung etabliert. Somit kann festgehalten werden: Eine Smart City ist eine vernetzte und intelligente Stadt. Eine Stadt, welche auf die neuen Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie setzt und auf Basis von integrierten Entwicklungskonzepten kommunale Infrastrukturen, wie z. B. Energie, Gebäude, Verkehr, Wasser und Abwasser miteinander verknüpft. Smart City-Konzepte verfolgen das Ziel, technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Innovationen zu fördern und urbane Strukturen in Hinblick auf Mobilität, Ökologie, soziales Zusammenleben und politische Partizipation zu modernisieren und lebenswerter zu gestalten. Voraussetzung dafür ist die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen und eine intelligente Verknüpfung unterschiedlichster Daten und Systeme [5] [6]. Big Data, Open Data und Cloud Computing bilden die Grundlage dafür und werden Wirtschaft und Gesellschaft im Rahmen der digitalen Transformation in den nächsten Jahrzehnten weiter entscheidend verändern und einen maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung moderner Stadtstrukturen haben. Mit der Verfügbarkeit von Technologien aus dem Internet der Dinge (IoT) ist es nun möglich, wesentliche Funktionen und Prozesse des analogen städtischen Lebens in den Bereichen Mobilität, Transport, Energie, Logistik, Gesundheit, Umwelt oder Verkehr zu digitalisieren und miteinander zu vernetzen. Der Einsatz von Sensoren und Kommunikationsmodulen in der städtischen Infrastruktur sowie ihre Integration in Cloud-Anwendungen sind hierbei die Voraussetzung für neue Anwendungen und Geschäftsmodelle [7] [8]. 1.1 Zentrale Leitlinien für Smart Cities Die Umsetzung und Gestaltung von nachhaltigen Smart-City-Konzepten erfordert verantwortliches Handeln im Rahmen der digitalen Transformation, also dem Wandel von Städten hin zu Smart Cities. Der Bund hat dazu vier zentrale Leitlinien aufgestellt [6]: Smart City-Attribut Beschreibung lebenswert und liebenswert Stellt die Bedarfe der Menschen in den Mittelpunkt des Handelns und unterstützt im Sinne des Allgemeinwohls lokale Initiativen, Eigenart, Kreativität und Selbstorganisation. vielfältig und offen Nutzt Digitalisierung, um Integrationskräfte zu stärken und demographische Herausforderungen sowie soziale und ökonomische Ungleichgewichte und Ausgrenzung auszugleichen und demokratische Strukturen und Prozesse zu sichern. Partizipativ und inklusiv Verwirklicht integrative Konzepte zur umfassenden und selbstbestimmten Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben und macht ihnen barrierefreie digitale und analoge Angebote. klimaneutral und ressourcen-effizient Fördert umweltfreundliche Mobilitäts-, Energie-, Wärme-, Wasser-, Abwasser- und Abfallkonzepte und trägt zu einer CO 2 -neutralen, grünen und gesunden Kommune bei. wettbewerbsfähig und florierend Setzt Digitalisierung gezielt ein, um die lokale Wirtschaft und neue Wertschöpfungsprozesse zu stärken und stellt passende Infrastrukturangebote zur Verfügung. aufgeschlossen und innovativ Entwickelt Lösungen zur Sicherung kommunaler Aufgaben, reagiert schnell auf Veränderungsprozesse und erarbeitet in Co-Produktion innovative, maßgeschneiderte Lösungen vor Ort. responsiv und sensitiv Nutzt Sensorik, Datengewinnung und -verarbeitung, neue Formen der Interaktion und des Lernens zur stetigen Verbesserung kommunaler Prozesse und Dienstleistungen. sicher und raumgebend Gibt ihren Bewohner*innen sichere private, öffentliche und digitale Räume, in denen sie sich bewegen und verwirklichen können, ohne Freiheitsrechte durch Überwachung zu verletzen. Tabelle 1: Smart City-Attribute [7] Reportage | Smart Cities-- schöne, neue, intelligente Zukunftswelt! 40 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0054 1. Digitale Transformation braucht Ziele, Strategien und Strukturen. 2. Digitale Transformation braucht Transparenz, Teilhabe und Mitgestaltung. 3. Digitale Transformation braucht Infrastrukturen, Daten und Dienstleistungen. 4. Digitale Transformation braucht Ressourcen, Kompetenzen und Kooperationen. Darüber hinaus wurde auf Initiative des Bundes im Rahmen der „Dialogplattform Smart Cities“, bestehend aus Vertreter*innen des Bundes, der Länder, der Kommunen, der kommunalen Spitzenverbände, verschiedener Wissenschaftsorganisationen, Wirtschafts-, Sozial- und Fachverbände, 2016 / 2017 die „Smart City Charta“ erarbeitet, die Ende 2019 in die 2. Phase gestartet ist. Die Orientierung an der Charta, die Leitlinien und Handlungsempfehlungen sowie ein Werte- und Zieleverständnis enthält, soll es den Kommunen ermöglichen, die Digitalisierung aktiv und zielgerichtet auf ihrem Weg zu einer Smart City zu gestalten sowie auf disruptive Ereignisse besser reagieren zu können [6] [9]. Die Teilnehmenden der Dialogplattform legen der Smart City Charta das normative Bild einer intelligenten, zukunftsorientierten Kommune zugrunde, deren Attribute in Tabelle 1 dargestellt sind. 2. Vernetztes Handeln durch kooperative Beziehungen Unter Verwendung intelligenter Informations- und Kommunikationstechnologien soll die Wettbewerbsfähigkeit der Stadt und der ansässigen Wirtschaft gesteigert, die individuelle Lebensqualität der Bürger*innen verbessert sowie eine ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltige Kommune oder Region geschaffen werden [7] [8]. Die Herausforderungen bestehen dabei im Zusammenwirken verschiedener Stakeholder und Akteure einer Stadt, da sich die Potenziale einer Smart City erst im Rahmen eines „kooperativen Beziehungsgeflechts zwischen Bürger, Stadtverwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik“ [10] entfalten. Für Kommunen ist es daher essenziell, frühzeitig strategische Handlungsfelder der Smart City- - wie in Abb. 1 dargestellt- - in den kommunalen Bereichen wie der klassischen Verwaltungsdienste, Infrastrukturen zur Daseinsfürsorge (Verkehrswegenetz und verbundene Beförderungsmöglichkeiten), Wasser- und Energieversorgung, Müll- und Abwasserbeseitigung für sich zu identifizieren und zu definieren. Schwerpunkte dabei könnten sein: eine höhere Effizienz der Verwaltung, mehr Transparenz und Partizipation, das Erreichen konkreter Klimaziele, optimierte Mobilität und Verkehrsabläufe oder die regionale Innovations- und Wirtschaftsförderung. Bei der Strategieentwicklung ist es essenziell, mögliche räumliche Wirkungen der Digitalisierung wie veränderter Verkehrsaufwand, andere Flächenbedarfe oder neue Stadtumbaupotenziale zu berücksichtigen [7] [8]. Das Konzept der Smart City sieht neben der Digitalisierung einzelner Sektoren auch deren intermodale Vernetzung vor, um Synergien zu nutzen. Im Bereich der Mobilität kann der Fokus auf einer nachhaltigeren, effizienteren, emissionsärmeren, sichereren und kostengünstigeren Nutzung von Ressourcen liegen. Smart Mobility als Teilkomponente einer Smart City beinhaltet somit die zeit-, ressourcen- und ener- Abbildung 1: Mögliche Anwendungsbereiche für Smart Cities [9] Reportage | Smart Cities-- schöne, neue, intelligente Zukunftswelt! 41 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0054 gieeffiziente Vernetzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrzeugen, Parkplätzen, Straßen, Ampeln, Verkehrsschildern und Apps. Ansätze in diesem Bereich einer „smarten Mobilität“ zielen auf eine Verkürzung der individuellen Reisezeit, eine intelligente und effiziente Abstimmung zwischen Verkehrsmitteln und die Reduzierung von Emissionen ab, indem Verkehrsflüsse durch intelligente Systeme aufeinander abgestimmt werden. Digitale Dienstleistungen lassen darüber hinaus die Reservierung eines freien Parkplatzes zu, der gleichzeitig die Infrastruktur zum Laden des Elektrofahrzeugs bereitstellt. Car- und Bike-Sharing-Dienste sowie E-Scooter- Verleihsysteme setzen auf eine gemeinschaftliche Nutzung von Fahrzeugen [5] [8]. 3. Mobilität als Schlüsselelement von Smart Cities Lange Staus und überlastete Straßen prägen das Straßenbild deutscher Innenstädte auch in der ersten Hälfte des dritten Corona-Jahres. So nimmt der Verkehr in Deutschland aktuell wesentlich schneller wieder zu als z. B. in den USA oder Großbritannien. Ging der Verkehr 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie, um 40 Prozent zurück, zeigt sich, dass die Fahrten in den Innenstädten ein Jahr später wieder deutlich angestiegen sind und teilweise sogar deutlich über dem Vorkrisenniveau lagen. Pendler*innen in Deutschland verbrachten im Durchschnitt 40 Stunden im Stau- - eine komplette Arbeitswoche. In München verloren Autofahrer*innen mit 79 Stunden jährlich am meisten Zeit, gefolgt von Berlin (65 Stunden) und Hamburg (47 Stunden) [11]. Vor diesem Hintergrund ist der Bereich Mobilität ein effektiver Hebel für den Einsatz smarter Strategien, da sich auf dem Feld der Verkehrssteuerung schnell positive Effekte mit digitalen Lösungen erzielen lassen. Bildlich gesprochen etablieren sich an der digitalen Kreuzung von Big Data und miteinander verbundenen Verkehrsmitteln zahlreiche technische Lösungen mit der Vision einer urbanen Mobilität, in der die auto- und emissionsfreie Stadt neu gedacht wird. Bei der Umsetzung einer „smarten Mobilität“ geht es um die Steigerung der Aufenthaltsqualität in den Städten durch eine hohe Vernetzung angebotener Mobilitätsdienstleistungen, die digitale Transparenz von Mobilitätsflüssen sowie eine reduzierte Schadstoffbelastung. 3.1 Städtische Infrastrukturen prägen das Mobilitätsverhalten Die aktuelle Herausforderung: Städte sind-- aufgrund industrieller Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert-- stark durch räumliche Distanz geprägt: „Während die meisten Städte in vorindustriellen Zeiten auf Kompaktheit ausgerichtet und damit fußläufig erschlossen waren, wurde ab dem 19. Jahrhundert die Begrenzung durch Stadtmauern gelöst. Über die Trassen der Eisenbahn wurde eine Ausdehnung des individuellen Aktionsradius möglich. In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts erleichterte die Verbreitung des Automobils als Massenfortbewegungsmittel die Überwindung natürlicher Raumwiderstände, gleichzeitig etablierten sich Planungsparadigmen einer Funktionstrennung von Wohnen, Arbeit und Freizeit-[…].“ [12] Ist ein Standort durch das bestehende Verkehrssystem gut angebunden, ist er attraktiv und wird genutzt. Es entsteht eine Wechselwirkung zwischen Flächennutzung und Verkehrssystem. Dies wiederum führt zu einer selbstverstärkenden Wirkung mit der Konsequenz, dass bestehende Verkehrssysteme verfestigt werden. 1. Gegenwärtig zeichnen viele urbane Infrastrukturen durch eine autogerechte Mobilitätskultur aus: Menschen besitzen ein eigenes Auto, auf das sie jederzeit zurückgreifen können; die mögliche hohe Geschwindigkeit des Fortbewegungsmittels senkt die Reisezeit; Raumwiderstände werden abgebaut; die Erreichbarkeit von fernen Zielen steigt; es entstehen große Einzugsgebiete an wenigen, guten erreichbaren Orten mit Großinfrastrukturen für Alltagsbedürfnisse; durch die Nutzungstrennung werden die alltäglichen Wege zwischen Wohnen, Arbeiten und Bedürfniserfüllung weiter; größere Entfernungen werden im Zuge der Alltagsmobilität zurückgelegt. [12] 2. Ziel in der Raumgestaltung von Smart Cities ist eine attraktive und effiziente Alltagsnutzung des Nahraums: lokale Raumplanung orientiert an Fuß-, Rad- und öffentlichem Verkehr (ÖV); Fokus auf Grün- und Freiräume; Unterstützung einer lokal ausgerichteten Lebensführung; Möglichkeit zur Erfüllung der alltäglichen Bedarfe wie Wohnen, Arbeit, Einkauf, Arztbesuch, Freizeitgestaltung, Bildungseinrichtungen vor Ort; Bedarf an Straßeninfrastruktur für den motorisierten Individualverkehr (MIV) sinkt durch die Ausrichtung des Verkehrssystems auf kurze Wegstrecken und eine höhere Auslastung der Fahrzeuge durch Shared- Mobility-Angebote. [12] Eine Transformation weg von autozentrierten Strukturen hin zu nachhaltigen und lebenswerten Stadtregionen mit gut begeh- und erlebbaren Quartieren, die Vertrautheit und Identifikation der Menschen mit deren Umgebung schaffen, wird möglich [13]. Und Konzepte bzw. Projekte im Rahmen von Digitalisierungsstrategien mit dem Fokus auf Smart Mobility liegen nicht mehr in der fernen Zukunft, sondern sind bereits heute Realität. 4. Hamburg: Das Tor zur digitalen Mobilitätswelt Hamburg. Hafenstadt. Handelsstadt. Früher Speicherstadt für Kaffee, Tee, Kakao und Teppiche, die in den Kontorhäusern an der Elbe gelagert wurden. Heute hat sich der-- von Handelsschiffen befahrene- - Elbfluss gewandelt zu einem digitalen Datenhafen, der Datenflüsse intelligent verarbeitet. Zum dritten Mal in Folge ist die Hansestadt im Smart City Ranking des Digitalverbandes Bitkom 2021 zur smartesten Stadt Deutschlands gekürt worden und belegt mit 98,6 von 100 Punkten mit großem Abstand den ersten Platz im Themenbereich „Mobilität“. Der Smart City Index macht verschiedene Trends bei der Digitalisierung deutlich. Die Elbmetropole kann hier ihre Spitzenposition untermauern: „Hamburg hat seine Dominanz der Vorjahre noch einmal ausbauen können und schneidet erstmals in vier von fünf Kategorien mit dem Spitzenwert ab“ [14], betonte der Bitkom-Präsident Achim Berg im Oktober 2021. Ebenfalls im Oktober 2021 fand in Hamburg der ITS- Weltkongress statt, dem weltweit größten Branchentreffen der Mobilitätsbranche. Über 13.000 Fachbesucher*innen, rund 4.000 Interessierte am Public Day und 400 internationale Aussteller*innen haben sich in einer Woche auf knapp 40.000 m 2 Ausstellungsfläche über intelligente Verkehrs- und Transportsyteme (ITS) in den Bereichen „automatisierte, kooperative und vernetzte Mobilität“, „Mobilitätsdienstleistun- Reportage | Smart Cities-- schöne, neue, intelligente Zukunftswelt! 42 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0054 gen“, „digitale Hafen- und Logistiklösungen“, „intelligente Infrastruktur“ und „nachhaltige Lösungen für Städte und Bürger*innen“ ausgetauscht [15]. Hamburg konnte sich hier als Modellstadt für eine smarte digitale Mobilität der Zukunft präsentieren, welche die vom Hamburger Senat postulierte Mobilitätswende konsequent umsetzt. Ziel ist es, den Anteil des Verkehrs in Bussen und Bahnen sowie auf dem Fahrrad und zu Fuß auf achtzig Prozent zu steigern. Bis 2030 soll mit dem sogenannten Hamburg-Takt allen Bürger*innen der Stadt innerhalb von fünf Minuten Zugang zu einem Mobilitätsangebot verschafft werden. Dazu zählen das Hamburger U-, S-Bahn- und Busnetz, Ride-Pooling, Car-, Roller-, Scooter- und Bikesharing sowie neue On-Demand-Angebote auf der letzten Meile. Dies alles schützt nicht nur das Klima, sondern macht das Stadtleben für die Bürger*innen Hamburgs mit besserer Luft, weniger Lärm und weniger Staus gesünder und angenehmer. Die Digitalisierung des Verkehrs wird im Rahmen einer bereits 2016 verabschiedeten ITS-Strategie verfolgt und zeigt Lösungen für die urbane Mobilität und Logistik bis zum Jahr 2030 auf, die sicherer, effizienter, komfortabler und umweltfreundlicher sein soll. Die EU, der Bund und das Land Hamburg fördern vor diesem Hintergrund bis 2024 ITS-Projekte in Höhe von 60 Mio. Euro-- 63 Projekte in Hamburg sind bereits erfolgreich abgeschlossen, 95 Projekte werden aktuell umgesetzt (Stand: Juli 2021). [16] 4.1 Intelligente Mobilitätsprognosen für Hamburg Eines der 42 ITS-Ankerprojekte, also Projekte mit hoher Strahlkraft für das nationale und internationale Fachpublikum, ist das Projekt #transmove (Förderkennzeichen im Förderprogramm „Digitalisierung kommunaler Verkehrssysteme“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI): 16DKV41 086). Die Zielsetzung liegt darin, im DigiLab des Hamburger Landesbetriebes Straßen, Brücken und Gewässer [17] eine KI-gestützte Software zur Erstellung von Mobilitätsprognosen in der nahen und fernen Zukunft zu entwickeln. Die Software soll städtischen Mobilitätsplanenden wie Verkehrskoordinator*innen, Stadt-, Straßen-, Radwegeplaner*innen als Entscheidungshilfe bei langfristigen Baustellenplanungen und Mitarbeitenden in Hamburger Leitzentralen in kurzfristig auftretenden Ad-Hoc-Situationen wie z. B. bei Unfällen oder kurzfristigen Straßensperrungen zur Verbesserung der gesamtstädtischen Mobilität dienen. Ebenso sollen die Projektergebnisse den Bürger*innen der Stadt Hamburg zur Planung ihrer individuellen Mobilität zur Verfügung gestellt werden. Auf Basis der in dem System verarbeiteten Daten können Vorhersagen getroffen, Strategien zur Reduzierung von Verkehrseinschränkungen entwickelt und frühzeitig die Auswirkung von Maßnahmen auf die innerstädtische Mobilität festgestellt werden. Es wird gleichzeitig sowohl eine effektive Mobilitätsplanung, ein maßgeblicher Beitrag für einen stetigen Verkehrsfluss als auch eine Reduzierung von Schadstoffen, insbesondere NO 2 , Feinstaub und CO 2 in der Freien und Hansestadt Hamburg erreicht, so dass Einwohner*innen, Besucher*innen und Unternehmen in der Elbmetropole von einer präziseren Verkehrsvorhersage sowie sauberer Luft profitieren. Das in dem bund- und landgeförderten Projekt zu entwickelnde KI-gestützte Prognose-Tool leistet durch die Bereitstellung für behördenübergreifende Nutzergruppen einen relevanten Beitrag zur Mobilitätswende und zum digitalen Knowledge-Transfer innerhalb des städtischen Ökosystems in der Metropolregion Hamburg sowie darüber hinaus zu Zukunftsfragen in den Bereichen Klima, Digitalisierung und Mobilität. Das Projekt #transmove, Bestandteil des neuen Bündnisses für den Rad- und Fußverkehr in Hamburg [18], zahlt mit seinem Projektscope auf das Thema Big Data und die Umsetzung einer Smart-City-Strategie ein, was anhand des Schaubildes in Abb. 2 deutlich wird- - es skizziert den Zusammenhang und die Wechselwirkung zwischen den unterschiedlichen Nutzergruppen, dem Data Lake Mobility (Backend) und den Nutzeroberflächen. 4.2 Projekte erfolgreich hybrid umsetzen Im Rahmen des Projektes werden mit einem hybriden Projektmanagement-Ansatz sowohl klassische als auch agile Elemente des Projektmanagements genutzt. Das klassische Projektmanagement erfüllt die Anforderungen seitens der Behörde und des Fördergebers hinsichtlich Projektdokumentation und Projektmanagement (Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Lenkungsgruppensitzungen, Stakeholder-, Risiko-, Chancen-Management, Statusberichte u. a.). Im Rahmen des agilen Produktmanagements wird die Software agil in Form von Sprints entwickelt und orientiert sich hier am Scrum-Vorgehensmodell (Dailys, Sprints, Reviews, Retrospektiven). Mit der Umsetzung des hybriden Projektmanagement-Frameworks kann sehr zielgerichtet und zeitnah auf die Anforderungen der Stakeholder eingegangen werden. So finden z. B. regelmäßige Sounding-Board-Sitzungen statt, in denen die Grundgesamtheit der Stakeholder über den aktuellen Status von Projekt- und Produktfortschritt informiert werden, gleichzeitig bietet dieses Format die Möglichkeit zu einem interaktiven Austausch zwischen den Stakeholdern. Im Rahmen der Sprints werden produktseitig die konkreten Anforderungen der unterschiedlichen Zielgruppen basierend auf einem priorisierten Backlog umgesetzt. Abbildung 2: Wirkungszusammenhänge im Projekt #transmove [17] Reportage | Smart Cities-- schöne, neue, intelligente Zukunftswelt! 43 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0054 5. Projekte als Wegbereiter für Smart Cities Ein Modebegriff ist „Smart City“ schon längst nicht mehr, inzwischen können- - wie in Abb. 1 dargestellt- - fast alle Lebensbereiche mit dem Attribut „smart“ versehen werden. Fest steht: Die digitale Transformation hat längst begonnen. Sie wird Gesellschaft, Politik und Wirtschaft langfristig weiter verändern und jede*n einzelne*n von uns im individuellen Handeln betreffen und Entscheidungen maßgeblich beeinflussen. Neben einer Vielzahl an Vorteilen, die eine intelligente Vernetzung und Verschneidung großer Datenströme mit sich bringt, bergen die-- auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz ausgerichteten- - intelligenten Konzepte für smarte Städte auch Gefahrenpotenziale: Öffentliche Bereiche werden durch Kameras und Sensoren überwacht, Menschen können zu jeder Zeit an jedem Ort beobachtet werden. Datenschutz gewinnt vor dem Hintergrund von Big Data eine vollkommen neue Bedeutung. Fehlt es an ausreichender Sicherheit, sind die vernetzten Städte anfällig für Cyberangriffe. Daher muss sich „eine umfassend digitalisierte Kommune- […] mit der Komplexität der- […] Systeme, den entstehenden Abhängigkeiten von digitalen Lösungen und der wachsenden Angriffsfläche auseinandersetzen.