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PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
pm
2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
71
2023
343 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.
Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Unter Mitwirkung von: spm - Swiss Project Management Association und Projekt Management Austria P R OJ E K T M A N A G E M E N T A K T U E L L www.pm-aktuell.de Projektmanagement und Nachhaltigkeit Ausgabe 3/ 2023 | 34. Jahrgang Projektmanagement Grundlagenseminar online 23.-25.08.2023 online 25.-27.10.2023 online 06.-08.12.2023 Nachhaltigkeit im und durch Projektmanagement online 24.08.2023 online 21.09.2023 PMO - Projekte Menschenorientiert Organisieren: PMO Gründung und Etablierung online 28.08.2023 online 28.09.2023 online 16.11.2023 Projektmanagement in Microsoft Project: Grundkurs (Abendveranstaltung) online 04./ 11./ 18./ 25.09.2023 Aufbaukurs (Abendveranstaltung) online 16. und 23.09.2023 Aktives Stakeholdermanagement mit Change Management-Anteilen online 15.09.2023 Stakeholdermanagement in Entscheidungsprojekten online 18.09.2023 Gute Besprechungsorganisation für Projektteams in jeder Gesprächssituation online 20.09.2023 Die Anwendung der PM-Methoden im IT-Sicherheitszentrum online 21.09.2023 Die Bedeutung des PMO für den Unternehmenserfolg online 21.09.2023 online 21.11.2023 S-M-O-R-Fst Du schon? Die 5 Scrum Werte in der Organisation gestalten Nürnberg 25.09.2023 Projekte beschleunigen, so geht’s! online 25.-26.09.2023 PMO-Werkstatt - so gelingt der PMO-Aufbau! online 09.-11.10.2023 Modernes Selbst- und Zeitmanagement auf Basis von PM und OKR online 12.10.2023 online 19.12.2023 Projekterfolge sichern - Konflikte lösen online 19.-20.10.2023 (Teil 1) online 22.-23.11.2023 (Teil 2) So geht Win-win online 19.-20.10.2023 Projekte als Zukunftsmacher - Lern-Strategien für das Anthropozän online 02.11.2023 Projektmanagement von oben - Anforderungen, Verantwortung, Aufgaben online 02.11.2023 Gute Besprechungsorganisation für Projektteams in jeder Gesprächssituation online 03.11.2023 Projektmanagement mit Microsoft Project - Grundkurs online 09.-10.11.2023 Aufbaukurs online 13.11.2023 Projektleitertraining Köln 06.-07.11.2023 Project Canvas online 07.11.2023 Aktives Stakeholdermanagement mit Change Management-Anteilen online 17.11.2023 Digitalisierung und Digitale Transformation strategisch managen online 22.-23.11.2023 Komplexität im Projektmanagement Düsseldorf 28.-29.11.2023 Decision Canvas online 06.12.2023 Mehr Projektmanagement-Wissen für Sie und Ihren Unternehmenserfolg! Aus dem profunden und vielfältigen Know-how des Vereins entstehen die Ideen für das Seminarangebot der GPM. Dank des gemeinnützigen Charakters der GPM können Sie sich dabei auf faire Preise verlassen. Weitere Seminare unter: www.gpm-ipma.de/ seminare GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. I seminar@gpm-ipma.de I www.gpm-ipma.de Know-how für Ihren Projekterfolg Jetzt informieren und anmelden unter: www.gpm-ipma.de/ seminare Profitieren Sie vom Expertenwissen der GPM - dem deutschen Fachverband für Projektmanagement. WEITERBILDUNG Das GPM Weiterbildungsprogramm - Seminare 2. Halbjahr 2023 * Änderungen vorbehalten. Nähere Infos unter: www.gpm.ipma.de/ seminare 1 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Am Tullnaupark 15, 90402 Nürnberg Unter Mitwirkung von Spm - Swiss Project Management Association Flughofstraße 50, CH-8152 Glattbrugg und Projekt Management Austria Palais Schlick, Türkenstraße 27/ 2/ 21, A-1090 Wien Redaktion: Prof. Dr. Steffen Scheurer, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (Chefredakteur) Oliver Steeger, Alfter (Ressort Report) Nadja Saoudi, GPM Nürnberg Dr. Thor Möller, prometicon projects GmbH, Bremen Redaktionsbeirat: Prof. Dr. Peter Thuy (Präsident GPM) Dr. Dieter Butz Axel Graser, Südwestrundfunk / SWR Prof. Dr. Nino Grau, Grauconsult GmbH Prof. Dr. Katrin Hassenstein, Hochschule der Medien Stuttgart Prof. Dr. Claus Hüsselmann, Technische Hochschule Mittelhessen Dr. Hans Knöpfel, spm, Schweizerische Gesellschaft für Projektmanagement Brigitte Schaden, pma (Projektmanagement Austria) Prof. Dr. Doris Weßels, Fachhochschule Kiel G 6010 34. Jahrgang, 3/ 2023 ISSN 2941-0878 Verlag: UVK Verlag. Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5, 72070 Tübingen Telefon: +49 (0)7071 97 97 0 Telefax: +49 (0)7071 97 97 11 www.projektmanagement.digital © 2023 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Tübingen Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages. Namentlich gekennzeichnete Beiträge sowie die Inhalte von Interviews geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion oder des Verlages wieder. Zeitschriftenkoordination: Patrick Sorg eMail: sorg@narr.de Anzeigenverwaltung: Stefanie Richter Telefon: +49 (0) 89 / 120 224 12 eMail: richter@narr.de Erscheinungsweise: 5 Hefte pro Jahr Bezugspreise für Privatpersonen: Einzelheftpreis: EUR 20,- Jahresbezugspreis (print): EUR 67,- Jahresbezugspreis (print & online): EUR 88,- Bezugspreise für Institutionen: Jahresbezugspreis (print): EUR 67,- Jahresbezugspreis (print & online): EUR 198,- Preisänderungen vorbehalten. Der Bezugspreis für Mitglieder der GPM ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Alle Preise zzgl. Versandkosten und inkl. MwSt. Die Kündigung ist sechs Wochen vor Ende eines Kalenderjahres schriftlich an den Verlag zu richten. Sonderausgaben werden zusätzlich berechnet. Bei Nichterscheinen der Zeitschrift ohne Verschulden des Verlages oder infolge höherer Gewalt entfällt für den Verlag jegliche Lieferpflicht. Umschlagabbildung: © iStock.com/ PeopleImages Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird die männliche Form verwendet (generisches Maskulinum). Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter und beinhalten keine Wertung. Impressum 2 Editorial Reportage 4 Jetzt kommt die Nachhaltigkeit im Projektgeschäft Wissen 11 Den Superkunden verstehen! 18 Nachhaltigkeit und Agilität in Projektmanagementstandards 22 Projektökosystem und Ökoprojekte 29 Bildung für nachhaltige Entwicklung 31 Wie attraktiv ist New Work für die (Projekt-) Arbeit wirklich? 38 Nachhaltige Personalentwicklung für nachhaltiges Projektmanagement 43 Wie Sie Verschwendung in Ihren Projekten identifizieren und eliminieren 48 Kollaboratives Projektmanagement in der Praxis 53 Das Dilemma unserer Zeit 56 DAS Projektmanagementkontinuum 62 Projekt in der Krise - oder doch nicht? 68 Rückblick auf das PM Forum Köln 70 15. GPM Aktiv: Inspirationen für eine erfolgreiche Zukunft Kolumne 71 Das physiologische Äquivalent Aus den DACH-Verbänden 72 Nachruf zum Tod von Prof. Dr. Yvonne Schoper 73 GPM intern Die GPM Fach- und Regionalgruppen 75 pma intern 76 spm intern 80 Auf ein Wort mit-… Klaus Pfeiffer 2 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0044 Editorial Editorial Liebe Leserinnen und Leser, Nachhaltigkeit ist das Schlagwort unserer Zeit. Doch-- was bedeutet Nachhaltigkeit genau? Eine mögliche Definition: „Als nachhaltig wird eine Entwicklung bezeichnet, bei der heutige Bedürfnisse befriedigt werden (intergenerationale Gerechtigkeit), ohne zukünftigen Generationen die Lebensgrundlage zu entziehen (intragenerationale Gerechtigkeit).“-[1] Es geht um einen möglichst schonenden und verantwortlichen Umgang mit unseren Ressourcen. Gemeint sind dabei nicht nur knappe Ressourcen im Sinne der Wirtschaft, sondern auch ökologische und soziale Ressourcen. Aus diesem Grund spricht man vom 3-Säulenmodell der Nachhaltigkeit. Nachhaltiges Handeln ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabenstellung; dies ist weitgehend unumstritten. Damit ist jeder Einzelne von uns unmittelbar betroffen. Die Fragen an uns: Wie können wir im privaten und im beruflichen Umfeld konkret nachhaltiger handeln? Und was kann Projektmanagement zu nachhaltigem Handeln beitragen? Hier gibt es unterschiedliche Facetten. Wir können die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) der Vereinten Nationen im Rahmen der eigenen Projektabwicklung so gut wie möglich berücksichtigen. Denkbar wäre besipielsweise eine Reduzierung der Reisetätigkeiten im Projekt oder eine möglichst papierlose Abwicklung des Projekts. Weniger offensichtlich, aber ebenso wichtig ist die menschenzentrierte Weise der Projektführung. Sie schafft einzelnen Projektteammitgliedern Entwicklungspotenziale und Entscheidungsteilhabe. Nicht zuletzt: Wir können uns in Projekten engagieren, die selbst direkt Ziele der Nachhaltigkeit verfolgen. In diesem Heftschwerpunkt wollen wir zeigen, was Projektmanagement in Sachen Nachhaltigkeit beitragen kann. Als Einleitung in das Thema stellt Wolfgang Glitscher den Ansatz des Next7G Project Managements vor. Die Grundidee besteht darin, die Auswirkungen der Handlungen im Projekt mindestens für die nächsten sieben Generationen zu berücksichtigen. Norman Heydenreich zeigt in seinem Beitrag, wie die Aspekte der Nachhaltigkeit auch in den Anstrengungen der internationalen Normierung ihren Niederschlag finden. Der Autor macht zudem ein Angebot zur Mitarbeit! Dirk Fernholz begreift in seinem Beitrag den Projektmanager als „Ökoprojektmanager“ und knüpft damit unmittelbar an den forstwirtschaftlichen Wurzeln der Nachhaltigkeitsdiskussion an. Sarah-Janina Khayati zeigt im Interview mit Tobias Feitkenhauer, wie Kinder in der Schule im Rahmen eines FREI DAY an aktuelle gesellschaftliche und ökologische Herausforderungen herangeführt werden, die sich an den 17 SDG der Vereinten Nationen orientieren. Projektorientierter Unterricht bildet dabei ein zentrales pädagogisches Instrument. Loraine Brandis beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit der sozialen Nachhaltigkeitsdimension. Sie untersucht, wie mittels Konzepten des „New Work“ sowohl die Anforderungen der Generation X als auch der Generation Z an das Arbeitsleben der Zukunft erfüllt werden können. Agnetha Flore und Frank Edelkraut beleuchten in ihrem Beitrag, welche Rolle der Personalentwicklung bei einer nachhaltigen Transformation in Unternehmen zukommt. Es wird erörtert, wie eine ideale Transformation aussehen könnte und wie das Projektmanagement davon betroffen ist. Neben diesen Beiträgen zur Nachhaltigkeit haben wir in diesem Heft eine Reihe von Beiträgen, die sich mit der methodischen Weiterentwicklung des Projektmanagements befassen. Ein Beispiel hierfür ist der Beitrag von Rainer Erne , Claus Hüsselmann und Stefanie Langhardt , in dem sie den von ihnen bereits vorgestellten „Project Management Waste Index“ konkretisieren. Jürgen Habenstein stellt die Methode der Collaboration- Map vor. Mit diesem Instrument können Überblick, Transparenz und Kontrolle in Produktentwicklungsprojekten entscheidend verbessert werden. Christian Bernert stellt in seinem Beitrag dar, welchen Herausforderungen Entscheidungsträger gegenüberstehen, wenn sie vor Entscheidungs-Dilemmata stehen und wie sie trotzdem zu Entscheidungen kommen können. Martin Barth , Jonas Reidick , und Margit Sarstedt stellen einen situativen Ansatz für das Projektmanagement vor, den die Autoren mit ihrem Modell des situativen Projektmanagementkontinuums konkretisieren. Kai Rahnenführer und Goran Radin beschäftigen sich mit Projekten in der Krise. Die Autoren beschreiben die einzelnen Schritte und Voraussetzungen, die es dem Leser möglich machen, einen Fahrplan aus der Schieflage oder Krise in den Normalzustand des Projektes zu erstellen und diesen auch anzuwenden. Am 15. und 16. Juni fand in Köln das PM Forum der GPM und am 17. Juni die GPM Aktiv, ebenfalls in Köln statt. Lesen Sie den Bericht von Antonia Zöls zu diesen Veranstaltungen. Am Ende dieses Editorials gibt es noch eine sehr traurige Nachricht zu berichten: In den letzten Jahren waren Sie gewohnt die Nachrichten aus der IPMA von Yvonne Schoper zu lesen. Leider verstarb Yvonne Schoper während der IPMA Research Conference im April 2023 in Nanjing. Wir erinnern mit einem Nachruf in diesem Heft an sie und danken ihr für ihren unermüdlichen Einsatz für das Projektmanagement im Rahmen der GPM und der IPMA. Wir wünschen Ihnen bei der Lektüre dieses Heftes viele Anregungen, wie Sie Nachhaltigkeit in Ihrem zukünftigen Handeln noch besser umsetzen können. Wir alle wissen: Der Beitrag jedes Einzelnen zählt für die Zukunft unseres Planeten und zukünftiger Generationen. Ihr Steffen Scheurer [1] https: / / wirtschaftslexikon.gabler.de / definition / nachhaltigkeit-41 203, abgerufen am 17. 06. 2023 Projektmanagement und Nachhaltigkeit Mit der All-in-One-Software von PLANTA haben Sie alle Funktionen, die Sie für erfolgreiches Projektmanagement brauchen, in einem System. Ob klassische, agile oder hybride PM-Methode, ob Projekt oder Portfolio, Sie sind für alle Projektsituationen gerüstet. Präzise Planungsfeatures für Termine, Kosten, Ressourcen und Fortschritte sorgen dafür, dass Sie nicht nur weniger Zeit benötigen, um Projekte zu managen, sondern Ihre Projekte auch schneller zum Abschluss bringen. Dank der agilen Komponente reagieren Sie außerdem mit Leichtigkeit auf Projektveränderungen. Alle Projektteams behalten dabei den Überblick über ihre Aufgaben und kommunizieren Infos im Handumdrehen, egal ob im Büro oder am heimischen Schreibtisch. So nutzen Sie Ihre Arbeitszeit mit ungeahnter Effektivität. 