eJournals

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
51
2023
342 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.
Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Unter Mitwirkung von: spm - Swiss Project Management Association und Projekt Management Austria P R OJ E K T M A N A G E M E N T A K T U E L L www.pm-aktuell.de Arbeit der Zukunft - was Projekte beitragen Ausgabe 2/ 2023 | 34. Jahrgang Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM3) FÜR IHRE KARRIERE IM PROJEKTMANAGEMENT GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. I www.gpm-ipma.de I weiterbildung@gpm-ipma.de Das GPM Weiterbildungsangebot Das umfassende GPM Weiterbildungsangebot bietet Ihnen den Schlüssel für erfolgreiches Projektmanagement. Besuchen Sie deutschlandweit Lehrgänge und Coachings nach GPM Qualitätsstandards - durchgeführt von erfahrenen Autorisierten Trainingspartnern und Akkreditierten Trainern. Zusätzlich werden Ihnen auch reine Online-Trainings angeboten. Autorisierter Trainingspartner Bei unseren Weiterbildungspartnern finden Sie das passende Angebot. Jetzt Kontakt aufnehmen und beraten lassen! weiterbildung@gpm-ipma.de Unsere Weiterbildungspartner finden Sie hier: www.gpm-ipma.de > Weiterbildung mit Zertifikat > Weiterbildungspartner 1 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Am Tullnaupark 15, 90402 Nürnberg Unter Mitwirkung von Spm - Swiss Project Management Association Flughofstraße 50, CH-8152 Glattbrugg und Projekt Management Austria Palais Schlick, Türkenstraße 27/ 2/ 21, A-1090 Wien Redaktion: Prof. Dr. Steffen Scheurer, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (Chefredakteur) Oliver Steeger, Alfter (Ressort Report) Nadja Saoudi, GPM Nürnberg Dr. Thor Möller, con-thor, Ganderkesee Redaktionsbeirat: Prof. Dr. Peter Thuy (Präsident GPM) Dr. Dieter Butz Axel Graser, Südwestrundfunk / SWR Prof. Dr. Nino Grau, Grauconsult GmbH Prof. Dr. Katrin Hassenstein, Hochschule der Medien Stuttgart Prof. Dr. Claus Hüsselmann, Technische Hochschule Mittelhessen Dr. Hans Knöpfel, spm, Schweizerische Gesellschaft für Projektmanagement Brigitte Schaden, pma (Projektmanagement Austria) Prof. Dr. Heinz Schelle, GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Prof. Dr. Doris Weßels, Fachhochschule Kiel G 6010 34. Jahrgang, 2/ 2023 ISSN 2941-0878 Verlag: UVK Verlag. Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5, 72070 Tübingen Telefon: +49 (0)7071 97 97 0 Telefax: +49 (0)7071 97 97 11 www.projektmanagement.digital © 2023 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Tübingen Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages. Namentlich gekennzeichnete Beiträge sowie die Inhalte von Interviews geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion oder des Verlages wieder. Zeitschriftenkoordination: Patrick Sorg eMail: sorg@narr.de Anzeigenverwaltung: Stefanie Richter Telefon: +49 (0) 89 / 120 224 12 eMail: richter@narr.de Erscheinungsweise: 5 Hefte pro Jahr Bezugspreise für Privatpersonen: Einzelheftpreis: EUR 20,- Jahresbezugspreis (print): EUR 67,- Jahresbezugspreis (print & online): EUR 88,- Bezugspreise für Institutionen: Jahresbezugspreis (print): EUR 67,- Jahresbezugspreis (print & online): EUR 198,- Preisänderungen vorbehalten. Der Bezugspreis für Mitglieder der GPM ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Alle Preise zzgl. Versandkosten und inkl. MwSt. Die Kündigung ist sechs Wochen vor Ende eines Kalenderjahres schriftlich an den Verlag zu richten. Sonderausgaben werden zusätzlich berechnet. Bei Nichterscheinen der Zeitschrift ohne Verschulden des Verlages oder infolge höherer Gewalt entfällt für den Verlag jegliche Lieferpflicht. Umschlagabbildung: © iStock.com/ BalanceFormcreative Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird die männliche Form verwendet (generisches Maskulinum). Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter und beinhalten keine Wertung. Impressum 2 Editorial Reportage 4 Das Ewigkeitsprojekt am Rhein 13 „Der Dom ist ein Universum“ 17 Das Versprechen der SAP Wissen 22 Next Work - Selbstorganisation und Zukunftsgestaltung 25 Agiles Personalmanagement 31 Soziale Kompetenzen im digitalen Bauprojektmanagement 37 Auf die Plätze, fertig, los! 45 Die Zukunft des Projektmanagements: Projekt-Leadership zwischen Rule Makers und Rule Breakers 55 Warum Sie sich in Projekten mehr um Misserfolgsfaktoren kümmern sollten 60 Einer für alle, alle für einen 66 Projektmanagement in einem Start-up - ein Erfahrungsbericht GPM intern 70 Ohne Vertrauen helfen die besten Methoden nichts 71 Der Zukunftskongress Staat & Verwaltung 2023 - Interview mit Prof. Dr. Silke Schönert 73 „Früher oder später begegnen alle unsere Schüler*innen Projekten! Kolumne 76 Der Blitz des starken Arguments Aus den DACH-Verbänden 77 IPMA 78 GPM intern Die GPM Fach- und Regionalgruppen 80 pma intern 81 spm intern 84 Auf ein Wort mit-… Dr. Martin A. Süchting 2 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0023 Editorial Arbeit der Zukunft-- was Projekte beitragen Liebe Leserinnen und Leser, der Arbeitsmarkt wandelt sich tiefgreifend. Der Mangel an Arbeitskräften stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen: Vielfach bewerben sich nicht mehr Arbeitskräfte um Stellen, sondern Unternehmen um neue Mitarbeiter. Unternehmen sehen sich gezwungen, auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter zu reagieren und attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen. Zudem melden die Generationen Y und Z neue Ansprüche an Arbeit und Work-Life-Balance an - was zu einer Vielzahl von weiteren Veränderungen unter dem Schlagwort „New Work“ führt. Damit verbinden sich konkrete Vorstellungen, welche Merkmale für eine attraktive Arbeit der Zukunft stehen. Im Vordergrund steht der Wunsch nach Sinnhaftigkeit der Arbeit. Eine räumliche und zeitliche Arbeitsplatzflexibilität, digitale Tools zur effizienten Arbeitsgestaltung und eine ansprechende Gestaltung des Arbeitsortes spielen eine wichtige Rolle. Als zentral für eine Erhöhung der Arbeitsattraktivität werden von jüngeren Menschen Veränderungen in den zwischenmenschlichen Arbeitsbeziehungen gesehen. Teamarbeit soll im Vordergrund stehen. Die Rolle des Vorgesetzten soll sich stärker hin zu einem Enabler und Coach ändern. Offene, transparente und gleichberechtigte Kommunikation auf Augenhöhe anstelle von Hierarchien - dies wird dafür als Voraussetzung gesehen. Selbstorganisationsmöglichkeiten, eigenständige Entscheidungsmöglichkeiten und die Übernahme von Verantwortung werden eingefordert. Wenn Sie diese Anforderungen genauer betrachten, werden Sie feststellen, dass viele dieser Anforderungen für uns Projektmanager längst bekannte Bestandteile von Projektarbeit sind; in der agilen Projektarbeit sind sie sogar konstitutive Merkmale. Mit anderen Worten: Projekte sind ein ideales Mittel „New Work“ konkret mit Leben zu füllen. Damit wird nicht nur die intrinsische Motivation der Mitarbeiter und deren Arbeitszufriedenheit erhöht. Zudem kann so die Attraktivität als Arbeitgeber gesteigert werden. Außerdem wird so die Innovations- und Reaktionsfähigkeit des Unternehmens erhöht und damit auch dessen Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Es gibt also viele gute Gründe in diesem Heft den Zusammenhang zwischen modernen Arbeitsformen und Projektmanagement näher zu betrachten. Lesen Sie als Einstieg in das Thema den Bericht von Michael Fleischmann über das Arbeiten bei der metafinanz unter dem Titel: Next Work- - Selbstorganisation und Zukunftsgestaltung und das Interview mit Christian Schmeichel, dem globalen Chief Future of Work Officer der SAP SE. Agiles Arbeiten und moderne Arbeitsformen sind nicht mehr zu trennen. Wie sich vor diesem Hintergrund auch das Personalmanagement ändern muss, zeigen Agnetha Flore und Frank Edelkraut in ihrem Beitrag. Karina Breitwieser, Dietmar Paier und Christian Steinreiber erklären in ihrem Beitrag am Beispiel des Bauprojektmanagements, weshalb in zunehmend digitalisierten Projektumgebungen soziale Kompetenzen immer wichtiger werden. Teamarbeit spielt in modernen Arbeitsformen eine große Rolle. Was aber ist der Unterschied zwischen einem Team und einer Gruppe und welche Arbeitsform wird für welche Aufgabenstellungen benötigt? Matthias Eberspächer stellt in seinem Beitrag ein neues Diagnosemodell zur Bewertung der beiden Zusammenarbeitsmodelle vor. Christoph Richter beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Frage nach einem „Best of PM“ und entwickelt anhand einer Gegenüberstellung von klassischen und agilen Projektmanagementformaten einen Vorschlag der situativen Ambidextrie als Alternative zu einer „Best of PM-Vorgehensweise“. Rainer Erne, Claus Hüsselmann und Stefanie Langhardt entwickeln einen „Project Management Waste Index“, mit dem eine Analyse der wesentlichen Verschwendungsarten in Projekten möglich wird. Mentz-Christoph Rehder zeigt mit dem Modell der integrierten Projektallianz ein Vertragsmodell auf, mit dem es gelingen kann, die unterschiedlichen Interessen der Projektstakeholder im Sinne des Grundsatzes „Best for Project“ zu bündeln. Patrick Fiebeler beschreibt in seinem Beitrag, wie situativ angemessen angewendete Projektmanagementkompetenzen in einem Start-up wesentliche Beiträge zur Entwicklung des Unternehmens leisten können. Zusätzlich informieren wir Sie in diesem Heft über die Aktivitäten der GPM im Bereich der Schulen und der Verwaltung. Lesen Sie hierzu das Interview von Sarah Khayati mit Birgit Köpnick, Schulleiterin am Regionalen Beruflichen Bildungszentrum Müritz, über die Rolle von Projektmanagement in ihrer Schule, die 2022 als beste Schule Deutschlands ausgezeichnet wurde. René Mittelstädt und Maximilian Hahn geben jeweils mit einem Interview mit Martina Peuser bzw. Silke Schönert einen Ausblick auf das Creative Bureaucracy Festival und den 10. Zukunftskongress Staat & Verwaltung, zwei Veranstaltungen, die unter Beteiligung der GPM im Juni in Berlin stattfinden werden. Projektmanagement kann nicht nur einen wesentlichen Beitrag zu zukünftigen Arbeitsformen leisten, Projektmanagement war schon immer „modern“. Dies zeigt sich an einem so zeitlosen Projekt wie dem Kölner Dom. Von der Grundsteinlegung im Jahr 1284 bis zur Erhaltung des Doms heute spielen Projekte schon immer eine zentrale Rolle. Lesen Sie hierzu den Report von Oliver Steeger und das Interview mit dem Dombaumeister Peter Füssenich . Wir spannen in diesem Heft einen weiten Bogen, um so zu zeigen, wie wichtig Projektmanagement schon immer war und wie wichtig es auch in der Zukunft bei der Bewältigung neuer Herausforderungen sein wird. Ihr Steffen Scheurer 4 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0024 Wo Projektmanager in Jahrhunderten denken und Jahrzehnten rechnen Das Ewigkeitsprojekt am Rhein Oliver Steeger Der Kölner Dom ist ein Ewigkeitsprojekt. Es währt seit mehr als 700 Jahren. Der Kirchenbau ist schwindelerregend groß. Einschüchternd hoch. Komplex wie ein Universum. Ein Blick hinter die Kulissen eines Gebäudes, das (glaubt man dem Volksmund) niemals fertig werden darf-- und ständig Projekte braucht. Ich habe Angst. Der Bau-Aufzug klettert scheppernd die Fassade empor, eine Art Lastenkäfig für gut zwanzig Leute. Der Hauptbahnhof unten schrumpft zu Spielzeug, die Autos und Menschen sind winzig klein. Durch das Gitter sehe ich das schwarz-steinerne Strebewerk des Doms vorbegleiten, die verwirrende Vielfalt an Bögen, Fialen und Kreuzblumen. In 45 Metern Höhe stoppt der Aufzug abrupt. Stille. Nur der Wind. Wir sind da. Auf dem Dach des Kölner Doms. Dr. Klaus Hardering, Leiter des Dombauarchivs, schiebt die klappernde Aufzugtüre zur Seite. Ein schmaler Brückensteg mit niedrigem Baustellen-Geländer läuft vom Aufzug direkt auf das Dach des Doms zu. „Müssen wir da drüber? “, frage ich ungläubig. Dr. Klaus Hardering nickt freundlich. „Halten Sie sich mit einer Hand am Geländer fest“, sagt er, „das hilft gegen Höhenangst.“ Also klammere ich mich mit schwitzenden Händen an das Metallgeländer-- und blicke hinunter auf die schwarze, manchmal bröckelig wirkende Fassade des Kölner Doms: ein Meer aus steinernen Türmchen, steilen Säulen, Zierrat, Figuren, und strengen, spitzbogigen Fenstern. Der Dom ist der Stolz dieser Stadt am Rhein. Ein Mega-Projekt des Mittelalters. Ein nationales im 19. Jahrhundert. Und heute ein ewiges Restaurierungs-Projekt. Gotische Architektur, so weiß ich aus der Schulzeit, geht kühn in die Höhe. Unten fragte mich Dr. Klaus Hardering, ob ich mit Höhe zurechtkomme. „Nein“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Doch er schien den Eindruck zu haben, dass ich es schaffe da oben. „Man gewöhnt sich daran“, sagte er. Das erste Mal ist vielleicht das Schlimmste. Wer sich mit dem Kölner Dom beschäftigt, muss in vieler Hinsicht schwindelfrei sein: zunächst wegen der Höhe, der überall zum Himmel strebenden Architektur und des überwältigenden Detailreichtums. Dann ahne ich: Dieses Ewigkeitsprojekt selbst ist schwindelerregend. Wie kann solch ein Projekt überhaupt funktionieren? Oben auf dem Brückensteg, der den Aufzug mit dem Dachstuhl verbindet, blicken wir auf das Strebewerk des Doms. Die kunstvollen steinernen Stützen leiten das Gewicht des Gemäuers ab. Sie sorgen dafür, dass der Dom nicht zusammenfällt. Dr. Klaus Hardering erklärt uns die verschiedenen Arten des verwendeten Steins, ihre Ursprünge und die Gründe, weshalb manche Steine heute Probleme machen. Demnächst, sagt er, muss das Strebewerk restauriert werden. Ein Projekt mit einer Laufzeit von fünfzig Jahren und mehr. Viele von denen, die an diesem Projekt mitwirken, werden sein Ende nicht mehr erleben. Normalerweise sind Laufzeiten von fünf oder zehn Jahren eine enorme Zeitspanne im Projektmanagement. Doch Zeit wird am Dom anders gerechnet. Jahrhunderte sind hier die Währung, Jahrzehnte eher das Kleingeld. „Wir vertrauen auf die künftigen Generationen, die weitermachen“, wird mir später Dombaumeister Peter Füssenich sagen, als wir noch weiter oben auf dem Vierungsturm stehen. Und er fügt an: Das Projekt “Dom“ war (und ist) nicht nur ein Projekt zur Ehre Gottes. Es war auch ein Wirtschaftsförderungsprojekt für Köln. Könige kamen und Pilger. Sie brachten Geld und Handel in die Stadt am Rhein. Ohne Dom sähe es in Köln heute anders aus. Wir verlassen den Baugerüst-Steg und betreten den Dachboden des Doms. Ein hallengroßer, nach oben spitz zulaufender Raum, in dem wiederum eine kleine Kirche hätte Platz finden können. Unter uns liegt das gotische Deckengewölbe des Doms. Zu unserem Erstaunen ist der Dachstuhl nicht aus Holz gebaut. Das Dach wird gestützt von rot gestrichenem THOST ist eines der führenden deutschen Unternehmen im Projektmanagement. Von unseren Standorten im In- und Ausland steuern wir komplexe Projekte in den Bereichen Immobilien, Öffentliche Hand, Gesundheit, Energie, Infrastruktur, Automotive, Chemie & Petrochemie, Pharma, Öl & Gas und IT. Mit unserer breit gefächerten Expertise im Projektmanagement betreuen wir Industriekundinnen und -kunden sowie öffentliche und private Investor*innen. Wir stehen für herausragende Qualität in der Unternehmenskultur und die stetige Weiterentwicklung unserer Mitarbeitenden. Das bestätigen seit vielen Jahren unsere Arbeitgeberzertifizierungen (audit berufundfamilie sowie top4women). Seit 2018 zählt THOST Projektmanagement mit der Auszeichnung LEADING EMPLOYER außerdem zum Kreis der besten Arbeitgeber*innen in Deutschland. Werden Sie Teil unseres Teams. Jetzt bewerben! Projekte sind unsere Welt THOST Projektmanagement www.thost.de/ karriere Villinger Straße 6 | 75179 Pforzheim +49 7231 1560-888 | karriere@thost.de Hier geht‘s zu unseren Stellenanzeigen Reportage | Das Ewigkeitsprojekt am Rhein 6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0024 Eisen mit filigran geschwungenen Bögen. Die Konstruktion stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie war damals eine technische Großtat, errichtet mit Eisen als innovativem Baumaterial, vollendet dreißig Jahre vor dem Pariser Eiffelturm. „Wir haben ein Industriedenkmal auf dem Dach des Doms“, erklärt Dr. Klaus Hardering. Der Stahl war vor über 150 Jahren noch nicht so rein wie der heutige. Deshalb konnte man ihn nicht schweißen. Er wurde genietet oder mit handtellergroßen Muttern geschraubt. Hier, im Dachstuhl des gotischen Doms, ist von Kirche und Mittelalter kaum etwas zu spüren. Neonlicht erhellt den Raum. Eisengeländer säumen den Weg, Planen, Schläuche und Kabel sind sorgsam aufgehangen, schwere Werkzeugkoffer stehen in Nischen, rote Feuerlöscher und grüne Schaltkästen sind an der Wand befestigt. Irgendwo steht ein Modell des Doms aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert. Peter Füssenich, der neunzehnte namentlich bekannte Dombaumeister, ist inzwischen hinzugekommen und übernimmt die Führung durch das Ewigkeitsprojekt Kölner Dom. Er erläutert: Der Kölner Dom mit seinen fast 8.000 Quadratmetern bebauter Fläche hat den Grundriss eines Kreuzes. Wo sich das lange Kirchenschiff („Langhaus“) mit dem Querhaus kreuzt, ist die sogenannte Vierung. Im Kirchenraum befindet sich dort der Altar in der Vierung-- und direkt über dem Altar, in über hundert Metern Höhe, die Spitze des Vierungsturms auf dem Dach. Von unten schaut dieser Turm, der über dem Dachfirst des Doms hockt, eher klein aus. Das täuscht. Auf dem Dachboden betrachten wir die Stütz-Konstruktion, auf der der Vierungsturm ruht. Eine Art Sockel aus mannsdicken Stahlrohren: Sie sind verstrebt und zudem durch Eisenband gehalten. Im Jahr 1860 wurden hier auf dem Dach über 200 Tonnen Eisen verbaut. Eine gusseiserne, fein ziselierte Wendeltreppe schraubt sich zu der Turmplattform empor. „Wollen wir auf den Turm hinauf? “, fragt Peter Füssenich. Nochmals höher? Ich? - Also gut! Peter Füssenich hat ein gewinnendes Lächeln, und er weiß spannend von „seinem“ Dom zu erzählen. In seiner Hand hält er einen Schlüsselbund. 456 Türen gibt es im Dom, dies hat sein Schreinermeister nachgezählt. Zum Glück gibt es Generalschlüssel. Der Dombaumeister geht voran. Er erklimmt die schmucklosen, modernen Stufen mit Gitterrosten, und wir folgen ihm. Wir erreichen eine Art Plateau; ganz oben sind wir noch nicht. Ich schaue hinauf, nicht hinunter (das habe ich zwischenzeitlich gelernt). Es geht weiter über die zierliche, gusseiserne Wendeltreppe. Peter Füssenich öffnet über sich eine Falltüre. Dann stehen wir auf dem Turm in rund 68 Meter Höhe. Über uns die Turmhaube, unter uns das Dach des Doms, bleigrau, dahinter das Panorama Kölns mit seinen Hochhäusern sowie der Rhein mit streichholzdünnen Brücken. Der Blick reicht bis zum Siebengebirge, gut 35 Kilometer entfernt. Wir wenden uns um-- und erblicken die beiden mächtigen Türme des Doms. Dunkel und stark und ewig. „Hier spürt man noch einmal, was für ein gewaltiges Werk der Kölner Dom ist“, sagt Peter Füssenich, „er ist nicht nur eine Kirche. Er ist ein kleiner Kosmos für sich.“ Wir nicken stumm. Der Dombaumeister fährt fort: „Die Menschen, die hier im Mittelalter den ersten Stein gesetzt haben, wussten: Dieses Gebäude würde nicht zu ihren Lebzeiten vollendet werden. Auch wir wissen heute, dass wir nie fertig werden.“ Wer hier mitwirkt, sieht sich in einer langen Kette. Generationen vor ihm haben ihm das Projekt anvertraut, und er gibt es weiter an die Nachfahren. Man dient einem Projekt, das den eigenen Horizont übersteigt. Die Daten des Ewigkeits-Projekts „Kölner Dom“ sind gut bekannt. Die Grundsteinlegung im Jahr 1248. Danach machte das Projekt raschen Fortschritt. Bereits 1265 stand das Erdgeschoss des Chores, der östliche Teil des Doms. Am 27. September 1322 weihte Erzbischof Heinrich II. von Virneburg den Unter dem Dach des Kölner Doms befindet sich ein Industriedenkmal aus dem neunzehnten Jahrhundert: Eine rotgestrichene Eisenkonstruktion stützt das Dach, damals eine technische Großtat, vollendet dreißig Jahre vor dem Pariser Eiffelturm. Foto: Oliver Steeger Ein Schraubenschlüssel deutet auf die Mächtigkeit der Schrauben hin. Foto: Oliver Steeger Reportage | Das Ewigkeitsprojekt am Rhein 7 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0024 gotischen Chor. Damit hatte der kostbare Reliquienschein für die Gebeine der Heiligen Drei Könige seinen Platz für die nächsten Jahrhunderte gefunden. Der Ehrgeiz, dieses Projekt voranzutreiben, hing mit dem kühnen Willen Kölner Erzbischöfe und Bauherrn zusammen. Einer dieser Erzbischöfe ist Rainald von Dassel, eine machtvolle und visionäre Gestalt in der Mitte des zwölften Jahrhunderts. Rainald von Dassel holte die Gebeine der Heiligen Drei Könige von Mailand nach Köln (manche sprachen von Raub, manche von Rettung). Diese Gebeine waren eine der wichtigsten Reliquien im christlichen Abendland, glaubte man in ihnen die ersten christlichen Könige zu sehen. Dieser Schachzug ließ sowohl Ansehen als auch Wirtschaftskraft der Domstadt steigen. Zum einen der Glaube: In Aachen wurden traditionell die deutschen Könige gekrönt. Um ein wahrhaft christlicher König zu werden, musste der neue Herrscher in Köln den heiligen drei Königen die Reverenz erweisen. Zum anderen das Geld: Köln wurde Pilgerstätte, und der stete Strom von Pilgern war ein erstrangiges Wirtschaftsförderungsprogramm für die Stadt. Angesichts der Bedeutung der Reliquien und der weitreichenden Pläne schien das alte, im romanischen Stil errichtete Gotteshaus-- aus heutiger Sicht der „Dom-Vorgänger"-- nicht mehr angemessen. Gut achtzig Jahre nachdem Rainald von Dassel die Gebeine der Heiligen Drei Könige überführt hatte, reifte der Entschluss für den Bau eines neuen Gotteshauses. Das Kölner Domkapitel unter Erzbischof Konrad von Hochstaden beauftragte ein spektakuläres Projekt: eine lichtdurchflutete Kathedrale ganz nach der neuen, überwältigenden Architektur, die in Frankreich ihre Anfänge genommen hatte. Die Baumeister der Gotik durchbrachen die flächigen Mauern und Wände, wie man sie aus früheren Kirchen kannte. Die Architektur wurde- - trotz aller Strenge- - luftig. Eine himmlische Lichtfülle durchflutete die Kathedrale. Mit ihrer Größe schien sie das Maß zu verlassen, das für Menschen zugänglich und vorstellbar ist. Man wollte in Köln den Himmel auf Erden holen, das „himmlische Jerusalem“, wie man es nannte. Technisch gesehen brachte die Gotik enorme statische Herausforderungen. Auf den Säulen lasteten die Massen von Gewölben, Dachstuhl und Türmen. Diese Gewichte galt es aufzunehmen, zu verteilen und abzuleiten mit Hilfe eines austarierten Systems von Streben und Stützen. Historiker wissen recht wenig über die Menschen, die in Köln diese Herausforderungen gemeistert haben. Der erste Dombaumeister und Projektmanager hieß Meister Gerhard, soviel ist gewiss. Gerhard war der erste in der Reihe bislang 19 Dombaumeistern (vielleicht gab es auch mehr, dies wiederum ist ungewiss). In seiner Hand lag der Bau des Chorerdgeschosses und der Chorkapellen. Vor allem geht auf ihn die Grunddisposition des Domes zurück. Meister Gerhard wird als charismatischer Visionär vermutet. Er wollte die Gotik in seinem Projekt zu neuen Höhen führen, den Stil gewissermaßen vollenden. Kaum etwas ist über Meister Gerhard bekannt. Fest steht nur, dass er die französische Architektur gut kannte. Historiker nehmen an, dass er für eine Weile in Frankreich gearbeitet hat. Vielleicht lernte er dort sein Handwerk, und- - möglicherweise- - bereiste er zur Vorbereitung seines Projekts nochmals französische Baustellen, um aus dem, was er beobachtete, eine Synthese zu bilden. Nach einer Legende war das Kölner Projekt nicht nur seine Lebensaufgabe, sondern auch sein Schicksal: Meister Gerhard soll auf einem Kontrollgang auf der Baustelle den Tod gefunden haben, abgestürzt von einem Gerüst. Wer heute genau hinschaut, kann im Scheitel eines mittelalterlichen Domfensters einen steinernen Kopf entdecken. Manche deuten die Skulptur als Gerhards Portrait. Doch das alles ist hypothetisch, sagen Historiker. Gerhards Nachfolger, Meister Arnold, wurde 1271 Dombaumeister. Man weiß etwas mehr über ihn, obwohl viele Details im Dunkeln bleiben. Auch er hat wahrscheinlich in Frankreich gelernt. Vielleicht hörte Arnold 1284 davon, dass in der zeitgleich gebauten Kathedrale in Beauvais Teile des Chores eingestürzt waren. Möglicherweise überarbeitete er daraufhin die Pläne für den Kölner Dom und verstärkte das äußerliche Strebewerk am Hochchor. Dieses Strebewerk ist zentral für die Statik des Doms. Es nimmt die gewaltigen Schubkräfte des Gebäudes auf und leitet sie nach außen ab. Heute-- mehr als 700 Jahre nach Arnold-- ist das Strebewerk wieder im Fokus der Dombauhütte. In den letzten Jahrzehnten haben Umwelteinflüsse den Sandstein der Streben angegriffen und teils stark verwittern lassen (siehe Interview mit Peter Füssenich). Das Projekt für die Restaurierung dieser wichtigen Bauelemente läuft bereits. „Sein Ende könnte ich noch erleben, aber wohl nicht mehr als Dombaumeister“, sagt Peter Füssenich mit einer Gelassenheit, wie sie häufig in der Dombauhütte zu hören ist. „Wie war es möglich, dass Menschen im Mittelalter solche Bauwerke errichten konnten? “, frage ich Peter Füssenich. Eine Antwort darauf ist schwierig. Fest steht: Die mittelalterlichen Dombauhütten waren herausragende Technologie- Schmieden, vergleichbar mit der heutigen NASA. Sie waren ein Zentralpunkt für Wissen aus Architektur, Bauwesen und Kunst-- und über Europa bestens vernetzt. Die Hütten waren organisiert in multidisziplinären Teams aus Steinbrechern, Steinmetzen, Schmieden, Zimmerleuten, Windenknechten und Mörtelmischern. Im Zentrum der Hütte standen die Dombaumeister, oftmals herausragende, erfahrene und vielseitig talentierte Persönlichkeiten, die ihr Handwerk von der Pike auf gelernt hatten. „Meister Gerhard dürfte, wie es im Mittelalter üblich war, von seiner Ausbildung her Steinmetz gewesen sein und sich dann weiter spezialisiert haben“, sagt Peter Füssenich, „Baumeister waren Menschen mit großer Überzeugungskraft, die andere für ihr Projekt gewinnen und dabei auch widersprüchliche Interessen vereinen konnten.“ Baumeister hatten seit je her Aufgaben, wie sie moderne Projektmanager kennen: Das Finanzielle im Blick behalten, Teammitglieder finden und einarbeiten, Prozesse aufeinander abstimmen, Stakeholder unter einen Hut bekommen, Projekt und Baustelle über Jahre in Gang halten. Eines begeistert Peter Füssenich an seinen Vorgängern besonders: Ihre schier unermessliche Visionskraft. Die mittelalterlichen Baumeister waren fähig, sich die Architektur bis ins Winzigste vorzustellen- - bevor sie den komplexen Bauplan auf Pergament in einem Wurf zeichneten, ohne radieren zu müssen. „Den Dombaumeistern stand der gesamte Bau zu jeder Zeit vor Augen“, sagt Peter Füssenich, „und auch deshalb wirkt unser Dom bis heute so einheitlich und augenfällig perfekt.“ Ist er manchmal nicht zu perfekt gebaut bis ins letzte Detail? Niemand, der am Boden vor den Domportalen Reportage | Das Ewigkeitsprojekt am Rhein 8 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0024 steht, erkennt die Feinheiten der Kreuzblume auf dem Turm. „Ein Mensch mag dies von unten nicht erkennen“, antwortet Peter Füssenich lächelnd, „doch das Auge Gottes sieht alles.“ Dies ist keineswegs ironisch gemeint. So schwindelerregend groß der Dom und überwältigend das Menschenwerk ist-- es handelte sich in erster Linie um ein Projekt zu Ehre Gottes. „Man hatte damals eine andere Haltung zu diesen Dingen“, sagt Peter Füssenich, „für die Baumeister stand es außer Frage, dass sie die Vollendung ihres Projekts oft nicht erleben konnten.“ Sie übergaben ihr Lebenswerk mit Gottvertrauen zukünftigen Generationen und waren sicher, dass diese weitermachen würden. Durch eine kleine, seitliche Türe verlassen wir den Dachstuhl, treten ins Freie und folgen einem schmalen Steg, der uns einmal rund um das Dach führt. Zur Linken ist eine steinerne Balustrade, unter der das Strebewerk mit hunderten von kunstvollen Fialen liegt, den steinernen „Krönchen“ auf Pfeilern und Säulen. Zur Rechten das Bleidach des Doms, in der Farbe von Regenwolken. Wir werden auf ein kleines Mahnmal aus dem Ersten Weltkrieg hingewiesen, eine Säule mit steinernen Köpfen, die militärische Feldmützen tragen. Die großen Köpfe, so erläutert man uns, zeigen Generalfeldmarschall Hindenburg sowie Vertreter der vier Mittelmächte Deutschland, Österreich, Osmanisches Reich und Bulgarien. Und die kleinen Köpfe die Vertreter der Entende. So mittelalterlich der Dom wirkt-- offenbar hat jedes Jahrhundert hier seine Spuren und Sichtweisen auf die Zeitläufte hinterlassen. Dann zeigt Peter Füssenich mit dem Finger auf einen Stein im Turmgemäuer: „Das ist der Grundstein von 1842, als man begann, den Kölner Dom zu vollenden.“ Ein Grundstein in dieser Höhe? „Dort, an der höchsten Stelle, die der Bau erreicht hatte, hat man nach über 300 Jahren Stillstand auf der Baustelle symbolisch den ersten Stein für den Vollendungsbau versetzt“, erklärt er. Um 1520, gut ein Vierteljahrhundert nach Start des Projekts, war die Kraft erlahmt. Einer der Türme war ein Stumpf von 56 Meter Höhe, von dem anderen standen nur Pfeiler, einzelne Elemente nicht mehr als zwanzig Meter hoch. Der Chor war vollendet; die zum Querhaus der Kirche offene Seite wurde durch eine provisorische Schutzmauer verschlossen. Dazwischen- - in der „Mitte“ des Domes- - hatten die Mittelschiffe von Lang- und Querhaus bei weitem noch nicht die geplante Höhe erreicht. Die Seitenschiffe standen zum überwiegenden Teil bis auf Kapitellhöhe. Manches davon war bereits eingewölbt. Der Bau war lückenhaft. Ein Torso. Um 1448 wurden zwei Großglocken gegossen (sie sind bis heute erhalten), um 1500 noch Fenster eingesetzt. Zuletzt ging es schleppend voran. Dann stand die Baustelle still. Auf dem Südturmstumpf blieb der mittelalterliche Kran zurück. Das Projekt starb einen leisen Tod. Aus Geldmangel. Wegen Desinteresse an Ziel und Plan (gotische Architektur war in der Renaissance schlichtweg „unmodern“ geworden). Weil das Projekt Fürsprecher verlor. Andere Vorhaben vordringlicher erschienen. Zurück blieb für lange Zeit der Torso-- und eine unvollendete Vision. Der Kölner Dom birgt viele Kammern, Räume und Hallen, die den Blicken der Besucher entzogen sind. Eine dieser Hallen-- gewölbt und gut zwanzig Meter hoch- - befindet sich über den Domportalen in einem der beiden Türme. In Glasvitrinen steht hier einer der Schätze der Dombauhütte: Ungezählte Skulpturen. Zum einen mittelalterliche Originalskulpturen, zum anderen Modelle und „Vorlagen“ aus den vergangenen 200 Jahren, die vielen der rund tausend Steinskulpturen am Dom zugrunde liegen. Unter ihnen sind auch moderne Modelle, etwa eine Darstellung des ehemaligen Hüttenmeisters mit Handy am Ohr. Was diese Sammlung heute so wertvoll macht: Dank der Modelle können zerstörte Steinskulpturen am Dom ersetzt oder „repariert“ werden. Die Modelle sind kleiner als die steinernen Figuren am Dom. Die Bildhauer der Dombauhütte übertragen das Modell zunächst in ein der Originalgröße entsprechendes Gipsmodell-- und formen daraus die Skulptur in Stein. Daneben werden in den Vitrinen aber auch Originalskulpturen aus dem Mittelalter verwahrt, darunter eine Figur, die eine kleine Orgel auf dem Schoß hat. Die meisten Figuren am Dom haben religiösen Hintergrund. Sie stehen in direkter Linie zu biblischen Geschichten oder verweisen auf Heiligenlegenden. Dennoch gehörte es zur Tradition der Bauhütte, die eine oder andere Persönlichkeit aus dem Dombau als steinerne Figur zu verewigen. Dies geschah im Mittelalter oder im neunzehnten Jahrhundert eher selten. Doch direkt nach dem zweiten Weltkrieg, als Kriegsschäden beseitigt wurden, bekam der Dom ein sehr irdisches Lokalkolorit. Gesichter und Figuren aus dem Zeitgeschehen tauchten auf, sowohl von Mitarbeitern der Dombauhütte (etwa den ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden) als auch von den „Großen“ dieser Zeit, etwa Kennedy, Chruschtschow oder de Gaulle. So etwas entsprach dem Zeitgeist und insbesondere der Kölner Lebensart. „Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man sehr frei rekonstruiert“, erklärt Peter Füssenich, „seit den späten 1970er Jahren sind wir wieder davon abgekommen. Wir sehen heute unsere Aufgabe darin, den Dom in seiner überlieferten Gestalt zu erhalten.“ Nicht nur Denkmalpfleger sind froh darüber. Das „Neuschöpfen“, das bis in die 1970er Jahre anhielt, ging vielen zu weit. Der Blick in den Kölner Dom von dem Umgang über den Hauptportalen aus. Foto: Oliver Steeger Reportage | Das Ewigkeitsprojekt am Rhein 9 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0024 Bei unserem Rundweg durch den Dom kommen wir an einer alten, schweren Seilwinde vorbei. Die aus dem neunzehnten Jahrhundert stammende Maschine wurde von vier Männern betrieben, eine gefährliche Arbeit an den mächtigen Kurbeln. Die Steinlasten, die damit gehoben wurden, konnten mit ihrem Gewicht zurückschlagen und die Arbeiter an der Winde schwer verletzen. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts dann setzte man auf einen dampfbetriebenen Bauaufzug. Kessel und Feuer waren am Boden, die Maschine selbst siebzig Meter höher im Nordturmturm. Ein siebzig Meter langes Sprachrohr verband die beiden Einheiten. „Im neunzehnten Jahrhundert hat man für den Weiterbau des Dom die modernste Technologie eingesetzt, die damals verfügbar war“, erklärt Peter Füssenich. Dass der Dom überhaupt weitergebaut wurde-- da spielten einige Zufälle hinein. Zum einen war da der Zeitgeist des späten achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts. Die Menschen entdeckten die Gotik wieder. Der junge Goethe, selbst kein Romantiker, erkundete trotz seiner Höhenangst das gotische Straßburger Münster und fand, wie er meinte, deutsche Baukunst darin. Später übernahmen die Romantiker die wiedererwachte Liebe zu Gotik und Mittelalter. Plötzlich war in Köln der triste Torso des halbvollendeten Doms kein Ärgernis mehr, sondern eine Herausforderung. Das Problem: Das gesamte mittelalterliche Dombauarchiv war während der französischen Besatzung des Rheinlands auf Ochsenkarren nach Paris geschafft worden. Dort verliert sich die Spur, und die unschätzbar wertvollen Archivalien sind bis heute verloren. Für die Dombau-Enthusiasten war es dann wie der Sonnenstrahl durch die Regenwolken, als der mittelalterliche Fassadenriss und einzelne weitere Bauzeichnungen wieder auftauchten. Eine Hälfte des in der Mitte geteilten Plans der Turmfassade wurde 1814 auf dem Dachboden eines Gasthauses in Darmstadt entdeckt, die andere 1816 bei einem Pariser Antiquar. Der wundersam wieder aufgetauchte Original-Bauplan gab der zweiten Bauphase im 19. Jahrhundert Anschub. Wichtiger noch waren die Stimmen unermüdlicher Fürsprecher, die für das Projekt warben, unter ihnen der angesehene Kölner Gemäldesammler und Architekturhistoriker Sulpiz Boisserée. Damit kam das Projekt wieder in Schwung, nicht mehr als „himmlisches Jerusalem“, sondern als nationales Denkmal, ideologisch befrachtet und überfrachtet. 1823 wurde die Wiederbegründung der Dombauhütte vorbereitet, im folgenden Jahr erste Mitarbeiter eingestellt. Die Dombauhütte befasste sich zunächst mit der Restaurierung einer der größten Bauruinen Deutschlands. Im Wiener Kongress waren die Rheinlande an Preußen gefallen. Damit war auch Köln preußisch. Um 1840 stellte sich der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. an die Spitze des Projekts. 1842 legte er den Grundstein für den Weiterbau. Für den Monarchen war der Dom eine nationale Angelegenheit-- nicht nur für Preußen, sondern für Menschen aller deutschen Staaten und Konfessionen (es zeigt sich, wie wichtig das Commitment prominenter Fürsprecher für Projekte ist). Man gründete den Zentral-Dombau-Verein Köln, eine Institution, die damals den Bau mitfinanzierte und bis heute rund 60 Prozent der jährlichen Baukosten bestreitet. Spenden kamen aus aller Welt, aus Berlin, Hamburg, Breslau, Rom, Paris und sogar aus Mexiko. Mit der breiten Unterstützung lebte die Baustelle wieder auf. Die Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner und Richard Voigtel konzentrierten sich zunächst darauf, das Langhaus und das Querhaus zu vollenden. 1848 wurde der (noch nicht vollendete) Dominnenraum geweiht, 1860 die Arbeiten am Eisendachstuhl und am Vierungsturm beendet. Im Jahre 1880 - 632 Jahre nach der Grundsteinlegung- - wurde der Dom vollendet. Knapp 145 Meter lang ist der Kirchenbau. Er war zu seiner Höhe von gut 157 Meter Höhe herangewachsen und umfasst 10.000 Quadratmeter Fensterfläche. Heute hat der Dom elf Glocken, die größte-- der 1923 Ein Schatz im Dom: Für die rund tausend Steinskulpturen am Dom gibt es noch viele Modelle und Vorlagen. Foto: Oliver Steeger Das mechanische Uhrwerk in einem der Domtürme. Es ist über Stahlseile mit den Glocken verbunden. Foto: Oliver Steeger Reportage | Das Ewigkeitsprojekt am Rhein 10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0024 entstandene „Decke Pitter“-- mit 24 Tonnen Gewicht. Ein kluger Kopf hat ausgerechnet, dass der Dom inklusive Fundament rund 300.000 Tonnen wiegt. Obwohl der Kölner Dom keine Turmuhr hat, braucht er ein Uhrwerk. Es steht im Südturm, stammt aus dem 19. Jahrhundert und arbeitet noch immer zuverlässig. Das Werk ist erstaunlich kompakt in einem kunstvoll geschnitzten, vitrinenartigen Holzschrank untergebracht. „Wofür braucht man hier eine Uhr? “, frage ich. Im selben Moment erkenne ich die Seilzüge, die das Uhrwerk nach oben verlassen. Für die Glocken! Natürlich! „Über die Seilzüge werden die Glocken mit einem Hämmerchen angeschlagen“, ergänzt Peter Füssenich, „alle dreißig Stunden ziehen unsere Mitarbeiter das Uhrwerk auf.“ Zur Umstellung zwischen Winter- und Sommerzeit, nachts um 1 Uhr, kommt der Dombaumeister persönlich in den Turm und stellt die Uhr um. Das funktioniert nicht automatisch. Unser Weg führt uns weiter durch den Dom. Peter Füssenich öffnet eine der schmalen Holztüren. Mit einem Mal stehen wir in einem Laufgang im Innern der Kathedrale- - und schauen hinab in den Kirchenraum. Wir vernehmen die gedämpften Stimmen der unten Umhergehenden, der Gläubigen und Touristen. „Wir sind hier immer noch auf rund 20 Meter Höhe“, sagt Peter Füssenich. Wir folgen einem Umgang, der auf halber Höhe in die Wand des gesamten Kirchenraum eingelassen ist. Die Domfenster sind nahe. In steinernen, schulterbreiten Durchlässen-- wie Tunnel-- durchqueren wir mächtige Pfeiler. Uns kommt eine englischsprechende Gruppe entgegen. Wir quetschen uns an die Seite und lassen sie passieren. „Wie geht es Ihnen eigentlich mit Ihrer Höhenangst? “, fragt mich Peter Füssenich. Ich schaue über die hüfthohe Steinbrüstung hinab. „Besser“, sage ich. „Das freut mich“, entgegnet er. Ich scheine nicht der einzige zu sein, der sich auf dem Weg durch den Dom an die Höhe gewöhnt. „Ich zeige Ihnen eine Stelle, die eine gute Aussicht bietet und von der aus ich den Dom besonders eindrucksvoll finde“, sagt Peter Füssenich. Diese Stelle ist direkt über dem Hauptportal zwischen den beiden Türmen. Wir blicken in das Längsschiff auf den Chor zu. Die Sonne spielt in den farbigen Fenstern. Unser Blick geht zum Chor, der rein scheint und himmelnah. Dann erblicke ich unten im Chor den goldenen Schrein der Heiligen Drei Könige, von Kerzenständern umgeben, mild glänzend im Licht. Vollendet wurde der Dom 1880. Offiziell zumindest. 26 Jahre später mussten sich die Kölner davon überzeugen, dass die Vollendung des Doms nicht bedeutet, dass er fertig war. Im Mai 1906 stürzte der Flügel einer Engelsfigur über dem Hauptportal herab. Verletzt wurde niemand; ein Regenschirm soll den Sturz abgebremst haben. Doch damit begann die dritte Bauphase des Doms- - nach der ersten im Mittelalter und der zweiten im neunzehnten Jahrhundert. Die Bauhütte blieb bestehen, um den Dom zu erhalten und später- - nach dem Zweiten Weltkrieg- - instand zusetzen. In den Bombennächten wurde der Dom schwer getroffen. Gewölbe stürzten ein. Kunstvoll gestaltete Fenster aus dem neunzehnten Jahrhundert zerbarsten. Granaten und Bombensplitter verstümmelten die Skulpturen, die steinernen Reliefs und Baldachine. Bis Mitte der 1950er Jahre wurden die schlimmsten Schäden beseitigt. Doch bis heute ist die Bauhütte auch mit der Beseitigung von Kriegsschäden befasst. Eines der Projekte der dritten Bauphase ist die Restaurierung des Michaelsportals, des zentralen Eingangs an der Nordquerhausfassade. Das Portal liegt zum Kölner Hauptbahnhof, und es war der Gewalt des Krieges besonders stark ausgesetzt. Einschusslöcher und Krater haben sich bis heute erhalten. Zahlreiche abgesprengte Skulpturenköpfe gingen verloren. Wie durch ein Wunder tauchte einer der Köpfe wieder auf-- rechtzeitig, um ihn im Restaurierungsprojekt wieder einzusetzen. Den Sturz aus sieben Meter Höhe hatte der Kopf unbeschadet überstanden. Er gelangte in die USA und fand sich in einem Schrank bei Washington D. C. Die Dombauhütte setzt bereits zum zweiten Mal an, das Michaelsportal zu restaurieren. In den 1960er und 1970er Jahren hatte man- - bei Arbeiten an der Querhausfassade- - die großen Gewändefiguren ergänzt und auch anderes erneuert. Damit war das Michaelsportal aber nicht im eigentlichen Sinne restauriert. Die Aufgabe des aktuellen Projekts: Die Reinigung des Portals und das Wiederherstellen der Fehlstellen in der ursprünglichen Form. Dabei soll möglichst viel der ursprünglichen Substanz erhalten bleiben. Zunächst hat die Bauhütte die aus französischem Kalksandstein gefertigten Skulpturen und Protalarchitektur von ihrer schwarzen Schmutzkruste befreit- - und dafür auf ein modernes, schonendes Verfahren gesetzt, nämlich auf Reinigungslaser. Die schwarzen Schmutzkrusten absorbieren die Energie des Laserlichts. Sie erhitzen sich stark; die Kleinstpartikel platzen ab und verdampfen. Die darunterliegende helle Steinoberfläche absorbiert die Lichtenergie dagegen nicht. Der Laser bleibt auf der „sauberen“ Fläche wirkungslos. So bleibt viel von der Originalsubstanz der Skulpturen, Baldachine und Bogenstücke erhalten. Ähnlich schonend geht die Bauhütte beim Ersatz von abgesprengten Steinstücken vor, beispielsweise bei den Skulpturen, denen Arme, Köpfe oder der komplette Rumpf fehlen. Statt die beschädigten Skulpturen einfach Unterwegs auf „halber Höhe“ im Kölner Dom. Die Größe der Fenster lässt sich von unten nur erahnen.Unterwegs auf „halber Höhe“ im Kölner Dom. Die Größe der Fenster lässt sich von unten nur erahnen. Foto: Oliver Steeger Reportage | Das Ewigkeitsprojekt am Rhein 11 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0024 komplett auszutauschen, haben die Fachleute die fehlenden Stücke nachgebildet und exakt angepasst. Diese Ersatz- Elemente- - Steinvierungen genannt- - werden zunächst mit Modelliermasse auf die Skulptur aufmodelliert. Danach überträgt der Bildhauer das Modell in Stein und setzt es dann auf das Original auf. Eine zeitintensive Millimeterarbeit, denn zwischen Original und Vierung darf kein Spalt bleiben, in den Wasser eindringen könnte. Mit den Restaurierungsarbeiten am Michaelsportal, wird mir gesagt, ist man gut und schnell vorangekommen. Doch nicht alles wird geglättet, repariert und erneuert. „Einige Spuren des Krieges sollen sichtbar gelassen werden, um die wechselvolle Geschichte des Portals zu dokumentieren“, erklärt Peter Füssenich, „die Restaurierung in dieser Form ist einzigartig.