“ [7] Eine Stadt wie Hamburg, die in Kooperation mit München und Leipzig dabei ist, ihren digitalen Zwilling aufzubauen, gestaltet eine zukunftsfähige, nachhaltige Stadtentwicklung und fördert eine transparente Beteiligung der Stadtgesellschaft durch gemeinsame Standards und Open-Source-Lösungen für urbane Datenplattformen. Der digitale Zwilling einer Stadt bündelt Modelle und Daten zu einem realistischen Abbild der Stadt und da die Stadt ständig in Veränderung ist, bilden diese sogenannten urban twins diese Dynamik ab und entwickeln sich gemeinsam mit der Stadt weiter. Auf dieser Grundlage entsteht eine fundierte (Daten-)Basis für einen nachhaltigen Diskurs, neue Möglichkeiten für die Bürger*innenbeteiligung und letztlich schnellere und neu durchdachte Entscheidungen in der Stadtentwicklung. Was den meisten Städten gegenwärtig noch fehlt, ist eine ganzheitliche Smart-City-Strategie. Voraussetzung dafür ist eine radikale Reflexion von Verwaltungsstrukturen und -abläufen, die Identifikation von Prozessabhängigkeiten und die Bereitschaft, Kooperationen mit dem privaten Sektor einzugehen. Es braucht finanzielle Ressourcen für die Digitalisierung und vor allem eine nachhaltige Kommunikationsstrategie, um sowohl die Verwaltung als auch die Bürger*innen in die Entwicklung smarter Prozesse mit einzubeziehen. Eine transparente und multidirektionale Kommunikation schafft Vertrauen und fördert die Akzeptanz. Da Smart-City-Strategien so individuell sein werden wie die einzelnen Städte selbst, werden am Anfang Einzelprojekte stehen, die Teilbereiche einer zukünftigen Strategie abbilden. Diese Projekte müssen gut geplant, hybrid umgesetzt und nachhaltig für die Digitalisierung kommunaler Infrastrukturen zur Daseinsvorsorge abgebildet werden. Smart City bedeutet eine holistische Betrachtung von Datenvernetzung in einem digitalen kommunalen Datenraum. Die erfolgreiche Umsetzung von datenbasierten IT-Projekten ist der Wegbereiter für eine smarte Zukunft. Eingangsabbildung: © iStock.com / metamorworks Vernetzter Alltag in der Smart Literatur [1] Statista: Statistiken zu Megacites, URL: https: / / de.statista.com/ themen/ 4795/ megacities/ #topicHeader__wrapper, Stand: 20. 05. 2022. [2] United Nations: 2018 Revision of World Urbanization Prospects, URL: https: / / www.un.org/ development/ desa/ publications/ 2018-revision-of-world-urbanization-prospects.html, Stand: 14. 05. 2022. [3] Bitkom: Smart City Index 2021, URL: https: / / www.bitkom. org/ smart-city-index? mtm_campaign=smart-city-index-2021, Stand: 24. 05. 2022. [4] Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen: Smart Cities in Deutschland, URL: http s : / / w w w. s m a rtc ityd i a l o g . d e / m o d e ll p ro j e k te#: ~: text=Smart%20Cities%20in%20Deutschland%20 Modellprojekte%20Smart%20Cities%28MPSC%29,Staffeln%20ausgew%CA4hlt%20wurden%2C%it%20insgesamt%20Millionen%20Euro, Stand: 18. 05. 2022. [5] Gabler Wirtschaftslexikon: Smart City, URL: https: / / wirtschaftslexikon.gabler.de/ definition/ smart-city-54 505, Stand: 18. 05. 2022. [6] BBSR, BBR und BMI / Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung BBSR im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung BBR und Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat BMI (Hrsg.): Smart City Charta. Digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten. BMI, Berlin 2021. [7] BSI / Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik BSI: Smart Cities / Smart Regions- - Informationssicherheit für IoT-Infrastrukturen. Handlungsempfehlungen. BSI, Bonn 2021. [8] BSI / Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik BSI: Smart Cities, URL: https: / / www.bsi.bund.de/ DE/ Themen/ Unternehmen-und-Organisationen/ Informationenund-Empfehlungen/ Smart-City/ smart-city_node.html, Stand: 18. 05. 2022. [9] Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen: URL: https: / / www.smart-city-dialog.de/ nationale-dialogplattform, Stand: 18. 05. 2022. [10] Jaekel, Michael; Bronnert, Karsten: Die digitale Evolution moderner Großstädte. Apps-basierte innovative Geschäftsmodelle für neue Urbanität. Springer Vieweg, Wiesbaden 2013. [11] Inrix: Global Traffic Scorecard 2021, URL: https: / / inrix. com/ scorecard/ , Stand: 28. 05. 2022. [12] Beckmann, Klaus J.; Blumthaler, Wolfgang; Holzapfel, Helmut; Zebuhr, Yulika: Ankommen statt unterwegs sein-- Raum und Mobilität zusammen denken. Projekt Integrierte Stadtentwicklung und Mobilitätsplanung. Erster Zwischenbericht. acatech, Berlin 2022. [13] Stimpel, Roland: Das Geh-Quartier-- Urbanität kommt zu Fuß. In: Berding, Nina; Bukow, Wolf-Dietrich (Hrsg.): Die Zukunft gehört dem urbanen Quartier. Springer, Wiesbaden 2020. [14] Bitkom: Deutschlands smarteste Städte, URL: www. bitkom.org/ Presse/ Presseinformation/ Smart-City-Index-2021, Stand: 28. 05. 2022. [15] Behörde für Verkehr und Mobilitätswende: ITS-Weltkongress war ein voller Erfolg, URL: www.hamburg.de/ bvm/ weltkongress-2021, Stand: 28. 05. 2022. Reportage | Smart Cities-- schöne, neue, intelligente Zukunftswelt! 44 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0054 Dr. Melanie Mergler Dr. Melanie Mergler hat zu International Leadership im 21. Jahrhundert promoviert und setzt als Projektleiterin der TEAMWILLE GmbH erfolgreich Digitalisierungsprojekte u. a. im DigiLab beim Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) um. Ihr Schwerpunkt ist die Verbindung aus klassischem und agilen PM in hybriden Umfeldern. eMail: melanie.mergler@teamwille.com, Internet: www.teamwille.com [16] Freie und Hansestadt Hamburg: Digitalisierung des Verkehrs. Hamburgs ITS-Strategie: Lösungen für die urbane Mobilität und Logistik von morgen. Behörde für Verkehr und Mobilität, Hamburg 2021. [17] Das DigiLab des LSBG in der Freien und Hansestadt Hamburg: Innovative Projekte und digitale Transformation in der Bau- und Mobilitätsbranche , URL: https: / / lsbg.hamburg.de/ digilab/ 15310078/ digilab/ , Stand: 29. 06. 2022. [18] Freie und Hansestadt Hamburg: Bündnis für den Rad- und Fußverkehr, URL: https: / / www.hamburg.de/ contentblob/ 16177116/ 74a997c61a82c8b52b185cfeaaa9269f/ data/ 2022-05-17-bvm-buendnis-download.pdf, Stand: 28. 05. 2022. Dieter Brendt, Olaf Mackowiak Führung in der Technik 1., Auflage 2021, 177 Seiten €[D] 34,90 ISBN 978-3-8169-3467-7 eISBN 978-3-8169-8467-2 Mitarbeitende zielgerichtet und effektiv führen zu können, ist ein Schlüssel für nachhaltigen Unternehmenserfolg. In diesem Buch werden den Leser: innen durch die direkte Ansprache und die Praxisbeispiele von Kolleg: innen in ver- Ansprache und die Praxisbeispiele von Kolleg: innen in ver- Ansprache und die Praxisbeispiele von Kolleg: innen in ver gleichbaren Situationen Denkanstöße und Tipps geboten, um ihren Führungsstil zu analysieren und darauf aufbauend zu optimieren. Es werden bewährte Maßnahmen und Techniken zur effizienten Gestaltung und Beherrschung der vielfältigen Anforderungen im sich schnell verändernden technischen wie gesellschaftlichen Umfeld vorgeschlagen, die praxisgerecht im Führungsalltag eingesetzt werden können. Anzeige 45 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0055 Ein Plädoyer für ein „Anthropozentrisches (ITund) Projektmanagement“ im Digitalen Zeitalter Driving Digital --… but Human is Key (2) Matthias Pietzner Sie erinnern sich vielleicht? So begann dieser Beitrag in der letzten Ausgabe der PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL: Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendjemand fragt, wie „das mit der Digitalisierung“ denn funktioniert- […] und was das alles mit mir ganz persönlich, mit meinem Job und meinem Umfeld zu tun hat. Und Sie? Haben Sie Ihren Standpunkt in diesen Fragen schon gefunden? Und falls ja, kennen Sie Ihren Kompass und Ihre Leitplanken für Ihren persönlichen Weg in das Digitale Zeitalter? Falls ja gratuliere ich Ihnen von Herzen; das macht gelassen und motiviert und ermöglicht Leistung! Falls nein könnte Ihnen dieser Beitrag in der PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL vielleicht helfen, Antworten und Orientierung zu finden; durch Strukturierung von Themen und Gedanken, durch Zustimmung oder Aha-Erlebnisse genauso wie vielleicht durch bewussten Widerspruch oder gar Ablehnung. Fühlen Sie sich also noch einmal eingeladen, auch im zweiten Teil dieses Artikels diesem leider oft „unterbelichteten“ gleichwohl jedoch essenziellen Themen-„Komplex“ (im doppelten Sinne des Wortes) der Digitalen Transformation nachzuspüren. In der vergangenen Ausgabe sind wir in das Thema gestartet mit der „Leitfrage: Wo bleibt der Mensch? “- … in der Digitalen Transformation. Wir haben begonnen, nach Schlüsseln zu suchen, mit denen uns die Steuerung der Digitalisierung gelingen kann, ohne dass der Mensch- - wir Menschen-- dabei „unter die Räder“ kommen und mit denen wir vielleicht in der Läge sind, die Entwicklungen zu beeinflussen oder sogar zu steuern. Dabei sind wir dieser Struktur gefolgt: Wissen | Driving Digital --… but Human is Key (2) 46 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0055 Dort haben wir uns Gedanken zu den Teilen I bis IV gemacht: Darüber, warum Digitalisierung ohne den Menschen nicht geht, was genau „Digitalisierung steuern“ heißt und warum „der Mensch“ der Haupt-Ansatzpunkt für die Steuerung von Digitalen Entwicklungen ist. Und wir haben uns die ersten beiden der vier zentralen Kompetenzen für ein „#Driving- Digital-Projektmanagement“ näher angeschaut. Genau an dieser Stelle geht es heute weiter. Seien Sie also gespannt; kommen Sie noch einmal mit auf diese spannende Reise. Und Sie werden (wieder) staunen: der Bezug dieser „weichen“ vermeintlichen Rand-Themen zur Technologie-Kompetenz eines Unternehmens und den IT-Experten aller Couleur ist dichter und zwingender als wir das bisher meistens wahrnehmen. TEIL V : Der Wert der Aufrichtigkeit im „Nebel“ der Digitalisierung „Gorillas im Nebel“-- kennen Sie den Film , der Bilder aus dem Leben der legendären Primaten-Forscherin Dian Fossey und ihrer Arbeit in Afrika nachzeichnet? Eine sehr beeindruckende Illustration: Der oft dichte Nebel in den Bergen Ruandas hat den großen Nachteil, dass es passieren kann, dass man, wenn man dort unterwegs ist, urplötzlich Auge in Auge vor einem 2,50 m großen Silberrücken steht; wie aus dem Nichts. Wohl dem, der sich dann nicht erst noch überlegen muss, was er jetzt tun darf und was nicht, welches Equipment er vielleicht lieber nicht mitgenommen hätte oder was er hätte vorbereiten sollen, um die Situation nicht eskalieren lassen zu müssen. Die Gefahr einer Eskalation besteht- - ich denke, da stimmen Sie mir zu- - immer dann, wenn auf mindestens einer Seite der Beteiligten Unsicherheit über die Situation oder einige Details und meist damit einhergehend Angst herrscht. Angst, gefährdet zu sein, Angst schlecht behandelt zu werden, Angst missverstanden zu werden, Angst nicht genügend wertgeschätzt zu werden-…; die Liste lässt sich fortsetzen. Und Unsicherheit besteht, Sie wissen es, immer dann, wenn Informationen unvollständig sind oder ganz fehlen; oder wenn wir glauben, den Informationen, die wir haben, nicht vollständig trauen zu können; oder wenn wir wissen, dass sich Dinge und Situationen in demselben Augenblick schon wieder verändern, weiterentwickeln, bewegen, in dem wir ihnen nur kurz den Rücken zukehren, um noch weitere (vermeintlich) relevante Informationen an anderer Stelle aufzunehmen. Da ist sie wieder, die Komplexität.Soviel ist also schon mal klar: Absolute Sicherheit über die Komposition einer komplexen Situation gibt es nicht; kann es per Definition nicht geben; und schon gar nicht über ihren Zustand im nächsten Moment oder zu einem zukünftigen Zeitpunkt. Ich habe es bisher nicht statistisch untersucht, in welcher genauen Korrelation der Grad der Komplexität einer Situation und die Stärke des Unsicherheitsempfindens der Beteiligten oder Betroffenen zueinander stehen, aber es ist eine streng positive Korrelation, so viel steht fest. Wenn wir an dieser Stelle noch einmal Abraham Maslow bemühen sehen wir, dass wir uns mit dem Thema Sicherheit(sempfinden) auf der zweituntersten Ebene seiner Bedürfnis-Pyramide , [12] also noch deutlich in der unteren Hälfte befinden. Der Schluss ist zwingend: Solange ich es für meine Mitarbeiter im Projekt nicht schaffe, dass sie sich in allen für sie relevanten Dimensionen (und das sind einige: Organisation, Arbeitsraum, Technologie, Sozialgefüge, (persönliche) Finanzen, Projekt- und Unternehmensstrategie u. v. m.) einigermaßen sicher fühlen wird es kaum möglich sein, sie für Aufgaben zu gewinnen und zu einer Konzentration darauf zu motivieren, welche erst ihre Bedürfnisse auf einer höheren Ebene befriedigen. Aber genau diese Aufgaben sind es, die Projekte vorwärtsbringen, die Erfolg ermöglichen und die Entwicklungen die Richtung geben können. Committment, Motivation, Kooperation, Performance, Entwicklung, Verantwortung usw. können erst entstehen, wenn zuvor ein großes Maß an Sicherheitsempfinden für den einzelnen Menschen gewährleistet ist. Und Sicherheit- - wir hatten es ja eben- - entsteht durch Kennen und Wissen und Einschätzen-Können und Sich-auf-etwas-verlassen-können im jeweiligen (Projekt-) Umfeld. Es wirkt jetzt fast banal, an dieser Stelle der Vollständigkeit halber noch zu erwähnen, was Sie tun können, um Ihren Mitarbeitern (m / w), Chefs (m / w), Kollegen (m / w), Partnern (m / w) das Gefühl zu geben, ihre jeweilige Projekt- oder sonstige Situation wirklich zu kennen, um alle Möglichkeiten und Fallstricke zu wissen, ihre eigene Position und Perspektiven wirklichkeitsnah einschätzen zu können, sich auf ihre Mitstreiter und Führungsfiguren verlassen zu können. Das Zauberwort zur Sicherheit heißt „Aufrichtigkeit“- - zu Neudeutsch: Compliance. Und dieser Begriff gilt juristisch wie ethisch gleichermaßen. Leider ist das aber wohl so gar nicht banal, wenn ich beobachte, was in unseren Digitalisierungsprojekten landauf, landab so vor sich geht. Die schönste und wohl bekannteste Definition von Compliance wird dem US-amerikanischen Forstwissenschaftler, Wildbiologen, Jäger und Ökologen Aldo Leopold zugeschrieben: „Compliance is doing the right thing when no one else is watching-- even when doing the wrong thing is legal.“ Was können Sie also tun für Ihr Projekt und Ihre Mitmenschen? Antwort: The right things- - die richtigen Dinge. Und zwar immer. Durchgehend, ohne Ausnahme. Und das ist, wenn man Mensch ist, nicht nur nicht banal, sondern echt schwer; aber wem sage ich das- … Aber die Devise heißt trotzdem: Machen! „Was nicht zur Tat wird, hat keinen Wert“ [13] (Gustav Werner). Einen weiteren kleinen Haken hat die Sache allerdings auch noch: „richtig“ ist nicht aus Ihrer persönlichen Perspektive, nach Ihrem-- verzeihen Sie-- egoistischen Urteil gemeint. Sondern „richtig“ ist gemeint im Sinne des und der (Singular und Plural) Anderen. Alles, was der und dem und den Anderen hilft ( ! - … Denkpause- …), guttut ( ! - … Denkpause- …), wichtig ist ( ! -… Denkpause-…), was dem übergeordneten Ziel dient und einem gemeinsamen Wertekatalog folgt, ist „richtig“, ist auf-richtig und auf-richtend! Übrigens: Unsere Computer, die gesamte IT-Infrastruktur, alle Netzwerke und was an Digitalisierungstechnologie uns noch bevorsteht, ist per se „aufrichtig“, gibt Fakten wieder ohne sie zu verfälschen oder zu selektieren oder zu interpretieren (wenn diese Funktionen nicht explizit in sie hinein programmiert wurde). Wie wollen wir damit Schritt halten, wenn wir nicht auch aufrichtig und den Tatsachen und der Wahrheit verpflichtet sind? Also: Machen! Die Inhalte von Aufrichtigkeit, die im „Nebel” der Digitalen Transformation Sicherheit ermöglichen: Wissen | Driving Digital --… but Human is Key (2) 47 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0055 TEIL VI: Der Wert des Vertrauens im „Sturm“ der Digitalisierung Vertrauen- - ein großes Wort. Vertrauen- - ein für unser menschliches Dasein grundlegendes Wort. Vertrauen-- ja was ist das eigentlich? „Trust matters“ konkludieren die Wissenschaftler Akbar Zaheer (Minneapolis, USA), Bill McEvily (Pittsburgh, USA) und Vincenzo Perrone (Bocconi, I) schon 1998, ganz am Anfang von E-Mail und Internet, in ihrem viel beachteten Aufsatz „Does Trust Matter? Exploring the Effects of Interorganizational and Interpersonal Trust on Performance” [14]. (Im Übrigen ist das auch heute noch ein sehr aktuelles und empfehlenswertes Paper). Ganz allgemein beobachtet ist Vertrauen zunächst einmal ein Phänomen, das in unsicheren Situationen, auf gefährlichen Wegen oder bei risikobehafteten Handlungen auftritt. Wer sich einer Sache sicher sein kann, muss nicht mehr vertrauen, er „weiß“. Vertrauen ist dabei weiter auch „der Wille, sich verletzlich zu zeigen“ [15] (Margit Osterloh, Antoinette Weibel), also etwas zu tun, etwas zu wagen, das einem womöglich schaden kann, von dessen positivem Ausgang man zumindest nicht restlos überzeugt ist, den man sich aber aufgrund von Erfahrungen, die man mit dem Umfeld dieser Situation (oder mit Teilen davon) in der Vergangenheit schon gemacht hat, erhofft oder erwartet. Irgendetwas muss also schon da sein, das man kennt, auf das man sich verlassen kann und das einem das Vertrauen ermöglicht, dass da noch mehr geht. Vertrauen befähigt zum Handeln, und zwar auch und gerade in Situationen, in denen man unter Umständen mehr verlieren als gewinnen kann. Also: her mit dem Vertrauen, dann lege ich los-… Ok, so einfach ist das nicht; wissen wir. Aber wie und woher bekommen wir dieses Vertrauen, das uns befähigt, in diesem immer und überall besonders komplexen und besonders risikobehafteten Umfeld der Digitalisierung zu handeln und womöglich zu steuern? Und dieses „Vertrauen bekommen“ meint ja immer zweierlei Richtungen: das eigene Vertrauen in die Menschen und das Umfeld um einen herum (das zu einer verantwortungsvollen Entscheidungsfreiheit führt) und das Vertrauen des Umfelds und vor allem der Menschen um einen herum in einen selbst (das zu deren Loyalität einem selbst gegenüber und untereinander führt). Die erste Richtung befähigt zum Handeln und Entscheiden, die zweite zum Führen und Steuern. Wenn wir uns also ein #DrivingDigital auf die Fahnen schreiben, brauchen wir unabdingbar beides. Im Kontext der Psychologie ist Vertrauen eine wichtige Dimension der Identitätsbildung. Vertrauen muss sich also (über einen Zeitraum) bilden und ein Teil der Identität des (m) und der (w) und der (pl) Handelnden werden, um dann in Entscheidungen und Handlungen wirken zu können. Und wie anschaulich doch manchmal die deutsche Grammatik ist: die Verben „bilden“ und „werden“ beschreiben an sich bereits einen Verlauf, also einen Vorgang, also etwas, das nicht in einem Zeit-Punkt stattfinden kann, sondern einen kürzeren oder längeren Zeit-Raum in Anspruch nimmt. Vertrauen braucht also Zeit. Vertrauen muss wachsen. Auch hier stellt sich mir und vielleicht Ihnen wieder die Frage: Schließe ich noch immer zu voreilig, wenn ich (wie bereits zuvor in den Abschnitten III und IV- - siehe Heft 2 der PRO- JEKTMANAGEMENT AKTUELL) auch hier die Behauptung wage, das „Höher-Schneller-Weiter“ (also vor allem das „Schneller“) unserer Zeit ist ab einem gewissen Grad geradezu kontraproduktiv für das Vorantreiben und das Steuern von Projekten im Digitalisierungsumfeld, eben weil es Vertrauen erschwert oder verhindert? Meine persönliche Erfahrung sagt nein; aber entscheiden Sie selbst! Die logische Kette der Gedanken zum Vertrauen noch einmal zusammengefasst: Wir haben es im Umfeld der Digitalisierung mit hoher Komplexität und damit großer Unsicherheit zu tun. Zum Handeln und Steuern brauchen wir Vertrauen in beide Richtungen, unseres in andere Menschen und das der Anderen in uns. Vertrauen kann nicht eben mal „gemacht“ werden, sondern muss sich über einen Zeitraum bilden. Geschwindigkeit ist also nur von begrenztem Nutzen, auch und gerade in der Digitalisierung. (Ha! Diesen Aspekt sehen wir hier nun bereits zum dritten Mal in dieser kurzen Abhandlung! Scheint ja wirklich von Bedeutung zu sein.)- - Geradezu ein weiterer Beweis, dessen es gar nicht mehr bedurft hätte, ist diese Gedankenkette auch für die Feststellung, die wir oben im zweiten Abschnitt (ebenfalls in Heft 2 der PROJEKTMA- NAGEMENT AKTUELL) bereits gesehen hatten, dass nämlich der Mensch der Dreh- und Angelpunkt für die Steuerung in der Digitalen Transformation ist. Jedenfalls habe ich in meinen gut 50 Lebensjahren noch keine Maschine vertrauen sehen. Und zu guter Letzt auch dies noch: Wenn ich Sie jetzt fragen würde, ob Sie schon einmal „vertrauensbildenden Maßnahmen“ begegnet sind, ob Sie vielleicht selber schon einmal welche ergriffen haben, dann, so vermute ich, würden Sie sicherlich „ja“ sagen. Was aber haben Sie da genau erlebt oder getan? Und was hat es bewirkt oder warum haben Sie es getan? Haben Sie aus der Ferne jemandem etwas zugerufen? Oder haben Sie eher leise und ganz nah gesprochen? Haben Sie Vorschriften und Anweisungen vor sich hergetragen? Oder haben Sie eher Vorschläge gemacht und sich als Mensch, der auf sein Gegenüber eingeht, zu erkennen gegeben? Hat Ihnen jemand eine Forderung oder einen Arbeitsauftrag „um die Ohren gehauen“? Oder wurden Sie eher mit guten Argumenten davon überzeugt, etwas zu tun oder bei etwas mitzugehen? Wissen | Driving Digital --… but Human is Key (2) 48 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0055 Sie wissen, worauf ich hinaus will: Vertrauen hat immer mit dem Mensch als menschlichem Wesen zu tun; also mit einer gewissen Nähe, mit Wertschätzung und Begegnung auf Augenhöhe und Zutrauen in Kompetenzen, miteinbeziehen und ernst nehmen, mit Offenheit und Aufrichtigkeit. Alle diese sogenannten „weichen“ Faktoren sind es, die Vertrauen bilden helfen; nicht aus Zufall wurden genau diese drei Werte „(menschliche) Nähe“, „Wertschätzung“ und „Aufrichtigkeit“ in den vorhergehenden Abschnitten beleuchtet. Sie alleine reichen sicherlich nicht, Vertrauen wachsen zu lassen, aber sie tragen sehr dazu bei- - oder sie verhindern es womöglich sogar, wenn sie im menschlichen Miteinander nicht genügend Beachtung finden. Könnte sich vielleicht lohnen, das mal (wieder) in den Blick zu nehmen. Die Inhalte von Vertrauen, die im „Sturm” der Digitalen Transformation Handlungsfähigkeit ermöglichen: Portion Unsicherheit aufgrund der für die meisten von uns kaum mehr verstehbaren Komplexität, die schließlich Angst machen kann. Dennoch gibt es, so haben wir gesehen, (im Wesentlichen zwei) Gründe, warum die Digitalisierung ohne den Menschen auch nicht geht: Erstens, weil der Mensch in Aufgaben, die seine original menschlichen Fähigkeiten wie Erfindungsreichtum, komplexe Interaktion, Empathie bis hin zu Moral und Fairness benötigen, nicht durch Maschinen ersetzt werden kann. Und zweitens, weil gerade bei digitalen Entwicklungsprojekten immer wieder der Mensch bewerten und entscheiden muss, welche Technologie in welche Richtung (weiter-) entwickelt und genutzt werden soll und darf.  