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Oliver Thost und Andreas Spathelf von dem Projektmanagement-Unternehmen Thost (600 Mitarbeiter weltweit) berichten: Nahezu jedes Projekt, das ihr Unternehmen betreut, steht in Verbindung mit ESG. Im Interview erklären sie, wie ESG die Wirtschaft verändert, welche Auswirkungen es auf Projektportfolios, Projektziele und Projektmanagement hat-- und weshalb viele mittelständische Unternehmen noch nicht deutlich sehen, was auf sie zukommt. Hinter der Abkürzung „ESG“ steht ein Megatrend, der derzeit die Projektlandschaft verändert. Es geht um Nachhaltigkeit hinsichtlich Ökologie, Sozialem und Unternehmensführung. Zur Bedeutung dieses Trends: Das Fachmedium „Immobilien Zeitung“ hat ESG zum Immobilienwort des Jahres 2022 gekürt. Wie beeinflusst aus Ihrer Sicht ESG derzeit das Projektmanagement? Oliver Thost: ESG ist weit mehr als nur ein aktuelles Schlagwort. Es verändert, welche Produkte entwickelt werden. Es verändert die Art und Weise, wie diese Produkte produziert werden, und es verändert die hierfür erforderlichen Dienstleistungen. Viele Unternehmen haben das erkannt. Sie investieren in entsprechende Projekte zur Veränderung der Produktionstechnologie und der dazugehörigen Infrastruktur-- einschließlich der Immobilien und Energieversorgung. In unserem Beratungs- und Projektmanagementunternehmen steuern wir immer mehr Projekte, die mit Blick auf ESG umgesetzt werden. Andreas Spathelf: Begriff und Konzept von ESG wurden 2004 von der “Global Compact Initiative“ der UN entwickelt, um die drei wichtigsten Säulen nachhaltigen Wirtschaftens zu benennen. Der Begriff Nachhaltigkeit ist dabei weit gefasst: Man versteht darunter nicht nur Umweltschutz, Begrenzung des Klimawandels, Anpassung an den Klimawandel oder Übergang zur Kreislaufwirtschaft. Es geht auch um die Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns auf die Gesellschaft. Im Jahr 2020 hat die Europäische Kommission als eine Folgemaßnahme des European Green-Deals eine erste Taxonomieverordnung für Umweltschutzziele verabschiedet. Es ist der Versuch eines einheitlichen Klassifizierungssystems für die ökologischen Auswirkungen wirtschaftlicher Tätigkeiten. Das Ziel ist, nachhaltiges Handeln in den Kern von Unternehmenskultur, Geschäftsentwicklung und Unternehmensstrategie zu rücken. Unternehmen können also heute schon sehen, wie groß ihr ökologischer Fußabdruck ist-- und wie sie ihn verkleinern können? Oliver Thost: Zu einem gewissen Grad will man Transparenz herstellen. Durch zunehmende Berichtspflichten sollen Unternehmen erklären, wo sie stehen und was sie tun, um sich hinsichtlich Nachhaltigkeit zu verbessern. Diese Berichte sind öffentlich. Sie spielen beispielsweise bei der Finanzierung von Immobilienvorhaben schon jetzt eine Rolle. Das heißt, Investoren schauen sich die Berichte zur Nachhaltigkeit von Unternehmen an? Oliver Thost: Genau. Man möchte Kapitalströme hin zu nachhaltigeren Investments lenken. Andreas Spathelf: Für große kapitalmarktorientierte Konzerne bestehen bereits seit einigen Jahren Verpflichtungen, Reportage | Jetzt kommt die Nachhaltigkeit im Projektgeschäft 6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0045 gemäß NFRD (Non financial reporting direction) über nicht kommerzielle Aspekte zu berichten. Für andere Gruppen werden diese Berichte in den kommenden Jahren verpflichtend. Bislang gab es keine einheitliche Berichtsform. Im November 2022 wurde von der EU ein einheitlicher Standard eingeführt, der European Sustainability Reporting Standard (ESRS). Im Jahr 2022 wurden Verordnungen auf mittelständische Unternehmen über 250 Mitarbeitern beziehungsweise mehr als 40 Mio. Euro Jahresumsatz ausgeweitet. Sie greifen ab dem Berichtsjahr 2024. Solche Berichte können Unternehmen dazu dienen, nach draußen ein sauberes Image zu vermitteln-… Andreas Spathelf: Es geht eindeutig um mehr als nur das Image. „Greenwashing“ soll durch die Taxonomien und Berichtspflichten unterbunden werden. Für viele Unternehmen ist die Umstellung auf nachhaltiges Wirtschaften eine Frage der Zukunftsfähigkeit. Ein Beispiel dafür sind Automobilhersteller. Sie sind in einigen Bereichen weiter, als es die ESG- Vorgaben derzeit erfordern- - auch wenn hier noch „viel Luft nach oben“ besteht. Oliver Thost: Einer unserer Kunden, ein deutscher Automobilkonzern, investiert derzeit eine große Summe in eine neue Lackieranlage- - ein ohnehin sehr energieintensiver Prozess. Die Anlage wird nur einen Bruchteil der bisherigen Wassermenge verbrauchen und den CO2-Footprint erheblich reduzieren. Durch diese Investition wird künftig keine höhere Zahl von Autos in der Anlage lackiert, und die Autos werden auch nicht noch „schöner“. Es geht um Nachhaltigkeit und insbesondere Dekarbonisierung der Prozesse. Andreas Spathelf: Natürlich rechnet sich dieses Projekt auch finanziell. Die Anlage spart 50 bis 60 Prozent Energie und Wasserverbrauch. Nachhaltigkeitsaspekte sind nicht mehr nur Teil einer Unternehmensphilosophie, sondern Teil einer jeden Projektkalkulation- - gerade angesichts der steigenden Energiepreise und CO2-Kompensationsabgaben. Derzeit müssen große Unternehmen nach außen vielfach „nur“ berichten. Der Akzent liegt auf Selbstüberwachung und Selbstregulierung-- noch! Könnte es sein, dass aus Empfehlungen und Absichtserklärungen bald scharfe Grenzwerte für Verbrauch und Emission werden? Andreas Spathelf: Diese Vorgaben und Grenzen kommen sukzessive. Deshalb investieren Unternehmen enorm in „ESG-Projekte“. Sie wollen sich vorbereiten und die absehbaren politischen und regulatorischen Vergaben antizipieren. Bleiben wir beim Beispiel der Automobilwirtschaft. Dort stehen die Zeichen bekanntlich auf Elektromobilität. Dieser Paradigmenwechsel hat viele technische Entwicklungsprojekte ausgelöst-… Andreas Spathelf: Es geht nicht nur um die Entwicklung und Herstellung von neuen Elektro-Fahrzeugen, sondern auch um Vorhaben im Umfeld der Elektromobilität, etwa große Batteriezellenwerke, den Aufbau der Ladeinfrastruktur. Ein nachhaltiger Produktionsprozess spielt dabei ebenso eine große Rolle: mit den Stichwörtern Energieeffizienz, Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft. In diesem Sinne hat inzwischen nahezu jedes Projekt einen Bezug zu ESG. Welche Projekte zum Beispiel? Oliver Thost: Denken Sie an den Ausbau der Strom-Übertragungsnetze! An der Nordsee wird Windstrom produziert. Im Süden Deutschlands wird er gebraucht. Dazwischen sind die Stromnetze noch nicht leistungsfähig genug oder für Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) ausgelegt. Konzerne wählen Standorte für neue Produktionsanlagen heute stark unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten aus. Eine wesentliche Frage dabei ist: Ist „grüne Energie“ an einem vorgesehenen Standort verfügbar? Solche Fragen haben heute einen großen Einfluss auf die Standortwahl- - und damit auf die wirtschaftliche Perspektive einer Region. Der Schwerpunkt bei ESG scheint im Augenblick noch auf „E” zu liegen, der Umwelt. Ein Beispiel: Beim Bau etwa einer Immobilie kann man ökologische Baumaterialien verwenden oder moderne Energiesysteme und Dämmkonzepte einsetzen. Im Bereich ökologischer Nachhaltigkeit gibt es viele Ansatzpunkte. Die Möglichkeiten liegen auf der Hand. Doch sprechen wir bitte auch über das „G“ von ESG, die Governance. Da geht es um die Frage nach Unternehmensführung und Kooperation mit anderen Unternehmen. Governance hat ja viel mit Werten und Unternehmenskultur zu tun; sie zu verändern ist häufig ein langer Prozess. Wo sind beim „G“ aus Ihrer Sicht praktische Ansatzpunkte? Andreas Spathelf: Bezogen auf Projekte und Projektmanagement geht es zum Beispiel um Geschäftspraktiken und konsequente Einhaltung von Compliance-Regelungen. Hier bieten sich beispielsweise strategische Partnerschaften und ausgewogene vertragliche Regelungen zwischen den Beteiligten an. Insbesondere bei komplexen und langlaufenden Projekten ist das ein sehr bedeutendes Thema. Es gibt bereits faire und für alle Beteiligten attraktive Modelle, um etwa Konfliktpotentiale zu reduzieren oder sich auf außergerichtliche Verfahren zur Streitbeilegung zu verständigen. In unseren Beratungen sprechen wir Kunden darauf an. Sie erkennen, dass solche Modelle im Sinne langfristiger, partnerschaftlicher Beziehungen nachhaltig sind. Derlei Modelle sind seit längerem bekannt. 2015 hat beispielsweise die ”Reformkommission Bau von Großprojekten” partnerschaftliche Vertragsformen für öffentliche Vorhaben empfohlen, um Konfliktpotenzial zu reduzieren. Zudem ging es darum, die Transparenz, Effizienz, Kostentreue und Termintreue zu verbessern. Andreas Spathelf: Nach unserer Wahrnehmung verläuft die Umsetzung dieser Empfehlungen leider eher zurückhaltend. Das Bestreben, Risiken möglichst Dritten zu übertragen, ist noch immer recht ausgeprägt. Dabei ist ein offensiver Umgang mit Risiken und den oftmals damit verbundenen Chancen nach unserer Erfahrung der erfolgversprechendere Weg. Oliver Thost: Nochmals das Beispiel der Netzbetreiber. Große Infrastrukturprojekte haben in der Regel eine sehr lange Laufzeit. Wir sprechen über zehn bis fünfzehn Jahre. Werden solche Projekte gestartet und geplant, sind häufig die planerischen und genehmigungsrechtlichen Lösungen noch nicht exakt kalkulierbar - und damit auch nicht der Aufwand. Vieles Schießen Sie chaotische Projekte mit & zum Mond! 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Oliver Thost: Bei Infrastrukturprojekten kann kein Anbieter heute den Aufwand und damit die exakten Kosten für seine Leistungen über einen solchen Zeitraum seriös kalkulieren. Die herkömmlichen Vertragsmodelle zwingen Vertragspartner häufig dazu, Streitigkeiten während des Projekts oder danach auszutragen-- schlimmstenfalls vor Gericht. Andreas Spathelf: Das kann eine Konsequenz sein. Herkömmliche Modelle zwingen die Partner dazu, sich projektbegleitend intensiv mit ihren eigenen Interessen zu befassen, statt sich voll auf das Projekt zu konzentrieren und gemeinsam mit den weiteren Projektbeteiligten geeignete Lösungen zu finden. Das ist kaum nachhaltig. Eine Verschwendung von Ressourcen-… Oliver Thost: Hier ist einiges in Bewegung. Kürzlich ist einer der deutschen Netzbetreiber mit dem Wunsch an uns herangetreten, veränderte Vertragsmodelle einzusetzen. Das Stichwort ist IPA, integrierte Projektabwicklung - ein sehr kollaborativer Ansatz. Die Reinform von IPA ist ein „Mehrparteienvertrag“. Die Partner teilen sich Chancen und Risiken. Ungewöhnlich-… Andreas Spathelf: -… und doch begeben sich Infrastrukturbetreiber zunehmend auf diesen Weg. Das ist innovatives Projektmanagement - und eine gute Antwort auf die Frage, wie man unter Governance-Aspekten ausgewogenere und zielführende Verträge vereinbaren kann - eben nachhaltig, im Sinne von partnerschaftlichen Geschäftsbeziehungen. Ihr Beratungsunternehmen selbst folgt seit Jahren dem ESG-Gedanken. Es steht mit seinen Werten, seiner Strategie und Beratungsansätzen hinter ESG …- Oliver Thost: Wir setzen uns mit dem Thema Nachhaltigkeit seit langer Zeit auseinander, das ist richtig. Unsere Mission und Vision sind auf Nachhaltigkeit in den genannten Dimensionen ausgerichtet. Besonders in den vergangenen fünf Jahren haben wir das intensiviert. Wir haben Arbeitsgruppen gegründet und beschäftigen uns mit neuen Leistungsangeboten und beispielsweise auch mit der ESG-Berichterstattung, die für uns selbst erst ab 2024 verpflichtend sein wird. Wir sind 2021 dem UNGC beigetreten und kommen damit bereits einer freiwilligen Berichterstattung über nichtkommerzielle Aktivitäten unseres Unternehmens nach. Meine Frage: Können Sie als Unternehmen, das selbst ESG lebt, Einfluss nehmen auf die Entscheidungen Ihrer Kunden zum Thema Nachhaltigkeit? Andreas Spathelf: Das ist unterschiedlich. Bei der ökologischen Nachhaltigkeit- - beim „E“ von ESG - können wir in der Konzeptionsphase der Projekte Vorschläge einbringen: bei der Bedarfsermittlung, der Formulierung von Projektzielen und Randbedingungen. Dazu gehören beispielsweise nachhaltige technische Ansätze für Planung und Realisierung. Auch beim Thema „Governance“ setzen wir Impulse, indem wir beispielsweise die vorhin erwähnten innovativen Vertragsmodelle ins Gespräch bringen und auf eine vertrauensvolle Projektkultur hinwirken. Was ist mit dem ESG-Aspekt „Social“? Beim Thema „Social“ haben wir in der Regel wenig Einfluss auf unsere Kunden. Aspekte wie Arbeitsschutz oder Gleichbehandlung der Mitarbeitenden sind in der Regel unternehmensintern und nur bedingt auf „Investitionsprojekte“ adaptierbar beziehungsweise im „Direktionsbereich“ unserer Kunden. Oliver Thost: Wir verstehen uns auch nicht als „Kulturberater“. Auf die Transformation von Unternehmenswerten oder Unternehmenskultur sind andere Beratungsunternehmen spezialisiert. Unsere Kernkompetenz ist das Projektmanagement. Projekte-- und besonders Leuchtturmprojekte-- können durchwegs auf die Organisation ausstrahlen, zum Umdenken einladen und die Unternehmenskultur mitverändern-… Andreas Spathelf: Das ist richtig. Ein solches Leuchtturmprojekt war für uns beispielsweise die erste Schule in Deutschland nach Passivhaus-Standard im Jahr 2009. Das hat durchaus auch auf unser Unternehmen „nach innen“ ausgestrahlt. Schauen wir uns Ihre Kunden näher an. Wie sehen Ihre Kunden das Thema ESG derzeit? Oliver Thost: Sehr unterschiedlich. Wie erwähnt, verfolgen einige ihre „Nachhaltigkeitsstrategie“ seit Jahren und sind der Politik voraus. Sie wissen, was sie wollen - und beauftragen Unternehmen wie unseres, um ihre Projekte zielgerichtet und erfolgreich umzusetzen. Denen muss man nichts mehr erklären? Andreas Spathelf: Nein, ihnen nicht. Doch viele andere Kunden sind eben noch nicht so weit. Sie sind sich auf vielen Feldern noch unsicher. In der Immobilienbranche gab es unlängst eine Umfrage. Fast alle Befragten bestätigten, dass ESG ein großes und wichtiges Thema für sie ist oder sein wird. Doch nur ein kleiner Teil - 10 bis 15 Prozent - hat das Thema ansatzweise inhaltlich durchdrungen. Vielen geht es derzeit darum, den eigenen Bedarf zu klären, der sich aus den zunehmenden Verordnungen, Regularien und Berichtspflichten ergibt. Sie fragen: Was bedeutet ESG für uns als Unternehmen? 