“ Je mehr ich von dem Dom sehe, desto mehr bewegt mich eine schwierige Frage: Wie ist es möglich, dass der Dom ein in sich so stimmiges Gebäude ist- - obwohl viele Generationen durch die Jahrhunderte an ihm gearbeitet haben? Peter Füssenich antwortet: „Die Architektur am Dom ist tatsächlich sehr einheitlich. Die Vision des Mittelalters wurde sehr originalgetreu verwirklicht. Möchten Sie den mittelalterlichen Plan sehen, der dem Bauwerk zugrunde liegt? “ Wir folgen dem Dombaumeister. Wieder öffnet sich eine Türe, und über eine Wendeltreppe geht es endlos abwärts, dann sind wir ganz unten, treten durch eine unscheinbare Türe in den Kirchenraum und mischen uns unter die Besucher aus aller Welt (sechs Millionen jährlich bestaunen das Weltkulturerbe). Peter Füssenich strebt am Altar vorbei auf den Chor zu. Hinter einem schwarzen Gitter befindet sich eine Seitenkapelle, die Johanneskapelle. Wir sehen einen Altar, davor ein Grabmal, die Ruhestätte Konrad von Hochstadens, des Erzbischofs, der 1248 den Grundstein für den Dom gelegt hat. Blick in den Chor des Kölner mit dem Dreikönigenschrein. Copyright: Hohe Domkirche zu Köln, Dombauhütte; Foto: Matz und Schenk JETZT INFORMIEREN! VOLLZEIT ODER BERUFSBEGLEITEND IN BOCHUM, IN HAMBURG ODER REIN ONLINE IMMOBILIEN KANN MAN STUDIEREN Anzeige Reportage | Das Ewigkeitsprojekt am Rhein 12 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0024 Die Kosten für die Erhaltung des Kölner Doms belaufen sich jährlich auf sieben bis acht Millionen Euro. Rund sechzig Prozent steuert der Zentral-Dombau-Verein zu Köln bei, eine 1842 von Kölner Bürgern gegründete, unabhängige und überkonfessionelle Organisation mit heute rund 17 . 000 Mitgliedern (Stand: April 2022 ). Der Verein bietet die Möglichkeit, sich durch Spende, Patenschaft oder Mitgliedschaft an dem Erhalt des Doms zu beteiligen. Weitere Informationen: www.zdv.de Dann erblicken wir einen Meter hoher Rahmen, von einem grünen Samtvorhang verhüllt. Peter Füssenich zieht sanft an einer Kordel. Der Vorhang öffnet sich. Dahinter kommt der mittelalterliche Plan zum Vorschein. Er stammt aus dem 14. Jahrhundert, vielleicht sogar aus dem 13. Jahrhundert. „Wir zeigen ihn nur selten“, sagt der Dombaumeister. Wir stehen vor dem Plan und staunen. Gut vier Meter ist er hoch, und er zeigt die Westfassade mit den Türmen. Trotz der Größe ist er millimeterweise ausgearbeitet. Alles ist zu sehen: Jede Fiale, jeder Pfeiler und Spitzbogen, jeder Baldachin für Figuren. Die Ausführung des Plans geht ins winzige Detail. Tausende Elemente sind eingezeichnet so, wie sie über die Jahrhunderte verwirklicht wurden. Jedes Element ist vorgedacht, sorgfältig gezeichnet und in perfekter Harmonie ins Ganze eingefügt. Ressourcenmanagement Projektportfolio-Management Aufwand- & Kosten-Controlling Projektplanung Das System, bei dem die Ressourcenplanung funktioniert www.ressolution.ch Scheuring AG +41 61 853 01 54 info@scheuring.ch Unverbindlich online kennenlernen! Anzeige Wie ist es möglich, dass einem einzelnen Menschen das Ganze mit seinen Details so vor Augen gestanden hat, dass er diesen Plan zeichnen konnte? Wie ist es möglich, dass er seine Vision zeichnen konnte-- so, dass sie später baubar war, dass Generationen nach ihm diesen Plan ausführen konnten? Peter Füssenich breitet ein wenig die Arme aus und lächelt. Je länger ich den Plan betrachte, desto mehr ahne ich: Wer solch ein Ewigkeitsprojekt wie den Kölner Dom startet, weiß, dass er es nicht vollenden wird. Er muss auf künftige Generationen und eine lange Reihe von Dombaumeistern vertrauen. Will er, dass das Werk auch in Jahrhunderten mit der Perfektion ausgeführt wird, mit der es ihm vor dem inneren Auge stand-- so braucht er eine kühne, überzeugende Vision. Eine Vision, die in Ewigkeit noch verstanden wird und ihre Wirkung entfaltet. Hier, hinter dem grünen Vorhang, ist diese Vision. „Wir setzen das Projekt nur fort“, hatte mir Peter Füssenich in einem Interview auf dem Vierungsturm gesagt, „wir sind ein Glied in einer langen Zeitkette, die von der Vergangenheit in die Zukunft reicht. Wir übernehmen von den vorhergegangenen Generationen, und wir geben an die Künftigen weiter.“ Ich füge im Gedanken an: Allein mit dieser Haltung vermag man solch ein Ewigkeitsprojekt durchführen, das nie fertig werden darf. Der grüne Vorhang schließt sich wieder. Wir machen uns auf zum Westportal, eiligen Schrittes, denn dort wartet eine Besuchergruppe auf Peter Füssenich. Auf dem Weg suche ich die kleine, unauffällige Pforte, durch die wir die Kathedrale betreten haben. Ich finde sie nicht mehr. Sie scheint verschwunden. Und noch etwas scheint verschwunden. Meine Höhenangst. Irgendwo unterwegs-- auf den Türmen und Umgängen, zwischen Bögen und Balustraden, auf Gerüsten und Stegen- - ist sie verlorengegangen. So etwas, sagt man mir, komme an diesem schwindelerregenden Ewigkeitsprojekt öfters vor. Eingangsabbildung: © Hohe Domkirche zu Köln, Dombauhütte; Foto: Matz und Schenk 13 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0025 Dombaumeister Peter Füssenich über ein immerwährendes Projekt „Der Dom ist ein Universum“ Steffen Scheurer, Oliver Steeger Ungewöhnlich ist der Ort für unser Interview, atemberaubend und in rund 80 Metern Höhe, unter uns der Rhein, der Hauptbahnhof von Köln, die Hohenzollernbrücke und die modernen Büro-Hochhäuser der Stadt. Vor uns die beiden mächtigen schwarzen Türme des Kölner Doms. Wir stehen auf der Plattform des Vierungsturms, der auf dem Dach des Doms „sitzt“. „Hier oben spürt man einmal mehr, was für ein gewaltiges Werk der Dom ist“, sagt Dombaumeister Peter Füssenich, „er ist nicht nur ein Gebäude. Es ist ein Universum.“ Wer immer in den vergangenen siebenhundert Jahren am Dom arbeitete, wusste, dass dieses Gebäude zu seinen Lebzeiten nie fertig wird. Dies gilt auch für Peter Füssenich, der neunzehnte in einer langen Reihe von Dombaumeistern, die bis ins Mittelalter reicht. In Köln gibt es ein Sprichwort. Wenn der Kölner Dom fertig ist, geht die Welt unter. Was bedeutet es, an einem Projekt zu arbeiten, das nie vollendet wird? Peter Füssenich: Vollendet ist der Dom. 1880 wurde der letzte Stein gesetzt. Doch die Arbeiten waren nicht beendet. Heute sind wir in der dritten Bauphase-- nach der ersten des Mittelalters und der zweiten im neunzehnten Jahrhundert. Schon wenige Jahre nach der Vollendung waren erste Restaurierungsarbeiten erforderlich. Man hat damals nicht ahnen können, welche schwere Schäden der Zweite Weltkrieg dem Dom zufügen würde. Auch wusste man wenig von den Umwelteinflüssen. Umwelteinflüsse-- welcher Art? Es handelt sich vielfach um Witterungsschäden. Der Dom steht in der Mitte einer Stadt mit knapp einer Million Einwohner. Die Emissionen etwa von Autos und Heizungen machen dem Gestein zu schaffen. Zudem gab es im Kölner Stadtteil Kalk eine Chemiefabrik, nicht weit von hier. Auch die Nähe zum Hauptbahnhof spielt eine Rolle. Früher gab es hier jede Menge Dampfloks. Das ist lange her-… Wir sprechen über Schäden, die über Jahrzehnte entstehen. Die Schwefelverbindungen aus den Abgasen in Verbindung mit Wasser führen zu saurer Luft und saurem Regen, die dem Sandstein zusetzen. Die Säure baut chemisch das karbonatische Bindemittel des Sandsteins zu Gips um. Der Gips wird ausgewaschen mit der Zeit. Außen am Stein bilden sich Gipskrusten, unter der Oberfläche Risse, die zu Schollenbildung führen. Es kann schlimmstenfalls zu statischen Problemen kommen, wenn der Sandstein immer poröser wird. Quasi morsch wird? Erstaunlicherweise gilt dies nur für bestimmte Steine- - das heißt, Steine bestimmter Provenienz, die einen hohen Kalkanteil enthalten. Im 19. Jahrhundert wurde hier am Dom viel Schlaitdorfer Sandstein verwendet. Er kam aus der Gegend von Stuttgart. Schlaitdorfer Sandstein ist besonders anfällig. Haben die Schwaben schlechtes Material ins Rheinland geliefert? (lacht) Für das Ulmer Münster hat man ebenfalls Schlaitdorfer Sandstein verwendet. Doch dort gibt es heute weniger Probleme. Nur hier macht der Stein Schwierigkeiten. Über die Ursachen kann man bloß spekulieren. Wahrscheinlich spielt das lokale Klima eine Rolle. Köln liegt in einem Talkessel. Hier steht die Luft. Ulm hat völlig andere Windverhältnisse. Was immer die Ursache ist-- wir müssen diesen Sandstein vielfach ersetzen. Wo findet man geeignetes Material? Früher wurden Steine für den Dom vielfach in der Kölner Region gewonnen- - etwa Trachytblöcke im Siebengebirge bei Reportage | „Der Dom ist ein Universum“ 14 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0025 Bonn. Heute suchen wir europaweit. So waren der Hüttenmeister, der Steintechniker und ich vor einigen Wochen in einem Steinbruch in Božanov in Tschechien, um geeignete Sandsteine für die Baustellen des Kölner Domes auszusuchen. Sie inspizieren jeden einzelnen Steinblock vor Ort? Jeden Einzelnen. Wir prüfen die Qualität und stellen fest welche für den Dom geeignet sind. Einige Blöcke verwerfen wir dabei auch; das Material für uns muss möglichst homogen sein, damit der Block nicht bricht, wenn der Steinmetz ein Stück herausarbeitet. Die Oberfläche muss stimmen. Bei Trachyt ist die Suche nach geeigneten Blöcken besonders schwierig. Ersatzmaterial bekommen wir noch in Oberitalien, aus der Nähe von Padua. Dort gibt es einen der letzten Trachyt-Steinbrüche, der geeignetes Material für unseren Chor und den Südturm liefern kann. Das alles bedeutet, dass Sie intensiv Materialkunde betreiben? Wir untersuchen die Materialien wissenschaftlich. Wir haben eine Projektgruppe mit der Universität Erlangen, der Dombauhütte Xanten und Partnern aus dem niederländischen Utrecht gebildet. Wir prüfen die Materialeigenschaften von Steinmaterial und Mörteln. Die Beschaffung von Material und Werkzeug ist eine ständige Aufgabe. In unserer Dombauhütte arbeitet beispielsweise ein Schmied, der heute nicht mehr erhältliche Werkzeuge fertigt. Vorhin sprachen Sie von Kriegsschäden. Man sagt, dass während des Zweiten Weltkriegs versucht wurde, bei Bombenangriffen die Kölner Kathedrale zu schonen-… Das stimmt so nicht. 14 schwere Fliegerbomben und 55 Brandbomben haben den Dom getroffen. Große Teile der Mittelschiffgewölbe von Lang- und Querhaus waren eingestürzt. Vor allem an der Nordseite, zum im Krieg strategisch wichtigen Hauptbahnhof hin, gab es starke Treffer. Noch heute beseitigen wir diese Schäden, und wer weiß, wie lange es noch dauert, bis wirklich der letzte Schaden behoben ist. Durch einen Bombentreffer wurde der Nordturm 1943 schwer beschädigt. Ein ganzes Stück wurde herausgerissen. Damals klaffte ein etwa zehn Meter großes Loch in der Turmfassade. Es ging mehrere Meter tief in das Gemäuer hinein. Man befürchtete, dass weitere Teile der Fassade abrutschten könnten. 1943 hat man das Loch sehr schnell mit einer Ziegelplombe aufgemauert und gesichert. Erst im Jahr 2005 wurde dieser Bereich gründlich restauriert. Was deutlich macht, auf wie lange Sicht Restaurierungsprojekte am Dom geplant werden müssen. Das stimmt. Und es zeigt auch, wie komplex diese Projekte sind. Als die Ziegelplombe entfernt und dieser Bereich des Turms restauriert wurde, arbeitete ich an meiner Abschlussarbeit in Denkmalpflege. Im Anschluss an mein Architekturstudium absolvierte ich ein berufsbegleitendes Aufbaustudium am Institut für Baugeschichte und Denkmalpflege. Die Ziegelplombe war das Thema meiner Abschlussarbeit. Die Plombe hat mich stark interessiert. Zum einen war da das Technische. Wie kann man die Plombe technisch ersetzen und die Restaurierung durchführen? Dann gab es die Frage nach dem Denkmal selbst. Die Plombe war ein Mahnmal für die Schrecken des Zweiten Weltkriegs. Darf man diese Spur aus dem Krieg überhaupt auslöschen? Das hat mich beschäftigt. Auf solche Fragen werden Sie vermutlich bei vielen Ihrer Restaurierungsprojekte stoßen. Nach den alten, teils mittelalterlichen Plänen wiederherstellen? Das Alte neu interpretieren? Die Spuren neuerer Zeit ebenfalls als Denkmal anerkennen? Es gab im Laufe der Zeit verschiedene Ausrichtungen in der Denkmalpflege. Diese jeweiligen Phasen haben Spuren am Dom selbst hinterlassen. Heute restaurieren wir in unseren Projekten so, dass wir rekonstruieren-- und nicht neu schöpfen. Also originalgetreu. Dies war nach dem Krieg anders. Zum Beispiel? Schauen Sie sich den Vierungsturm an, auf dem wir gerade stehen. In seiner Gestalt ist er relativ modern. Er wirkt fast wie art déco. Mit seinen acht modernen, stilisierten Engelfiguren erinnert er manche vage an die Spitze des Chrysler Buildings in New York. Wie kam es zu dieser Neuschöpfung? Immerhin gab es Kritik. Der Turm wurde als Fremdkörper bezeichnet und mit teils deftigen Worten geschmäht. Bis in die 1970er Jahre hinein hat man unter Dombaumeister Willy Weyres viele solcher modernen Elemente im Stile des Zeitgeschmacks eingebracht-- ganz bewusst. Nach dem Krieg war die Kölner Innenstadt zu neunzig Prozent zerstört. An vielen Stellen war es offenbar psychologisch erforderlich, einen Neuanfang zu wagen. Das hat sich auch in der Architektur ausgedrückt- - und nicht zuletzt in den Restau- Dombaumeister Peter Füssenich (rechts) im Gespräch mit Autor Oliver Steeger. Foto: Steffen Scheurer Reportage | „Der Dom ist ein Universum“ 15 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0025 rierungsprojekten am Kölner Dom. Heute würde wir gewiss versuchen, diesen Vierungsturm wieder zu rekonstruieren. Wir wissen ja, wie er ausgesehen hat. Nur dann, wenn wir gar nichts über den Originalzustand wissen, können wir behutsam Neues schöpfen. Zum Beispiel? Einige Fenster sind Neuschöpfungen. Das Richterfenster im Dom ist solch ein Beispiel. Es ist ein modernes Kunstwerk, weil brauchbare Vorlagen für eine exakte Rekonstruktion fehlten. In anderen Fällen sind die Vorlagen besser, und dann halten wir uns an das Originale aus dem 19. Jahrhundert, etwa für die anderen Fenster im Nord- und Südquerhaus. Für diese Fenster existieren die originalen Zeichnungen, darunter die sogenannten Kartons der figürlichen Darstellungen im Maßstab 1: 1. In diesen Kartons ist alles festgelegt: Die Farbe, die Figuren, die Darstellung. Wer genau legt fest, wie was rekonstruiert wird? Fällen Sie als Dombaumeister die Entscheidungen? Bei diesen Fragen wird immer in Absprache entschieden, etwa mit dem Stadtkonservator. Es gibt Behörden und Kommissionen, in denen die Restaurierungsprojekte besprochen werden. Eine ist die Dombaukommission, in der einmal jährlich die Projekte erörtert werden. Mitglieder dieses Gremiums sind unter anderem der Erzbischof und die Bauministerin. Sie tragen die Projekte mit, genehmigen sie-- und beteiligen sich auch an der Finanzierung. Ganz wichtig: Der Dom ist ein Denkmal. Er steht in der Kölner Denkmalliste. Es ist gesetzlich geschützt. Wie bei jedem denkmalgeschützten Haus üblich, brauchen auch wir für Veränderungen am Dom die Genehmigung der Unteren Denkmalbehörde. Da sind wir nicht anders gestellt als private Besitzer von geschützten Häusern. Aber? Die Dombauhütte Köln ist eine Institution der Denkmalpflege. Man fragt uns auch um Rat. Sprechen wir über die-- wie man heute sagen würde-- Kompetenz der Dombauhütte. Zum einen hat sich über die Jahrhunderte viel traditionelles Wissen in der Dombauhütte gesammelt. Die alten Techniken wurden durch die Bauhütte bewahrt. Zum anderen beschäftigt sich die Bauhütte heute mit modernsten Methoden und neuesten Technologien. Die Bauhütte hat schon immer mit den jeweils modernsten Methoden und Technologien gearbeitet, die zu ihrer Zeit greifbar waren. Im Mittelalter waren Dombauhütten Ideenschmieden; sie entwickelten Technologien und Baukonstruktionen, die es vorher nicht gab. Im Mittelalter stand ein Kran auf einem der Domtürme. Das war eine der größten Maschinen des Mittelalters. Die Dombauhütte war über die Jahrhunderte also immer eine Art Technologiezentrum? Das hat sich bis heute nicht geändert. Zum einen bewahren wir das alte Wissen etwa zu Steinmetzarbeiten. Zum anderen nutzen wir das, was uns die Gegenwart bietet-- etwa die Digitalisierung. Zum Beispiel haben wir während der Pandemie in einem Projekt einen digitalen Zwilling des Doms erstellt. Mit mehreren Drohnen, ausgestattet mit hochauflösenden Kameras, sind wir am Dom unterwegs gewesen und haben ein genaues Bild des Doms erstellt. Das Gebäude ist jetzt digital konserviert. Mit welchem Ziel? Eine unserer Aufgaben ist, das Gebäude zu beobachten und ständig zu überwachen- - das Monitoring des Doms. Früher geschah dies, indem man den Bau direkt in Augenschein nahm, etwa mit Ferngläsern. Heute haben wir das digitale, dreidimensionale Modell, das wir mit einer VR-Brille „begehen“ können. Wir können virtuell etwa auf den Südturm fliegen und den Bereich für eine kommende Baustelle ansehen. Wo sind Problemstellen wie Risse, Steinabsprengungen oder abgenickte Kreuzblumen? Eine typisch Kölner Lösung, scheinbar Gegensätzliches wie Tradition und Modernität zusammenzubringen? Das ist keineswegs eine regionale Praxis oder Kölner Besonderheit. Bei allen Bauhütten dürfte dies genauso oder ähnlich gehandhabt werden. Wir hüten nicht nur das alte Wissen, sondern konservieren unser heutiges Wissen für die Zukunft. Wir dokumentieren in unserem Archiv alles, was wir heute machen, damit man in 50, 100 oder 200 Jahren noch unsere Vorgehensweise verstehen kann. So, wie wir heute wissen wollen, wie im Mittelalter der Dom erbaut worden ist- - so will man vermutlich auch in Zukunft wissen, mit welchen Technologien, Methoden und Projekten wir unsere Aufgaben bearbeitet haben. Dieses Wissen ist ein immaterieller Kulturschatz. Das Materielle-- der Dom-- und das Immaterielle gehören untrennbar zusammen. Deswegen hat die UNESCO das Bauhüttenwesen im Jahre 2020 in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Blick vom Vierungsturm auf die mächtigen Türme des Kölner Doms. Foto: Oliver Steeger Reportage | „Der Dom ist ein Universum“ 16 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0025 In Ihrer Bauhütte arbeiten derzeit rund 100 Mitarbeiter, darunter 75 Handwerker. Die Liste der Gewerke klingt sehr klassisch, angefangen von den Steinmetzen. Wir haben über 20 Steinmetzinnen und Steinmetze, das ist die größte Gruppe unter den Handwerkern. Dazu kommen sechs Gerüstbauer und drei Dachdecker, die sich um 12.000 Quadratmeter Dachfläche kümmern. In der Dombauhütte brennt noch das einzige Schmiedefeuer in der Kölner Innenstadt; es gibt einen Schmied und einen Schlosser sowie zudem zwei Schreiner. Schreiner? Nun, unsere über 450 Türen sind aus Holz. Gleiches gilt natürlich auch für die Kirchenbänke.-- Hinzu kommen die Bildhauerinnen und Bildhauer. Also wieder Steinmetze? Die Bildhauer sind für alle figürlichen Elemente zuständig, Steinmetze für die architektonischen Werkstücke am Dom- - wobei die Grenzen fließend sind. Und bei 8.000 Quadratmeter Fensterfläche aus Mittelalter und Neuzeit haben wir auch Fachleute für Kunstglaserei, Glasmalerei und Glasrestauration. Einige unserer mittelalterlichen Fenster werden gerade in unserer eigenen Werkstatt bearbeitet. Außerdem helfen wir bei den Fenstern der Pariser Kathedrale Notre Dame. Lassen Sie mich raten-- für die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Gewerke brauchen Sie auch Projektmanagement? Selbstverständlich. Die verschiedenen Werkstätten haben eine Leiterin oder einen Leiter. Sie haben die Fachaufsicht. Durchgeführt werden die Projekte in Absprache mit mir oder meinem Stellvertreter. Wie definieren Sie die konkreten Projekte? Die Projekte gibt uns der Dom vor. Erstens die Baustellen, an denen die Dombauhütte schon seit mehreren Jahren arbeitet. Ich habe diese Projekte teilweise von meiner Vorgängerin übernommen und führe sie weiter. Dann gibt es, zweitens, dringend notwendige Baustellen, etwa Reparaturarbeiten. Man muss vermutlich sorgfältig prüfen, wie man die Projekte priorisiert, die der Dom vorgibt-… Natürlich. Wir sind ja nicht nur personell limitiert, sondern auch finanziell. Wir müssen mit dem haushalten, was wir haben-- und kluge Lösungen finden. Sie sprachen eben von einem immateriellen Wissensschatz, der in der Dombauhütte aufbewahrt wird. Wird das Wissen archiviert-- oder, wie im Mittelalter, von Meister zu Lehrlingen weitergegeben? Beides! Natürlich bewahren wir unser Wissen in Dokumenten auf. Wichtig ist aber auch die persönliche Weitergabe von Generation zu Generation der Handwerkerinnen und Handwerker. Beispielsweise kann man die speziellen Techniken der Steinmetze nicht einfach „aufschreiben“. Man muss sie von Mensch zu Mensch weiterreichen. In der Bauhütte verfügen wir teils über sehr spezielle Techniken, die man am freien Markt nicht ohne Weiteres findet. Zum Beispiel? Ein Beispiel ist der Gerüstbau. Normalerweise baut man Gerüste von unten nach oben, also aufwärts. Wir machen dies anders. Bei uns können die Gerüste auch am Gebäude hängen, beispielsweise an den Türmen. Die Gerüste klammern sich gewissermaßen an das Gebäude. Deshalb bauen wir sie von oben nach unten, also abwärts, genau in die entgegengesetzte Richtung, die üblich ist. Dafür haben wir mit Gerüststatikern zusammengearbeitet und spezielle Hängegerüste entwickelt. Das Projekt „Kölner Dom“ währt seit über 700 Jahren. Fertig wird er offenbar nie. Ein Ende dieses Ewigkeitsprojekt ist nicht abzusehen. Wie leben Sie damit, dass Sie zwar Teilprojekte beenden können, aber nicht das Ganze? Wir sind ein Glied in einer langen Zeitkette, die von der Vergangenheit in die Zukunft reicht. Wir übernehmen von den vorhergegangenen Generationen, und wir geben an die Künftigen weiter. Wir setzen das Projekt nur fort. Sie haben vorhin das Kölner Sprichwort genannt. Wird der Dom fertig, so geht die Welt unter. Und? ( lacht ) Wir in der Bauhütte wollen nicht daran Schuld sein-… Eingangsabbildung: © Hohe Domkirche zu Köln, Dombauhütte; Foto: Mira Unkelbach Zur Person: Peter Füssenich wurde im Januar 2016 zum Dombaumeister von Köln ernannt. Er steht damit steht in einer langen Reihe von Dombaumeistern der Kölner Kathedrale und ist der neunzehnte namentlich bekannte Dombaumeister. Der Architekt (mit Aufbaustudium am Institut für Baugeschichte und Denkmalpflege) arbeitete zuvor als Baureferent in der Hauptabteilung Seelsorgebereiche des Kölner Generalvikariates, zuständig für die bauliche Beratung von Kirchengemeinden und kirchliche Bauaufsicht. Ferner war er Referent der Kunstkommission in Fragen der liturgischen Umgestaltung von Kirchenräumen. 2012 wurde Peter Füssenich zum Nachfolger des verstorbenen stellvertretenden Dombaumeisters Bernd Billecke bestellt. Als Fachbauleiter betreute er einen Großteil der Restaurierungsarbeiten am Kölner Dom und war für die Baulichkeiten der Dombauhütte und des Domkapitels zuständig. 2014 übernahm er zudem kommissarisch die Aufgaben des Dombaumeisters und war seither für die Betriebsleitung, Planung und Haushaltsplanung verantwortlich. 17 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0026 Mit dem „Pledge to Flex“ in die Zukunft der Arbeit Das Versprechen der SAP Oliver Steeger Viele Unternehmen rufen nach der Pandemie ihre Mitarbeiter in die Büros zurück-- was nicht bei allen auf Gegenliebe stößt. So schwierig die Zeit des Lockdowns war, die Arbeit im Homeoffice hat vielen geholfen, Berufliches und Privates besser zu vereinbaren. Oder schlichtweg produktiver zu arbeiten. Einige Unternehmen halten dagegen: Wirklich innovativ könnten Teams nur im persönlichen, direkten Austausch sein. Nämlich im Büro. Die SAP SE bringt beides zusammen. In seinem „Pledge to Flex” bietet der Konzern seinen weltweit 110.000 Mitarbeitern flexible Möglichkeiten durch ein hybrides Arbeitsmodell an. Dieses Versprechen bedeutet mehr als nur die Erlaubnis, auch nach der Pandemie weiter aus dem Homeoffice tätig zu sein. Das Unternehmen unterstützt seine Mitarbeiter aktiv dabei, flexibel zu arbeiten. Mit einem ganzheitlichen Ansatz- - bestehend aus mehreren Initiativen- - hat der Konzern während der Pandemie ein neues Arbeitsmodell entwickelt. Er unterstützt seine Belegschaft beim flexiblen Arbeiten mit Trainings und Schulungen, Werkzeugen und Apps, Beratung und Betreuung. Im Interview erklärt Dr. Christian Schmeichel in seiner Rolle als globaler Chief Future of Work Officer, weshalb die SAP auf flexible Arbeitsformen setzt, wie sie ihren „Pledge to Flex” ausgestaltet-- und was auch der Konzern gewinnt, wenn er konstruktiv auf die Bedürfnisse seiner Mitarbeiter antwortet. Man fährt morgens zur Arbeit ins Büro-- dieser imperative Reflex ist spätestens seit der Pandemie gebrochen. Es gehört zur neuen Normalität, dass Wissensarbeiter fast überall arbeiten können. Jetzt, nach der Pandemie, versuchen viele Unternehmen ihre Mitarbeiter zurück ins Büro zu holen. Andere erlauben tageweise die Arbeit zuhause. Die SAP dagegen geht einen konsequenten Weg. Sie sagt: Das Bedürfnis nach flexibler Arbeitsweise ist da. Also gestalten wir dies, entwickeln hybride Arbeitsformen und unterstützen die Beteiligten mit allem, was sie brauchen. Was bewegt die SAP, dieses Thema so aktiv anzugehen? Dr. Christian Schmeichel: Flexible Arbeitsmodelle sind bei der SAP nicht komplett neu, sondern Teil ihrer DNA. Bereits vor der Pandemie gab es diverse Möglichkeiten, um den Bedürfnissen unserer Mitarbeitenden besser gerecht zu werden. Wir hatten immer schon Mitarbeitende, die einen Teil ihrer Arbeitszeit remote gearbeitet haben, etwa im Homeoffice. Als es zu Beginn der Covid Pandemie zum Lockdown kam, konnten wir daher unsere Kolleginnen und Kollegen binnen 48 Stunden in den Remote-Modus versetzen. Da hatten Sie als IT-Konzern natürlich Vorteile, etwa bei der Infrastruktur-… Das ist richtig. Doch flexible Arbeitsmodelle, wie sie damals über Nacht erforderlich wurden, sind nicht nur eine Frage der Technologie. Auch die Unternehmenskultur spielt eine Rolle. Hybrides Arbeiten bringt einige Herausforderungen mit sich: angefangen bei Führung und Organisation, über Gesundheitsmanagement und Well-Being bis hin etwa zu lokaler Arbeitskultur und Arbeitsrecht in den 75 Ländern, in denen Mitarbeitende der SAP beschäftigt sind. Letztlich geht es auch um eine gute Balance zwischen Remote-Arbeit und Arbeit im Büro. Das Büro wird nach wie vor gebraucht-… …-als eine Art „sozialer Ort“? Ja, genau. Was man remote oder im Büro erledigt-- das muss gut austariert werden. Und dazu braucht es auch eine Verständigung im Team und mit den Führungskräften. Während der Pandemie haben wir uns entschlossen, dieses ganze Thema flexibler Arbeitsmodelle strategisch weiterzuverfolgen. Weshalb weiterverfolgen? Wir haben gesehen, dass viele Mitarbeitende solche Modelle wünschen und brauchen. Wir wollen uns perspektivisch als attraktiver Arbeitgeber auch in dieser Hinsicht aufstellen- - also verschiedenen Bedürfnissen aus unserer Belegschaft Rechnung tragen. Flexible Arbeitsmodelle betreffen übrigens nicht nur den Ort der Arbeit, sondern auch etwa die Arbeitszeiten. Ein Versprechen-- ein „Pledge“, wie dies im Englischen heißt-- ist ein starkes Signal an die Mitarbeiter. Was verstehen Sie unter Ihrem „Pledge to Flex” genau? Wir bieten unseren Mitarbeitenden Flexibilität an, etwa bei Arbeitsort oder Arbeitszeit. Mitarbeitende können gemeinsam mit ihren Führungskräften und Teams entscheiden, wann sie wo am besten arbeiten können- - natürlich immer mit Blick auf die jeweiligen Anforderungen der Kunden und des Geschäfts. Praktisch heißt dies, dass wir viel Freiheit ermöglichen, und dem Bedarf unserer Belegschaft nach Flexibilität folgen können. Reportage | Das Versprechen der SAP 18 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0026 Besonders junge Mitarbeiter um die dreißig gehen durch eine sehr intensive Lebensphase: Die Karriere aufbauen, sich weiterbilden, eine Familie gründen, für ihre kleinen Kinder sorgen, vielleicht auch die Eltern pflegen-- und sich häufig noch sozial oder politisch engagieren. Unter jüngeren Mitarbeitenden hören wir das Bedürfnis nach Flexibilität besonders deutlich. Es ist heute oft schlichtweg eine Erwartung an Arbeitgeber. Die jüngere Generation bringt darüber hinaus weitere neue Bedürfnisse mit. Zum Beispiel? Immer mehr Menschen organisieren ihr Leben etwa vom Tablet oder Smartphone aus. Sie sind es gewohnt, dass sie beispielsweise vieles jederzeit und von überall aus online erledigen können: etwa Essen bestellen, Informationen einholen oder Anfragen stellen. Diese Online-Services erwarten sie auch bei der täglichen Arbeit von ihren Unternehmen. Bestimmte HR-Dienstleistungen sollten online per App zu erledigen sein, etwa Urlaub einreichen oder auf Dokumente wie die Lohnabrechnung zugreifen. Ein weiteres Beispiel für neue Bedürfnisse: Vor allem die jüngeren Generationen erwarten heute eine interessante, inspirierende Arbeitsumgebung im Büro. Das Büro soll modern sein und die Arbeit unterstützen. Vor allem die Möglichkeit zum Austausch wird benötigt- - fokussierte „Stillarbeit“ lässt sich häufig gut oder im Zweifel sogar besser im Homeoffice erledigen. Da haben sich neue Bedürfnisse aber auch Ansprüche entwickelt. Wer Menschen ins Büro zurückholen will, ist gut beraten, vorher an der Attraktivität der Büros arbeiten? Wir bieten in unseren Büros verschiedene Arbeitsflächen für verschiedene Ziele, etwa für die Zusammenarbeit in einem Projekt oder konzentrierte Einzelarbeit. Hybride Arbeitsmodelle beinhalten, dass bestimmte Arbeiten sinnvollerweise im Büro stattfinden. Dafür braucht man attraktive Möglichkeiten. Ein weiterer wichtiger Aspekt bezieht sich auf den vielgenannten Begriff „Purpose“. Mitarbeitende erwarten, dass das Unternehmen sinnstiftende Werte und Ziele anbietet, mit denen sie sich verbunden fühlen und die sie teilen können. Das ist ein interessanter Punkt. Während des Lockdowns haben viele Menschen die Vorteile des Homeoffice schätzen gelernt. Sie haben aber auch beklagt, dass ihnen Emotionales verlorengegangen ist-- etwa das Leben und Erleben von Teamspirit, Unternehmenswerten oder die Reflexion der übergeordneten Ziele, die Sie erwähnt haben. Der Rückzug ins Homeoffice scheint die Verbindung zum Übergeordneten gelockert zu haben, und dies haben die Menschen vermisst. Dies zeigt, dass die Arbeit im Homeoffice und im Büro fein austariert sein muss. Anderenfalls entstehen durch die gewonnene Flexibilität andere Probleme. Das sehe ich ähnlich. Man muss aktiv die richtige Balance zwischen Remote-Arbeit und Arbeiten im Büro suchen und finden. Einerseits bringt Remote-Arbeit den Vorteil der Flexibilität. Andererseits ist es sehr wichtig, dass Mitarbeitende emotional untereinander und mit dem Unternehmen in Verbindung bleiben. Und das passiert einfach oftmals am besten, wenn man sich gemeinsam physisch an einem Ort befindet, wie beispielsweise im Büro. Das ist besonders wichtig für neue Mitarbeitende. Sie müssen ein Gefühl für die Organisation entwickeln; dafür brauchen sie persönliche Begegnungen. Wir betrachten unsere Büros manchmal als eine Art moderne Lagerfeuer. Die Menschen kommen dort zusammen, tauschen sich aus, entwickeln Zusammenhalt in ihrer Gruppe und haben ein besseres Verständnis für die verbindenden Werte und Unternehmenskultur. Dies alles muss ein Unternehmen ganzheitlich gestalten und unterstützen. Die Balance pendelt sich nicht von allein ein? Es kommt auf den organisationalen Kontext an. Aber eine wohldosierte Orientierung kann in jedem Fall helfen. Dafür braucht es attraktive Angebote, Unterstützung und Hilfestellung. Einerseits hören wir den Mitarbeitenden zum Beispiel in regelmäßigen Umfragen genau zu und sprechen mit ihnen über ihre Bedürfnisse. Andererseits stellen wir als Arbeitgeber das zur Verfügung, was es braucht, um in flexiblen Arbeitsformen erfolgreich arbeiten zu können. All dies gehen wir strategisch an. Sie haben Ihren „Pledge to Flex“ mit einem breiten Changeprogramm gestaltet, das eine stattliche Zahl von Einzelprojekten umfasst. Eines davon sind die Entwicklung von Trainings. Meine fast schon rhetorische Frage: Müssen flexible Arbeitsformen gelernt werden? Die Pandemie kann man sicher als eine Art Live-Experiment verstehen. Sie hat viele Mitarbeitende und Führungskräfte, nicht nur bei uns, vor noch nie dagewesene Herausforderungen gestellt. Diese besondere Situation hat vom Unternehmen gutes Krisenmanagement und von Mitarbeitenden ein starkes „Learning by doing“ Mindset erfordert. Also Improvisation und sehen, wie man zurechtkommt? Ja, in einigen Bereichen wurde während der Pandemie durchaus improvisiert, was ja nichts Schlechtes ist. Für die Zeit nach der Pandemie gehören hybride Arbeitsmodelle für uns nunmehr zum Standard. Wir haben unser Angebot für Mitarbeitende und Führungskräfte systematisch weiterentwickelt. So bieten wir etwa den „Flex Team Workshop” an, der eine Art Werkzeugkasten für Teams für die Zeit nach der Pandemie umfasst. So können wir die Mitarbeitenden bei der Zusammenarbeit in flexiblen Arbeitsumgebungen bestmöglich unterstützen. Wie unterstützt der Workshop genau? Unser Ziel ist, dass sich alle Führungskräfte mit ihren Teams in einer hybriden Arbeitswelt nach der Pandemie abstimmen, wie sie am effektivsten miteinander arbeiten. Durch den Workshop sollen sie die konkreten Aufgaben und Bedürfnisse der Beteiligten ausloten und gemeinsam entscheiden, wie diese im Arbeitsalltag berücksichtigt werden können. Also: Wie kann sich das Team mit Blick auf die verschiedenen Aufgaben optimal organisieren, was sind zum Beispiel feste Teamtage, welche Spielregeln benötigt es für die Abstimmung etc. Dafür liefert der Workshop konkrete Werkzeuge. Führungskräfte und Mitarbeitende erarbeiten gemeinsam Wege, die Zusammenarbeit und Produktivität zu fördern und Reportage | Das Versprechen der SAP 19 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0026 die Work-Life-Balance der Teammitglieder zu unterstützen- - immer mit Blick auf die geschäftlichen Erfordernisse und Anforderungen der Kunden. Unter der Belegschaft kommen Formate wie der Workshop sehr gut an, und wurde auch schon mehrfach für Awards nominiert. Ich vermute, dass Sie damit nicht nur Hilfe zur Selbsthilfe geben, sondern die flexible Arbeit kanalisieren und ihre Leitplanken geben-… Ja. Formate und Tools wie der Workshop helfen dabei, hinsichtlich flexibler Arbeitsformen gewissermaßen eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Damit ist sichergestellt, dass die Ansätze und Vorgehensweisen, die in verschiedenen Teams verwendet werden, dann am Ende gut zusammenpassen. Viele Menschen berichten, dass nach Wochen oder Monaten im Homeoffice die Arbeit im Büro nicht leichtfällt. Das beobachten wir in der Tat auch. Wer lange remote gearbeitet hat, muss sich an das Zusammensein im Büro erst wieder gewöhnen. Man muss sozusagen die Zusammenarbeit vor Ort wieder ein wenig trainieren. Das ist so, als hätte man über längere Zeit keinen Sport gemacht und man erst wieder in Form kommen muss. Der Flex Team Workshop als Trainingsplan kann dabei helfen. Welche Werkzeuge bieten Sie darüber hinaus an? Ein weiteres Format, das wir entwickelt haben, sind die sogenannten „Moments Together Onsite“. Hierbei geht es um Ideen für konkrete Anlässe im beruflichen Kontext, die sinnvollerweise am ehesten gemeinsam im Büro stattfinden. Also Vorschläge für Anlässe, als Team im Büro zusammenzukommen? Ja- - auch mit dem Ziel, das Gemeinschaftserlebnis und den sozialen Zusammenhalt zu stärken; beides ist im Zeitalter hybrider Arbeitsmodelle wichtig. Ein Beispiel sind Design Thinking Workshops. Dafür sollte sich das Team idealerweise persönlich im Büro treffen. Es gibt viele Gründe, einen Design Thinking Workshop möglichst nicht virtuell durchzuführen. Ich verstehe. Sie setzen gewissermaßen Anker. Ein positiver Automatismus: Denke ich an Design Thinking, denke ich ans Meeting im Büro. Dieses Werkzeug bringt hybride Arbeitsformen in bestimmte Bahnen-… Auf diese Weise wird die Balance zwischen Remote Arbeit und Büroarbeit eingeübt und zur neuen Normalität. Die Mitarbeitenden wissen, was man wo am besten macht. Es besteht ein Konsens darüber.-- Ein anderes Beispiel für ein Unterstützungs-Tool ist eine spezielle App, die wir für unsere Belegschaft entwickelt haben. Die SAP FlexConnect App. Mitarbeitende können sich in diese App einloggen und sehen, welche Kolleginnen und Kollegen gerade wo im Büro sind. Mit Hilfe dieser App können sie sich schnell und effizient verabreden-- zum kurzen fachlichen Austausch, aber beispielsweise auch zum Mittagessen. Verstehe. Beim hybriden Arbeiten geht man neue Wege, füreinander sichtbar zu bleiben. Also ein Organisationstool? Die App trägt viel zur Selbstorganisation von Teams bei und unterstützt dabei auch die sozialen Prozesse für Teamarbeit. Man kann über die App beispielsweise schnell und unkompliziert Räume für spontane Treffen buchen. Aber: Die App ist kein klassisches Kollaborationstool, über das man beispielsweise Videokonferenzen durchführt oder gemeinsam an einem virtuellen Whiteboard arbeitet. Dafür haben wir ein breites Angebot an anderen Lösungen. Ressourcenmanagement Multiprojektcontrolling Projektportfolio Angebote und Rechnungen Scrum, Kanban, PRINCE2 ® , IPMA, BPMN Projektmanagement-Software Projektron BCS im Darkmode PROCESSES Anzeige Reportage | Das Versprechen der SAP 20 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0026 Flexible Arbeitsformen Training und Unterstützung nicht nur der Mitarbeiter, sondern auch der Führungskräfte. Welche neuen Kompetenzen brauchen Führungskräfte? Führungskräfte brauchen aus meiner Sicht neue Methodenkompetenz etwa zum agilen Arbeiten, agilen Management oder zum Umgang mit den digitalen Werkzeugen. Doch es geht auch um Fragen des Führungsstils selbst. Führen ist am Ende des Tages immer noch eine „Kontaktsportart“. Das heißt, Verbindung mit Mitarbeitern zu halten? Das Team sitzt mit seinem Projektmanager nicht mehr zusammen in einem Raum-… Richtig. Die Frage ist: Wie können es Führungskräfte heute schaffen, mit den Mitarbeitenden im Austausch und Kontakt zu bleiben? Ein Beispiel dafür ist die hybride Konferenz: Einige Teilnehmende sind im Raum, andere per Video hinzugeschaltet. Wie kann man auch zu denen Kontakt halten, die nicht regelmäßig direkt neben einem sitzen, sondern nur am Bildschirm zu sehen sind? Wie kann man die Zwischentöne in der Kommunikation aufnehmen? Wie sicherstellen, dass jeder zur Diskussion beitragen kann-- auch wenn er oder sie nicht am Tisch sitzt? Wie Entscheidungen herbeiführen, bei dem sich wirklich alle als Teil der Entscheidung fühlen? Wichtig ist, die notwendige Sensibilität zu entwickeln und gleichzeitig gemeinsam mit dem Team pragmatische Lösungen zu finden. Wir setzen für das Training zum Beispiel häufig Gamification-Ansätze ein. Wir haben ein Spiel entwickelt, das unsere Meetingkultur in einem hybriden Setting verbessert. Es hilft unseren Teams zu entscheiden, wie Meetings beispielsweise produktiver gestaltet werden können oder welche Alternativen es zu wiederkehrenden Terminen gibt. Ich möchte auf einen anderen Aspekt zu sprechen kommen. Flexible Arbeitsformen können für Mitarbeiter befreiend sein. Doch wir wissen auch, dass sie für viele eine Herausforderung bilden. Im Homeoffice verschwimmen manchmal die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Man ist nicht mehr ständig sozial in ein Team eingebettet, das einen durch Durststrecken trägt. Manchen fehlt das aufmunternde Wort von Kollegen, der Schwatz in der Kaffeeküche, das spontane Feedback oder das gemeinsame Erleben von Erfolgen. Die Schattenseite flexibler Arbeitsformen kann Konsequenzen für die psychische und physische Gesundheit haben. Wie gehen Sie damit um? Dieses Thema ist ebenfalls nicht ganz neu für uns. SAP legt seit 25 Jahren einen Schwerpunkt auf gutes Gesundheitsmanagement zum Wohle aller Beteiligten. Wir haben deshalb während der Pandemie, als fast alle remote arbeiten mussten, bestimmte Programme verstärkt. Ein Baustein ist die unternehmensweite „Are you OK? ”-Initiative für psychische Gesundheit. Wir fragen nach, wie es unserer Belegschaft geht. Wie hoch der Stresspegel ist. Dann unterstützen wir bei Bedarf durch entsprechende Angebote. Wir bieten individuelle Unterstützung in unserem „Employee Assistance Program“ an; bei dem sich Mitarbeitende rund um die Uhr anonym an Psychologen oder Psychologinnen wenden können. Ein anderes Programm, unserer „SAP Global Mindfulness Practice“, unterstützt Mitarbeitende dabei ihre Selbstwahrnehmung und Achtsamkeit zu verbessern. Wir haben dafür eigens eine Abteilung innerhalb unserer SAP-eigenen Future of Work Organisation aufgebaut, die Mindfulness-Kurse für unsere globale Belegschaft anbietet. Der Bedarf und das Interesse sind in den vergangenen Monaten stark gewachsen! Zum Teil haben wir mittlerweile sogar Wartelisten für unsere Trainingsangebote. Wie kommt es zu dieser erhöhten Nachfrage? Ich gehe davon aus, dass die Pandemie sicher eine Ursache ist. Menschen hatten Zeit, über ihre Bedürfnisse und ihre Arbeit zu reflektieren. Daraus sind Fragen entstanden: Ist die derzeitige Rolle noch die richtige? Will man sich vielleicht beruflich weiterentwickeln? Hat mein Arbeits- und Privatleben die richtige Balance? Wir unterstützen unsere Mitarbeitenden, solche Fragen für sich zu klären. Damit erhöhen wir die Mitarbeiterzufriedenheit und können gleichzeitig sicherstellen, dass alle an der richtigen Stelle eingesetzt werden. Wir haben über das Thema flexible Arbeitsformen aus der Perspektive der Belegschaft gesprochen. Ich möchte jetzt einen anderen Blickwinkel einnehmen-- nämlich den Ihres Unternehmens. Die SAP hat ein Programm von Projekten aufgesetzt, um den „Pledge to Flex” zu gestalten. Nun muss man wissen, dass das Thema „Zukunft der Arbeit” seit jeher bei der SAP eine Rolle spielt. Vor zwei Jahren hat das Unternehmen dafür sogar einen eigenen Bereich geschaffen. In diesem Bereich werden die HR-Themen, die mit der Zukunft der Arbeit zusammenhängen, gebündelt. Das ist richtig. Es geht für uns in diesem Bereich darum, die Zukunft der Arbeit strategisch und ganzheitlich zu gestalten, also die Transformation in die zukünftige Arbeitswelt aktiv zu „managen“. Dazu gehört auch ein Zielbild für die Zukunft der Arbeit bei der SAP zu erarbeiten. Zentrale Fragestellungen sind dabei: Wie wird sich die Arbeit bei der SAP in den nächsten fünf bis zehn Jahren entwickeln? Welche Workforce brauchen wir für unser zukünftiges Geschäft? Welche Rolle spielen in diesem Zielbild feste Mitarbeitende, Mitarbeitende auf Projektbasis, aber auch Roboter und künstliche Intelligenz? Wir entwickeln also einen Rahmen für die künftige Belegschaftsstruktur-- und überlegen uns dabei auch, wie sich die Personalarbeit selbst weiterentwickeln muss. Dieses Zielbild umfasst unter anderem beispielsweise flexible Arbeitsmodelle, die wir für einen Schlüssel zur Zukunft halten. Welchen Nutzen zieht die SAP aus dem Pledge-to Flex-Programm? Zum einen wollen wir uns weiterhin als attraktiver Arbeitgeber im Markt positionieren. Durch unsere flexiblen Arbeitsmodelle und die begleitenden Angebote haben wir gute Voraussetzungen, Talente zu erreichen und anzuwerben- - auch Top-Leute, die anderenfalls vielleicht nicht zu uns kommen würden. Zum anderen haben wir dadurch eine hochmotivierte Belegschaft. Die Menschen bei uns haben Spaß an der Arbeit; das Engagement ist hoch und die Bindung zum Unternehmen in Zeiten des Wandels wird gestärkt. Reportage | Das Versprechen der SAP 21 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0026 Haben flexible Arbeitsformen einen positiven Einfluss auf die Produktivität? Ja, das können wir anhand von entsprechenden Daten und Fakten auch messen. Wir befragen unsere Mitarbeitenden kontinuierlich. Wir verfolgen eine, wie es auf English heißt, „continuous listening strategy”. Wir möchten wissen, wie es den Menschen bei uns geht, was ihre Anliegen sind und wo ihre Bedürfnisse liegen. Daraus leiten wir Maßnahmen ab, oder wir feinjustieren die Bausteine unserer Personalarbeit. In diesen Befragungen sagen beispielsweise über achtzig Prozent unserer Belegschaft, dass „Pledge to Flex” uns zu einem attraktiven Arbeitgeber macht- - und zudem die Produktivität steigert oder zumindest auf gleichem Niveau bleibt. Dies konstatieren im Übrigen sowohl Mitarbeitende als auch Führungskräfte. Es wird gesagt, dass flexible Arbeitsformen Unternehmen auch resilienter machen-- weil sie agiles Arbeiten ermöglichen, das wiederum hilft, sich schneller veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Teilen Sie diese Einschätzung? Absolut! Flexible Arbeitsmodelle machen Unternehmen agiler, innovativer und widerstandsfähiger, indem sie Unternehmen helfen, schneller auf Veränderungen im Markt oder im Umfeld zu reagieren. Flexibilität ist ein „must-have“, um in der neuen Arbeitswelt erfolgreich zu bleiben, die besten Talente zu gewinnen und diese zu halten. Sie haben Ihre Kampagnen, Angebote, Apps, Trainings, Workshops und Schulungen beschrieben. Es handelt sich um Elemente in einem Baukasten, die gut ineinandergreifen. Doch letztlich erfordern flexible Arbeitsformen eine Veränderung der Kultur. Es geht um mehr als nur Einzelmaßnahmen. Es handelt sich um ein großes Changevorhaben. Was waren für Sie die Herausforderungen dieses Changeprojekts? Ich denke, es ist wichtig, hier den Kontext im Blick zu behalten. Die Möglichkeiten des flexiblen Arbeitens sind schon seit Jahren Teil der DNA der SAP. Wir konnten während der Pandemie auf Bestehendes aufbauen. Allerdings hat die Pandemie die Veränderungsgeschwindigkeit auf dem Weg hin zur Arbeitswelt der Zukunft noch weiter erhöht. Ein zusätzlicher Schub für notwendigen Kulturwandel und eine neue Offenheit für Veränderungen an vielen Stellen ein richtiggehender Bewusstseinswandel. Welche Art von Bewusstseinswandel? Beispielsweise muss man vielen Führungskräften verdeutlichen, was gute Führung in einem hybriden Umfeld ist. Für uns sind dabei Vertrauen und Empowerment die zentralen, erfolgversprechenden Stellhebel. Das muss im Bewusstsein der Führungskräfte ankommen. Sie haben das Arbeiten in Ihrer Organisation ein Stück weit neu definiert. So etwas betrifft fast jeden, fast täglich. Auf was kommt es aus Ihrer Sicht bei solch einem grundlegenden Changeprojekt an? Wichtig aus meiner Sicht ist ein ganzheitlicher Ansatz: Die Arbeit unserer Future of Work Organisation betrifft das ganze Unternehmen. Die Key-Stakeholder müssen von Anfang an eingebunden sein: Mitarbeitende, Führungskräfte, Entscheiderinnen und Entscheider. Unser Programm hat dabei eine durchaus cross-funktionale Ausrichtung. Das Thema ist breit aufgestellt; wichtig ist dabei- - es handelt sich nicht allein mehr um ein Programm aus der Personalabteilung. Wir haben aktive Mitspielende etwa aus dem IT-Bereich, oder dem Facility Management. Das klingt nach einem klassischen Change- Ansatz-… Ganz genau. Entscheidend war, dass wir mit unserem Programm einen globalen Rahmen setzen, ein globales Framework. Unsere Standorte in den jeweiligen Ländern gestalten dieses Framework nunmehr landesspezifisch aus. Es gibt keine „One-Size-Fits-All“-Lösung, denn die lokalen Gegebenheiten und Anforderungen können sehr unterschiedlich sein. Wichtig ist auch, dass wir Fortschritte ständig messen, die Veränderungen beobachten und auch an die Beteiligten zurückmelden. Die Mitarbeiterbefragungen sind essenziell für unser Programm. Wir möchten wissen, ob unsere Maßnahmen den Menschen in unserer Organisation befähigen, ihre Tätigkeit bestmöglich auszuüben. Man muss wissen, wo man steht, wo man nachsteuern muss und wo man gegebenenfalls noch mehr Unterstützung anbieten muss. Solche Programme setzen natürlich eine Offenheit bei den Beteiligten voraus. Natürlich! Dazu gehört auch die Offenheit, diesen Prozess als eine Transformationsreise zu sehen. Vielen ist klar, dass die Pandemie eine vielleicht einmalige Chance geboten hat, die nächste Generation flexibler Arbeitsmodelle zu entwickeln und zu implementieren. Für uns hat sich eine Tür geöffnet, um gemeinsam die Art und Weise zu gestalten, wie wir in Zukunft leben und arbeiten wollen. Durch die Pandemie haben wir das Momentum und die Energie, die Zukunft der Arbeit nachhaltig neu zu gestalten. Ich wünsche mir, dass dieses Momentum uns erhalten bleibt. Ich sehe da noch viel Potenzial-- und dies gilt es nun natürlich zum Wohle aller Beteiligten bestmöglich zu nutzen! Dr. Christian Schmeichel Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler Christian Schmeichel ist Chief Future of Work Officer beim Softwarekonzern SAP. Mit seinem Team kümmert sich der Top-Manager darum, wie die 110.000 Mitarbeitenden weltweit in Zukunft arbeiten. Als Vordenker für moderne Personalarbeit und zukunftsweisende Arbeitswelten setzt er sich für die verantwortungsbewusste Nutzung von künstlicher Intelligenz sowie Gleichberechtigung und Chancengleichheit am Arbeitsplatz ein. Nach beruflichen Stationen in Frankfurt, New York und Tokio lebt der passionierte Sportler mit seiner Familie in Heidelberg. Foto: SAP / Ingo Cordes. 