Digitalisierung ohne den Menschen-- geht nicht. Und dennoch bleiben die Gefahr und die Angst, als Mensch durch digitale Technologien früher oder später „substituiert“ zu werden. Damit stand im Teil II die Frage im Raum: Was kann getan werden? Wie können die Chancen, welche in der Digitalisierung zweifelsohne auch liegen, im Sinne des Menschen genutzt und die ganze Entwicklung möglichst aktiv und zum Wohl des Menschen gesteuert werden? Um im jeweils richtigen Moment entscheiden und handeln zu können ging es zunächst darum, aufmerksam zu sein, die Veränderungen im Auge zu behalten und die Einflüsse auf uns persönlich und unsere Gesellschaft zu verstehen. Das Verstehen von Situationen, Zusammenhängen und Entwicklungen ist die Grundvoraussetzung, um zu steuern; und Steuern, aktives Sich-Beteiligen und Sich-Einbringen ist für den Menschen als Individuum zugleich sicherer und angenehmer als passiv in eine Richtung getrieben, gejagt, gestoßen oder gezwungen zu werden. Diese erstrebenswerte Position, in der Digitalen Transformation (mit) steuern zu können, brachte uns unmittelbar zum Management von Projekten, da fast alle technologischen Fortschritte und Aktivitäten in Projekten organisiert werden. Da sich aber im Lauf der Zeit und zusammen mit den technischen Inhalten der Projekte auch der Charakter der Projekte selbst verändert, helfen uns reine Methodiken, tradierte wie innovative, nicht wirklich und schon gar nicht nachhaltig weiter.Die Antwort auf die Frage, was uns denn dann aber weiterhelfen könnte, lautete: (Projektmanagement-) Kompetenz; Kompetenz als die Fähigkeit, in unterschiedlichen, immer wieder neuen Kontexten erfolgreich und verantwortungsvoll Lösungen zu finden und umzusetzen. Steuern sollte also nur der Kompetente. Und wer steuert, trägt dann auch im besten systemischen Sinn die Verantwortung für alle Ergebnisse und Folgen, die am Ende eines Projekts oder einer Entwicklung herauskommen (oder nicht herauskommen), gewollt oder ungewollt. Um nun weiter die Frage zu beantworten, was genau die Kompetenzen für ein erfolgreiches Projektmanagement im komplexen Kontext seien, haben wir uns zuerst über die möglichen Ansatzpunkte für die Steuerung Gedanken gemacht, um daraus die notwendigen Kompetenzen ableiten zu können. Die Digitaltechnik selbst zeigte sich als nicht wirklich nutzbarer Ansatzpunkt und die weiteren Überlegungen führten uns letztendlich zu den Menschen in den Projekten als entscheidendem Faktor und Stellhebel. Es müssen Menschen bewegt und befähigt und gesteuert werden, um das große Lassen Sie uns nun zum Schluss aus all dem bisher Bedachten eine Art Fazit ziehen, eine Conclusio, die uns als Menschen, Kollegen, Freunde, Mitarbeiter, Beteiligte und Betroffene für unseren jeweils ganz eigenen und für unseren gemeinsamen Weg in die Digitale Zukunft Leitplanken aufzeigt; Leitplanken, die uns Orientierung und Sicherheit und dadurch Gelassenheit geben und dadurch Motivation und dadurch Engagement und dadurch Erfolg fördern oder gar erst ermöglichen. TEIL VII-- Fazit: Alles hängt zusammen; BUT HUMAN IS KEY! Was haben wir uns also auf den vorigen Seiten (und in der vorigen Ausgabe) alles angeschaut- - und vielleicht gelernt? Lassen Sie uns zunächst gemeinsam noch einmal kurz zurückblicken, um dann auch wirklich die richtigen Schlüsse ziehen zu können (siehe nächste Seite). Begonnen haben wir unsere Betrachtung in Teil I bei den digitalen Entwicklungen, die jeder und jede von uns in seinen und ihren sämtlichen Lebensbereichen tagtäglich beobachten kann. Die Gefahr, daraus Nachteile zu erleiden oder schlimmstenfalls ganz „unterzugehen“ ist mal mehr, mal weniger spürbar, aber immer virulent. Dazu kommt eine große Wissen | Driving Digital --… but Human is Key (2) 49 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0055 Ganze zu bewegen und zu steuern. Es müssen die Menschen mit ihren besonderen Fähigkeiten, welche sie von Systemen, Programmen und Maschinen abheben, die Menschen, die urteilen, bewerten und weitreichende Entscheidungen treffen (sollen), überzeugt werden. Damit konnten wir uns im Weiteren auf diejenigen Kompetenzen fokussieren, die für solche Menschen-Steuerungs- und mithin Führungsaufgaben notwendig sind.  Digitalisierung steuern heißt Verantwortung übernehmen und Menschen führen In den dann folgenden vier Abschnitten dieser Reihe (Teil III-- Teil VI) haben wir uns die vier Fundamente, auf denen die Steuerung in der Digitalen Entwicklung fußt (oder fußen kann), ein wenig in der Tiefe angeschaut, um ihre besondere Bedeutung und ihren Wert als Führungskompetenzen in der Zeit der Digitalen Transformation zu verstehen; vier „weiche“ Kompetenzen, die für das menschliche Wesen sehr vertraut und bedeutsam und gerade deshalb-- wenn vorhanden-- besonders wirkungsvoll und hilfreich sind: Der Wert der Nähe (damit war sowohl die räumliche als auch die „menschliche“ Nähe gemeint) besteht darin, dass sie ein Wohlfühl-Gefühl auslöst, das selbst im Chaos weiterführt zu Selbstwert, zu Stabilität und Vertrauen und letztlich zu Motivation und Engagement. Ein zentraler Faktor, durch den diese Nähe möglich wird, ist eine mehrdimensionale Kommunikation (nach Watzlawick „analoge Kommunikation“), die nur im direkten persönlichen Austausch in der Lage ist, die Emotionalität, eine zentrale Grundfähigkeit und ein zentrales Grundbedürfnis des Menschen, mit einzubeziehen. Im Gespräch von Angesicht zu Angesicht entsteht außerhalb der Fakten-Übermittlung eine „innere“ Verbindung. Verbindungen generell geben Halt, das ist ihre Natur. Zudem hilft Nähe (in beiden oben genannten Ausprägungen), Missverständnisse zu reduzieren oder ganz zu vermeiden, was in jedem Fall der Führung wie der Zusammenarbeit in einem Projekt dienlich ist. Um diese Nähe zu erreichen, zu ermöglichen, ist eine Offenheit nötig, ein Wissen um den Anderen und die ihn beeinflussenden Faktoren, ein Kennen seiner Situation und Agenda; und notfalls auch ein Ertragen von nicht so sympathischen Eigenarten und zunächst nicht verständlichen Arbeits- und Verhaltensweisen. Diese Art von Nähe aufzubauen, braucht Zeit. Der Wert der Wertschätzung, so haben wir gesehen, zeigt sich in der Motivation, die durch sie entstehen kann, selbst wenn sie nur punktuell wahrgenommen wird. Nach der sogenannten Two-Factors-Theory von Frederick Herzberg ist die (wahrnehmbare) Wertschätzung einer der sechs zentralen Motivatoren für Menschen. Also bewirkt auch die Wertschätzung für unsere Mitmenschen im Projekt (und darüber hinaus) etwas für das Projekt, für die Zielerreichung, für den Erfolg- - und wird somit Teil des Steuerungsinstrumentariums in der Digitalen Transformation. Wertschätzung bedeutet, dass ein Mensch einen Wert hat in dem, was er tut oder ist. Und wenn einem „der oder die Andere“ etwas bedeutet, dann ist der Umgang mit ihm und ihr Wert-schätzender, Acht-samer und berücksichtigt im eigenen Handeln auch, was er oder sie braucht. Lob zum Beispiel; oder Nachsicht mit Fehlern und Unzulänglichkeiten; oder Zeit (auch um Nähe aufzubauen); oder Unterstützung in Fragen oder Aufgaben, wo es gerade passt- - oder wo es einfach notwendig ist. Das heißt dann also auch hier wieder, sich selbst an der einen oder anderen Stelle zurückzunehmen, egal in welcher Position und Rolle man steckt; eigene Bescheidenheit schafft Augenhöhe-- Gleich-Wert-igkeit! Der Wert der Aufrichtigkeit liegt darin, dass sie geeignet ist, ein großes Maß an Sicherheitsempfinden für den einzelnen Menschen wie für ein ganzes Projekt-Team zu erzeugen. Sicherheit entsteht durch Kennen und Wissen und Einschätzen-Können und Sich-auf-etwas-verlassen-Können im jeweiligen (Projekt-) Umfeld. Erst dadurch entstehen Committment, Motivation, Kooperation, Performance, Entwicklung, strategische Verantwortung usw. Der häufig synonym verwendete Begriff „Compliance“ unterstreicht die Gültigkeit und Relevanz dieser Steuerungskompetenz gleichermaßen im juristisch wie im ethischen Sinne. „Compliance is doing the right thing when no one else is watching- - even when doing the wrong thing is legal.“ Was wäre also zu tun für ein Projekt Wissen | Driving Digital --… but Human is Key (2) 50 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0055 und die Menschen darin? „The right things“- - die richtigen Dinge. Nicht ganz leicht, wenn man Mensch ist; aber „was nicht zur Tat wird hat keinen Wert“ (Gustav Werner). Kleiner Haken bei der Sache: „Richtig“ ist nicht aus einer individuellen Perspektive, nach einem privaten oder gar egoistischen Urteil gemeint. Sondern „richtig“ ist gemeint im Sinne des und der Anderen. Alles, was der und dem und den Anderen hilft, guttut, wichtig ist, was dem übergeordneten Ziel dient und einem gemeinsamen Wertekatalog folgt, ist „richtig“ im Sinne der Compliance, ist auf-richtig-- und auf-richtend! Der Wert des Vertrauens schließlich ist, dass es zum Entscheiden und Handeln auch im besonders komplexen und besonders risikobehafteten Umfeld der Digitalisierung befähigt, und zwar auch und gerade in Situationen, in denen unter Umständen mehr zu verlieren als zu gewinnen ist. Dieses Vertrauen meint immer zweierlei Richtungen: das eigene Vertrauen in die Menschen und das Umfeld um einen herum (das zu einer verantwortungsvollen Entscheidungsfreiheit führt) und das Vertrauen des Umfelds und vor allem der Menschen um einen herum in einen selbst (das zu deren Loyalität einem selbst gegenüber und untereinander führt). Die erste Richtung befähigt zum Handeln, die zweite zum Führen und Steuern. Wenn wir uns also ein #DrivingDigital auf die Fahnen schreiben, brauchen wir unabdingbar beides. In der Psychologie ist Vertrauen eine Dimension der Identitätsbildung. Vertrauen muss sich über einen Zeitraum bilden, um ein Teil der Identität eines Menschen zu werden und um dann in seinen Entscheidungen und Handlungen wirken zu können. Auch Vertrauen braucht also Zeit. Es muss wachsen. Damit liegt auch hier der Schluss nahe, dass das „Höher-Schneller-Weiter“ (also vor allem das „Schneller“) unserer Zeit ab einem gewissen Grad geradezu kontraproduktiv ist für das Vorantreiben und Steuern von Projekten im Digitalisierungsumfeld, eben weil es (neben Anderem) Vertrauen erschwert oder verhindert. Bis hierher also die Zusammenfassung. Und nun ziehen wir das FAZIT aus all den betrachteten Aspekten; vielleicht könnte es folgendermaßen lauten: Die Beachtung der vier Kompetenz-Größen-- Nähe, Wertschätzung, Aufrichtigkeit, Vertrauen- - im Umgang mit Menschen bei der täglichen Arbeit und in der Projektarbeit und in der Projektleitung führt ganz besonders im großen Ozean der Digitalen Transformation zu Stabilität, Innerer Stärke, Orientierung, Handlungsfähigkeit- - und damit im weiteren kausalen Zusammenhang zu  Motivation, und damit zu  Engagement, und damit zur  Bewältigung der Herausforderungen, und damit also zu  Erfolg und Nutzen. Wer dies kann-- und will-- der kann und sollte im komplexen Feld der Digitalisierung Verantwortung übernehmen und führen; allerdings auch nur der. Wissen | Driving Digital --… but Human is Key (2) 51 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0055 Matthias Pietzner Matthias Pietzner ist Executive Consultant bei CGI mit einer über mehr als 20 Jahre gewachsenen und erprobten Expertise im Projekt-, Multiprojekt- und Portfolio- Management. Sein beruflicher Weg begann nach dem Studium der Betriebswirtschaft in den komplexen Entwicklungsthemen der Automobilindustrie und führte ihn über Stationen in operativen und strategischen Projekten schließlich in das IT-Umfeld bei CGI, wo er heute schwerpunktmäßig Kundenprojekte im Bereich Kritischer Infrastrukturen und des öffentlichen und kirchlichen Sektors „end-to-end“ betreut. Neben weiteren Coaching- und Beratungsaufgaben lehrt Matthias Pietzner seit 10 Jahren Projekt- und Qualitätsmanagement sowie Controlling an der Hochschule Esslingen, University of Applied Sciences, zum größten Teil in englischer Sprache. Privat engagiert er sich im kirchlichen und kirchenmusikalischen Bereich. Er ist verheiratet und hat drei Kinder und lebt südöstlich von Stuttgart am Rande der Schwäbischen Alb. Matthias Pietzner CGI Deutschland B. V. & Co. KG Leinfelder Str. 60 70 771 Leinfelden-Echterdingen eMail: matthias.pietzner@cgi.com Mobil: 01 511 / 21 679 11 Mithilfe dieser Leitplanken sollte uns eine menschenorientierte Steuerung und damit auch eine vor allem am Menschen orientierte Erledigung unserer Digitalisierungsprojekte sicherer und erfolgreicher gelingen als ohne sie. Dann bleibt der Mensch als Menschen auch nicht auf der Strecke, weil er letztlich der erste Maßstab für alles Entscheiden, für alles Handeln und für alles Steuern ist; und bleibt. Dieses am Menschen orientierte Gesamt-Konzept umsetzen können Maschinen oder Programme nicht bewerkstelligen und seien sie noch so „künstlich intelligent“; das kann alleine der Mensch in seiner Großartigkeit als Mensch. Auf den Punkt gebracht, für Führungskräfte wie für Mitarbeiter: Zeit und Energie, die Sie in Menschen investieren, gibt Ihnen „die Digitalisierung“ als Erfolg zurück. Ob Sie das nun als „Anthropozentrisches (IToder) Projektmanagement“ bezeichnen wollen oder als „Werteorientiertes Digitalisierungsmanagement“ oder anderswie spielt dabei nun überhaupt keine Rolle; der Schlüssel- - ist der Mensch. Haben Sie? Sehr gut; „Dann aufwärts froh den Blick gewandt und vorwärts fest den Schritt“ [16] (August Hermann Franke): We are #Driving Digital-- but Human is Key! Literatur [12] Maslow, Abraham: Paper “A Theory of Human Motivation” in “Psychological Review” Nr. 50. American Psychological Association, Washington D. C. 1943. [13] Gustav Werner: Zitat belegt in https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Gustav_Werner_(Pfarrer) (Stand: 01. 04. 2022). [14] Zaheer, A. / McEvily, B. / Perrone, V.: „Does Trust Matter? Exploring the Effects of Interorganizational and Interpersonal Trust on Performance”, in “Organization Science” Bd. 9 Nr. 2, Catonsville 1998. [15] Osterloh, M., Weibel, A.: Investition Vertrauen. Prozesse der Vertrauensentwicklung in Organisationen. Gabler Verlag, Wiesbaden 2006. [16] Franke, August H.: Lied „Nun aufwärts froh den Blick gewandt“, in: Evangelisches Gesangbuch, Nr. 394. Evangelische Landeskirche in Württemberg. Eingangsabbildung: © iStock.com / Cecilie_Arcurs Damit agiles Projektmanagement nicht nur in der Theorie stets zum Erfolg führt. uvk.de uvk.de 53 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0056 Ohne agiles Mindset der Organisation müssen agile Projekte scheitern Agiles Management-- ein systemischer Ansatz Hubertus C. Tuczek, Agnetha Flore, Helge Nuhn, Norbert Schaffitzel Für eilige Leser | Agilität ist in aller Munde und gilt in der modernen Managementliteratur als Erfolgsrezept, um den Herausforderungen der VUKA-Welt zu begegnen. Viele Unternehmen führen agile Methoden im Projektmanagement ein. Allerdings macht sich oft Frustration breit, wenn sich herausstellt, dass auf Unternehmensebene das notwendige Verständnis fehlt und die gewünschten Effekte nicht nachhaltig sind. Vor diesem Hintergrund hat die Fachgruppe „Agile Management (AM)“ der GPM einen systemischen Ansatz für das Agile Management (AM 4.0) entwickelt, der das Unternehmen als Gesamtsystem betrachtet. Das systemische Denken fördert das Verständnis von Zusammenhängen und bildet damit die Grundlage für wirksames Management im Kontext von Globalisierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Schlagwörter | Agile Mindset, Agile Techniken, Governance, Komplexitätsmanagement, Kybernetik, Selbst-Organisation Projekte finden heutzutage in einem zunehmend komplexen und dynamischen Umfeld statt. Mit dem Begriff VUKA werden die damit verbundene Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit (ambiguity) ausgedrückt. Um mit diesen nichtlinearen Ursache-Wirkung-Beziehungen zurechtzukommen, reicht es nicht aus, ein einzelnes Projekt agil auszurichten. Vielmehr muss die Gesamtorganisation, in die das Projekt eingebettet ist, eine agile Transformation durchlaufen, um damit die Voraussetzungen für erfolgreiche agile Projekte zu schaffen. Die Systemtheorie bietet sich an, die Wirkungszusammenhänge zu beschreiben und entsprechende Schlussfolgerungen für das Management abzuleiten. Insbesondere die Theorie der Synergetik-- die Wissenschaft der Struktur-- vermittelt Erkenntnisse über die Eigenschaften komplexer Systeme. Hermann Haken fand heraus, dass Systeme unter bestimmten Rahmenbedingungen und einer gezielten Intervention sprunghaft neue Zustände annehmen können. Die dabei entstehenden Muster bilden sich durch Selbstorganisation des Systems aus, wie man das zum Beispiel bei den Formationsflügen von Vogelschwärmen beobachten kann. Aus diesen Erkenntnissen kann man systemische Ableitungen für die Wirkungsweise von Managementinterventionen in Organisationen treffen. 1 Transformationsmodell für Agile Management 1.1 Systemischer Ansatz Kernelement der Synergetik ist das Ordnungs-Parameter- Konzept (order parameter), bei dem nur wenige spezifische Parameter eine neue makroskopische Struktur bestimmen. Selbstorganisation findet statt, wenn ein System aus vielen nichtlinear interagierenden Subsystemen und externen Steuerungs- und Rahmenparametern (Energieflüsse, Umgebung) die Selbstorganisation [7, 8] unterstützt. Abbildung 1 gibt einen Überblick über das entwickelte Konzept für das Agile Management. Im oberen Teil ist das Transformationsmodell nach dem systemischen Verständnis der Synergetik dargestellt. Auf Systemebene gilt das organizational mindset (Mindset der Organisation als Ganzes) als einflussreichster Ordnungsparameter. Auf Sub-System Level, der Teamebene kann das entsprechende team mindset beobachtet werden, das eine Vielzahl von Variationen aufweist und mit dem organisatio- Wissen | Agiles Management-- ein systemischer Ansatz 54 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0056 nalen Mindset in Einklang stehen kann oder auch nicht. Die Rahmenparameter (setting parameter) beschreiben den relevanten Kontext für die jeweilige Perspektive der Organisation oder des Teams / Individuums. Die Intervention (control parameter) muss so gewählt werden, dass sie Resonanz im System verursacht. Im unteren Teil der Abbildung 1 findet sich eine Detaildarstellung des organisationalen Mindsets (der Unternehmenskultur) gemäß der Logik der Dilts-Pyramide. Die Governance, also der Führungsgrundsatz im Agilen Management, beruht auf dem Prinzip der Selbstorganisation, die als Reaktion auf eine vorgelebte Denkweise (lead mindset) zu einer emergenten Denkweise (emergent mindset, gelebte Kultur) der Organisation führt. Die agilen Techniken ergänzen das Gesamtbild, können aber nur in Organisationen geprägt durch ein Agile Mindset und der entsprechenden Governance ihre Wirkung vollständig entfalten. 1.2 Wirksames Management durch systemische Intervention Das Verständnis der Eigenschaften komplexer Systeme und des Denkens in Systemen und Szenarien ist für die heutigen Manager die Voraussetzung für wirksames Management in der VUKA-Welt. Es gilt, Organisationen in einem komplexen Umfeld zu führen und mit wechselnden Anforderungen agil umzugehen. In der Sprache der Systemtheorie bedeutet dies, eine Organisation zu ertüchtigen, zu jedem beliebigen Zeitpunkt eine angemessene Systemantwort generieren zu können. Dazu gehört es, der Organisation mit einem überzeugenden Unternehmenszweck einen Sinn (meaning oder purpose) zu geben, der für Orientierung und Klarheit für Entscheidungen auf allen Unternehmensebenen sorgt. Dies geschieht durch eine gelebte Mission und Vision, die Identität (identity) schafft und durch ein Wertegerüst (values) und Überzeugungen (beliefs) ergänzt wird. Damit werden die oberen drei Ebenen der Dilts Pyramide bedient, die die Ausrichtung von sozialen Systemen wie Unternehmen oder Institutionen bestimmen. Umso grösser ein Unternehmen oder eine Organisation generell ist, desto mehr steigt auch die innere Komplexität. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Komplexität per se ein Problem darstellt. Ashbys Prinzip der Kybernetik, „The Law of Requisite Variety“, lehrt uns: „Je größer die Vielfalt der Aktionen, die einem Steuerungssystem zur Verfügung stehen, desto größer ist die Vielfalt der Störungen, die es kompensieren kann.