9 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0045 Welche Kunden zum Beispiel? Andreas Spathelf: Beispielsweise Unternehmen mit einer großen Immobilienbestand. Einige Bundesländer wollen bereits bis 2040 klimaneutral werden. Sie entwickeln immer schärfere Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen. Ein bedeutender Ansatzpunkt dabei ist der Immobilienbestand, der für die Dekarbonisierungspläne einen viel größeren Hebel hat als Neubauten und der auch klimaneutral werden soll. Viele Immobilienunternehmen wollen wissen, was diese Zielformulierung konkret für ihren Immobilienbestand bedeutet. Was ist für diese Unternehmen aus Ihrer Sicht zu tun? Sie müssen ihren Bestand bewerten und Lösungsvorschläge entwickeln, wie sie die Vorgaben erfüllen können. Dabei geht es um sehr praktische Fragen. Wie kann das Unternehmen für die Analyse seines Portfolios eine Strategie und eine Roadmap entwickeln? Wie kann es organisatorisch die Umsetzung von Maßnahmen angehen? Angenommen, ein Unternehmen hat Hunderte oder Tausende Wohneinheiten in seinem Portfolio. Für die einzelne Einheit mag die Analyse vergleichsweise einfach sein. Doch wie geht man das bei 1.000 oder 10.000 Einheiten an? Ein großes Projekt-… Andreas Spathelf: …- auf das nicht alle Unternehmen vorbereitet sind. Sie müssen sich darauf einrichten, wie man solche Projekte angeht und durchführt. Dafür brauchen sie möglicherweise Organisationsberatung, ein Projektmanagement Office. Sie benötigen Unterstützung, um Daten verfügbar zu machen, zusammenzutragen und auszuwerten, und schließlich verpflichtende ESG-Berichte zu verfassen. Dann müssen die Maßnahmen umgesetzt werden wie etwa durch einen verbesserten baulichen Wärmeschutz, Umstieg auf Wärmepumpen, Einsatz von Photovoltaik oder LED-Beleuchtung. Solche Maßnahmen werden vom Staat unterstützt. Andreas Spathelf: Ja, es gibt Fördermöglichkeiten. Energetische Sanierungen werden unterstützt aus immer mehr Förderquellen. Unternehmen brauchen dafür ein Fördermittel-Management, benötigen Fachleute, die Überblick haben über die aktuellen Möglichkeiten, die die zu erfüllenden Bedingungen kennen und wissen, wie man mit welchen Daten Anträge stellt. Es heißt, dass viele ESG-Regelungen derzeit noch vage sind-… Oliver Thost: Zunächst einmal ist ESG ein Oberbegriff für vieles, was mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Doch auch die bereits erwähnten Taxonomie-Verordnungen sind noch recht vage und werden fortlaufend weiterentwickelt. Kann es sein, dass Unternehmen dazu verleitet werden, deshalb ESG noch nicht ernst zu nehmen? Andreas Spathelf: Ich denke, die meisten erkennen die Bedeutung von nachhaltigem Wirtschaften. Einigen ist vielleicht noch nicht klar, dass aus Empfehlungen in Kürze zunehmend konkrete Vorgaben, Grenzwerte und Betriebspflichten resultieren werden. Oliver Thost: Wir spüren, wie der „ESG-Verordnungsrahmen“ zunehmend enger wird. Aus unserer Sicht sollte man sich schon heute auf den Weg machen, auch wenn die Vorgaben und Grenzwerte erst in einigen Jahren festgelegt werden. Ich möchte das Thema ESG aus Sicht von Projekten und Projektmanagern beleuchten. Fangen wir mit Projekten an. Wir wissen, dass viele Projekte zur Nachhaltigkeit beitragen. Doch wie kann man die Projektarbeit selbst nachhaltiger machen? Andreas Spathelf: Hier stellt sich die Frage, wo die größten Hebel hinsichtlich Nachhaltigkeit sind. Mit welchen Maßnahmen können wir die größten Effekte erzielen? Projektorganisationen sind Interimsorganisationen. Natürlich kann man auch in dieser Interimsorganisation Nachhaltigkeitsaspekte implementieren. …-beispielsweise, dass Teammitarbeiter umweltfreundliche Verkehrsmittel nutzen, dass im Projekt Ökostrom verwendet wird oder mehr auf die Gesundheit der Teammitglieder geachtet wird? Andreas Spathelf: Ja, natürlich, darauf achten wir in unserem eigenen Umfeld. Der große Hebel liegt im Projektgeschäft in der Formulierung der Bedarfe, den Rahmenbedingungen und den Zielvorgaben, um geeignete „Nachhaltigkeitsaspekte“ im Sinne von ESG festzuschreiben und in die Projekte zu implementieren und schließlich bei der Umsetzung auf deren Einhaltung zu achten einschließlich der zunehmend geforderten Nachweise und Dokumentationen. Anzeige Reportage | Jetzt kommt die Nachhaltigkeit im Projektgeschäft 10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0045 Also etwa Produktionsanlagen energieeffizienter zu machen oder recyclefähige Baumaterialien einzusetzen? Andreas Spathelf: Zum Beispiel! Solche Weichen werden während der Initiierung und Vorbereitung der Projekte gestellt. Auf diese Vorphase der Projekte konzentrieren wir uns zunehmend. In dieser Phase ist das Potenzial am größten. Hier werden die entscheidenden Weichen gestellt. Wir haben die Auswirkungen von ESG besprochen. Meine Abschlussfrage: Wie verändert sich durch ESG die Arbeit des Projektmanagers? Wird das Management von Projekten wegen der zusätzlichen ESG-Dimension komplexer oder schwieriger? Oliver Thost: Auf lange Sicht können ESG-Ziele eine neue Steuerungsdimension im Sinne „Green Controlling“ ins Projektmanagement bringen. Wenn wir auf das Projektmanagement von vor 20 Jahren zurückblicken - da gab es diese Steuerungsdisziplin noch nicht. Nachhaltigkeitsziele können zu einer höheren Komplexität führen, insbesondere für die technischen und prozessualen Stränge. Projektmanager müssen dann die Erfahrung haben, diese Komplexität zu steuern. Und sie müssen mit neuen Modellen etwa für Verträge umgehen können. Unter dem Strich kann die Anforderungsliste an den Projektmanager etwas länger werden? Oliver Thost: Ja, möglicherweise um ein paar konkrete Punkte. Viele Menschen fühlen sich dem Ziel nachhaltigen Wirtschaftens und Lebens verbunden. Sie sehen einen Sinn darin, persönlich bei Ihrer Arbeit einen Beitrag zu leisten etwa zum Klimaschutz. Ist ESG damit auch ein Schlüssel, im Fachkräftemangel zu bestehen? Andreas Spathelf: Wir können ganz klar bestätigen, dass unsere Mitarbeitenden zunehmend den eigenen Anspruch haben durch Ihre berufliche Tätigkeit einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit in den beschriebenen Dimensionen zu leisten-… …-etwa einen Beitrag zu mehr Klimaschutz? Andreas Spathelf: Ja natürlich, das ist vielen Menschen ein persönliches Anliegen. Darüber hinaus sehe ich noch weitere Aspekte: Nachhaltige Geschäftspraktiken können zu besserer Zusammenarbeit führen. Die Tätigkeit im Projekt macht den Menschen mehr Spaß. Eine vertrauensvolle Projektkultur reduziert den Stress im Team und lässt Mitarbeiter engagierter arbeiten. Sie reiben sich in Konflikten nicht mehr gegenseitig auf. Wir sind überzeugt: eine vertrauensvolle Projektkultur führt zu besseren und wirtschaftlicheren Projektresultaten. Eingangsabbildung: © iStock.com / Sakorn Sukkasemsakorn Oliver Thost Oliver Thost ist Diplom-Ingenieur für Informationstechnik und geschäftsführender Familiengesellschafter in zweiter Generation. Sein Einstieg ins Unternehmen erfolgte 2012 ins operative Projektgeschäft am Standort München, bis er mit Berufung in die Geschäftsführung an den Stammsitz Pforzheim wechselte, wo er das Marketing und den IT-Service verantwortet und gemeinsam mit Andreas Spathelf das Thema ESG / nachhaltige Unternehmensführung vertritt. Seine Schwerpunkte setzt er hier in den Bereichen Kilmaschutz, Work & Life sowie CSR. Als Geschäftsführer der THOST Holding GmbH trägt er übergeordnete Verantwortung für die Entwicklung der Unternehmensgruppe. Foto: THOST Projektmanagement GmbH Andreas Spathelf Andreas Spathelf ist Diplom-Bauingenieur mit über 30 Jahren Berufserfahrung in der Immobilienwirtschaft und im Anlagenbau. Nach seinem Einstieg bei THOST Projektmanagement im Jahr 1997 prägte er seit 2010 als Prokurist und seit 2013 als Geschäftsführer die Entwicklung des Unternehmens von damals 30 auf heute fast 600 Mitarbeitende entscheidend mit. Klassisches und hybrides Projektmanagement sowie Vertragsmodelle sind seine bevorzugten Fachgebiete. Neben den Business Units West und International verantwortet er die Bereiche Personalentwicklung, Geschäftsentwicklung und Public Relations und vertritt gemeinsam mit Oliver Thost die Themen ESG und Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung. Foto: THOST Projektmanagement GmbH 11 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0046 Next7G Project Management-- Nachhaltiges Projektmanagement für die nächsten sieben Generationen Den Superkunden verstehen! Wolfgang Glitscher Für eilige Leser | Zur Steuerung nachhaltiger Entwicklungen, wie sie z. B. für das Schließen von Stoffkreisläufen notwendig sind, benötigt Projektmanagement eine erweiterte, in Unternehmenshandlungen umsetzbare Definition über das Liefern von Projektergebnissen in geschlossene, strukturierte Systeme hinaus. Projektmanager sind Gestalter von Zukünften. Im Sinne der Steuerung nachhaltiger Prozesse sind sie selbst von den Ergebnissen aus der Realisierung ihrer Projekte betroffen. Ein Next 7 G Project Management basiert auf einem Grundsatz aus der Überlieferung der Irokesen. Diese berücksichtigt die Auswirkungen von Handlungen auf die nächsten sieben Generationen. Damit wird eine Beachtung machbarer und visionärer Weiterentwicklungen von Projektergebnissen in Richtung nachhaltiges Projektmanagement notwendig. Der Autor sieht dies als einen wesentlichen Faktor für die Zukunft des Projektmanagements und darüber hinaus ebenfalls als Herausforderung für die Unternehmensleitungen. Erste Ansätze werden hier zur Diskussion gestellt. Schlagwörter | Zukunft des Projektmanagements, Unterstützung für nachhaltige Entwicklungen, Einbindung des Superkunden „Because the people who are crazy enough to think they can change the world are the ones who do.” Steve Jobs, Stanford 2005 Projektmanagement und das Anthropozän Unser gegenwärtiges Zeitalter wird als Anthropozän bezeichnet. Der menschliche Einfluss auf den Planeten ist offensichtlich. Alle Systeme, sowohl die ökologischen und die sozialen, gesellschaftlichen und politischen Systeme, sind durch seine Handlungen beeinflusst. Der Mensch beginnt die Auswirkungen seines Handelns auf seine Lebensgrundlagen zu verstehen und erste Handlungen daraus abzuleiten, um dies zu ändern. Projektmanager sind Designer von Zukünften Projektergebnisse werden in geschlossene Strukturen geliefert. Ein erweiterter Lebenszyklus dieser Ergebnisse im Sinne eines nachhaltigen, methodischen Projektmanagements, orientiert an den 17 SDGs (Sustainable Development Goals) der UN-Charta 2030, wird bisher gering bis gar nicht berücksichtigt. Die Projektergebnisse, durch Projektmanager realisiert, beeinflussen alle Bereiche, in denen der Mensch aktiv ist. Notwendig ist eine andere, erweiterte Sicht des Menschen auf alle seine Handlungen und deren langfristige Auswirkungen im Vorausblick mehrerer Generationen. Und nicht nur für seine eigene Art, sondern holistisch für das komplexe Gesamtsystem des Planeten. Die Verdoppelung der menschlichen Population innerhalb einer Generation hat den Ressourcenverbrauch signifikant erhöht. Die Aktivitäten zur Erhaltung der menschlichen Art verdrängen andere Arten aus ihren Lebensräumen. Auch die über eine Generation hinausreichenden Auswirkungen menschlicher Handlungen fließen nicht ausreichend in die durch den Menschen ausgelösten Aktivitäten ein. Sein Verhalten und seine Aktivitäten so zu ändern bzw. zu erweitern, dass sie nachhaltig sind, ist für das Überleben entscheidend. [1] Damit ist auch das Projektmanagement herausgefordert, seine methodischen Ansätze zu erweitern. Wissen | Den Superkunden verstehen! 12 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0046 Ein Next 7 G Project Management basiert auf einem Grundsatz aus der Überlieferung der Irokesen, die die Auswirkungen von Handlungen auf die nachfolgenden sieben Generationen berücksichtigt. [2] Damit wird eine Beachtung machbarer und visionärer Weiterentwicklungen von Projektergebnissen in Richtung nachhaltiges Projektmanagement notwendig, wie es z. B. für eine zirkulare Economy gilt. Der Mensch als invasivste Spezies des Planeten geht durch seine Beherrschbarkeitsideologien das Risiko ein, seine Überlebensgrundlagen in Frage zu stellen. Darwins Survival of the fittest , so interpretiert, dass nur die Stärksten überleben, ist anders zu verstehen: Es überleben die, die zur Evolution fähig sind und sich Veränderungen anpassen. Diese Qualität müssen Projektmanager übernehmen in ihre Verantwortlichkeit und die Ergebnisse ihrer Projekte nachhaltig gestalten und weiterentwickeln. Erste Ansätze des Next 7 G Project Management habe ich publiziert und in zwei Vorträgen im Jahr 2022 diskutiert. [3] [4] [5] Erste Forschungen über mögliche und bereits publizierte Managementansätze in Richtung nachhaltiges Projektmanagement wurden durchgeführt. [6] Weitere Vorhaben in dieser Richtung sind in Vorbereitung. Projektmanagement benötigt erweiterte und in die Unternehmenshandlungen umsetzbare Definition seines Wirkungsbereiches über das Liefern von Projektergebnissen in geschlossene, strukturierte Systeme hinaus. Zukünfte nachhaltig zu gestalten bedeutet, zu verinnerlichen, dass Projektmanager als Gestalter der Zukünfte selbst von den Ergebnissen aus der Realisierung ihrer Projekte betroffen sind. Sie sind Bestandteil dieser Zukünfte. Sie müssen sich als Designer verstehen-- und nicht ausschließlich als Realisierer von Ideen, die meist nicht ihre eigenen sind. Voraussetzung ist eine Erweiterung ihrer inneren Haltung und ein Kommunikationsmanagement für das durch sie generierte Wissen für die Weiterentwicklung unter den Kriterien für nachhaltiges Projektmanagement. Der bislang verfügbare Methodenbaukasten des Projektmanagements muss die kommenden sieben Generationen hinsichtlich der Auswirkungen der Projektergebnisse berücksichtigen und ist entsprechend zu erweitern. [7] Was ist dafür notwendig an Methoden, Kompetenzen und Fähigkeiten? Den Superkunden verstehen Eine Re-Integration von Kunde , Kooperation und Kreativität sind aktuelle Entwicklungen im Projektmanagement. [8] Für die Entwicklung nachhaltigen Projektmanagements ist ein Superkunde zu definieren: der Heimatplanet. Der Superkunde Heimatplanet stellt Ressourcen zur Verfügung, die Allgemeingut sind, aber keinen Preis haben: Wasser, Luft, Erde, Rohstoffe etc. Der Superkunde Heimatplanet liefert diese Güter für alle, kann sich aber nicht artikulieren und ist nicht in die Projektarbeiten eingebunden und verfügt nicht über eigene Rechte hinsichtlich seiner Verwertung. Ein möglicher Weg, um dies zu ändern, kann z. B. das Mar Menor bei Valencia (Spanien) sein, dass eine eigene Rechtspersönlichkeit erhalten hat. [9] Der Superkunde Heimatplanet ist Lieferant von Ressourcen und Infrastrukturen, die einer Zerstörung und Ausbeutung durch die menschlichen Aktivitäten unterliegen. Wie ist es möglich, den Superkunden Heimatplanet mit den Ressourcen, die er zur Verfügung stellt, in die Projektentwicklungen und in das Projektmanagement einzubinden? Im Folgenden wird versucht, einen möglichen Ansatz zu liefern. Konfrontiert mit zunehmender Komplexität und dem Management von Megaprojekten in globalen Herausforderungen [10] sind Projektergebnisse unabdinglich als fortlaufender Prozess für den Produktlebenszyklus innerhalb eines Projekts vom Kunden her zu denken: Was benötigt er wirklich und welche Auswirkungen hat dies? Neuere, sogenannte agile Methoden des Projektmanagements binden den Kunden bereits in alle Phasen eines Projekts ein. Weiterhin ist die Notwendigkeit von Kooperationen für die Komplexitätsbewältigung, die Grenzen von Organisationen als auch von Staaten zu berücksichtigen. Innerhalb einer Projektrealisierung können Ideen und Ansätze von Projektmanagern aufgegriffen werden und für die Weiterentwicklung der Projektergebnisse in Richtung Nachhaltigkeit fortgeschrieben werden. Damit werden Projektmanager Gestalter von Kooperationen und die Initiatoren von Kreativität , die die dafür notwendigen Prozesse initiieren und steuern. Sie entwickeln ein Verständnis für Prozesse, die zu nachhaltigen Innovationen führen können. Diese Innovationen sind Grundlagenwissen für eine Weiterentwicklung in Richtung Nachhaltigkeit der Projektergebnisse. Die 17 SDGs könnten hier beispielsweise als Basis für die Entwicklung von KPIs (Key Performance Indicators) in Richtung eines nachhaltigen Projektmanagements verwendet werden. Darüber hinaus sind Key Competence Indicators (KCI) für nachhaltiges Projektmanagement zu definieren. Ein Hinausdenken über Lieferung von Projektergebnissen nach Zeit und Kosten ist notwendig. Voraussetzung ist ein Denken in Stoffwechselaspekten, ein metabolisches Systemdenken , wie z. B. in den Stoffwechselprozessen in Organismen. [11] Die menschlichen Gesellschaften und die für ihren Erhalt notwendigen Aktivitäten folgen physiologischen Systemmodellen, wie in Stoffwechselprozessen. [12] [13] [14] Für die urbane Architektur wurde ein metabolisches Denken bereits 1960 als Manifest formuliert. [15] Im Hinblick auf die Betrachtung der Möglichkeiten der Weiterentwicklung der Projektergebnisse in Richtung Nachhaltigkeit für Next 7 G Project Management sind Prozesse in Anlehnung an den Dualismus von schnellem Denken und langsamen Denken, wie es z. B. abgeleitet aus Kahnemann für das Projektmanagement definiert wurde. [16] Der Superkunde Heimatplanet leidet und muss in die menschlichen Handlungen eingebunden werden. Nachhaltigkeit für die Weiterentwicklung von Projektergebnissen ist als metabolisches Systemdenken, als ein Denken und Handeln in die Tiefe zu verstehen. Dieses Denken und Handeln in die Tiefe bezeichne ich als ein Metabolisches Systemdenken - - ein zirkulares Denken in Kreisläufen nach systemischen Grundsätzen, die immer wieder ein Gleichgewicht zur unmittelbaren Umgebung herstellen. In diesem Sinne sind alle Projektergebnisse als Zwischenprodukte zu verstehen, für die eine Weiterverwendung zugedacht wird. Erste zu diskutierende Ansätze und ihre möglichen Auswirkungen finden sich in der Klassifizierung möglicher Eingriffe menschlicher Handlungen auf Klimaentwicklung und Ressourcenverbrauch. [17] Wissen | Den Superkunden verstehen! 