22 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0027 Praxisbeispiel metafinanz Next Work-- Selbstorganisation und Zukunftsgestaltung Für eilige Leser | Next Work bei metafinanz-- metafinanz ist ein Business- und IT-Beratungshaus mit Sitz in München. Mit mehr als 70 selbstorganisierten und autonomen Teams ist die Organisation heute hochgradig agil. Der hohe Motivationsgrad der Teams und ihre Eigenverantwortlichkeit führen zu einer erfolgreichen Geschäftsentwicklung und dazu, dass metafinanz heute hochdynamisch auf Veränderung am Markt reagieren kann. Jedoch hat die Pandemie mit ihren Folgen das Zusammenarbeitsmodell der metafinanz nachhaltig beeinflusst. Weit über das reine hybride Arbeiten hinaus versucht die metafinanz heute, Themen wie Agilität und New Work ganzheitlich zu denken. Mit einem eigenen „Next Work“-Ansatz gestalten Mitarbeitende für Mitarbeitende mit einer ganzheitlichen Social-, Work- und Organizational Experience attraktive Arbeitserlebnisse. Schlagwörter | New Work, Agile Organisation, Zukunft der Arbeit, Arbeitserlebnisse, Selbstorganisation NEXT WORK-- Selbstorganisation und Zukunftsgestaltung Fragt man die Mitarbeitenden der metafinanz, dann ist die Zukunft der Arbeit geprägt von Arbeitserlebnissen, Nachhaltigkeit, Diversität, sozialem Engagement und einem Bewusstsein für Gesundheit und das eigene Wohlbefinden. Auf Basis einer gewachsenen Unternehmenskultur und einem hohen Grad an Selbstorganisation entwickeln die Mitarbeitenden ambitionierte Zukunftsbilder und gestalten ihre Arbeitsräume damit täglich auf anspruchsvolle Weise neu. Die metafinanz als Business- und IT-Beratungshaus mit Sitz in München begleitet ihre Kunden in die Digitalisierung und Transformationsprozesse, es verbindet dabei Kulturwandel und Businessentwicklung mit Technologie Know-how. Das Unternehmen selbst ist von seinem Agilitäts-Reifegrad sehr weit fortgeschritten. Im Zuge einer radikalen Kundenzentrierung des Beratungsunternehmens mit seinen heute 850 Mitarbeitenden, wurde bereits 2017 klassisches Management abgeschafft und die gesamte Organisation auf autonome Teams umgestellt. Diese selbstorganisierten Einheiten sorgen seitdem für eine positive Unternehmensentwicklung. Dabei war der Weg in die Veränderung nicht immer einfach, denn wesentliche Prämissen der Zusammenarbeit wurden komplett auf neue Beine gestellt. Nicht mehr die Geschäftsführung oder das Management ist für die Teamzusammensetzung verantwortlich, sondern die Mitarbeitenden selbst. Die Prämisse heißt: „Ich gehöre mir selbst“-- und bestimme damit, welchem Team ich mich anschließe oder mit wem ich ein neues Team gründen möchte. Das Prinzip der „freien Wahl“ fördert dabei ein hohes Maß an intrinsischer Motivation des Einzelnen, gleichzeitig finden sich Menschen zu Teams zusammen, die gerne miteinander arbeiten möchten und ein gemeinsames Ziel und Interesse verfolgen. So sind im Laufe der letzten fünf Jahre in der metafinanz mehr als 70 Business Areas (Teams) entstanden, die wie Unternehmen im Unternehmen ihre Businessentwicklung selbst in die Hand nehmen. D.h., Teams der metafinanz sind vom Recruiting neuer Mitarbeitender über die eigene Weiterentwicklung bis zur Kundenbetreuung und den Finanzen selbstverantwortlich. Für die Teams bedeutet das, sich im Team zu einigen, wie z. B. die fachliche und persönliche Weiterentwicklung jeder einzelnen Person aussehen kann und diese Entwicklung dann auch entsprechend zu finanzieren. Das hohe Maß an unternehmerischer Verantwortung schweißt die Teams zusammen und übt gleichzeitig einen gewissen Zwang aus, abgestimmte Vorgehensweisen und klare Regeln und Prinzipien ihrer Zusammenarbeit zu definieren, um die gesteckten Unternehmensziele zu erreichen. Darüber hinaus haben Teams in der metafinanz ein hohes Maß an Transparenz über ihr wirtschaftliches Vorankommen und se- Wissen | Next Work-- Selbstorganisation und Zukunftsgestaltung 23 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0027 hen Entwicklungen tagesaktuell. So kann schnell umgesteuert oder Erfolg auch umgehend gefeiert werden. Selbstorganisation und Autonomie erfordern aber auch klare Rahmenbedingungen aus der Organisation. In der metafinanz gibt der sogenannten metaRahmen eine Orientierungshilfe bestehend aus unternehmensweiten Regeln und Prinzipien für das Zusammenarbeitsmodell. Für jeden Mitarbeitenden und für jedes Team ist dort klar definiert, an welcher Stelle im Unternehmen verbindliche Regeln notwendig sind und wo Freiheitsgrade bestehen, sodass ein selbstverantwortliches Navigieren für jeden Einzelnen im System erst möglich wird. Das Zusammenwirken von Autonomie unter klar definierten Rahmenbedingen hat in der metafinanz in den letzten fünf Jahren zu einem hohen Maß an unternehmerischen Kompetenzen bei allen Mitarbeitenden geführt. Klassische Projektmanagementskills, wie Kommunikation, Zusammenarbeit, Terminplanung, Flexibilität, Zeitmanagement, Priorisierung oder kreative Lösungsfindung werden im daily business der Teams erlernt. Dazu kommt ein hohes Maß an Verständnis für Marktdynamiken, Change-Prozesse und ein zunehmend systemischer Blick auf die Organisation. Ist das New Work oder schon Next Work? „Die Arbeit so zu transformieren, dass sie freie, selbstbestimmte, menschliche Wesen hervorbringt.“ war einer der Grundgedanken, als Fritjof Bergmann den Begriff „New Work“ schon in den späten 70er Jahren des letzten Jahrhunderts geprägt hat. Bergmann prophezeite schon frühzeitig eine Abwendung von Lohnarbeit hin zu sinnstiftenden Tätigkeiten. Und obwohl die metafinanz diesem Anspruch heute bereits sehr nahe zu kommen scheint, reicht es nicht, nur den Sinn und Zweck des Unternehmens oder von Teams zu definieren. Vielmehr muss die Frage im Mittelpunkt stehen, ob alle sich im Unternehmen verwirklichen und sich gleichzeitig als zugehörig und akzeptiert wahrnehmen können. Unter dem Label „Next Work“ wurden daher in der metafinanz eine Vision und ein Konzept entworfen, mit dem Ziel, ein einzigartiges Arbeitserlebnis zu schaffen. Eine Community aus verschiedenen Mitarbeitenden treibt diese Idee voran und bringt sie in die Umsetzung. So konnte sich die Next-Work-Initiative auch immer neuen aktuellen Herausforderungen, wie dem hybriden Arbeiten, dem Arbeiten im Ausland oder dem Büro der Zukunft stellen. Einzigartige Arbeitserlebnisse schaffen Heute werden von Mitarbeitenden für Mitarbeitende Arbeitserlebnisse auf drei Ebenen geschaffen, man spricht von der sogenannten Social Experience, der Work Experience und der Organizational Experience (eigene Grafik inspiriert durch This time it’s personal: Shaping the ‘new possible’ through employee experience | McKinsey). Bei der Social Experience geht es um das soziale Klima, die Beziehungen und wie das Miteinander im Unternehmen gelingend gestaltet werden kann. Das Thema Körper, Geist und Seele spielt dabei eine große Rolle. Neben diversen Angeboten von Seelsorge, Gesundheitschecks, Yogakursen etc. ist in den letzten Monaten ein eigener Health&Wellbeeing Be- Wissen | Next Work-- Selbstorganisation und Zukunftsgestaltung 24 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0027 reich in der metafinanz eröffnet worden. Aber auch immer neue Gelegenheiten für Begegnung werden geschaffen von Blind Coffee Dates bis zu Gruppen-Geburtstagspartys, für die Geburtstagskinder aus den Monaten Januar und Februar etc. Dabei gibt es immer das Bestreben, Neues und Überraschendes zu verproben, um Menschen in Kontakt zu bringen und mannigfaltige Vernetzung zu ermöglichen. Bei der Work Experience ist entscheidend, wie flexibel und zukunftsorientiert jede: r Einzelne die Arbeit empfindet. Arbeitszeitmodelle oder hybrides Arbeiten werden daher in der metafinanz maximal flexibel gestaltet. Wie oft im Büro oder von zu Hause gearbeitet wird, ist den Teams selbst überlassen. Sabbaticals und Teilzeitmodelle jeder Art sind eine Selbstverständlichkeit. Kernelement der Work Experience ist auch das selbstbestimmte lebenslange Lernen. Die metafinanz bietet interne und externe Weiterbildungsangebote über ihre eigene metaAcademy an und hat dieses Angebot mit der sogenannten metaMap noch einmal angereichert. Mit der metaMap kann man sich hoch flexibel wie in einem U- Bahn-Netz auf Lernpfaden wie Leadership oder Unternehmertum bewegen. Jederzeit aus- und umsteigen oder mit „meta Bustouren“ auf vorbereiten Ausbildungspfaden die eigene Weiterentwicklung vorantreiben. Und zuletzt steht die Organizational Experience für eine passende Arbeitsumgebung vom Arbeitsplatz bis zur Technologie. Büros wurden nach der Pandemie noch einmal neu und attraktiver gestaltet und gleichzeitig wird die technische Ausstattung des Homeoffice unterstützt, so dass sowohl ein „Wow onsite“ wie ein „Wow offsite“ entstehen kann. Darüber hinaus sind eine Reihe von neuen Angeboten und Services entlang der sogenannten Candidate Journey entstanden, um vom Erstkontakt mit der metafinanz bis zum Austritt ein fortwährendes Erlebnis zu ermöglichen. Ziel ist, die metafinanz Erlebniswelt mit attraktiven Raumkonzepten, perfekter Ausstattung gepaart mit dem Spirit der gesamten Organisation auch für Kunden zu einem einzigartigen Erlebnis zu machen. Fazit Ein hohes Maß an Selbstbestimmung und Selbstorganisation gepaart mit einer echten Übernahme von Verantwortung für das Unternehmen sorgen in der metafinanz dafür, dass eine Vielzahl von autonomen Teams den Businesserfolg der Firma heute sicherstellt. Mitarbeitende wollen darüber hinaus die Zukunft des Unternehmens nicht nur mitgestalten, sondern übernehmen Verantwortung, um ambitionierte Zukunftsbilder direkt in die Umsetzung zu bringen. Next Work ist erst einmal Initiative der metafinanz und doch bildet sie bereits ein Angebot, wie die Arbeit der Zukunft aussehen könnte. Eingangsabbildung: eigenes Foto, metafinanz (Eigene Grafik) Michael Fleischmann Michael Fleischmann ist Transformator, Agiler Coach und Trainer bei metafinanz Informationssysteme GmbH. Er begleitet heute mittelständische Unternehmen in der Transformation und qualifiziert Führungskräfte und Mitarbeitende für die Herausforderungen der Zukunft. 25 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0028 Wie sollte HR von morgen aussehen? Agiles Personalmanagement Agnetha Flore, Frank Edelkraut Für eilige Leser | Agilität ist seit Jahren unverzichtbar und hat bereits in viele Unternehmen Einzug gehalten. Doch es ist immer noch sehr unterschiedlich, auf welche Art und Weise Unternehmen ihre agile Transformation umsetzen. Vor allem gibt es signifikante Unterschiede in der Intensität, mit der unterschiedliche Funktionsbereiche ihre agile Transformation angehen. Dieser Beitrag soll dazu dienen, die Rolle von Human Ressource (HR) in einer agilen Transformation darzustellen. Wie sieht diese im Idealfall aus und wie ist HR selbst davon betroffen? Schlagwörter | Agiles Arbeiten, Agiles Lernen, HR, Mindset, Organisationsentwicklung, Projektmanagement Wenn uns eine gute Fee die Frage stellen würde, welche drei Wünsche wir an die Arbeitswelt der Zukunft haben, würden wir folgende Punkte wünschen: 1. Die Human Capability sollte organisatorisch in den Fokus gestellt werden. 2. Es sollte mit einem Limited Work in Process und einer prioritätsgesteuerten (Projekt)Portfoliosteuerung gearbeitet werden. 3. Die Organisationssteuerung sollte agil erfolgen. Dieser Artikel soll aufzeigen, was sich hinter diesen drei Wünschen verbirgt und warum aus unserer Sicht genau diese drei Wünsche priorisiert sind. Dabei starten wir bei der aktuellen Ausgangslage der Arbeitswelt, beschreiben, welche Bedeutung sich daraus für das Projektmanagement ergibt und leiten daraus auch Folgen für HR im Allgemeinen ab. Die Welt, in der wir täglich arbeiten verändert sich permanent. Das Umfeld ist dynamischer, komplexer und vor allem schneller geworden. Somit ändern sich auch die Anforderungen an die Zusammenarbeit, die Kompetenzen der einzelnen Mitarbeiter, aber auch an Human Resource (HR) sehr stark. Die Frage mit der sich der Großteil der Unternehmen-- egal ob klein oder groß, Start-up oder etablierte Aktiengesellschaft-- auseinandersetzen müssen, ist, wie sie weiterhin erfolgreich am Markt bestehen können. Welcher Veränderungen bedarf es dafür im Projektmanagement, in der Aufbau- und Ablauforganisation, der Produktion und den Stabsstellen wie HR? Welche Wege sollten dafür eingeschlagen werden? 1 Ausgangslage der Arbeitswelt 1.1 Business Agility Die Wirtschaftsunternehmen in der heutigen Zeit sehen sich weiterhin mit exponentiell verlaufenden Entwicklungen konfrontiert. Dadurch nimmt die Veränderungsgeschwindigkeit weiter zu, was wiederum neue Arbeitsmethoden erfordert. Hinzu kommt, dass die exponentielle Entwicklung der Wirtschaft nicht Hand in Hand geht mit der Gesetzgebung und anderen Normen und Standards. Auch die rasante Entwicklung der Technologien ist oft viel schneller als sie beispielsweise in der Organisationsentwicklung nachvollzogen werden kann. Der Spagat zwischen innovativen, agil-organisierten Organisationseinheiten und den effizienz- und konformitätsgesteuerten Einheiten wird immer größer. Wenn man sich die zuvor beschriebene unterschiedliche Entwicklung anschaut und die jetzige Lage und die Anforderungen an die Arbeitswelt und insbesondere an Projekte überlegt und diese in das Stacey-Diagramm einträgt (siehe Abb. 1), wird man feststellen, dass immer mehr der neu aufgelegten Projekte statt in den Domänen „simple” und „complicated” in den Bereichen „complex” oder sogar „chaotic” anzusiedeln sind. Dies macht deutlich, dass eine andere Art Wissen | Agiles Personalmanagement 26 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0028 und Weise der Unternehmensorganisation und -steuerung nötig ist, um den Spezifika der Arbeit in komplexen Themenfeldern gerecht zu werden [2]. Da der größte Teil der neuen Entwicklungen in die Domäne „komplex“ gehört, steigt die Bedeutung agiler Arbeitsorganisation, denn diese ist vor allem für komplexe Themen und eingeschränkt vorhersehbare Arbeitsabläufe geeignet. Unternehmen werden zunehmend agil. Unter Agilität verstehen wir die Fähigkeit einer Organisation, sich pro- und / oder reaktiv an verändernde Bedingungen bzw. Anforderungen anzupassen, eine hierzu passende Arbeitsorganisation zu entwickeln, permanent zu lernen und sich schneller weiterzuentwickeln, als das Umfeld bzw. Mitbewerber es tun, um permanent Kundennutzen zu generieren. Für Unternehmen bedeutet dies massiven Reorganisationsbedarf, denn die etablierten Organisationen und Projektmanagementstandards sind selten in der Lage, agil zu agieren. Der Transformationsbedarf bedeutet auch einen stark erhöhten Lernbedarf- - sowohl für das Individuum als auch für die Organisation. Lernen wird zu einer Kernkompetenz der Arbeitswelt von Morgen, denn der Lernfortschritt ist allzu oft der zeitliche Engpass für Veränderungen. Im nächsten Abschnitt betrachten wir, wie und warum Agilität bei den nötigen Veränderungen gestaltet werden kann [2]. Lernen und damit die Personalentwicklung sind nicht die einzigen Themenfelder in der Personalarbeit, die sich aktuell verändern. Auch die Organisationsentwicklung, Führung etc. sind im Umbruch. Dies bringt die Personalabteilungen in die schwierige Lage, viele Veränderungen umsetzen zu müssen, dafür jedoch nur begrenzt ausgestattet, organisiert und qualifiziert zu sein. Daher wundert es nicht, dass Personalverantwortliche selbst die eigene Umsetzungsfähigkeit hin zu jener modernen Personalarbeit als begrenzt einschätzen. Abbildung: 1 Stacey-Diagramm [4] Abbildung 2: BCG [1] Wissen | Agiles Personalmanagement 27 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0028 1.2 Agilität als Methodik der schnellen Wirtschaft Nachdem wir im ersten Abschnitt über die Themen Wirtschaft, Geschwindigkeit und Komplexität gesprochen haben, soll es hier um die entscheidenden Punkte der agilen Arbeit gehen: Mindset, Governance und Methoden. Dabei ist uns wichtig hervorzuheben, dass das Zusammenspiel dieser drei Aspekte gemäß Management 4.0-Ansatz mit Mindset (1000), zu Governance (100) zu Techniken (1) zu verstehen ist [6], [7].Um ein besseres Verständnis dafür zu bekommen, wie agiles Arbeiten helfen kann, ist ein Blick auf das Cynefin-Framework sinnvoll. Dieses Framework erinnert stark an das Stacey-Diagramm. Es gibt die vier Bereiche simpel, kompliziert, komplex und chaotisch. Beim Cynefin-Framework gibt es darüber hinaus aber zwei wichtige Ergänzungen: 1. Ergänzung der vier Bereiche um die Art und Weise, wie dort Arbeiten sinnvoll ist. • Im Bereich „simpel” sind Ursachen und Wirkungen vorhersehbar und wiederholbar. Für sie funktionieren Entscheidungen im Sinne von: Wahrnehmen-- Kategorisieren-- Reagieren . In der Regel existieren für simple Systeme Best Practices, nach denen vorgegangen werden kann. • Bei „komplizierten” Systemen ist der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung nicht selbsterklärend. Hier sollten Entscheidungen nach dem Vorgehen: W ahrnehmen- - Analysieren- - Reagieren getroffen werden. In diesem Bereich kann noch oft auf Good Practices zurückgegriffen werden. • Der nächste Bereich „komplex” ist dadurch gekennzeichnet, dass keine Ursache-Wirkungs-Abhängigkeit vorhersagbar ist. Das Entscheidungsmodell sollte hier sein: Ausprobieren- - Wahrnehmen- - Reagieren . Hier gibt es keine Vorlagen, nach denen gehandelt werden kann, es werden Experimente durchgeführt und daraus resultierende jeweilige Reaktionen. Es wird hier auch von Emergent Practice gesprochen. • „Chaotische” Systeme entstehen durch bewusste Innovationen oder Zufälle. Hier ist das Vorgehen: Handeln-- Wahrnehmen-- Reagieren zu empfehlen. In diesem Bereich ist alles neu, hier ist es wichtig, immer wieder schnell auf Entwicklungen zu reagieren und sich zu stabilisieren [2]. 2. Der fünfte Bereich-- hier als mittleres Feld dargestellt-- ist “disorder”. Da den Beteiligten eines Unternehmens oder speziell eines Projekts nicht immer klar ist, in welchem der anderen vier Bereiche sie sich befinden, wurde der fünfte Bereich „disorder” eingeführt. Hier befinden wir uns, wenn wir nicht genau sagen können, in welchen Bereich das eigene Projekt zugeordnet werden kann. In der Praxis ist disorder für viele Unternehmen und Projekte schon fast der Normalzustand [2]. 1.3 Präzisierung der drei Wünsche Im Anschluss an die Beleuchtung der aktuellen Herausforderungen der Arbeitswelt, möchten wir unsere drei Wünsche an eine zukünftige Arbeitswelt wieder aufgreifen. Es soll erläutert werden, was sich dahinter verbirgt und wie dies bei der Bewältigung der Herausforderungen helfen kann. 1. Die Human Capability sollte organisatorisch in den Fokus gestellt werden. Hier geht es darum, Kompetenzen und Lernen in den Fokus zu stellen und damit die Human Capability (Workforce Quality) zu steigern und auf diese Weise, eine kompetentere und schnellere Bearbeitung neuer Themen und eintretender Veränderungen sicherzustellen (Task Force, Sondereinsatzteams-… you name it. (Leit-KPI: Time2Skill). 2. Es sollte mit einem Limited Work in Process und einer prioritätsgesteuerten Portfoliosteuerung gearbeitet werden. Hierunter verbirgt sich eine Wertflusssteuerung, die auf schnelle Lieferung und auf eine Minimierung von Wait-Times ausgerichtet ist. Dazu wird die Arbeit im System auf die Lieferkapazität des Engpasses ausgerichtet und nur so viele Pro- Abbildung 3: Cynefin-Framework [4] Wissen | Agiles Personalmanagement 28 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0028 jekte in Arbeit genommen, wie das Liefersystem bearbeiten kann (Leit-KPI: Time2 Delivery). 3. Die Organisationssteuerung sollte agil erfolgen. Eine agile Organisationssteuerung könnte bspw. über Flightlevel [3] erfolgen. Dabei konzentrieren sich die Organisation und die Führung auf einen störungsfreien Gesamtablauf der Wertrealisierung. Dabei muss sich alles den Bedürfnissen der operativen Teams unterordnen (Leit-KPI: Time2 Change). Warum sind es genau diese drei Wünsche geworden? Das liegt daran, dass die Arbeit der Zukunft vorwiegend durch die Geschwindigkeit der Ergebnislieferung bestimmt wird. Bereits in der Darstellung der aktuellen Arbeitswelt haben wir das Thema angesprochen, und die Geschwindigkeit wird weiter zunehmen, wie man an Sprung-Innovationen wie ChatGPT und deren Einfluss auf das eigene Unternehmen sehen kann. 2. Führung in der zukünftigen Arbeitswelt Der Führungsfaktor mit dem größten Relevanzzuwachs ist die Unvorhersehbarkeit. Daher ist agiles Arbeiten in der Welt von morgen so besonders wichtig, da es dazu dient, trotz Unvorhersehbarkeit schnell einen Wert zu generieren, der auch in die Anwendung kommt. Weiterhin ist nur „agil“ in der Lage, Kopfarbeit (Knowledge Work), das Rückgrat der Entwicklung, transparent und damit steuerbar zu machen. 2.1 Das zukünftige Projektmanagement Was bedeutet das bisher Diskutierte für das Projektmanagement in den Unternehmen? Der Anteil an zu bearbeitenden Projekten bzw. Aufgaben, die projekthaft bearbeitet werden, wird in den meisten Unternehmen weiter ansteigen. In agil bearbeiteten Projekten wird allerdings das magische Dreieck (Kosten-- Zeit-- Qualität) auf den Kopf gestellt werden. „Qualität” wird künftig in der Regel nicht mehr Ausgangspunkt für Projekte sein können. In komplexen Themenfeldern kann das zu liefernde Ergebnis nicht definiert werden (Lasten-, Pflichtenheft), es wird im iterativ gestalteten Vorgehen nach und nach erarbeitet. Aber nicht nur die Ausrichtung in der Projektarbeit sowie die Art und Weise wie gearbeitet wird- - nämlich agil- - wird sich ändern. Da sich auch die Teamstrukturen und die Aufbauorganisation durch eine agile Transformation im Unternehmen ändern, liegt der Schluss nahe, dass das auch Auswirkungen auf die Einbindung des Projektmanagements in die bestehende Aufbauorganisation hat. 2.2 Lernen für die Zukunft Die allgemeinen Folgen für die Arbeitswelt von morgen sind, dass immer mehr Mitarbeitende kontinuierlich qualifiziert werden müssen. Auch für das Lernen muss in Organisationen ein größerer Stellenwert eingeräumt werden. Lessons Learned (Reviews / Retrospektiven) sollten wirklich konsequent durchgeführt werden. Ebenso sollte im Allgemeinen die Lernkultur im Unternehmen gefördert werden, wie beispielsweise durch Learning-Experience-Plattformen. Darüber hinaus sollte man es als Experiment versuchen, mehrere Projekte parallel durchzuführen. Denn auch die Portfoliosteuerung wird wichtiger und sollte ebenfalls agil organisiert werden. Das bedeutet schlussendlich, dass auch alle Führungskräfte viel stärker in die Pflicht zu nehmen sind. Das alles für die zukünftige Arbeitswelt: Agil, agil und nochmal agil! Warum gleich dreimal? Zum einen geht es um agiles Denken , um Unvorhersehbarkeit organisieren zu können. Zum zweiten geht es um agiles Organisieren , wie durch agile Frameworks (bspw. LeSS, SAFe) und eine agil taugliche Aufbauorganisation. Als Drittes geht es um agiles Lernen , also Lernen als selbstorganisierte, arbeitsplatznahe, kompetenzorientierte Investition in den persönlichen und unternehmerischen Erfolg. 3. Folgen für HR Wie wir in der Einleitung bereits gesehen haben, sind die Beschleunigung und zunehmende Bedeutung komplexer Themen auch für die Personalabteilung- - stellvertretend für Abbildung 4: Evolution of Human Capability Agenda [8] Wissen | Agiles Personalmanagement 29 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0028 alle Stabsstellen- - relevant. Damit HR zukünftig erfolgreich arbeiten kann, muss auch die Personalarbeit, wo sinnvoll, agil arbeiten. Dazu gehören unter anderem: • Es sollte ein Portfolio für die strategischen und operativen HR-Initiativen angelegt und geführt werden (Backlog). • Das Critical Chain Project Management sollte als Maßstab genommen werden, denn HR selbst ist als Cost Center viel zu oft ein Engpass. Die Identifikation und Bearbeitung der Engpässe im Unternehmen wird überwiegend mit Menschen (Kompetenzen, Verfügbarkeiten usw.) zu tun haben. • Es gibt neue Rollen zu entwickeln, wie beispielsweise den agilen Lerncoach und agile Führungskräfte. • Es sollten hybride Organisationen gestaltet und ertüchtigt werden, dafür sind die Themen Mitbestimmung und Rahmenbedingungen zu hinterfragen. Es werden Systeme benötigt, die die Logik agilen Arbeitens unterstützen und nicht konterkarieren. • Beim Recruiting sollte künftig nicht mehr nach Kandidaten gesucht werden, die möglichst genau auf eine Stelle passen, sondern welche, die gut mit Veränderungen umgehen, schnell lernen können und einen wertvollen Beitrag im Team leisten. • Die Personalentwicklung sollte nicht mehr für vordefinierte Anforderungs- oder Stellenprofile angeboten werden, sondern es sollte die Fähigkeit, selbstorganisiert zu lernen, geschult werden. • Auch beim Lohn und Gehalt müssen neue Wege gefunden werden, statt beispielsweise individueller Boni für das Erreichen von vordefinierten Zielen werden andere Mechanismen zur Entlohnung benötigt. • Laufbahnmodelle müssen überarbeitet werden, da sie nicht mehr widerspiegeln, was agile Mitarbeitende von Karriere erwarten [2]. Die Grafik (siehe Abb.- 4) von Ulrich (2022) zeigt, dass sich die Personalfunktion weiter verändert, neue Aufgaben hinzukommen und aktuell der Sprung von Human Resources über Human Capital zu Human Capability ansteht. Das bedeutet, dass durch steigende Ansprüche bei höherer Geschwindigkeit auch mehr Aufgaben auf die HR-Organisation zukommen. Der Weg von HR in die Zukunft und die steigende Komplexität der Personalarbeit sollte daher agil erfolgen und muss einen signifikanten Wert für die Mitarbeiter und Führungskräfte hinsichtlich der Employability und Leistungsfähigkeit in der agilen Zukunft bieten. Das lässt den Schluss zu, dass die HR-Organisation in vielen Unternehmen komplett umgebaut werden muss. Zusätzlich ist zu klären, wie HR selbst agil wird? Da HR einen wesentlichen Anteil am Gelingen der agilen Transformation einer Organisation hat, liegt der Schluss nahe, dass HR ein agiler Treiber in der Organisation sein muss, da hier zentrale Themen wie die Organisationsentwicklung, das Lernen und die Umgestaltung der HR- und Führungsprozesse verantwortet werden. Daher kann HR die Chance nutzen, großen Einfluss auf die Entwicklung der Organisation zu nehmen und die eigene Professionalität in eine agile Zukunft mit einzubringen. Dabei muss die agile Personalabteilung folgende Agilitätsausprägungen aufweisen: • Strategische Agilität , d. h. ein gutes Verständnis haben, wo und wie das eigene Unternehmen im Wettbewerb steht bzw. welchen Veränderungen es sich gegenübersieht. Anzeige Bachelor Projekt- & Prozessmanagement Berufsbegleitend & praxisnah 100 % online studieren Staatlicher Hochschulabschluss B.A. Zulassung auch ohne Abitur möglich Karriere-Kick 2023 wings.de/ projektmanagement 97 % Weiterempfehlungen bei FernstudiumCheck.de Sehr gut 4.3/ 5.0 • Organisationale Agilität , d. h. wie die Organisation agil gestaltet werden kann. • Leadership Agilität , d. h. wie sich Führungskräfte agil verhalten und • Individuelle Agilität , d. h. wie die Mitarbeitenden in der Agilen Organisation lernen und wachsen können [2]. Auf dem Weg zur Agilen HR ist Mut eine Kerneigenschaft, die es von den Mitarbeitenden der HR bedarf. In einem ersten Schritt ist agiles Lernen für Personaler entscheidend. Nur wer selbst professioneller Lerner ist, kann andere bei der Personalentwicklung unterstützen. Dafür müssen die wichtigsten Tools und Formate selbst erlebt worden sein und man permanent auf der Suche nach neuen Ideen und Möglichkeiten sein. Eine Möglichkeit hierfür ist, ein HR-Lab einzurichten. Dort könnten Experimente und die Entwicklung von Methoden, Instrumenten und Innovationen ausprobiert werden, es könnte Simulationen und Tests von Prototypen geben und es könnten Recherche-- und Analysetätigkeiten etabliert werden (Sensor für Entwicklungen). Darüber hinaus könnten Qualifizierungen, also Kompetenzvermittlungen vorgenommen werden, Sonderorganisation getestet und / oder angesiedelt werden und zu guter Letzt moderne Arten von Führung erarbeitet und ausprobiert werden. Eine gute Vorgehensmöglichkeit dabei ist klein anzufangen und dann zu skalieren, also positive Beispiele zu erarbeiten und diese sichtbar zu machen. Danach kann wieder von vorne und dieses Mal größer angefangen werden [2]. Wissen | Agiles Personalmanagement 30 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0028 Tipps für Agile Personaler: • Agiles Mindset und Agile Methoden lernen. • Raus in die Fachabteilungen ( Kunde ) und verstehen, was die Kollegen so treiben. • Einen professionellen Transformationsprozess definieren. • Großes Augenmerk auf die Organisationsentwicklung richten. • Sofort mit dem Betriebsrat zusammensetzen und das weitere Vorgehen regeln. • Dafür sorgen, dass Lernen einen hohen Stellenwert erhält. • Personalentwicklung konsequent auf Employee-Led Learning und Selbstverantwortung/ -organisation umstellen. • Die Digitalisierung von HR vorantreiben. Die knappe Zeit wird für Kulturarbeit, Managementqualifizierung und den Transformationsprozess benötigt. • Agile Methoden einsetzen, Lab aufbauen, machen, lernen, verstehen und besser machen. Fazit Zusammenfassend bedeutet Arbeit in der Zukunft, dass kompetente Belegschaften schnell auf die unterschiedlichsten, nur bedingt vorhersehbaren Veränderungen (re)agieren und in agilen Strukturen für werthaltige Ergebnisse sorgen. Hierzu müssen sich unter anderem HR und die Führungskräfte neu aufstellen, ganz im Sinne der drei Wünsche an die gute Fee: 1. Die Human Capability steht organisatorisch im Fokus. 2. Arbeit wird hinsichtlich Work in Process limitiert, basierend auf einer prioritätsgesteuerten Portfoliosteuerung. 3. Die Organisation ist über die gesamte Wertschöpfungskette agil-kompatibel. Dr.-Ing. Agnetha Flore Dr.-Ing. Agnetha Flore ist seit April 2020 im Zentrum für digitale Innovationen Niedersachsen tätig und hat dort im Oktober 2021 die Geschäftsführung übernommen; studierte Diplom-Kauffrau und promovierte Wirtschaftsinformatikerin; über 20 Jahre Tätigkeit in der Finanzdienstleistungsbranche; 2017 Zertifizierte Projektmanagerin (GPM); 2019 Zusatzzertifikat Hybrid+; 2019 Dozentin IBS Oldenburg für agiles Projektmanagement, 2019 GPM Fachgruppe Agiles Management und seit 2021 mit in der Fachgruppenleitung tätig. Anschrift: ZDIN Escherweg 2 26 121 Oldenburg Telefon: 0441 / 9722 - 102 eMail: agnetha.flore@zdin.de Dr. Frank Edelkraut Dr. Frank Edelkraut ist Geschäftsführer der Mentus GmbH und als Interim Manager in HR-Leitungsfunktionen tätig. Er ist Experte für Projekt- und Transformationsmanagement sowie Agile Organisation und Agiles Personalmanagement. Er publiziert regelmäßig online und hat bereits mehrere Bücher zu Personal- und Managementthemen geschrieben. Seit vielen Jahren engagiert er sich als Mentor für Studierende und Gründer. Mehr zu ihm: https: / / www.linkedin.com / in / frankedelkraut/ Literatur [1] Boston Consulting Group: The Future of People Management Priorities, (2021) [2] Edelkraut, F., Mosig, H.: Schnelleinstieg Agiles Personalmanagement, 1. Auflage, Haufe Grouop Freiburg- - München-- Stuttgart (2019) [3] Leopold, K.: Agilität neu denken, Leanability (2018) [4] Snowden, D. J.: Das Cynefin-Framework, veröffentlicht unter CC BY 3.0, The Cynefin Framework (abgerufen am 18. 03. 2023) [5] Stacey-Diagramm; Quelle: https: / / www.bva.bund. de / DE / Services / Behoerden / Beratung / Beratungszentrum / GrossPM / Wissenspool/ _documents / Standardartikel / stda-stacey-matrix.html (abgerufen am 18. 03. 2023) [6] Tuczek, C. H., Flore, A., Nuhn, H. F. R., Schaffitzel, N.: A systemic approach to agile management and self-organization for a sustainable transformation of organizations, IPMA 8th Research Conference (2020) [7] Tuczek, C. H., Flore, A., Nuhn, H. F. R., Schaffitzel, N.: Agiles Management-- ein systemischer Ansatz. Ohne agiles Mindset der Organisation müssen agile Projekte scheitern, Projektmanagement aktuell, Juliausgabe (2022) [8] Ulrich, D.: Evoluation of Human Capability Agenda, https: / / www.linkedin.com / pulse / esg-human-capability-connecting-emerging-intangibles-dave-ulrich/ (2022) Eingangsabbildung: © iStock.com / eternalcreative 31 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0029 Die Digitalisierung des Bauprozesses verlangt neue soziale Kompetenzen für Bauprojektmanager und Anforderungen an die Ausbildung im Bauprojektmanagement Soziale Kompetenzen im digitalen Bauprojektmanagement Karina Breitwieser, Dietmar Paier, Christian Steinreiber Für eilige Leser | Der Bauprojektmanager agiert in einem besonders komplexen Umfeld, sein Kompetenzprofil verändert sich massiv durch digitalen Fortschritt (z. B. BIM, CDE) und neue Kollaborationsformen (z. B. Allianz-Verträge, Early Contractor Involvement, Lean Management). In der Ausbildung müssen neben fachlichem Grundlagenwissen auch soziale Kompetenzen zum Gestalten und Umsetzen von Kollaborationsstrukturen im digitalen Raum vermittelt werden. Schlagwörter | Bauprojektmanagement, Building Information Modelling, digitale Kollaboration, soziale Kompetenzen, Ausbildung 1. Das digitale Bauprojekt 1.1 Spezifika von Bauprojekten Bauprojekte sind von hoher Komplexität geprägt. Im Gegensatz zu den Ergebnissen der Produktionsindustrie ist das Bauwerk immer ein Prototyp- - eine einmalige Kombination aus technischen Einzelprodukten, die innerhalb eines Terminplanes zu den vereinbarten Kosten an dem dafür vorgesehenen Ort erstellt wird. Die durch Digitalisierung forcierte Standardisierung kann damit nur bedingt in der Wiederholbarkeit technischer Details stattfinden als vielmehr in den Prozessen der Zusammenarbeit. Für die Entwicklung dieses Bauprototyps braucht es eine Vielzahl an Projektpartnern unterschiedlicher Disziplinen, die nach einem oft langwierigen Ausschreibungs- und Vergabeprozess zu einer Projektorganisation neu zusammengesetzt werden. Die Zusammenarbeit ist auf vielen Ebenen zu koordinieren: innerhalb des Unternehmens und zwischen beteiligten Firmen, als Optimierung von untereinander abhängigen Prozessschritten. Darüber hinaus ist jedes Bauprojekt eingebettet in eine Umwelt mit Stakeholdern, die direkt oder indirekt Einfluss auf das Projekt haben (siehe Abb. 1). Die Umsetzung erfolgt innerhalb spezieller Regelwerke (Verträge, projektspezifische Vorgaben, Normen) und ist von den Rahmenbedingungen auf der Baustelle geprägt. Es gibt enge Verflechtungen mit lokalen und globalen Märkten, auf denen Bauprodukte und bauspezifische Dienstleistungen zugekauft oder Ressourcen rekrutiert werden. Den längsten Teil im Bauobjektlebenszyklus macht jedoch nicht das Bauprojekt, sondern die Objektnutzungsphase aus. Die aktuelle Nachhaltigkeitsdiskussion forciert eine Integration der potenziellen Umweltauswirkungen des Bauobjektes, dessen Nutzung und des Recyclings. Jedes Projekt bleibt während der Umsetzung ein dynamisches System mit potenziellen Änderungen durch zahlreiche Einflussfaktoren von Schlechtwetter auf der Baustelle bis zu Persönlichkeiten der Teammitglieder. Die beschriebene Projektkomplexität wird insbesondere durch zwei komplementäre Trends- - exponentielles Technologiewachstum (siehe Kap. 1.2) sowie stärkere Einbeziehung des menschlichen Faktors (siehe Kap. 2)-- gesteigert. [2] Der Faktor Mensch ist hier als eine-- simplifizierende-- Metapher für die komplexen sozialen Interaktionen in der Projektumsetzung zu verstehen. Wissen | Soziale Kompetenzen im digitalen Bauprojektmanagement 32 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0029 1.2 Digitalisierung der Baubranche Technisch anspruchsvolle Lösungen, lange Planungs- und Umsetzungsphasen und die Koordination von in unterschiedlichen Phasen involvierten Partnern erfordern ein durchdachtes Informationsmanagement. Als adäquate Arbeitsform hat sich in den letzten Jahren Building Information Modelling -- kurz BIM-- durchgesetzt. Es ermöglicht eine digitale Zusammenarbeit von Projektpartnern an einem dreidimensionalen Modell. Dieses wird aus Bauteilen aufgebaut, denen Informationen zugeordnet werden können. Im Zuge des Bearbeitungsprozesses wird das Modell mit immer mehr bzw. konkreteren Informationen angereichert, sodass es bei der Übergabe an den Bauherren den „digitalen Zwilling“ gibt-- quasi ein Abbild des finalen Bauwerkes im digitalen Raum (siehe Abb. 2). Für das Bauprojektmanagement ergeben sich daraus zwei Arbeitsumgebungen- - physisch und digital- - und deren Verzahnung. Diese Kollaborationsebenen müssen gemanagt werden. Das projektspezifische Common Data Environment (CDE) ist dafür ein gemeinsamer, digitaler Arbeitsraum, in dem Prozesse unternehmensübergreifender Zusammenarbeit geführt werden, die Ablage der wichtigen Projektinformationen strukturiert erfolgt und die Projektbeteiligten gemäß vereinbartem Rechtemanagement Zugriff erhalten. Im Zentrum stehen dabei Daten , auf die im BIM-Modell, in den Workflows oder in den Anwendungen digitaler Technologien referenziert wird. Der Erstellung, dem einfachen Zugriff und der effektiven Nutzung von Daten fallen eine entscheidende Rolle zu. Im Optimalfall ist jeder Datensatz einmal vorhanden und Datenbanken sind untereinander vernetzt ( Single-Source-of-Truth-Prinzip ). Offene Schnittstellen zwischen den Anwendungen und standardisierte Begrifflichkeiten sind damit von essenzieller Bedeutung. Darüber hinaus kommen projektspezifisch Technologien wie z. B. 3D-Druck, Robotics, Drohnen, Augmented-Reality oder auch künstliche Intelligenzen zur Anwendung. Eingebunden ist das digitale Bauprojekt in ein zunehmend digitales Umfeld ( Digital Built Environment - - DBE, siehe Abb. 3). Der Kreis der Stakeholder erweitert sich damit um Behörden, die zunehmend digital mit den Projekten interagieren, Softwarehersteller, Plattformanbieter für Online-Beschaffung, IT- Dienstleister-- bis zu Social Media. 