“ Für die unternehmerische Realität bedeutet dies, dass zur Bewältigung der Komplexität einer Umgebung ein gleiches oder größeres Maß an Komplexität innerhalb einer Organisation erforderlich ist, um Kontrolle zu erlangen. Manager sollten daher die Komplexität begrüßen, um die Komplexität der Umwelt zu regulieren. Der Komplexität einer Organisation kann man jedoch nicht mit einem Führungsstil gemäß dem Prinzip „Command and Control“ beikommen. Es muss ein neuer Führungsstil entwickelt werden, der der nichtlinearen Dynamik von komplexen Systemen gerecht wird. Das zugrundeliegende Prinzip für die Regulierung von Komplexität in einem Sozialsystem ist die Selbstorganisation gemäß unserem Verständnis für Agiles Management. Dadurch wird eine Organisation in die Lage versetzt, ohne langwierige hierarchische Abstimmungsprozesse in der betroffenen Einheit auf äußere Einflüsse unmittelbar zu reagieren. Die Entscheidung wird an der Stelle in der Organisation getroffen, wo Ursache und Wirkung dieser Entscheidung direkt spürbar sind, und so auch schnell nachreguliert werden Abbildung 1: Transformationsmodell für Agile Management 4.0 [1] Wissen | Agiles Management-- ein systemischer Ansatz 55 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0056 kann. Folglich bedeutet dies, dass die Systemparameter aus Abbildung 2 so zu justieren sind, dass sich Selbstorganisation in der gesamten Organisation einstellen kann Da das organisationale Mindset auf Unternehmensebene (System) einen wesentlichen Ordnungsparameter für eine Transformation zu Agilität darstellt, gilt es diesen entsprechend zu gestalten. Die Intervention kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden, der System- oder Unternehmensebene sowie auf Subsystembeziehungsweise Team oder Individualebene. Um eine Veränderung hin zu Agilität einzuleiten, verwendet der Leiter einer Organisation ein neues Lead-Mindset als Stimulus (Kontrollparameter). Er würde dies auf Systemebene tun, indem er die allgemeine Bedeutung und den Zweck der Veränderung erklärt sowie im Folgenden unter Einbindung der Organisation auf dieser Basis Werte und Prinzipien formuliert werden. Gleichzeitig würde er die neuen Werte mit jedem Einzelnen und jedem Team, dem er in seinem täglichen Geschäft begegnet, beispielhaft vorleben. Als Ergebnis seiner Interventionen entsteht emergent eine neue gelebte Unternehmenskultur mit einer insgesamt veränderten Denkweise. Natürlich muss der Leiter sicherstellen, dass die Rahmenparameter die Veränderung zur Agilität unterstützen, indem das Arbeitsumfeld oder die Anreize angepasst werden. Nach der Theorie der sprunghaften Veränderung von komplexen Systemen gibt es einen Wendepunkt in Organisationen, in denen die neue Denkweise dominant wird. In der Regel wird dieser Punkt erreicht, wenn 30 % der Mitarbeiter die Veränderung unterstützen. Was bei der Einführung von Agilität in Unternehmen weithin schiefläuft, lässt sich sehr gut anhand der Dilts Pyramide erläutern. Die neurologischen Ebenen der Dilts Pyramide [6] dienen uns als Beschreibungs- und Interaktionsmodell für das Mindset bzw. die Kultur im Unternehmen. Die Ebenen von Sinn, Identität, Werte & Überzeugungen, Fähigkeiten, Verhalten und Umgebung & Kontext der Dilts-Pyramide werden in einer hierarchischen Beziehung definiert. Eine Ebene organisiert die Informationen auf der nächsten darunter liegenden Ebene, was bedeutet, dass Änderungen auf einer Ebene Änderungen auf der nächsten Ebene verursachen. In der Regel können Probleme auf der nächsthöheren Ebene im Vergleich zu derjenigen, wo sie aufgetreten sind, gelöst werden. Um agil zu werden, starten die meisten Unternehmen ein Schulungsprogramm für agile Techniken für ihre Mitarbeiter. Am Anfang sind die Mitarbeiter motiviert, aber nach einer Weile stoßen sie bei der Umsetzung an Grenzen. Was ist passiert? Die Ausbildung der Techniken erfolgt auf der Ebene der Fähigkeiten und des Verhaltens. Die höheren Ebenen der Dilts-Pyramide (Werte, Identität und Sinn) wurden jedoch in dem Zustand belassen, in dem sie sich vor der Änderung befanden, und wurden nicht angepasst. Da die höheren Ebenen die darunterliegenden beeinflussen, behindern die alten Werte und Überzeugungen die Veränderungen auf den darunterliegenden Ebenen und das ehrgeizige Unterfangen muss scheitern. Das Problem lässt sich mit „Doing agile instead of being agile! “ beschreiben. Für eine erfolgreiche Transformation muss sichergestellt werden, dass die oberen Ebenen Teil der Veränderung sind. Oder anders ausgedrückt: Ohne eine Veränderung der Denkweise hin zu einem agilen Mindset der Gesamtorganisation kann die Transformation nicht gelingen. Die Prinzipien des systemischen Denkens für das agile Management gelten selbstverständlich in aller Konsequenz auch für die Projektebene (inklusive Programm- und Portfolioebene), wo es gilt, das agile Mindset und die Governance der Selbstorganisation bei den zugehörigen Teams zu etablieren. Hier befinden wir uns auf der Subsystemebene, die in fraktaler Logik der Systemebene folgen muss. 2. Mindset Wie oben dargelegt, ist ein Agile Mindset eine unabdingbare Voraussetzung, um Agilität in einem Unternehmen erfolgreich zu etablieren. Das Mindset der Organisation als Ganzes kann man auch mit der Unternehmenskultur gleichsetzen. Abbildung 2: Wirkungsgefüge basierend auf der Theorie der Synergetik [1] Wissen | Agiles Management-- ein systemischer Ansatz 56 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0056 Kultur wird von Trompenaar [17] als die Art und Weise beschrieben, wie Probleme in einer Gruppe von Menschen oder Organisationen gelöst werden. Darüber hinaus vergleicht Trompenaar [18] den Begriff Kultur mit den Schichten einer Zwiebel: Kultur ist etwas, dass man Schicht für Schicht angehen muss. Dabei unterscheidet er zwischen expliziter und impliziter Kultur. In der Analogie der Zwiebel wird die explizite Kultur in den äußeren Schichten dargestellt. Dies sind die Dinge, die zuerst spürbar und beobachtbar sind, wie Aussehen, Sprache, Kleidung und Essen. Darunter befindet sich die implizite Kultur, die schwer zu erkennen und zu durchdringen ist. Aspekte wie Werte, Normen und Überzeugungen, die verborgen sind, werden der impliziten Kultur zugeschrieben. Im Kontext des AM4.0-Ansatzes verwenden wir den Begriff „Mindset“ und definieren ihn als eine Denkweise oder eine Reihe von Annahmen, Methoden und Notationen. Diese Denkweise kann von Einzelpersonen oder Gruppen von Einzelpersonen geteilt werden und bietet einen starken Anreiz, frühere Verhaltensweisen, Entscheidungen oder Werkzeuge aufrechtzuerhalten. Dieses Phänomen kann auch als „Gruppendenken“ (groupthinking) bezeichnet werden. Es kann für zukünftige Analyse- und Entscheidungsprozesse schwierig sein, dieses alte Denkmuster, diese alten Strukturen, zu durchbrechen und entgegenzuwirken. Die Dilts Pyramide, die aus dem Neurolinguistic Programming (NLP) bekannt ist, ist ein einfaches, aber sehr effektives Modell zur Darstellung eines Mindsets [6]. Sie stellt eine Erweiterung der Maslow Pyramide der Bedürfnisse dar und wird im NLP als Schlüsselmodell für individuelle und organisatorische Veränderungs- oder Transformationsprozesse verwendet. Die in Abbildung 3 dargestellte Dilts Pyramide besteht aus sechs Ebenen: Umgebung & Kontext, Verhalten, Fähigkeiten, Werte & Überzeugungen, Identität und als oberste Ebene Sinn. Diese Elemente sind in einer hierarchischen Reihenfolge angeordnet. Diese hierarchische Reihenfolge wird als Hierarchie neurologischer Ebenen bezeichnet [6]. Die obersten drei Ebenen der Dilts Pyramide können auch als implizite Kultur beschrieben werden (vgl. Trompenaar), die auch die Art des Denkens einschließt. Dagegen entsprechen die Ebenen Fähigkeiten und Verhalten der expliziten Kultur (vgl. Trompenaar), die sich auf die beobachtbaren Aktionen bezieht. Diese obersten fünf Ebenen beschreiben die Kultur oder-- wie wir es im AM4.0-Ansatz nennen- - das Mindset, die bzw. das jedoch immer Hand in Hand mit dem Kontext und der Umgebung geht. Die Kontext- und Umgebungsebene steht in einer ständigen Interaktion mit dem Mindset. Daher wird es immer in Relation zueinander betrachtet. Die Ebenen der Dilts-Pyramide können dabei-- wie in Abschnitt 1 beschrieben- - die Prinzipien eines individuellen, teamorientierten oder organisatorischen Mindsets beschreiben. Das bedeutet, dass diese Inhalte der Ebenen die Denk- und Handlungsweise der Menschen beeinflussen, allerdings in unterschiedlichem Maße (je nach hierarchischer Ordnung). Dabei kann die Ebene der Umgebung und des Kontextes sehr unterschiedlich sein, je nach der Perspektive eines Systems, Subsystems oder eines Individuums. Das bedeutet, dass eine Organisation, die agil werden will, ein neues, ein Agile Mindset braucht. Denn nur dieses Agile Mindset kann als Anregung zur Selbstorganisation dienen und einen Transformationsprozess für die gesamte Organisation einleiten (vgl. Abb. 1). Bereits einige Führungspersönlichkeiten reichen aus, um diesen Impuls mit einem neuen Agile Mindset zu geben und so den Transformationsprozess zu initiieren [12]. 3. Governance und Selbstorganisation Unterschiedliche Governance-Ansätze unterscheiden agile Organisationen von nicht-agilen Organisationen. Sie ermöglichen agilen Organisationen in VUKA-Umwelten höhere Leistungsniveaus als konventionell aufgestellten Organisationen. Sehr häufig wird im Bezug zu Agilität das Schlagwort „Selbstorganisation“ verwendet. Dies ist auf Team-Ebene ein oft hilfreicher normativer Ansatz, für gesamte Organisationen muss die Denkweise jedoch etwas erweitert werden. Der Agile Management-Ansatz versteht Selbstorganisation als beobachtbares Phänomen dynamischer Systeme. Beispielsweise bildet Sand auf einer Lautsprecherplatte spezifische Muster aus, oder Flüssigkeiten bilden geometrische Muster aus, wenn sie bis zum Sieden erhitzt werden. Diese Muster folgen Naturgesetzen und sie bilden oft optimale, energieminimale Systemzustände ab. Diese Sichtweise soll im Agilen auch für Organisationen eingenommen werden. Als Hilfestellung helfen uns drei Parameter-Typen, mit denen Systeme eingeordnet werden können, nämlich anhand ihrer Rahmenparameter, ihrer Kontrollparameter und Ordnungsparameter. Diese leiten wir von [7], [8] und [16] ab, setzen sie aber teilweise auf spezifische Weise ein. Zunächst beschreiben die Rahmenparameter die externe Umgebung eines Systems. Es wird Einfluss auf das System selbst haben, denn an seinen Rändern wird das System mit seiner Umgebung interagieren. Zweitens beschreiben die Abbildung 3: Ebenen der Dilts-Pyramide [1] Wissen | Agiles Management-- ein systemischer Ansatz 57 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0056 Ordnungsparameter, inwieweit ein System ausgerichtet ist und auf welche Referenzpunkte diese Ausrichtung gerichtet ist. Drittens beschreiben Kontrollparameter, wie die Systeme von innen oder von außen beeinflusst werden. Mit Hilfe dieser definierten Parametertypen sind wir in der Lage, soziale Systeme hilfreich zu beschreiben. Der Rahmenparameter für ein agiles Team innerhalb einer Organisation wird beispielsweise von dem Product Owner gesetzt, indem er als Gatekeeper für das Team die von außen eingebrachte Komplexität reduziert und somit ein fokussiertes Arbeiten in Sprints ermöglicht. Das Team wiederum wird von einem agil denkenden Leiter oder Scrum Master zu einem höheren Grad an Agilität geführt (Kontrollparameter) und weist damit agile Eigenschaften-- wie z. B. hohe Reaktionsfähigkeit auf sich ändernde Anforderungen-- auf, weil es ihre Aktivitäten nach einer gemeinsamen, agilen Denkweise ausgerichtet hat (Ordnungsparameter). Im Sinne der Agilität wird das Team in der Praxis wiederholt über seine Selbstregulierungsprozesse, gemeinsame Ziele und anstehende Aufgaben nachdenken und sich somit selber agil halten. Ein hierarchisches Zielsystem (OKR- - objectives and key results) sorgt im Rahmen der Governance für die Ausrichtung der Teams und der Gesamtorganisation. 4. Techniken im Agile Management 4.0-Ansatz Der Fokus von Agile Management 4.0 liegt auf der Schaffung von Business-Agilität. Dafür haben wir im AM 4.0 durch die Integration der konzeptionellen Eckpfeiler wie Mindset und Lernen, Meta-Kompetenzen und Führung, Selbstorganisation und komplexe Systeme sowie fluide Organisationen und Transformation die notwendigen Grundlagen gelegt. Der AM 4.0-Ansatz ermöglicht folglich ein besseres Verständnis agiler Praktiken und ihrer Wirkmechanismen. Darüber hinaus richten wir den Fokus auf jene Bestandteile, die wir für die grundlegenden und notwendigen Meta- Kompetenzen halten, um Agilität in einer komplexen Welt zu entwickeln. Sie beschreiben Fähigkeiten, die jeder im Kontext einer sich immer schneller verändernden Arbeitswelt beherrschen sollte, um erfolgreich, selbstwirksam und gesund zu bleiben. Doch diesem Verständnis eines umfassenden Kanons von Meta-Kompetenzen widerspricht die gängige Idee, bei der es ausreicht, individuelle agile Methoden und Techniken in die Abbildung 4: Selbstorganisation und ihre relevanten Parameter [1] bestehende organisatorische Landschaft zu integrieren. In der Regel als hybrider Ansatz beschrieben, stellt er heute das am meisten verbreitete Szenario von „hybrider Praxis“ dar und es ist ein gängiges Verfahren in Unternehmen, wo man sich auf „agile Techniken“ konzentriert. Im Schlepptau dieses Ansatzes soll eine Agilisierung der aktuellen Organisation erreicht werden. Der Aufbau agiler Teams und Rollenstrukturen sowie die spezifische Anwendung agiler Techniken steht dabei im Mittelpunkt. Bei diesem Vorgehen geht man davon aus, dass die Einführung agiler Teams und agiler Techniken automatisch die gewünschte geschäftliche Agilität sicherstellt. Aus der Perspektive eines AM 4.0 ist dies jedoch keineswegs gegeben. Viel eher unterliegt man mit dieser Auffassung einem logischen Irrtum oder wie es Klaus Leopold ausdrückt man „erliegt einfachen Ableitungen“ [11, S. 34]. Denn plötzlich stehen methodische Fragen und die korrekte Anwendung der empfohlenen agilen Techniken im Vordergrund. „Aber bei Business Agilität geht es nicht nur um pure Geschwindigkeit. Es geht darum, wie gut man Veränderungen im Markt erkennen und darauf reagieren kann und wie man größere und besser einzuschätzende Risiken eingehen kann.“ [10, S. 274]. Wir sind daher davon überzeugt, dass die zu hohe Konzentration auf agile Techniken im Kern dazu führt, dass Mittel und Ziele agiler Bemühungen durcheinandergebracht werden. Die Einführung agiler Techniken, Methoden und Artefakte garantiert keine Transformation hin zu mehr unternehmerischer Agilität sowie von Prozessen der Selbstorganisation im Unternehmen. Genauso wie die Digitalisierung ineffizienter manueller Prozesse durch den Einsatz digitaler Informationssysteme nicht notwendigerweise zu enormen Produktivitätssteigerungen führt, wird die Verbesserung der individuellen Teamproduktivität lokal durch den Einsatz agiler Techniken nur bedingt das Gesamtergebnis eines Unternehmens erhöhen (globale Optimierung hin zum Geschäftserfolg). Der bloße Einsatz agiler Arbeitspraktiken führt eben nicht zwingend zu einer grundlegenden Veränderung der Einstellung und des Verhaltens von Mitarbeitern. So wie bei vielen Change-Projekten zeigt sich auch bei der viel gepriesenen Agilisierung immer wieder, wie Mitarbeiter ihr Verhalten schnell an die neuen Gegebenheiten anpassen, sobald sich die Zusammenhänge geändert haben. Das ist innerhalb des synergetischen Resonanzrahmens auch ganz normal, so dass Maßnahmen in komplexen Systemen sehr wahrscheinlich nichtlineare Effekte verursachen. Es bleibt eben völlig ungewiss, ob sich die gewünschten Ergebnisse effektiv realisieren lassen. Genauso ist es aber auch den Akteuren überlassen, die notwendige Arbeit an den Werten und an den Veränderungen ihrer eigenen inneren Motive durchzuführen.* Wir kennzeichnen aus diesem Grund diese Art des Vorgehens als eine Form von Hybridmodell: Obwohl es agile Techniken im Unternehmen einführt, erfüllt es nur teilweise die Transformationsarbeit, die für die Veränderungsaufgabe zu agilem Denken und Handeln notwendig ist. Im schlimmsten Fall kann es sogar komplett aus den Augen verloren gehen. In der realen Praxis treffen dann klassisch aufgestellte Organisationseinheiten auf agile Formationen, die sich in ihrer täglichen Arbeit über unterschiedliche Prinzipien und Methoden abgrenzen und doch austauschen müssen. Ideologisch anmutende Glaubenskämpfe sind dabei nicht selten anzutreffende Effekte einer solchen Praxis. Damit verhindern sie aber eher den Wandel, als dass sie ihm nützen. Wissen | Agiles Management-- ein systemischer Ansatz 58 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0056 Im Gegensatz zum technologiezentrierten Konzept der unternehmerischen Agilität betont unser AM 4.0-Ansatz das Zusammenspiel von Mindset, Governance und Verhaltensanpassung entlang synergetischer Muster. Im Mittelpunkt des Ansatzes steht die Klärung der Denkweise aller Akteure. Erreicht wird das über die Etablierung und Ausrichtung entlang einer gemeinsamen Vision. Sobald agile Denkweisen und Haltungen aufgebaut sind, wird eine Ausrichtung über koordinierte Leitlinien und gemeinsam erarbeitete Governance-Regeln ermöglicht. Am Ende steht die von den Beteiligten getragene Anwendung sowohl agiler als auch klassischer (d. h. traditioneller) Managementtechniken, um im Sinne des unternehmerischen Erfolges die größte Wirksamkeit zu entwickeln. Das Agile Mindset in AM 4.0 integriert bewusst die traditionellen Praktiken, da aus dieser Perspektive die klassischen / traditionellen Methoden und Techniken keine Hindernisse darstellen und eine Agilisierung nicht per se behindern. Es ist vielmehr die Denkweise der Menschen, die Beweglichkeit verhindert [13, S. 41]. Die obige Abbildung soll diesen zentralen Zusammenhang im AM 4.0 nochmals veranschaulichen (siehe Abbildung 5).** Obwohl AM 4.0 ergebnisoffen und variabel auf der Ebene der angewandten Methoden ist, legen wir gewisse Schwerpunkte der in produkt- und projektorientierten Organisationen anzuwendenden Techniken. Unsere praktischen Empfehlungen konzentrieren sich auf die Prinzipien der Theorie der Beschränkungen (TOC) und die Anwendung von Critical Chain Projekt Management (CCPM). Die Hauptannahme ist, dass die geschäftliche Agilität und die Leistung einer Organisation von der Arbeitslast am Engpass des Systems abhängen. Dies bedeutet, dass eine Organisation ihre Entscheidungen auf ihre Fähigkeit stützen sollte, ihren Engpass optimal auszunutzen und schädliches Multitasking sowie Überlastung in der Organisation zu beseitigen. Darüber hinaus gehen wir in Agile Management 4.0 davon aus, dass es keine Standard- Dilts-Pyramide und damit keine einheitliche und allgegenwärtige Denkweise für die agile Organisation gibt. Im Gegenteil: Jede Organisation ist verpflichtet, ihren eigenen individuellen Weg zu gehen. Die in AM 4.0 eingesetzten Rahmenwerke integrieren die notwendigen Meta-Kompetenzen in ein Führungskonzept für das Management von Unternehmen in einer agilen Welt. Am Beispiel des agilen Projektmanagements lässt sich dies wie folgt veranschaulichen: • Auf Makroebene werden Vision und Mission klar als Ordnungsparameter definiert und in eine Zielhierarchie und ein großes Bild für die Organisation übersetzt. • Dementsprechend wird auf Portfolioebene entlang der Kapazität des Engpasses eine Staffelung der durchzuführenden Projekte und Aufgaben festgelegt. • Die Umgebung, in der das Projekt arbeitet, ist klar definiert und die Rahmenparameter sind bekannt. Die Leitlinien und die Formen der Zusammenarbeit spiegeln sich in der Projektleitung wider. • Auf Mikroebene werden die Projekte an der Auslastung des Engpassfaktors gesteuert, und sogenannte Fieberkurven spiegeln das Verhältnis von Projektfortschritt und Pufferverbrauch am Engpasse wider. Dadurch wird sichergestellt, dass etwaige Defizite frühzeitig erkannt und geeignete Abhilfemaßnahmen ergriffen werden können. Der Steuerungsparameter des Systems ist die Aufrechterhaltung des Workflows als „one-Piece-Flow“ und der gewünschte Steuerungsparameter ist ein Work in Progress (WIP) von 1. • Schließlich werden auf Arbeitsebene der Workflow und das Arbeitsvolumen (Backlog) innerhalb der Teams mit Puffer- und Taskboards (Scrum oder Kanban) sichtbar gemacht. Was hier am Beispiel eines einzelnen Projekts veranschaulicht wird, kann nun erweitert und auf die größeren Aggregate wie Portfolio, Programm, Abteilung und Unternehmen skaliert werden. Auf jeder Ebene müssen jedoch die relevanten Spezifikationen im Detail entwickelt werden. Fazit Das Hauptargument in diesem Beitrag ist, dass ein agiles Mindset eine unverzichtbare Voraussetzung für alle agilen Praktiken ist. Die Wahl der Techniken muss vor dem Hintergrund übergeordneter Meta-Kompetenzen getroffen werden. Diese Techniken können je nach Anwendung aus agilen, klas- Abbildung 5: Szenario einer agilen Organisation von Agile Management 4.0 [1] Wissen | Agiles Management-- ein systemischer Ansatz 59 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0056 sischen oder hybriden Elementen bestehen. Das wesentliche Mittel in der Governance für Agilität ist die Fähigkeit, Selbstorganisation zu induzieren und zu entwickeln sowie sie in einem strukturierten Zielemanagement auszurichten. Literatur [1] Tuczek, H., Flore, A., Nuhn, H. F. R., and Schaffitzel, N.: A systematic approach to agile management and selforganization for a sustainable transformation of organizations. In: Ronggui, D; Wagner, R; Bodea, C. N. (Eds.) (2021): Research on Project, Programme and Portfolio Management. Projects as Arena for Self-organizing. London: Springer, 2021. [2] Ashby, W. R.: An Introduction to Cybernetics. Chapman & Hall Ltd., London (1957) [3] Bier, S.: Kybernetik und Management. 