13 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0046 Eine notwendige Re-Integration des Kunden , der Kooperation und der Kreativität in alle Handlungen und Aktivitäten in und zwischen den Unternehmungen von Menschen ist in der Diskussion. Diese 3Ks-- Kunde, Kooperationen und Kreativität [18] als Faktoren der Re-Integration in die Organisationen und damit auch in die dort durchgeführten Projekte samt der Lieferung ihrer Ergebnisse-- benötigen Erweiterungen durch die Integration eines vierten Faktors: Der Integration des Superkunden in das Projektmanagement. Wissen aus der Menschheitsgeschichte über nachhaltige Technologien, die Metabolisches Systemdenken enthalten, existiert. Metabolisches Systemdenken ist keine Neuerfindung. Die australische Architektin Julia Watson untersuchte, wie indigene Völker einfache Technologien für ihr Überleben in für menschliches Leben schwierigen Lebensräumen (Wüsten, Hochgebirge, Feuchtgebiete, Wälder) entwickelten und diese auch innerhalb der in diesen Strukturen eingehenden zeitlichen Veränderungen weiterentwickeln. [19] Diese alten, vergessenen Technologien, brachten nachhaltige und klimaresistente Infrastrukturen zum Überleben der Menschen hervor. Dieses Wissen ist in einem Transformationsprozess, der als Inklusion verstanden werden kann, z. B. mit dem Wissensgebiet der Bionik zusammenzuführen, [20] um hier nachhaltige und robuste Technologien zu entwickeln, die im Sinne des Next 7 G Project Managements als Projekte auf den Weg gebracht werden. Wie kann es gelingen, den Superkunden Heimatplanet in das Gesamtsystem des Projektmanagements mit allen Beteiligten Einzelpersonen und Interessensgruppen zu integrieren? Wie kann das in Projekten entstandene Wissen zur Weiterentwicklung, wie z. B. für Prozesse des Re-Manufacturing nach der Auslieferung der Ergebnisse, sofort in die nächsten Entwicklungsarbeiten in Richtung nachhaltige Verfahren und Produkte einfließen? Wie kann ein Denken mit Handlungsableitungen unter Berücksichtigung der kommenden sieben Generationen realisiert werden? Auf welchen Grundlagen kann eine Methode dafür entwickelt werden, die aufbauend auf vorhandenem Wissen dieses erweitert und seine Fortschreibung beinhaltet? Wie kann es an Hochschulen und Universitäten global gelehrt werden? Wie kann es in die Managementpraxis als Realisierungs-, Führungs- und Fähigkeitsentwicklung eingeführt, umgesetzt und weiterentwickelt werden? Wie kann es frei von Dogmen und Ideologien gestaltet werden? In dieser Publikation wird zunächst diskutiert, wie methodische Realisierungsansätze für das Projektmanagement und Unternehmensführungen aussehen könnten. Alle weiteren Fragestellungen müssen in naher Zukunft diskutiert werden. Ein möglicher strategischer Ansatz Antworten auf diese Fragen beinhalten nicht nur notwendige Maßnahmen zum Überleben, sondern auch, wie eine nachhaltige Organisation wirtschaftlich realisiert werden kann, die zum globalen Erhalt unserer Art notwendig ist und ihren Beitrag leistet und für den Superkunden Heimatplanet arbeitet. Radikale Lösungen können hier das Gegenteil bewirken. Die dafür notwendigen Verfahren und Technologien müssen fortlaufend entwickelt, implementiert und nachhaltig Schritt für Schritt weiterentwickelt werden. Dies wird primär über Projekte realisiert. [21] Projektdenken wird damit Infinite im Sinne von Next 7 G Project Management . Jede organisatorische Änderung bedingt strategische Entscheidungen. Entscheidungen über die zukünftige und nachhaltige Ausrichtung von Organisationen benötigen in dem hier diskutierten Kontext die Erweiterung strategischer Ausrichtung von Organisationen gegenüber den Herausforderungen, die durch Next 7 G Project Management gestellt sind. Bisherige Strategien sind nicht ausreichend. Sie berücksichtigen die langfristige nachhaltige Ausrichtung von Organisationen nicht. Was bedeutet das für die alltägliche Unternehmensführung? Was bedeutet das für das Projektmanagement und seine ausführenden Personen? Wie in der nachstehenden Abbildung ersichtlich, wurden erste Ansätze hierzu 2012 publiziert. [22] In diesem Kontext ist das klassische Magische Dreieck des Projektmanagements, in die alle verfügbaren Ressourcen nach Zeit, Budget und Inhalten koordiniert und in ein Gleichgewicht zu bringen sind, zu erweitern. Diese Erweiterungen berücksichtigen unter strategischen Aspekten die ESG-Kriterien (Environmental Social Governance) in den Handlungen und Ergebnissen eines Projekts. [23] Abbildung 1: Modell für Nachhaltiges Projektmanagement. Wie hier gezeigt, wird bereits eine Erweiterung des Projektmanagements hin zur Nachhaltigkeit dargestellt, wobei das Projektmanagement und das Management in Richtung Nachhaltigkeit die Global Society und weiter des Superkunden Heimatplanet beachten müssen. (Quelle: 22) Wissen | Den Superkunden verstehen! 14 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0046 Der durch ESG und wirtschaftliche Sicherung der Organisation erweiterte Prozess des Magischen Dreiecks ist mit einem dem Metabolischem Denken angepassten Kreisprozess zu verbinden, der immer wieder auf der Basis von gemachten Erfahrungen und generiertem Wissen Möglichkeiten für die Weiterentwicklung in Richtung Nachhaltigkeit evaluiert. Somit sind Projektergebnisse hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit (Economically Viable ), ihrer Umweltverträglichkeit ( Environmental Sound ) und ihrer sozialen Auswirkungen ( Socialy Responsible ) zu planen und zu realisieren. Diese drei Faktoren müssen in jedem Falle die Randbedingungen der Machbarkeit und ihrer Auswirkungen berücksichtigen. Sind Machbarkeiten, wie z. B. bei Re-Manufacturingprozessen aktuell nicht lösbar, bedingt dies Forschungs- und Entwicklungsprojekte für eine Weiterentwicklung unter Nachhaltigkeitsaspekten-- und erfüllt somit die Bedingungen eines Metabolischen Systemdenkens . Für nachhaltige Entwicklungen von Organisationen im Kontext des Next 7 G Project Managements ist nicht nur das Projektmanagement, das zugeordnete Management und dessen Governance, anzupassen. Die Lieferung der Projektergebnisse nach Kosten, Zeit und Inhalten des klassischen Magischen Dreiecks sind hier unzureichend. Ohne Beteiligung der obersten Führungsebenen ist es zweifelhaft, ob Unternehmen zu nachhaltiger Entwicklung fähig sind, da die oberste Führungsebene mehrere entscheidende Rollen in organisatorischen Prozessen spielt. Unternehmenslenker haben durch ihr Engagement und ihre Führungsqualitäten einen wesentlichen Einfluss auf Organisationskultur und Entscheidungsprozesse im Unternehmen. Sie stellen Ressourcen zur Verfügung und schaffen Anreize für Mitarbeiter, um Nachhaltigkeitsinitiativen zu fördern und organisatorisch zu begleiten. [24] [25] Führungsqualität kann man so definieren, dass firmenphilosophische Grundsätze formuliert und primär Mitarbeiter und Kunden von diesen Grundsätzen zu überzeugen sind. Führungskräfte-- und Projektmanager sind darin einzuschließen- - müssen darüber hinaus verstehen, dass sie nicht nur ausschließlich für das Weiterbestehen ihrer Unternehmen und aller mit diesem verbundenen Stakeholder verantwortlich sind. Der Stakeholderkreis ist zu erweitern um den Superkunden Heimatplanet . Führungskräfte sind gefordert, die Auswirkungen ihrer Handlungen mit ihrer Organisation zu erkennen, zu reflektieren und alle Beteiligten in diesen Prozess einzubinden. Für das Top-Management lassen sich in diesem Kontext folgende Aufgaben definieren: • Die Nachhaltigkeitsziele und die Strategien dafür festzulegen. • Die aktuellen Nachhhaltigkeitsinitiativen und ihre Auswirkungen auf die Organisation, die Projekte und ihr Umfeld zu verstehen. • Nachhaltigkeitsrichtlinien für das Projektmanagement zu implementieren, die die Geschäftspläne und -ziele sowie die Nachhaltigkeitsstrategien unterstützen. • Diesen Strategieprozess kontinuierlich zu evaluieren und an sich verändernde Situationen anzupassen im Sinne eines metabolischen Systemdenkens . • Methoden zu definieren, zu implementieren, zu steuern und weiterzuentwickeln, die diese Führungsprozesse in der Breite wie in der Tiefe systemisch unterstützen und robust absichern. Ein Implementierungsansatz Die Umsetzung von Next 7 G Project Management innerhalb von Organisationen bedarf der Einbeziehung aller in der Organisation tätigen Menschen und der Stakeholder . Die primäre Verantwortlichkeit liegt bei den strategisch und taktisch verantwortlichen Führungskräften für das Projektmanagement und das Management. Die dafür notwendigen Aufgaben und Entscheidungen für das Management sind in der nachfolgenden Abbildung dargestellt. Primär besteht die Notwendigkeit, strategische Entscheidungen zu treffen, wie die Organisation hinsichtlich der Nachhaltigkeit die dafür notwendigen Prozesse und Vorhaben zu organisieren und diese Strategie entsprechend in der Organisation zu kommunizieren ist. Die nachstehende Abbildung verdeutlicht diese Aufgaben für das Management in Form einer Potenzialanalyse im strategischen Kontext : Für eine Umsetzung dieser Prozesse ist die Kommunikation der strategischen Ziele für eine nachhaltige Entwicklung in Abbildung 2: Das Magische Dreieck im Projektmanagement (inneres Dreieck) im strategischen Kontext erweitert um die Faktoren für die nachhaltige Organisationsentwicklung durch Projekte: Wirtschaftlichkeit, Umweltfaktoren und soziale Verantwortlichkeit (äußeres Dreieck). (Quelle: 23) Wissen | Den Superkunden verstehen! 15 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0046 Richtung Projektmanagement notwendig. Damit sind drei Horizonte innerhalb der Projekte in Organisationen definierbar: Horizont 1 Projekte: Run the Business - das ist das Kerngeschäft. Streben nach funktionaler Exzellenz. Es geht um die Notwendigkeiten, die sich auf die aktuelle Wettbewerbsposition beziehen. Hier sind die Spielräume eng, es darf nichts anbrennen. Horizont 2 Projekte: Re-Invent the Business - Diese Projekte verlassen das Hier und Jetzt. Diese Projektteams entwickeln zukünftige, aber realistische Geschäftsmodellinnovationen unter den Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit. Die Mitarbeiter haben hier mehr Freiheiten. Horizont-1-Projekte zeigen oft schwache Signale für zukünftige Erweiterungen oder Veränderungen, die auf mögliche Horizont-2-Projekte hinweisen. Horizont 3 Projekte: Transform the Business - Hier werden Ideen verfolgt, die zwar denkbar, aber in Bezug auf die Machbarkeit vage sind. Diese Projekte ähneln Start-ups, bei denen die Regel lautet, die Regeln zu brechen. Viele dieser Projekte führen ins Leere. Die Frustrationstoleranz der Mitarbeiter ist dementsprechend hoch. Allerdings können diese Projekte bahnbrechende Neuigkeiten in Richtung nachhaltiger Entwicklung und in Richtung neue Märkte für diese Projektergebnisse enthalten. Sie können sich aus Horizont- 2-Projekten entwickeln, werden dort wegen ihres spekulativen Charakters nicht weiterverfolgt. Sie können die Basis für zukünftige Projekte für das Next 7 G Project Management liefern. Dieses Modell wurde nach einem älteren methodischen Ansatz, von der Unternehmensberatung McKinsey 2009 als Rahmenwerk für Wachstumsstrategien publiziert. [26] Wie hier dargestellt, wurde es transformiert auf das Next 7 G Project Management . Es liefert eine Klassifizierung von Projekten in Organisationen unter den Aspekten der Wirtschaftlichkeit, der nachhaltigen Entwicklung und der sozialen Verantwortung. Dementsprechend ist das Projektmanagement gefordert, hier die entsprechenden fachlich geeigneten Ressourcen zu definieren, einzusetzen und zu entwickeln. Ein Wissensmanagement ist entsprechend aufzubauen. [27] Organisationen müssen als Organismen verstanden werden und alle Handlungen sind dementsprechend darauf auszurichten. Dieser Organismus steht in einen stetigen Austauschprozess mit seiner Umgebung. Abbildung 3: Modell für den Aufbau strategischer Entscheidungen in Organisationen für nachhaltige Entwicklung und deren Realisierung durch Projekte als Aufgaben für das Management von Organisationen. (Quelle: Autor) Abbildung 4: Mögliche inhaltliche Ausgestaltung für den Aufbau des Projektmanagements in Richtung Nachhaltigkeit. (Quelle: Autor) Wissen | Den Superkunden verstehen! 