2. Kollaboration im digitalen Bauprojekt Innerhalb dieses komplexen, digitalen Wirkungsraumes spielt sich Kollaboration auf drei Ebenen ab. • Technische Ebene Die Softwaretools und Datenbanksysteme sind stetem Wandel unterworfen, werden aber oft projektspezifisch vorgeschrieben. Wichtig ist somit ein Verständnis der technischen Randbedingungen und Möglichkeiten in den Unternehmen und im Projekt. Der Projektmanager muss die Technologieentwicklungen im Auge behalten, entscheidend ist es das Anwendungspotenzial zu verstehen und im Team zu beherrschen. Gebaute Realität Virtuelle Realität Foto: privat - Waagner-Biro Foto: Richard Schabetsberger Abbildung 2: Digitaler Zwilling für das Ethihad Museum in Dubai Unternehmen Kunde Subunternehmer Geschäftspartner gebaute Umwelt Bauträger Generalunternehmer Gewerke Planer Bauprojekt direkte Vertragsbeziehungen Lieferanten Eigentümer Baufirmen Social Media Influencer Forschungseinrichtungen Ausbildungsstätten Behörden Markt für Produkte & Bauleistungen Interessensvertreter Bauindustrie Prüfingenieure Softwareanbieter Berater Rechtsexperten Projektpartner externe Stakeholder Abbildung 1: Stakeholder für ein Bauprojekt, basierend auf [1] Wissen | Soziale Kompetenzen im digitalen Bauprojektmanagement 33 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0029 • Strukturelle Ebene Die Projektorganisation wird mit neuen Rollen (z. B. BIM-Manager) ergänzt, Zusammenarbeit wird über digital geführte Workflows strukturiert. Dem Projektmanager müssen Organisation und Abläufe der Partner ebenso bekannt sein wie die im Vertrag vorgeschriebenen Prozesse und relevante Richtlinien. Je besser unternehmensinterne und projektspezifische Abläufe verzahnt sind, desto effizienter ist die Kollaboration und geringer der Widerstand gegen neue Arbeitsweisen. Durch die enge Verknüpfung der Planung und der Ausführung ist es entscheidend, die Zusammenarbeit an der Nahtstelle durch entsprechende vertragliche Rahmenbedingungen zu ermöglichen, z. B. frühzeitige Integration der ausführenden Partner ( Early Contractor Involvement ). BIM benötigt eigentlich ein Aufbrechen der in Verträgen festgelegten vertikalen Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer und eine Intensivierung der horizontalen Kollaboration von Partnern, zwischen denen keine direkte vertragliche Beziehung besteht (siehe Abb. 4). Die Integration von Ansätzen wie Agile Leadership oder Lean Management kann diese neuen Anforderungen an Zusammenarbeit unterstützen. [3] Der Projektmanager wird immer mehr zu einem Collaboration Manager, der ein Team aus Fachexperten in einem physischen und digitalen Raum führt und den Informationsaustausch steuert. Kollaboration bezieht sich dabei nicht nur auf Menschen untereinander, sondern auch auf den Austausch innerhalb der digitalen Welt in den drei Beziehungsfeldern: human-- human, digital-- digital sowie human-- digital . Abbildung: Karina Breitwieser@wienerberger Digital Built Environment E-commerce Software & IT Plattformen für digitale Information & Services digitale Administration CDE Daten virtueller Zwilling Technologien Workflows Social Media digitales Asset Management digitales Bauprojekt Abbildung 3: Das Bauprojekt im digitalen Umfeld (DBE) Abbildung 4: Vertikale und horizontale Kollaboration im Bauprojekt Wissen | Soziale Kompetenzen im digitalen Bauprojektmanagement 34 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0029 • Soziale Ebene Die Bauprojekte sind mit immer mehr internen und externen Stakeholdergruppen vernetzt [4], die Zugehörigkeit der Projektbeteiligten zu unterschiedlichen Handlungssystemen (eigenes Unternehmen, Projektumgebung, Branche, Länderspezifika) erhöht dabei die Komplexität. Projektbeteiligte müssen sich immer wieder neu auf die projektspezifischen Organisationsformen, Rollenbeschreibungen, Kooperationsbeziehungen und Kommunikationsregeln einstellen. Digitalisierung wirft auf der sozialen Ebene neue Fragen auf wie zum Beispiel die Gestaltung von Kooperationsbeziehungen, Umgang mit Transparenz, Emotionen und Konflikten. Im Folgenden soll darauf näher eingegangen werden. 3. Soziale Kompetenzfelder in Bauprojekten Soziale Kompetenzen werden in Projektmanagement-Standards erst in den letzten Jahren explizit hervorgehoben, in der aktuellen Individual Competence Baseline Version 4 der IPMA werden zehn persönliche und soziale Kompetenzelemente (von insgesamt 29) beschrieben [5]. Soziale Kompetenz hat sich auch in der Baubranche zu einem eigenständigen Element des Qualifikationsprofils von Projektmanagern entwickelt, insbesondere Kooperationsfähigkeit, Stakeholder-Management, die Fähigkeit zur Führung anderer sowie soziales Bewusstsein über die Merkmale komplexer und heterogener Stakeholderbeziehungen. [7][8][9] Obwohl die durch Digitalisierung ausgelösten Veränderungen im Bauobjektzyklus Auswirkungen auf die Menschen und deren Kollaboration haben [10], wird dieser Einfluss auf soziale Kompetenzen in der Fachliteratur kaum wahrgenommen. Einzelne Autoren betonen nur die Bedeutung von „Sozialer Intelligenz“ und „Teamfähigkeit“. [11] Das in Adamu et al. (2015) angedachte Konzept des Social Building Information Modeling ist eine Prämisse für die Stärkung einer proaktiven Shared Situational Awareness und von Ko-Kreationskompetenzen in digitalen Projekten. [12] Die branchenübergreifende Studie von Feldmüller / Rieke (2019) verortet den Einfluss von Digitalisierung auf die ICB4- Projektmanagementkompetenzelemente in der Kommunikation und Teamarbeit vor allem auf der Sachebene, weniger auf der Beziehungsebene. [13] Aus Sicht der Autoren ist der sozialen Ebene durch einen zunehmenden Austausch im digitalen Arbeitsraum besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Im Folgenden werden aus eigener Erfahrung als wichtig identifizierte Themenfelder herausgegriffen, in den Überschriften mit darin angesprochenen ICB4-Kompetenzelementen verknüpft und mit Expertenaussagen aus einem 2021 im Rahmen der Workshopreihe „Innovationslabor-- Digital Findet Stadt“ veranstalteten Workshop [3] ergänzt. • Macht und Entscheidungsprozesse (ICB 1.02 und 1.05) Durch die in den meisten bauspezifischen Unternehmen übliche Matrixorganisation agiert der Einzelne im Projekt in einem komplexen Gefüge von interagierenden Teams mit unterschiedlicher Kultur und komplexen Entscheidungswegen. BIM bewirkt hier neue Machtstrukturen. Zum einen da Entscheidungen in den digitalen Arbeitsschritten direkt vom Projektmitarbeiter getroffen werden und diese „Decisions down the line“ Eigenverantwortlichkeit statt ständiges Einbeziehen der Vorgesetzten fördern. Zum anderen wird eine gemeinsame Entscheidungsfindung unter Nutzung des vielfältigen Wissens im Team forciert. Entscheidend ist die Aufbereitung der dafür erforderlichen Informationen, die durch die Kleinteiligkeit der Arbeitsschritte in ihrer Komplexität schwer erfassbar sind. Durch vordefinierte Nutzungsrechte sind darüber hinaus nicht alle Informationen allen zugänglich. Übergeordnetes Zusammenführen von Informationen und deren Auswertung (Big Data Analysis) ist zwar erst durch Digitalisierung möglich geworden, sind die Ergebnisse aber nur einem beschränkten Kreis zugänglich, ist dieser Informationsvorsprung ein Machtfaktor. Durch verdeckt ausgeübte Macht und Interessen ist in digitalen Projekten die Analyse psychologischer Prozesse und die Identifikation von Werten und Stakeholderinteressen eine besondere Herausforderung, da sie durch den Einsatz digitaler Tools schwer greifbar sind. [13] Die sich daraus ergebenden Kompetenzen des Projektmanagers liegen im Management kollaborativer Entscheidungsprozesse und einem möglichst transparenten Informationsmanagement, das die Befindlichkeiten der Stakeholder berücksichtigt. • Transparenz und Fehlerkultur (ICB 1.05) Neben positiven Aspekten der Verfügbarkeit vernetzter Informationen erzeugt der digitale Projektraum auch Ängste. Es sind nicht nur aktuelle Projektinformationen, sondern die Historie der Erstellung digital dokumentiert. Mitarbeiter werden transparenter, fehlende persönliche Interaktion bei digitaler Arbeit degradiert sie zur bloßen Ressource, die leicht überwacht werden kann. Dies bestärkt die Wahrnehmung eines individuellen Kontrollverlustes und daraus Unsicherheit in einer sachlichen (Wer verwendet wie mein Wissen? ) und sozialen Dimension (Was denken andere über mich? ). Verstärkt werden kann diese Unsicherheit durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz, die es erschwert Analyseprozesse und dadurch unterstützte Entscheidungen nachvollziehen zu können. Digitales Arbeiten verlangt von Beginn an eine höhere Präzision, wobei Abläufe und Begrifflichkeiten in unterschiedlichen Projekten anders sind. Das bewirkt eine Fehleranfälligkeit bei einer gleichzeitig unerbittlichen Nachvollziehbarkeit. Eine höhere Fehlertoleranz ist erforderlich, statt Schuldzuweisungen soll aus Fehlern gelernt werden und die Erkenntnisse unmittelbar im Projektablauf umgesetzt werden. [3] Um eine positive Fehlerkultur zu bestärken, muss es dem Projektmanager durch rasche Lösungsfindung und struktureller Aufarbeitung in Form integrierter Lernschleifen im Projektteam gelingen, die Diskussion immer wieder auf die Sachebene zu fokussieren. • Ergebnisorientierung und Kollaboration (ICB 2.05, 2.06 und 2.10) Die Ergebnisorientierung als Integration sozialer, technischer und ökologischer Aspekte ist eine wesentliche PM-Kompetenz [5]. Der klassische Bauvertrag belohnt die Auftragnehmer dabei monetär für deren individuellen Beitrag, nicht für die Erreichung des gemeinsamen Ziels. Mit vertraglichen Bonusregelungen, welche abhängig vom gesamten Projektergebnis Wissen | Soziale Kompetenzen im digitalen Bauprojektmanagement 35 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0029 sind, können jedoch für die Projektpartner starke Anreize zur Kollaboration gesetzt werden. [14] Wichtig ist dafür die Zusammenarbeit auf Augenhöhe in interdisziplinären Teams, um den gemeinsamen, größeren Lösungsraum für Problemstellungen zu nutzen. Beim Projektstart durchgeführte Workshops mit den wesentlichen Projektbeteiligten können genutzt werden, um ein Commitment zur gemeinsamen Sache zu erzeugen und sich auf klare Spielregeln der Zusammenarbeit zu einigen [3]. Das Zusammenführen der Wissensbereiche ist im gesamten Projektverlauf essenziell, die Experten betrachten das Projekt jedoch meist nur aus dem Blickwinkel ihres Fachgebietes. Eine rein technische oder wirtschaftliche Herangehensweise führt jedoch zu einer suboptimalen Gesamtlösung. Durch das Öffnen für andere Perspektiven werden diese in ihren Anforderungen anerkannt und können in der Lösungsfindung berücksichtigt werden. [3] Der Projektmanager muss ein wertschätzendes Miteinander im Projektteam sicherstellen und ein strukturiertes Zusammenführen der unterschiedlichen Expertisen erzeugen. • Beziehungs- und Konfliktmanagement (ICB 2.04 und 2.07) Digitalisierung unterstützt Teamarbeit vorwiegend auf der Sachebene und zwingt zu mehr Disziplin. Diese formalisierte Kommunikation lässt jedoch wenig Raum für informelle Kommunikation, die wichtig für das Beziehungsmanagement ist. Emotionen und Körpersprache sind schwerer wahrnehmbar, gleichzeitig ist es kaum abschätzbar, wie die eigenen Handlungen wahrgenommen werden. [13] Emotionen können im digitalen Raum nur reduziert gezeigt (Emojis) oder wahrgenommen werden, Empathie ist schwierig. Gleichzeitig schützt er davor, mit Auswirkungen der Emotion direkt umgehen zu müssen. Man traut sich mehr als bei persönlicher Interaktion, verschriftlichte, unmittelbare Emotionen haben aber durch die Vielzahl an digitalen Kommunikationskanälen teils eine große Reichweite. Das verunmöglicht deren rasche Relativierung, der breite Effekt kann nicht abgefangen werden und erschwert die Konfliktlösung. [3][13] Konflikte sind für den Projektmanager zum Teil schwer vorhersehbar, im digitalen Raum besteht eine geringere direkte Beobachtbarkeit individueller Verhaltensweisen. Deshalb ist es besonders wichtig, Teammitglieder dazu zu bringen, Betroffenheit direkt, aber konstruktiv anzusprechen. Das ermöglicht eine frühzeitige Deeskalation. Eigenverantwortung der Teammitglieder erhöht die Bereitschaft zur direkten Konfliktlösung. Der Projektmanager soll durch eine mediative Herangehensweise diese fördern und im Team das „Heraussteigen“ aus den eigenen Denkkonstrukten immer wieder einfordern. • Persönliche Kommunikation und Verlässlichkeit (ICB 2.02 und 2.03) Die Bandbreite an Kanälen (z. B. strukturierte BIM-Kollaboration, digitale Workflows, E-Mails, Messenger Dienste bis zu Social Media) ermöglicht eine höhere Dichte an Kommunikation, die jedoch oft als belastend empfunden wird. Umgekehrt zeigen Praxiserfahrungen auch Mehraufwand durch formalisierte BIM-Kommunikation. Ein angemessenes Verhältnis zwischen Nutzung digitaler Werkzeuge sowie persönlicher Begegnungen ist entscheidend. [3] Persönliche Auseinandersetzung in Meetings wie z. B. der kooperativen Phasenplanung aus dem Lean Management ermöglichen strukturierten Austausch, fördern kooperative Entscheidungsprozesse und das Commitment der Projektbeteiligten. Die Zusammenhänge zwischen Fachdisziplinen werden klarer und führen neben einem besseren Verständnis der anderen auch zu einer besseren Einschätzung des eigenen Beitrags zum Projektergebnis. Verlässlichkeit beim Einhalten des Vereinbarten erzeugt wiederum Vertrauen. [3][13] Der Projektmanager muss von Beginn an geeignete Kommunikationsstrukturen aufsetzen, im Team das Commitment dafür erzeugen und dieses während des gesamten Projektablaufs konsequent einfordern. Seine Verlässlichkeit ist die Basis für Vertrauen im Projektteam. 4. Anregungen für die Aus- und Weiterbildung Das klassische Bild eines Bauprojektmanagers entspricht einem Macher-Typ, der schnell Entscheidungen trifft und sich schlagkräftig durchsetzt. Arbeiten im digitalen Raum und neue Kollaborationsformen erweitern jedoch das Kompetenzprofil eines Bauprojektmanagers. Dies muss in Zukunft in der Aus- und Weiterbildung von Bauprojektmanagern stärker berücksichtigt werden. Es bedeutet steigende Wissensanforderungen und Methodenkompetenz für den Bauprojektmanager, welche in klassischen Grundlagenseminaren und digitalen Selbstlernformaten vermittelt werden können. BIM-Kollaborationsprozesse müssen zu eigenständigen Dimensionen der Ausbildung gemacht werden. Dies inkludiert die Vermittlung von Situationsbewusstsein über komplexe Entscheidungsprozesse in digitalen Kollaborationsstrukturen, die methodische Kompetenz zu digitalen Kommunikationswerkzeugen und die soziale Kompetenz zum Aufbau und zur Koordination von physischen und digitalen Kollaborationsbeziehungen. Ein Mix aus digitalen und physischen Lernumgebungen muss die angehenden Bauprojektmanager auf diese unterschiedlichen Räume der Zusammenarbeit vorbereiten. Entscheidend für eine erfolgreiche Umsetzung sind neben dem Erwerb dieser Kompetenzen vor allem aber das Mindset des einzelnen und die gemeinsam gelebten Werte des Umfeldes. Ohne eine entsprechende Kultur der Ko-Kreation im digitalen Projekt, im Unternehmen und in der Branche kann die neue Form der Kollaboration nicht entstehen. Wesentliche Aspekte in der Gestaltung der Kommunikation und im Umgang mit sozialen Aspekten der Interaktionen in digitalen Bauprojekten wurden in dem Artikel herausgegriffen, vor allem aber soll eine weiterführende Auseinandersetzung mit der Thematik angeregt werden. Literatur [1] Jäger, Andreas / Kubista, Mario / Taghavi, Meysam / Puskas, Stefan / Breitwieser, Karina / Fasching, Stephan / Kuhlemann, Clemens / Atila, Gülnaz: Innovationen im Ziegelmauerwerksbau. In: Schermer, Detleff / Brehm, Eric (Hrsg.): Mauerwerkskalender 2022. 47. Jahrgang, Ernst & Sohn, Berlin 2022, S. 521-568. Wissen | Soziale Kompetenzen im digitalen Bauprojektmanagement 36 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0029 [2] Gorod, Alex / Hallo, Leonie / Ngyuen, Tiep: A Systemic Approach to Complex Project Management. Integration of Command-and-Control and Network Governance. In: Systems Research and Behavioral Science, 35 / 6, 2018, S. 811-837. [3] Aussagen von Experten aus dem von der Stadt Wien im Oktober 2021 im Rahmen der Workshopreihe „Innovationslabor- - Digital Findet Stadt“ veranstalteten Workshop. Gedächtnisprotokoll. [4] Atkin, Brian / Skitmore, Martin: Editorial: stakeholder management in construction. In: Construction Management and Economics, 26 / 6, 2008, S. 549-552. [5] pma / IPMA: Individual Competence Baseline 4, österreichische Ausgabe, Wien 2019. https: / / www.pma. at / files / downloads / 98 / icb4-fuer-projektmanagement-oesterreichische-fassung-bildschirmoptimiert.pdf, Stand: 04. 08. 2022. [6] Wessels, Doris: Der X-Shaped-Projektmanager für vernetzte Organisationen, in: Weßels, Doris (Hrsg.): Zukunft der Wissens- und Projektarbeit. Neue Organisationsformen in vernetzten Welten. Symposion Verlag, Düsseldorf 2014, S. 65-96. [7] Zuo, Jian / Zhao, Xianbo / Minh Nguyen, Quan Bui / Ma, Tony / Gao, Shang: Soft skills of construction project management professionals and project success factors. A structural equation model. In: Engineering, Construction and Architectural Management, 25 / 3, 2018, S. 425-442. [8] Zhang, Feng / Zuo, Jian / Zillante, George: Identification and evaluation of the key social competencies for Chinese construction project managers. In: International Journal of Project Management, 31 / 5, 2013, S. 748-759. [9] Wanivenhaus, Helmut / Kovač, Jure / Žnidaršič, Anja / Vrečko, Igor: Vienna Construction Projects. Redirection of Project Management Critical Success Factors. More Focus on Stakeholders and Soft Skills Development. In: Lex Localis-- Journal of Local Self-Government, 16 / 2, 2018, S. 337-359. [10] Krammer, Peter / Pralle, Norbert: Bauen von morgen. Aus der Sicht eines Generalunternehmers. In: Bauingenieur-- Bautechnik, VDI Jahresausgabe 2019 / 2020, S. 132-141. [11] Goger, Gerald / Breitwieser, Karina: Digitalisierung in der Bauindustrie. Status Quo, Vision, Potenziale und Voraussetzungen. In: Bauingenieur- - Bautechnik, VDI Jahresausgabe 2019 / 2020, S. 115-123. [12] Adamu, Zulfikar A./ Emmitt, Stephen / Soetanto, Robby: Social Bim. Co-Creation with shared situational awareness. In: Electronic Journal of Information Technology in Construction, 20 / 2015, S. 230-252. [13] Feldmüller, Dorothee / Rieke, Tobias: Auswirkungen der Digitalisierung auf Projektmanagement-Kompetenzen und PM-Lehre. GPM Know-How, Nürnberg 2019. https: / / www.gpm-ipma.de / fileadmin / user_upload / Know- How / studien / Sonstige_Studien / 201 910_Studie_Auswirkung_der_Digitalisierung.pdf, Stand: 20. 02. 2022. [14] Tautschnig, Arnold / Fröch, Georg / Mösl, Martin / Gächter, Werner: Building Information Modeling. Übersicht über Technologie und Arbeitsmethodik mit Praxisbeispielen. In: Bergmeister, Konrad / Fingerloos, Frank / Wörner, Johann-Dietrich (Hrsg.): Beton-Kalender 2018. Bautenschutz, Brandschutz. Ernst & Sohn 2017. Eingangsabbildung: © iStock.com / damircudic Karina Breitwieser Karina Breitwieser hat langjährige Erfahrung im internationalen Projektgeschäft und Organisationsmanagement in der Baubranche. Zurzeit arbeitet sie als Unternehmensberaterin und an der TU Wien mit dem Schwerpunkt Digitalisierung & Kollaboration. karina.breitwieser@tuwien.ac.at Dietmar Paier Dr. Dietmar Paier ist Hochschuldidaktiker und Lektor an der Fachhochschule des BFI Wien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Digitalisierung der Hochschullehre, Lernstilforschung, Learning Analytics und Kompetenzforschung. https: / / www.fh-vie.ac.at / de / seite / forschung / forscherinnen / dietmar-paier dietmar.paier@fh-vie.ac.at Christian Steinreiber Christian Steinreiber ist Fachbereichsleiter für Projektmanagement an der Fachhochschule des BFI Wien, davor Projektmanager in der Energiebranche. Seine Forschungsschwerpunkte sind Projektmanagement-Didaktik sowie Digitalisierung in Projekten. https: / / www.fh-vie.ac.at / de / seite / forschung / forscherinnen / christian-steinreiber christian.steinreiber@fh-vie.ac.at 37 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0030 Ein neues Modell zur Beurteilung von Gruppen und Teams Auf die Plätze, fertig, los! Matthias Eberspächer Für eilige Leser | Diagnose-Modelle für die Zusammenarbeit in Projekten fokussieren häufig einseitig auf den Arbeitsmodus Teamarbeit. Die Etablierung guter Gruppen wird nicht beschrieben, häufig werden die Begriffe „Gruppe“ und „Team“ synonym verwendet. Gruppenarbeit lohnt sich immer dann, wenn in einem stabilen Umfeld voneinander unabhängige Arbeitspakete möglichst effizient abgearbeitet werden. Der Artikel schlägt ein neues Modell vor, das beide Zusammenarbeitsformen gleichberechtigt berücksichtigt und sowohl den Aufbau guter Teams als auch guter Gruppen unterstützt. Schlagwörter | Projektgruppen, Projektteams, Zusammenarbeitsmodelle, Teambildung, Teamentwicklung, Projektmanagement-Beratung Sie haben einen Ferienjob als Erntehelfer angenommen. Als Sie am ersten Tag auf den Bauernhof kommen, versammelt der Bauer alle Erntehelfer um sich und schlägt vor, dass sich alle erst einmal besser kennenlernen. Der Vormittag werde mit einem gemeinsamen Team-Building verbracht. Fühlt sich das komisch an? Sie sind als Scrummaster in einem Software-Entwicklungsprojekt eingesetzt und ihr Scrumteam schlägt im Rahmen der Sprint-Retrospektive vor, die Effizienz zu steigern, indem Sie als Scrummaster alleine die Sprintplanung übernehmen und den Teammitgliedern täglich individuell ihre Arbeit zuweisen und ihren Arbeitsfortschritt überwachen. Was stimmt hier nicht? Gruppen- oder Teamarbeit? Warum hören sich beide Beispiele so merkwürdig an? Im ersten Beispiel soll für eine Gruppenarbeit ein Team gebildet werden, im zweiten Beispiel möchte ein Team unter der Anweisung einer Gruppenleitung arbeiten [1]. Beides scheint für die jeweilige Aufgabenstellung unpassend: Ein Team von Erntehelfern wird nicht schneller Trauben pflücken als eine Gruppe; und eine Gruppe von Scrum-Entwicklern schränkt seinen gemeinsamen Lösungsraum und seine Flexibilität, schnell auf Veränderungen zu reagieren, unnötig ein. Gruppenartige Tätigkeiten Gruppenartige Tätigkeiten lassen sich in koordinierter Einzelarbeit erledigen. Beispiele dafür sind die Beantwortung von Anrufen in einem Callcenter, die einzelnen Arbeitsschritte an einem Fließband oder die Portierung einer Software auf eine neue Plattform. Typisch für gruppenartige Tätigkeiten ist es, dass sie unabhängig voneinander bearbeitet und erledigt werden können und nur wenige Änderungen zu erwarten sind. Zudem lassen sie sich gut durch eine externe Gruppenleitung koordinieren. Teamartige Tätigkeiten Teamartige Tätigkeiten können nur in enger Abstimmung erledigt werden. Beispiele sind die Entwicklung eines neuen Produkts, die Neuentwicklung und Integration einer IT-Anwendung in eine bestehende Systemlandschaft oder die Veränderung der Ablauf-Organisation in einer Firma. Typisch für teamartige Tätigkeiten ist eine hohe Abhängigkeit der einzelnen Arbeitsschritte untereinander sowie eine erwartbar hohe Änderung der Anforderungen während der Abarbeitung. Teamartige Tätigkeiten werden deshalb am besten in intensivem Austausch der Mitarbeitenden untereinander erledigt. Die Mitglieder eines Teams verfolgen in kooperativer, selbststeuernder Zusammenarbeit ein gemeinsames Ziel. Wissen | Auf die Plätze, fertig, los! 38 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0030 Diagnose von Gruppen und Teams Wie kann ich herausfinden, ob meine Gruppe oder mein Team in einem angemessenen Arbeitsmodus arbeitet? In der Literatur und in zahlreichen Publikationen im Internet findet sich eine einseitige Konzentration auf Eigenschaften guter Teams [2]. Die entsprechenden Publikationen bestehen meist aus unstrukturierten Listen von Merkmalen guter Teams. Teilweise hängen einzelne Eigenschaften in diesen Listen eng miteinander zusammen (z. B. „Innovatives und kreatives Verhalten“ mit „Fähigkeit zum Perspektivwechsel“ oder „Engagement und Einsatz“ mit „Hohe(r) Einsatzbereitschaft und Begeisterung“ [3]), teilweise finden sich Widersprüche oder sogar Eigenschaften, die nicht wirklich auf ein erfolgreiches Team hinweisen müssen (z. B. „harmonische Atmosphäre“ und „weniger Streitigkeiten“ [4]). Andere Modelle betrachten nur die im Team eingesetzten Menschen und ihre Teamrollen [5, 6] oder bewerten den Teamerfolg nur mit Blick auf den Output [7], wobei der Zusammenarbeitsmodus unberücksichtigt bleibt. Eigenschaften guter Gruppen oder Empfehlungen für die Etablierung guter Gruppenarbeit finden sich nicht. Eine Internet-Recherche mit dem Suchbegriff „Eigenschaften guter Gruppen“ liefert ausschließlich Seiten, auf denen der Begriff „Gruppe“ als Synonym für „Team“ verwendet wird. Keine der Listen und Modelle erlaubt eine integrierte Bewertung von Gruppen und Teams. Im Folgenden verwende ich den Begriff „Arbeitsgemeinschaft“ als Oberbegriff für Gruppen und Teams. Vorschlag eines neuen Bewertungsmodells In diesem Artikel schlage ich ein neues Modell vor, das anhand von neun Bewertungskriterien eine Beurteilung von Projektarbeitsgemeinschaften ermöglicht und eine Einschätzung gibt, ob die Arbeitsgemeinschaft eher für die Erfüllung gruppenartiger oder teamartiger Tätigkeiten geeignet ist. Drei Bewertungsbereiche Abbildung 1 gibt einen Überblick über die drei Bewertungsbereiche des Modells. Das Modell berücksichtigt Bereiche, auf die die Arbeitsgemeinschaft oder die Projektleitung direkt Einfluss nehmen kann. Die drei Bereiche tragen die Titel „Aufstellung“, „Ausrichtung“ und (Zusammen-) „Arbeit“, jeweils mit Bezug auf die Arbeitsgemeinschaft. Input und Output (vgl. IPO-Modell in [7]) werden nicht berücksichtigt: In den meisten Fällen hat das Projekt keinen oder nur geringen Einfluss auf Form, Inhalt und Qualität des Inputs, ein akzeptabler Output ist das Ergebnis eines angemessenen Zusammenarbeitsmodells und sollte deshalb nicht unabhängig bewertet werden. Die Prozesse sind in den Bereichen „Ausrichtung“ und „Arbeit“ berücksichtigt. Kompetenzen und Persönlichkeiten der Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft [5, 6] sind dem Bewertungsbereich „Aufstellung“ zugeordnet. Die drei Bereiche scheinen einen zeitlichen Ablauf abzubilden: Erst wird die Arbeitsgemeinschaft aufgestellt und ausgerichtet, danach beginnt die Arbeit. Ähnlich wie bei der Teamuhr nach Tuckman [8] sind diese Phasen aber weder überschneidungsfrei noch sequenziell. Auch im laufenden Projekt kann sich die Aufstellung (z. B. durch Fluktuation oder Umorganisation) oder die Ausrichtung (z. B. durch Change Requests) noch ändern. Die Bereiche dienen einzig der Strukturierung des Modells. Neun Bewertungskriterien Jeder Bewertungsbereich enthält drei Bewertungskriterien. Jedem Bewertungskriterium sind zwei Ausprägungen zugeordnet: Eine, die gut für Gruppenarbeit ist und eine, die gut für Teamarbeit ist. Abbildung 2 gibt einen Überblick über alle neun Kriterien und ihre Zuordnung zu den Bewertungsbereichen. Die beiden Ausprägungen pro Kriterium sind jeweils als Extremwerte eines Kontinuums zu verstehen: Keine Gruppe und kein Team ist vollständig homogen oder heterogen (s. Kriterium „Diversität“ unter „Aufstellung“) und auch ein sachlich und aufgabenorientierter Umgang miteinander kann Abbildung 1: Überblick zu den drei Bewertungsbereichen des Modells Wissen | Auf die Plätze, fertig, los! 39 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0030 inkludierend und wertschätzend erfolgen („Arbeit / Umgang miteinander“). Die Ausprägungen sind markant gewählt, um die Entscheidung für einen der beiden Werte zu erleichtern. Im Folgenden stelle ich die einzelnen Kriterien nach den Bewertungsbereichen anhand der Extremwerte vor. Denken Sie an das Beispiel der Erntehelfer für Gruppen und „Scrum- Team“ für Teams. Aufstellung: Auf die Plätze-… Im Bewertungsbereich „Aufstellung“ finden sich die drei Kriterien „Organisation“, „Kompetenzen der Mitarbeitenden“ und „Diversität“ (s. Abbildung 3). Organisation Mit „Organisation“ ist die Aufbauorganisation des Projekts gemeint. Die Ablauforganisation ist in den Bereichen „Ausrichtung“ und „Arbeit“ berücksichtigt. Eine Gruppe benötigt Rollensicherheit, d. h. jedes Teammitglied kennt seinen festen Platz und Verantwortungsbereich in der Projektorganisation. Diese Sicherheit wird am besten durch eine hierarchische Aufbauorganisation gewährleistet. Demgegenüber arbeitet ein Team am besten auf Augenhöhe zusammen. Die entsprechende Organisationsform ist heterarchisch, d. h. alle Teammitglieder sind gleichberechtigt auf einer Stufe. Da die Teammitglieder im ständigen bilateralen Austausch untereinander stehen (s. „Ausrichtung“ und „Arbeit“), ist eine Teamgröße von mehr als zehn Mitgliedern nicht mehr sinnvoll, da der Abstimmungsaufwand quadratisch mit der Teamgröße wächst. Über die hierarchische Aufbauorganisation und eine geeignete Ablauforganisation (s. unter „Ausrichtung“) können Arbeitsgruppen auch mit mehr als zehn Mitgliedern noch gut arbeiten. Kompetenzen der Mitarbeitenden Kompetenzen meint sowohl fachliche Fähigkeiten als auch die Persönlichkeitsmerkmale der Mitarbeitenden. Für gute Gruppen sind die fachlichen Fähigkeiten das Hauptauswahl- Gut für Gruppen Gut für Teams Organisation hierarchisch heterarchisch Kompetenzen Komplementäre Fähigkeiten Komplementäre Persönlichkeiten Diversität homogen heterogen Ziele festgelegt & bekannt abgestimmt & akzeptiert Rollen festgelegt & bekannt, passend zu den fachlichen Kompetenzen abgestimmt & akzeptiert, passend zu den Persönlichkeiten Zusammenarbeitsmodell festgelegt & bekannt abgestimmt & akzeptiert Umgang miteinander sachlich und aufgabenorientiert respektvoll, offen, ehrlich, inkludierend, wertschätzend Umgang mit Konflikten Offene Konflikte vermeiden, bei Bedarf: Funktionierendes Eskalationsverfahren Konflikte werden offen angesprochen und gemeinsam im Konsens gelöst Umgang mit Problemen und Planabweichungen Mitarbeiter meldet Probleme und Planabweichungen Gemeinsam im Team besprechen und Maßnahmen abstimmen Abbildung 2: Bewertungskriterien des Modells und ihre Zuordnung zu den Bewertungsbereichen aus Abbildung 1 Abbildung 3: Die drei Bewertungskriterien des Bewertungsbereichs „Aufstellung“ Wissen | Auf die Plätze, fertig, los! 40 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0030 kriterium. Dagegen benötigen gute Teams komplementäre Persönlichkeiten, um die für eine gute Teamarbeit notwendigen informellen Teamrollen abdecken zu können [5]. Eine Arbeitsgruppe bestehend aus Architekten, Maurern, Installateuren, usw. kann ein Haus bauen oder renovieren, aber kein Brot backen, Schränke bauen oder Autos reparieren. Einem Team bestehend aus Bäckern, Schreinern und Kfz- Mechatronikern ist dagegen zuzutrauen, dass sie gemeinsam Wege finden ein Haus zu bauen oder zu renovieren (s. auch „Ausrichtung“). Diversität „Diversität“ meint das Ausmaß der Unterscheidung demografischer Unterschiede, wie Alter, Geschlecht, kulturelle Herkunft oder auch Organisationszugehörigkeit [1]. Für eine Gruppe ist eine geringe Diversität vorteilhaft. Homogene Gruppen zeichnen sich unter anderem durch eine effektivere Kommunikation, wenige interne Konflikte, eine niedrigere Krankheitsrate und eine höhere Leistung in der Umsetzung konkreter Aufgaben aus. Heterogene Teams beherrschen einen größeren Lösungsraum, liefern auf breiterer Basis abgestimmte Ergebnisse und zeigen eine höhere Leistung bei der Entwicklung neuer Ideen. Ausrichtung: -… fertig-… Im Bewertungsbereich „Ausrichtung“ finden sich die drei Kriterien „Ziele“, „Rollen“ und „Zusammenarbeitsmodell“ (s. Abbildung 4). Ziele Teams müssen ihre Ziele gemeinsam abgestimmt, mindestens aber akzeptiert haben. Ohne das Commitment des ganzen Teams ist eine Zielerreichung unwahrscheinlich [9]. Die Mitarbeitenden einer Gruppe sollten die Ziele kennen, auch eventuelle Zieländerungen sollten durch die Gruppenleitung kommuniziert werden. Ein Commitment der Gruppe, oder auch nur einzelner Mitarbeitenden ist nicht erforderlich. Die Zielerreichung ergibt sich aus der Einhaltung des Projektplans. Die Kenntnis der Ziele dient dazu, die eigene Arbeit an den Projektzielen ausrichten zu können und zu erkennen und zu melden, wenn Tätigkeiten nicht zur Zielerreichung beitragen. Rollen In einem guten Team müssen die Rollen gemeinsam abgestimmt und von allen akzeptiert werden. Die individuelle Rollenabstimmung in einem Team ist wegen der heterarchischen Aufbau-Organisation unverzichtbar. Durch die gemeinsame Abstimmung ist außerdem gewährleistet, dass die vereinbarten Rollen zu den Persönlichkeitsmerkmalen passen. In einer Gruppe werden die Rollen auf Basis der fachlichen Fähigkeiten der Mitarbeitenden durch die Gruppenleitung zugewiesen und bekannt gemacht. Dokumentierte Rollenbeschreibungen (z. B. AKV oder RACI-Matrix) sorgen für Transparenz und möglichst überschneidungsfreie Verantwortungsbereiche. Zusammenarbeitsmodell Gute Teams müssen ihr Zusammenarbeitsmodell gemeinsam abstimmen und akzeptieren. Nur so ist gewährleistet, dass das Zusammenarbeitsmodell die Persönlichkeitsmerkmale der Mitarbeitenden und die vereinbarten Rollen berücksichtigt und sich an den gemeinsam getragenen Zielen ausrichtet.In Gruppen ist die Gruppenleitung für das Zusammenarbeitsmodell verantwortlich. Sie legt die Ablauf-Organisation, eventuell auf Basis eines Vorgehensmodells fest und macht sie im Team bekannt. In einer guten Gruppe hält sich der einzelne Mitarbeiter exakt an seine Rolle, die Vorgaben aus dem Projekthandbuch und seine aktuellen Arbeitsanweisungen. Zum Zusammenarbeitsmodell gehört auch die Frage, wie mit eventuell fehlenden fachlichen Fähigkeiten umgegangen wird. In einer Gruppe können Kompetenzlücken entweder durch die dauerhafte Hinzunahme kompetenter Ressourcen, die temporäre Einbeziehung externer Experten, oder durch individuelle Schulungen betroffener Mitarbeitenden geschlossen werden. Die Mitarbeitenden in einem Team lernen voneinander und miteinander, sie wachsen als Team mit den bewältigten Aufgaben. Arbeit: -… los! Im letzten Bewertungsbereich „Arbeit“ finden sich die drei Kriterien „Umgang miteinander“, „Umgang mit Konflikten“ und „Umgang mit Problemen und Planabweichungen“ (s. Abbildung 5). Abbildung 4: Die drei Bewertungskriterien des Bewertungsbereichs „Ausrichtung“ Wissen | Auf die Plätze, fertig, los! 41 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0030 Umgang miteinander Der Umgang in einer Gruppe ist sachlich und aufgabenorientiert. Kommunikation hat zum Ziel, die für den konkreten Arbeitsauftrag notwendigen Abstimmungen zu treffen. Wegen der überschneidungsfreien und voneinander unabhängigen gruppenartigen Tätigkeiten sind kaum bilaterale Abstimmungen unter den Mitarbeitenden notwendig. Wann immer möglich, sollten offene Fragen nicht bilateral, sondern über die Gruppenleitung geklärt werden. Die Kommunikation in einem Team ist respektvoll, offen, ehrlich, inkludierend und wertschätzend. Jede Form der Kommunikation hat immer einen beziehungsorientierten und nur manchmal auch einen aufgabenorientierten Anteil. Beziehungsklärung geht vor Sachklärung. Dieser aufwändige Kommunikationsstil ist notwendig, um den vertrauensvollen Umgang im Team zu etablieren und zu erhalten. Geht nicht beides? Wie eingangs bemerkt kann auch eine sachliche Klärung mit einer Frage nach dem persönlichen Befinden oder dem Verlauf des Wochenendes beginnen. Beziehungsarbeit verursacht aber auch Kosten und bringt einer Gruppe keinerlei Vorteil. Der französische Philosoph Michel Serres ätzte über „sich an Organisationen anlagernde Parasiten persönlicher Kommunikation“ [10]. Ich möchte mir diesen Sprachgebrauch nicht zu eigen machen, die überspitzte Formulierung macht aber die Verschwendung durch nicht zielführende, rein beziehungsorientierte Kommunikation in Gruppen deutlich: Solange ich mich während meiner Arbeitszeit im Callcenter mit einer Kollegin über einen Wochenendausflug unterhalte, kann ich keine Anrufe beantworten. Umgang mit Konflikten Beziehungskonflikte kommen in einer gut organisierten Gruppe nicht vor. Für die Gruppenarbeit sind nur sachbezogene Konflikte relevant. In einer Gruppe sind offene Konflikte zu vermeiden, da sie den Leistungsfortschritt behindern. Sollte es doch einmal zu Konflikten kommen, werden diese über ein bekanntes (s. „Zusammenarbeitsmodell“) und funktionierendes Eskalationsverfahren gelöst. Notfalls können zur Beilegung eines Konflikts Mitarbeitende ausgetauscht werden. In guten Teams wird jedes Anzeichen eines Konflikts offen angesprochen und gemeinsam, bevorzugt im Konsens, gelöst. Ungelöste Konflikte belasten das soziale Beziehungsgeflecht des Teams und gefährden die Zielerreichung. Umgang mit Problemen und Planabweichungen In Gruppen gilt der Grundsatz „Melden macht frei! “. Hat ein Mitarbeiter ein Problem erkannt und an die Gruppenleitung gemeldet, ist er entlastet. Die Lösung des Problems oder der Umgang mit Planabweichungen liegt in der Verantwortung der Gruppenleitung. in einem Team sind alle und jeder für die Lösung von Problemen und Planabweichungen verantwortlich, da diese die gemeinsamen Team-Ziele gefährden. Nur gemeinsam können notwendige Maßnahmen beschlossen und umgesetzt werden. Folgerungen des Modells Aus den Ausprägungen der neun Bewertungskriterien ergibt sich das folgende Bild für Arbeitsgemeinschaften. Gute Gruppen sind effizient Gruppen sind dann besonders erfolgreich, wenn sie wie eine gut geölte Maschine laufen. Die einzelnen Zahnräder greifen perfekt ineinander, der Ablauf ist festgelegt und wird nicht gestört. Die Gruppe funktioniert gut, wenn jedes einzelne Mitglied genau seine Rolle wahrnimmt und seine Aufgaben planmäßig erledigt. Eine Gruppe kann perfekt genau die eine Aufgabenstellung erledigen, für die sie zusammengestellt wurde. Gute Teams sind effektiv Dagegen sind gute Teams effektiv. Sie spielen ihre Stärken dann aus, wenn entweder die Lösung eines Problems oder der Weg zur Lösung unklar ist oder mit zahlreichen Änderungen und unterschiedlichen Herausforderungen zu rechnen ist. Gute Teams sind wie ein Schweizer Taschenmesser: Sie können alle möglichen Aufgabenstellungen erledigen, passen sich flexibel an sich ändernde Rahmenbedingungen an und sind in der Lage Kompetenzlücken selbstständig zu schließen. Die neun Gefährten und Raumschiff Enterprise Wie kann dieses Modell angewendet werden und wie kann es helfen, die Zusammenarbeit im Projekt zu verbessern? Dazu wende ich das Modell auf zwei fiktive Arbeitsgemeinschaften an, die Sie als Leser möglicherweise kennen: Die neun Gefährten aus dem ersten Band von J. R. R. Tolkiens Trilogie „Herr der Ringe“ und die vier Führungsfiguren Kirk, Spock, Abbildung 5: Die drei Bewertungskriterien des Bewertungsbereichs „Arbeit“ Wissen | Auf die Plätze, fertig, los! 42 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0030 Pille und Scotty vom Raumschiff Enterprise. Abbildung 6 zeigt meine Einschätzung beider Arbeitsgemeinschaften anhand des Modells. Einige der abgebildeten Einschätzungen sind recht objektiv: Beispielsweise die Diversität, denn beide Teams sind mit Zwergen, Elben und Vulkaniern sehr heterogen besetzt (das hebt die fehlende Geschlechter-Diversität auf). Andere aber sind- - wie bei den meisten echten Arbeitsgemeinschaften auch-- weniger klar zuzuordnen. Das liegt zum einen an dem oben angesprochenen Bewertungs-Kontinuum. In der Regel sind die bewerteten Arbeitsgemeinschaften nicht eindeutig einem der beiden Extreme zuzuordnen. Zum anderen ist auch die Bewertung selbst nicht vollständig objektiv möglich. Wann immer andere Menschen andere Menschen beurteilen, werden etwas andere Ergebnisse herauskommen. Heterarchische Enterprise? Beispielsweise habe ich die Organisation der neun Gefährten als hierarchisch eingeschätzt, die des Raumschiffs Enterprise aber als heterarchisch. Dabei haben die neun Gefährten kein Organigramm abgestimmt und es wurden auch keine formalen Berichts- und Organisationswege festgelegt. Und die Besatzung der Enterprise trägt Uniform und spricht sich mit Dienstgraden an-- beides Zeichen für eine hierarchische Organisation. In meiner Einschätzung war es mir wichtiger, wie die Organisation gelebt wird: Und da gibt es bei den Gefährten eine klare Rangfolge. Frodo agiert als Lenkungsausschuss, der wichtige Entscheidungen trifft (z. B. den Weg durch die Minen von Moria zu nehmen). Gandalf ist der Projektleiter, der die Entscheidungen im Team umsetzt. Alle anderen machen das, was Gandalf ihnen sagt. Dagegen diskutieren Kirk, Spock, Pille und Scotty fast alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam, wobei jeder von ihnen sowohl seine Fähigkeiten als auch seine Persönlichkeit einbringt. Auch wenn am Ende allein Kirk entscheidet, so ist diese Entscheidung doch meistens im Konsens getroffen worden. Zielkonflikte in Mittelerde Beispielhaft erläutere ich noch meine Einschätzung zum „Umgang mit Konflikten“. Die Gefährten scheitern an einem nie geklärten Zielkonflikt: Boromir wollte den Ring nicht zerstören. Stattdessen wollte er ihn benutzen, um Sauron zu bekämpfen. Dieser Konflikt wurde nie gelöst und führte am Ende (des ersten Buchs) dazu, dass die Gemeinschaft der Gefährten zerbrach. Dagegen werden Konflikte auf der Enterprise in der Regel sehr zeitnah bilateral oder im Team angesprochen, lebhaft diskutiert und gelöst. Eventuell kommen Sie zu anderen Einschätzungen für die beiden Teams als ich. Das ist nicht falsch, es bedeutet nur, dass Sie gewisse Sachverhalte anders deuten und das Ihnen andere Aspekte der Zusammenarbeit wichtiger sind als mir. Auch die beiden Extremwerte sind nicht richtig oder falsch, sondern für den einen Arbeitsmodus hilfreich und für den anderen Arbeitsmodus nicht hilfreich. Was könnten Gandalf und Captain Kirk mit dieser Einschätzung anfangen? Im Ergebnis haben die neun Gefährten überwiegend Eigenschaften, die gut für eine Gruppe sind, das Team des Raumschiffs Enterprise hat dagegen die Eigenschaften eines guten Teams. Schlussfolgerungen für Gandalf Der Auftrag der Gefährten lautete, den Ring zum Schicksalsberg nach Mordor zu bringen und ihn dort zu zerstören. An diesem Auftrag war fast alles unklar: Wie sollten sie nach Mordor kommen, wie durch Mordor zum Schicksalsberg gelangen und wie dort dann den Ring zerstören? Für diese Art von Aufgabe ist ein Team besser geeignet als eine Gruppe. Das Modell zeigt aber, dass die Gefährten eher die Eigenschaften einer Gruppe haben. Was nun? Gandalf hätte versuchen können, die gruppenartigen Eigenschaften in Richtung Team zu entwickeln, beginnend mit dem nicht akzeptierten gemeinsamen Ziel. Eine offene Abbildung 6: Die Bewertung der beiden Arbeitsgemeinschaften „Die Gefährten“ aus Herr der Ringe (G) und des Führungsquartetts aus „Raumschiff Enterprise“ (E) Wissen | Auf die Plätze, fertig, los! 43 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0030 Abstimmung darüber hätte sich auch positiv auf das Zusammenarbeitsmodell, den Umgang miteinander und den Umgang mit Konflikten ausgewirkt. Hätte sich kein Konsens gefunden, hätte es noch die Möglichkeit gegeben, dem späteren Auseinanderfallen der Gefährten vorzubeugen, indem Boromir aus dem Team entfernt wird. Schlussfolgerungen für Kirk Der Auftrag der Enterprise lautete, „… fremde neue Welten zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen zu suchen, mutig dorthin zu gehen, wo noch kein Mensch zuvor gewesen ist.