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Journal of Management Studies. 25. 557-573. 10.1111 / j.1467- 6486.1988.tb00047.x (1988) [10] Kim, G., Behr, K., Spafford, G.: Projekt Phoenix, O'Reilly Verlag GmbH & Co. KG, Heidelberg (2015) [11] Leopold, K.: Agilität neu denken. LEANability GmbH, Wien (2018) [12] Oswald, A., Müller, W. (ed.): Management 4.0- - Handbook for agile practices, Release 3.0, BoD, Norderstedt (2019) [13] Oswald, A., Tuczek, H.: Principles of Agile Leadership 4.0. In: Oswald, A., Müller, W.: Management 4.0-- Handbook for agile practices, Release 3.0, BoD, Norderstedt (2019) [14] Patzelt, M.: Die Unternehmenspyramide als Vermittlerin zwischen Marketing-, Strategie-und Personalbereich. In: Brinkmann, M. (Hrsg.): Besser mit Business NLP, DVNLP e. V., Berlin (2010) [15] Sackmann, S.: Erfolgsfaktor Unternehmenskultur: Mit kulturbewusstem Management Unternehmensziele erreichen und Identifikation schaffen- - 6 Best Practice- - Beispiele, Bertelsmannstiftung, Gabler, 1.Auflage (2004) Hubertus C. Tuczek Hubertus C. Tuczek ist Professor für Management und Führung an der Hochschule Landshut und kann auf mehr als 25 Jahre in leitenden Managementfunktionen in der Automobil- und Luftfahrtindustrie zurückblicken. Sein Forschungsschwerpunkt liegt bei Führung in der Digitalen Transformation. Hierzu veranstaltet er ein jährlich stattfindendes Leadership Forum und ist Herausgeber der Buchreihe Landshut Leadership. Er ist Mitglied der GPM Fachgruppen „Agile Management“ und „Projektmanagement an Hochschulen“. www.haw-landshut.de/ landshut-leadership email: hubertus.tuczek@haw-landshut.de Agnetha Flore Dr.-Ing. Agnetha Flore ist seit April 2020 im Zentrum für digitale Innovationen Niedersachsen tätig und hat dort im Oktober 2021 die Geschäftsführung übernommen; studierte Diplom-Kauffrau und promovierte Wirtschaftsinformatikerin; über 20 Jahre Tätigkeit in der Finanzdienstleistungsbranche; 2017 Zertifizierte Projektmanagerin (GPM); 2019 Zusatzzertifikat Hybrid+; 2019 Dozentin IBS Oldenburg für agiles Projektmanagement, 2019 GPM Fachgruppe Agiles Management und seit 2021 mit in der Fachgruppenleitung tätig. Anschrift: ZDIN Escherweg 2 26121 Oldenburg Telefon: 0441 / 9722-102 eMail: agnetha.flore@zdin.de Helge Nuhn Helge Nuhn ist Professor für Digital Business Engineering der Wilhelm Büchner Hochschule Darmstadt und Leiter der Fachgruppe Agile Management. Er ist Wirtschaftsinformatiker (TU Darmstadt), promovierte zum Thema temporärer Organisationsformen an der EBS Universität und arbeitet seit 2008 als Unternehmensberater selbständig und für namhafte Unternehmensberatungen, üblicherweise in Digitalisierungsprojekten zum Umgang mit ihren organisationalen Herausforderungen. Anschrift: Wilhelm Büchner Hochschule Hilpertstraße 31 64295 Darmstadt Internet: www.wb-fernstudium.de eMail: helge.nuhn@wb-fernstudium.de Wissen | Agiles Management-- ein systemischer Ansatz 60 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0056 [16] Strunk, G., Schiepek, G.: Systemische Psychologie-- Eine Einführung in die komplexen Grundlagen menschlichen Verhaltens. München (2006) [17] Trompenaars, F.: Riding the Waves of Culture. 1993: Nicholas Brealey in London [18] Trompenaars, F.: Riding the Waves of Culture. 1998: Nicholas Brealey in London [19] Tuczek, H. (ed.): Management 4.0 und die Generation Y. Landshut Leadership Band 2. Shaker, Aachen (2017) [20] West G. / Ferguson N. / Syed M.: Scale, Weidenfeld & Nicolson, London (2017) [21] Wiener, N.: Kybernetik: Steuerung und Kommunikation im Tier und in der Maschine (1965) * Da Menschen selbstorganisierende komplexe Systeme sind, ist dieses Anpassungsverhalten logisch. ** An dieser Punkt möchten wir ein weiteres hybrides Szenario erwähnen, das wir „Agile Island“ genannt haben. Siehe hierzu den Artikel „Vergleich des Hybridmanagements“ in Ausgabe 2 (2020) von PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL. Eingangsabbildung: © iStock.com / imaginima Norbert Schaffitzel Dipl.-Volkswirt und Dipl.-Kfm, Studium von Volks- und Betriebswirtschaftslehre in Freiburg und Berlin, über 30 Jahre Tätigkeit in der IT-Branche- - zuerst als Entwickler und seit 1996 als Projektmanager bei der DB Systel GmbH, seit 2007 zertifiziert nach GPM-Standard, seit 2015 Mitarbeit in der GPM-Fachgruppe Agiles Management. Anschrift: DB Systel GmbH Jürgen-Ponto-Platz 1 60329 Frankfurt am Main Telefon: +49 69 265 18340 eMail: norbert.schaffitzel@deutschebahn.com Ulrich Engelmann, Martin Baumann Zielführend moderieren Kompetenzen - Methoden - Wege zum Gesprächserfolg 1., Auflage 2022, 438 Seiten €[D] 34,90 ISBN 978-3-8252-5689-0 eISBN 978-3-8385-5689-5 In der Teamarbeit wird Moderation zum Erfolgsfaktor, der jedoch häufig unterschätzt wird. Ausgehend vom persönlichen Kompetenzniveau verknüpft dieses Buch Grundlagen und Methoden zu Wegen, um Ihre persönliche Entwicklung individuell zu begleiten: Einsteiger: innen finden hilfreiche Checklisten und Basistechniken für ihre ersten Moderationen, Fortgeschrittene wertvolle Praxistipps und Methoden für den Ausbau ihrer Moderationskompetenz. Profis schließlich genießen eine raffinierte Aussicht auf weniger bekannte Techniken und neue Anwendungen. Weiterführende Exkurse zum Meeting-Management und zur Online-Moderation runden den Anwendungshorizont ab. Ob in Beruf, Studium oder Ehrenamt - derart ausgestattet gelingen Ihre eigene sowie die Entwicklung Ihres Teams durch zielführende Moderation. 61 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0057 Auf dem Weg zu mehr Agilität: Ein Feld für Projekteinsätze von Beschäftigten aus Unternehmen in öffentlichen Verwaltungen Christoph Richter Für eilige Leser | Behörden bewegen sich vielfach in dem Spagat des weiterhin relevanten Bürokratiemodells und der Notwendigkeit zu mehr Agilität. Ohne entsprechende Voraussetzungen in der Führungskultur bleibt Agilität allerdings eine Worthülse, die eher auf Ablehnung stößt, als zur Bewältigung der Herausforderungen im Rahmen des Geschäftsauftrags beizutragen. In Anlehnung an den Ausdruck des „Green Washing“, der im Zusammenhang mit dem Marketing von Unternehmen zu ihrer nachhaltigen Wirtschaftsweise verwendet wird, könnte man auch von „Agile Washing“ sprechen, wenn zwar Agilität genannt wird, aber die Voraussetzungen für Agilität in der Verwaltungskultur nicht geschaffen werden. Beschäftigte aus Unternehmen können im Rahmen von Projekteinsätzen öffentliche Verwaltungen dabei unterstützen, Zielorientierung, Wettbewerbsdenken, professionelles Projektmanagement und externe Perspektiven in das Verwaltungshandeln zu integrieren. Schlagwörter | Agile Behörden, Behördenkultur, Benchmarking, Change-Projekt, Ineffizienzkreislauf, Leadership, Mikromanagement, Perspektivenwechsel, Projektmanagement, SWOT-Analyse, Zielorientierung 1. Vorbemerkung Hierarchie und Recht sind die wesentlichen Steuerungsinstrumente im Bürokratiemodell von Max Weber, das auch heute noch eine Säule des demokratischen Rechtsstaats in Deutschland bildet. [1] Als Vorteil dieses Modells erweist sich bis in die Gegenwart hinein die Professionalisierung der öffentlichen Verwaltung mit der Folge, [2] dass die Korruption des öffentlichen Sektors in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern als sehr gering eingestuft wird. [3] Nachteilig ist häufig das Denken und Handeln in fachlichen Silos („Wer ist zuständig? “), sodass Interessen von Bürgern und Bürgerinnen ins Hintertreffen geraten können. Diesen Aspekt nimmt der aktuelle Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ auf, wonach im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung behördenübergreifende Projektteams gebildet werden sollen, um die Agilität öffentlicher Verwaltungen zu erhöhen. [4] Agilität beschreibt dabei kein betriebswirtschaftliches Methodenset, das sich analog zu Buchhaltungstechniken allein über intensive Schulungsmaßnahmen aneignen lässt. Vielmehr geht Agilität einher mit einer Haltung aus Risikobereitschaft und Lernbereitschaft. Dieses Mindset betrifft die Kultur einer Institution mehr als deren Aufbau- und Ablauforganisation. Bereits seit einigen Jahren finden sich Beispiele von öffentlichen Verwaltungen, die agile Methoden in der Softwareentwicklung [5] anwenden. Des Weiteren werden in einzelnen Kommunen zur Aufgabenbewältigung Projektorganisationen eingerichtet, die sich agiler Arbeitsweisen bedienen. [6] Der aktuelle Koalitionsvertrag sieht auch vor, den Personalwechsel zwischen privatwirtschaftlich geführten Unternehmen und Behörden zu erleichtern. [7] Der Blick von außen eröffnet Möglichkeiten zu Perspektivenwechseln, die wiederum Weiterentwicklungen und Verbesserungen begünstigen. Dieses Vorhaben ließe sich realisieren, indem der Personalwechsel z. B. über Tausch-Lotsen und eine spezifische Jobbörse institutionalisiert wird. Die Entwicklung von Agilität bietet sich als Inhalt von derartigen Projekten der öffentlichen Verwaltungen an, in denen Beschäftigte aus privatwirtschaftlich Wissen | Auf dem Weg zu mehr Agilität 62 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0057 geführten Unternehmen temporär zum Einsatz kommen. Die nachfolgenden Ausführungen, die auf persönlichen Erfahrungen des Autors im Rahmen von behördlichen Projekteinsätzen beruhen, sollen aufzeigen, in welchen konkreten Feldern des agilen Arbeitens Behörden Unterstützungsbedarfe durch Beschäftigte aus Unternehmen erkennen lassen. Dazu werden zunächst die wesentlichen Rahmenbedingungen von öffentlichen Verwaltungen skizziert, bevor ein Grundproblem einzelner öffentlicher Verwaltungen am Modell des Ineffizienzkreislaufs dargestellt wird. Zur Durchbrechung dieses Kreislaufs ist ein kulturbezogener Veränderungsprozess erforderlich, dessen Umsetzung sich daran erkennen lässt, inwieweit Führungsgrundsätze tatsächlich gelebt werden. Abschließend werden vier konkrete Projekteinsatzfelder genannt, in denen Führungskräfte aus Unternehmen Behörden auf ihrem Weg zu Agilität unterstützen können. 2. Rahmenbedingungen öffentlicher Verwaltungen Mit Rahmenbedingungen von öffentlichen Verwaltungen sind deren Besonderheiten gegenüber privatwirtschaftlich geführten Unternehmen gemeint, die bei der Einführung von betriebswirtschaftlichem Know-how und von Managementtools in Behörden zu beachten sind. Die von Max Weber herausgearbeiteten grundlegenden Prinzipien von öffentlichen Verwaltungen treffen auch gegenwärtig zu. Dazu zählen u. a.: rationale Herrschaft, Amtshierarchie, feste Amtskompetenzen, Trennung zwischen Verwaltungsstab und Verwaltungsmittel, Aktenmäßigkeit. [8] Weiterhin kennzeichnend für öffentliche Verwaltungen ist die Einflussnahme durch politische Entscheidungsträger. In diesem Zusammenhang wird von einer politisch-administrativen Führungsstruktur öffentlicher Verwaltungen gesprochen. Beispielsweise unterliegen Bundesbehörden der Dienst- und Fachaufsicht durch übergeordnete Bundesministerien. Verwaltungen erbringen Leistungen zur Daseinsvorsorge wie z. B. Gesundheitsschutz und Jugendschutz. Die Leistungserbringung ist vorgeschrieben, ohne dass Gewinne im betriebswirtschaftlichen Verständnis erzielt werden. Im Sinne einer Multirationalität [9] ist allerdings zusätzlich zur Erfüllung des Geschäftsauftrags auf einen sparsamen und wirtschaftlichen Umgang mit öffentlichen Finanzmitteln zu achten. Im Ergebnis hat die Erfüllung der Sachziele Vorrang gegenüber der Erfüllung von Formalzielen. Zumindest in der Eingriffsverwaltung gleicht die Arbeit von Behörden einer algorithmischen Vorgehensweise, wonach immer dann, wenn bestimmte Ereignisse eintreten, ein vordefiniertes Handeln ausgelöst wird. Diese „wenn-dann-Logik“ unterscheidet sich von einer „um-zu-Logik“, nach der Handeln auf die Erreichung von Zielen ausgerichtet wird. Mitarbeiter [10] von öffentlichen Verwaltungen handeln häufig präventiv. In diesen Fällen lässt sich schwer abschätzen, wie hoch Nutzen und Kosten bei Durchführung dieser Maßnahmen im Vergleich zu Nutzen und Kosten bei Unterlassen sind. Das Phänomen der fehlenden monetären Bewertung von Leistungen öffentlicher Verwaltungen begegnet uns auch z. B. im Fall von Kommunikations- und Informationsaufgaben (vgl. z. B. Kampagnen im Zuge von Umweltschutzmaßnahmen). Nicht zuletzt aufgrund des fehlenden Profitabilitätsanspruchs sind Behörden regelmäßig keinem Wettbewerb mit vergleichbaren Institutionen ausgesetzt. Insbesondere in Bundesbehörden ist die Kameralistik das dominierende betriebswirtschaftliche Informationssystem. Für die Kameralistik ist die Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben charakteristisch. Die Auswirkungen von Transaktionen auf betriebswirtschaftliche Ergebnisgrößen wie z. B. Erträge und Aufwendungen sowie auf Vermögensgegenstände der öffentlichen Haushalte bleiben unberücksichtigt. In Demokratien kommt den Dimensionen Legalität und Legitimität von Verwaltungshandeln eine hohe Bedeutung zu. Das gilt insbesondere für die Eingriffsverwaltung, die mit Freiheitseinschränkungen von Individuen verbunden ist und gerichtlichen Überprüfungen standhalten muss. Neben einer starken Berufskultur („Professionskultur“) erschweren oftmals Tendenzen zum Lock-in und zur Pfadabhängigkeit Veränderungen in öffentlichen Verwaltungen. [11] In diesem Zusammenhang sind z. B. folgende Aussagen zu hören: „Die Situation ist historisch gewachsen.“; „Bereits vor fünf Jahren haben wir diskutiert, inwieweit wir die Behörde Abbildung 1: Ineffizienzkreislauf öffentlicher Verwaltungen Wissen | Auf dem Weg zu mehr Agilität 63 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0057 als Marke positionieren.“; „Diesen Ansatz hatten wir bereits.“; „Die beabsichtigte Neuerung war auch bisher nicht möglich.“ 3. Ineffizienzkreislauf als Problem von einzelnen Behörden Insbesondere öffentliche Verwaltungen, die in die öffentliche Kritik geraten sind, bewegen sich regelmäßig in einem Ineffizienzkreislauf, der in vier Hauptphasen (vgl. Abbildung 1) verläuft. Am Anfang steht die von Außenstehenden geäußerte Kritik an Verwaltungsfehlern oder an der fehlenden Sichtbarkeit einer Behörde. Zu den Kritikern zählt neben der allgemeinen Öffentlichkeit oftmals auch das verantwortliche Ministerium, dem wiederum seitens der Öffentlichkeit politisches Versagen vorgeworfen wird. Die Behördenleitung gibt die Kritik in die Behördenorganisation weiter und zeigt sich zunehmend misstrauisch gegenüber den Mitarbeitern und deren Arbeitsweisen sowie Arbeitsresultaten. Veränderungsdruck entsteht und mit Unterstützung durch Unternehmensberater wird ein Change-Projekt gestartet. Als erstes Ergebnis dieser Erkenntnis werden Instrumente der Betriebswirtschaftslehre genutzt. Dazu zählen die Verwendung der SWOT-Analyse [12] zur Bestandsaufnahme sowie die Formulierung von Vision, Mission und strategischen Zielen. Die Einführung dieser Instrumente sowie das gesamte Change-Projekt werden überlagert durch die Verwaltungskultur, die im Rahmen der Professionskultur mit einem hohen Anspruch auf Partizipation einhergeht, wonach alle gesamtorganisatorischen Neuerungen mit möglichst allen Mitarbeitern abgestimmt werden sollen, um einen möglichst umfassenden Konsens zu erzielen. In der Folge verzögert sich der Prozess der Strategie- und Organisationsentwicklung, da die weiteren, nicht in die Kritik geratenen Aufgaben im Rahmen des Geschäftsauftrags ebenfalls zu erledigen sind. Anschließend wird die Kritik von außen massiver, da weder das Change-Projekt umgesetzt wird noch die bisherigen Aufgaben in der notwendigen Qualität wahrgenommen werden. Immer häufiger kommt es zu Terminverschiebungen oder Terminüberschreitungen. Es entsteht ein Kreislauf aus sich verstärkenden Ineffizienzen und Ineffektivitäten. 4. Veränderungsprozess zur Durchbrechung des Ineffizienzkreislaufs Gemäß einer Heuristik von John P. Kotter verlaufen erfolgreiche Organisationsveränderungen idealerweise über acht Stufen, die nachfolgend kurz beschrieben werden. [13] In der ersten Phase eines Veränderungsprozesses ist ein Gefühl für die Dringlichkeit zur Veränderung zu erzeugen. Dazu werden Krisensituationen als Chance bewertet, „selbstherrliches“ Verhalten einzuschränken. Hierzu zählt auch die genaue Analyse von externen Realitäten. In der zweiten Phase ist eine Koalition aus Führungskräften zu bilden, die für das Herbeiführen des Wandels mit ausreichend Handlungskompetenzen ausgestattet sind und als Team zusammenarbeiten. Die dritte Phase umfasst die Entwicklung einer Vision und die Erarbeitung von Strategien. Die Vision beinhaltet die Richtung der Neuausrichtung, während Strategien wesentliche Maßnahmen zur Umsetzung der Vision enthalten. Anschließend ist im Rahmen der vierten Phase jede Gelegenheit zu nutzen, um die Vision des Wandels sowie die strategischen Ziele zu kommunizieren. Die Führungskoalition lebt die Neuausrichtung vor. Die erfolgreiche Umsetzung der Neuausrichtung ist an das Empowerment der Mitarbeiter geknüpft, dessen Gewährleistung in der fünften Phase des Veränderungsprozesses vorgesehen ist. Dieser Schritt umfasst das Beseitigen von Hindernissen auf dem Weg zur Vision. Außerdem werden die Beschäftigten zu Risikobereitschaft, zu neuen Ideen und zur Handlungsbereitschaft ermutigt. Die sechste Stufe zielt auf das Sicherstellen von kurzfristigen Erfolgen ab. Dazu sind sichtbare Leistungssteigerungen und Ergebnisse zu planen und denjenigen Beschäftigten Anerkennung entgegenzubringen, die Erfolge ermöglichen und Ergebnisse maßgeblich zu verantworten haben. Die siebte Stufe zielt auf die Konsolidierung von Erfolgen und die Einleitung von weiterem Wandel ab. Das inzwischen aufgebaute Vertrauen soll dazu genutzt werden, um Systeme, Strukturen und Verfahren zu verändern, die nicht förderlich zur Erreichung der Vision sind. Zusätzliche Mitarbeiter werden eingestellt und vorhandene Beschäftigte erfahren Personalentwicklungsmaßnahmen, sodass die Vision des Wandels weiter umsetzbar wird. Abschließend sind die neuen Ansätze in der Organisationskultur zu verankern, indem der Zusammenhang zwischen neuem Verhalten und Erfolgen herausgestellt wird und Maßnahmen zur Führungsentwicklung sichergestellt werden. Wird diese achtstufige Systematik auf Veränderungsprozesse von öffentlichen Verwaltungen angewendet, ergeben sich beispielhaft nachfolgend aufgeführte Chancen und Herausforderungen. [14] Stufe 1 Gefühl für Dringlichkeit erzeugen: Die Corona-Pandemie kann für öffentliche Verwaltungen auch als Chance interpretiert werden, da dringende Veränderungsbedarfe u. a. in den Bereichen nachhaltige Verwaltung und digitale Verwaltung beschleunigt angegangen werden. Der öffentliche Ruf nach „guter“ Kommunikation erhöht zwar die Anforderungen an Kommunikationsbehörden, allerdings steigt auch die Anerkenntnis zur Notwendigkeit der öffentlichen Sichtbarkeit dieser Behörden. Herausfordernd ist die Mitnahme und Begeisterung aller Führungskräfte für die Strategieentwicklung und die Strategieumsetzung. Weitere Herausforderung bildet das vielfach für Behörden typische Mikromanagement der Behördenleitung. Stufe 2 Führungskoalition bilden: Die Chance zur Bildung einer Führungskoalition liegt darin, dass die Behördenleitung bei der Forcierung des Veränderungsprozesses nicht auf sich allein gestellt ist und sich bereits zu Beginn des Veränderungsprozesses Mitstreiter profilieren können. Herausfordernd wird die Auswahl geeigneter und loyaler Mitarbeiter sein. Stufe 3 Vision und Strategien entwickeln: Die Vision soll begeistern und zum Mitmachen motivieren. Bei deren Entwicklung werden Ideenreichtum und Kreativität gefördert. Die Vision soll eine Basis zur langfristigen Tragfähigkeit der Veränderung schaffen. Herausfordernd sind Priorisierung und Reduzierung von strategischen Zielen auf wesentliche Handlungs-Eckpfeiler. Auch die kaskadenförmige Ableitung der strategischen Ziele aus der Vision stellt eine Herausforderung dar, wenn bislang ein Nebeneinander der Abteilungen und Referate gängige Praxis war. Wissen | Auf dem Weg zu mehr Agilität 64 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0057 Stufe 4 Vision des Wandels kommunizieren: Ein Sounding Board dient dazu weitere Mitarbeiterkreise in den Strategieprozess einzubinden. Eine Chance dieser Institution ist ein hohes Commitment auf Mitarbeiterebene. Auch die Nutzung verschiedener Kommunikationskanäle wie z. B. Newsletter, Intranet-Plattformen und regelmäßige Abteilungsmeetings erhöht die Chance zur breiten Mitnahme der Mitarbeiterschaft in den Veränderungsprozess. Eine Herausforderung besteht darin, den Auftrag des Sounding Boards zu definieren und dabei auf die Grenzen seiner Partizipation hinzuwirken. Schließlich könnte die Gewinnung aller Führungskräfte für den Veränderungsprozess herausfordernd sein, wenn Teile bisheriger Aufgaben zukünftig wegfallen werden und Alternativen für das hierfür zuständige Personal zu suchen sind. Stufe 5 Empowerment der Mitarbeiter/ -innen gewährleisten: Eine Stärke bei der Gewährung von Empowerment liegt in einem vergleichsweise überdurchschnittlich hohen Bildungslevel der Beschäftigten von öffentlichen Verwaltungen. Herausfordernd könnten sich auch auf dieser Stufe Beharrungskräfte bei den Führungskräften erweisen, die bislang nicht gewohnt waren Zuständigkeiten und Verantwortungen zu delegieren. Stufe 