16 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0046 Organisatorische Aspekte Wie kann der Prozess einer Potenzialanalyse und die 3-Horizonte-Projektklassifizierung innerhalb von Unternehmen organisatorisch gestaltet werden? Eine bereits bekannte und bewährte Methode ist das Projekt-Portfoliomanagement (PPM). Ein Portfolio wird als Sammlung von Projekten oder Programmen beschrieben, die gebündelt werden, um ein effektives Management dieser Bemühungen zur Erreichung strategischer Unternehmensziele zu erleichtern. Die Projekte oder Programme des Portfolios sind nicht voneinander abhängig oder direkt miteinander verbunden, aber die Komponenten eines Portfolios müssen quantifizierbar sein, d. h. sie können gemessen, eingestuft und nach Prioritäten geordnet werden. Ein Projekt-Portfoliomanagement existiert innerhalb einer Organisation und besteht aus einer Reihe von aktuellen Komponenten und geplanten oder zukünftigen Initiativen. Sowohl Management als auch Projektmanagement wird damit in die Lage versetzt, einen Prozess über eine nachhaltige Entwicklung der Organisation kontinuierlich zu verfolgen und zu steuern. [28] [29] Die Ausgestaltung des Projekt-Portfoliomanagements ist jeweils individuell orientiert an der Situation der jeweiligen Organisation vorzunehmen. Eine weitere Möglichkeit für die Gestaltung von Next 7 G Project Management in Organisationen besteht in der Einrichtung einer Stabsfunktion, wie beispielsweise von BMW durchgeführt für die Entwicklung neuer Mobilitätskonzepte. Die dort tätigen Mitarbeiter entwickelten innovative Möglichkeiten für die Organisation von Mobilität im Kontext des Unternehmens. Ergebnisse wurden dem Vorstand präsentiert. Ein ähnliches Konzept ist auch für das Next 7 G Project Management denkbar. [30] Epilog Die globalen Herausforderungen sind gewaltig. Die Bereitstellung von Nahrung und Wasser für die wachsende Erdbevölkerung, Klimawandel, Ausbeutung und Erschöpfung von Rohstoffen, Umweltprobleme und Energieerzeugung aus nachhaltigen Quellen, Bevölkerungsexplosion gegen Überalterung- - das sind einige der essenziellen Herausforderungen, deren Lösung neben dem politischen Willen und der damit verbundenen strategischen Entscheidungen ein intelligentes, ein anderes, ein innovatives Management und Projektmanagement als bisher benötigt. Ein bewusster Umgang mit diesen Herausforderungen, ohne in auflösende Panik oder seelentötende Erstarrung zu verfallen, ist zwingend notwendig, um den notwendigen Wandel zu gestalten. Wir müssen verstehen, dass wir nicht mehr am Fließband stehen, sondern auf diesem. Und dieses befindet sich auf einer tektonischen Platte. Das nächste Beben kommt-- aber wann und mit welcher Stärke, wissen wir nicht. Initiativen zu Änderungen scheitern. Manager und Führungskräfte gehen den Dingen nicht auf den Grund, weil als Folge der bisher verfolgten Grundsätze des Projektmanagements wesentliche Aspekte für eine nachhaltige Entwicklung dieser wichtigen Managementmethode nicht beachtet wurden. Wir bewegen uns immer noch in über hundert Jahre alten Denksystemen und Methoden und hoffen damit, den Weg in die Zukunft zu erkennen und zu beschreiten. Die tektonischen Platten unter uns und die Turbulenzen und Strömungen, in die sie geraten, werden nicht ausreichend wahrgenommen. Verharren in Bequemlichkeit ist einfacher, als kontinuierlich zu erkennen, wo Handlungsbedarf besteht, wie gehandelt werden kann und was diese Handlungen systemisch verursachen. Dieses Verständnis zu entwickeln, ist entscheidend für unsere zukünftigen Entwicklungen. Abbildung 5: Beispiel für einen Projekt- Portfoliomanagementprozess über ein Geschäftsjahr verteilt. (Quelle: Autor) Wissen | Den Superkunden verstehen! 17 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0046 Die deutlich erhöhte Systemgeschwindigkeit kann nur mit klaren und perspektivisch besseren und schnelleren Informationssystemen einschließlich wirksamen und zu entwickelnden Steuerungssystemen beherrscht werden. Benötigt werden Projektmanager, die bereit sind, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Next 7 G Project Management ist als ein Ansatz zu verstehen, hier voranzugehen. Wir benötigen Pioniere und Abenteurer, die bereit sind, unbekannte Risiken einzugehen. [31] Danksagung: An dieser Stelle möchte ich mich bei Herrn Peter Renner, Vorstand Bundesstiftung Klima und Entwicklung, und bei Karl-Wilhelm Freiherr von Rotenhan, perconpro, Bamberg, für die Edition dieser Publikation bedanken. 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Greenleaf Publishing Limited, Sheffield [26] McKinsey & Company | Enduring Ideas: The three horizons of growth | Available at https: / / www.mckinsey. com / capabilities / strategy-and-corporate-finance / ourinsights / enduring-ideas-the-three-horizons-of-growth [27] Siehe Sc.: Nonaka, Takeuchi: The Knowledge Creating Company, Oxford Press, 1995 [28] Siehe PMI 2017: Project Management Body of Knowledge (PMBoK) 6th Ed., Project Management Institute [29] Diana Carolina Leguizamon Romero: Project Portfolio Management a Practical Approach to Pursue Business Strategies, Case: Roadmap Implementation Project Portfolio Management at Deutsche Bahn Cargo; Master Thesis, Technische Universität Berlin, 2018 [30] Jens Monsees, Leadership Forum Hochschule Landshut, November 2017 [31] Glitscher, Wolfgang: Geh dir aus dem Weg- - Projektmanagement für das 21. Jahrhundert, Privatdruck, 2019 Eingangsabbildung: © iStock.com / Romolo Tavani Dr. Wolfgang Glitscher, Biochemiker und Ingenieur f. Technische Chemie. Zehn Jahre F&E am Max-Volmer-Institut der TU Berlin. Danach länger in Institutionen der Fraunhofer-Gesellschaft, dort u. a. von 2001 bis 2004 Programmdirektor der Telematikplattform für medizinische Forschungsverbünde, TMF, langjährige Erfahrungen im Consulting für Projektmanagement bei einer mittelständischen Beratungsgesellschaft. Seit 2005 Universitätsdozent für Project Management an der TU Berlin am Produktionstechnischen Zentrum im internationalen Masterstudiengang Global Production Engineering (GPE). Mitglied der Fachgruppen PM an Hochschulen und PM goes Sustainable der GPM, Delegierter Berlin. 18 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0047 Nachhaltigkeit und Agilität in Projektmanagementstandards Norman Heydenreich, Obmann des DIN-Arbeitsausschusses Projektmanagement, Für eilige Leser | Digitale Transformation, Klimakrise, Pandemien und andere globale Herausforderungen erfordern neue Wege der internationalen Zusammenarbeit in Projekten, des Umgangs mit Komplexität und der Förderung nachhaltiger Lösungen. Im Jahr 2021 hat das technische Komitee „ISO / TC258-- Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement“ eine Study Group beauftragt, Empfehlungen für die Behandlung des Themas „Agilität“ zu erarbeiten. Der vorliegende Artikel fasst Argumente für eine Berücksichtigung der UN-Nachhaltigkeitsziele und der Aspekte Nachhaltigkeit und Komplexität zusammen, diskutiert die Ergebnisse der Study Group und skizziert Perspektiven für das weitere Vorgehen. Schlagwörter | Agilität, Adaptivität, Nachhaltigkeit, Komplexität, Unsicherheit, Projektmanagementstandards, ISO, TC258, DIN, PM² Die Global Agenda 2030 der Vereinten Nationen und ihre Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (UN-SDGs) haben hohe Priorität in der ISO-Strategie: „Die ISO basiert auf einem Ethos der Zusammenarbeit und ist davon überzeugt, dass Normung eine Schlüsselrolle bei der Umwandlung unserer Welt in eine nachhaltige spielt. Die Welt sieht sich großen Bedrohungen für die Umwelt gegenüber, wenn es ihr nicht gelingt, Risiken wie dem Klimawandel, dem Verlust der biologischen Vielfalt und der Umweltverschmutzung angemessen zu begegnen. Diese und andere Probleme gehen über nationale Grenzen hinaus und können nicht von einer Person, einem Unternehmen oder einer Regierung allein gelöst werden. Es ist eine internationale Zusammenarbeit erforderlich, die auf Nachhaltigkeit und nicht auf kurzfristige Lösungen abzielt. Der ISO kommt hier eine Schlüsselrolle zu, da internationale Normen wichtige Instrumente sein können, um den Wandel hin zu einer nachhaltigeren Zukunft zu unterstützen“ [1]. Organisationen werden zunehmend einer Prüfung ihrer umfassenderen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen unterzogen, einschließlich ihrer Projekte. Nachhaltige Entwicklung ist als Prozess des Wandels angewiesen auf Projekte, Die zentrale Frage dabei ist, wie Projekte entwickelt werden können, die eine nachhaltige Entwicklung unterstützen. Das professionelle Projektmanagement erfährt selbst einen Wandel, bei dem die beruflichen Grenzen und Aufgaben erweitert werden, um soziale und ökologische Aspekte in die Projektentwicklung einzubeziehen [2], [3], [4]. Standards wie „Projects in a Controlled Environment“ (PRINCE2), „Managing Successful Programmes“ (MSP) und „PRojects integrating Sustainable Methods“ (PRiSM) von GPM Abbildung 1 (GPM Global): Der GPM P5™ Standard für Nachhaltigkeit im Projektmanagement 2.0 19 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0047 Global haben den Fokus auf eine ganzheitlichere Sichtweise des Projektmanagements und nachhaltige Wertschöpfung ausgeweitet. Der GPM P5™-Standard für Nachhaltigkeit im Projektmanagement 2.0 schlägt eine Reihe von Konzepten vor, die dabei helfen, Komplexität zu bewältigen, indem sie die verfügbaren Informationen auf kohärente Weise organisieren und die Dreifachbilanz „People, Planet and Prosperity“ integrieren [5]. Auch in der Wissenschaft wird der Diskurs zur Integration der Konzepte der Nachhaltigkeit und des Projektmanagements, häufig als „nachhaltiges Projektmanagement“ bezeichnet, seit über 25 Jahren geführt [6], [7]. In ISO- Normen findet Projektmanagement im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit allerdings bisher kaum Erwähnung. Herausforderungen und Chancen von Nachhaltigkeitszielen im Projektmanagement Dabei bringt die Einbeziehung von Nachhaltigkeitszielen in das Projektmanagement eine Reihe von Herausforderungen mit sich, die es in der Praxis zu bewältigen, aber auch Chancen, die es zu nutzen gilt. Sie erweitert die in Projekten zu managenden Bereiche erheblich und umfasst u. a. die umweltfreundliche Beschaffung sowie die soziale Verantwortung von Projekten. Von Projektmanagern erfordert die Umsetzung nachhaltiger Ziele spezifische individuelle Kompetenzen, die traditionell in der Ausbildung von Projektmanagern nicht vermittelt werden [8]. Einbindung nachhaltiger Ziele in das Projektmanagement bedeutet, dass langfristige Auswirkungen und ein viel größerer Kreis von Stakeholdern berücksichtigt und mehr Interessenkonflikte bewältigt werden müssen. Die Zunahme der Anzahl der zu berücksichtigenden Elemente und Beziehungen, zusätzliche Zielkonflikte und kognitive Komplexität für die Entscheidungsträger sowie systemische Komplexität (das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile) in einem Projekt erhöhen insgesamt dessen Komplexität. Diese wird in einem traditionellen Projektmanagement-Ansatz als Herausforderung angesehen, die durch traditionelle Projektmanagement- Methoden reduziert oder vereinfacht werden muss. Chancen ergeben sich aus einem positiven und kreativen Umgang mit der gegebenen Komplexität. Um Nachhaltigkeitsaspekte in vollem Umfang zu berücksichtigen, sollten Projekte die bestehende Komplexität annehmen, anstatt sie zu reduzieren oder zu vereinfachen [2]. Traditionelle und agile Ansätze und die Herausforderungen Nachhaltigkeit und Komplexität Hierarchische Governancemechanismen, Organisationsstrukturen und Managementansätze haben Schwierigkeiten, auf Komplexität und Unsicherheit angemessen zu reagieren. Dem jahrzehntelang vorherrschenden traditionellen Ansatz [9] zufolge kann die Reduzierung der Komplexität eines Systems durch die Aufteilung seiner Komponenten in kleinere, besser zu beherrschende Teile erreicht werden. Viele etablierte Projektmanagement-Methoden spiegeln diese Sichtweise wider (z. B. Produktstrukturplan). Der traditionelle Ansatz zeichnet sich durch Projektplanungspraktiken aus, die darauf ausgerichtet sind, wohlverstandene Ziele zu erreichen. „Das ultimative Ziel des traditionellen Projektmanagementansatzes ist die Optimierung und Effizienz bei der Befolgung des ursprünglichen detaillierten Projektplans-(…), um das Projekt innerhalb der geplanten Zeit, des Budgets und des Umfangs abzuschließen“ [10]. Die Ursprünge plangesteuerter Ansätze liegen im Bereich der technischen Systeme, deren plangesteuerte Methoden sich auf die Qualität ihrer Produkte und die Vorhersagbarkeit ihrer Prozesse konzentrieren [11]. Der Begriff „agil“ wird als Abkürzung für verschiedene Konzepte und Praktiken in unterschiedlichen Branchen und Disziplinen verwendet, die sich in den letzten 75 Jahren entwickelt haben. Diese Methoden und Praktiken lassen sich durch eine gemeinsame konzeptionelle Grundlage vereinheitlichen. Wesentlich dabei ist die Fähigkeit, sich an Veränderungen anzupassen und die Arbeit während des Projekts in Iterationen zu unterteilen [12]. Alle agilen Ansätze haben gemeinsame Werte und Grundsätze, wie sie im Agilen Manifest [13] und den nachfolgenden Veröffentlichungen der Autoren des Manifests [14], [15], [16] dargelegt sind. Der PM² Project Management Methodology Guide der Europäischen Kommission enthält eine umfassende Definition: „Agil ist ein Ansatz für das Management von Projekten, der auf einer Reihe von Prinzipien und Praktiken basiert, die eine adaptive Planung, eine evolutionäre Entwicklung, eine frühzeitige inkrementelle Lieferung und eine kontinuierliche Verbesserung fördern. Er fördert schnelle und flexible Reaktionen auf Veränderungen-(…). Agile Ansätze berücksichtigen die inhärente Ungewissheit des Projektumfelds und schaffen eine Organisation, die in hohem Maße anpassungsfähig ist. Kurze Rückkopplungsschleifen ermöglichen eine schnelle Reaktion auf veränderte Produktanforderungen und eine kontinuierliche Verbesserung der Prozesse.