“. Auch für diese Art von Aufgabe ist ein Team besser geeignet, als eine Gruppe und nach meiner Einschätzung hat die Enterprise fast alles, was ein gutes Team braucht. Einzig die Besetzung der Rollen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit gruppenartig erfolgt: Die Rollen werden wohl im Bordhandbuch festgelegt und beschrieben sein, zufällig passen sie aber auch sehr gut zur Persönlichkeit der die Rollen ausübenden Personen (z. B. Wissenschaftsoffizier Spock). Die Beziehungsarbeit, die zur Ausbildung der teamartigen Eigenschaften geführt hat, hat nicht die Leistungserbringung behindert. Das mag daran liegen, dass sich die gesamte Mannschaft nicht nur arbeitstägliche acht Stunden sieht, sondern rund um die Uhr und auch privat miteinander verkehrt. Dadurch findet ein großer Teil der Beziehungsarbeit außerhalb der Arbeitszeit statt. Es gibt für Captain Kirk also keinen Grund, irgendetwas zu ändern. Mögliche Anwendungen in der Praxis Wie könnte das Modell in der Praxis angewendet werden? Eine Möglichkeit besteht darin, die neun Kriterien bereits bei der Initialisierung eines Projekts als Checkliste zu verwenden, um die Arbeitsgemeinschaft von Anfang an als Gruppe oder als Team aufzustellen. Außerdem kann das Modell auch zur Diagnose eines bereits bestehenden Projekts angewendet werden. Dabei gilt es abzuwägen, ob die Projektleitung die Einschätzung im Rahmen eines Self-Assessment selbst vornimmt, eine anonyme Umfrage in der Arbeitsgemeinschaft durchführt, die Einschätzungen gemeinsam in der Arbeitsgemeinschaft abgestimmt werden oder ein externer Beobachter mit der Einschätzung beauftragt wird. Teamentwicklung Ergeben die Einschätzungen eine zu gruppenartige Ausprägung, so sind teamentwickelnde Maßnahmen erforderlich. Dazu sollten Workshops zur Abstimmung der Ziele, der Projektrollen und des Zusammenarbeitsmodells helfen. Teamarbeit muss per Definition in kooperativer Zusammenarbeit erfolgen und kann nicht „angeordnet“ werden. Je nach identifizierter Abweichung (z. B. Umgang mit Konflikten) können auch punktuelle Maßnahmen helfen (z. B. vermutete Konflikte werden durch einen Moderator oder die Projektleitung angesprochen). Gruppenentwicklung Maßnahmen zur Teambildung sind aufwändig und behindern die Leistungserbringung. Dieser Aufwand muss sich in einem Projekt rechnen, sonst sollte kein Team gebildet werden. Grundsätzlich arbeiten Menschen gerne kooperativ und partnerschaftlich zusammen [11]. Aus diesem Grunde streben alle Arbeitsgemeinschaften auch ohne gesonderte Maßnahmen einen Teamarbeitsmodus an: Die von Tuckman beobachteten Phasen-- Forming, Storming, Norming und Performing- - wurden ohne äußere Einwirkung oder besondere Teamentwicklungs-Maßnahmen durchlaufen [8]. Lassen sich in einer Arbeitsgruppe unproduktive „parasitäre Tendenzen“ feststellen, die auf eine unerwünschte Teambildung hindeuten, kann dieser Entwicklung durch Maßnahmen zur Gruppenbildung entgegengewirkt werden. Dazu gehört z. B. die Etablierung hierarchischer Strukturen, die Einführung formaler Prozessabläufe sowie ggf. die Unterbindung bilateraler Abstimmungen zugunsten eines hierarchischen Berichts- und Meldewesens. Ausblick In der Praxis gibt es selten sortenreine Projekte, in denen ausschließlich gruppen- oder teamartige Tätigkeiten durchgeführt werden. Auch Projektgruppen stehen immer wieder vor Herausforderungen, die sich nur im Team lösen lassen und auch in Teams gibt es Aufgaben, die effizienter in Gruppenarbeit zu erledigen sind. Die Projektleitung muss deshalb in der Lage sein, ihr Führungsverhalten situativ anzupassen und entweder die Abstimmung im Team zu fördern oder durch klare Ansagen nicht zielführende Blindleistung zu verhindern. Das aktive Unterbinden der natürlichen Teambildung ist nicht ohne Risiken und fördert nicht die langfristige Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Für einen zeitlich begrenzten Einsatz kann es aber notwendig sein, um das Projekt schnell, effizient und erfolgreich abzuschließen. In den allermeisten Projekten überwiegt heute der Bedarf für echte Teamarbeit und dieser Bedarf wird in zukünftigen Projekten vermutlich weiter zunehmen. Umso wichtiger wird die Beherrschung des Ausnahmezustands Gruppenarbeit sein. Das in diesem Artikel vorgestellte Modell möchte bei der Diagnose und der Ableitung geeigneter Maßnahmen unterstützen. Literatur [1] Für eine ausführliche Gegenüberstellung der beiden Zusammenarbeitsmodelle, s. Matthias Eberspächer, „Sind Projektgruppen resilienter als Projektteams? “; in: PRO- JEKTMANAGEMENT AKTUELL 2 / 2022 [2] Ein beispielhafter Überblick findet sich in Matthias Eberspächer, „Was macht ein gutes Projektteam aus? “, Projektmagazin 2012 (22), https: / / www.projektmagazin.de / artikel / was-macht-ein-gutes-projektteamaus_1 075 941, Abruf: Januar 2023 [3] Kerzner, Harold in Project Management-- A Systems Approach to Planning, Scheduling, and Controlling, John Wiley & Sons, Inc., Hoboken 2009 [4] https: / / www.gruender.de / hr-office / team-spirit/ , Abruf: Januar 2023 [5] Meredith Belbin, „Team Roles at Work”, Taylor & Francis 2010 [6] https: / / www.teammanagementsystems.com/ , Abruf: Januar 2023 [7] ein Überblick über Teamdiagnose-Modelle findet sich in „Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM3), Handbuch für die Projektarbeit, Qualifizierung und Zertifizierung“, hrsg. Von Michael Gessler, Band 3 [8] Bruce W. Tuckman (1965), „Developmental Sequence in Small Groups”, Psychological Bulletin, Vol. 63 (6) 384-399 [9] Schwaber, Ken und Sutherland, Jeff: https: / / www.scrumguides.org/ ; November 2020, Abruf: Januar 2023 [10] Michel Serres, „Der Parasit“, Suhrkamp 1981 [11] Thomas R. Insel, (2003), "Is social attachment an addictive disorder? "; Physiology & Behavior, 79, 351-357; Michael Tomasello, "Warum wir kooperieren", Suhrkamp 2010 Eingangsabbildung: © msg Abbildungen: msg systems ag Matthias Eberspächer Dr. Matthias Eberspächer arbeitet als Qualitäts- und Projektmanager bei msg in München. Sein besonderes Interesse gilt der Optimierung von Projektvorgehensmodellen, dem Aufbau und der Steuerung effizienter Projektteams sowie Methoden zur Erhöhung der Wirksamkeit von Projektmanagementberatung. eMail: matthias.eberspaecher@msg.group, ORCID: 0000- 0001-7600 - 1921 Anzeige Dieter Brendt, Olaf Mackowiak Führung in der Technik 1., Auflage 2021, 177 Seiten €[D] 34,90 ISBN 978-3-8169-3467-7 eISBN 978-3-8169-8467-2 Mitarbeitende zielgerichtet und effektiv führen zu können, ist ein Schlüssel für nachhaltigen Unternehmenserfolg. In diesem Buch werden den Leser: innen durch die direkte Ansprache und die Praxisbeispiele von Kolleg: innen in vergleichbaren Situationen Denkanstöße und Tipps geboten, um ihren Führungsstil zu analysieren und darauf aufbauend zu optimieren. Es werden bewährte Maßnahmen und Techniken zur effizienten Gestaltung und Beherrschung der vielfältigen Anforderungen im sich schnell verändernden technischen wie gesellschaftlichen Umfeld vorgeschlagen, die praxisgerecht im Führungsalltag eingesetzt werden können. 45 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0031 Die Zukunft des Projektmanagements: Projekt-Leadership zwischen Rule Makers und Rule Breakers Christoph Richter Für eilige Leser | Die Vielzahl unterschiedlicher Projektmanagementformate lässt den Wunsch nach einem „Best of PM“ aufkommen. Eine derartige „Bestenliste“ ist herausfordernd. Zum einen muss eine Rangfolge verschiedener Aspekte des Projektmanagements vorgenommen werden. Da die wesentlichen Unterschiede zwischen klassischen und agilen Projektmanagementformaten allerdings gegensätzlich sind, würde eine Rangfolge gleichwertiger Merkmalsausprägungen erfolgen. Die Notwendigkeit zur Nutzung des jeweils aussortierten Ansatzes kann sich jedoch in einer Projektsituation ergeben, ohne dies vorab prognostizieren zu können. Ein weiteres Problem eines „Best of PM“ ist darin zu sehen, dass die Tiefgründigkeit der Unterschiede nicht gesehen wird, sondern suggeriert wird, dass unabhängig von der zugrundeliegenden Unternehmenskultur, die auf die Projektkultur Einfluss hat, Veränderungen in der Unternehmenskultur und im Mindset der Mitarbeiter machbar sind. Daneben entsteht das Risiko einer zu detaillierten „Best of PM“-Liste, die sich nicht auf unterschiedliche Projektsituationen anwenden lässt. Auf der anderen Seite ist eine zu grobe „Best of PM“-Liste insofern problematisch, da die generischen Inhalte keine Praxisrelevanz entfalten. Ausgehend von dem Modell der zwei Kulturen von M. Gelfand (tight culture vs. loose culture) wird eine Analogie zu klassischem und agilem Projektmanagement gebildet. Daraus wird der Vorschlag der Ambidextrie als Alternative zu einer „Best of PM“-Liste entwickelt. Der Grad von looseness und tightness ist in Abhängigkeit der jeweiligen Projektsituation zu variieren, wobei auf den Diamond Approach als Grundlage für die Klassifizierung von Projektsituationen zurückgegriffen wird. Forschungsprojekte können als Beispiele für die Entwicklung von Ambidextrie gelten. Schlagwörter | Ambidextrie, Agiles Projektmanagement, Diamond Approach, Fixed Mindset, Growth Mindset, Klassisches Projektmanagement, Loose culture, Mindset, Rule Breakers, Rule Makers, Scrum, Tight culture 1 Vorbemerkung „Project management is everyone`s business“. [1] Auch wenn dieses Zitat bereits 15 Jahre alt ist, gewinnt in Unternehmen die Projektarbeit gegenüber der Linienarbeit weiterhin zunehmend an Bedeutung. [2] Dieser Trend ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass in unserer VUKA-Welt [3] die hohe Veränderungsdynamik ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit aller Akteure [4] erfordert. Permanent eingerichtete Organisationseinheiten sind weniger geeignet auf schwarze Schwäne [5] zu reagieren als temporär geschaffene Einheiten, die sich nach Erreichen der vereinbarten Ziele neu konfigurieren. Das Erfordernis an eine hohe Anpassungsfähigkeit trägt dazu bei, dass ein Trend zu agilem Projektmanagement zu beobachten ist, um auf sich dynamisch entwickelnde Rahmenbedingungen flexibel reagieren zu können. [6] Die Absicht zur Einführung von Agilität stößt dann an Grenzen, wenn „doing agile“ nicht „being agile“ bedeutet. [7] Schließlich strahlt die Kultur der jeweiligen Trägerorganisation mit ihren langlebigen und tiefsitzenden Wurzeln auch auf Projektorganisationen aus, so dass iterativ-inkrementelle Arbeitsweisen in plandeterminierten Organisationen häufig entweder „einen Kulturschock“ auslösen oder an der Oberfläche organisatorischer Symbolik abprallen. In der Folge werden hybride Projektmanagementformate präferiert, die Elemente des klassischen Projektmanagements mit Aspekten des agilen Projektma- Wissen | Die Zukunft des Projektmanagements 46 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0031 nagements kombinieren. Vor dem Hintergrund der Vielzahl an Rahmenwerken, Standards, Instrumenten und Methoden zum Projektmanagement (PM) [8] ist allerdings umstritten, welche Kombinationen von Projektmanagementformaten erfolgversprechend sind. Aus der Problematik eines Nebeneinanders verschiedener Projektmanagementstandards resultiert wiederum der Wunsch nach einem „Best of PM“, d. h. einer Art „Meta-Projektmanagementstandard“, der das Beste aus unterschiedlichen PM-Standards beinhaltet und damit einer Priorisierung gleichkommt. In diesem Artikel soll folgender Frage nachgegangen werden: Worin liegen die Möglichkeiten und die Grenzen eines „Best of PM“? Dazu wird zunächst die Idee eines „Best of PM“ entfaltet, bevor auf typische Merkmale von agilem Projektmanagement sowie auf wesentliche Unterschiede zum klassischen Projektmanagement eingegangen wird. Die Gegenüberstellung verdeutlicht, dass wesentliche Unterschiede sich als Gegensätze erweisen, die sich nicht verknüpfen lassen. In ihrem Kern sind die Unterschiede in unterschiedlichen Unternehmenskulturen verankert, die das Wertesystem repräsentieren und sich kurzfristigen Veränderungen entziehen. Die Stabilität des kulturellen Gefüges zeigt sich auch in Befragungsergebnissen zur Einführung von Agilität, in denen die Unternehmenskultur als größtes Hemmnis, aber auch als größte Herausforderung für Agilität dargestellt wird. Im Kulturmodell von M. Gelfand werden Kulturunterschiede von Nationen zu den zwei Strängen „tight culture“ und „loose culture“ verdichtet. Tight cultures sind regelbasiert („Rule Makers“), während für loose cultures nonkonformes Verhalten („Rule Breakers“) als typisch gilt. Dieser Unterschied spiegelt sich im Vergleich zwischen klassischem und agilem Projektmanagement wider. Im klassischen Projektmanagement ist eine starke Regelorientierung zu beobachten, während für agile Ansätze die auf Lernerfahrungen basierte Ergebniserzielung im Vordergrund steht. In Anbetracht der kulturellen Prägungen, die sich nur bedingt verändern lassen, sowie der Notwendigkeit zum flexiblen Handeln wird mit Ambidextrie ein dritter Weg vorgeschlagen. Damit ist das Beherrschen von beiden Formaten des Projektmanagements gemeint. In Kombination mit der Heuristik des „Diamond-Modells“ von A. J. Shenar und D. Dvir nimmt dieser Ansatz den Gedanken der Verdichtung von Projektmanagementansätzen aus der Idee eines „Best of PM“ auf. Allerdings wird von einer Priorisierung von jeweils gleichwertigen Merkmalen (z. B. „Schritt-für-Schritt“-Vorgehen ist besser als eine iterativ-inkrementelle Herangehensweise) Abstand genommen, die wiederum in einer Zeit großer Unsicherheit und Ambiguität für die praktische Projektarbeit auch nicht hilfreich wäre. Der Artikel schließt mit der Beschreibung eines Beispiels für die erfolgreiche Kombination aus klassischen und agilen Ansätzen. 2 Von der Idee eines „Best of PM“ als flexibler Projektmanagementrahmen Die Vielzahl der unterschiedlichen Projektmanagementformate sowohl im Feld der klassischen als auch im Feld der agilen Standards lässt den Wunsch nach einer Auswahlliste im Sinne eines „The Best of Projektmanagement (PM)“ aufkommen, auf die sich unabhängig von der spezifischen Projektsituation zurückgreifen lässt. Gemeint ist ein kontextfreier Rahmen für Projektmanagement. Die Umsetzung eines „Best of PM“ birgt zwei wesentliche Risiken, die auch als Praxis-Theorie-Problem beschreibbar sind. Wird das „Best of PM“ zu eng gefasst, indem zahlreiche Checklisten für alle denkbaren Projektsituationen erstellt werden, ist die Abstraktion derart gering, dass ein Transfer auf neuartige Projektsituationen kaum möglich ist. Dieses Vorgehen käme einem „one size fits nothing else“ gleich. Implizit liegt dann die Annahme zugrunde, bereits vor Projektbeginn alle denkbaren Projektsituationen zu kennen, so dass die Unvorhersehbarkeit von Projektabläufen verkannt wird. Im Ergebnis bliebe ein zu geringer Raum für eine flexible Projektgestaltung. Hinzu kommt, dass die Definitionsphase unverhältnismäßig zeitintensiv wäre, wenn vor dem eigentlichen Projektstart umfassende Checklisten abzuarbeiten sind. Wird umgekehrt das „Best of PM“ zu breit gefasst, ist das Ergebnis derart generisch (z. B. Zielorientierung und zeitliche Begrenztheit als zwei Merkmale von Projekten), dass kein Anwendungsbezug zur Projektpraxis besteht. Der Versuch eines derartigen „one size fits all“ verkennt die Unterschiedlichkeit von Projektsituationen. Schließlich sind Projekte qua Definition einmalig. Die Idee von einem „Best of PM“ lässt sich dahingehend würdigen, dass einerseits ein berechtigter Wunsch nach Zusammenführung unterschiedlicher PM-Formate besteht und auf der anderen Seite dieser PM-Rahmen weder zu allgemein noch zu detailliert gefasst sein sollte. Anderenfalls eignet sich der PM-Rahmen weder als Modell zur Anwendung auf eine Vielzahl unterschiedlicher Projektsituationen noch als konkrete Hilfestellung für die praktische Projektarbeit. Hinzu kommt, dass ein „Best of PM“ eine Machbarkeit von Veränderungen der Organisationskulturen suggerieren könnte, die der langfristigen Prägung von Organisationen durch die Unternehmenskultur entgegensteht. Als Lösungsansätze zur Umsetzung des berechtigten Wunsches nach einem „Best of PM“, die keine rezeptbuchartige Vorgehensweise bedeutet, bieten sich zwei Heuristiken an. Zum einen handelt es sich um das „tight-loose-culture“-Modell von M. Gelfand und zum anderen wird auf das Diamond- Modell von A. J. Shenar und D. Dvir Bezug genommen. Mit beiden Modellen ließe sich ein in der vorhandenen Unternehmenskultur flexibel gestaltbarer Rahmen für Projektmanagement aufspannen. 3 Agiles Projektmanagement Aktuell ist im Feld des Projektmanagements ein Trend zum Rückgriff auf agile Projektmanagement-Formate zu beobachten. [9] In diesem Abschnitt werden die Besonderheiten von Agilität im Kontext mit Projektmanagement sowie die wesentlichen Unterschiede von agilem Projektmanagement im Vergleich zum klassischen Projektmanagement erläutert. Mit der Verdeutlichung der Unterschiede zwischen klassischem und agilem Projektmanagement wird nachvollziehbarer, dass der Versuch zur Kombination von beiden Formaten deren Gegensätzlichkeit verkennt. Im Ergebnis bedeutet ein „Best of“ ein Ranking von gegensätzlichen Projektmanagementformaten. 3.1 Grundlagen zu Agilität Das Konzept Agilität basiert auf vier wesentlichen Meilensteinen, bevor seit den 2010er Jahren die Verbreitung dieses Wissen | Die Zukunft des Projektmanagements 47 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0031 Ansatzes stattfindet. Zum einen sind Organisationstheorien wie z. B. das AGIL-Schema von T. Parsons [10] aus den 1950er Jahren zu nennen. Des Weiteren bildet das beim japanischen Autobauer Toyota in den 1970er Jahren eingeführte Konzept des Lean Manufacturing ein Fundament von Agilität. [11] Im Kern geht es um die Fokussierung auf wesentliche Fertigungsprozesse und Schrittfolgen. Hinzu kommt die 1991 unter dem Titel „21st Century Manufacturing Enterprise Strategy: An Industry-Led View“ veröffentlichte Strategie, in der amerikanischen Unternehmen aufgezeigt wird, wie mit agilen Produktions- und Wettbewerbsformaten der Krise der Massenproduktion begegnet werden kann. [12] Das agile Manifest aus dem Jahr 2001 als vierte Ursprungssäule von Agilität enthält vier Wertekategorien und zwölf Prinzipien des agilen Projektmanagements. [13] Werte werden in Form von Priorisierungen und Gegenüberstellungen formuliert. Beispielsweise werden „Individuen und Interaktionen“ höher priorisiert gegenüber „Prozessen und Werkzeugen“. Diese werden zwar als grundsätzlich wichtig eingestuft, allerdings stehen die Bedürfnisse der Individuen und die Beziehungen zwischen den Projektbeteiligten im Vordergrund. Beispielsweise lautet ein Prinzip: „Einfachheit-- die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren- - ist essenziell.“ Damit wird unterstrichen, dass vergleichbar der 80: 20-Heuristik Priorisierung auch bedeutet, Aufgaben nicht zu erledigen. Eine Konkretisierung finden die agilen Werte und Prinzipien über Instrumente wie z. B. dem Kanbanboard, in Konzepten wie z. B. Design Thinking sowie in Rahmenwerken wie z. B. Scrum. Der am weitesten verbreitete Agilitätsansatz ist Scrum, ein Rahmenwerk, das erstmalig im Jahr 1995 von K. Schwaber und J. Sutherland veröffentlicht wurde und zunächst ausschließlich für Softwareentwicklungen zum Einsatz kommen sollte. Die Grundstruktur von Scrum ist in dem zuletzt im Jahr 2020 aktualisierten Scrum Guide dokumentiert. [14] Mittlerweile erstrecken sich die Anwendungsfelder von Scrum auch auf Bereiche der „Non-IT“ wie z. B. auf den Unterricht in Schulen oder auf Entwicklungsprojekte zur Armutsbekämpfung. [15] Eine wesentliche Quelle für Scrum bildet der Artikel „The new new Product Development Game“ aus dem Jahr 1986, in dem H. Takeuchi und I. Nonaka die Erfolgsfaktoren von japanischen und US-amerikanischen Unternehmen vorstellen, die ihren Prozess zur Produktentwicklung verändert hatten. Zu den Unternehmen zählen u. a. Hewlett Packard, Canon und Honda. Als ein Erfolgsfaktor gelten überlappende Entwicklungsphasen, bei denen im Gegensatz zu einem linearen Vorgehen einzelne Entwicklungsschritte parallel verlaufen, um über Versuch und Irrtum schnell und flexibel ein kundengerechtes, funktionstüchtiges Endprodukt anzubieten. Analog zum Ballsport Rugby wird der Ball nach vorne und zurück gespielt, bis das gesamte Team zum Ziel gelangt. Diese Vorgehensweise der permanenten Verbesserungen, die für Qualitätsmanagement leitend ist, geht auch auf die Ansätze des amerikanischen Managementtheoretikers W. E. Deming zurück. [16] Im Deming-Zirkel PDCA (Plan-Do-Check-Act) kommt dieser Denkansatz der empirischen Herangehensweise zum Ausdruck. Empirismus bildet die erkenntnistheoretische Basis von Agilität. Danach entstehen neue Erkenntnisse über Erfahrungen mit der wahrgenommenen Wirklichkeit. Dieses Verständnis, das im Gegensatz zur Erkenntnistheorie des Rationalismus steht, spiegelt sich auch im Pragmatismus von John Dewey wider. In der von ihm gegründeten Laboratory School erschließen sich bereits Kinder im Grundschulalter neues Wissen und Handlungskompetenzen durch Experimentieren und Tun. [17] Als Grundlage des Erkenntnisgewinns gelten laut Empirismus folgende drei Säulen: Transparenz („transparency“); Überprüfung („inspection“); Anpassung („adaptation“). Hypothesen werden an der wahrgenommenen Realität überprüft („to inspect“) und im Fall der fehlenden Übereinstimmung angepasst („to adapt“). Das jeweilige Vorgehen sowie die Ergebnisse der einzelnen Schritte werden offengelegt und erläutert, um Verstehen über Transparenz zu erzielen. Erfahrungen bedingen demnach Erkenntnisfortschritte. Die wachsende Bedeutung von agilem Projektmanagement manifestiert sich darin, dass in den vergangenen Jahren neue Berufsbilder wie u. a. Agile Coach, Product Owner und Scrum Master entstanden sind. Des Weiteren umfassen Jobanforderungen regelmäßig Qualifizierungen, die agiles Projektmanagement betreffen. [18] 3.2 Wesentliche Unterschiede zum klassischen Projektmanagement In diesem Abschnitt soll anhand der Rahmenwerke IPMA / ICB4 [19] und Scrum [20] der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich das klassische Projektmanagement vom agilen Projektmanagement unterscheidet, um die Besonderheiten des agilen PM-Ansatzes noch weiter zu spezifizieren. Im Wesentlichen lassen sich sieben Unterschiede identifizieren. Mit dem magischen Dreieck des Projektmanagements wird zum Ausdruck gebracht, dass der jeweilige Projektrahmen durch die drei Dimensionen Leistungsumfang/ -qualität (scope), Kosten und Zeitressourcen bestimmt wird. Ein fundamentaler Unterschied zwischen klassischem und agilem Projektmanagement ergibt sich aus dem Umgang mit diesen drei Projektcharakteristika. Für klassisch geführte Projekte ist typisch, dass an dem Leistungsumfang und der Leistungsqualität, die im Rahmen der Auftragsklärung und der Projektplanung spezifiziert werden, während des gesamten Projektlebenszyklus festgehalten wird, während Variationen von Kosten- und Zeitbudgets durchaus möglich sind. Für Projekte, die nach agilen Prinzipien gesteuert werden, gilt regelmäßig der umgekehrte Fall, wonach der Projekt-Scope in Abhängigkeit der Ergebnisse von Gesprächen mit Auftraggebern fortwährenden Variationen unterliegt, während Kosten- und Zeitbudgets für die gesamte Zeitdauer des Projektes weitgehend festgelegt sind. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal bildet die jeweilige Vorgehensweise. Im klassischen Projektmanagement wird jeweils ein Aufgabenbündel vollständig abgearbeitet, bevor mit dem nächsten Paket gestartet wird. Diese als Wasserfall- Methode bezeichnete Vorgehensweise sieht beispielsweise für Projekte der Softwareentwicklung folgende sechs Aggregationsschritte von Arbeit vor: Anforderungsanalyse, Design, Implementierung, Test, Installation, Wartung. Die iterative Vorgehensweise im Rahmen des agilen Projektmanagements stellt das Erzielen von Ergebnissen, die regelmäßig geprüft und ggf. angepasst werden, vor die Erreichung eines einmal festgelegten Ziels. Analog zum OODA-Prozess [21] erfolgt die Arbeitsweise zyklisch. Wissen | Die Zukunft des Projektmanagements 48 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0031 Auch die Zusammensetzung der Teams in klassisch geführten Projekten unterscheidet sich von der Teamkonstellation agil gesteuerten Projekte. Dem klassischen Ansatz zufolge sind spezifische Kompetenzen wichtig. Fach- und Methodenkompetenzen sind gegenüber sozialen Kompetenzen und Selbstkompetenzen vorrangig. Diese Professionskultur führt im Ergebnis häufig zu einer siloförmigen Arbeitsweise. Agil bedeutet Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams. Vorherrschend ist eine Kultur des Lernens auf der Basis eines dynamischen Selbstbildes. [22] Ein weiterer Unterschied bezieht sich auf die Bedeutung von Hierarchien. Während in den Ansätzen des klassischen Projektmanagements dem Projektleiter eine herausragende Rolle zukommt, da dieser Arbeitsinhalte und Arbeitsformen verantwortet, gilt für das agile Projektmanagement der Grundsatz der Selbstorganisation durch die Teammitglieder. Hinsichtlich der Bewertung von Änderungswünschen unterscheiden sich ebenfalls klassische von agilen Projektmanagement-Formaten. Während im Rahmen klassischer PM- Ansätze Änderungen als Störungen gewertet werden, die mit steigendem Projektfortschritt zum Anstieg der Änderungskosten (sogenannte sunk costs) führen, werden in agilen PM-Formaten Änderungen willkommen geheißen, so dass Anpassungen über Versuch und Irrtum vorgenommen werden. Diese Änderungskultur passt zu den kurzen Erstellungszyklen im Rahmen des iterativen Arbeitens. Auch die Interpretation dessen, was unter Kundenorientierung verstanden wird, bedingt Unterschiede zwischen klassischem und agilem Projektmanagement. In klassisch geführten Projekten liegt der Fokus der Zusammenarbeit mit den jeweiligen Kunden in der Phase der Auftragsklärung vor Beginn des Projektstarts, so dass die Projektarbeiten an einem Pflichtenheft orientiert werden. In agil geführten Projekten findet ein permanenter Kundenaustausch statt, der in Reviews institutionalisiert wird, die regelmäßig im Nachgang zu Sprints durchgeführt werden. Das Prinzipal-Agenten-Verhältnis ist weniger rigide ausgeprägt. Ebenfalls unterscheiden sich die Ansprüche, die an die Projektergebnisse gerichtet werden. Das klassische Projektmanagement sieht die Bewertung des schlüsselfertigen Produktes am Projektende im Rahmen der Abnahme durch die Kunden vor, während laut dem agilen Projektmanagementansatz regelmäßig funktionsfähige Teilprodukte oder sogenannte Inkremente übergeben werden, die zum jeweiligen Lieferdatum bewertet werden. In Abbildung 1 werden die zentralen Unterschiede zwischen klassischen und agilen Projektmanagementformaten überblickartig dargestellt. 4 Nutzung agiler Methoden nicht gleichbedeutend mit agiler Kultur Die Studie „Agile Pulse“ der Unternehmensberatungsfirma Bearing Point thematisiert den Verbreitungsgrad, den wahrgenommenen Nutzen sowie die Herausforderungen von agilen Projektmanagement-Formaten. In den Jahren 2019 bis 2021 wurden dazu hauptsächlich Führungskräfte von Unternehmen unterschiedlicher Branchen und unterschiedlicher Größenordnungen aus verschiedenen Ländern zum Umsetzungsstand von Agilität befragt. In den drei Studien zeigt sich, dass einerseits die Unternehmenskultur das größte Hindernis auf dem Weg zu Agilität darstellt und auf der anderen Seite die Etablierung einer agilen Kultur die agile Transformation am ehesten vorantreibt. Laut der Studie aus dem Jahr 2019 ist eine Fehlerkultur, die Fehler als Chancen sieht, wenig zu finden. Es geht vorrangig um Fehlervermeidung. Danach legen ca. zwei Drittel aller Unternehmen ihren Fokus darauf, Fehler zu vermeiden, „anstatt die positiven Aspekte wie die Möglichkeit daraus neue Chancen abzuleiten wert[zu]schätzen.“ [23] Besonders größeren Unternehmen fällt es schwer, eine positive Fehlerkultur zu implementieren. Zur Erreichung von Agilität reicht es der Studie zufolge nicht, „Mitarbeiter und Führungskräfte allein in agilen Methodiken zu schulen. Es bedarf einer Reflexion der eigenen Unternehmenskultur, um notwendige Änderungen zu identifizieren, die das Unternehmen einer agilen Organisation näherbringen.“ [24] Auch die Befragungsergebnisse aus dem Jahr 2020 verdeutlichen die Diskrepanz zwischen wahrgenommenen Vorteilen von Agilität und einer Umsetzungslücke. [25] Die Unternehmenskultur wird als größtes Hemmnis der agilen Transformation genannt. Kulturelle Veränderungen der Arbeitsweisen sind ihrerseits die Treiber für die Anpassung der gesamten Unternehmenskultur. Beispielsweise ist typisch für Abbildung 1: Überblick zu den Unterschieden zwischen klassischem und agilem Projektmanagement Wissen | Die Zukunft des Projektmanagements 49 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0031 ein agiles Mindset, dass Führungskräfte bei der Ausräumung von Hindernissen die Mitarbeiter unterstützen, anstatt von diesen Dokumentationen zu Hindernissen einzufordern. Der Titel der Bearing-Point-Studie aus dem Jahr 2021 lautet: „doing agile vs. being agile“. Damit wird ein zentrales Unterscheidungsmerkmal im Hinblick auf Unternehmensagilität thematisiert: Wird auf agile Methoden zurückgegriffen oder kann das Unternehmen als agil bezeichnet werden? In Anlehnung an die unterschiedliche Verwendung des Organisationsbegriffs [26] lässt sich die Frage wie folgt formulieren: Hat das Unternehmen Agilität oder ist das Unternehmen agil? Der zweite Aspekt bezieht sich auf die Unternehmenskultur. Im Ergebnis gelten acht von neun Zielen als nicht erreicht, da „Agilität in vielen Organisationen methodisch eingeführt, jedoch noch nicht ganzheitlich etabliert ist.“ [27] Lediglich das Ziel des Attraktivitätszugewinns als Arbeitgeber wird hinsichtlich der Erwartungen übertroffen. Als nicht erreicht gelten folgende Ziele: verbesserte Reaktionsfähigkeit, erhöhte Geschwindigkeit, erhöhte Produktqualität, verbesserte Zusammenarbeit, erhöhte Innovationsfähigkeit, verbesserte Wettbewerbsposition, erhöhte Transparenz sowie verbesserter Fokus auf Kunden. 72 % der Befragten, die agile Methoden und Frameworks einsetzen, stufen sich noch nicht als ganzheitlich agil im Hinblick auf die sechs Dimensionen Kultur, Prozesse, Produkte, Strukturen, Technologien und Methoden ein. Gegenüber großen Unternehmen werden kleine Unternehmen tendenziell eher als ganzheitlich agil betrachtet. Die Operationalisierung der Unternehmenskultur, für die der größte Handlungsbedarf gesehen wird, wird über drei Indikatoren operationalisiert: befähigende Führungskultur; Selbstorganisation der Mitarbeitenden; Fehler-/ Lernkultur. Die ganzheitliche Ausrichtung auf Agilität hat den Studienergebnissen zufolge positive Auswirkungen auf die Erreichung der Organisationsziele sowie die Zufriedenheit der Mitarbeiter. Insbesondere Führungskräfte auf der Top-Managementebene sind besonders gefordert die Organisation hin zu einer agilen Organisation zu entwickeln. Die Unternehmenskulturveränderung gilt für die Mitarbeiter als größte Herausforderung. Branchenübergreifend besteht eine positive Korrelation zwischen der Anwendung agiler Methoden und dem agilen Reifegrad der Organisation. 5 Kultur macht den wesentlichen Unterschied: tight culture vs. loose culture E. Schein unterscheidet zwischen drei Ebenen einer Unternehmenskultur, die sich wechselseitig beeinflussen. [28] Die als Artefakte bezeichnete erste Ebene bilden sichtbare Organisationsabläufe und -strukturen wie z. B. das Organigramm eines Unternehmens. Öffentlich propagierte Werte stellen die zweite Ebene des Kulturmodells dar. Hierzu zählt z. B. die gegenüber Pressevertretern geäußerte Aussage eines Vorstandsmitglieds, wonach in „seinem“ Unternehmen agil gearbeitet wird. Die dritte Ebene bezeichnet unausgesprochene Annahmen, die in letzter Konsequenz das Wertesystem und die Handlungsweise eines Unternehmens bestimmen. Diese Ebene bewirkt als zentraler Faktor einer Organisationskultur, dass es für eine Organisation und deren Mitglieder selbstverständlich ist, in einer bestimmten Weise zu agieren. Auch wenn für E. Schein Leadership u.a. das Managen von Unternehmenskulturen bedeutet [29], zeigt er die Grenzen der Beeinflussbarkeit einer langfristig gewachsenen Unternehmenskultur auf, indem er auf die „kulturelle Demut“ verweist: „the recognition that culture is partly affected by powerful forces which may lie beyond a leader`s direct control.“ [30] Die Unternehmenskultur stellt die maßgebliche Ursache für die unter Abschnitt 3.2 aufgeführten Unterschiede zwischen klassischem und agilem Projektmanagement dar. M. Gelfand fasst die Ergebnisse ihrer empirischen Forschungsarbeiten zu Kulturunterschieden zwischen Ländern und Nationen dergestalt zusammen, dass sie zwischen den zwei Kulturen „loose culture“ und „tight culture“ unterscheidet. Hierbei nimmt sie keine Wertung im Sinne von „besser“ oder „schlechter“ vor. [31] Die Stärke von sozialen Normen und die Toleranz für abweichendes Verhalten sind die wesentlichen Unterschiede zwischen einer tight culture und einer loose culture. Menschen verwenden einen normativen Radar, um die sozialen Normen und Hinweise zu erkennen, die sie umgeben, unabhängig davon, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht. Die definierende Eigenschaft von engen und lockeren Denkweisen kann sowohl Stärke als auch Schwäche dieses normativen Radars sein. [32] Nachdem Menschen die normativen Anforderungen einer Situation registriert haben, gibt ihnen M. Gelfand zufolge jeweils das Gehirn die psychologischen Werkzeuge, die sie brauchen, um sich anzupassen. Wenn Normen stark sind, fühlen sie ein starkes Gefühl der Verantwortlichkeit. Menschen spüren, dass ihre Handlungen bewertet und sogar bestraft werden können, wenn Abweichungen zu beobachten sind. In diesen Situationen übernimmt die enge („tight“) Denkweise. Sein Hauptmotiv ist es, Fehler zu vermeiden, indem jemand wachsam und vorsichtig ist. In diesem Zusammenhang wird von einer „präventionsgeleiteten Orientierung“ gesprochen. Befinden sich Menschen in Situationen mit weniger normativen Anforderungen, haben sie weniger Ängste, das Falsche zu tun. Anstatt dazu getrieben zu werden, Fehler zu vermeiden, setzen sie mutigere, oft riskantere Ziele. Diese „förderungsorientierte Ausrichtung“ ermöglicht es, eigenen Idealen nachzugehen, auch wenn das bedeutet, den einen oder anderen Fehler zu machen. Ein psychologischer Zustand geringer Rechenschaftspflicht wird entwickelt. [33] Charakteristisch für eine tight culture ist das Festhalten an sozialen Normen und die geringe Toleranz gegenüber abweichendem Verhalten. Demgegenüber ist eine loose culture weniger regelbasiert. [34] Typische Kennzeichen einer loose culture sind: Toleranz, Kreativität, Anpassungsfähigkeit, soziales Durcheinander, fehlende Koordination, gesteigerte Impulsivität. Für eine tight culture sind folgende Merkmale typisch: Pflichtbewusstsein, soziale Ordnung, Selbstkontrolle, geringe Aufgeschlossenheit, Konventionalität, Schwerfälligkeit. Zu den Nationen mit ausgeprägter loose culture zählen: Spanien, USA, Australien, Neuseeland, Griechenland, Venezuela, Brasilien, Niederlande, Israel, Ungarn, Estland und die Ukraine. „Tight cultures“ zeigen sich tendenziell in folgenden Ländern: Pakistan, Malaysia, Indien, Singapur, Südkorea, Norwegen, Türkei, Japan, China, Portugal und Deutschland. [35] Die Unterschiede zwischen „tight“ und „loose“ können laut M. Gelfand zumindest teilweise auf genetischen Unterschieden basieren. Aus evolutionärer Sicht haben Menschen in engen Kulturen vermutlich Umgebungen mit hoher Bedrohung besser überlebt. Im Laufe der Zeit könnte das entspre- Wissen | Die Zukunft des Projektmanagements 50 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0031 chende Gen in bedrohlichen Umgebungen „zum Zuge gekommen“ sein, so dass in engen Kulturen ein Verstärkungseffekt stattfindet. [36] Zwischen Kulturmerkmalen und genetischen Ausprägungen bestehen Wechselwirkungen. [37] Die Kulturunterschiede spiegeln sich in den Mindsets der Menschen wider. [38] Das Mindset einer tight culture ist mit einem Symphoniekonzert vergleichbar, während das Mindset einer loose culture einem Rockkonzert gleichkommt. [39] Die Kulturunterschiede zwischen Tightness und Looseness wirken sich dergestalt auf die Persönlichkeitsmerkmale der Individuen aus [40] , dass für Menschen aus tight cultures eine größere Gewissenhaftigkeit und ein stärkeres Pflichtbewusstsein sowie eine geringere Offenheit gegenüber Neuem charakteristisch ist. Menschen aus tight cultures zeigen eine positive Korrelation mit größerer Vorsicht („I don`t like to take chances“). Zusammengefasst repräsentiert auf der individuellen Ebene tendenziell der growth mindset eine loose culture. [41] Abbildung 2 zeigt wesentliche Charakteristika eines Growth Mindset. Eine loose culture geht mit agilem Projektmanagement einher, während eine tight culture zumindest ihrer groben Richtung nach eher mit klassischem Projektmanagement in Verbindung steht. [42] 6 Ambidextrie statt „Best of PM” Wird die latente Kraft von sozialen Normen in Organisationen verstanden, können Führungskräfte ihre Unternehmen besser in eine tight-loose-Balance führen. [43] „Managing culture is a tightrope walk.” [44] Mit diesem Zitat wird zum Ausdruck gebracht, dass es nicht die eine richtige Unternehmenskultur gibt. Idealerweise stehen beide Kulturausrichtungen zur Verfügung. Dies wird als „tightloose-Ambidexterität“ bezeichnet. Ambidexterität bedeutet Beidhändigkeit. Damit ist gemeint, dass ein Unternehmen, das tendenziell durch eine „lose“ Unternehmenskultur gekennzeichnet ist, straffe Regelungen einführt. Beispielsweise besagt die 70-20-10-Regelung bei Google, dass Mitarbeiter 70 % ihrer Arbeitszeit für vorhandene Unternehmensprojekte aufwenden, 20 % für Ideen, die mit diesen Projekten im Zusammenhang stehen sowie 10 % für individuelle Projektansätze. Das Konzept wird als „structered looseness“ bezeichnet. [45] Von „flexible tightness“ wird in den Fällen gesprochen, in denen Unternehmen, die tendenziell durch eine straffe Unternehmenskultur gekennzeichnet sind, lockerere Praktiken zur Anwendung bringen. Als Beispiel kann auf den japanischen Autobauer Toyota verwiesen werden, der im Rahmen eines vorgegebenen Acht-Schritte-Programms die Mitarbeiter zum Experimentieren einlädt. [46] Interessanterweise wird hier ein Unternehmen aus einer tendenziell „engen“ Kultur genannt, das maßgeblich den Trend zu Agilität beeinflusst hat. Insbesondere für Militärorganisationen gilt auf der einen Seite eine strikte Disziplin gegenüber Plänen und Strategien. Auf der anderen Seite bedarf es der Fähigkeit zur Improvisation, um auf kurzfristig eintretende Veränderungen adäquat reagieren zu können. [47] Laut A. Grant ist für die Unternehmenskultur entscheidend zwischen tight und loose eine Balance zu finden, indem auf der einen Seite einige starke Werte implementiert sind, die von vielen Mitarbeitern geteilt und eingehalten werden und auf der anderen Seite eine Flexibilität bezüglich der Umsetzung dieser Werte in der praktischen Arbeit aufrechterhalten wird. [48] Leadership meint in diesem Zusammenhang die Vermittlung zwischen Rule Makers und Rule Breakers. [49] Führungsansätzen, die zur Straffung einer „losen“ Organisationskultur [50], also einer „structured looseness“ beitragen, sind: • Verstärkte Zentralisierung • Einführen von Regeln zur Umsetzung von Zielvorgaben • Steigern von Monitoringaktivitäten • Benchmarking • Hervorheben von Zuverlässigkeit Führungsansätze zur Lockerung von straff geführten Organisationen [51], also von „flexible tightness“ sind: • Verstärkte Dezentralisierung • Ermutigen zum Widersprechen • Erhöhen von Flexibilität • Legitimation von Forschungsaktivitäten • Fördern individueller Handlungsfähigkeit M. Gelfand nennt u. a. folgende Beispiele zu gelungenen Ansätzen von Ambidextrie. Abbildung 2: Überblick zu wesentlichen Eigenschaften eines Growth Mindset Wissen | Die Zukunft des Projektmanagements 51 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0031 Ein amerikanischer Möbelhersteller mit einer tight culture überlässt Mitarbeitern die Entscheidung über ihre Leistungsbewertung. Anschließend kehrt das Unternehmen zu strafferen Vorgaben wie u. a. ein Belohnungssystem zurück, nachdem die Mitarbeiter mit dieser Form der Selbstbewertung überfordert waren. [52] Die amerikanische Medienfirma USATodaycom baut die Sparte Online-Medien mit neu eingestellten Führungskräften mit der Folge auf, dass Spannungen zwischen den Bereichen Online-Medien und Print-Medien entstehen. Als Lösungsansatz zum Abbau der Differenzen werden tägliche Treffen zwischen den Abteilungsleitern der zwei Sparten etabliert, so dass ein regelmäßiger Ideenaustausch stattfindet. Des Weiteren werden Kooperationen incentiviert, indem ein Bonusprogramm eingeführt wird, das von der Zielerreichung aller Sparten abhängig ist. [53] Im Ergebnis gibt es keinen besten Weg zur Erreichung von tight-loose ambidexterity. [54] Der Diamond Approach von A. J. Shenar und D. Dvir könnte dabei unterstützen, die für die jeweilige Projektsituation geeignete Kombination aus Elementen einer tight culture mit einer loose culture zu finden. 