6 Kurzfristige Erfolge sicherstellen: Kurzfristige Erfolge erhöhen die Akzeptanz für das Veränderungsprojekt, das sich über einen langen Zeitraum erstrecken kann. Eine Chance besteht darin, die „Währung“ der Wertschätzung an Ergebnisse und Erfolge zu knüpfen, indem z. B. denjenigen, die an der Erzielung von Ergebnissen beteiligt waren, die Teilnahme an zukünftigen Sounding Boards ermöglicht wird. Die Form der Incentivierung für Ergebnisse könnte eine Herausforderung darstellen. Stufe 7 Erfolge konsolidieren und für weiteren Wandel sorgen: In der Konsolidierung von Erfolgen besteht für öffentliche Verwaltungen die Chance zur Entwicklung und Umsetzung einer standardisierten Berichtsstruktur. Beispielsweise ließe sich zu den strategischen Zielen ein Managementreport gestalten, in dem verbunden mit einer Ampelfunktion einmal monatlich über den jeweiligen Status der Projekte berichtet wird. Transparenz motiviert und treibt zu weiteren Aktivitäten an. Herausfordernd könnte sich auswirken, dass eine behördenweite Einsichtnahme in den Fortschritt von Projekten der gewohnten bereichsspezifischen Sichtweise („Silodenken“) widerspricht. Stufe 8 Neue Ansätze in der Kultur verankern: Die Chance zur Verankerung neuer Ansätze in der Verwaltungskultur ist die Steigerung der Attraktivität der jeweiligen Behörde für Hochschulabsolventen. Herausfordernd wirkt sich die oftmals über einen langen Zeitraum entwickelte Tradition einer Behörde aus. 5. Führungsgrundsätze als Gradmesser für den Erfolg des Veränderungsprozesses Mit dem Veränderungsprogramm wird das Ziel verfolgt den teilweise in von öffentlichen Verwaltungen zu beobachtenden Ineffizienzkreislauf zu durchbrechen und die Anpassungsfähigkeit zu steigern, um effizienter auf neue Anforderungen zu reagieren und vorausschauend zu agieren. Die Rolle von Führungskräften ist zentral für die Einleitung und die Umsetzung von Veränderungen. Zu ihren Aufgaben zählt die Identifikation kritischer Situationen. Gemeinsam mit den Beschäftigten sind Alternativen zum Status quo zu entwickeln. Führungskräfte müssen Störungen und Schwierigkeiten als Herausforderung betrachten. Eine weitere Fähigkeit besteht darin, mit begrenzter Rationalität umgehen zu können. Führung bedeutet einerseits irritieren, stören und verändern sowie andererseits integrieren, beruhigen und stabilisieren. [15] Die Identifikation und das Vorleben von Führungsgrundsätzen tragen dazu bei, die Rolle der Führungskräfte sichtbar zu machen und zu verstärken. Beispielsweise die Heuristik der sieben Wege zur Effektivität von Stephen R. Covey eignet sich als Grundlage für Führungsgrundsätze öffentlicher Verwaltungen. [16] Hierzu zählen: • Pro-aktiv sein • Schon am Anfang das Ende im Sinn haben • Das Wichtigste zuerst tun • Gewinn / Gewinn denken • Erst verstehen / dann verstanden werden • Synergien schaffen • Die Säge schärfen Mit „Pro-Aktiv sein“ ist die Übernahme von Verantwortung gemeint. Dazu zählen das Eingehen sowie das Einhalten von Verpflichtungen. Ebenfalls ist die Haltung gemeint, Fehler anzuerkennen, zu korrigieren und aus Fehlern zu lernen. Eine Solidarität in der Nicht-Leistung soll vermieden werden, indem z. B. eine vermutliche Terminüberschreitung zu einem Auftrag ausschließlich mit dem Projektbzw. Linienverantwortlichen abgestimmt wird und nicht alle Beteiligten hierzu vorab informiert werden. Eine „Can-Do-Mentalität“ soll etabliert werden. Rückdelegationen an die Behördenleitung sind zu vermeiden, indem Führungskräfte ihre Rolle annehmen und Kritik aushalten. „Schon am Anfang das Ende im Sinn zu haben“ bringt zum Ausdruck, dass Aktivitäten mit klaren Zielvorstellungen gestartet werden. Hierzu eignet sich die Formulierung eines Leitbildes. Um „Das Wichtigste zuerst zu tun“ ist die Einführung einer Zeitmanagement-Matrix sinnvoll, mit der Aufgaben hinsichtlich ihrer Wichtigkeit und Dringlichkeit kategorisiert werden. Damit einher geht die Delegation von Verantwortung, die von einer reinen Aufgabendelegation abzugrenzen ist. Die Lösungsorientierung soll verstärkt werden, indem im Fall von „Nicht-Können“ bzw. „Nicht-Machen“ Gegenvorschläge vorzustellen sind. „Gewinn / Gewinn denken“ beschreibt die Situation, in der alle Verhandlungsparteien mit den getroffenen Entscheidungen einverstanden sind und sich zur Umsetzung verpflichtet fühlen. Zwischen dem Unternehmensmanagement und den Beschäftigten besteht Konsens hinsichtlich der gefundenen Problemlösungen. Die Aussage „Erst verstehen, dann verstanden werden“ zielt darauf ab, dass Zuhören als Quelle von Lernen verstanden wird und vor der Erteilung von Empfehlungen eine Ursachenanalyse erfolgen sollte. Zur Umsetzung ist das Führen von Einzelgesprächen geeignet. Mit „Synergien schaffen“ ist die Suche nach dritten Alternativen gemeint. Unterschiede werden wertgeschätzt und Irritationen bieten Chancen zur Suche nach alternativen Lösungen. Wissen | Auf dem Weg zu mehr Agilität 65 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0057 Die „Säge schärfen“ bedeutet, dass Wissensgrundlagen permanent erweitert und Erneuerungen auf allen Ebenen wie u. a. Methoden und Kultur stattfinden. Die Führungsgrundsätze sollen dazu beitragen, dass die Verbindlichkeit in der Zusammenarbeit erhöht wird. 6. Felder für Unterstützungspotential durch Beschäftigte aus Unternehmen Der Fokus von Verwaltungsänderungen sollte zukünftig zunächst auf Leadership-Kompetenzen der Führungskräfte liegen, um einzelne öffentliche Verwaltungen im Rahmen der ihnen zugewiesenen Aufgaben agiler und dadurch anpassungsfähiger werden zu lassen. Beschäftigte aus Unternehmen können im Rahmen von Projekteinsätzen in ausgewählten öffentlichen Verwaltungen folgende Aufgabenfelder in Angriff nehmen: 1. Fokussierung öffentlicher Verwaltungen über die Vereinbarung von Individualzielen 2. Konsequentes Benchmarking mit vergleichbaren Behörden 3. Implementierung einer Projektorganisation parallel zur Linienorganisation 4. Institutionalisierung von behördenexternen Perspektiven 6.1 Fokussierung öffentlicher Verwaltungen über die Vereinbarung von Individualzielen Ausgehend von der Vision und den strategischen Zielen einer öffentlichen Verwaltung werden mit allen Beschäftigten individuelle Ziele vereinbart [17], sodass alle Aktivitäten priorisiert und fokussiert sind. Die Ziele dienen als strategische Filter, indem nicht alle Aktivitäten als gleich wichtig eingestuft werden. Zusätzlich zur Fokussierung wird mit der Vereinbarung von Zielen das Schaffen von finanziellen und immateriellen Anreizen für die jeweiligen Behördenbeschäftigte erreicht. Die Honorierung besonderer Leistungen könnte dadurch erfolgen, dass Wertschätzung in Form regelmäßiger Rücksprachen zwischen den jeweiligen Beschäftigten und den Führungskräften an die Ergebniserzielung geknüpft wird. Die Zielvereinbarungen gehen mit einem konsequenten und regelmäßigen unterjährigen Monitoring der Zielerreichung einher. Für Aufgaben im Format von „Wenn-Dann-Logiken“ eignet sich die Vereinbarung von Qualitätszielen. Die Vereinbarung von Teamzielen in Ergänzung zu Individualzielen trägt über die Vision und die strategischen Ziele zu einem stärkeren Zusammenhalt innerhalb der Behörde bei. Eine Zielehierarchie schafft eine breite Steuerungskonsistenz über die gesamte Behörde hinweg. 6.2 Konsequentes Benchmarking mit vergleichbaren Behörden Bevor Veränderungen umgesetzt werden, ist zu überprüfen, inwieweit diese Anpassungen bereits in anderen Behörden erfolgt sind. Ausgehend von dieser Überprüfung sollten die Anpassungen analog zu bekannten Vorgehensweisen oder mit angemessenen Modifikationen vorgenommen werden. Benchmarking [18] soll Best Practice ermöglichen. Der Austausch zwischen Behörden verschiedener Staatsebenen ist zu institutionalisieren. Entsprechende Datenbanken sind aufzubauen und regelmäßig zu aktualisieren. Auch die Struktur und die Abläufe ausländischer Behörden sollte mit in die Überprüfung nach bereits vergleichbaren Abläufen und Strukturen einbezogen werden. Ziel ist die Simulation von Wettbewerb innerhalb der Organisation und mit anderen Organisationen. Beispielhafte Fragen zum Auslösen eines derartigen „Windhundrennens“ sind: • Warum hat Abteilung X im Vergleich zu Abteilung Y fristgerecht einen Auftrag erledigt? • Warum arbeitet die Behörde Z mit einem übersichtlichen Geschäftsverteilungsplan und die eigene Behörde hat hierzu ein Dokument mit einem Umfang von 220 Seiten? Hinzu kommt, dass auch die sinnvolle Einführung zahlreicher betriebswirtschaftlicher Instrumente die Simulation von Wettbewerb in Behörden voraussetzt. [19] Beispielsweise umfasst die SWOT-Analyse auch die Analyse von Chancen und Risiken, also die Bewertung der Behördenumwelt. 6.3 Implementierung einer Projektorganisation parallel zur Linienorganisation Nicht erst die Corona-Pandemie zeigt die Notwendigkeit zur aufbau- und ablauforganisatorischen Flexibilität, um unvorhersehbare und bislang unbekannte Aufgaben erledigen zu können. Flexibles Handeln setzt das Beherrschen von Methoden des Projektmanagements voraus, sodass die Linienorganisation bei Bedarf um eine Projektorganisation ergänzt werden kann [20]. Mit einem Projekt-Mindset lassen sich Aufgaben verstärkt interdisziplinär angehen. Damit wird zusätzlich die Umsetzung von Innovationsprozessen beschleunigt. Eine besondere Bedeutung kommt hierbei dem agilen Projektmanagement zu. Im Kern meint Agilität die Erhöhung von Anpassungsfähigkeit. Zur Steigerung der Anpassungsfähigkeit müssen kulturelle Voraussetzungen vorliegen, die den Mut zum Scheitern und das permanente Lernen auf der Basis eines dynamischen Selbstbildes [21] beinhalten. [22] Zum besseren Verständnis von Agilität und von agilem Projektmanagement kann mittlerweile auf eine Vielzahl von Veröffentlichungen zurückgegriffen werden. [23] 6.4 Institutionalisierung von behördenexternen Perspektiven Regelmäßig werden die Zielgruppen der jeweiligen Behörde um ihre Meinung zur Zufriedenheit mit der Leistungserbringung befragt, um eine stärkere Bürgerorientierung zu realisieren [24]. Aus den Befragungen werden konkrete Handlungsmaßnahmen abgeleitet, deren Umsetzung auch sichtbar gemacht werden. Die Einschätzungen der Adressaten von Verwaltungsleistungen sollen dazu beitragen, dass innerhalb des Rahmens von staatlichem Handeln die Leistungen sowohl bürgernah als auch effizient bereitgestellt werden. Die Umsetzung dieser Maßnahme setzt voraus, dass die Zielgruppen der Verwaltungsleistungen identifiziert und möglichst detailliert klassifiziert worden sind. 7. Fazit: Der Weg bis zur agilen Behörde führt über die Behördenkultur Auch wenn in Teilen öffentliche Verwaltungen bereits heute auf Rahmenwerke und Methoden von Agilität zurückgreifen, bedarf es innerhalb der notwendigen Rahmenbedingungen weiterer Veränderungen zur Erhöhung der Anpassungsfähig- Wissen | Auf dem Weg zu mehr Agilität 66 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0057 keit von Behörden. Grundlegende Veränderungen betreffen die Behördenkulturen, sodass langfristig wirkende Maßnahmen umzusetzen sind. Führungsgrundsätze sind geeignet den Veränderungsprozess sichtbar werden zu lassen und mittelfristig auch kulturelle Änderungen zu bewirken. Führungskräfte der Behörden mit Veränderungsbedarf sollten auf dem Weg zur Steigerung ihrer Anpassungsfähigkeit gezielt in vier Feldern von Beschäftigten aus Unternehmen unterstützt werden. Individuelle Zielvereinbarungen sollen dazu beitragen die Arbeit der Behördenbeschäftigten zu fokussieren. Benchmarking mit vergleichbaren Institutionen wird zum Standard, um Bewährtes zu nutzen. Die Kompetenz in der Führung von Projekten ist zu verbessern, um auf Unvorhersehbares besser zu reagieren und vorausschauend zu agieren. Externe Sichtweisen sind zu institutionalisieren, um Bürgerinteressen stärker zu berücksichtigen. Die Realitätsnähe dieser Felder zeigt sich daran, dass die spezifischen Rahmenbedingungen von Behörden in die Veränderungen einfließen. Zudem entsprechen diese Handlungsfelder den Werten und Prinzipien des Manifests zur agilen Softwareentwicklung [25] ohne das Wort Agilität zu verwenden. Individuelle Zielvereinbarungen bedeuten Fokussierung: „Funktionierende Software ist das wichtigste Fortschrittsmaß“. Benchmarking zielt auf Exzellenz und Effizienz ab: „Ständiges Augenmerk auf technische Exzellenz und gutes Design fördert Agilität.“. Projektmanagement bedeutet Ergebnisorientierung: „Unsere höchste Priorität ist es, den Kunden durch frühe und kontinuierliche Auslieferung wertvoller Software zufrieden zu stellen.“ Die Einbeziehung eines externen Blicks entspricht der Beteiligung von Stakeholdern im Rahmen der Projektumsetzung: „Die Zusammenarbeit mit dem Kunden“ wird höher geschätzt „als Vertragsverhandlungen.“ Literatur Barthel, Christian [Führung 2020]: Führung in Verwaltung und Polizei, Springer Gabler Verlag 2020 (eBook). Bogumil, Jörg; Jann, Werner: Verwaltung und Verwaltungswissenschaft in Deutschland, 3. Auflage, Springer, Wiesbaden 2020. Britzelmaier, Bernd [Controlling 2020]: Controlling, 3. Aktualisierte Auflage, Pearson, München 2020. Covey, Stephen R. 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Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ 2021-2025, unter: https: / / www.bundesregierung.de/ resource/ blob/ 974430/ 1990812/ 04221173eef9a6720059cc353d7 59a2b/ 2021-12-10-koav2021-data.pdf? download=1 (abgerufen am 31. 03. 2021) Kotter, John P. [Chaos Wandel Führung 1998]: Chaos Wandel Führung- - Leading Change; Econ, Düsseldorf und München 1998. Miller, Joe mit Türeci, Özlem und Sahin, Ugur [Projekt Lightspeed 2021]: Projekt Lightspeed, Rowohlt, Hamburg 2021. Manifest zur agilen Softwareentwicklung unter: https: / / agilemanifesto.org/ iso/ de/ manifesto.html abgerufen am 01. 12. 2021. Muschter, Sebastian [Gestalten statt Verwalten! 2018]: Gestalten statt Verwalten! , Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2018. Piesold, Ralf-Rainer: kommunales E-Government, Springer, Wiesbaden 2021, S. 37 f. Richter, Christoph [Was ist dran 2021]: Was ist dran an der „neuen Sau“ des Projektmanagements? in: Projektmanagement aktuell, 32. Jahrgang 02 / 2021, S. 27-34. 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Weber, Max: [Wirtschaft und Gesellschaft 2005]: Wirtschaft und Gesellschaft, Lizenzausgabe von Melzer Verlag für Zweitausendeins, Frankfurt 2005. Endnoten [1] Vgl. Bogumil, Jörg; Jann, Werner: Verwaltung und Verwaltungswissenschaft in Deutschland, 2020, S. 36 f. [2] Vgl. Piesold, Ralf-Rainer: kommunales E-Government, Springer, Wiesbaden 2021, S. 37 f. [3] Laut dem Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index (CPI) für das Jahr 2020 liegt Deutschland auf Platz 8 von 179 Ländern, d. h. zählt zu den Ländern mit der am geringsten wahrgenommen Korruption des öffentlichen Sektors: vgl. Transparency International Deutschland e. V. (Hrsg.): CPI 2020 unter https: / / www.transparency.de/ cpi/ cpi-2020/ cpi-2020-tabellarische-rangliste/ (Stand: 31. 03. 2022). [4] Vgl. Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ 2021-2025, unter: https: / / www.bundesregierung. Wissen | Auf dem Weg zu mehr Agilität 67 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0057 de/ resource/ blob/ 974430/ 1990812/ 04221173eef9a 6720059cc353d759a2b/ 2021-12-10-koav2021-data. pdf? download=1 (Stand: 31. 03. 2022), S. 9. [5] z. B. das Bundesverwaltungsamt (BVA) sowie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), vgl. hierzu: vitako aktuell 02 / 2018, unter: https: / / www.bva.bund.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ Presse/ Interviews/ Fachmedien/ vitako_verwaltung_agile_entwicklung.pdf? __blob=publicationFile&v=2S. (Stand: 31. 03. 2022), 29 f. [6] z. B. nutzt die Stadt Mannheim für die strategische Haushaltskonsolidierung eine ressortübergreifende Projektorganisation: vgl. hierzu: Stadt Mannheim (Hrsg.): Strategische Haushaltskonsolidierung, ohne Da-tum; die Stadt Karlsruhe hat den sog. IQ-Prozess eingeführt: In dessen Zentrum steht die Quervernetzung zwischen internen und externen Akteuren der Stadtverwaltung: vgl. hierzu: https: / / www.karlsruhe.de/ iq.de (Stand: 31. 03. 2022). [7] Vgl. Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ 2021-2025, unter: https: / / www.bundesregierung. de/ resource/ blob/ 974430/ 1990812/ 04221173eef9a 6720059cc353d759a2b/ 2021-12-10-koav2021-data. pdf? download=1 (Stand: 31. 03. 2022), S. 9. [8] Vgl. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, 2005, S. 160 ff. [9] Vgl. Barthel, Christian: Führung, 2020, S. 2. [10] Auch wenn alle Geschlechter gemeint sind, wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit jeweils eine Geschlechtsform genannt. [11] Vgl. Barthel, Christian: Führung, 2020, S. 76 f. [12] Vgl. zur SWOT-Analyse: Britzelmaier, Bernd: Controlling, 2020, S. 149 f. [13] Vgl. Kotter, John P: Chaos Wandel Führung, 1988, S. 55 ff. [14] Die dargestellten Chancen und Herausforderungen basieren auf diversen Projekteinsätzen des Autors in öffentlichen Verwaltungen. [15] Vgl. Barthel, Christian: Führung, 2020, S. 69 ff. [16] Vgl. Covey, Stephen R.: Die 7 Wege zur Effektivität, 2017, S. 91 ff. [17] Vgl. zum Prozess der Zielsetzung in öffentlichen Verwaltungen: Schedler, Kuno; Proeller, Isabella: New Public Management, 2011, S. 145 ff. [18] Vgl. zum Prozess des Benchmarkings in Kommunen: Schauer, Reinbert: Rechnungswesen, 2020, S. 111. [19] Vgl. zum Begriff New Public Management: Schedler, Kuno; Proeller, Isabella: New Public Management, 2011. [20] Vgl. zur Projektarbeit in Behörden: Muschter, Sebastian: Gestalten statt Verwalten! , 2018, S. 80. [21] Vgl. Dweck, Carol: Selbstbild, 2016. [22] Vgl. zum Unterschied zwischen „tight culture” und “loose culture”: Gelfand, Michele: Rule Makers, Rule Breakers, 2018. [23] Vgl. u. a. Richter, Christoph: Was ist dran, 2021, S. 27-34. [24] Vgl. Kaplan, Robert S.; Norton, David P.: Balanced Scorecard, 1997. [25] Vgl. https: / / agilemanifesto.org/ iso/ de/ manifesto.html (Stand: 01. 12. 2021). Eingangsabbildung: © iStock.com / cagkansayin Dr. Christoph Richter Dr. Christoph Richter studierte Verwaltungswirtschaft, Wirtschaftswissenschaften und Bildungswissenschaften. Er hat unterschiedliche Managementfunktionen insbesondere im Controlling- und HR-Bereich wahrgenommen. Seit langer Zeit ist er nebenberuflich und zeitweise auch hauptberuflich als Dozent u. a. für nachhaltige Unternehmensführung tätig. Aktuell arbeitet er als Senior Experte für Placement-Beratung bei der Deutschen Telekom AG. Anschrift: Deutsche Telekom AG Telekom Placement Services Dr. Christoph Richter Business Projects Sürther Str. 168, 50321 Brühl Telefon: +492232 579892864 eMail: christoph.richter@telekom.de Nachgefragt | Mentoring Programm der GPM 68 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0058 Nachgefragt-- die Interview-Reihe der GPM Sich beruflich und persönlich weiterentwickeln, an Sichtbarkeit gewinnen und Wissen teilen-- mit dem Mentoring-Programm der GPM Im Fokus diesmal: Mentee Dominik Robst und Mentor Holger Barth. Das GPM Mentoring-Programm Mit ihrer GPM Mitgliedschaft setzen Projektmanagende ein klares Statement im Hinblick auf ein verantwortungsvolles Projektmanagement, das Persönlichkeitsentwicklung, Kultur und Werte einbezieht und den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Darüber hinaus profitieren Mitglieder von vielfältigen und exklusiven Leistungen und Angeboten, eines davon ist das GPM Mentoring-Programm. Mit diesem Angebot bringt die GPM Young Professionals und erfahrene PM-Expertinnen und -Experten zusammen. Mentorinnen und Mentoren teilen ihre Erfahrung und ihr Wissen mit ihrem Mentee-- und profitieren dabei in vielfacher Hinsicht selbst. Wie wertvoll diese Partnerschaft für die Teilnehmenden ist und welchen Mehrwert sie für ihre persönliche und fachliche Weiterentwicklung ziehen, darüber gibt die GPM „Nachgefragt“-Reihe Einblick. Mentee Dominik Robst im Interview Herr Robst, was möchten Sie den Lesern über sich erzählen? Ich bin in einem Jugendheim aufgewachsen und musste schwere Schicksalsschläge akzeptieren. Trotz widriger Umstände habe ich mich dazu entschieden, etwas aus meinen Leben zu machen und mich von unten nach oben gearbeitet. Ich habe in der Automobilindustrie gelernt, mehrere Jahre dort gearbeitet und mir dadurch auch mein Masterstudium des allgemeinen Maschinenbaus an der Bergischen Universität Wuppertal finanziert. In der Automobilindustrie konnte ich Softwareaufgaben und Konstruktionsaufgaben nachgehen. Anschließend bin ich für ein Automobilunternehmen in die USA gegangen und habe dort als generalistisch aufgestellter Ingenieur Aufgaben im Projektmanagement übernommen. Über diese Erfahrungen bin ich dann in die Gebäudetechnik gekommen und heute bin ich Projektmanager in der Pharmaindustrie. Mein Themenschwerpunkt liegt aktuell in der Digitalisierung, wobei Projektmanagement genau mein Steckenpferd ist. Herr Robst, seit wann und weshalb sind Sie GPM Mitglied und wie wurden Sie auf den Verband aufmerksam? Ich bin seit Anfang 2021 Mitglied bei der GPM. Durch meine Weiterbildung im Projektmanagement (IPMA) wurde ich auf die GPM aufmerksam. Als Führungskraft stelle ich mir oft selbst Fragen, z. B. was ist eine gute Führungskraft? Welcher Führungsstil ist der beste? Wie bekommt man selbstdenkende Mitarbeitende oder wie werden Ziele definiert, wenn diese nicht messbar sind? Dazu