- (…) Die wichtigsten Merkmale sind: Konzentration auf die frühzeitige und häufige Ressourcenmanagement Projektportfolio-Management Aufwand- & Kosten-Controlling Projektplanung Das System, bei dem die Ressourcenplanung funktioniert www.ressolution.ch Scheuring AG +41 61 853 01 54 info@scheuring.ch Unverbindlich online kennenlernen! Anzeige Wissen | Nachhaltigkeit und Agilität in Projektmanagementstandards 20 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0047 Wertschöpfung während des gesamten Projekts, Entscheidungen, die auf der Grundlage von Erkenntnissen getroffen werden, enge Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten, kontinuierliche Einbeziehung der Stakeholder auf allen Ebenen, Einbeziehung der Teammitglieder in die Planung der inkrementellen Entwicklung mit kurzen Zyklen, Umfangsmanagement durch kontinuierliche (Neu-) Priorisierung von Aufgaben, eine positive Haltung zu Veränderungen, kontinuierliches Lernen und Verbesserung, nur das erforderliche Maß an Dokumentation und Kontrolle“ [17, Abschnitt 3.7]. Der verwandte Ansatz „ Adaptives Management“ wurde ab den 1970er Jahren von Wissenschaftlern entwickelt, die die Bedeutung systemischer und ökologischer Zusammenhänge bei der Festlegung von Zielen für das Umweltmanagement erkannten. Er wird als Ansatz für das Management natürlicher Ressourcen angewandt, der Wissenschaft in Managementprozesse im Dienst sozialer Werte einbettet [18], [19], [20], [21]. „ Adaptive Collaborative Management “ befürwortet darüber hinaus die Schaffung öffentlicher Prozesse zur Förderung des sozialen Lernens zum Schutz und zur Wiederherstellung ökologischer Systeme [22]. Ein „ hybrider Projektmanagementansatz “ kombiniert Methoden und Praktiken aus mehr als einem Projektmanagementansatz. Grundlegende Konzepte, Modelle und Perspektiven traditioneller Projektmanagementstandards sehen Organisationen als maschinenähnliche Systeme von Prozessen . In unserer komplexen Welt mit verbundenen sozialen und ökologischen Krisen und Nachhaltigkeitszielen sind die meisten Organisationen und Projekte komplexe adaptive Systeme . Deren Management ist nicht nur rationale Entscheidungsfindung, sondern auch ein offener politischer Prozess. Handlungsmuster entstehen unvorhersehbar in selbstorganisierenden Prozessen. Eine Fokussierung auf detaillierte Prozessspezifikationen und Projektpläne führt oft nicht zum Erfolg, sondern zu organisierter Verantwortungslosigkeit [23]. Nur auf der Grundlage eines tiefen Verständnisses dieses Paradigmenwechsels kann ein angemessenes Tailoring von agilen, adaptiven, traditionellen und hybriden Projektmanagement-Ansätzen den nachhaltigen Erfolg von Projekten verbessern. Die ISO Study Group „Agil/ adaptiv“ 2021 nahm das Technische Komitee „ISO / TC258- - Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement" einen gemeinsamen Vorschlag der Liaison-Organisation PMI und des DIN für eine Study Group (ISO / TC258 AHG15) an, die Empfehlungen abgeben sollte, in welcher Form das Thema „Agil/ adaptiv“ behandelt werden sollte [24]. Viele Experten, darunter auch die Initiatoren der Study Group, sahen einen großen potenziellen Nutzen für die internationale Projektmanagement-Community, ihre Stakeholder und den Planeten: Zusammenarbeit erfahrener Projektmanagementstandard-Experten des TC258 mit Experten für agile und adaptive Ansätze; Unterstützung von Organisationen und Praktikern bei der Anwendung agiler und adaptiver Ansätze auf Projekte, Programme, Portfolios und die damit verbundene Governance; Verbesserung von Projektergebnissen durch gemeinsames Verständnis und konsistente Anwendung agiler und adaptiver Ansätze; Unterstützung der Anwender bei der Anpassung ihres Einsatzes (Tailoring); Unterstützung der ISO-Strategie 2030 und der UN-Nachhaltigkeitsziele. Viele Organisationen und agile Communities sehen den Übergang zu agilen und adaptiven Ansätzen als notwendigen grundlegenden Wandel der Führung und der Managementsysteme, um der zunehmenden Komplexität und Unsicherheit beschleunigter globaler Entwicklungen und sozialer und ökologischer Systemkrisen nachhaltig zu begegnen. Über Prozesse und Praktiken hinaus sind andere Perspektiven und Aspekte wie Werte, Grundsätze, Mindsets, Kulturen und Kompetenzen von wesentlicher Bedeutung. Aufgrund der Komplexität, des innovativen Charakters und des Zeitdrucks des Projekts einigte sich die Study Group zu Beginn auf die Anwendung agiler Praktiken und auf ein Time-Box-orientiertes iteratives Vorgehen mit monatlichen Sprints, um eine schnelle Lernkurve zu fördern. Damit dieser Ansatz im Rahmen der ISO-Richtlinien funktioniert, wurde vereinbart, dass keine frühen Festlegungen erfolgen und alle Zwischenergebnisse noch einmal zur Abstimmung gestellt werden, um trotz der flexiblen Vorgehensweise alle Experten mit ausreichend Vorbereitungszeit in die Entscheidungen einzubeziehen. Konsens sollte über das Endergebnis erzielt werden. In einem Umfeld starker Geschäftsinteressen und sich ändernder Strategien dominierender Organisationen konnte ein Konsens über grundlegende Fragen jedoch nicht innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens erreicht werden. Perspektiven Ein gemeinsames Verständnis von Werten, Prinzipien und Basiskonzepten für das Management und die Governance nachhaltiger Projekte könnte einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung des Potenzials internationaler Projektmanagementstandards leisten. Ein gemeinsames Standardisierungsprojekt einiger europäischer Länder auf der Grundlage der PM²-Initiative der Europäischen Kommission [17], [24] könnte ein sinnvoller Weg sein zu einem modernen, internationalen Standard für komplexe und nachhaltige Projekte, im Einklang mit den UN-SDGs, der ISO-Strategie 2030 sowie europäischen Werten und Interessen. Die anstehende Revision der deutschen nationalen Projektmanagement-Normenreihe DIN 69 901 könnte dafür ein erster Schritt sein. Dabei könnten die Anforderungen deutscher Stakeholder auf der Grundlage vorhandener Standards adressiert werden: der PM²-Dokumente, der ISO-Normenreihe ISO215XX sowie dem Kompetenzstandard ICB. Bei Bedarf könnten weitere globale Standards referenziert werden. Eine Weiterentwicklung der veralteten DIN 69 900 wäre erheblich aufwendiger. Die PM²-Dokumente bilden die wesentlichen Anforderungen der deutschen Stakeholder anwenderfreundlich ab, integrieren agile Ansätze, bieten ein umfassendes Rahmenwerk und sind kompatibel mit Kompetenzstandard ICB. Die ISO-Normenreihe 215XXX bildet als Internationale Norm die Grundlage für eine internationale Harmonisierung von Projektmanagement-Normen und Standards. Interessierte an einer Mitwirkung bei der Ausarbeitung dieser Perspektiven können sich beim Autor dieses Beitrags und Obmann des DIN-Arbeitsausschusses Projektmanagement melden. Literatur [1] ISO: ISO Strategy 2030. ISO, 2022. Abgerufen am 10. Januar 2023 von https: / / www.iso.org / strategy2030.html. 21 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0047 Bachelor Projekt- & Prozessmanagement Berufsbegleitend & praxisnah 100 % online studieren Staatlicher Hochschulabschluss B.A. Zulassung auch ohne Abitur möglich Karriere-Kick 2023 wings.de/ projektmanagement 97 % Weiterempfehlungen bei FernstudiumCheck.de Sehr gut 4.3/ 5.0 [2] Sabini, L. & Silvius, A.: Embracing Complexity in Sustainable Project Management. In: Research Handbook on Complex Project Organizing. Edward Elgar Publishing, 2022. [3] PMI: PMI Code of Ethics and Professional Conduct. PMI, 2006. IPMA: Code of Ethics and Professional Conduct. IPMA, 2015. [4] Sabini, L., Muzio, D. & Alderman, N.: Integrating Sustainability Into Project Management Practice: The Perspective of Professional Institutions. International Research Network on Organizing by Projects (IRNOP). UTS ePRESS, 2017. [5] GPM Global: The GPM P5™ Standard for Sustainability in Project Management (Version 2.0). GPM, 2022. [6] Sabini, L., Muzio, D. & Alderman, N.: 25 Years of ‘Sustainable Projects’: What We Know and What the Literature Says. International Journal of Project Management , 37(6), 820-838, 2019. [7] Silvius, A. J. & Schipper, R. P.: Sustainability in Project Management: A Literature Review and Impact Analysis. Social Business , 4(1), 63-96, 2014. [8] Silvius, A. J. G. & Schipper, R.: Sustainability in Project Management Competencies: Analyzing the Competence Gap of Project Managers. Journal of Human Resource and Sustainability Studies , 2, 40-58, 2014. [9] Larman, C. & Basili, V.: Iterative and Incremental Developments: A Brief History. Computer , 36(6), 47-56, 2003. [10] Špundak, M.: Mixed Agile / Traditional Project Management Methodology-- Reality or Illusion? Procedia-- Social and Behavioral Sciences , 119, 939-948, 2014. [11] Boehm, B. & Turner, R.: Balancing Agility and Discipline: A Guide for the Perplexed. Addison-Wesley Professional, 2004. [12] Aguanno, K.: Managing Agile Projects. Multi-Media Publications Inc., 2004. [13] Agile Alliance: Manifesto for Agile Software Development. Agile Alliance, 2001. Abgerufen am 10. Januar 2023 von http: / / agilemanifesto.org. [14] Highsmith, J. A.: Agile Project Management: Creating Innovative Products. Pearson Education, 2010. [15] Levin, G.: Program Management: A Life Cycle Approach. Auerbach Publications, 2012. [16] Schwaber, K.: The Enterprise and Scrum. Microsoft Press, 2007. [17] CoEPM² European Commission Centre of Excellence in PM²: PM² Project Management Methodology Guide 3.0.1. Publications Office of the European Union, 2021. [18] Holling, C. S.: Adaptive Environmental Assessment and Management. John Wiley and Sons, 1978. [19] Walters, C. J.: Adaptive Management of Renewable Resources. Blackburn Press, 1986. [20 Lee, K. N.: Compass and Gyroscope: Integrating Science and Politics for the Environment. Island Press, 1993. [21] Norton B. G.: Adaptive Management. In: Encyclopedia of the Anthropocene. ScienceDirect, 2021. [22] Prabhu, R. et al.: Adaptive Collaborative Management: Adding Value to Community Forestry in Asia (Vol. 2). Bogor, Indonesia. CIFOR / Asian Development Bank, RETA 5812. Planning for Sustainability of Forests Through Adaptive Co-Management. Center for International Forestry Research, 2002. [23] Heydenreich, N.: Projektgovernance in Staat und Verwaltung. In: Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung. Symposion Publishing GmbH, 2016. [24] Heydenreich, N.: Internationale Normen und Standards für agiles / adaptives Management von Projekten, Programmen, Portfolios und deren Governance: Die neue Study Group ISO / TC258 AHG15. DIN -Mitteilungen , 15-19, 10 / 2021. Eingangsabbildung: © iStock.com / Petmal Anzeige Norman Heydenreich Norman Heydenreich bringt seine Erfahrung aus langjähriger (Projekt-) Managementpraxis in die von ihm gegründete Management Akademie Weimar ein. Ehrenamtlich engagiert er sich als Obmann des Arbeitsausschusses „Projektmanagement“ im DIN e. V. 2021-2022 leitete er die ISO Study Group „Agile/ adaptive“. Davor wirkte er mit an der Entwicklung des internationalen Standards ISO 21 505 „Projektgovernance“ und in der ISO Study Group „Projektmanagement-Kompetenzen“. 2013-2017 vertrat er als Hauptstadtrepräsentant die gesellschaftlichen Interessen der GPM und initiierte das Aktionsprogramm „Mit Projekten Deutschlands Zukunft gestalten“. Im Rahmen von Lehraufträgen an der TU Berlin sowie in Fachartikeln und Vorträgen gibt er seine Erfahrungen weiter. 22 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0048 Projektökosystem und Ökoprojekte Dirk Fernholz Für eilige Leser | Barth & Sarstedt vergleichen den Projektmanager mit einem Jäger [1]. Noch mehr jedoch können wir Projektspezialisten von den Förstern lernen. Anders als Jäger, die lediglich auf einen Teilnutzen der Natur fokussieren, sind die Förster gehalten, alle Funktionen der ihnen anvertrauten Ökosysteme zu berücksichtigen. Sie müssen mit Blick auf die Zielvorgaben der Waldeigentümer und der Gesellschaft im Rahmen der Gesetze danach streben, die Wälder in ihrer ökologischen und wirtschaftlichen Substanz zu erhalten, und resilient und klimastabil zu entwickeln. Damit sind sie wahrhaftige „Ökoprojektmanager“. Schlagwörter | Nachhaltigkeit, Ökosystem-Projekte, Wald, komplexe Systeme Wald und Ökoprojekte Auf nichts trifft der Begriff der „Komplexen Systeme“ mehr zu als auf die Natur. Die modernen Förster sind diejenigen unter den Naturnutzern, die der nachhaltigen Entwicklung des ihnen anvertrauten Ökosystems insgesamt verpflichtet sind. Genauer gesagt: Sie sind der Erhaltung und Entwicklung aller Funktionen und Leistungen, die dieses Ökosystem erbringt, verpflichtet. Das unterscheidet sie von den meisten anderen Naturnutzern inklusive der Jäger, die jeweils nur eine einzelne Ökosystemleistung im Blick haben- - im Falle der Jäger „das Wild“. Unter Ökosystem-Projekten oder kurz Ökoprojekten möchte ich mich im Folgenden auf solche Projekte beziehen, die nachwachsende natürliche Ressourcen wie Wälder im modernen Sinne nachhaltig bewirtschaften und entwickeln. 1. Wer bist Du? Zustandsbeschreibung Lichtes, im W. lückiges bis räumdiges starkes Buchenaltholz in Verjüngung mit Tanne & Fichte, im W. Traubeneiche, Kiefer und Lärche in Einzelmischung. Vor allem im W. Buchen-Komplexkrankheit, deutliche Anzeichen Trockenstress, teilweise Sonnenbrand und Buchen-Borkenkäferbefall. Geschlossene bis lückige Naturverjüngung Buche im Dickungsstadium auf 90 % der Fläche, im W. Schadflächen, beginnende Sukzession Birke. Verbissschäden an Buche tragbar, Tannen-Naturverjüngung stark verbissen. Winterschäle durch Rothirsch an Buchenstämmen in der Verjüngung, vereinzelt. ➢ Fläche: 5,2 ha ➢ Baumarten Altbestand Buche: 95 %, (Eiche, Fichte, Tanne, Lärche, Kiefer) 5%. Verjüngung ➢ Holzvorräte in Festmeter pro Hektar: Buche 330, Eiche 1,8, Fichte 5, Tanne 5, Lärche 3, Kiefer 1,5 ➢ Zuwüchse in Festmeter je Baumart, pro Hektar und Jahr: Bu 6, Ei 0,5, Fi 1, Ta 1, Lä 1, Kie 0,5 ➢ (…) 2. Woher kommst Du? Bestandesgeschichte Entstanden aus Naturverjüngung, Fichte und Tanne gepflanzt, Kiefer und Lärche aus Naturverjüngung angeflogen (Nachbarbestände im W.) Vorbestand Buche bis 1914 im Großschirmschlag genutzt. Deutliche Spuren mittelalterlichen Bergbaus: Abraumhalde im O und Köhlerplatten. Angenommene historische Vegetation bis c.a. 600 n. C. Hainsimsen- Buchenwald 3. Wohin gehst Du? Prognose der natürlichen Entwicklung für die nächsten 100 Jahre / 10 Jahre Potenziell-natürliche Waldgesellschaft gemäß Standort Mittlerer Buntsandstein, mäßig frisch, am Oberhang im W. bis mäßig trocken: Hainsimsen-Buchen-Wald, im W. Traubeneichen-Buchenwald. Jedoch aufgrund Klimaveränderungen in den nächsten 100 Jahren wahrscheinlich im W. Verschiebung zu Traubeneiche (1,5° C - Szenario). 4 ° C Szenario natürliche Vegetationsentwicklung nicht prognostizierbar. Flächige Bestandesausfälle werden durch Sukzession Birke und einfliegende Lärche (Kiefer, sonstige Pioniere) geschlossen. In den nächsten 10 Jahren weitere Zunahme Dürre / Sturm / Buchenkomplexkrankheit, Borkenkäfer, vor allem im W. am Oberhang. Verbissschutz notwendig für alles außer Buche und Lärche. Abbildung 1: Ein Buchenwald-- ein bewirtschaftetes Ökosystem-- und seine Beschreibung durch den Forstplaner [8] Wissen | Projektökosystem und Ökoprojekte 23 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0048 Planung und Nachhaltigkeit: Das Ökosystem vor lauter Bäumen / Funktionen im Blick behalten Ein Nachhaltigkeitsplan für ein Wald-Ökosystemmanagement wird alle zehn Jahre erstellt. Das nennt sich in der Fachsprache „Forsteinrichtung“. Dabei führt der Nachhaltigkeits-Planer, der sogenannte „Forsteinrichter“, zunächst eine Inventur der Ökosysteme durch. Jeder „Waldbestand“ wird in der Betriebskarte bzw. im Geo-Informationssystem abgebildet. Sodann wird dazu ein „Metadatensatz“ erstellt (Abb. 1). Es folgt eine bestandesindividuelle Planung der Pflegemaßnahmen und Nutzungen (Abb. 2), und hierbei wird insbesondere auch festgelegt, wie viel verwertbares Holz anfällt bzw. entnommen werden darf. Die klassische Form der Nachhaltigkeit, die Holzversorgungsnachhaltigkeit, ist einst unter dem Eindruck der übernutzten Wälder und der Holznot im frühen neunzehnten Jahrhundert entstanden. Wie gesagt ist die Forstwirtschaft inzwischen auf dem Weg von der reinen Holzversorgungsnachhaltigkeit hin zur Nachhaltigkeit aller Ökosystemfunktionen ein weites Stück vorangeschritten. Jedoch hat gerade heute auch die Forderung, dass nicht mehr Holz genutzt werden darf als insgesamt zuwächst, wieder sehr an Aktualität gewonnen. Gemeinsame Sicht auf das „Projektdesign“-- Entscheidungsverantwortung an die richtige Stelle delegiert Wenn es jetzt auf Basis der Nachhaltigkeitsplanung an’s „Doing“ geht, also an die Detailplanung und schließlich Umsetzung der einzelnen Ökoprojekte im Wald, dann ist es mit Blick auf den Charakter der Natur als komplexes System immer eine wichtige Frage, was der „vor Ort verantwortliche Förster“ in einer Situation macht, in der er- - zum Beispiel fünf Jahre nach Abschluss der Arbeiten zur Nachhaltigkeitsplanung- - feststellt: „Hier, beim konkreten Bestand XY, sieht alles ganz anders aus als wir es damals im Planungs-Metadatensatz beschrieben haben“. Das kommt gar nicht so selten vor- - die Natur ist ein komplexes System. Soll er / sie angesichts einer Diskrepanz zwischen wahrgenommenem Waldbild und verbindlichem Nachhaltigkeitsplan- … A. einfach machen was er / sie für richtig hält? Oder B.