7 Diamond Approach als Entscheidungshilfe für das richtige Maß aus klassischem und agilem PM Die unterschiedlichen Ansätze des Projektmanagements stellen Bewältigungsstrategien für unterschiedliche Projektsituationen dar. Unabhängig von den spezifischen Projektinhalten sowie dem Projektumfang definiert sich jedes Projekt über die Projektziele, die Projektaufgaben sowie die Projektumwelt. Der Kontingenztheorie folgend bilden für Projekte weiterhin die drei formalen Dimensionen Unsicherheit, Komplexität und Geschwindigkeit zentrale Bestimmungsfaktoren. Diese Dimensionen können unterschiedliche Ausprägungen aufweisen. A. J. Shenhar und D. Dvir entwickeln auf dieser Basis den sogenannten Diamond Approach. Neben der Unterscheidung von Projektsituationen im Hinblick auf die jeweilige Projektkomplexität und die Projektgeschwindigkeit wird der Faktor Unsicherheit unterteilt in zwei Unsicherheitsquellen. Zum einen ergeben sich Unsicherheiten aus dem Innovationsgrad des geplanten Projektergebnisses, zum anderen stellen die erforderlichen Technologien Ursachen von Unsicherheit dar. [55] Folgende Ausprägungen dieser vier Dimensionen, die für die Auswahl des Projektmanagements bestimmend sind, werden unterschieden. [56] • Neuheitsgrad der zu erstellenden Projektleistung mit folgenden drei Ausprägungen: a) derivative Produkte (Änderung vorhandener Produkte bzw. Dienstleistungen); b) Plattformprodukte (z. B. neue Generation von PKW); c) Produkte, die völlig neu sind und einen Durchbruch darstellen • Technologische Unsicherheit mit folgenden vier Ausprägungen: a) Nutzung vorhandener Technologien; b) Nutzung vorhandener Technologien mit geringer Neuartigkeit oder einem neuen Merkmal; c) Nutzung zahlreicher neuer Technologien, die vor Kurzem entwickelt wurden; d) die entscheidende Projekttechnologie existiert zu Projektbeginn noch nicht • Komplexität des Projekts mit drei Ausprägungen: a) von einer kleinen Gruppe innerhalb einer Funktion ausgeführt; b) zentrales Projektoffice koordiniert die Teilgruppen und Unterauftragnehmer; c) Zusammenarbeit von Gruppen an unterschiedlichen Standorten mit verschiedenen Teilprojekten • Zeitdruck im Projektvorhaben mit vier Ausprägungen: a) die benötigte Projektzeit ist unkritisch für den Projekterfolg; b) die Erledigung des Projekts in der vereinbarten Zeit ist für den Wettbewerbsvorteil des Unternehmens wichtig; c) Verzögerungen bedeuten ein Scheitern des Projekts; d) das Projekt sollte so schnell wie möglich durchgeführt werden Nachfolgende Abbildung zeigt den Diamond Approach (NTCP- Modell) [57]: Abbildung 3: Diamond Modell Wissen | Die Zukunft des Projektmanagements 52 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0031 A. J. Shenhar und D. Dvir betonen, dass sich während des Projektlebenszyklus die Ausprägungen gegenüber den Annahmen, die vor Projektbeginn getroffen wurden, ändern können. Zur Ermöglichung einer besseren Anpassungsfähigkeit sollte der iterative Projektmanagementansatz in den klassischen Projektmanagementansatz integriert werden, indem sowohl in Phasen als auch in Zyklen gearbeitet wird. [58] Vorgeschlagen wird das Konzept „management as planned“ durch das Konzept „management as planned and replanned“ zu ersetzen und eine rollierende Planung einzuführen. [59] 8 Beispiel für Ambidextrie Forschungsprojekte sind Beispiele aus einem Mix von Elementen klassischen Projektmanagements mit Elementen von agilen Projektmanagementformaten. Prominentes Beispiel hierzu ist die Impfstoffentwicklung gegen COVID-19. Insbesondere die Entwicklung, die Produktion sowie die Vermarktung eines Impfstoffs gegen das Corona-Virus durch BioNTech / Pfizer haben gezeigt, was der Sachverhalt „agil“ bedeutet, ohne das Wort „agil“ zu verwenden [60]: Mit vorhandenen Ressourcen liefert in einer vorgegebenen Zeitspanne ein interdisziplinär zusammengesetztes und selbstorganisiert arbeitendes Team ein qualitativ hochwertiges Ergebnis in einem unsicheren und volatilen Marktumfeld. Der Entstehungsprozess verläuft in Iterationen, die jeweils mit der Lieferung von empirisch abgesicherten Inkrementen abgeschlossen werden, so dass regelmäßige Anpassungen an neue Anforderungen der Stakeholder wie z. B. den Zulassungsbehörden ermöglicht werden. Die Basis für den Erfolg dieses Forschungsprojektes legen die fünf Werte Commitment, Fokus, Offenheit, Respekt und Mut. [61] Auf der anderen Seite findet das beschleunigte Verfahren im Rahmen des üblichen Arzneimittelzulassungsverfahrens statt, das mit folgenden Phasen einem klassischen Projektlebenszyklus entspricht: präklinische Forschung, klinische Forschung mit mehreren Phasen, Erhebung klinischer Studiendaten, Bewertung klinischer Studiendaten, Erhebung nichtklinischer Daten, Bewertung nichtklinischer Daten, Herstellung, Qualitätskontrollen Das Paul-Ehrlich-Institut führt dazu aus, „dass im Rolling- Review-Verfahren [die] Prozesse parallel stattfinden- […], sodass die Zeit bis zu einer potenziellen Zulassung zwar verkürzt wird, aber keine Abstriche bei der Bewertung gemacht werden. Das Sicherheitsniveau bleibt also genauso hoch wie in dem üblichen zentralisierten Verfahren. Ein Impfstoff kann nur dann eine Zulassung erhalten, wenn der Nachweis der Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit erfolgt ist.“ [62] 9 Fazit In Anbetracht der Vielzahl unterschiedlicher Projektmanagementstandards und -formate kommt der Wunsch nach einer Zusammenfassung von Formaten im Sinne einer Best-of-Liste auf, die unabhängig von der jeweiligen Projektsituation kontextfrei anwendbar ist. Problematisch erweisen sich dabei die fundamentalen Unterschiede zwischen klassischen und agilen Projektmanagementformaten, die ein Nebeneinander dieser Formate ausschließen. Die Unterschiede sind in unterschiedlichen Kulturen verwurzelt. Übergeordnet lässt sich zwischen den zwei Kulturansätzen von einer engen, normorientierten und einer losen, wenig regelbasierten Kultur unterscheiden. Diese gesellschaftlichen Kulturstränge wirken prägend auf Organisationskulturen und auf individuelles Verhalten in Organisationen. Auf der Basis der herauszuarbeitenden dominierenden Kultur lassen sich Elemente der jeweils anderen Kultur einführen, so dass Ambidextrie möglich wird. Agilität geht einher mit einer loose culture. Um ein richtiges Maß an klassischem und agilem Projektmanagement zu finden, eignet sich die Klassifizierung von Projektsituationen analog zum Diamond Modell anhand der Dimensionen Komplexität, Geschwindigkeit, Technologie und Neuartigkeit mit unterschiedlichen Ausprägungen. Beispiele für die Verknüpfung von agilem Vorgehen mit klassisch-linearem Vorgehen finden sich in Forschungsprojekten, da einerseits der Forschungsprozess nach festen Regeln erfolgt und andererseits die Ergebnisoffenheit erst das Schaffen von neuen Erkenntnissen ermöglicht. Literatur Agiles Manifestunter: https: / / agilemanifesto.org/ iso/ de/ princip les.html , abgerufen am 09. 08. 2022. Argyris, Chris; Schön, Donald A.: Organizational Learning, 1996. Bearing Point GmbH (Hrsg.): Wie agil ist ihr Unternehmen? , Frankfurt 2020. Bearing Point GmbH (Hrsg.): Wie agil ist Ihre Organisation? Agilitätsstudie von Bearing Point, Frankfurt am Main 2020. Bearing Point GmbH (Hrsg.): Doing Agile vs. Being Agile, Frankfurt am Main 2022. Bennett, N.; Lemoine, G. J.: What a difference a word makes: Understanding threats to performance in a VUCA world, in: Business Horizons 57, 2014, S. 311-317. Broza, Gill: Agile for non-software teams, Vanrage Media, 2019. Dweck, Carol: Selbstbild, Piper Verlag, 7. Auflage, München / Berlin 2016. Gelfand, Michele: Rule Makers, Rule Breakers, Scribner, New York 2018. Gelfand, Michele et al.: Differences Between Tight and Loose Cultures: A 33-Nation Study; in science Vol. 332, 2011, S. 1100-1104. Goldman, Steven L. et al.: Agile competitors and virtual organizations, Van Nostrand Reinhold, New York 1995. Grant, Adam: Originals, Penguin Random House, London 2017. Harrrington, Jesse R.; Gelfand, Michele: Tightness-Looseness across the 50 united states, PNAS, S. 7990-7995. Hochschule Koblenz (Hrsg.): Ergebnisbericht: Status Quo (Scaled) Agile 2019 / 20. Knoll, Michael: John Dewey`s Laboratory School in Chicago: Theory vs. Practice, conference paper 2016, unter: file: / / he111 173e0051.cds.t-internal.com / a1 164 451$/ Home / Data / Artikel_ZukunftPM / ISCHE-2016LabSchoollongversiondewey_2016.pdf abgerufen am 09. 08. 2022. Krause, Monika: Das gute Projekt, Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2018. Kuster, Jürg et al.: Handbuch Projektmanagement, 4. Auflage, Springer, Berlin 2019, eBook. Wissen | Die Zukunft des Projektmanagements 53 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0031 Manifest zur agilen Softwareentwicklung unter: https: / / agilemanifesto.org / iso / de / manifesto.html abgerufen am 01. 12. 2021. Miller, Joe mit Türeci, Özlem und Sahin, Ugur: Projekt Lightspeed, 2021. Schabel, Frank; Möckel, Kathrin; Stiehler, Andreas: Von starren Prozessen zu agilen Projekten. Unternehmen in der digitalen Transformation, Mannheim 2015. Schein, Edgar: Organisationskultur, EHP, Bergisch Gladbach 2006. Schelle, Heinz: Projektklassifikationen und Handlungsempfehlungen für das Projektmanagement, 2014 unter: https: / / www.gpm-blog.de / projektklassifikationen-undhandlungsempfehlungen-fur-das-projektmanagement/ , abgerufen am 03. 08. 2022. Schreyögg, Georg: Umwelt, Technologie und Organisationsstruktur, Haupt, Bern / Stuttgart 1978. Schroer, Markus: Soziologische Theorien, Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2017. Scrum-Guide, unter: https: / / scrumguides.org/ , abgerufen am 09. 08. 2022. Shenhar, Aaron J.; Dvir, Dov: Reinventing Project Management, Harvard Business School Press, Boston 2007. Sutherland, Jeff: Die Scrum-Revolution, Campus Verlag, Frankfurt / New York 2015 Taleb, Nassim Nicholas: Der Schwarze Schwan, Hanser, München 2008. Welch, Craig: “Secrets of the Whales” (National Geographic May 2021). Endnoten [1] Shenhar, Aaron J.; Dvir, Dov: Reinventing Project Management, Harvard Business School Press, Boston 2007, S. 5. [2] Vgl. Schabel, F./ Möckel, K./ Stiehler, A.: Von starren Prozessen zu agilen Projekten. Unternehmen in der digita-len Transformation, Mannheim 2015: Laut einer Befragung von 225 Personen hat die Projektarbeit in den ver-gangenen zwei bis drei Jahren um 62 % zugenommen. [3] Vgl. zum Begriff „VUCA-World“: Bennett, N.; Lemoine, G. J.: What a difference a word makes: Understanding threats to performance in a VUCA world, in: Business Horizons 57, 2014, S. 311-317. [4] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird jeweils ein Geschlecht genannt, auch wenn jeweils alle Geschlechter gemeint sind. [5] Vgl. Taleb, N. N.: Der Schwarze Schwan, Hanser, München 2008. [6] Vgl. u. a. Kuster, J. et al.: Handbuch Projektmanagement, 4. Auflage, Springer, Berlin 2019, eBook, S. 2. [7] Vgl. den Titel des agilen agile Pulse Monitorings von Bearing Point: „doing agile“ vs. „being agile“ [8] Vgl. u. a. DIN 69 901 mit folgenden Inhalten: Grundlagen, Prozesse, Prozessmodell, Methoden, Daten, Datenmodell und Begriffe im Projektmanagement; ISO 21 500 Leitfaden zum Projektmanagement; DIN69 909 zum Multiprojektmanagement [9] Vgl. u. a. Hochschule Koblenz (Hrsg.): Ergebnisbericht: Status Quo (Scaled) Agile 2019 / 20 und Bearing Point GmbH (Hrsg.): Wie agil ist ihr Unternehmen? , Frankfurt 2020; Unternehmensbeispiele: ZAPPOS, Swisscom, OT- TO, Strato, Zalando, ING Group, Spotify. [10] Vgl. Schroer, Markus: Soziologische Theorien, Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2017, S. 107-139. AGIL bedeutet Adaptation / Goal Attainment / Integration / Latency. Die Verwendung von AGIL im Sinne von Agilität ist allerdings insofern umstritten, als das AGIL-Schema den Fokus auf den Erhalt von Systemen und nicht auf deren Veränderbarkeit legt. [11] Vgl. Goldman, S. L. et al.: Agile competitors and virtual organizations, Van Nostrand Reinhold, Neqw York et al. 1995, S. 55 f. [12] Vgl. Goldman, S. L. et al.: Agile competitors and virtual organizations, Van Nostrand Reinhold, Neqw York et al. 1995, S. xxi [13] Vgl. Agiles Manifest unter: https: / / agilemanifesto. org / iso / de / principles.html , abgerufen am 09. 08. 2022. [14] Vgl. aktueller Scrum-Guide, unter: https: / / scrumguides. org/ , abgerufen am 09. 08. 2022. [15] Vgl. u. a. Krause, M.: Das gute Projekt, Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2018. [16] Vgl. Sutherland, Jeff: Die Scrum-Revolution, Campus Verlag, Frankfurt / New York 2015, S. 38 ff. [17] Vgl. Knoll, M.: John Dewey`s Laboratory School in Chicago: Theory vs. Practice, conference paper 2016, unter: file: / / he111 173e005.emea1.cds.t-internal.com / a1 164 451$/ Home / Data / Artikel_ZukunftPM / ISCHE-2016LabSchoollongversiondewey_2016.pdf abgerufen am 09. 08. 2022. [18] Vgl. 27.461 Treffer für die Bezeichnung „Agiles Projektmanagement“ in der Job-Suchmaschine stepstone unter: https: / / www.stepstone.de / jobs / agiles-projektmanagement abgerufen am 09. 08. 2022. [19] Vgl. Hochschule Koblenz (Hrsg.): Ergebnisbericht: Status Quo (Scaled) Agile 2019 / 20: Mit 30 % richtet die Mehrheit der Befragten ihren klassischen PM-Ansatz an IPMA aus, S. 150. [20] Vgl. Hochschule Koblenz (Hrsg.): Ergebnisbericht: Status Quo (Scaled) Agile 2019 / 20: Für die Befragten hat Scrum die größte Bedeutung im Vergleich zu anderen agilen Ansätzen, S. 51. [21] Vgl. Sutherland, Jeff: Die Scrum-Revolution, Campus Verlag, Frankfurt / New York 2015, S. 170 ff. [22] Vgl. Dweck, C.: Selbstbild, 7. Auflage, Piper, München / Berlin 2016, S. 16 ff. [23] Bearing Point GmbH (Hrsg.): Wie agil ist ihr Unternehmen? , Frankfurt 2020, S. 17. [24] Bearing Point GmbH (Hrsg.): Wie agil ist ihr Unternehmen? , Frankfurt 2020, S. 17. [25] Vgl. Bearing Point GmbH (Hrsg.): Wie agil ist Ihre Organisation? Agilitätsstudie von Bearing Point, Frankfurt am Main 2020. [26] Vgl. Schreyögg, G.: Umwelt, Technologie und Organisationsstruktur, Haupt, Bern / Stuttgart 1978, S. 12 ff. [27] Bearing Point GmbH (Hrsg.): Doing Agile vs. Being Agile, Frankfurt am Main 2022, S. 7. [28] Vgl. Schein, E.: Organisationskultur, EHP, Bergisch Gladbach 2006, S. 31 ff. [29] Zitiert nach: Argyris, C.; Schön, D. A.: Organizational Learning, 1996, S. 185: Leadership bedeutet: “the attitude and motivation to examine and manage culture.” Wissen | Die Zukunft des Projektmanagements 54 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0031 [30] Argyris, C.; Schön, D. A.: Organizational Learning, 1996, S. 187. [31] Vgl. Gelfand, M.: Rule Makers, rule Breakers, New York 2018, S. 55 f. [32] Vgl. Gelfand, M.: Rule Makers, rule Breakers, New York 2018, S. 170. [33] Vgl. Gelfand, M.: Rule Makers, rule Breakers, New York 2018, S. 174. [34] Vgl. Gelfand, M. et al.: Differences Between Tight and Loose Cultures: A 33-Nation Study; in science Vol. 332, 2011, S. 1100-1104; S. 1102 [35] Vgl. Gelfand, M.: Rule Makers, rule Breakers, New York 2018, S. 24 f. [36] Vgl. Gelfand, M.: Rule Makers, rule Breakers, New York 2018, S. 174. [37] Vgl. Welch, C.: “Secrets of the Whales” (National Geographic May 2021) [38] Vgl. Gelfand, M.: Rule Makers, rule Breakers, New York 2018, S. 175. [39] Vgl. Gelfand, M.: Rule Makers, rule Breakers, New York 2018, S. 167. [40] Harrrington, Jesse R.; Gelfand, M.: Tightness-Looseness across the 50 united states, PNAS, S. 7990-7995; S. 7993. [41] Vgl. Dweck, C.: Selbstbild, 7. Auflage, Piper, München / Berlin 2016. [42] Laut G. Broza ist mit einer agilen Kultur folgendes gemeint: „An agile culture in an organisation means it tolerates or welcomes ambiguity, makes viable plans despite incomplete information, and responds to changing conditions. As with “agility,” there`s no additional stipulation as to how this is achieved; however, saying it`s a “culture” means that acting this way is natural for organization. It`s just how it is.”: Broza, G.: Agile for non-software teams, Vanrage Media, 2019, S. 22. Diese Einschätzung lässt sich auch aus den Ergebnissen der unter Federführung der Hochschule Koblenz jeweils in den Jahren 2012, 2014, 2016 sowie 2019 / 2020 durchgeführte Studie zum Stand der Einführung agiler Ansätze ableiten: Danach besteht ein Zusammenhang zwischen Wandel und Agilität: vgl. Hochschule Koblenz (Hrsg.): Ergebnisbericht: Status Quo (Scaled) Agile 2019 / 20. [43] Gelfand, M.: Rule Makers, rule Breakers, New York 2018, S. 164. [44] Gelfand, M.: Rule Makers, rule Breakers, New York 2018, S. 160. [45] Gelfand, M.: Rule Makers, rule Breakers, New York 2018, S. 159. [46] Gelfand, M.: Rule Makers, rule Breakers, New York 2018, S. 159 f. [47] Gelfand, M.: Rule Makers, rule Breakers, New York 2018, S. 160., vgl. auch das OODA-Konzept von Boyd: Sutherland, J.: Die Scrum-Revolution, Campus Verlag, Frankfurt / New York 2015, S. 170 ff. [48] Gelfand, M.: Rule Makers, Rule Breakers, New York 2018, S. 160. [49] Vgl. Grant, A.: Originals, Penguin Random House, London 2017, S. 249 f. [50] Gelfand, M.: Rule Makers, Rule Breakers, New York 2018, S. 164. Dr. Christoph Richter Herr Dr. Christoph Richter studierte Verwaltungswirtschaft, Wirtschaftswissenschaften und Bildungswissenschaften. Er hat unterschiedliche Managementfunktionen insbesondere im Controlling- und HR-Bereich wahrgenommen. Seit langer Zeit ist er nebenberuflich und zeitweise auch hauptberuflich als Dozent u. a. für nachhaltige Unternehmensführung tätig. Aktuell arbeitet er als Senior Experte für Placement Beratung bei der Deutschen Telekom AG. Deutsche Telekom AG Telekom Placement Services Dr. Christoph Richter Business Projects Sürther Str. 168, 50 321 Brühl Telefon +492 232 579 892 864 E-Mail christoph.richter@telekom.de [51] Gelfand, M.: Rule Makers, rule Breakers, New York 2018, S. 164. [52] Gelfand, M.: Rule Makers, rule Breakers, New York 2018, S. 161. [53] Gelfand, M.: Rule Makers, rule Breakers, New York 2018, S. 163. [54] Gelfand, M.: Rule Makers, rule Breakers, New York 2018, S. 163. [55] Vgl. Shenar, A. J.; Dvir, D.: Reinventing Project Management, Harvard Business School Press, Boston 2007, S. 40 ff. [56] Vgl. auch Schelle, H.: Projektklassifikationen und Handlungsempfehlungen für das Projektmanagement, 2014 unter: https: / / www.gpm-blog.de / projektklassifikationenund-handlungsempfehlungen-fur-das-projektmanagement/ , abgerufen am 03. 08. 2022. [57] in Anlehnung an: Shenar, A. J.; Dvir, D.: Reinventing Project Management, Harvard Business School Press, Boston 2007, S. 47. [58] Vgl. Shenar, A. J.; Dvir, D.: Reinventing Project Management, Harvard Business School Press, Boston 2007, S. 161 ff. [59] Vgl. Shenar, A. J.; Dvir, D.: Reinventing Project Management, Harvard Business School Press, Boston 2007, S. 176 ff. [60] Vgl. Miller, J. mit Türec, Ö. und Sahin, U.: Projekt Lightspeed, 2021. [61] Vgl. Schwaber K.; Sutherland, J.: The Scrum Guide, 2020, S. 4. [62]Unter: https: / / www.pei.de/ DE/ service/ faq/ coronavirus/ faqcoronavirus-no-de.html; jsessionid=1E46788C3D4DDD C 3 E 3 0 D B 0 AC F 4 6 4 6 7 D 6 .intra n et2 3 2 ? c m s _ a ctiv e FAQ=206 922&cms_tabcounter=0#anchor_206 922, abgerufen am 14. 07. 2022. Eingangsabbildung: iStock.com / Nuthawut Somsuk 55 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0032 Lean Project Management Warum Sie sich in Projekten mehr um Misserfolgsfaktoren kümmern sollten Rainer Erne, Claus Hüsselmann, Stefanie Langhardt Für eilige Leser | Die erfolgreiche Zielerreichung von Projekten hängt in erheblichem Ausmaß von der Vermeidung von Verschwendung ab. Diese findet allerdings oftmals unter dem Radar der Projektarbeit statt, so dass im Streben danach, Projekte erfolgreich zu machen, eher unterschwellige Faktoren, wie bspw. Warten auf Zulieferungen oder Suchen nach Informationen, außer Acht gelassen werden. Solche Misserfolgsfaktoren werden im Lean Management als Verschwendung bezeichnet, da sie keinen Beitrag zur Wertschöpfung leisten. Mit Lean Project Management liegt ein konzeptioneller Ansatz vor, mit dem Verschwendung identifiziert und mit Hilfe bewährter Prinzipien und Praktiken vermieden werden kann. In dem Beitrag werden in einem ersten Teil anhand zweier Fallbeispiele grundsätzliche Hinweise auf Verschwendung in Projekten gezeigt. In einem zweiten Teil wird ein Ansatz vorgestellt, mit dem Verschwendung systematisch identifiziert und eliminiert werden kann. Anhand des „Project Management Waste Index“ ist eine Analyse über die hauptsächlichen Verschwendungsarten in Projekten möglich und damit der Hebel für die Vermeidung bestimmter Störfaktoren gefunden. Schlagwörter | Lean Project Management, Verschwendung, Project Management Waste Index, Studie, Fallbeispiel Verschwendung: Der verborgene Misserfolgsfaktor in Projekten In Theorie und Praxis des Projektmanagements (PM) ist seit längerer Zeit die Diskussion im Gange, wie Erfolg von Projekten und PM definiert und gemessen werden kann [1] [2]. Klassischerweise wird das Magische Dreieck verwendet, d. h. die Plantreue von Projekten in Bezug auf die vereinbarte Qualität, die geplanten Termine und Kosten [3] [4] [5]. Da jedoch Qualität ein multivariables, sich veränderndes und oft subjektives Konzept darstellt, wird oft zusätzlich oder alternativ der Faktor Kundenzufriedenheit hinzugenommen [6]. Dabei ist jedoch nicht immer definiert, wer genau als Kunde wahrgenommen wird (Auftraggeber oder Nutzer des Projektergebnisses) und ob nicht die Zufriedenheit weiterer Stakeholder ebenso entscheidend ist [7] [8] [9] [10]. Zuweilen wird auch versucht, die Komplexität dieser Fragestellungen zu reduzieren, indem Projekterfolg auf die Erreichung finanzwirtschaftlicher Kennzahlen, wie Rentabilitätsgrößen, Earned Value-Metriken oder Kosten-Nutzen-Indikatoren, reduziert wird [11]. Was in dieser Diskussion um adäquate Erfolgsfaktoren übersehen wird, sind versteckte Misserfolgsfaktoren, die nur indirekte Auswirkungen auf den Projekterfolg am Ende haben. Dazu gehören unter anderem übermäßiges Warten auf Zulieferungen oder Informationen, lange und ergebnislose Projektbesprechungen, vergebliches Suchen nach benötigten Informationen, fehlende Kompetenzen zur richtigen Zeit oder mangelnde Dokumentation von Projektergebnissen, was im weiteren Verlauf zu unnötigen Aufwänden führt. In der Tradition des Lean Thinking bezeichnen wir diese Faktoren als Verschwendung (Abb. 1). Gemeint sind damit alle Handlungen und Ereignisse in einem Projekt, die nicht entweder einen direkten oder wenigstens einen indirekten Beitrag zur Erstellung des Projektergebnisses liefern und deshalb ohne Verlust eliminiert werden können und müssen [12] [13]. Verschwendungen in Projekten haben die Eigenart, dass sie meist unidentifiziert bleiben, da Nicht-Lieferungen, Nicht- Wissen | Warum Sie sich in Projekten mehr um Misserfolgsfaktoren kümmern sollten 56 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0032 Freigaben, unnötige Korrekturen und / oder mangelhafte Ressourcenausstattungen in vielen Organisationen als selbstverständliches Kulturmerkmal hingenommen werden: „So ist das eben bei uns, es war noch nie anders“ [14]. Die implizite Akzeptanz vieler Verschwendungen im PM lassen die Hypothese zu, dass darin möglicherweise eine Ursache für „die Luft nach oben“ in der Performance vieler Projekte liegt, wie aktuelle Studien wiederholt aufzeigen [15] [16]. Der vorliegende Beitrag schildert zwei Fallbeispiele: Zunächst wird anhand eines realen Projektes gezeigt, wie Verschwendungen bei funktionierenden Lernprozessen im Projekt identifiziert und minimiert werden. Dieses Fallbeispiel dient dann u. a. als Ansatzpunkt, um ein Verfahren vorzustellen, durch das Verschwendungen vollständiger, systematischer und schneller identifiziert und minimiert werden können − hier als spezifischer Ansatz für Lean PM. Dessen praktische Umsetzung wird ebenfalls im Folgebeitrag anhand eines weiteren Fallbeispiels gezeigt. Fallbeispiel 1: Identifikation und Minimierung von Verschwendung in Projekten durch Lernprozesse Im ersten Fallbeispiel handelt es sich um ein Projekt zur deutschlandweiten Einführung eines Personalverwaltungssystems (PVS) [10]. Das PVS sollte auf Basis von SAP HCM eingeführt werden. Neben dem Bundesministerium als oberste „Konzern-Ebene“ gehörte dazu auch das zugehörige Ressort in der Fläche mit mehreren Hundert Dienststellen in ganz Deutschland und insgesamt ca. 30.000 Mitarbeitern. Nach einer Aufwands- und Machbarkeitsstudie einschließlich Prototyprealisierung, Geschäftsprozessanalyse, Datenkonsolidierung und Wirtschaftlichkeitsberechnung folgte die Pilotierung von drei Dienststellen, in denen SAP zunächst implementiert und der Scope mit Altdatenübernahme und Schnittstellen realisiert wurde. In weiteren Projektabschnitten erfolgte der zweistufige Rollout in 16 bzw. 49 weiteren Behörden des Ressorts an ca. 200 Standorten mit 140 Anwendungsbetreuern, 1.300 Fach- und 900 weiteren Anwendern. Das Projekt präsentierte sich entsprechend mit den durchaus typischen Anforderungen: • Planungssicherheit über relativ langen Zeitraum, • Punktgenaue Verfügbarkeit von Mitarbeitern des Fachbereichs, die nicht im Kernteam sind, ausreichende Verfügbarkeit von Mitarbeitern im Kernteam, • Vielzahl der fachlichen Anforderungen, Aufgaben und Mitarbeiter im Projekt, • Notwendigkeit der Effizienzsteigerung durch Lernkurve, Zeitnot, Terminverpflichtungen etc. Bei einer Teamgröße von 25-45 Mitarbeitern im Kernteam und darüber hinaus einer Vielzahl temporär Mitwirkender waren unter diesen Rahmenbedingungen eine Reihe von Herausforderungen zu bewältigen. Auf einer generischen Ebene zeigten sich diese wie folgt: 1. Im Verlauf des ersten Projektabschnitts (Realisierung & Pilotierung) kam es zu massiven Friktionen im Projekt. Diese mündeten sogar in der konkreten Abwägung eines Projektabbruchs mit vertraglicher Rückabwicklung. Als Gründe hierfür konnten-- neben der vorhandenen, vermutlich von allen Beteiligten unterschätzten fachlichen Komplexität- - einige kulturelle Faktoren in der organisationsübergreifenden Zusammensetzung des Teams identifiziert werden. 2. Das Projekt PVS lieferte außerdem gleich zu Beginn ein Musterbeispiel für die Unproduktivität von Verschwendung in den PM-Prozessen. So forderte der Projektleiter als Reaktion auf die immer schwieriger werdende Situation im Projekt eine erhöhte Taktung im Berichtswesen. Um die daraus resultierende Informationsmenge zu bewältigen, wurde sogar ein Assistent zur Aufbereitung der nun wöchentlich einlaufenden Statusberichte eingestellt. Mit dem Ergebnis, dass die Lage des Projekts nur noch schlechter wurde, da das PM aus der Informationsflut keinerlei Mehrwert erzielen konnte. Zusätzlich war die Zeit der Berichtenden gebunden, statt sich auf ihre produktive Arbeit zu konzentrieren. 3. Weiter stellten die Entscheidungsprozesse innerhalb der Organisation eine Herausforderung dar. Diese sind in einer Verwaltung geprägt von Mitzeichnungsvorgängen, die auf Basis eher weit als knapp gefasster Vorlagen in sequenziellen Umlauf gebracht werden. Rückschleifen und unerwartete Verzögerungen sind vorprogrammiert. 4. Einer der gravierendsten Bereiche von Verschwendung waren die per Projektauftrag fixierten Systemauswertungen. Vertraglich fixiert waren rund 200 Auswertungen aus dem SAP-System (Reports) im Kontext der Personalverwaltung. Ca. ein Jahr nach Produktivstart musste festgestellt werden, dass nur rund 30 dieser Auswertungen in dem Zeitraum überhaupt einmal aufgerufen, also tatsächlich benötigt wurden. Leitbild Um überhaupt zu einem einheitlichen Verständnis im Miteinander und der gemeinsamen Zielsetzung zu kommen, wurde schließlich unter anderem ein von allen Beteiligten akzeptiertes Projektleitbild entwickelt (siehe Abb. 2). Dessen Postulate muten teilweise wie Auszüge aus dem agilen Manifest an, das in seiner Grundlage Elemente aus Lean formuliert. Abbildung 1: Gegenstand des Lean Project Management: Verschwendung Typ II (in Anlehnung an [12]) Wissen | Warum Sie sich in Projekten mehr um Misserfolgsfaktoren kümmern sollten 57 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0032 Flussprinzip Zweitens wurde das hochfrequente, papiergestützte Berichtswesen abgeschafft, die Kommunikationsstrukturen zielgerichtet und persönlich ausgestaltet, die Aufgabenverteilung im und mit dem gesamten Team überarbeitet. Mit den vorhandenen Entscheidungsstrukturen in der Verwaltung einen Prozessfluss zu ermöglichen, war unmöglich. Folglich wurde ein gesondertes Vorgehen etabliert. Dazu gehörte die Übernahme und Delegation von Entscheidungsverantwortung im und für das Projekt. Wo zunächst in klassischer Weise ein Lenkungsausschuss etabliert war, wurde ein sog. Kleiner Lenkungskreis , KLK, mit Entscheidungskompetenz gebildet. Dieser bestand aus kaufmännisch verantwortlichen Managern der Auftragnehmer- und Auftraggeberseite sowie der jeweiligen operativen Projektmanager und tagte in engen Abständen bzw. ad hoc, um Entscheidungen übergeordneter Bedeutung kurzfristig zu fällen. Das verbesserte den Entscheidungsfluss signifikant und der turnusmäßige Lenkungsausschuss konnte wiederum mit Ergebnissen aus dem dadurch Gelernten arbeiten. Timeboxing Um eine maximale Planungssicherheit für die Teams vor Ort auf Monate hinaus zu erreichen, wurden 6-wöchige Projektphasen (vergleichbar Sprints) nach einem fixen prozeduralen Schema durchgeführt, das in Abb. 3 zu erkennen ist. Neben der Effizienzsteigerung („Zeit vor Vollständigkeit“) erwies sich als großer Vorteil dieser Maßnahme, dass die dezentralen Standortmitarbeiter, die nur temporär in das Projekt einzubinden waren, über Wochen und Monate hinaus ihre Anwesenheit inkl. Vertretungsregelung verbindlich planen und somit die Aufgabenbearbeitung zeitgerecht gewährleisten konnten. Weiter wurden auf mehreren Ebenen standardisierte Regelmeetings eingeführt. Ziel war, die Kommunikation innerhalb des Projekts sicherzustellen und einen zielgerichteten Austausch zu etablieren. So fanden zum Beispiel alle drei Wochen zentrale Arbeitstreffen der Kernteams mit den Teams vor Ort statt, wodurch ein standardisierter Austausch zu Vorgehen und Lösung (vergleichbar Retrospektive bzw. Review) ermöglicht wurde und ein ständiger Lessons-Learned-Prozess etabliert war („Know-how-Transfer“). Die Strukturierung, Standardisierung und Taktung von Jour fixes wurde kaskadierend auf mehreren Ebenen im Projekt eingeführt. Dadurch war es möglich, dass wirklich nur die Personen an den Treffen bzw. dem entsprechenden Teil des Meetings teilnehmen konnten, die tatsächlich einen Beitrag zu den Themen liefern konnten bzw. für die die Informationen einen Mehrwert bedeutete. Eine signifikante Verschwendung von Arbeitszeit (und Geduld) konnte durch die klare Strukturierung und das konsequente Timeboxing somit vermieden werden. Abbildung 2: Projektleitbild PVS Abbildung 3: Dienststellenintegration in Sprints Wissen | Warum Sie sich in Projekten mehr um Misserfolgsfaktoren kümmern sollten 58 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0032 Reduzierung von Multitasking Gravierenden Einfluss auf die Rahmenbedingungen des Projekts hatte hier die grundlegende Umstellung des relevanten Tarifwerks während der Laufzeit. Eine Nutzwertanalyse verschiedener Alternativen führte zu der Entscheidung, dass das neue Tarifwerk in Form des Einschubs (PVS 2.0) eines neuen Projektabschnitts erfolgen sollte. Auf diese Weise konnte die Komplexität reduziert sowie schädliches Multitasking vermieden werden, weil der Fokus in sequenzieller Folge auf die jeweiligen Aufgabenstellungen gelegt wurde. Zusammenfassung Flussprinzip, Timeboxing sowie die Reduzierung von Multitasking waren in dem Fallbeispiel Maßnahmen, um Verschwendungen wie Projektbürokratie, unklare oder ungünstige Verantwortlichkeiten und unnötige Anforderungen durch Lern- und Optimierungsprozesse im Projekt zu minimieren. Diese Lernprozesse können im Hinblick auf Verschwendungen systematisiert und beschleunigt werden. Lean Project Management: Ein Konzept zur systematischen und schnellen Identifizierung und Minimierung von Verschwendungen Auf der Basis ähnlicher Erfahrungen wie diejenigen, die in dem exemplarischen Fall genannt wurden, haben die Autoren in den letzten Jahren ein Konzept zur systematischeren und beschleunigten Identifikation und Minimierung von Verschwendung entwickelt und angewendet. Dabei nutzten sie die aus dem Lean Management bekannten und bewährten Prinzipien und Methoden [10] [17] [18]. Der Ansatz kann unabhängig von der gewählten Vorgehensweise (klassisch, agil, hybrid) und der Projektphase angewendet werden. Diese Vorgehensweise besteht aus drei Phasen: Identifikation & Priorisierung, Ursachenanalyse sowie Eliminierung bzw. Minimierung von Verschwendung (Abb. 4). Identifikation und Priorisierung von Verschwendung Analog zu den Verschwendungsarten im Toyota Production System lassen sich auf der Basis von empirischen Studien auch typische Verschwendungen im PM identifizieren [10]: Warten: Ein klassisches Symptom der Verschwendung ist das Warten, sei es auf Zulieferungen anderer, auf erforderliche Informationen oder auf Entscheidungen. Überbearbeitung: Überbearbeitung kann in Form von überflüssigen Anforderungen an Ergebnisse oder Prozesse, in Form von unnötigen Ergebnissen und / oder in Form von „Information Overload“ vorkommen, welcher die wirklich relevanten Informationen verdeckt. Unterbearbeitung: Die Verschwendungsart Unterbearbeitung kann das oberflächliche Abarbeiten von Aufgabenlisten, die unzureichende Dokumentation von Arbeit und / oder ein „Zu wenig“ an Information und Kommunikation bezeichnen. Fehler: Verschwendung durch Fehler kann bedeuten, dass im Projekt gar nicht klar ist, was ein Fehler (und was ein Feature) ist, dass eindeutige Fehler aus unterschiedlichen Gründen einfach ignoriert werden und / oder dass auf Basis fehlerhafter Informationen gearbeitet wird. Unnötige Bewegung: Unnötige Bewegung kann sich physisch auf überflüssiges Reisen oder Transporte von Gütern beziehen, aber auch immateriell auf unnötige Änderungen im Projekt oder häufige Arbeitsunterbrechungen, die Task Switching nach sich ziehen. Fehlallokation: Fehlallokation kann- - quantitativ- - das Fehlen von personellen, physischen oder finanziellen Ressourcen und / oder- - qualitativ- - das Vermissen der erforderlichen Kompetenzen zur richtigen Zeit am richtigen Ort umfassen. Fehlweisung: Fehlweisung liegt dann vor, wenn der Nutzen für die Projektkunden unklar ist, keine klaren Projektprioritäten allen bekannt sind und / oder Verantwortlichkeiten für Arbeitspakete diffus sind. Das Ausmaß dieser sieben Verschwendungsarten in einem Projekt lässt sich anhand des „Project Management Waste Index“ messen. Dieser zeigt zum einen das Ausmaß der Verschwendung insgesamt, zum anderen gibt er Aufschluss darüber, in welchen Bereichen das größte Ausmaß an Verschwendung stattfindet. Wie dieser Index ermittelt wird und über welches Vorgehen Projekte effizient „entschlackt“ werden können, erfahren Sie in der nächsten Ausgabe der PM- Aktuell. Literatur [1] Jugdev, K./ Müller, R.: A retrospective look at our evolving understanding of project success. Project Management Journal, 36(4) (2005), S. 19-31 Abbildung 4: Vorgehensweise im Lean PM Wissen | Warum Sie sich in Projekten mehr um Misserfolgsfaktoren kümmern sollten 59 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0032 [2] Ika, L. A.: Project success as a topic in Project Management Journals: a brief history. Project Management Journal, 40(4) (2009), S. 6-19 [3] Gray, R.: Organizational climate and project success. International Journal of Project Management, 19 (2) (2001), S. 103-109 [4] White, D./ Fortune, J.: Current practice in project management: an empirical study. International Journal of Project Management, 20 (2) (2002), S. 1-11 [5] Dvir, D./ Raz, T./ Shenhar, A.: An empirical analysis of the relationship between project planning and project success. International Journal of Project Management, 21 (2) (2003), S. 89-95 [6] Baker, B. N./ Murphy, D. C./ Fisher, D.: Factors affecting project success. In: Cleland DI, King WR (eds.) Project management handbook, Van Nostrand Reinhold, New York 1974, S. 902-919 [7] Baccarini, D: The logical framework method for defining project success. Project Management Journal,30(4) (1999), S. 25-32 [8] Atkinson, R.: Project management: cost, time and quality, two best guesses and a phenomenon, its time to accept other success criteria. International Journal of Project Management, 17(6) (1999), S. 337-342 [9] Davis, K.: Different stakeholder groups and their perceptions of project success. International Journal of Project Management, 32(2) (2014), S. 189-201 [10] Hüsselmann, C.: Lean Project Management. Hybride Methode wertschöpfend anwenden. Schäffer-Poeschel-Verlag, Stuttgart 2021 [11] Thomas, J./ Delisle, C. L./ Jugdev, K.: Selling Project Management to Senior Executives. Project Management Institute, Newtown Square 2002 [12] Womack, J. P./ Jones, D. T.: Lean Thinking: banish waste and create wealth in your corporation, New York 1996. [13] Ohno, T.: Toyota production system: beyond large-scale production, Cambridge 1989 [14] Love, P. E. D. et al.: From Quality-I to Quality-II: cultivating an error culture to sup-port Lean thinking and rework mitigation in infrastructure projects. Production Planning & Control, August (2021), 1-18. [15] PMI: Pulse of the Profession 2021: Beyond Agility, Project Management Institute. Newton Square 2021 [16] Standish Group: CHAOS 2020: beyond infinity. Standish Group International, 2021 [17] Erne, R.: Lean Project Management-- Wie man den Lean- Gedanken im Projektmanagement einsetzen kann. Springer Gabler. Berlin, Heidelberg 2019 [18] Erne, R./ Hüsselmann, C./ Langhardt, S.: Studie zum Project Management Waste Index. Bericht, WI-[Report] Nr. 014, Friedberg, THM 2021 Prof. Dr. Rainer Erne Prof. Dr. Rainer Erne ist mit den Themenschwerpunkten (Nachhaltiges) Produkt-, Prozess- und Projektmanagement an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen tätig. Davor war er über 15 Jahre lang für IBM Global Services, Vector Consulting sowie der Bosch-Gruppe im Unternehmensbereich Automotive tätig. eMail: rainer.erne@idp-lab.org Prof. Dr. Claus Hüsselmann Prof. Dr. Claus Hüsselmann wirkte nach Studium der Technomathematik als leitender Entwickler in einem SAP-Systemhaus. Bei Scheer verantwortete er anschließend mehrere (Groß-) Projekte, den Bereich Project Operations & Risk Control sowie den Geschäftsbereich Project Performance Management. Seine Schwerpunkte an der TH Mittelhessen umfassen u. a. das Multiprojektmanagement sowie hybride PM-Ansätze. eMail: claus.huesselmann@wi.thm.de Stefanie Langhardt Stefanie Langhardt, Dipl. Betriebswirtin (FH), M. A., ist Consultant und Projektmanagerin im Bereich Organisationsentwicklung und Transformation unter anderem im Kontext von M&A-, Change- und Restrukturierungsprojekten. Zertifiziert nach IPMA und SAFe sowie im Business Coaching ausgebildet, engagiert sie sich in Projekten für schlanke Prozesse sowie wertschätzendes Miteinander. eMail: stefanie.langhardt@langhardt.org Eingangsabbildung: © iStock.com / oatawa 60 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0033 Was die integrierte Projektallianz zum Game Changer macht Einer für alle, alle für einen Mentz-Christoph Rehder, Projektleiter, Actemium Hamburg Für eilige Leser | Ist die Zusammenarbeit auf Basis bilateraler Vertragsmodelle noch zeitgemäß? Das Modell der integrierten Projektallianz (IPA) stellt eine Alternative dar, deren Vorteile nicht nur in der Theorie, sondern gerade in der Praxis sichtbar werden. Schlagwörter | Kattwykbrücke, IPA, iPAK5, Projektorganisation, LEAN-Methode, Best-Planer-System, Großprojekte Einleitung Vom BER bis zur Elbphilharmonie: Die Baubranche hat sich in den vergangenen Jahren bei einigen Großprojekten leider nicht mit Ruhm bekleckert. Das hatte verschiedene Ursachen. Eine davon liegt in den traditionellen bilateralen Vertragsmodellen. Diese können etwa dazu führen, dass Projektbeteiligte sich bezüglich der Risiken und Verantwortlichkeiten nur an ihren spezifischen Leistungsumfang gebunden fühlen. In der Folge kann es passieren, dass die konstruktive Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Projektbeteiligten und Gewerken häufig nur eine untergeordnete Rolle im Projektmanagement spielt-- jeder ist sich selbst der Nächste. Doch es gibt ein Alternativmodell, das in Ländern wie Finnland oder Australien schon länger angewandt wird und mit dem Projekt „Kattwykbrücke“ ein prominentes wie erfolgreiches praktisches Beispiel in Deutschland liefert: die integrierte Projektallianz (IPA). In diesem Fall kam das Modell erstmals bei einem Bauprojekt eines öffentlichen Auftraggebers in Form der Hamburg Port Authority (HPA) zum Tragen. Ob beim Bauherrn, Planer / Architekten oder den verschiedenen beteiligten Bauunternehmen: Wie es mittels vielfältiger Methoden, Werkzeuge und in unterschiedlichen Prozessen gelang, die einzelnen Verantwortlichen für das Projektmanagement nach dem Grundsatz „Best for Project“ an einem Strang ziehen zu lassen, zeigt der folgende Beitrag. Auswahl eines Pilotprojekts Inspiriert durch Beispiele partnerschaftlicher Projektabwicklung in Ländern wie Australien und Finnland reifte bei der Hamburg Port Authority (HPA) die Idee, als Akteur im Bereich öffentlicher Bauvorhaben die Position eines „First Mover“ einzunehmen. Dazu suchte die HPA ein Bauvorhaben, das sich für ein erstes IPA-Pilotprojekt eignen würde. Als Anstalt des öffentlichen Rechts ist sie für das Management aller behördlichen Belange des Hamburger Hafens zuständig. Dazu gehören unter anderem das Immobilienmanagement, die Sicherheit des Schiffsverkehrs sowie die wasser- und landseitige Infrastruktur. Letztere umfasst etwa die 1973 fertiggestellte Kattwykbrücke (KWB)- - eine bimodale Hubbrücke, die abwechselnd den Straßen- und Zugverkehr über die Süderelbe ermöglicht. Unter Berücksichtigung von fünf Auswahlkriterien (Beginn des Ausführungszeitraums im Jahr 2021, Projektkosten von ca. 20 bis 30 Mio. Euro, hohe technische und baubetriebliche Komplexität, Möglichkeit mehrerer Ausführungsvarianten, hohes Innovationspotenzial) fiel schließlich die Entscheidung für die alte Kattwykbrücke einschließlich der angrenzenden Infrastruktur- und Hochwasserschutzbereiche. Grundlegende Projektanforderungen In einem vorangehenden Projekt wurde parallel zur alten bimodalen Brücke die neue Bahnbrücke Kattwyk (NBK) errichtet-- ebenfalls eine Hubbrücke, die, wie der Name schon sagt, neben dem Schiffsnur den Bahnverkehr über die Süderelbe ermöglicht. Im Zuge der Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen des IPA-Pilotprojekts sollte die Brücke aus den 1970er Jahren zur hubfähigen reinen Straßenbrücke umgebaut werden. Grundlegend war dabei die strukturelle Ertüchtigung des Brückenbauwerks, um einen ordnungsgemäßen Betrieb bis mindestens 2035 zu ermöglichen. Zu den Projekt- Wissen | Einer für alle, alle für einen 61 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0033 anforderungen gehörte außerdem die Erneuerung der Steuerungs- und Antriebstechnik, die Verlagerung der Bedienung in einen für beide Brücken gemeinsam genutzten Leitstand und schließlich die Instandsetzung der angrenzenden Straßenbereiche und der zur Auffahrt dienenden Kattwykdammbrücke. Damit umfasste das IPA-Pilotprojekt insgesamt vier Teilprojekte und Gewerke: Grundinstandsetzung der KWB (Stahlbau), Erneuerung ihrer Elektro-, Mess-, Steuer- und Regeltechnik (EMSR) und Anschluss an den Leitstand der NKB, Harmonisierung des zur Brücke führenden Kattwykdamms (Tief- und Straßenbau, Leitungsbau und Entwässerungseinrichtungen) und schließlich die Instandsetzung der Kattwykdammbrücke (Stahlbetonbau). Bildung einer Allianz Im Vorfeld des Projektstarts führte zunächst die HPA als Auftraggeber ein zweistufiges und vergaberechtskonformes Verhandlungsbzw. Wettbewerbsverfahren durch. Es beinhaltete harte (Preiselemente) und weiche (u. a. Problem- und Konfliktlösungskompetenzen, Kooperationsfähigkeit, etc.) Wertungskriterien, die unmittelbar in der EU-weiten Ausschreibung kommuniziert wurden. Konkret hatten die Bewerber innerhalb eines Teilnehmerwettbewerbs ihre Fachkunde zu belegen, um anschließend mittels eines Verhandlungsverfahrens die Preis- und IPA-Befähigung zu unterstreichen. Eine Jury aus Vertretern der HPA sowie Arbeits- und Wirtschaftspsychologen bewertete die Kernteams der Projektbewerber dazu in Form eines Assessment-Centers anhand ihrer Haltung und Herangehensweise gegenüber der IPA-geprägten Vorgehensweise. Zur gleichen Zeit verhandelten alle Beteiligten einen Mehrparteienvertrag. Das Ergebnis war eine Partnerallianz, die im Zuge der Auswahl der HPA an den Start ging. Diese bestand aus der HPA als Auftraggeber / Bauherr, der Arcadis Germany GmbH als Generalplaner und den drei Baufirmen Actemium Cegelec Mitte GmbH (EMSR), Aug. Prien Bauunternehmung GmbH & Co. KG (Ingenieurbau) und Kemna Bau Andreae GmbH & Co. KG (Bau Verkehrsanlagen). Dem Mehrparteienvertrag Leben einhauchen Eine Idee ist nur so gut, wie man sie lebt-- das gilt gerade für einen echten Kulturwandel, der nur dann gelingt, wenn alle Beteiligten einen intrinsischen Willen für den Erfolg mitbringen. Zugleich braucht es aber auch einen klaren formellen Rahmen, der die Leitplanken bildet und Orientierung bietet. Oberstes Ziel einer integrierten Projektallianz ist es immerhin, dass alle Mitglieder stets nach dem Grundsatz „Best for Project“ handeln. Aus diesem Grund wurden unmittelbar nach dem Projektstart zunächst organisatorische und teambildende Maßnahmen geplant und durchgeführt. Dabei federführend war das Projektmanagement-Team (PMT), das auch in der