habe ich ein „Coaching“ gesucht und ich finde den kompetenzbasierten Ansatz der GPM ziemlich gut, da jedes Projekt anders ist. Führungskräfte können sich untereinander wenig austauschen und stehen mit Problemen oft alleine da. Diesen Aus- Nachgefragt | Mentoring Programm der GPM 69 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0058 tausch suche ich. Unter anderem geht es darum, wie man beispielsweise Zeitaufwände richtig einschätzt, Kosten bei agilen Projekten konkret abschätzt oder wie besser mit Kunden kommuniziert werden kann. Herr Robst, seit wann sind Sie Mentee im Rahmen des GPM Mentoring-Programm und mit welchen Erwartungen und Zielen sind Sie in diese Partnerschaft gegangen? Mitte 2021 bin ich mit der Erwartung in das Mentoringprogramm gestartet, Unterstützung bei spezifischen Situationen als Führungskraft zu bekommen. Was kann ich als Projektmanager beispielsweise konkret unternehmen, wenn Arbeitspakete erweitert werden oder Zielvorgaben unrealistisch sind? Da ich, wie bereits erwähnt, in einem Kinderheim aufgewachsen bin, musste ich schon sehr früh meine Probleme selbst lösen. Ich hatte selten jemanden den ich mal um Rat fragen konnte. Während meines Ingenieurstudiums übernahm ich die Pflege eines Angehörigen und bin zusätzlich noch arbeiten gegangen. Das hat letztlich dazu geführt, dass mein Studium sich verlängert hat. Spricht man darüber mit einem Arbeitgeber? Wie erklärt man diese Situation? Ich bin froh Herrn Barth diese Fragen stellen zu dürfen und für seinen Rat sehr dankbar. Herr Robst, haben sich Ihre Erwartungen erfüllt? Oder haben sich Ihre Erwartungen und Ziele verändert? Ich habe meine Erwartungen offengelegt und direkt zu Beginn kommuniziert. Und ja, meine Erwartungen haben sich voll und ganz erfüllt. Die Kommunikation im Betrieb ist viel besser geworden und ich weiß jetzt, was ich in schwierigen Situationen machen kann, um souveräner agieren zu können. Wie würden Sie Ihre Partnerschaft beschreiben? Wir können auf Augenhöhe und vertrauensvoll miteinander sprechen. Herr Barth reagiert auch asynchron zu unseren Regelterminen und nahezu direkt auf spezifische Anfragen mit Ratschlägen, das empfinde ich als sehr hilfreich. Wie häufig treffen Sie sich und wie laufen Ihre Treffen ab? Wir haben alle zwei Wochen einen Regeltermin eingeführt, der auch meistens stattfindet. Wir teilen meist vorab eine kurze Agenda, welche das Grundgerüst der Gespräche darstellt. Modifikationen sind aber immer möglich. Zu Beginn haben wir den Fokus auf das Kennenlernen gelegt, um damit eine Vertrauensbasis und Grundlage zu schaffen. Wir haben danach gemeinsam einige Grundregeln definiert, um besser zu verstehen, wie die gegenseitigen Erwartungshaltungen sind. Seither können wir immer ungezwungen, aber professionell alle Themen besprechen. Herr Robst, würden Sie das Mentoring-Programm weiterempfehlen und wenn ja, weshalb? Ja, ich würde das GPM Mentoring-Programm empfehlen. Herr Barth ist ein top ausgebildeter Manager und sein Rat ist stets durchdacht. Er hilft mir Fragen zu klären, die wahrscheinlich auch ihn weiterbringen. Es gibt eine Fülle an Fragen, welche wir behandeln. Dazu nutzen wir virtuelle Meetings, über die wir auch Präsentationen oder Dokumente zum besseren Verständnis teilen können. Typische Fragestellungen sind beispielsweise: Wie schätze ich Arbeitspakete ein? Wie habe ich mehr Zeit für das Wesentliche? Wie erfüllt man die Erwartungshaltung von Stakeholdern? Brauche ich eine Vision? Wie kann ich als Führungskraft konsequenter sein? Wie führe ich erfolgreich und wie viele Mitarbeitende kann man überhaupt führen? Was sind die Aufgaben einer Führungskraft und welche Aufgaben sollten delegiert werden? Was ist die wichtigste Kompetenz einer Führungskraft und wie nutze ich diese? Mentor Holger Barth im Interview Herr Barth, was möchten Sie den Lesern über sich erzählen? Mein Name ist Holger Barth und ich bin 49 Jahre alt. Nach meiner Ausbildung zum Werkzeugmechaniker habe ich ein Maschinenbau-Studium absolviert und beschäftige mich nun seit mehr als 20 Jahren mit Projekten unterschiedlicher Prägung und in unterschiedlichen Rollen. Mein Themenschwerpunkt liegt hauptsächlich im Bereich Innovation und Produktentwicklung. Herr Barth, seit wann und weshalb sind Sie GPM Mitglied und wie wurden Sie auf den Verband aufmerksam? Mein Wissen und meine praktische Erfahrung hat sich über die Jahre aufgebaut, indem ich für viele komplexe Projekte in der Verantwortung stand-- „learning by doing“ sozusagen. Ich wollte irgendwann meinen Kenntnisstand in der Breite über eine Zertifizierung anhand anerkannter Standards überprüfen. Ein wesentliches Ziel dabei war, potenzielle Wissenslücken zu identifizieren, um diese gezielt verbessern zu können. Während des Vorbereitungsprozesses für die IPMA Level A Zertifizierung habe ich unter Einbeziehung der ICB 4 tatsächlich nochmal mein Wissen erweitern können. Da für mich der Austausch mit Spezialisten und Spezialistinnen im Vordergrund steht und ich meine Erfahrungen auch weitergeben möchte, bin ich 2019 auch GPM Mitglied geworden. Nachgefragt | Mentoring Programm der GPM 70 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0058 Herr Barth, seit wann sind Sie Mentor im Rahmen des GPM Mentoring-Programms und mit welchen Zielen und Erwartungen sind Sie in diese Partnerschaft gegangen? Seit Mitte 2020 nehme ich am Programm als Mentor teil. Ziel für mich ist es, meine Erfahrungen weiterzugeben aber auch Input und Feedback von jüngeren Mentees zurückzubekommen, denn auch von ihnen kann man viel lernen-- dafür möchte ich offenbleiben. Gleichzeitig hilft mir der Austausch dabei mich besser zu reflektieren und trainiert mein Einfühlungsvermögen. Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt oder haben sich Ihre Erwartungen und Ziele verändert? Meine Erwartungen haben sich voll erfüllt. Beide Seiten profitieren von diesem Programm. Besonders möchte ich vermitteln, dass man sich selbst reflektieren können muss, um sich auch weiterentwickeln zu können. Für ein erfolgreiches Projektmanagement ist die konkrete Hilfestellung für die technischen Aspekte wichtig, noch wichtiger jedoch, ist der Umgang mit Menschen und die damit zusammenhängenden Herausforderungen. Diese Fragestellungen sind ein wesentlicher Bestandteil unserer Gespräche. Herr Barth, wie würden Sie Ihre Partnerschaft beschreiben? Es war uns von Anfang an wichtig, dass der Austausch auf Augenhöhe stattfindet. Offenheit, aber auch Klarheit und Wertschätzung sind die Leitplanken unserer Gespräche. Wir haben diese Grundregeln gemeinsam in den ersten Sitzungen definiert. Dies betrifft auch konstruktive Kritik in beide Richtungen. Das war die Basis für das Vertrauen, das sich dann über die Zeit weiter aufgebaut hat. Herr Barth, würden Sie das Mentoring-Programm weiterempfehlen und wenn ja, warum? Das Mentoring-Programm empfehle ich ausdrücklich weiter, da alle Beteiligten davon profitieren. Als Mentor bekomme ich einen Einblick in andere Sichtweisen sowie wertvolles Feedback. Wenn man eigenes Wissen formuliert, um es weiterzugeben, reflektiert man automatisch und bekommt durch die Fragestellungen des Mentees wertvolle Denkanstöße. Und bei einem geeigneten Match werde ich auch weiterhin gerne für weitere Mentees zur Verfügung stehen. Jetzt online lesen in unserer neuen eLibrary www.pmaktuell.de Der Online-Zugriff ist in den Leistungen für GPM Mitglieder inbegriffen. Noch kein GPM Mitglied? Schreiben Sie uns unter mitglieder@gpm-ipma.de. Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Unter Mitwirkung von: spm - Swiss Project Management Association und Projekt Management Austria P R OJ E K T M A N A G E M E N T A K T U E L L uvk.de Damit Sie mit Ihrem Team schneller ans Ziel kommen! 72 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0059 Buchbesprechung Change! Heinz Schelle Berner, W.: Change! 20 Fallstudien zu Sanierung, Turnaround, Prozessoptimierung, Reorganisation und Kulturveränderung. Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart 2015, 2. aktualisierte und erweiterte Auflage. ISBN 978-3-7910-3368-6, 503 S., Preis 54,95 Euro Das folgende Buch wurde von mir bereits in der 1. Auflage besprochen (Heft 3 / 2012).* Ich habe mich jetzt zu einer zweiten Rezension entschlossen, nicht so sehr wegen einiger Ergänzungen, die der Verfasser vorgenommen hat, sondern mehr, weil ich einen Artikel von ihm entdeckt habe, in dem er nicht nur mein Taschenbuch kritisiert hat, sondern-- vielleicht ein wenig zu pauschal-- die Mehrheit der Werke über Projektmanagement. Es lohnt sich jedenfalls diese Passagen auch zu lesen. Sie lassen sich mühelos in diese Rezension integrieren. Das vorliegende Buch ist nicht, wie man beim Lesen des Titels vermuten möchte, lediglich eine mehr oder weniger systematische Ansammlung von Fallstudien, vielmehr steckt dahinter eine wohl durchdachte Typologie, die die Lektüre besonders gewinnbringend macht. Berner, Diplom-Psychologe und als Unternehmensberater auf das Thema „Change Management“ spezialisiert, hat in die erste Auflage folgende Inhalte von Change-Projekten aufgenommen: Turnaround / Sanierung, Kostensenkung, Fusion / Übernahme / Post-Merger-Integration, Reorganisation / Restrukturierung, Unternehmensverkauf, Einführung IT-Systeme, Mitarbeiterqualität, Prozessoptimierung, CRM- Systeme, Qualitätsmanagement, Kulturveränderung, Portfoliomanagement und Leitbild / Vision. In die zweite Auflage wurden fünf weitere Änderungsvorhaben aufgenommen, darunter nochmals Kostensenkungsprogramme, Aufbau von Shared-Service-Centers, Entwicklung einer gemeinsamen Unternehmenskultur und von unternehmerischer Resilienz. Diese Themen werden in eine Matrix eingeordnet. Sie hat die Dimensionen „Geforderte Einstellungs- und Verhaltensänderungen“ und „Wahrgenommene Bedrohlichkeit“. Beispielsweise wird ein Projekt mit dem Ziel des Turnarounds und der Sanierung von den Betroffenen vermutlich als hoch bedrohlich empfunden, die erwartete Einstellungs- und Verhaltensänderung ist aber niedrig. Umgekehrt wird eine angestrebte Kulturveränderung im Unternehmen nicht als sonderlich besorgniserregend wahrgenommen und weckt auch keine größeren Ängste bei den Mitarbeitern, es werden aber beträchtliche Einstellungs- und Verhaltensänderungen gefordert. Der Autor weiß natürlich auch, dass die gewählte Klassifizierung in konkreten Vorhaben nicht puristisch durchgehalten werden kann. Deshalb werden bei jeder Fallstudie mehrere angesprochene Aspekte des Wandels aufgeführt. So wird bei einer Post-Merger-Integration in aller Regel auch eine Prozessoptimierung und eine Restrukturierung stattfinden müssen. Im Anschluss an eine Einführung in das Gebiet des Change Management und die soeben vorgestellte Typologie werden die Fallstudien mit folgenden Themen vorgestellt: • Change Management unter Wettbewerbsdruck • Projektkrise I und II • Kulturveränderung I und II • Turnaround / Sanierung • Prozessoptimierung / Reengineering • Reorganisation / Restrukturierung • Einführung von IT-Systemen • Customer Relationship Management (CRM) • Mitarbeiterqualität • Post-Merger-Integration (PMI) • Konzipierung von Veränderungsprozessen • Förderung der Veränderungsbereitschaft • Krisenvorbereitung Nach jeder realistischen Fallstudie stellt Berner zunächst Fragen an den Leser, um ihn selbst zum Nachdenken anzuregen. Anschließend werden aber diese Fragen vom Autor selbst ausführlich beantwortet, so dass man immer mit den eigenen Antworten vergleichen kann. Beim Lesen der außerordentlich differenzierten, dem jeweiligen Fall sehr genau angepassten, sehr klugen Analysen, die eine unglaubliche Fülle von Einsichten beinhalten, wurde mir immer wieder schmerzlich bewusst, welche Fehler ich selbst in früheren Projekten begangen habe. Was mich begeistert hat: Es wird immer auch ausführlich erläutert, wie man aus einer zumeist verfahrenen Situation herauskommen kann. Zwar bietet der Verfasser nach jeder Fallstudie eine knappe Zusammenfassung und am Ende des Buches unter der Überschrift „Leitgedanken“ auch noch 15 höchst lesenswerte Empfehlungen, ich kann aber nur jedem, der das Buch in die Hand nimmt, den Rat geben, sich nicht auf diese relativ wenigen Seiten zu beschränken, sondern alles zu lesen. Da Berner gut formuliert und die Geschichten durchweg spannend sind, kann man das Werk, das auch noch ein detailliertes sorgfältig zusammengestelltes Literatur- und Stichwortverzeichnis enthält, auch in den Urlaub oder in das Wochenende mitnehmen. Langeweile kommt dabei mit Sicherheit nicht auf. Mein Fazit: Für jeden Projektmanager und Linienmanager, der sich mit der Problematik des organisatorischen Wandels befassen muss- - und wer muss das eigentlich nicht- - sollte diese Publikation Pflichtlektüre werden. Ich garantiere: Wer auch nur einige der niemals trivialen Ratschläge befolgt, wird sich in Zukunft sehr viel Ärger ersparen. Wer andererseits durch die Ausführungen nicht erheblich sensibilisiert wird, dem ist wohl nicht mehr zu helfen. Besseres habe ich zum Thema „Change Management“ jedenfalls noch nicht gelesen. Ein Glücksfall für unsere Disziplin. Jetzt aber der versprochene Zusatz: Berner bringt die Projekte ins Spiel, in denen es zum Beispiel um eine Veränderung der Vertriebsorganisation geht und setzt sie von „technischen Projekten“ ab, zu denen er etwa Bau-, IT- und Logistikprojekte zählt. Hier, so sein nicht ganz unproblemati- Rezensionen | Change! 73 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0059 sches Beispiel, „weiß man schon am Anfang ziemlich genau, was am Ende herauskommen soll.“ Was aber, wenn es um eine Weiterentwicklung der Unternehmenskultur geht, wo am Anfang zwar klar ist, in welche grundsätzliche Richtung es gehen soll, aber weder angebbar ist, was die genauen Ziele sind, noch, welche Hindernisse dem im Weg stehen, noch wie das soziale System auf die Veränderungsimpulse reagieren wird? “ Diese Unterscheidung ist natürlich alles andere als neu, bemerkenswert ist aber die folgende These von Berner. Und jetzt kommt seine Generalkritik: „Auf diese grundsätzliche Andersartigkeit in sozialen Systemen geht Schelle ebenso wenig ein, wie es irgendein mir bekanntes Projektmanagementbuch tut.“ Ist dieses Urteil gerechtfertigt oder nicht? Für mein eigenes Werk ist es meines Erachtens ein wenig zu hart, weil ich die „Andersartigkeit“ zumindest bei dem Projekt „Einführung eines PM-Systems in einer Organisation“ ausführlich behandelt habe. In der ganzen PM-Literatur, die natürlich Berner nicht vollständig gelesen hat, ist die Kritik mal berechtigt, mal eher nicht, zumal, wenn man berücksichtigt, dass die Thematik auch unter der Überschrift „Stakeholdermanagement“ behandelt werden kann. Allerdings kenne ich kein Werk, das die Problematik des Wandels auch nur ähnlich ausführlich und gescheit behandelt wie das Buch von Berner. Das heißt, wir sollten die Probleme, die mit dem Wandel verbunden sind, ausführlicher behandeln. Das rezensierte Werk kann uns dabei enorm weiterhelfen. Die Widerstände gegen Projekte des sozialen oder technischen Wandels werden in Zukunft keineswegs geringer. *https: / / www.umsetzungsberatung.de/ service/ read.php? n119 73 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0059 ERNST | SAILER | GABRIEL Nachhaltige Betriebswirtschaft 2. Auflage Ihr Weg zu nachhaltiger uvk.de Unternehmensführung. 74 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0060 Kolumne Alles Beethoven, oder was? Jens Köhler Ehrlich sitzt in seinem Bürostuhl und lauscht einer Beethoven- Symphonie. Durch die Ohrstöpsel hört er nicht, wie Priesberg plötzlich vor ihm steht. Erst als dieser wild mit den Armen dirigiert, reagiert Ehrlich: „Gehst du jetzt unter die Amateurdirigenten? “ Priesberg schüttelt den Kopf: „Noch viel besser: Unser Management verlangt jetzt von uns wie ein Intrapreneur, also ein Unternehmer in einem Unternehmen zu agieren, aber auch wie ein Musiker in einem Orchester.“ Ehrlich zieht sich die Stöpsel aus den Ohren: „Jetzt verstehe ich: Du willst beide Rollen in dir vereinen und wählst daher die Dirigentenrolle. Sehr geschickt. Nur an der Technik solltest du noch feilen-- dein Gefuchtel mit den Armen wirkt nicht so ganz ausgereift.“ Ehrlich lehnt sich im Stuhl zurück und wartet entspannt auf die Reaktion. Priesberg setzt sich und spricht, diesmal ohne zu explodieren: „Ich finde es von Vorteil, wenn sich Mitarbeiter einmal wie Orchestermusiker verhalten sollen und ein anderes Mal wie Unternehmer. Was ist daran falsch? “ Ehrlich überlegt: „Was zeichnet ein hervorragendes Orchester denn aus? Dass alle Musiker ein Instrument beherrschen? Dass sie Noten lesen können? Dass ein Dirigent im Frack vor ihm steht? “ „Ganz sicher nicht“, fällt Priesberg ins Wort. „Das Zusammenspiel muss vorher eingeübt werden, jedes Instrument muss seinen Part perfekt spielen, sodass es hervorragend klingt.“ „Also sind Orchestermusiker diszipliniert und scheren nicht aus ihren eingeübten Rollen aus“, fasst Ehrlich zusammen. „So kann man es sagen, wie ein eingespieltes Projektteam“, bestätigt Priesberg. „Na, dann ist die Welt doch in Ordnung“, spricht Ehrlich und wendet sich wieder seiner Musik zu. Priesberg ist verärgert: „Wieso klinkst du dich jetzt aus unserer Unterhaltung aus? Du scheinst wenig Interesse daran zu haben.“ „Keineswegs“, spricht Ehrlich mit betontem Desinteresse und fährt fort: „Nur spiele ich jetzt die Rolle des Intrapreneurs. Ich entscheide selbst, wann eine Sache Priorität hat und wann nicht.“ Ehrlich lehnt sich abermals zurück und beobachtet die Reaktion seines Kollegen. Priesberg erwidert frustriert: „So kommen wir aber nie auf einen Punkt.“ Er überlegt: „Dein Verhalten erinnert mich an einige Beobachtungen, die ich bei Kollegen festgestellt habe. Manche möchten geradezu als Orchestermusiker behandelt werden, andere geben sich betont unabhängig und entziehen sich jedem gemeinsamen Handeln und das in ein- und derselben Teamsitzung.“ Ehrlich bohrt nach: „Und, wie wirkt sich das auf das Projektergebnis aus? “ Priesberg kratzt sich am Kopf: „Na, die Teambildung und Lösungsfindung werden dadurch nicht gerade beschleunigt.“ „Und das stört dich nicht? “, fragt Ehrlich. Priesberg spricht erstaunt: „Wenn du es jetzt so sagst, dann stört es mich erheblich und es wundert mich vor allem, dass es mir erst in unserem Gespräch aufgefallen ist. Ich dachte bislang, unser Management möchte uns mehr Freiräume geben, wenn es die Rollen Orchestermusiker und Intrapreneur einfordert.“ „Das entscheidende Wort ist ‚einfordern‘. Wenn man die Rollen so setzt, dann erzeugt das Verwirrung bei allen. Wann bin ich Orchestermusiker? Wann Intrapreneur? Oder noch schlimmer: Wann muss das Team als Orchester funktionieren? Wann können Einzelne sinnvoll ausscheren? “, analysiert Ehrlich. Priesberg ist jetzt voll dabei: „Da diese Anforderung von ‚ganz oben‘ kam, ist sie natürlich dominant und viele werden sich fragen: Was muss ich am besten machen, um einer dieser Rollen gerecht zu werden. Das Team wird somit ausgehebelt, da jeder diese Rolle in seinem Kontext interpretiert und individuell lebt. Lösungen dauern länger oder finden nicht statt. Was wäre denn eine sinnvolle Alternative? “ Ehrlich erläutert: „Man kann diese Rollen durchaus betonen. Allerdings als Option, ohne das Wort ‚müssen‘. Etwa so: ‚Seid euch bewusst, dass es manchmal Situationen geben kann, in denen man als Orchestermusiker oder aber auch entgegengesetzt, als Intrapreneur handeln sollte.“ Priesberg geht einen Schritt weiter: „Das Management sollte als Erstes betonen: ‚Das Projektteam entscheidet autark.‘ Die Widersprüchlichkeit der Rollen verschwindet, da sie dann sinnvoll im Team gelebt werden können.“ „Sehr gut“, grinst Ehrlich. „Jetzt bist du wie Beethoven: Der Erwartungshaltung seiner Zuhörer hat er widersprüchliche Wechsel zwischen laut und leise und abrupt ändernden Tempi entgegengehalten, allerdings so, dass es zu einem großen Ganzen wurde. Er hat seine Kontrollparameter gleich richtig gesetzt.“ Eingangsabbildung: © iStock.com/ Comeback Images Dr. Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. eMail: Jens.Koehler@basf.com Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch - Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM- Alltag geben. 