-…wider besseres Wissen machen, was im Plan steht? Soll er / sie C… lieber abwarten und den Chef („Oberförster“, Forstbetriebsleiter) entscheiden lassen? Oder etwa D… gar nichts machen und die Sache in den nächsten Planungszeitraum verschieben? Neben der Nachhaltigkeitsplanung ist es also der Umgang mit solchen Entscheidungssituationen, der das „Ökoprojektmanagement“ im Wald mit seinem Informations- und Führungssystem so modern und „agil“ macht. Die Option D „verschieben“ ist im Wald manchmal sogar eine gute Option. Oft aber ist sie das gerade auch nicht, zum Beispiel wenn bei Nichtstun unaufholbare Pflegerückstände aufliefen, oder wenn, zum Beispiel durch fortschreitende Holzfäule, Verwertungsrisiken untragbar würden. Es sind also auch viele Situationen denkbar, in denen „Aufschieben“ falsch wäre. Dann bliebe nach Schema ABCD, „den Chef“ zu fragen. „Der Chef“ aber ist natürlich immer dann besonders weit weg, wenn man ihn gerade dringend braucht, das ist im Wald nicht anders als in Großprojekten in kritischen Phasen-(…). Aus diesem „Dilemma“ haben die Förster eine Tugend gemacht und sorgen dafür, dass der für die Umsetzung verantwortliche Förster auf jeden Fall selbst in der Lage ist, nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden, und zwar ganzheitlich. In Analogie zu Günter Faltins Begriff vom „Entrepreneurial Design“ als Ausfluss einer konzeptkreativen Definitionsphase für Start-ups [5, S. 38ff] kann man von einem eigenen „Projektdesign“ sprechen. Das geht so: als Richtschnur für solche Entscheidungssituationen hat der Schweizer Waldbauprofessor Hans Leibundgut [2, S. 24] die folgenden Fragenkomplexe formuliert: 1. Wer bist Du? (ökologische und wirtschaftliche Bestandes- = Ist-Zustandsbeschreibung) 2. Woher kommst Du? (Rekonstruktion der bisherigen Entwicklungsgeschichte des Waldbestandes) 3. Wohin gehst Du? (Einschätzen der ökosystemaren Dynamik und künftigen Eigenentwicklung ohne weitere Eingriffe, Risikoabschätzung) 4. Wo will ich Dich hinhaben? (Rekapitulieren des Zwecks und des betrieblichen Zielsystems, und der Bewirtschaftungsziele für den konkreten Bestand) 5. …und welche Impulse-= Maßnahmen muss ich dafür setzen? Abbildung 2: Buchenbestand und Ziel- / Maßnahmenplanung [8] Wissen | Projektökosystem und Ökoprojekte 24 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0048 Für den betrachteten Buchenbestand ist im Textteil in Abb. 1 und Abb 2. das „Ökoprojektdesign“ dargestellt, wie es durch den Forsteinrichter im Metadatensatz der Nachhaltigkeitsplanung hinterlegt sein mag. Der verantwortliche Förster kann dann das Schema vor Konzipierung einer Hiebsmaßnahme leicht noch einmal durchspielen. Kommt er zum selben Ergebnis wie seinerzeit der Einrichter, ist alles klar. Bei Abweichungen gibt es die Chance der Rückkoppelung. Aber in Fällen, in denen etwas passieren muss, ohne dass noch einmal eine Rückkoppelung möglich ist, ist die Entscheidungsverantwortung dann auch so delegiert, dass der Förster mit seinem eigenen „Ökoprojektdesign“ mit gutem Gewissen weiterarbeiten kann. Auf diese Weise ist garantiert, dass die Bewirtschaftung „in line“ mit dem „großen Ganzen“ des einst formulierten Nachhaltigkeitskonzepts bleibt. Die Nachhaltigkeitsplanung, das auf sie aufbauende forstbetriebliche Informationssystem, vor allem aber das sinnvolle Delegieren der Entscheidungskompetenz möglichst nahe ans „Projektökosystem“, das sind die Säulen eines modernen Ökoprojektmanagements im Wald. Ganz ähnlich wie die Forstplaner und Förster einen Waldbestand „ansprechen“ und sich dann ein „Ökoprojekt-Design“ überlegen, sprechen wir Projektmanager neue Projekte an („Ansprechen“, synonym taxieren-- Begriff aus der Jägersprache): Habermann und Schmidt zum Beispiel haben für den Start in die Projektarbeit- - analog zu dem was Leibundgut zum Start in Waldpflegeprojekte vorgeschlagen hat-- Fragenkomplexe formuliert, insgesamt 11 [3, S. 56 ff., verändert]: 1. Wer ist „der Kunde“? 2. Was ist der übergeordnete Nutzen des Projekts? 3. Welche Ergebnisse werden erwartet? 4. Was ist der Zeitrahmen? 5. Welche Qualität wird erwartet? 6. Welches Budget steht zur Verfügung? 7. Von welchen Umfeldfaktoren sind positive bzw. negative Auswirkungen auf das Projekt zu erwarten? 8. Welche Chancen und Risiken ergeben sich? 9. Welches Team steht zur Verfügung? … 10. …-und welche Ressourcen? 11. …und wie ist der Weg zum Ziel inklusive zu erreichender Meilensteine? Je größer und komplexer, sprich unvorhersehbarer Programme, Portfolios oder große Projekte („Projektökosysteme“) ausfallen, desto wichtiger ist es, dass alle Beteiligten, bevor sie sich in die Arbeit stürzen, eine tragfähige gemeinsame Sicht auf die grundsätzlichen Fragen des Projektdesigns entwickelt haben. (Öko-)Projektnachhaltigkeit auf Unternehmens-/ Betriebsebene Das Programm für die Waldbewirtschaftung auf Betriebsebene wird grundsätzlich aus den Maßnahmenrepertoires für die verschiedenen Lebensphasen eines Waldbestandes abgeleitet (Abb. 3). Dabei werden die Maßnahmen aber nicht einfach zugeordnet, sondern aufgrund der Individualität der Natur wird jede Maßnahme als Ökoprojekt „designed“. Wie bereits angedeutet, nimmt die Nachhaltigkeitsplanung nun nicht nur die Ebene der „Waldbestände“ in den Fokus. Ein großer Forstbetrieb mag über viele, oft mehrere Hundert oder gar Tausend, Bestände („Waldorte“) mit Wald in den unterschiedlichsten Entwicklungsstadien verfügen, und somit über ein entsprechend dichtes Programm bis zur nächsten Nachhaltigkeitsplanung. Dieses einfach zu konsolidieren, reicht-- wie im Management komplexer Projekte oder Programme, zum Beispiel Unternehmensgründungen-- nicht aus. Bereits eingangs wurde angemerkt, dass die formale Umfeld- und Stakeholderanalyse und die Formulierung des betrieblichen Zielsystems zur zehnjährigen Nachhaltigkeitsplanung für Forstbetriebe gehört und besonders anspruchsvoll ist, weil sie vielen zum Teil konfligierenden Interessen gerecht werden muss. In der Vergangenheit war es bei der Bewirtschaftung der Wälder gesetzt, dass der Eigentümer eines Waldes natürlich Holz nutzen und wirtschaften möchte, und das ist auch heute noch so. Immer größere Teile der Gesellschaft machen sich allerdings indessen Sorgen um Klimawirkungen und um das Artensterben, ja überhaupt um Wald-Themen. Die Ansprüche an die „waldwirtschaftliche Good Governance“ und damit die Nachhaltigkeitsplanung werden zunehmend komplexer. Ökosystem-, Klima- und Schutzfunktionen werden neben den klassischen Nutzfunktionen immer wichtiger, aber Abb. 3: Bestandesentwicklung (oben) und Maßnahmenrepertoire. Im oberen Teil ist die Entwicklung eines „Waldbestandes“ sozusagen als „Vorratsganglinie“ abgebildet. Das wirtschaftlich definierte Bestandesleben dauert zum Beispiel 120 Jahre. In jeder Lebensphase kann der Förster bestimmte Maßnahmen (=-Ökoprojekte) setzen, um die Entwicklung im Sinne des formulierten Zielsystems zu beeinflussen (Blockpfeile im unteren Teil der Abbildung) Wissen | Projektökosystem und Ökoprojekte 25 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0048 auch neue Einkommensfunktionen wie die Bereitstellung von Bestattungswäldern oder Windkraftstandorten- - bis hin zur Möglichkeit „Ökologischer Investments“ zum Ausgleich von Treibhausgasemissionen Dritter-- kommen hinzu. Und schließlich ist die Erholungsfunktionen nicht zu übersehen. Unter all diesen Aspekten für einen modernen Forstbetrieb eine gute Definition des Zielsystems zu finden, die möglichst auch noch für zehn Jahre Bestand haben soll, ist eine anspruchsvolle Aufgabe und an sich oft schon ein Projekt für sich. Für unsere hiesige Betrachtung ist vor allem von Bedeutung, dass die Festlegungen zur Gewichtung der einzelnen Waldfunktionen auf Betriebsebene mit dem „Wo will ich Dich hinhaben? “ beziehungsweise mit dem „Was ist der übergeordnete Nutzen- …? “ auch wieder in das Öko-Projektdesign auf Waldbestandsebene Eingang finden. Werfen wir nun einen Blick in das Informationssystem, das Planung und Vollzug im Wald auf Betriebsebene unterstützt (Abb. 4 a. bis d.). Abgebildet ist jeweils eine denkbare Auswertung der Forsteinrichtungsdaten für einen Forstbetrieb, welche innerhalb der jeweils zehn Jahre umfassenden Altersstufen die inventarisierte Fläche und den Holzvorrat wiedergibt. Ein Forstbetrieb, für den eine solche Auswertung aussieht wie in Abb. 4 a, kommt dem sogenannten „normalen Zustand“ bzw. „idealen Zustand“ besonders nahe. Denn der Anteil der Waldbestände ist über alle Altersstufen hinweg ausgeglichen. Es wächst also jedes Jahr bzw. Jahrzehnt genauso viel Wald(-Fläche bzw. Holzvorrat) aus der jeweils vorhergehenden Altersstufe nach, wie aus jeder Altersstufe in die nächsthöhere Altersstufe abgegeben wird. Eine ideale Nachhaltigkeit nach Holznutzungsmengen ist damit erfüllt, und auch die Nutzungsaussichten und das „Bewirtschaftungsprogramm“ bleiben gleich. Nicht zufällig ähnelt dieser „ideale Betriebsaufbau“ dem Modell in Abb. 3 für den Vorratsgang eines Bestandes im Zeitablauf, aus dem wir die möglichen Öko-Arbeitspakete oder -Projekte abgeleitet haben. Das Bild in 4b zeigt einen Betrieb mit einem Überhang an alten Beständen. In einem solchen Betrieb wird, wenn man rein wirtschaftlichen Überlegungen den Vorrang gibt, der im Rahmen der Nachhaltigkeitsplanung beschlossene „Hiebsatz“ für die nächsten Jahrzehnte wahrscheinlich eher höher liegen als in der „Idealwelt“ der Abb. 4a., denn bei allem Streben nach einem „idealen Waldaufbau“ will man in der Regel doch das Risiko einer Holzentwertung-- etwa durch fortschreitende Stammfäulen-- vermeiden. Insbesondere Forstbetriebe in privater Hand, die in besonderem Maße auf das Erwirtschaften „Schwarzer Zahlen“ angewiesen sind, werden so entscheiden. Abbildung 4a: „Normaler“ bzw. im forstökonomischen Sinne „idealer“ Waldaufbau nach Altersklassen: Nutzungsaussichten und Bewirtschaftungsprogramm bleiben im Zeitablauf gleich. Abbildung 4b: Forstbetrieb mit einem Übergewicht bei den hohen, für die Einkommensfunktion besonders interessanten Altersstufen. Erläuterung im Text. Wissen | Projektökosystem und Ökoprojekte 26 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0048 Insbesondere in Forstbetrieben im öffentlichen Besitz werden inzwischen oft andere Aspekte höher priorisiert als die reine Nutzfunktion. Zum Beispiel lässt man Wälder bewusst über die wirtschaftlich ideale Lebensdauer hinaus bestehen (Abb. 4c). Ein Buchenwald wie der in Abb. 1 ist ja im biologischen Sinne nicht alt, und könnte unter natürlichen Bedingungen gut und gerne weitere zweihundert Jahre geschlossen und vital überleben. Erst wenn ein solcher Buchenwald über 100 Jahre alt ist, wird er für den Arten- und Biotopschutz so richtig interessant. Lässt also ein Betrieb einen Bestandsaufbau wie in Abb. 4c dargestellt zu, so hat zum Beispiel auch der vom Aussterben bedrohte Knochenglanzkäfer Trox perisii [6] eine Überlebenschance. Er braucht Schwarzspechthöhlen und faules Holz in alten, dicken Buchen, und zwar solche, die nach dem Schwarzspecht auch noch von Hohltauben, Siebenschläfern oder Fledermäusen besiedelt waren-(…). Ein Traum für den Artenschützer-- ein Alptraum für den Forstökonomen. Was richtig ist, entscheidet nach Umfeld- und Stakeholderanalyse durch den Forstplaner letztlich der Besitzer des Forstbetriebes für den anstehenden Nachhaltigkeits-Planungszeitraum. Wie gesagt: auch Natur- und Artenschutzfunktionen werden immer wichtiger. Für den Waldbesitzer ökonomisch besonders schmerzhaft schließlich ist ein Betriebsaufbau wie in 4 d. dargestellt: Ein derartiger Überhang an sehr jungen Waldbeständen in Verbindung mit einem Fehlen der alten Wälder ist mindestens eine ökonomische Bürde. Denn hier wird der Hiebssatz, also die planmäßige Nutzungsmenge und damit die Einkommensperspektive, auf lange Zeit sehr viel niedriger ausfallen, als in der „Idealvariante“. Zudem sind die jungen Wälder Investitionsobjekte- - sie belasten die Liquidität und bringen so gut wie keine Einkünfte aus der klassischen Holzverwertungsfunktion. Aber auch bei Variante 4d ist nicht alles nur ungünstig zu bewerten: Aus Klimaschutz-Sicht etwa sind gerade junge Wälder vorteilhaft, weil in der schnellen Jugendwachstums- und Vorratsaufbauphase aufgrund des schnellen Wachstums die CO2-Bindungswirkung am höchsten ist. Das könnte Berücksichtigung finden, wenn die Politik künftig Klimaschutz- und andere Ökosystemleistungen finanziell ausgleicht [9]. Das Projektökosystem skizzieren Jetzt verlassen wir erneut die Welt der Förster-= Ökoprojektmanager und schauen ein weiteres Mal, wie wir uns das dort gesehene in der eigenen Projektmanagement-Welt nutzbar machen können. Zu diesem Zweck greife ich noch einmal die Ableitung des Maßnahmenprogramms aus Abb. 3 auf Abbildung 4c: Forstbetrieb, der einen Teil seiner alten Bestände zu Naturschutzzwecken aus der Nutzung genommen hat. Erläuterungen im Text. Abbildung 4d: Forstbetrieb mit einem Schwerpunkt bei den niedrigen Altersstufen. Diese Verteilung der Altersstufen ist wirtschaftlich besonders ungünstig. Es werden hier allerdings in den nächsten Jahrzehnten besonders viele Waldbestände in die Phase des schnellen Zuwachsaufbaus eintreten. Weitere Erläuterung im Text Wissen | Projektökosystem und Ökoprojekte 27 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0048 und wende das dazu gesagte auf ein Projekt / Programm in der Welt der Tech-Gründungen an, wie wir sie in Beratungsmandaten der Firma Innovald in den letzten Jahren begleitet haben: Abb. 5 zeigt eine Projektökosystemskizze für die Gründung eines MedTech Start-ups, das ein Online-Assistenzangebot für Mediziner zur EKG-Befundung in den Markt bringen will. Wie dem Forstplaner im Wald, so ist auch den Gründern am Anfang eines solchen Vorhabens ziemlich schnell klar, auf ein wie komplexes System sie sich da einlassen: sie können nie alles wissen. Überraschungen garantiert. Wie im Wald, so helfen auch hier die Leitfragen für die Abstimmung einer gemeinsamen Sichtweise auf das Projektdesign- - und zwar auf allen Ebenen: Programm, Projekte, Teilprojekte- (…). Wie in einem großen Forstbetrieb mit Tausenden Waldbeständen, so wird auch hier im Projektökosystem schnell die Situation eintreffen, in der die beiden Gründer zu weit weg von den einzelnen „Revieren“ und „Beständen“ sind: Es werden also „Revierförster vor Ort“ gebraucht: Offensichtlich wird in der Fallstudie in Abb. 5 ein Team Softwareentwickler benötigt, offenkundig ein Vertriebsteam, sowie einige andere Spezialteams. Und offenkundlich ist für das Start-up der Fallstudie von Anfang an klar: Es wird immer wieder zu Situationen kommen, in denen an vielen Stellen zur gleichen Zeit wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen. Manchmal wird dabei eine Abstimmung „mit der Gesamtleitung“ nicht rechtzeitig möglich sein wird. Es muss also wie oben im Ökoprojektmanagement dafür Sorge getragen sein, dass es „Verantwortliche vor Ort“ gibt, die nicht einfach nach dem ABCD-Schema vorgehen (siehe vorne: A. Einfach machen damit’s gemacht ist. B. wider eigenes Bauchgefühl machen was im Plan steht C. Grundsätzlich den Chef entscheiden lassen D. Gar nichts machen-…). A. „Einfach machen“ ist nicht gut: die Anzahl der Software- Projekte, bei denen am Schluss ideale IT-Lösungen übergeben wurden, welche aber im- - von den Entwicklern nicht verstandenen- - Arbeitsumfeld derjenigen, für die das ganze eigentlich programmiert wurde, völlig nutzlos waren, ist Legion. B. wenn einem das Bauchgefühl schon sagt, dass der Plan schlecht ist-- oder vielleicht von einer Veränderung der Umfeldbedingungen oder der Stakeholderprioritäten überholt, wie in der Fallstudie durch die neue EU-Regelung-- dann sollte man dem Bauchgefühl auch ein Stück weit vertrauen dürfen [7, S. 142 ff.]