Verantwortung stand, teamübergreifend, das heißt, nicht nur in den eigenen, sondern auch in den technischen Arbeitsteams (Project Implementation Teams, PITs) eine fruchtbare Teamkultur zu etablieren. Daneben trat die gegenseitige Verständigung auf fachlicher und sachlicher Ebene in den Fokus. Eine zentrale Rolle für die Verständigung zwischen den Teams und als Anlaufpunkt bei organisatorischen oder inhaltlichen Fragen zur Zusammenarbeit oder zu Arbeitsmethoden spielte eine Allianz-Coachin. Diese begleitete die Teams über die gesamte Zeit des Projekts hinweg. Zu den Maßnahmen gehörten unter anderem Workshops und Onboarding-Veranstaltungen, die den Teilnehmenden etwa die hinter dem IPAsowie dem LEAN-Construction-Modell stehende Philosophie näherbrachten. Zu letzterem zählt auch das sogenannte „Last Planner System“. Als Projektmanagement-Tool wurde es speziell für das Bauwesen entwickelt und soll dank Rückgriff auf einen fünfstufigen Ablaufplan und die besondere Einbeziehung des letzten Planers (bspw. Polier) zu mehr Zuverlässigkeit bei Prozessen führen. Die gemeinsamen kulturellen Werte, die das Projekt bestimmen sollten, spiegelten sich in einer dazu formulierten Projekt- Charta wider. Um unmittelbar zum Beginn eine „Silo-Bildung“ der einzelnen Gewerke zu verhindern und stattdessen den Gemeinschaftssinn zu stärken, initiierte das PMT eine erste Teambuildingmaßnahme: die Suche nach einem Projektnamen und einem Logo. Ergebnis war die Bezeichnung „iPAK5“, was für „integrierte Projekt Allianz Kattwyk mit 5 Partnern“ steht, und ein Logo mit Katzenkopf-- passend zur angestrebten Agilität. Abbildung 2: iPAK5-Logo mit Katzenkopf Abbildung 1: Die beiden Kattwykbrücken mit iPAK5-Logo; Quelle: Actemium Wissen | Einer für alle, alle für einen 62 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0033 Chancen und Risiken in der Projektplanung Als Teil der Planungsphase (Phase 1) bildete die Festlegung der Organisationsstruktur das Fundament, um Entscheidungen gemeinschaftlich (in den jeweiligen Arbeitsgruppen) und zugleich strukturiert (über alle Arbeitsgruppen hinweg) durchführen zu können. Konkret setzte sich die Projektorganisation aus den technischen Arbeitsteams (PIT), dem Projektmanagement Team (PMT) und einem Senior Management Team (SMT) zusammen. Aus dem PMT und den PITs wurden zudem Projekt Management Offices (PMOs) gebildet, die sich zum Projektstart allem voran mit der Risiko- und Chancenermittlung beschäftigten. Dabei konnten diese auf ein bereits etabliertes System der HPA zurückgreifen und mittels stochastischer Ansätze die Eintrittswahrscheinlichkeit und die damit verbundenen voraussichtlichen Konsequenzen für Chancen und Risiken im Voraus bewerten. Das Senior Management Team war neben der oberen Entscheidungsebene und der Schlichtung im Konfliktfall auch für das arbeitsgruppenübergreifende Coaching zuständig. Dazu zählte etwa die Schulung der Mitglieder des PMT und der PITs in Bezug auf die zur Anwendung kommenden LEAN-Arbeitsmethoden. Während im PMT und den PITs Entscheidungen mit Projektzielen jeweils nach dem Konsensprinzip getroffen wurden, erfolgte der Entscheidungsprozess im SMT nach dem Mehrheitsprinzip. Das IPA-Modell und die ICB4-Kompetenzbereiche Eine integrierte Projektallianz verfolgt das Ziel, bei komplexen Projekten mit mehreren beteiligten Gewerken Einzelinteressen (von Personen oder Organisationen) bestmöglich auszutarieren. Das gelingt zum einen durch die Bildung von verschiedenen Teams (s. o.). Zum anderen durch die Überschneidung von Aufgaben- und Verantwortungsbereichen zwischen den einzelnen Teammitgliedern und demzufolge den jeweils projektbeteiligten Gewerken. Damit wird nicht nur ein durchgehender Informationsaustausch sichergestellt. Durch die teils fließenden Übergänge zwischen Teams und Gewerken entstehen Interdependenzen bei allen anstehenden Entscheidungsprozessen. So lassen sich Alleingänge fast vollständig ausschließen. Die sich hierdurch ergebende Dynamik wirkt überschneidend auf die folgenden zwei der drei ICB4-Kompetenzbereiche (siehe Tabelle unten): Kontextkompetenzen („Perspective“) sowie persönliche und soziale Kompetenzen („People“). Der dritte Bereich „Practice“ spielt im Zusammenhang mit dem IPA-Modell nur eine untergeordnete Rolle. Die hier enthaltenen Qualifikationen und Kenntnisse („technische Abbildung 3: Organigramm der Projektteams ©Lumico, in Anlehnung an Haghsheno Abbildung 4: Gruppenfoto der iPAK5- Teammitglieder; Quelle: Lina Nguyen Fotografie Wissen | Einer für alle, alle für einen 63 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0033 Kompetenzbereiche Anforderungen der IPA (einzeln) Anforderungen der IPA (überschneidend) Kontextkompetenzen („Perspective“) - Strategie - Governance, Strukturen und Prozesse - Compliance, Standards und Regelungen - Macht und Interessen - Kultur und Werte - Workshops und andere teambildende Maßnahmen (u. a. gemeinsam verfasste Projekt-Charta zur Einigung auf gemeinsame kulturelle Werte) - Bildung von gemeinsamen Teams - Grundsatz „Best for Project“ - Vergabe von Positionen nach dem Prinzip „Best Person for the job“ (nicht nur nach Fachkenntnissen und Fähigkeiten) Persönliche und soziale Kompetenzen („People“) - Selbstreflexion und Selbstmanagement - Persönliche Integrität und Verlässlichkeit - Persönliche Kommunikation - Beziehungen und Engagement - Führung - Teamarbeit - Konflikte und Krisen - Ressourcenvielfalt - Verhandlungen - Ergebnisorientierung - Auswahl der Allianzpartner u. a. nach Problem- und Konfliktlösungskompetenzen - Zusammenarbeit in den gemeinsamen Teams ermöglicht neue Erfahrungen und Kenntnisse durch Kennenlernen von Kollegen aus anderen Fachbereichen und / oder Erfahrungen und Fähigkeiten Kompetenzen“) sind die (projektspezifischen) Grundlagen, um ein Projekt erfolgreich durchführen zu können. Die Gründe dafür sind vielfältig, haben immer wieder Schnittmengen mit beiden genannten Kompetenzbereichen und leiten allem voran im Bereich „People“ einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess ein. So waren bereits im Vorfeld des Projekts bei der Auswahl der Allianzpartner weiche Wertungskriterien (Problem- und Konfliktkompetenzen, Kooperationsfähigkeit), die Elemente im Kompetenzbereich „People“ umfassen, ausschlaggebend. Die folgende Tabelle stellt die Zusammenhänge und Auswirkungen zwischen den Anforderungen der integrierten Projektallianz und den ICB4-Kompetenzbereichen dar: Eine der ersten positiven Auswirkungen der integrierten Projektallianz zeigte sich zum Ende der Planungsphase bei der Vereinbarung auf einen gemeinsamen Zielpreis. Mittels LEAN-Methode „Target Value Design“ und unterstützt von der Allianz-Coachin gelang es den PITs, innerhalb von sechs Monaten aus dem funktionalen Leistungsprogramm das konkrete Bau-Soll zu entwickeln. Diese Iterations-Prozesse (die einzelnen Schritte der Planung von den Bauzielen zur machbaren Umsetzung) gipfelten schließlich darin, die Ergebnisse der zum Projektstart erfolgten Risiko- und Chancenanalyse neu zu bewerten, einzuordnen und zu ergänzen. Dabei arbeiteten die PITs jeweils in separaten Risiko-Tool-Dateien, die dann vom PMO „Risiken“ zusammengeführt wurden. Aus den Kosten der zur Zielerreichung erforderlichen Leistungen und der abschließenden Risiko- und Chancenbewertung ergab sich ein Zielpreis, der noch unter dem von der HPA vorgegebenen Budget lag. Alle zum Zielpreis führenden Zahlen wurden zudem in einer Gewinn-Risiko-Tabelle zusammengefasst, die während der Bauphase (Phase 2) als Controllinginstrument zum regelmäßigen Soll-/ Ist-Abgleich diente. Einblick in die Ausführung nach dem IPA-Modell Für die Bauphase, die wiederum aus vier Phasen bestand, wurden rund neun Monate veranschlagt. • Richtungsverkehr mit beweglichem Hubfeld (vier Monate) • Entschichtungs- und Asphaltfräsarbeiten • Herstellung der neuen Schrammborde als Leit- und Sicherheitseinrichtung • Säuberung der kompletten Brückenunterseite • Vollsperrung mit beweglichem Hubfeld (zwei Monate) -- Herstellung neuer Kabelwege auf der Ostseite • Errichtung neuer Betriebsmittelräume • Montage der EMSR-Technik, größtenteils parallel zum laufenden Betrieb • Korrosionsschutzarbeiten auf den stählernen Fahrbahnblechen im Bereich Hubfeld • Neue Asphaltierung im Bereich Hubfeld • Vollsperrung mit Hubfeld in oberer Etage (zwei Monate) • Abschaltung und Demontage der alten Energie- und Steuerungstechnik • Umbauarbeiten an den Motoren in den Maschinenhäusern • Montage der Notleitern an den Nordpylonen • Verkehrswegebau: Abbruch und Entwässerungsarbeiten auf beiden Landseiten der Brücke • Korrosionsschutzarbeiten auf den stählernen Fahrbahnblechen auf den Vorlandbrücken • Verkürzung der Vorlandbrücken um jeweils etwa 15 cm und Ausstattung mit neuen Endblechen • Einbau neuer Lamellenfahrbahnübergänge • Asphaltierung beider Vorlandbrücken • Vollsperrung mit beweglichem Hubfeld (ein Monat) • Inbetriebnahme und Testfahrten der EMSR-Technik Wissen | Einer für alle, alle für einen 64 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0033 • Erweiterung des Steuerstands der Neuen Bahnbrücke Kattwyk, um über diese auch die Bedienung der Kattwykbrücke durchführen zu können Die in der Planungsphase entwickelte Organisation der Projektteams war auch während der vier Bauphasen maßgebend für die Koordination untereinander. Dabei wendeten die Teams durchgehend die LEAN-Methode des Last-Planer- Systems (s. o.) an, um die Terminplanung kollaborativ zu gestalten. Das half dabei, sich teamübergreifend und aktiv unterstützt durch die Allianz-Coachin über Inhalte von Meilensteinen, andere wichtige Zusammenhänge und Interdependenzen zwischen allen Allianz-Partnern zu verständigen. Konkret dazu beigetragen haben wöchentliche Abstimmungen vor einem Last-Planner-Board, bei dem konstruktive Ideen zur Optimierung von Abläufen eingebracht wurden. So konnten die Teams gemeinsam sehr dynamisch auf Situationen wie schlechte Wetterbedingungen oder Änderungen im Bestand reagieren, um im Soll der Rahmentermine zu bleiben. Hierzu gehören auch die besonderen Herausforderungen, die sich während des Projekts durch die Corona-Pandemie ergaben. Im Zuge von Lockdowns und Kontaktbeschränkungen kam es immer wieder zu Verzögerungen. So musste etwa Ende 2020 die Zusammenarbeit vor Ort komplett eingestellt und auf digitalem Wege etabliert werden. Zum einen durch die teamübergreifende Abstimmung und Anpassung von Schutz- und Hygienemaßnahmen und zum anderen durch die in den ersten Monaten der Planungsphase teambildenden Maßnahmen konnten die pandemiebedingten Einschränkungen insgesamt gut abgefedert werden. Das IPA-Modell hat sich auch in dieser Hinsicht als vorteilhaft erwiesen: vom zuvor aufgebauten Gemeinschaftsgefühl über alle beteiligten Gewerke hinweg über die Organisations- und Entscheidungsstrukturen innerhalb und zwischen den Teams (SMT, PMT, PITs und PMOs) bis hin zur dadurch bedingten gegenseitigen Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse aller Allianz-Partner. Fazit und Ausblick In nur 18 Monaten Planungs- und Bauzeit schloss die Partnerallianz das Projekt „Kattywkbrücke“ mit der Verkehrsfreigabe erfolgreich und termingerecht ab. Nach dieser hatte das Projekt noch einen Nachlauf bis zur Schlussrechnung von ca. zehn Monaten. In der Zeit wurde die Montage der Dalben (im Kanal eingerammte Pfähle zur Markierung der Fahrrinne) durchgeführt sowie Restpunkte im Bereich Korrosionsschutz, EMSR und die Bestandsdokumentation fertiggestellt. Dabei stellte sich der teambildende Aufwand im Zuge des IPA-Modells im Vorfeld des eigentlichen Projektstarts als klug investierte Zeit heraus-- insbesondere unter den ungewöhnlichen Bedingungen der Corona-Pandemie. Ein Mehrparteienvertrag, der nicht nur die Elemente Ökonomie, Projektkultur, Organisation und Arbeitsmethoden beinhaltet, sondern auch über ein gemeinschaftlich erarbeitetes und ausformuliertes Wertesystem in Form einer Projekt-Charta verfügt, bildet sowohl ein Fundament als auch einen Rahmen für die Zusammenarbeit in Großprojekten. Zugleich ist innerhalb und Abbildung 5: Beide Hubbrücken werden aus einem einzigen Leitstand heraus gesteuert und überwacht; Quelle: Actemium Abbildung 6: Blick von oben auf die modernisierte Kattwykbrücke (links) und die neue Bahnbrücke Kattwyk (rechts); Quelle: Actemium Wissen | Einer für alle, alle für einen 65 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0033 zwischen den einzelnen Teams kontinuierlich an der Kompromiss- und Konsensfähigkeit stets mit Blick auf das eigentliche Projektziel zu arbeiten. Hierzu zählen auch rechtliche Fragen etwa bezüglich möglicher Haftungsrisiken und Schadensersatzforderungen vonseiten des Auftraggebers. Wird zudem ein übergeordneter Mediator eingesetzt, hilft das nicht nur den einzelnen Teammitgliedern, sondern auch der Verständigung zwischen den Teams, um auf einem gemeinsamen Kurs zu bleiben und mögliche Konflikte frühzeitig aufzulösen. So beurteilten alle Allianz-Mitglieder die Rolle der begleitenden Allianz Coachin als durchweg positiv, um den Gedanken „Best for Project“ im Blick zu behalten und das Aufflammen eines Silodenken schnellstmöglich zu unterbinden. Gerade mit Rückblick auf prominente Großprojekte der jüngeren Vergangenheit ist der Ansatz der integrierten Projektallianz und mit ihr der Aufbruch traditionellen Silodenkens eine interessante Alternative zu den bisherigen bilateralen Vertragsmodellen. Für die Hamburg Port Authority hat sich deren Pilotprojekt als großer Erfolg herausgestellt und die Behörde sondiert unlängst über weitere Folgeprojekte. Nach dem Scannen des QR-Codes kommen Sie auf ein Video zu iPAK5. Eingangsabbildung: © Actemium Die neue Buch-Reihe aus der Kooperation von UVK und der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Die Reihe behandelt insbesondere neue Fachthemen und neue Herangehensweisen in der Projektmanagementpraxis. Dabei steht der konkrete Nutzen für die praktische Anwendung im Vordergrund. Leser: innen dürfen sich sowohl auf einen Wissenszuwachs als auch Tipps für den Praxisalltag freuen. Bestellen Sie unter www.uvk.de . Projektmanagement neu denken Anzeige 66 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0034 Praktische Anwendung relevanter PM-Kompetenzelemente Projektmanagement in einem Start-up-- ein Erfahrungsbericht Patrick Fiebeler Für eilige Leser | Der Umgang mit Komplexität und Unsicherheit ist für Start-ups zentral. Viele kleine Unternehmen schrecken vor zu viel Regularien und Prozessen zurück. Doch gerade Projektmanagement mit seiner großen Anpassbarkeit kann das richtige Maß an Struktur und Orientierung geben, die ein nachhaltig erfolgreiches Wachstum ermöglicht. Angefangen bei der Strategie, die gerade am Anfang fast ausschließlich durch Projekte realisiert wird, bis hin zur benötigten Vielseitigkeit, kreativ und lösungsorientiert zusammenzuarbeiten-- hinter fast jedem Kompetenzelement steckt großes Potenzial für ein Start-up. Patrick Fiebeler berichtet von seinen Erfahrungen als Senior Berater bei einem stark wachsenden jungen Unternehmen. Dabei werden konkrete Beispiele und Anwendungen der wichtigsten und relevanten Kompetenzelemente vorgestellt. Schlagwörter | Projektmanagement in Start-ups, Gründung, Projektbericht, Erfahrungsbericht Strategie Start-ups sind vielfach projektorientierte Unternehmungen. Sie basieren auf einer Idee, die erstmalig umgesetzt wird. Es existieren keine etablierten Prozesse oder Linienstrukturen. Die Aufgaben sind alles andere als Routine. Das Unternehmen hat zumeist eine Vision und Mission, die beinahe ausschließlich durch Projekte umgesetzt werden sollen. Aus der Unternehmensstrategie lässt sich eine Strategie zur Einführung von Projektmanagement ableiten. Hier können auch übergeordnet Schwerpunkte gesetzt werden, welche Elemente Priorität haben und welche mittel- oder langfristig eingeführt werden können. Bei einem Start-up ist es zum Beispiel wahrscheinlich, dass es gerade weniger darum geht, detaillierte Earned-Value-Prognosen zu erstellen, als sich zunächst über den tatsächlichen Lieferumfang klar zu werden. Bei der Gründung eines Start-ups gehört ein Geschäftsplan zum Standard. Wichtige Elemente des Geschäftsplanes sind direkt in Elemente des Projektmanagements übertragbar. Andersherum kann ein initiiertes Projekt mit seiner Zieldefinition, Budget- und Zeitvorstellungen den Geschäftsplan eines Start-ups bereichern oder Hauptbestandteil sein. Kultur und Werte Ein Start-up entsteht häufig aus einem kleinen Kreis von Gründern, die sich einer Idee verschreiben. Die Euphorie ist gerade am Anfang groß, so dass Probleme, die mittel- und langfristig auftauchen, kaum eine Rolle spielen. So muss ein Balanceakt zwischen kurzfristigen Erfolgen, um die Glaubhaftigkeit des Start-ups zu unterstreichen, Wissen | Projektmanagement in einem Start-up-- ein Erfahrungsbericht 67 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0034 und zukünftiger Risikominimierung gelingen. Eine gute, zumindest initiale, Risikokultur kann den Unterschied machen, wie lange das Start-up überlebt. Je größer das Unternehmen wird, desto weniger Personen kennen die detaillierten Hintergründe der Gründer. Die fachliche Expertise ist nicht unmittelbar in die Breite kommunizierbar. Entscheidend für den Erfolg der Idee ist daher weniger das gleiche fachliche Spektrum, als dass die Gründer gemeinsame Werte teilen. Im Wachstum des Unternehmens sollten diese Werte bei der Einstellung neuen Personals und beim täglichen Arbeiten einen hohen Stellenwert haben. Da sich das Unternehmen meist um ein Projekt herum entwickelt, kann die Projektkultur gerade am Anfang mit der Unternehmenskultur gleichgesetzt werden. Aktive Arbeit an dieser Projektkultur ist folglich wichtig. Es hat sich gezeigt, dass eine Visualisierung der Werte-- zum Beispiel mit Unterstützung eines Graphical Recording im Gründer- und Kernteam-- ein gutes Fundament bilden kann. Die Prinzipien des agilen Manifests passen hervorragend zu den Werten eines Start-ups und können als Startpunkt einer Diskussion genutzt werden. Ebenso können Verhaltenskodexe für Projektmanagement inspirierend wirken. Projektdesign Da es in einem Start-up wenig reife Prozesse gibt, sollte zunächst Zeit darauf verwendet werden, eine Top-Level-Struktur aus Portfolios, Programmen und Projekten zu bilden. Je nach Art der Projekte sollte dann bewusst entschieden werden, welche Management-Ansätze gewählt werden. Investoren sind gewohnt, klare Ergebnisse an einem bestimmten Termin für ihr Geld zu erhalten. Auch wenn die Umsetzung der Arbeit agil erfolgt und hier in Teilen Scrum zur Anwendung kommen kann, sollte es eine klassische „Klammer“ um die Liefergegenstände und Investoren-Meilensteine, gerade nach außen, geben. Es ist denkbar, dass besonders innovative Investoren auch interessiert daran sind, inkrementelle Ergebnisse zu erhalten, insbesondere wenn die Investoren auch operativen Einfluss üben. Die Investoren wären dann im Sinne von Scrum „der Stakeholder“. Reine Geldgeber ohne operativen Einfluss würden von inkrementellen Ergebnissen eher enttäuscht sein, weil dies aus deren Sicht keinen echten Marktwert darstellt. Die Komplexität der Projekte eines Start-ups kann relativ zum Gesamtmarkt sehr unterschiedlich sein; für das Start-up selbst ist das häufig mit vielen Unsicherheiten in Bezug auf Anforderungen und Technologie verbunden. Damit bewegen sich Projekte in Start-ups auf Basis der Stacey-Matrix häufig an der Grenze zum Chaos. Die damit verbundene Unsicherheit ist entsprechend zu berücksichtigen. Veränderungsmanagement Diese Kompetenz scheint auf den ersten Blick bei einer neuen Gründung nicht relevant. Vieles kann neu definiert werden, kaum etwas ist festgelegt oder eingefahren. Es hat sich gezeigt, dass dies ein Trugschluss ist, im Gegenteil: Jeder neue Mitarbeiter bringt seine Erfahrung und seinen Hintergrund ein. Jeder hat die Erwartung, nach seinen Wünschen gestalten zu können. Gerade wenn ein Startup verschiedene Kompetenzen braucht, um zu wachsen und stark interdisziplinäre Zusammensetzungen entstehen, können die Erfahrungen sehr unterschiedlich sein. Mehr noch als bei vorhandenen Organisationen müssen die Mitarbeiter sich tatsächlich sehr stark auf andere Vorstellungen einlassen und von gewohnten Mustern, die sie aus ihren bisherigen Unternehmen kennen, abweichen. Die Offenheit, dass jeder Profi einen bereichernden Beitrag leisten kann, ist sehr wichtig. Dies sollte insbesondere auch vom Gründerteam ausgestrahlt werden. Veränderungsbereitschaft und im besten Fall eine geführte Veränderung sind erfolgskritisch. Im Gegensatz zu Veränderungen bestehender Organisationen ist die Veränderung wesentlich schlechter sichtbar, weil nicht umfangreich dokumentiert. Gepaart mit einem hohen Maß an Unsicherheit, was die Zukunft nicht nur des Projektes, sondern der ganzen Unternehmung anbelangt, erwächst daraus ein sehr großes Konfliktpotential. Konfliktmanagement Fast alle typischen Elemente, wie Eskalationsstufen sind anwendbar, um aktiv Konflikte zu steuern. Eine Wahrnehmung scheint in Start-ups typisch: Aufgrund der hohen Erwartung an die Ergebnisse, dem Druck und der Geschwindigkeit, ist die Eskalation eines Konfliktes ebenso wesentlich schneller. Außerdem werden in Start-ups eskalierte Konflikte schneller und tendenziell rigoroser gelöst. Es fehlt häufig die Energie und Zeit für eine Erarbeitung einer Win-win-Lösung. Eine ausgeprägte Fehlerkultur ist ungewöhnlich für schnell wachsende Start-ups. Ein Wert, wie „wir wollen dazulernen“ kann dazu beitragen, dass auch unter Zeitdruck eine Fehlertoleranz besteht. Leistungsumfang / Projektstrukturen Zentral im Projektmanagement ist die Organisation der Projektaufgaben in Strukturen. Eine vereinbarte Top-Level-Struktur, sowie darunter liegende Programm- und Projektstrukturen, die im Team erzeugt werden, bieten Orientierung. Wenn zusätzlich eine Produkt- und / oder Systemstruktur frühzeitig aufgesetzt wird, können Schnittstellen von Anfang an definiert werden. Wissen | Projektmanagement in einem Start-up-- ein Erfahrungsbericht 68 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0034 In einem Start-up ist es normalerweise schwierig, alle anstehenden Arbeitspakete detailliert zu erfassen; es besteht wenig Erfahrung damit. Auf der anderen Seite ist es für eine verlässliche Planung notwendig, ein einheitliches Verständnis der Arbeiten zu erzeugen. Eine vereinfachte Arbeitspaketbeschreibung, ggf. mit Unterstützung durch Elemente des Storytellings, ist zu Beginn hilfreich. Bereiche, die unklar sind, können zunächst als solche beschrieben werden und Phasen als „Klammern“ gebraucht werden. Im weiteren Verlauf werden die Arbeitspakete dann detailliert. Die Methoden des Product Backlog und entsprechendes Refinement sind hier ebenfalls hilfreich. Ablauf und Termine, Startphase Für alle Programme / Projekte des Start-ups sollte die Initialisierungsphase durchlaufen und die typischen Projektdokumente erzeugt werden. Auch, wenn diese Phase häufig viel Aufwand benötigt, legt sie die Grundlage des weiteren Erfolges. Im Start-up ist das Phänomen „Whiscy 1 “ vielfach stark ausgeprägt. Umsetzung und schnelle Erzeugung von Ergebnissen stehen im Fokus. Die Erfahrung zeigt aber, dass eine große Zahl schlecht initiierter Projekte im weiteren Verlauf des Wachstums zu einer Krise der Projekte, Programme und der ganzen Firma führen können. Weniger gut initiierte Projekte sind besser als viele überstürzt gestartete Vorhaben. In diesem Licht ist eine Sammlung und separate Freigabe durch ein Portfolioboard empfehlenswert. So können auch die richtigen Prioritäten (z. B. aus Sicht der Investoren) gesetzt werden. Die Initialisierung kann beispielsweise durch Projekt-Canvas oder einfache Projekt-Genehmigungs-Vorlagen unterstützt werden. Projekte-- auch solche mit großer Unsicherheit-- können und sollten gestartet werden, aber nicht ohne definierten Start. In der Terminplanung ermöglicht ein gezielter Blick auf den kritischen Pfad einen effizienten Einsatz der begrenzten Ressourcen des Start-ups. Auch ohne detaillierte Netzplantechnik ist ein visualisierter kritischer Pfad hilfreich, um gezielte Fortschritte zu erzeugen. Ziele Ähnlich wie die Werte spielen Ziele eine zentrale Rolle bei der Definition der Projektarbeit in einem Start-up. Während einzelne Arbeitspakete schon in der Umsetzung sind, einige Bereiche aber unklar sind, sollte mit genügend Engagement eine klare, visualisierte Zieldefinition erzeugt werden. Diese sollte sich an der Vision und Mission orientieren und möglichst einfach gestaltet sein. Als Startpunkt bietet sich eine im Team erzeugte Mindmap mit den 1 Why isn’t sam coding yet? -- Prinzip, dass vor allem Vorgesetzte nervös nach ersten Ergebnissen fragen, bevor die Aufgabe überhaupt klar ist. typischen Qualitätskriterien an gut formulierte Ziele an. Dokumentierte Ziele helfen auch dabei, weitere neue Mitarbeiter schnell in die Projekte zu integrieren. Risikomanagement Für Risikomanagement ist schon in vielen etablierten Unternehmen selten genügend Zeit vorhanden. Die Situation der Start-ups verschärft diese Lage noch. Eigentlich sollte gerade in einem Start-up besonders ausführlich und Intensiv Risiko- und Chancenmanagement betrieben werden. Gleichzeitig liegt es in der Natur eines Start-ups, dass es viele A-Risiken für die Gesamtunternehmung gibt. Es ist empfehlenswert- - zumindest auf oberster Unternehmensebene- - eine Risikoinventur durchzuführen und die definierten Ziele daran auszurichten. Vielseitigkeit Fast alle in Projektmanagement bekannten Methoden zur Vielseitigkeit (Kreativitätstechniken, Problemlösungstechniken, Schätzmethoden) können in einem Start-up angewendet werden. Vielseitigkeit zeichnet ein gutes Start-up aus. Steuerung und Überwachung Methoden, wie Task-boards, Meilensteintrendanalysen und Dashboards eignen sich an vielen Stellen in einem Start-up. Insbesondere- - eigentlich nur für Projekte gedachte-- Dashboards bieten einen harmonisierten, effizienten Überblick über die laufenden Aktivitäten. Als gute Inhalte für ein Dashboard haben sich erwiesen • positive Ereignisse, die gut für die Motivation sind, • gesteuerte Ereignisse, die im Team lösbar, aber schwierig sind; der Projektleiter ist eingebunden, • kritische Ereignisse, die innerhalb des Teams nicht lösbar sind und z. B. an das Senior Management eskaliert werden, • eine repräsentative Auswahl von Kennzahlen / Fotos (KPIs), die aus Sicht der verantwortlichen Person am besten den Fortschritt darstellen, • die nächsten geplanten, wichtigen Schritte mit einem Trend, ob diese erreicht werden. Wissen | Projektmanagement in einem Start-up-- ein Erfahrungsbericht 69 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0034 Die Nutzung von Scrum ist in Teilprojekten absolut empfehlenswert. Eine besondere Stärke von Sprints und den typischen Artefakten, wie Backlogs, ist, dass neue Mitarbeiter sehr schnell integriert werden können. Die Arbeitsmethode ist sehr intuitiv und gerade bei stark wachsenden Teams ist der Aspekt der regelmäßigen Retroperspektive wichtig, um schnell die Teams zu entwickeln. Die ganze Organisation darauf einzustellen, überfordert jedoch das Start-up, da auch ganz rigide, klassische Strukturen Orientierung geben können und für viele bekannte Anker darstellen können. Ressourcen und Finanzierung Die größte Herausforderung für Start-ups ist es, die richtigen Fachkräfte zu finden, einzustellen und effizient zu integrieren. Das ist Hauptaufgabe von Human Resources. Projektmanagement kann hier allerdings einen Beitrag leisten, indem z. B. der Bedarf anhand vereinfachter Projektpläne ermittelt wird, Rollendefinitionen, RASCI (Responsible, Accountable, Support, Consulted, Informed) Charts oder Role Model Canvas erstellt werden und allgemein die vorhandenen Ressourcen gezielt eingesetzt werden. Wenn die Fachkräfte eingestellt sind, kommt es wesentlich darauf an, dass die „Neuen“ sich wohl fühlen und Verständnis für ein wenig Chaos aufbringen. Hier können die Werte und eine Struktur durch Projektmanagement ein wichtiger Anker sein. Denn: Es ist schwer, eine qualifizierte Fachkraft zu finden. Wenn man diese dann aber verliert, kommt das einer Katastrophe gleich. Die zweitgrößte Herausforderung ist es, eine dauerhafte und ausreichende Finanzierung sicher zu stellen. Hier kann Projektmanagement das Vertrauen der Investoren insgesamt erhöhen, aber auch konkrete Methoden sind hilfreich. Eine professionelle Schätzung z. B. auf Basis einer Projektstruktur oder eine Auslastungsplanung mit Hilfe von Projektplänen und Ressourcentabellen bilden den Kern der Finanzplanung. Die Finanzierung ist für Start-ups so zentral, dass Projektmanagement dabei helfen kann, immer wieder in Phasen / Stufen / Paketen zu agieren, die geordnet gestartet oder pausiert werden können. Ein gut strukturierter Projektplan mit verschiedenen Ausbaustufen ermöglicht so z. B. eine schnelle Sicht auf die Schnittstellen und Auswirkungen, wenn Finanzierungen früher oder später kommen. Governance und Strukturen-- Projektmanagement Plan In etablierten Unternehmen existieren eine Reihe von Richtlinien, Verfahrensanweisungen, Prozessbeschreibungen und ausführlichen Plänen. Häufig sind dies bedauerlicherweise Werke, die ein aktiver Projektleiter Patrick Fiebeler Unter dem Markennamen „Projektmanagement mit Tiefe“ (www.pmtiefe.de) hat Patrick Fiebeler seine Erfahrung und Passion für Projektmanagement zusammengefasst: agiler Teamcoach in einer Behörde, Aufbau von PM in einem Start-up, Leitung von U-Boot-Megaprojekten, Krisenbewältigung eines 5 Mrd. Projektes, Verhandlungsführung eines 2 Mrd. Projektes, Trainer für Konfliktmanagement, Dozent an mehreren Hochschulen, und Online-Basiszertifikatskurs auf Udemy (Projektmanagement Essentials) sind nur einige seiner bisherigen Stationen. Ein ausführliches Porträt ist in der PMaktuell 02 / 2020 über ihn erschienen. allenfalls sporadisch nutzt und / oder nur wenn der Kunde es fordert. In einem Start-up ist die Erzeugung eines Projektmanagement-Planes eine Chance, abgestimmte Vorgehen gemeinsam und während der täglichen Arbeit zu dokumentieren. Besonders vorteilhaft hat sich erwiesen, den Projektmanagement-Plan als Wiki (z. B. in MS Teams) zentral zu erstellen und allen Mitarbeitern des Start-ups Schreibrechte zu erteilen. Das Verantwortungsgefühl in einem Start-up ermöglicht diesen Vertrauensvorschuss und führt dazu, dass die Mitarbeiter sich eher mit dem Plan identifizieren. Es steht nur das drin, was wirklich gebraucht wird. Neue Mitarbeiter können sich schnell ein Bild davon machen. Weitere Kompetenzelemente Diverse weitere Kompetenzelemente können bei einem Startup Anwendung finden-- zum Beispiel: Teamentwicklung, Kommunikation, Stakeholder, Rollendefinition / Organisation, Beschaffung und Verhandlungen. Fazit Die Kompetenzen des Projektmanagements bieten viel Potenzial in einem Start-up, wenn sie situativ angemessen angewendet werden. Eingangsabbildung: © iStock.com / pixelfit 70 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0035 Ohne Vertrauen helfen die besten Methoden nichts René Mittelstädt Am 15. Juni findet in Berlin das Creative Bureaucracy Festival statt. Rund 1.000 Gäste aus Verwaltung, Politik und Gesellschaft werden erfolgreiche Innovationen und neue Trends im Öffentlichen Sektor diskutieren. Auch in diesem Jahr wird sich die GPM wieder mit einem eigenen Programmslot inhaltlich einbringen. Im Vorfeld ihrer Keynote gibt Prof. Dr. Martina Peuser einen Einblick und erklärt, wie Kreativität und Bürokratie zusammenpassen. Das Interview führte René Mittelstädt (Sprecher Public Affairs). Frau Professorin Peuser, wann sind Sie in ihren privaten und beruflichen Leben zum ersten Mal mit Projektmanagement in Berührung gekommen? Obwohl ich Ökonomin bin, hatte ich in meinem Studium keine spezifische Ausbildung. Mir ist erst viel später aufgefallen, dass ich, beispielsweise während der Promotion, eigentlich die ganze Zeit über in Projekten gearbeitet habe. Richtig offiziell wurde es aber erst im Beruf. Als Assistentin der Geschäftsführung eines mittelständischen Unternehmens habe ich sehr projektorientiert gearbeitet, wodurch auch mein Interesse an diesem Feld geweckt wurde. Projekte und Projektmanagement sind ja recht weit verbreitete Begriffe, wie definieren Sie diese für sich? Projekte sind einzigartige, neue Dinge, die nicht nach Schema F abgearbeitet werden können. Das macht sie so spannend. Die öffentliche Verwaltung, die ja im Mittelpunkt des CBF steht, denkt nun aber stark in festen Strukturen, passen Kreativität und Bürokratie überhaupt zusammen? Ich finde diese Überschrift ganz fantastisch. In der öffentlichen Verwaltung dominiert häufig das Denken in historisch gewachsenen Strukturen, weswegen es dem Staat oft schwerfällt, auf neue Herausforderungen zu reagieren. Auch einer der Gründe, warum Bürokratie für viele Menschen negativ konnotiert ist. Dabei hat die öffentliche Verwaltung sehr viel Potenzial. Die digitale Transformation, aber auch die neue Arbeitswelt bieten die Chance, viele Verwaltungsprozesse zukünftig flexibler, transparenter und vor allem nutzerfreundlicher zu gestalten. Verwaltung darf sich nicht als Blockade verstehen, sondern muss den Anspruch haben, ein Ermöglicher zu sein. Diesen Mut zum kreativen Denken vermisse ich manchmal, doch auch in unseren wissenschaftlichen Diskussionen kommt das Thema zu kurz. Vermutlich, weil auch wir uns nicht an das Aufbrechen dieser historischen Strukturen wagen. Deswegen braucht es meiner Meinung nach zuallererst eine kulturelle Transformation. Untersuchungen zeigen, dass Qualität nicht primär auf der Sach-, sondern auf der Beziehungsebene gelingt. Anders ausgedrückt, wenn das Vertrauen in die Führungskraft fehlt, hilft auch das schönste Methodenwissen nichts. In Berlin, dem Austragungsort des Creative Bureaucracy Festivals musste kürzlich die Landtagswahl aufgrund massiver Wahlpannen wiederholt werden und Umfragen weisen eine hohe Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger nach. Hat der Staat Vertrauen verspielt? Vertrauen ist die Vermutung, dass ein bestimmtes Ereignis in der Zukunft eintritt. Vertrauen ist also auch immer mit Risiko verbunden. Wenn die Menschen immer und immer wieder enttäuscht werden, dann schwindet das Grundvertrauen natürlich. Das wieder aufzubauen, dauert lange, ist aber möglich. Berechenbarkeit und Transparenz wären hierfür die zentralen Säulen. Nun könnte man einwerfen, dass staatliche Bürokratie durch die Vielzahl von Kontrollen seinen Bürger auch nicht immer so ganz zu vertrauen mag. Die Kultur eines Unternehmens oder eben einer öffentlichen Verwaltung spiegelt immer die Kultur der Leitungsebene wider. Aber vielleicht kann das Festival eben dazu beitragen, einige Mauern in den Köpfen einzureißen. Worauf freuen Sie sich denn am meisten? Die Welt besteht nicht nur aus Großprojekten. Jeder Schritt, egal wie klein er ist, kann einen Beitrag zum Umdenken geben. Das Creative Bureaucracy Festival bringt viele Menschen mit ganz unterschiedlichen Ansätzen und Denkweisen zusammen und davon ein Teil zu sein und meinen Beitrag leisten zu können, darauf freue ich mich schon sehr. 71 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0036 Der Zukunftskongress Staat & Verwaltung 2023-- Interview mit Prof. Dr. Silke Schönert Maximilian Hahn Vom 19. - 21. 06. 2023 wird der 10.Zukunftskongress Staat & Verwaltung in Berlin stattfinden-- mit der GPM als Hauptpartnerin. Prof. Dr. Silke Schönert wird für die GPM als Speakerin auftreten und zu aktuellen Trends im Projektmanagement sprechen. Diese reichen von der zunehmenden Projektorientierung in Unternehmen, über hybrides Projektmanagement bis hin zum Projektmarketing und Storytelling. Im Interview sprechen wir mit Prof. Dr. Schönert über ihren persönlichen Bezug zum Projektmanagement und ihre Sichtweisen auf die aktuellen Herausforderungen in der öffentlichen Verwaltung. Zu Beginn möchte ich Ihnen eine persönlichere Frage stellen, die sicherlich auch die Leserinnen und Leser interessiert: Wann sind Sie in Ihrem persönlichen Werdegang das erste Mal mit Projektmanagement in Berührung gekommen? Und wie hat Sie dies geprägt? Ich erinnere mich hier noch sehr genau an einen konkreten Moment. Damals studierte ich Informatik und war mir nicht sicher, wofür ich viele abstrakte Dinge lernte. Als ich meine erste Vorlesung zu Projektmanagement besuchte, wurde mir klar, dass Projektmanagement der Missing Link zwischen Problemen auf der einen Seite und Problemlösungen auf der anderen Seite ist. Projektmanagement-Know-how ermöglicht es, systematisch und geordnet zu einer wirksamen Lösung zu gelangen. Projektmanagement hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Ich richtete mein gesamtes Studium darauf aus und schrieb letztendlich auch meine Dissertation über das Thema „Information und Kommunikation in multizentrischen Projekten“. Ein weiterer sehr prägender Punkt war die Zertifizierung bei der GPM nach dem IPMA Level A zum Certified Project Director, die mir alle Facetten des Projektmanagements nahegebracht hat. Im Anschluss arbeitete ich in der beruflichen Praxis in unterschiedlichen Branchen und an zahlreichen Projekten und kam schlussendlich zur Professur für Projektmanagement an die RFH Köln. Sie erwähnten gerade, dass das Thema Projektmanagement während Ihrer Studienzeit äußerst relevant wurde. Inzwischen gehört projektorientiertes Arbeiten bei vielen Studiengängen und Karrierepfaden zum Standard- Repertoire. Gleichzeitig sehen wir auf staatlicher Seite immer noch Großprojekte, die nicht immer optimal verlaufen und teilweise mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Worin sehen Sie die Gründe für diese Problematik? Gibt es in der öffentlichen Verwaltung kein ausreichendes Verständnis für Projektmanagement? Um es vorwegzunehmen: Projektmanagement ist eine absolute Notwendigkeit, um große Vorhaben erfolgreich umzusetzen. Wichtig ist hier ein systematisches Vorgehen. Projektmanagement liefert eine Basis dafür, zu Beginn eines Projekts sämtliche Eventualitäten in die Planung mit einzubeziehen, sodass bestimmte Risiken nicht unvorhergesehen eintreten. Im Wesentlichen sehe ich hier drei Faktoren, die bei öffentlichen Projekten zu Problemen im Projektverlauf führen können: 1) Projekte werden häufig aus politischen Gründen zu schnell gestartet, ohne vorhergehend eine systematische Projektmanagement-Planung aufzustellen. 2) Rollen werden unklar definiert bzw. politisch motiviert besetzt, sodass die fachliche Eignung nicht immer im Vordergrund steht. 3) Es fehlt in Teilen ein Verständnis für den Unterschied zwischen Projekt- und Programmmanagement. Häufig handelt es sich in der öffentlichen Verwaltung um Programme und nicht um Projekte, hier werden also ganz andere Methoden und Kompetenzen erforderlich. Sie haben die These aufgestellt, dass man mit systematischen Multiprojektmanagement in Deutschland beim Thema Digitalisierung an die führenden Nationen anschließen könnte. Nun dürfte dies einige überraschen-- Wie stellen Sie sich dies im Konkreten vor? Natürlich gibt es hier keine allgemeingültige Formel, jedoch möchte ich hier auf einige Punkte verweisen. Zuallererst soll- Wissen | Der Zukunftskongress 72 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0036 ten wir genau untersuchen, ob das negative Bild, welches wir von der Digitalisierung in Deutschland haben, tatsächlich auch so der Realität entspricht. Im Kontext der öffentlichen Verwaltung komme ich häufig mit vielen erfolgreichen Digitalisierungsprojekten und engagierten Mitarbeitenden in Berührung, die mir etwas leidtun, da die öffentliche Meinung ja oft sehr negativ ist und dies teils unberechtigt. Im Kontext der Problemstellungen im Bereich der Digitalisierung sehe ich insgesamt das Problem eines bruchstückhaften Vorgehens. Es fehlt in vielen Bereichen an einer gemeinsam koordinierenden Klammer- - sowohl auf gesamtpolitischer Ebene als auch in einzelnen Organisationen selbst. Man muss hier aus einzelnen Vorhaben hin zu einem Denken in Projekten und Programmen. Man braucht hier ein standardisiertes Projekt- und Programmmanagement-- wenn der Rahmen erst einmal gesetzt ist, lässt es sich besser auf die konkreten Inhalte fokussieren. Der 10. Zukunftskongress Staat & Verwaltung wird in diesem Jahr auch wieder die relevantesten Themen im Kontext Digitalisierung und Verwaltung in den Fokus nehmen. Worauf freuen Sie sich am meisten beim Zukunftskongress? Ich freue mich natürlich sehr auf die neuen Inspirationen, die ich vom Zukunftskongress mitnehmen werde. Einerseits sind es die einzelnen Programmpunkte, die ein großes Spektrum abdecken und spürbaren inhaltlichen Mehrwert bieten. Jedoch freue ich mich ebenso sehr auf die Gespräche, die man mit bekannten oder neuen, interessanten Menschen führen wird. Letztendlich befinden wir uns dort alle auf einem gemeinsamen Weg die Verwaltung innovativer zu gestalten- - dies ist eine große gemeinsame Mission mit sehr verschiedenen Facetten. Jetzt online lesen in unserer neuen eLibrary www.pmaktuell.de Der Online-Zugriff ist in den Leistungen für GPM Mitglieder inbegriffen. Noch kein GPM Mitglied? Schreiben Sie uns unter mitglieder@gpm-ipma.de. Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Unter Mitwirkung von: spm - Swiss Project Management Association und Projekt Management Austria P R OJ E K T M A N A G E M E N T A K T U E L L Anzeige 73 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0037 „Früher oder später begegnen alle unsere Schüler*innen Projekten! “ Sarah Khayati Birgit Köpnick, Schulleiterin am Regionalen Beruflichen Bildungszentrum Müritz und Keynote Speakerin der Fachtagung „Lernort Schule im digitalen Wandel-- Bildung für eine zukunftsfähige Gesellschaft“ über das Leitbild und die Arbeit an, sowie Projekte in ihrer Schule, die 2022 mit dem Deutschen Schulpreis als beste Schule Deutschlands ausgezeichnet wurde. Wir bilden für den Arbeitsmarkt der Zukunft aus-- das ist einer der Leitsätze, die das Qualitätsverständnis am RBB Müritz beschreiben. Wie blicken Sie auf die Herausforderungen, denen berufliche Bildung in diesem Zusammenhang gegenübersteht? Birgit Köpnick: Dieser Satz ist einer der Leitsätze unserer Schule, mit dem sich die Kolleg*innen am RBB Müritz besonders identifizieren. Wir haben ja keine Glaskugel und können nicht voraussagen, was der Arbeitsmarkt der Zukunft alles bringen wird. Aber ich glaube, die Herausforderung für die berufliche Bildung ist, in Zusammenarbeit mit den unterschiedlichsten Bildungspartnern Entwicklungen in der Gesellschaft, aber auch die wirtschaftlichen Entwicklungen, die damit verbunden sind, gemeinsam zu ergründen und Wege zu finden, diese in Bildung zu transformatieren. Wie kann eine solche Bildung gelingen? Wie findet sich diese Haltung an Ihrer Schule wieder? Dazu ist es wichtig, in unterschiedlichsten Netzwerken zusammenzuarbeiten, um mit dem Blick über den Tellerrand zusätzliches Know-how in die Schule zu bringen. Zum Beispiel im Netzwerk Smart School, der digitalen Schule und auch im Netzwerk des Deutschen Schulpreises. Ganz wichtig ist an der Stelle auch die Zusammenarbeit mit unseren Kooperationspartnern, unseren Ausbildungsbetrieben, unserem Landkreis oder auch mit dem Bildungsministerium. Durch gemeinsame Gespräche, durch Betrachtung von Entwicklungen versuchen wir herauszufinden: Was ist auf dem Arbeitsmarkt gefordert? Wo ändern sich Berufsbilder, auf die wir uns neu einstellen müssen? Wo gibt es vielleicht Entwicklungen, die integriert werden sollten? Dabei denke ich z. B. an die digitale Transformation oder die Inklusion im Bereich der beruflichen Bildung. Diese Prozesse müssen vorgedacht werden und man muss die Menschen in diesen Prozessen mitnehmen. Deswegen ist die große Herausforderung auch im Bereich der beruflichen Bildung, alle diese gesellschaftlichen Herausforderungen in der Schule zu meistern. Und das kann ich eben nur, wenn ich alle, die in Schule arbeiten, in diesen Prozess integriere und damit Wissen, aber auch die entsprechende Haltung fördere. Das RBB Müritz hat im vergangenen Jahr den Deutschen Schulpreis erhalten. Die hohe Unterrichtsqualität und Lernwirksamkeit der Schule wird dabei ganz besonders auf ihre didaktische Jahresplanung zurückgeführt. Wie kann man sich diese genau vorstellen? Mit der Einführung des Lernfeldkonzepts im Bereich der beruflichen Bildung haben sich die Ansprüche an den Unterricht und auch dessen Entwicklung verändert. Lernfeldunterricht schreibt von Haus aus einen handlungsorientierten Unterricht vor. Dieser Anspruch an den Unterricht muss gemeinsam in der Schule getragen werden. Wir haben vor ca. 10 Jahren begonnen, im Bereich der dualen Ausbildung den Unterricht mittels didaktischer Jahresplanungen (DJP) zu konzipieren, und uns gefragt: Wie wollen wir den Lernfeldunterricht ent- Wissen | „Früher oder später begegnen alle unsere Schüler*innen Projekten! 