75 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0061 Aus den DACH-Verbänden | IPMA intern | Ding Ronggui, IPMA VP for Research Research Evaluation Model (REM) Abbildung 1: Darstellung der Struktur des IPMA Research Evaluation Models (REM) Neues aus der IPMA Im letzten Council of Delegates Meeting der IPMA am 26. März 2022 wurde von den 71 Delegierten ein neuer IPMA Standard verabschiedet: erstmals hat die IPMA nun auch eine IPMA Research Evaluation Baseline. Die IPMA trägt zur Förderung von Wissen, Theorie und Praxis in den Bereichen Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement (PPP) bei. Durch die jährliche Verleihung von Forschungspreisen bewertet und würdigt die IPMA auf höchstem Niveau durchgeführte Forschung und fördert theoretische und / oder methodische Innovationen zur Unterstützung des PPP-Managements in der Zukunft. Die neue IPMA Research Evaluation Baseline (REB) V1.0 wurde entwickelt, um Reviewern von Aufsätzen zu Forschungsthemen im Projektmanagement, und insbesondere den Juroren der IPMA Research Awards einen einheitlichen Bewertungsstandard an die Hand geben zu können. Die IPMA Research Evaluation Baseline hilft den verschiedenen Stakeholdern im Bereich der Forschung im Projekt-, Portfolio- und Programm-Management, die Herangehensweise und Ergebnisse der Forschung zu steuern und zu bewerten und stellt in Zukunft die systematische Grundlage für die IPMA Research Awards, Best Paper Preise und IPMA Research Konferenzen dar. Die Ziele der IPMA Research Evaluation Baseline (REB) sind: • Bereitstellung innovativer Forschungsprobleme, -ansätze und -ergebnisse für die weitere Forschung von Forschern und Organisationen. • Unterstützung der ForschungsmanagerInnen, die die Disziplin des Projektmanagements proaktiv fördern. • Unterstützung aller Stakeholdergruppen mit theoretischen Grundlagen bei der Entwicklung ihres PPP-Wissens, ihrer Theorien, Methoden und Systeme. • herausragende ForscherInnen zu belohnen und zu motivieren, indem ihre Forschungsleistungen und Beiträge international anerkannt und gewürdigt werden. Das Research Evaluation Model (REM) ist die Hauptkomponente der IPMA REB Baseline. Der Hauptzweck des IPMA- Forschungsbewertungsmodells besteht darin, verschiedene Nutzergruppen bei der Bewertung der Fähigkeiten und Leistungen ihrer im Bereich des PPP-Managements durchgeführten Forschung anzuleiten. Das REM soll die besten Forschungsarbeiten im Bereich Projektmanagement identifizieren, um Informationen bzgl. der Leitung der Forschungsprojekte, der Methodologie und Herangehensweise und die Bedeutung der Ergebnisse der Forschungsprojekte zu liefern. Das IPMA REM besteht aus vier Bereichen: Drei Bereiche dienen der Bewertung der Schlüsselkomponenten der Forschung: Forschungsproblem, Forschungsprozess und Forschungsergebnis. Der vierte Bereich dient zur Bewertung der Führungsleistung der Forschenden (siehe Abbildung 1). Die IPMA vergibt jedes Jahr Global Research Awards in den folgenden vier Kategorien: • Der IPMA Research Award für Forschende, die mit ihrer Forschung einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung des Projekt-, Programm- und Portfoliomanagements (PPP) geleistet haben; • Der IPMA Young Research Award für Nachwuchs-Forschende unter 35 Jahren, die seit weniger als 10 Jahren in der PPP-Forschung tätig sind; • Der IPMA Graduate Research Award für Studierende mit Master- oder MBA-Abschluss oder Promotion im PPP und dabei eine herausragende Forschungsleistung erbracht haben; Aus den DACH-Verbänden | Neues aus der IPMA 76 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0061 • Der IPMA Research Achievement Award für Forschende, die mit ihrem langfristigen Forschungsprogramm einen herausragenden Beitrag zur Projektmanagement-Forschung geleistet haben. Das REM soll in Zukunft auch die IPMA bei der Entwicklung ihrer neuen Standards wie der IPMA ICB, OCB, PEB und CCT unterstützen sowie den IPMA-Mitgliedsverbänden und allen anderen Stakeholdergruppen wertvolle Dienste leisten. Das Modell wurde in den vergangenen drei Jahren IPMAintern getestet und steht nun der breiten internationalen Öffentlichkeit als fünfter IPMA Kompetenzstandard zur Verfügung. Darüber hinaus hat die IPMA seit Mai 2022 ein neues IPMA Brand Manual. Die IPMA ist ein Zusammenschluss von 71 nationalen Mitgliedsverbänden (MAs) weltweit. Jede MA hat ein Netzwerk an Beziehungen zu Unternehmen, Regierungsbehörden, Hochschulen, Trainingsorganisationen und Beratungsunternehmen und arbeitet mit Tausenden Projektmanagenden zusammen. Umso wichtiger ist es, dass das Erscheinungsbild und Layout der Marke IPMA weltweit gleich gehandhabt werden, um die Wiedererkennung der Marke zu unterstützen und die Bekanntheit der Marke weltweit zu offline und digital zu fördern. Jede Marke ist fragil und muss daher als solche behandelt werden. Die Markenrichtlinie ist ein Handbuch, wie die Marke IPMA zu benutzen ist. Jeder, der mit der Marke IPMA in Berührung kommt, sei es intern oder extern, muss sich auf diese Richtlinie beziehen. Das neue IPMA-Markendesign baut auf den Kernwerten der IPMA-Organisation auf, um eine star- Abbildung 2: Auszug aus dem neuen IPMA Marken Handbuch ke Markenidentität aufzubauen und allen, die mit der Marke IPMA arbeiten, neue Möglichkeiten der Anwendung zu bieten. Das IPMA Logo ist das wesentliche, entscheidende Element der IPMA Markenidentität. In Anbetracht der Tatsache, dass die IPMA in mehr als 70 Ländern vertreten ist und Vielfalt ein grundlegendes Merkmal der IPMA Aktivitäten ist, ist es unerlässlich, dass das IPMA Logo mit Sorgfalt und Respekt behandelt wird. In dem neuen Markenhandbuch werden die Regeln für die Verwendung des IPMA Logos aufgestellt. Wichtig ist, dass das IPMA Logo auf allen IPMA-bezogenen Materialien erscheinen muss. Auch ist festgelegt, wie das IPMA Logo in Verbindung mit den Logos von Partnerorganisationen verwendet werden muss. Nur so kann die korrekte, rechtmäßige Verwendung der Marke IPMA weltweit gewährleistet werden. Prof. Dr. Yvonne Schoper Dr. Yvonne Schoper ist Professorin an der HTW Berlin mit dem Schwerpunkt Internationales Projektmanagement und Vizepräsidentin der IPMA für den Bereich Membership und Young Crew. Ihre Forschungsinteressen sind die Projektifizierung der Wirtschaft und der Einfluss der Kultur auf das Projektmanagement. eMail: yvonne.schoper@HTW-Berlin.de ORCID: 0000-0002-7731 - 5081 77 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0062 Aus den DACH-Verbänden | GPM intern Firma Hauptgeschäftsgebiet PM-Aufgaben und -Bedeutung Erwartungen an die GPM Maschinenfabrik Bernard Krone GmbH & Co. KG www.landmaschinen.krone.de sebastian.bohling@krone.de Landwirtschaftlich Beschäftigte und Lohnunternehmen finden bei KRONE passende Maschinen in drei Kompetenzbereichen: Gras, Stroh und Mais. Des Weiteren zeigt KRONE auch immer wieder digitale Lösungsansätze für die täglichen Herausforderungen der Lohnunternehmen und Landwirtinnen sowie Landwirte von morgen. Durchführung von Projekten zur Produktentwicklung, Digitalisierung und Organisationsentwicklung. Weiterentwicklung der Projektmanagement-Methodik. Wir erhoffen uns einen breiten Erfahrungsaustausch rund um Themen des Projektmanagements. Außerdem möchten wir das große Weiterbildungsangebot der GPM nutzen um uns noch professioneller aufzustellen. Duale Hochschule Schleswig- Holstein (DHSH) www.dhsh.de martin.reckenfelderbaeumer @dhsh.de; kerstin.prechel@ dhsh.de Die DHSH bietet duale Bachelorstudiengänge (derzeit Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik) sowie den berufsbegleitenden Masterstudiengang Digital Business & Innovation an. Zudem gehören zum Angebotsspektrum akademische Weiterbildungsangebote. Daneben engagiert sich die DHSH in Forschungsprojekten mit Hochschulen und Praxispartnern. Projektmanagement ist Inhalt der Lehre an der DHSH, sowohl im Rahmen der Studiengänge als auch im Rahmen von Zusatzangeboten für die Studierenden. Daneben unterstützt die DHSH ihre Praxispartner bei der Planung, Organisation und Durchführung von Projekten bis hin zur Erfolgskontrolle. Im Bereich der Forschung kommt das Projektmanagement für die Planung und Steuerung von Forschungsprojekten zum Einsatz, die mit unterschiedlichen Partnern aus Wissenschaft und Praxis durchgeführt werden. Die DHSH möchte vor allem die Möglichkeiten der Vernetzung nutzen und erhofft sich Unterstützung durch die Bereitstellung von Arbeitsmaterialien (z. B. Case Studies, etc.). Die GPM Fach- und Regionalgruppen Die derzeit 39 Regionalsowie 38 Fachgruppen der GPM bieten eine Plattform zum branchenübergreifenden Networking und Erfahrungsaustausch. Sie leisten damit wichtige fachliche Basisarbeit innerhalb des Vereins. Die Regional- und Fachgruppen bieten darüber hinaus ein breites Angebot von in der Regel kostenlosen Veranstaltungen zum Projektmanagement. Neue Firmenmitglieder stellen sich vor-… Weitere Informationen und Ansprechpartner der einzelnen GPM Fach- und Regionalgruppen finden Sie auf der GPM Website unter: www.gpm-ipma.de / know_how / fachgruppen. html bzw. www.gpm-ipma.de / ueber_uns / regionen.html Aus den DACH-Verbänden | Die GPM Fach- und Regionalgruppen 78 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0062 Körting Ingenieure GmbH www.koert-ing.de Janina Muhl, hamburg@koert-ing.de Als beratendes Ingenieurbüro mit mehr als 70-jähriger Erfahrung in der Steuerung und Planung von Städtebau- und Infrastrukturprojekten helfen wir Institutionen und Unternehmen, komplexe Projekte auf technisch-wirtschaftlich sinnvolle Weise nachhaltig und lebenswert umzusetzen und ermöglichen den daran beteiligten Menschen, effizienter und kooperativer den gemeinsamen Projekterfolg zu erreichen. Wir sind ein projektorientiertes Unternehmen. Unsere Dienstleistungen sind intern als Projekte organisiert und umfassen überwiegend die Erbringung von Projektmanagementleistungen für Projekte unserer Auftraggeber. Auch die internen Prozesssteuerungen und -verbesserungen erfolgen weitgehend in Projektform. Mit den internationalen Standards für Projektmanagement der GPM wollen wir die Kompetenz unserer Mitarbeitenden weiter stärken und die Kommunikation in den Projekten unserer Kundschaft effizienter gestalten. Köster GmbH www.koester-bau.de Tobias Spreckelmeyer, tobias.spreckelmeyer@koester-bau.de Expertinnen und Experten für individuelle Bauwerke in den Bereichen Arbeitswelt, Wohnen & Leben und Infrastruktur. Unser Versprechen: wir realisieren maßgeschneidert Kundenwünsche, wirtschaftlich und sicher. Wir leben Projektmanagement, in Bauprojekten mit unserer Kundschaft und unseren Partnern sowie intern in Organisations- und Digitalisierungsprojekten. Erfahrungsaustausch zum Projekt- und Portfoliomanagement, Teilnahme an Seminaren. 79 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0063 Aus den DACH-Verbänden | pma intern Brigitte Schaden, pma Präsidentin, meint: Die Arbeitswelt ist immer stärker von Volatilität, Unsicherheit und Komplexität geprägt. Die Auslöser dafür sind vielfältig: Digitalisierung, Klimawandel, Generationen-Shift, Corona- Pandemie bis hin zu den aktuellen politischen und wirtschaftlichen Krisen. Wie gelingt es Organisationen, ihre Vorhaben erfolgreich umzusetzen? Es ist heute notwendig, flexibler zu sein, mit kürzeren Planungszyklen zu arbeiten und Stakeholder stärker einzubeziehen. Projektmanager*innen sind routiniert im Umgang mit Unsicherheiten und gewohnt, flexibel und risikoaffin zu arbeiten. Mit Unsicherheiten professionell umgehen, das müssen auch Führungskräfte in Linienfunktionen. Auch sie profitieren von PM-Kompetenzen. Denn die rigide Abgrenzung zwischen Linien- und Projektorganisation löst sich immer weiter auf. Wertschätzung, Vertrauen und nicht zuletzt Humor bleiben die Grundlage, auf der neue Wege geschaffen werden können. brigitte.schaden@pma.at Getting stuffdone-- Projektmanagement für alle Getting stuffdone! Der pma focus ist Österreichs größter Projektmanagement- Kongress und findet heuer mit dem Titel „Getting stuffdone-- Projektmanagement für alle“ am 13. Oktober in Wien statt. Gemeinsam mit Expert*innen unterschiedlicher Disziplinen werfen wir einen Blick auf mitunter „projektuntypische“ Bereiche, um festzustellen, wo überall PM-Methoden verbreitet sind. © L. Schedl Keynote, Workshops & Kabarett Freuen Sie sich auf die Keynote "Kleine Gehirne als Innovationstreiber" von Martin Moder. Er ist Molekularbiologe in Wien und Mitglied der Kabarettgruppe Science Busters, die sich der Aufklärung von Wissenschaftsmythen widmet. Wie Kinder spielerisch Projektarbeit kennenlernen können und dabei viel Spaß haben, zeigt uns Karoline Iber. Sie ist die Geschäftsführerin des Kinderbüros an der Universität Wien und Veranstalterin der jährlichen Kinderuni. Event-Profi Philipp Groborsch widmet sich in seinem Vortrag der Risikominimierung von Projekten am Beispiel von Sportgroßveranstaltungen. Manege frei! Auf eine spannende Reise durch fünf Jahrzehnte Zirkus Roncalli nimmt uns Zirkuslegende Bernhard Paul mit. Und Bezirksfeuerwehrkommandant und Oberbrandwart Josef Huber schildert, wie es der Feuerwehr gelungen ist, Österreichs bislang größten Waldbrand zu löschen. Für den humorvollen Abschluss sorgt Kabarettist Stefan Haider. Best Practice Vorträge und Workshops runden das Angebot ab. Interessierte können vor Ort oder digital dabei sein. Infos unter pma.at/ focus. pma Mitglied vor den Vorhang Wiener Stadtwerke GmbH Thomas-Klestil-Platz 13 1030 Wien www.wienerstadtwerke.at Hauptgeschäftsgebiet: Mit Mobilität und Garagierung, Energie, IT sowie Bestattung und Friedhöfe ist die Wiener Stadtwerke-Gruppe der Infrastruktur-Dienstleister der Metropolregion Wien. Mit unseren 15.000 MitarbeiterInnen, Produkten, Dienstleistungen und Services halten wir Wien am Laufen. PM-Aufgaben und Bedeutung: Mit einem Mix aus klassischem und agilem PM besitzen unsere Projektleiter*innen eine zentrale Verantwortung unserer projektorientierten Organisation. Im Zuge der Umsetzung von komplexen, konzernübergreifenden sowie strategisch wichtigen Vorhaben und Initiativen tragen sie maßgeblich zum Erfolg der gesamten Wiener Stadtwerke-Gruppe bei. Auf ein Wort mit... | 80 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 03/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0064 Auf ein Wort mit-… Rodger D. Borowy, Program Manager bei der E.ON Digital Technology GmbH, IT Infrastructure Services Von Martina Peuser Zur Person | Rodger D. Borowy ist Program Manager bei der E.ON Digital Technology GmbH, IT Infrastructure Services. Er leitet große IT-Programme, derzeit im Umfeld der Integration der Innogy in den E.ON-Konzern. Wie sind Sie zum Projektmanagement gekommen? Ich bin Diplom-Wirtschaftsingenieur und begann direkt nach meinem Studium als Management Consultant bei Andersen Consulting in der SAP-Entwicklung. Die dort gesammelten Projekterfahrungen und -techniken in unterschiedlichen Industriegruppen sind auch heute noch sehr wertvoll für mich. Nach diversen Führungsrollen bei E.ON bin ich vor einigen Jahren wieder in das Projektmanagement gewechselt. Seit meinem Berufseinstieg 1992 habe ich gut 40 IT-Projekte erfolgreich geleitet. Falls Sie kein Projektmanager geworden wären-- was stattdessen? Ich finde es sehr befriedigend, etwas zu konzipieren und zu bauen, was neu ist, was sichtbar ist und zumindest von der Idee her langfristig besteht. Sicherlich hätte ich dies auch in dem Berufsfeld eines Architekten gefunden. Welches Projekt hat Sie besonders geprägt oder war für Sie besonders wichtig? Erfolglose Projekte prägen mich nachhaltiger als erfolgreiche. Bei einem davon ging es um eine SAP-Einführung bei einem regionalen Energieversorger. Nach 15 Monaten harter Arbeit erfuhr mein Team am Tag der Produktivsetzung, dass der Vorstand überraschend beschlossen hatte, das Alt-System weiter zu betreiben. Bis heute sind mir die Hintergründe dieser Entscheidung nicht transparent und ich frage mich, welche politischen Zeichen ich hätte früher erkennen müssen. Mein Learning: Neben der technischen Lösung sind immer auch unternehmenspolitische Aspekte zu beachten. Welche historischen Projekte bewundern Sie am meisten? Es muss nicht immer Raketentechnik sein. Mich beeindrucken Projekte mit großer Komplexität von vielen, an sich einfachen Aufgaben. So hat mich ein Vortrag über den Aufbau und Betrieb eines Flüchtlingscamps in Syrien fasziniert. Einfache Tätigkeiten, aber hundertausendfach täglich ausgeführt- - ein logistisches Meisterwerk mit wirklich dankbaren „Kunden“. Was zeichnet Sie als Projektmanager besonders aus? Ich bin ergebnisorientiert sowie direkt und offen im Umgang mit allen Projektbeteiligten. Dies benötigt man um „abzuliefern“. Mich sprechen Bilder an, deshalb bin ich kreativ und suche nach neuen Illustrationen und Analogien, um Projektziele und -wege zu verdeutlichen. Welche Tipps haben Sie für den Projektmanagement-Nachwuchs? Stellen Sie sich Ihr Projektwissen als Werkzeugkasten vor: Es ist egal, womit man anfängt, wenn man weder Hammer noch Säge hat. Achten Sie aber darauf, dass Sie im Verlauf der Projekte neue Werkzeuge dazu gewinnen bzw. selbst kreieren. So füllt sich nach und nach Ihr persönlicher Werkzeugkasten und Sie können als Handwerker jede Herausforderung meistern. Halten Sie den Kasten immer bereit und immer offen! Welche Eigenschaften schätzen Sie an Projektmanagern*innen am meisten? Zielorientiertheit und Empathie! Ein Widerspruch? Nein, sicherlich nicht. Ziele sind häufig vorgegeben und muss man im Auge behalten. Aber der Weg dahin wird vom Projektleiter aufgezeigt. Zuhören zu können und empathisch zu sein, helfen, diesen Weg gemeinsam als Team zu beschreiten. Was geben Sie den Lesern mit auf den Weg? Projektmanager*in ist kein klassischer „Lehrberuf“. Man wächst und lernt an Problemen. Und man benötigt dafür Selbstmotivation und Leidenschaft! Es ist wichtig, danach zu dürsten, über sich selbst bzw. das Team hinauszuwachsen. Wenn dieser Drang abklingt, sollte man sein Umfeld wechseln. Prof. Dr. Martina Peuser ist Professorin für allgemeine BWL, insbesondere Organisation und Projektmanagement, an der Leibniz Fachhochschule in Hannover. Als Inhaberin des „Institut für praxisnahe Mittelstandberatung” ist sie Expertin für kundenzentrierte, agile Organisationsstrukturen und begleitet Unternehmen dabei, ihre Strukturen mit dem Fokus auf Kunden flexibel anzupassen. In ihrer Kolumne gibt sie spannende Kurzeinblicke in Lebensläufe und Gedanken von im Projekt tätigen Personen. UND STEIGE DIE KARRIERELEITER NACH OBEN. ICH STUDIERE NEBEN DEM b e r u f Entdecken Sie unsere zukunftsorientierten berufsbegleitenden Studiengänge: ƒ Digitale Unternehmensführung (MBA) ƒ Prozessmanagement und Ressourceneffizienz (MBA & M. Eng.) ƒ Werteorientiertes Produktionsmanagement (MBA) ƒ Wirtschaftsingenieurwesen (B. Eng.) ƒ Systems and Project Management (MBA) ƒ Simulation Based Engineering (M. Eng.) Berufsbegleitende Weiterbildung an der Hochschule Landshut steht für innovative Lehrangebote und anerkannt hohe Qualität in einem attraktiven und persönlichen Lernumfeld. Erfahren Sie mehr zu den Studiengängen unter www.studieren-in-landshut.de oder scannen Sie direkt den QR-Code. Souveräne Verkaufsstrategien - Umsätze steigern Hamburg 27.-29.07.2022 Nachhaltigkeit im Projektmanagement online 18.08.2022 Exzellentes Projektmarketing Berlin 24.08.2022 Grundlagenseminar online 05.-07.09.2022 online 07.-09.12.2022 Nachhaltigkeit erfolgreich in Unternehmen verankern Nürnberg 09.09.2022 Konvergente Transformation Hamburg 14.-16.09.2022 Agiles Projektmanagement 4.0 Stuttgart 15.-16.09.2022 Stuttgart 20.-21.10.2022 Agile Führung 4.0 von Teams und Organisationen Stuttgart 10.-11.11.2022 Agile Transformation 4.0 Stuttgart 01.- 02.12.2022 Veränderungsprozesse in Unternehmen verstehen Nürnberg 19.-20.09.2022 Internationale Projekte erfolgreich durchführen Nürnberg 22.-23.09.2022 Optimales Selbst- und Zeitmanagement online 23.09.2022 Strategisches Projektmarketing kompakt online 27.09.2022 Führungstraining für Projektmanager Nürnberg 28.-29.09.2022 Mehr Projekte unter Zeitdruck online 04.-05.10.2022 Digitalisierung im Projekt - von der Strategie bis zur Umsetzung online 13.10.2022 Nachhaltigkeit im Projektmanagement online 27.10.2022 Cleveres Marketing für Ihr Projekt Berlin 04.11.2022 Systemisches Konsensieren im Projekt Stuttgart 07.-08.11.2022 Projekterfolge sichern - Konflikte lösen - Modul 1 Nürnberg 19.-20.10.2022 Projekterfolge sichern - Konflikte lösen - Modul 2 Frankfurt 23.-24.11.2022 Konflikttraining nach der Harvard-Methode online 14.-15.11.2022 Stakeholdermanagement in China Stuttgart 15.-16.11.2022 Erfolgreiches Projektmanagement in Asien Stuttgart 17.-18.11.2022 Lernentwicklung im Projekt Nürnberg 21.-22.11.2022 Komplexität im Projekt managen Erfurt 24.-25.11.2022 Gründung und Etablierung von PMOs Berlin 02.12.2022 Mehr Projektmanagement-Wissen für Sie und Ihren Unternehmenserfolg! Aus dem profunden und vielfältigen Know-how des Vereins entstehen die Ideen für das Seminarangebot der GPM. Dank des gemeinnützigen Charakters der GPM können Sie sich dabei auf faire Preise verlassen. Weitere Seminare unter: www.gpm-ipma.de/ seminare GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. I seminar@gpm-ipma.de I www.gpm-ipma.de Know-how für Ihren Projekterfolg Jetzt informieren und anmelden unter: www.gpm-ipma.de/ seminare Profitieren Sie vom Expertenwissen der GPM - dem deutschen Fachverband für Projektmanagement. WEITERBILDUNG Das GPM Weiterbildungsprogramm - Seminare 2. Halbjahr 2022 1. 2. 3. Agiles Projektmanagement 4.0 Stuttgart 15.-16.09.2022 Stuttgart 20.-21.10.2022 Agile Führung 4.0 von Teams und Organisationen Stuttgart 10.-11.11.2022 Agile Transformation 4.0 Stuttgart 01.- 02.12.2022 Grundlagenseminar online 05.-07.09.2022 online 07.-09.12.2022 Projekterfolge sichern - Konflikte lösen - Modul 1 Nürnberg 19.-20.10.2022 Projekterfolge sichern - Konflikte lösen - Modul 2 Frankfurt 23.-24.11.2022 1. 2. Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Unter Mitwirkung von: spm - Swiss Project Management Association und Projekt Management Austria P R OJ E K T M A N A G E M E N T A K T U E L L www.pm-aktuell.de Wie leben wir in der Zukunft? Mit der All-in-One-Software von PLANTA haben Sie alle Funktionen, die Sie für erfolgreiches Projektmanagement brauchen, in einem System. Ob klassische, agile oder hybride PM-Methode, ob Projekt oder Portfolio, Sie sind für alle Projektsituationen gerüstet. 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