74 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0037 wickeln? Dabei sind wir schnell darauf gekommen, dass es enorm wichtig ist, die Rahmenlehrpläne gut zu analysieren. Wir starten also mit einer curricularen Analyse und entwickeln dann dazu Lernsituationen, die die Jugendlichen in Handlungssituationen bringen, die an ihre Lebens- und Arbeitswelt angepasst sind. Unser Ziel ist, dass die Schüler Aufträge bekommen, in denen sie Handlungsprodukte erstellen. Gleichzeitig besetzen wir diesen Unterricht mit projektorientierten Angeboten, die natürlich ihre fachliche Kompetenz, aber auch die soziale Kompetenz der Schüler*innen fördert, was wir in der Schule für besonders wichtig halten. Das zieht sich vom ersten bis zum dritten Ausbildungsjahr durch. Es gibt praktisch für jedes Lernfeld entsprechende Lernsituationen. Manchmal nur eine, manchmal drei oder vier, abhängig vom Stundenumfang. Und die Schüler*innen wissen, dass sie aus jeder Situation etwas entwickeln und dort abgeholt werden. Der Bezug zur Lebenswelt der Schüler*innen, das Lernen an konkreten Aufträgen. Handlungsorientierung und Praxisbezug spielen offensichtlich eine zentrale Rolle am RBB Müritz. Welche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Lehren und Lernen in Projekten zu? Das Arbeiten in Projekten fördert die Kompetenz, in Teams zusammenzuarbeiten, hat aber auch etwas mit aktiver Wertschätzung der Arbeit des Anderen zu tun. Das wird so nicht immer gefördert und manchmal auch in anderen Formen der Zusammenarbeit nicht wahrgenommen. Ebenso die Akzeptanz von Fehlern. Wir wissen darum, dass in der Praxis Fehler nicht passieren sollen bzw. große Auswirkungen haben. Und da kann Schule natürlich ebenfalls helfen, indem die Schüler*innen Arbeits- und Projektaufträge erhalten, die sie selbstorganisiert abschließen und in denen sie lernen, Fehler angstfrei zu benennen und damit konstruktiv umzugehen. Wie werden Projekte am RBB Müritz umgesetzt? Nutzen Sie aktives Projektmanagement? Wir initiieren ganz unterschiedliche Projekte. Es gibt Projekte, die einmal für die gesamte Schule organisiert werden und über ein Jahr laufen, bevor sie dann in ein Produkt übergehen. Andere laufen nur eine Woche. Jedes Projekt hat seine Spezifik, dient aber immer der Entwicklung von Kompetenzen der Schüler*innen. Dabei nutzen wir u. a. die Projektmanagement-Methode. Bei den großen Projekten kommen wir auch gar nicht darum herum, mit Projektmanagement zu arbeiten. Eines der großen Schulprojekte ist beispielsweise unsere regionale Kontaktbörse zur Berufsorientierung. Damit wollen wir für unsere eigenen Schüler*innen die Brücke bauen in den späteren Beruf. Auf der anderen Seite geben wir mit diesem Projekt in Kooperation mit unseren regionalen Schulen, deren Schüler*innen die Möglichkeit, einmal anders in das Thema Berufsorientierung einzusteigen. Im Projekt entwickeln alle Schüler*innen unserer Schule Workshops für die Schüler*innen der regionalen Schulen, in denen sie ihre Berufsbilder vorstellen. Unsere Kaufleute für Freizeit und Tourismus übernehmen die selbstständige Organisation des gesamten Projektes. Sie planen mit Mitteln des Projektmanagements wie alle anderen Schüler an welcher Stelle eingebunden werden. In diesem Rahmen wird in verschiedene Gruppen unterteilt: Die einen kümmern sich um das Marketing, die anderen um die Workshops oder die nächsten um die Organisation einer Messe, die ebenfalls parallel in der Sporthalle läuft. Die Schüler*innen erhalten damit in diesem Projekt unterschiedliche Handlungsaufträge, wie z. B. die Organisation und Durchführung des gesamten Tages, die Gestaltung der Medienprodukte für den Tag oder die methodische Ausgestaltung eines Workshops zur Vermittlung des Berufsbildes. Wir präsent ist Projektunterricht denn insgesamt am RBB Müritz? Birgit Köpnick: Früher oder später begegnen alle unsere Schüler*innen Projekten. Im dritten Ausbildungsjahr- - geprägt durch die regionale Kontaktbörse-- ist Projektunterricht sehr präsent. Letztlich entscheiden wir immer: Welche und wie viele Projektangebote passen in den Unterricht? Unser Ziel ist es, dass die Schüler*innen selbstständig Erfahrungen machen und lernen, unterschiedliche Rollen einzunehmen. Als Lehrkraft oder auch als Schulleitung lassen wir es zu, dass die Schüler*innen andere Vorstellungen haben als wir. Eröffnung der Fachtagung durch GPM Präsident Prof. Peter Thuy Wissen | „Früher oder später begegnen alle unsere Schüler*innen Projekten! 75 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0037 Ihre Keynote auf der Fachtagung „Lernort Schule im digitalen Wandel-- Bildung für eine zukunftsfähige Gesellschaft“ hat neben der Zukunfts- und Handlungsorientierung auch das Thema Wertschätzung am RBB Müritz in den Fokus gerückt. Gegenseitiger Respekt, Toleranz und Vertrauen sind grundlegende Zielsetzungen ihres Schulprogramms. Wodurch zeichnet sich für Sie der Beitrag eines empathischen und wertschätzenden Schulumfeldes zur Qualität von Schule aus? Wertschätzung prägt einen weiteren Leitsatz unserer Schule. Auch die Jury des deutschen Schulpreises hat das Klima an unserer Schule sehr herausgehoben. Das hat natürlich etwas mit unseren Ansätzen im Unterricht selbst zu tun. So lernt man in einem Projekt die Schülerschaft anders kennen, weil sie dort ganz anders arbeiten. In einer beruflichen Schule sind die Schüler in der Regel drei Jahre, manchmal auch nur ein Jahr bei uns. Ich habe also gar nicht so viel Zeit, um sie kennenzulernen, zu wissen, was sie ausmacht und wie wir sie auf den Unterricht einstellen können, damit dieser gut und wertschätzend laufen kann. Ein ganz wertvolles Projekt, das wir dazu entwickelt haben, ist das Ankommens-Projekt. Ziel ist es, neue Schüler*innen wertschätzend zu empfangen und sich gegenseitig kennenzulernen. Dabei geht es nicht nur darum, alles zu wissen, was die Schulorganisation ausmacht. Hier steht das soziale Miteinander im Fokus. Das Ankommens- Projekt ist von Lehrkräften entwickelt worden und wird durch unsere Qualitätsmanagementgruppe begleitet und weiterentwickelt. Es gibt beispielsweise einen kleinen Methodenkoffer mit Anregungen, Prozessbeschreibungen oder Checklisten für die Kolleg*innen. Inzwischen gibt es einen FAQ-Code auf unserer Internetseite, der die ursprünglich ausgehändigten Ankommensmappen ersetzt. Gerade wird wieder aktiv weitergedacht und von den Schüler*innen eine Schul-Rallye entwickelt, um sich mittels QR-Codes in der gesamten Schule zu orientieren. So ist unser Ankommens-Projekt, mit dem wir neue Schüler*innen, aber auch Lehrkräfte und Referendare willkommen heißen, immer in der Entwicklung. Welchen Beitrag können das Schulumfeld ergänzende Formate wie unsere Fachtagung leisten, um den pädagogischen Austausch zu den genannten Schwerpunkten, also Zukunfts- und Handlungsorientierung & Wertschätzung, aktiv zu befördern? Veranstaltungen wie die Fachtagung sind immer eine Möglichkeit, sich inhaltlich zu den unterschiedlichsten Themen auszutauschen, Best Practices vorzustellen und Impulse in andere Organisationen zu geben. Oft habe ich gar nicht die Zeit, mich gedanklich mit bestimmten Themen zu beschäftigen. Und gleichzeitig zu überlegen, passt das für meine Einrichtung? Was kann ich vielleicht mitnehmen- - für mich selbst, als Schulleitung, in der Steuerung oder vielleicht für Gruppen in meiner Schule? Ich sage immer zu meinen Kolleg*innen: Wenn ihr eine Sache mitnehmt, die gut für uns ist, dann ist das schon toll! Dieser Punkt ist vielleicht der Wesentliche, um uns an der einen oder anderen Stelle einen Impuls zu geben, eine Inspiration, einen neuen Ansprechpartner oder, oder, oder-… Ich ermögliche meinen Kolleg*innen unheimlich gerne den Besuch von Fachtagungen und fordere aktiv dazu auf, solche Möglichkeiten zu besuchen, um Netzwerkarbeit zu betreiben und die eigenen Kenntnisse zu erweitern. Denn es gibt nichts Besseres, als über den Tellerrand hinauszublicken. Für mich. Für mein Kollegium. Für meine Mitarbeitenden hier im Haus. Ich glaube, das ist etwas ganz Wertvolles und auch sehr Wertschätzendes für alle Kolleg*innen. Mit der Auszeichnung als Hauptpreisträgerin des Deutschen Schulpreises im vergangenen Jahr liegen ereignisreiche Monate hinter Ihnen und der Schule. Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus, welche Schwerpunkte setzt das RBB Müritz in diesem Jahr? Wir haben an der Schule natürlich ganz unterschiedliche Themen. Hier sehe ich die Gestaltung neuer Lernräume, die Inklusion oder die weitere digitale Transformation. Natürlich auch unser QM -unser Qualitätsmanagement. Dabei geht es letztlich immer um die Entwicklung des Unterrichts. Wir sind also nicht am Ende und sagen, wir haben jetzt alles fertig. Es gibt noch viele Ideen, die wir umsetzen wollen. Wir kommen mit vielen Menschen ins Gespräch und nutzen das auch zu unserer eigenen Entwicklung. Im Rahmen des Deutschen Schulpreises werden wir oft angefragt, um Best Practises weiterzugeben und finden regelmäßig Schulbesuche statt. Diese Besuche gestalten wir so, dass wir zwar viel zu uns, zu unserem Vorgehen sagen. Aber wir hören auch immer Themen der anderen Schulen. Es gibt also immer auch den Punkt: Was möchten Sie uns von Ihnen mitgeben? Das ist für uns sehr interessant. Das eine mit dem anderen zu verbinden. Den Blick über den Tellerrand zu nehmen und uns nicht als allwissend darzustellen. Denn das sind wir definitiv nicht. Wir wollen im Umgang mit allen Interessierten wertschätzend sein. Denn alle-- das ist meine feste Überzeugung-- machen etwas sehr gut an ihren Schulen. Frau Köpnick, vielen Dank für das Gespräch! Eingangsabbildung: Birgit Köpnick vom RBB Müritz und Sarah Khayati (GPM) 76 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0038 Kolumne Der Blitz des starken Arguments Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch- - Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Jens Köhler Priesberg betritt das Büro von Ehrlich. Er wirkt mitteilungsbedürftig und Ehrlich wundert sich darüber. „Ich hatte vor einiger Zeit eine absolute Grenze kennen gelernt, die jedes Argument sticht. Es ist etwas sehr Erhabenes“, legt Priesberg los. „Und was ist das? “, fragt Ehrlich und fährt fort, „die Lichtmauer, die sich nicht durchbrechen lässt? “ „So ähnlich. Naturgesetze spielten dort eine zentrale Rolle. Es wird mir zukünftig helfen, Diskussionen erheblich abzukürzen, um die Effizienz zu steigern“, antwortet Priesberg. „Aber sicher nicht die Effektivität“, murmelt Ehrlich vor sich hin. Priesberg hat es dennoch gehört und erläutert: „Vor einiger Zeit standen wir vor einem Dilemma: Trotz hoher Inzidenzen hatten einige in unserem Projekt unbedingt Präsenzmeetings zulassen wollen. Es hatte sehr heftige Diskussionen gegeben. Ich warf damals ein: ‚Mit Naturgesetzen lässt sich nicht verhandeln. Das Corona-Virus lässt sich nicht davon überzeugen, sich während Präsenzmeetings zurückzuhalten, nur weil diese sinnvoll sind.“ Priesberg schaut seinen Kollegen stolz an. Ehrlich fragt ungläubig: „Und das hatten die dir einfach so abgenommen? “ „Ja, am Bildschirm in der virtuellen Sitzung hat es nur andächtiges Kopfnicken gegeben. Das Thema war dann erledigt“, fügt Priesberg siegessicher hinzu: „Es lebe die Kraft der Naturgesetze! “ Ehrlich lästert: „Dieses Projektteam hätte sofort aufgelöst werden müssen. Es ist hasenfüßig und fällt auf die kleinste rhetorische Falle herein.“ Priesberg fühlt sich veräppelt: „Gut. Dann nimmst du halt die Naturgesetze nicht ernst. Kannst du über Wasser gehen? Kannst du in der Höhe schweben? “ „So viele Worte auf einmal. Aber um deine Fragen zu beantworten: Beides mal, ja“, antwortet Ehrlich ruhig. Priesberg will zu einer heftigen Gegenrede ansetzen, aber es gelingt ihm nicht. Ehrlich beruhigt ihn: „Die ausführliche Antwort zu eins heißt zum Beispiel Wasserski, die Antwort zur zweiten Frage lautet Ballon fahren oder sich auf der Dachterrasse eines Hochhauses aufzuhalten.“ „Das zieht bei mir nicht. Wasserski, Ballons und Hochhäuser sind Hilfsmittel“, entgegnet Priesberg schroff. „Deine ursprüngliche Aussage war ‚mit Naturgesetzen lässt sich nicht verhandeln.‘ Sie lautete nicht, ‚Hilfsmittel sind verboten‘“, entgegnet Ehrlich ruhig. „Worauf willst du hinaus? “, fragt Priesberg ernüchtert. „Na, das ist doch gar nicht so schwer. Mit Naturgesetzen lässt sich in der Tat nicht verhandeln. Dieser Aussage würde sogar ich zustimmen, selbst wenn ich über das Wasser gleiten kann“, entgegnet Ehrlich mit einem Augenzwinkern und fährt fort: „aber man kann sie kombinieren. Wenn ich schon nicht selbst schweben kann, dann nutze ich eben eines der vielen Hilfsmittel, um die Schwerkraft zu überwinden. Durch den Auftrieb, den ein Ballon erfährt, wird eine Kraft erzeugt, die entgegen der Schwerkraft wirkt.“ „Wird das jetzt ein Physikkurs für Anfänger? Worauf willst du hinaus? “, fragt Priesberg wenig überzeugt. „Auf die Art der Argumentation und nicht auf den Inhalt natürlich. Wenn jemand sagt, mit Naturgesetzen lasse sich nicht verhandeln, ist das schon ein sehr starkes Argument. Es lähmt dein Gegenüber, und es gelingt nicht sofort, die richtigen Gegenargumente zu finden“, ergänzt Ehrlich geduldig. „Aber das wollte ich damals doch erreichen“, insistiert Priesberg. Ehrlich ignoriert die Bemerkung seines Kollegen und wirft ein: „Nehmen wir mal an, der Lenkungskreis deines Projekts hätte festgestellt ‚mit der vom Projekt vorgeschlagenen Technologie lässt sich das Problem nicht lösen. Wir setzen sofort alle Budgets auf null.‘ Was hättet ihr dann gemacht? “ Priesberg überlegt: „Wir hätten dagegen gehalten und sicher gute Gründe für die Technologie nachgelegt oder Alternativen diskutiert.“ Ehrlich wirft ein: „Das glaubst du, weil wir jetzt die Hintergründe durchleuchten. Aber dein Projektteam hätte sicherlich Mühe gehabt, Gegenargumente zu finden. Es ist bis jetzt nicht trainiert. Darauf kommt es mir an.“ „Also lässt sich jede rhetorische Mauer umfahren? “, fragt Priesberg. „Kurze Antwort: Ja. Du musst Gegenargumente finden, mit denen du einen Weg bauen kannst, die Mauer zu umfahren, zu übersteigen oder zu untertunneln, oder was auch immer“, fasst Ehrlich zusammen. „Also muss sich das Projektteam als erstes gegen den Blitz des starken Arguments immunisieren? Damit dieser Blitz nicht das Denken überstrahlt? “, fragt Priesberg. „Ganz genau. Und jetzt überlege mal, welche Naturgesetze du hättest anwenden können, so dass Präsenzmeetings dennoch möglich gewesen wären. Das wäre schon mal eine erste mentale Übung für euer Team“, ermutigt Ehrlich seinen Kollegen. Eingangsabbildung: © iStock.com / Comeback Images Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. Anschrift: BASF SE, RGQ/ IM, 67056 Ludwigshafen, eMail: Jens.Koehler@basf.com 77 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0039 Neues aus der IPMA: Die GPM feiert 40-jähriges Jubiläum ihrer Mitgliedschaft beim Dachverband IPMA International Project Management Association Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der IPMA-Mitgliedschaft kam der gesamte Vorstand der IPMA nach Nürnberg, um dem Präsidenten der GPM, allen Mitarbeitenden, den vielen ehrenamtlich Engagierten und allen Mitgliedern der GPM persönlich zu gratulieren. Die GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. wurde im Juni 1979 von Roland Gutsch, Heinz Schelle und Hasso Reschke gegründet und war bereits vier Jahre später, im Jahr 1983, Mitglied im internationalen Dachverband IPMA International Project Management Association. Mittlerweile hat die IPMA 71 Mitgliedsverbände weltweit. Die international zusammengesetzten Projekt- und Produktentwicklungsteams in der IPMA gewährleisten, dass die internationalen Standards der IPMA wie ICB (Individual Competence Baseline), OCB (Organisational Competence Baseline), PEB (Project Excellence Baseline), REB (Research Evaluation Baseline), CCT (Coaching, Consulting and Training) sowie Agile Leadership weltweit anerkannt und angewendet werden. Inhalt des Treffens zwischen Präsidium der GPM und Vorstand der IPMA war der Austausch über die künftigen Trends im Projektmanagement, die strategische Entwicklung des Berufsbilds der Projektmanagenden sowie der Wandel der Profession bedingt durch externe Entwicklungen wie Künstliche Intelligenz und Digitalisierung. Die GPM spielt eine Schlüsselrolle bei der globalen Expansion der IPMA, indem sie Projektmanager: innen großer multinationaler Unternehmen wie Siemens, Siemens Energy, Siemens Gamesa und Infineon gemäß der IPMA Individual Competence Baseline ICB 4 trainiert und zertifiziert. GPM Präsident Prof. Thuy stellte das wachsende Interesse der öffentlichen Verwaltung an der Ausbildung und Qualifizierung von Projektmanagenden dar. So nimmt die GPM in diesem Jahr bereits zum 9. Mal am Zukunftskongress Staat und Verwaltung in Berlin teil. Als Mitglied des Programmbeirates des Zukunftskongresses ist die GPM ein wichtiger Impulsgeber für den modernen digitalen Staat. Kaum ein anderes Mitgliedsland der IPMA ist bereits so gut mit der öffentlichen Verwaltung vernetzt wie die GPM. Zur Förderung der Projektmanagement-Profession liegt für die IPMA und die GPM der Fokus auf dem interaktiven, praxisorientierten Austausch mit allen relevanten Stakeholdern. Dazu gehört die Diskussion von Instrumenten und Best-Practice-Beispielen zur Zukunft der Arbeit und Ausbildung sowie die Gestaltung und Entwicklung von Prozessen und Kompetenzen im Lehren und Lernen von Projektmanagement. Hervorzuheben ist der maßgebliche Beitrag der GPM in den vergangenen 40 Jahren zur Weiterentwicklung der IPMA im Hinblick auf die internationale Einbindung und das Engagement der GPM-Ehrenamtlichen in den Leitungsgremien der IPMA. Mit drei IPMA-Ehrenmitgliedern hat die GPM die höchste Anzahl von Personen in einem Mitgliedsverband, denen diese IPMA-Auszeichnung bislang verliehen wurde. Die GPM ist der größte Förderer der ICB4-Standards bei der IPMA und zertifiziert jedes Jahr mehrere Tausend Projekt-, Programm- und Portfoliomanager in Deutschland und trägt damit zum weltweit steigenden Bedarf an Projektmanagement-Expert: innen bei. Aktuellen Prognosen zufolge werden bis 2027 weltweit 88 Millionen Menschen in Projektmanagement-orientierten Positionen benötigt Die GPM ist erfolgreiches Beispiel für viele IPMA-Mitgliedsverbände weltweit, insbesondere durch die starke regionale Präsenz in allen Regionen Deutschlands. Dadurch hat die GPM ein einzigartiges regionales Netzwerk von Freiwilligen aufgebaut, die das Ökosystem der IPMA bei regionalen Interessenvertretern sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor vertreten und fördern. Die IPMA gratuliert der GPM zu ihrem 40-jährigen Mitgliedschaftsjubiläum! Prof. Dr. Yvonnne Schoper Prof. Dr. Yvonnne Schoper ist Professorin an der HTW Berlin mit dem Schwerpunkt Internationales Projektmanagement und Vice President Membership & Young Crew der IPMA. Ihre Forschungsinteressen sind die Projektifizierung der Wirtschaft und der Einfluss der Kultur auf das Projektmanagement. eMail: yvonne.schoper@HTW-Berlin.de ORCID: 0000-0002-7731 - 5081 Aus den DACH-Verbänden | IPMA intern 78 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0040 Die GPM Fach- und Regionalgruppen Neue Firmenmitglieder stellen sich vor-… Firma Hauptgeschäftsgebiet PM-Aufgaben und -Bedeutung Erwartungen an die GPM Excellence4Digital GmbH www.excellence4.digital Sabrina Treptow, info@excellence4.digital Excellence4Digital GmbH hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Immobilienbranche zu digitalisieren. Wir begleiten Unternehmen, die Immobilien erstellen, vermieten, verwalten oder bewirtschaften auf dem Weg der digitalen Transformation, damit diese auch in der digitalen Zukunft innovativ und wettbewerbsfähig bleiben. Gemeinsam setzen wir anspruchsvolle Digitalisierungsprojekte um. Für uns steht eine End-to- End-Betrachtung des Digitalisierungsprojektes im Fokus. Daher unterstützen wir den gesamten Projektlebenszyklus von der Grundlagenanalyse über Planung bis hin zum Management, um die gesteckten Ziele nachhaltig zu erreichen. Zudem leben wir digitales Projektmanagement und sind von überall in einem hybrid agilen und virtuellen Umfeld tätig, um jederzeit hervorragende Ergebnisse in unseren Digitalisierungsprojekten zu liefern. Wir freuen uns auf den Austausch im Expertennetzwerk und das Informationsangebot zu Studien, Veranstaltungen, Initiativen und Kooperationen mit Fokus auf dem Thema digitale Transformation. ZITiS-- Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich www.zitis.bund.de Als zentraler Dienstleister für die Behörden des Bundes mit Sicherheitsaufgaben entwickelt und erforscht ZITiS innovative technische Lösungen, Tools und Methoden, und leistet somit einen Beitrag zur inneren Sicherheit. Unsere Aufgaben umfassen die Themen Digitale Forensik, Telekommunikationsüberwachung, Krypto- und Big-Data-Analyse sowie übergreifende Dienstleistungen wie Wissensdatenbanken. Die Umsetzung unserer Lösungen erfolgt überwiegend projektgetrieben in Form von Forschungs-, Entwicklungssowie Unterstützungs- und Beratungsprojekten. In einem hochdynamischen und technisch herausforderndem Umfeld haben sich agile und hybride Projektmanagementansätze bewährt. Als eigener Bereich in der Organisation verankert, verantwortet Projektmanagement die Planung, Steuerung, Nachbereitung und Dokumentation von Projekten sowie die Erarbeitung und Einführung von PM-Standards. Wir freuen uns auf den Erfahrungsaustausch mit Expertinnen und Experten aus der PM-Community, die Möglichkeit Zugang zu aktuellsten PM-Entwicklungen zu haben und diese selbst mitgestalten zu können. Aus den DACH-Verbänden | GPM intern Die derzeit 39 Regionalsowie 38 Fachgruppen der GPM bieten eine Plattform zum branchenübergreifenden Networking und Erfahrungsaustausch. Sie leisten damit wichtige fachliche Basisarbeit innerhalb des Vereins. Die Regional- und Fachgruppen bieten darüber hinaus ein breites Angebot von in der Regel kostenlosen Veranstaltungen zum Projektmanagement. Weitere Informationen und Ansprechpartner der einzelnen GPM Fach- und Regionalgruppen finden Sie auf der GPM Website unter: www.gpm-ipma.de/ know_how/ fachgruppen.html bzw. www.gpm-ipma.de/ ueber_uns/ regionen.html IPMA/ GPM/ pma/ spm | GPM intern 79 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0040 digital@M GmbH www.digital-at-m.de Beratungsunternehmen für Themen wie Digitalisierung, SAP, e-Akte, Projektmanagement, Agiles Coaching, KI usw. Projektziele abstimmen Organisatorische Gestaltung des Projektes Planung der Projektleistung, Termine, Ressourcen, Kosten, Finanzen und Budget Aufgaben-, Kompetenz und Verantwortungsverteilung Teambildung; Rollen, Werte und Regeln festlegen. Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, Networking, Austausch in fachlichen Themen. T.CON GmbH & Co. KG / Strategische Geschäftseinheit Projektmanagement www.team-con.de Tobias Wild / Business Lead PM, Tobias.Wild@ Team-Con.de Wir sind Komplettanbieter für intelligente und effiziente SAP- Lösungen. Wir helfen unseren Kunden, ihre Visionen zu verwirklichen und profitabler zu arbeiten-- indem wir ihre Prozesse optimieren und die Vorteile der Digitalisierung für sie erschließen. Die Mission unserer Strategischen Geschäftseinheit Projektmanagement ist die wiederkehrende Durchführung erfolgreicher Projekte-- und zwar in Time, in Budget, in Scope und in Quality. Dabei macht das Projektgeschäft ca. 1 / 3 des Gesamtumsatzes unserer Unternehmung aus, weswegen dieses auch einen sehr hohen Stellenwert innerhalb unserer Organisation genießt. Von der Mitgliedschaft bei der GPM erwarten wir uns spannende Impulse für den kontinuierlichen Verbesserungsprozess innerhalb unserer Projektmanagementorganisation. Menschenkönner Consulting GmbH www.menschenkoenner.de Lars Kaulfuß, l.kaulfuss@ menschenkoenner.de Wir sind ein in Erfurt ansässige Managementberatung, welche sich auf die Steuerung von komplexen IT-Projekten und die professionelle Begleitung von Veränderungsprozessen spezialisiert hat. Unser aktueller Fokus liegt in der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und Finanzwirtschaft. Projektmanagement ist unsere wesentliche Leistung in Kundenprojekten und gehört daher zu unserem täglichen Handwerk. Die GPM sehen wir als Plattform zum Austausch mit Gleichgesinnten und zur stetigen Weiterentwicklung unseres Projektmanagement- Know-how´s. Markus Thomas Münter Wettbewerb und Unternehmensstrategie für Management und Consulting 1., Auflage 2022, 317 Seiten €[D] 29,90 ISBN 978-3-7398-3192-3 eISBN 978-3-7398-8192-8 Wettbewerb richtig analysieren und überlegene Strategien entwickeln! Wettbewerb verändert Marktanteile und Erfolg von Unternehmen immer schneller. Welche Auswirkungen hat das auf die Unternehmensstrategie? Strategie findet jenseits der Powerpoint-Folien statt - Markus Thomas Münter zeigt, wie sich die Markstrukturen durch Wettbewerb verändern und wie Unternehmen ihre spezifischen Fähigkeiten erfolgreich einsetzen können. Ein spannender Einstieg für alle, die ökonomische Zusammenhänge in Studium und Beruf schnell und anwendungsorientiert verstehen wollen. Anzeige 80 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0041 pma Mitglied vor den Vorhang Takeda Manufacturing Austria AG Industriestraße 67, 1221 Wien www.takeda.at Hauptgeschäftsgebiet Das internationale biopharmazeutische Unternehmen Takeda hat sich zum Ziel gesetzt lebensverbessernde und -erhaltende Arzneimittel für die Behandlung von seltenen und komplexen Erkrankungen zu entwickeln, zu produzieren und anzubieten. PM-Aufgabe und Bedeutung Das PM-Office setzt vielfältige strategische und Qualitätsmanagement-Projekte, Produktimplementierungen und Anlagenerneuerungen um. Die Projektmanager*innen sind neben der Projektberatung für die Entwicklung und Implementierung der PM-Standards sowie für digitalisiertes Reporting und Ressourcenplanung verantwortlich. Projektmanagement zum Hören Seit zwei Jahren gibt es den Podcast von Projekt Management Austria-- mit bereits jeder Menge Abonnent*innen. "Projektmanagment zum Hören" versteht sich als Wissens- und Kommunikationsplattform. Zu Wort kommen Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Forschung und Bildung. Sie sprechen praxisnahe darüber, wie sie ihre Ideen umsetzen, welche Hürden sie bewältigen mussten und warum es sich lohnt, auf professionelles Projektmanagement zu setzen. Eventtipp pma focus 12. 10. 2023 Der pma focus 2023 findet heuer unter dem Titel „FAKT ODER FAKE: Projektmanagement zwischen den "Realitäten“ statt. In Projekten brauchen wir fundierte Informationen, um Risiken bewerten und Entscheidungen treffen zu können. Was immer schwieriger wird, je leichter Gespräche, Ergebnisse, oder gar Personen vorzutäuschen sind. Gemeinsam mit Expert*innen diskutieren wir die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Projektmanagement- Branche und wie wir zwischen Fakt und Fake unterscheiden können. Die Keynote hält die Autorin und Journalistin Ingrid Brodnig. Seien Sie dabei-- im Austria Center Vienna oder online. Bei Anmeldung bis 30. Juni mit Fühbucherbonus von 10 Prozent. Infos & Anmeldung: pma.at / focus Von Stakeholderbis Risikomanagement In Folge 12 hat Podcast-Host Alexander Vollnhofer die Siemens Projektmanagerin Anja Preiß -- sie ist auch „Project Manager of the Year 2022“-- zu Gast. Sie erzählt, wie sie in ihren Projekten erfolgreich Stakeholder einbindet. Risikomanagement ist das Thema in Podcastfolge 11. Philipp Groborsch gibt Einblicke in den Umgang mit Risiken bei Sportgroßveranstaltungen. Er schildert, wie Krisen-Szenarien im Vorfeld durchspielt werden, um mögliche Risiken vorab zu identifizieren. Welchen Stellenwert hybrides Projektmanagement bei Unternehmen hat-- darüber spricht Julia Kvas in Folge 9. Sie ist Projekt- und Innovationsmanagerin beim Verpackungshersteller Mondi. Projektmanagment zum Hören-- der Podcast von pma Diese und viele weitere Folgen hören Sie auf allen gängigen Audio-Plattformen und auf der Website von Projekt Management Austria: pma.at / podcast Aus den DACH-Verbänden | pma intern 81 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0042 Aus den DACH-Verbänden | spm intern Neue Zertifizierungen Erstzertifizierungen Die Schweizerische Gesellschaft für Projektmanagement (spm) gratuliert den neuen Zertifizierten: 1 IPMA Delta® vzpm / spm: Business Unit einer Industrial Company 4 IPMA Level A® vzpm / spm: Claudia Allerkamp, Ulrich Lüscher, Tom Rezny, Michèle Rota 26 (23 publiziert) IPMA Level B® vzpm / spm: Rinaldo Andenmatten, Daniel Berglas, Giovanni Cappellotto, Luca De Rosa, Oliver Eckstein, Christoph Gerbig, Norman Giesecke, Florian Graap, Thomas Graf, Julien Horner, Stefan Imboden, Ante Juric, Roland Lehmann, Alexander Marti, Daniel Müller, Matthias Pfister, Enrico Pfyffer, Helmut Pointner, Jean Slavik, Jochen Wild, Patrick Wirth, Özay Yildiz, Peter Zeitner 54 (39 publiziert) IPMA Level C® vzpm / spm: Roya Allemann, Leroy Bächtold, Michael Balsiger, Mathias Böhler, Stephan Bolliger, Jessica Claude, Luca Falcione, Yves Flecher, Robert Friedrich, Yury Tatiana Giraldo Ospina, William Herkens, Thomas Hörtnagl, Jonas Kohler, Renzo Küttel, Sarah Louise Lämmlein, Nathan Emanuel Liebetrau, Angelika Lippitsch, Jacques Manini, Daniel Menzi, Tobias Meyer, Christelle Monvoisin, Frederik Nachtrodt, Francesco Pucciani, David Quadri, Daniel Roduner, Jürg Rothenberger, André Röthlisberger, Stefan Ruchti, Dominik Ruckstuhl, Andreas Schäfli, Oliver Schwarz, Thomas Signer, Tobias Thoss, Anna Volknandt, Sven Weisser, Andreas Werneburg, Christian Wieland, Pavel Zhigadlo, Matthias Zihlmann 901 (872 publiziert) IPMA Level D® vzpm / spm Rezertifizierungen Die Schweizerische Gesellschaft für Projektmanagement (spm) gratuliert den Zertifikatsinhabern zur Erneuerung ihres Zertifikats: 4 (2 publiziert) IPMA Level A®vzpm/ spm: Frank Liebermann, René Schanz 57 (29 publiziert) IPMA Level B® vzpm / spm: Tobias Dalcher, Niki Dalla Valle, Philipp Frankenstein, Janos Fulde, Christoph Gerbig, Robert Groeneveld, Daniel Hochuli, Roland Itschner, Christian Jossi, Christoph Knöpfel, Roland Kugler, Werner Kurfess, Annette Lehmann, Gianni Lepore, Peter Mühlemann, Alexander Müller, Marco Nepote, Anja Nyffenegger, Stefan Nyffenegger, Ulrich Offergeld, Klaus Reske, Michael Sommer, Dominik Wächter, Elke Walter, Martin Weidmann, Markus Wenger, Markus Werder, Peter Wieser, Alexander Zurkinden 61 (23 publiziert) IPMA Level C® vzpm / spm: Andreas Bobst, Urs Böhm, Stefan Chastonay, Lorenz Feldmann, Jürg Gfeller, Michael Graf, Beat Guntern, Patrick Haueter, Michael Imboden, Andrea Jenni, Heinz Knöpfel, Stefan Lehmann, Andreas Müller, Kevin Müller, Daniela Nieder, Cornelia Sayan-Stüssi, Andreas Spring, Aris Udriot, Gerard Van Ojik, Patrick Vianello, Roland Wagner, Markus Walser, Urs Ziörjen 79 (24 publiziert) IPMA Level D® vzpm / spm: Anna Bäumlin, Cornelia Blanke, Daniela Bolzern-Felder, Petra Victoria Clauss, Corinne Corbella, Vinciarelli Elisa, Marco Gerspach, Damien Gross, Thomas Hanusch, Andreas Hofmann, Michael Hunziker, Silvia Jauner, Adrian Kälin, Laurent Kaufmann, Binyam Kidane, Florian Meichtry, Daniel Mosimann, Andreas Niederer, Dominik Pieren, André Schaubhut, Benjamin Stark, Tobias Weimann, Ivan Zeljko, Sandro Zurfluh Maja Schütz, VZPM PP&PM: Massenprodukt oder Nischenprodukt? Mitte der Achtzigerjahre machte sich der Leiter der Stadtentwässerung Zürich Gedanken zur Weiterentwicklung des Projektmanagements in seiner Unternehmung, nachdem ein Großprojekt erfolgreich abgeschlossen war. Dies war ein Beispiel für die Initialisierung von Standards und Strukturen für das Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement (PP&PM) in einer Organisation. In den Neunzigerjahren nahm das Programm- und Projektportfoliomanagement Fahrt auf und IPMA realisierte das Programm- und Portfoliomanagement als IPMA Ebene A ihres „Universal IPMA® Four Level Certification System“. Seither ist die praktische und theoretische Bedeutung des PP&PM kräftig gewachsen. PMI® hatte seit dem Jahr 1996 ihren „Guide to the Project Management Body of Knowledge“ eingeführt und publizierte im Jahr 2003 ihr „Organisational Project Management Maturity Model“. IPMA entschied sich im Jahr 2006 für die konzeptionelle Weiterentwicklung Kompetenzen im PP&PM in den drei Bereichen Personen, Projektteams und Organisationen, was im Jahr 2011-12 zur Zertifizierung von Organisationen und zur Organisational Competence Baseline führte. Mit der Individual Competence Baseline (ICB) Version 4 wurden die drei Domänen Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement eingeführt. IPMA/ GPM/ pma/ spm | Neue Zertifizierungen 82 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0042 Heute können die Zertifizierungen für die IPMA-Ebenen D, C sowie A und B Projektmanagement in der Schweiz als gängige bzw. «Massenprodukte» eingeordnet werden. Die Zertifizierungen im Programm- und Portfoliomanagement für die IPMA-Ebenen B und A können als Nischenprodukte eingeordnet werden. Im Jahr 2022 hat der VZPM Kompetenzausweise gemäß Tabelle 1 an Personen im Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement erteilt. Bei den Level A und B sind es vor allem Zertifikate für komplexe und sehr komplexe Projekte, nicht Zertifikate im Programm- und Portfoliomanagement. Zudem wurde vom VZPM die erste Erstzertifizierung an eine Organisation (die Business Unit einer Industrial Company) mit der aktuellen Regelung IDR2 (2019) für IPMA Delta® erteilt. Mit der vorangehenden Regelung wurden vom VZPM im letzten Jahrzehnt bereits drei Delta-Zertifikate überreicht. International wurden im Jahr 2023 drei weitere Zertifikate mit IPMA Delta® erreicht, für • Urban Development Division of the City of Helsinki, Finnland • Energy Industry Engineering Division, Iran • Eletrobras -- Furnas Centrais Elétricas S. A., Brasilien Potenziale bestehen in der Schweiz heute bei der IPMA®- Zertifizierung • im Projektmanagement für den Level C (begrenzte Komplexität) • im Programm- und Portfoliomanagement für die Level B und A (hohe Komplexität) Weiter zu beachten wären die Zertifikate im ganzen Bereich der Grundausbildung und Weiterbildung, von wenigen Kurstagen bis zum Doktorat, sowie die neueren Zertifikate für das agile Vorgehen und die Consultants und Trainers&Educators. Als Folgerungen können zur Diskussion und Überprüfung gestellt werden: 1. Die IDR2 für IPMA Delta hat sich bei der Einführung gut bewährt, befindet sich aber natürlich weiterhin in einem dauernden Optimierungsprozess. 2. Das Projektmanagement ist weitgehend ein Massenprodukt, wird breit angewendet. Es gibt aber sehr verschiedene Projektarten und die spezifischen Anwendungen für sie können Nischenprodukte sein. Weltweit gesehen besteht noch ein großes quantitatives Potenzial. 3. Programm- und Portfoliomanagement sind noch oft Nischenprodukte. Normale Anwendungen kommen aber zunehmend vor, z. B. durch Project Management Offices von Organisationen. Diese hier vorgelegten Überlegungen passen nicht ganz zufällig zum Thema „spm. 40 Jahre Vielfalt“. Hans Knöpfel, spm Vorstand Zertifikate VZPM 2022 Erstzertifizierungen Rezertifizierungen Total Delta 1 0 1 Level A 11 11 22 Level B 48 103 151 Level C 95 125 220 Level D 1647 149 1796 Total A-D 1801 388 2189 Tabelle 1: Zertifikate VZPM 2022 uvk.de Damit Sie mit Ihrem Team schneller ans Ziel kommen! 84 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0043 Wie sind Sie zum Projektmanagement gekommen? Während meiner Studienzeit war ich bereits Projektleiter in einem Projekt bei einem großen Automobilzulieferer, das über zwei Semester ging. Seitdem habe ich Spaß am Projektmanagement und der Projektleitung. Auch meine späteren Stationen im Lean Management hatten immer etwas mit Projektmanagement zu tun. Welches Projekt hat Sie besonders geprägt oder war für Sie besonders wichtig? Ich habe damals als Student für einen großen deutschen Generalunternehmer als Bauleiter gearbeitet. Wir habe uns an meinem ersten Arbeitstag auf der Baustelle getroffen, mein Projektleiter hat mir eine halbe Stunde alles gezeigt und ist dann mit den Worten: Sie haben ja ein Handy und können mich anrufen, wieder gefahren. Es wurde ein sehr erfolgreiches Projekt, auch wenn ich damals buchstäblich ins kalte Wasser geworfen worden bin. Rückblickend sicherlich ein sehr prägendes Projekt. An welchem Projekt arbeiten Sie gerade? Aktuell konzipieren, planen und bauen wir ein neues Produktionswerk in Zhuhai auf knapp 30.000 qm für ca. 650 Mitarbeiter. Neben vielen anderen Aufgaben fällt das Thema Nachhaltigkeit in meinen Verantwortungsbereich, was mir sehr am Herzen liegt. Dort planen wir einige innovative Lösungen in das neue Gebäude zu integrieren. Es ist ein großes Projekt mit hoher Budgetverantwortung, langer Laufzeit und interkulturell anspruchsvoll. Aber das macht den Reiz aus. Gelten in Ihrem Bereich bestimmte Standards und Methoden? Wir haben bei der MTU ein Projektmanagement-Handbuch mit Vorgaben. Darüber hinaus gibt eine Bauabteilung entsprechende Standards und Templates vor. Klassisches Projektmanagement überwiegt, wobei wir in dem aktuellen Projekt an der einen oder anderen Stelle agile Methoden wie bspw. ein Kanban Board integrieren. Generell haben wir freie Methodenwahl. Was zeichnet Sie als Projektmanager besonders aus? Empathie und positive Einstellung. Das Glas ist immer halb voll. Empathie heißt, zuzuhören und herauszufinden, was jemand zu einem Projekt beitragen kann und dann versuchen, ihn entsprechend dieser Stärken gewinnbringend einzusetzen. Was motiviert Sie, in Projekten zu arbeiten und Projekte zu leiten? In ganz vielen kleinen Schritten können Entscheidungen selbst getroffen oder Entscheidungen herbeigeführt werden. Am Ende erschaffe ich etwas, wie z. B. jetzt ein neues Produktionswerk. Es gibt kaum etwas motivierendes. Welche Tipps haben Sie für den Projektmanagement-Nachwuchs? Die meisten Projekte im industriellen Umfeld werden oft gar nicht als Projekte bezeichnet. Es ist deshalb wichtig, die Methoden des Projektmanagements zu beherrschen, um ein Projekt als solches souverän zu erkennen und es mit den notwendigen Methoden erfolgreich abzuarbeiten. Welche Eigenschaften schätzen Sie an Projektmanagern*innen am meisten? Fokussiert und unaufgeregt. Bitte keine Choleriker. Was ist für Sie als Projektmanager das größte Glück? Erstens, wenn alle Beteiligten für ein Projekt freigestellt sind und sich auf das Projekt konzentrieren können und wenn zweitens der Zusammenhalt untereinander stimmt. Für mich hat Projektmanagement viel mit Teamplay zu tun. Was sind zukünftige Trends? Ich sehe zwei große Trends: Es ist toll, wie viele digitale, cloudbasierte Kollaborationslösungen auf dem Markt schon vorhanden sind und ich bin mir sicher, dass wir dort noch nicht am Ende sind. Ein großes Potenzial sehe ich zudem in der Layoutentwicklung im virtuellen Raum mit Augmented Reality. Auch hier wird in Zukunft noch einiges auf uns zukommen. Ich freue mich darauf. Was geben Sie den Lesern mit auf den Weg? Stay positive! Auf ein Wort mit-… Dr. Martin A. Süchting, Senior Project Manager bei MTU Maintenance Zhuhai Co. Ltd. Von Martina Peuser Zur Person | Dr. Martin A. Süchting ist als Senior Project Manager bei MTU Maintenance Zhuhai Co. Ltd., Guangdong, China tätig und ist dort Projektleiter für den Bau eines neuen Produktionswerkes (~30.000 qm). Prof. Dr. Martina Peuser ist Professorin mit den Schwerpunkten Projektmanagement und Organisation, Unternehmensberaterin und Keynote Speakerin. Als Entwicklerin des Multi TopPerformance Radar (MTPR ©) begleitet sie Unternehmen bei der Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit zu agilen und absolut kundenorientierten Marktführern. In ihrer Kolumne gibt sie spannende Kurzeinblicke in Lebensläufe und Gedanken von im Projekt tätigen Personen. PRAXIS KOMMUNIKATION ist das Magazin für angewandte Psychologie in Coaching, Training und Beratung. Wir berichten aus der Praxis der Veränderungsarbeit. Coaches und Trainer lassen sich bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen und schreiben über ihre eigenen Erfahrungen mit Methoden, Tools, Klienten und Beratungssituationen. Theoretische Ansätze und neue Forschungserkenntnisse kommen bei uns nicht zu kurz - wir bereiten sie verständlich auf und laden zum Weiterdenken ein. Wir geben Orientierung über Trends, neue Konzepte und Entwicklungen in der Trainings- und Beratungsbranche - das alles geprägt von einem humanistischen Menschenbild. www.pkmagazin.de PRAXIS KOMMUNIKATION jetzt probelesen! Das E-Journal bieten wir ab sofort zum dauerhaft vergünstigten Preis von € 55,00 an! PRAXIS KOMMUNIKATION gibt es im Zeitschriftenhandel und im Abo als Print- und E-Journal. Testen Sie uns - bestellen Sie unter www.junfermann.de das günstige Probe-Abo (3 Hefte für € 25,00 inkl. Versandkosten). Das Magazin für Profis. Und solche, die es werden wollen. Mit der All-in-One-Software von PLANTA haben Sie alle Funktionen, die Sie für erfolgreiches Projektmanagement brauchen, in einem System. Ob klassische, agile oder hybride PM-Methode, ob Projekt oder Portfolio, Sie sind für alle Projektsituationen gerüstet. Präzise Planungsfeatures für Termine, Kosten, Ressourcen und Fortschritte sorgen dafür, dass Sie nicht nur weniger Zeit benötigen, um Projekte zu managen, sondern Ihre Projekte auch schneller zum Abschluss bringen. Dank der agilen Komponente reagieren Sie außerdem mit Leichtigkeit auf Projektveränderungen. Alle Projektteams behalten dabei den Überblick über ihre Aufgaben und kommunizieren Infos im Handumdrehen, egal ob im Büro oder am heimischen Schreibtisch. So nutzen Sie Ihre Arbeitszeit mit ungeahnter Effektivität. PLANTA als Hybrid-System - ein Extraschub für alle Teams im Unternehmen. So geht Projektmanagement in Zeiten der Digitalisierung Gewinnen Sie Zeit, Transparenz und Flexibilität: Planen Sie hybrid Jetzt informieren und Beratungstermin vereinbaren: www.planta.de