. Wenn der Mann oder die Frau vor Ort jedoch im Sinne von C oder D die Übernahme von Entscheidungsverantwortung grundsätzlich vermeiden möchte, dann wird der Projekterfolg am Ende nie besser sein als das, was sich die beiden Gründer vorstellen konnten, und das reicht eben oft nicht, um nachher mit einem Angebot wie dem in der Fallstudie am Markt zu bestehen. Abb. 5: Projektökosystemskizze für ein Med-Tech Start-up. Das betrachtete Unternehmen ist eine aus den Erfahrungen mit mehreren entsprechenden Gründungsprojekten abgeleitete „Fallstudie“, die in Innovald-Workshops und -Schulungen zum Einsatz kam [4]. Zwei programmierkundige Medizinstudenten haben einen Prototyp für ein EKG-Diagnoseassistenzsystem entwickelt und wollen jetzt, Anfang Februar 2023, die Markteinführung wagen. Aus Ideen werden sehr schnell Projekte, ja ein wahrhaftiges, über mehrere Jahre angelegtes Gründungsprogramm. Vieles, was am Anfang eine einfach zu lösende Aufgabe zu sein scheint, wird schnell selbst zum „Projekt“, das zusätzliche Spezialisten benötigt. Das gilt bereits für die Durchführung einer Investmentrunde 1 mit dem Ansprechen und Interessieren möglicher Startfinanzierer und der Erstellung eines geeigneten Pitch Decks. „Überraschungen" kommen hinzu, vielleicht weil die Gründer zu Beginn die Einführung eines formellen Qualitätsmanagements eher als Aufgabe für die Zeit nach dem erfolgreichen Markteintritt gesehen hatten, jetzt aber mit neuen EU-Regeln konfrontiert werden, die ein solches bereits zwingend als Zulassungsvoraussetzung vor Markteinführung verlangen. Mit dem Wachsen des Teams und dem Hinzuziehen weiterer externer Spezialisten verändert sich die Führungsspanne für die beiden jungen wilden Gründer innerhalb kürzester Zeit enorm. Wird es am Ende gelingen, mit dem notwendigen Vorsprung vor konkurrierenden Gründungen den Markt zu erobern? Wissen | Projektökosystem und Ökoprojekte 28 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0048 Nein-- je komplexer und unausrechenbarer das Vorhaben („Projektökosystem“), desto wichtiger ist es, dass an allen entscheidenden Stellen der Projektorganisation („Projektorten“) Entscheider am Werk sind, die sich darüber bewusst sind, dass sie nicht alles wissen können, aber dass sie das nötige Verständnis zum „Projektdesign“ nach bestem Wissen und Gewissen verinnerlicht haben. Anstatt das ABCD-Schema sklavisch anzuwenden, werden sie vorsichtig genug sein, immer wieder die Rückkoppelung mit dem Projektplan („Projekt-Nachhaltigkeitsplan“) zu suchen, und die Abstimmung mit dem oder der Gesamtverantwortlichen. Das kann in Projektteam-Meetings geschehen oder in Einzelgesprächen, und für Meetings mit mehreren Personen mag die Darstellungsform „Projektökosystem-Skizze“, wie in Abb. 5 für jene Start-up-Fallstudie ausgeführt, eine gute Hilfe sein. Für die Projektökosystem-Skizze gilt: „Keep it simple“. Keiner kann sich die Details einer viel-seitigen, in die letzten Details gehenden PPT-Präsentation merken. Und Hand auf’s Herz-- wer kann sich aus seiner Projektarbeit nicht an Situationen erinnern, in denen gerade so viel gleichzeitig passieren musste, dass man die Projektakte nicht im Detail und intensiv befragen konnte. Einfache Visualisierungen des Projektökosystems in Verbindung mit einer einfach gehaltenen Rekapitulierung des „Projet designs“ können für solche Rückkopplungen sehr hilfreich sein. Und kommt dann die eine für den Erfolg des Projekts maßgebliche Entscheidungssituation, in der „der Chef“ zu weit weg oder gar nicht greifbar, und somit die Rückkoppelung unmöglich ist, dann ist es gut- - und oft genug für den Projekterfolg entscheidend- - wenn der örtliche Entscheidungsträger im Sinne des großen Ganzen trotzdem die relevanten Maßnahmen setzt. Dieses Prinzip können wir bei den Förstern und anderen Ökoprojektmanagern in Anwendung erleben. Was können die Förster / Ökosystem-Manager von uns Projektprofis mitnehmen? Spätestens seit 2018, angesichts der für alle sichtbaren Klimafolgen durch Dürre, Stürme und Borkenkäfer, ist Forstwirtschaft vielerorts nicht mehr so wie sie einst war. Wer heute eine Nachhaltigkeitsplanung alter Schule macht und vielleicht erfreut feststellt, dass er mit einem Betriebsaufbau wie in Abb 4b (Überhang alter Bestände, gut für die Einnahmenfunktion) wirtschaften darf, der kann sich angesichts der Klima-Wirkungen nicht mehr sicher sein, dass ihn nicht schon der nächste Wintersturm in eine Situation versetzt, die eher der Abb. 4.d (jahrzehntelanger „Forstlicher Investitionsstau“) entspricht, bei gleichzeitigem Wegbrechen der Holzpreise, weil solche Stürme heute gerne Millionen von Festmetern auf einmal in den Markt blasen. Für derartige Unwägbarkeiten haben die herkömmlichen Systeme der Forsteinrichtung bis heute keine wirkliche Antwort. Es entwickeln sich auch erst langsam Förder- und Ausgleichsinstrumente, die einem Waldbesitzer in solchen Situationen helfen können, die Nicht-Holz- Nutzungsfunktionen ökonomisch zu verwerten, zum Beispiel die CO2-Bindung. Hier ist viel Raum für Ökoprojektmanagement. Literatur [1] M. Barth & M. Sarstedt (2022): Der Projektmanager als Jäger. Projektmanagement aktuell Heft 5 / 2022. GPM. Tübingen. S 48-53. [2] H. Leibundgut (1984): Die Waldpflege. Verlag Paul Haupt, 3. Aufl., ISBN 3-258-03 415-X, Bern, Stuttgart: 214 S. [3] F. Habermann & K. Schmidt (2018): Over the Fence. Projekte neu entdecken, Neue Vorhaben besser durchdenken und gemeinsam mehr Spaß bei der Arbeit haben. Verlag Becota, Version 1.0, ISBN 978-3-00-059325-3, Berlin: 255 S. [4] D. Fernholz / Innovald Project Consulting (2020): Projekt- Ökosystem-Management. Workshopformat. www.innovald.com unveröffentlicht. [5] G. Faltin (2008): Kopf schlägt Kapital. Verlag Carl Hanser, 7. Aufl. ISBN 978-3-446-41564-5, München: 252 S. [6] K. Cichosch (2019): „Die Wildnis liegt vor Deiner Haustür“. Interview mit Manuel Schweiger. URL https: / / www. schirn.de / magazin / interviews / 2018_interview / interview_manuel_schweiger/ , abgerufen am 10. 02. 2023. [7] G. Gigerenzer (2013): Risiko. Wie man die richtigen Entscheidungen trifft. C. Bertelsmann Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, ISBN 978-3-570-10103-2, München: 379 S. [8] D. Fernholz (2021): Bestandesbeschreibung und Rahmenplan für einen Buchenaltbestand. Fallstudie im Rahmen eines Workshops Ökoprojektmanagement, unveröffentlicht. [9] Bundesregierung (2022): Neues Förderprogramm „Klimaangepasstes Waldmanagement“. „Wer den Wald stark macht, macht starken Klimaschutz“. https: / / www. bundesregierung.de / breg-de / suche / klimaschutzwald-2 139 262, abgerufen am 28. 01. 2023. Eingangsabbildung: © iStock.com / no_limit_pictures Dirk Fernholz Dirk Fernholz ist Forstexperte und Projektmanager (und bildet Jäger aus und coacht Projektteams) und war von 2018 bis 2022 als Berater mit der Firma Innovald selbständig. Während der Corona-Lockdowns entstanden die Ideen des Projektökosystems und Ökoprojektmanagements , die er unter anderem bei der Gründung eines Landschaftspflegeverbandes und beim Thüringer Sonderprogramm Waldumbau und Wiederbewaldung einbrachte, aber auch bei der Start-up-Beratung und in Digitalisierungsprojekten. 29 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0049 Tobias Feitkenhauer, Projektleiter von Frei Day, einem Lernformat der Initiative Schule im Aufbruch, im Interview mit der GPM Bildung für nachhaltige Entwicklung Sarah-Janina Khayati Angesichts der bestehenden globalen Herausforderungen und Transformationsprozesse ist Nachhaltigkeit Kernthema des gesellschaftlichen Zusammenlebens der Zukunft geworden. Mit der AGENDA 2030 haben die Vereinten Nationen 17 „Sustainable Development Goals“ definiert, die weltweit nachhaltige Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene sichern sollen. Ziel 4, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), gilt als zentraler Schlüssel für deren Umsetzung. In Deutschland wurde 2017 der Nationale Aktionsplan BNE verabschiedet. Tobias, wie sieht für dich die Bildung der Zukunft aus? Tobias Feitkenhauer: Für mich ist die Bildung der Zukunft von den Bedürfnissen und Interessen der Kinder aus gestaltet. Natürlich werden auch Basiskompetenzen wie Rechnen, Lesen, Schreiben und der mündige Umgang mit digitalen Medien in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Erlernt werden diese allerdings nebenbei, wenn sich Kinder und Jugendliche in offenen Lernräumen mit Themen auseinandersetzen, die sie persönlich interessieren. Wo siehst du hier den besonderen Hebel in Bildung für nachhaltige Entwicklung? Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) bietet uns dabei die Möglichkeit, die ganzen zerstückelten Fächer und Themengebiete zusammenzuführen. BNE vereint all die Themengebiete und Kompetenzen, mit denen sich junge Menschen in der Schule auseinandersetzen und die sie erwerben sollen. Ich sehe eine große Chance darin, mit einem Fokus auf BNE einen ganzheitlichen Bildungsansatz in den Schulcurricula zu verankern. Dafür braucht es aber ein klares Verständnis, dass BNE mehr ist als Umweltbildung. BNE hat das Ziel, dass sich die Schüler*innen zu verantwortungsbewussten, kritischen und mündigen Gestalter*innen unserer Welt entwickeln-- übrigens genau das, was auch die Schulgesetze in Deutschland als Ziel von Bildung ausgeben. Als Organisation setzt ihr euch bei Schule im Aufbruch für eine ganzheitliche und transformative Bildung im Sinne der Bildung für nachhaltige Entwicklung ein und habt mit dem FREI DAY ein Lernformat geschaffen, in dem Schüler*innen im Rahmen ihres Stundenplans auch Raum und Zeit für die Auseinandersetzung mit selbst gewählten Zukunftsfragen erhalten. Wie kann ich mir so einen Frei Day genau vorstellen? Stell dir vor, du hast jede Woche vier Stunden am Stück Zeit, Projekte zu Themen zu entwickeln und umzusetzen, die dich aktuell persönlich interessieren. Es gibt keinen Druck, dass du am Ende ein erfolgreiches Projekt zustande gebracht haben musst, stattdessen viele Möglichkeiten, dich mit den spannenden Themen unserer Zeit ausführlich auseinanderzusetzen. Du suchst dir ein Team und gemeinsam arbeitet ihr jede Woche an dem Projekt weiter. Deine Lernbegleiter*innen begleiten dich und dein Team als Coach. Sie reflektieren mit euch euren Prozess und helfen euch dabei, Herausforderungen zu überwinden. Eine Schülerfirma aufbauen, Kleidertauschbörsen organisieren, benachteiligten Menschen Wissen | Bildung für nachhaltige Entwicklung 30 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0049 helfen, eigenes Gemüse im Schulgarten anbauen, Grenzen gibt es (fast) nicht. Welche Schwerpunkte setzt ihr? Welche Kompetenzen stehen besonders im Fokus? Die Schüler*innen setzen sich mit Themen auseinander, die sie persönlich interessieren. Die 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, kurz SDGs) bieten dabei einen guten Rahmen. Sie schaffen eine gemeinsame Sprache für die gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit und geben den Schüler*innen die Möglichkeit, ihre eigenen Projekte in einen globalen Kontext zu setzen. Durch die Entwicklung und Umsetzung ihrer Projekte erwerben Schüler*innen Handlungskompetenzen. Gleichzeitig entwickeln sie auch Selbstkompetenzen wie Selbstverantwortung, Selbstregulation, Selbstmanagement und Selbstbestimmung. Letztere sind für den FREI DAY sowohl Voraussetzung als auch Entwicklungsziel. Hier kommt die Lernbegleitung ins Spiel: Je stärker die Schüler*innen in der Ausprägung ihrer Selbstkompetenzen sind, desto mehr kann ich als Lernbegleiter*in loslassen. Ziel ist dabei, über die Zeit immer mehr Verantwortung für den Prozess den Schüler*innen zu überlassen. Müssen interessierte Schulen denn bestimmte Voraussetzungen mitbringen? Eine Umsetzung des FREI DAYs setzt voraus, dass es einen Schulkonferenzbeschluss gibt, der den FREI DAY als strukturell verankertes Lernformat für alle Schüler*innen bestimmter Klassenstufen festlegt. Dies ist auch insofern sinnvoll, als dass die Verantwortung für das Lernformat damit auf viele Schultern verteilt wird. Für die Generierung der vier Stunden bedarf es etwas Kreativität. Über 100 Schulen aller Schulformen haben bereits vorgemacht, dass es möglich ist. Dort kann man sich inspirieren lassen. Ein Ausprobieren des FREI DAYs ist in den meisten Bundesländern aber auch ohne einen Schulkonferenzbeschluss möglich-- eine Schulleitung, die hinter dem FREI DAY steht, eine handvoll (oder weniger) begeisterte Kolleg*innen und eine Elternschaft, die einen Pilotversuch unterstützt, reichen aus, um eigene Erfahrungen mit dem Lernformat zu sammeln. Margret Rasfeld, Gründerin von Schule im Aufbruch und Erfinderin des FREI DAYs hat mir einmal geschrieben: „Projektlernen als strukturell verankertes Kernelement ist für die Schultransformation von grundlegender Bedeutung. Hebt es doch die Zersplitterung auf und eröffnet Zeitfenster für das Lernen und Wirken im Leben.“ Der FREI DAY schafft nun genau dieses Zeitfenster mit dem Fokus auf das Lernen in Projekten, wobei der Blick auf den Projektunterricht auch noch einmal ganz bewusst erweitert wird. Welchen Rahmen braucht gelingendes Lehren und Lernen in Projekten? Aus der Erfahrung der letzten Jahre zeigt sich deutlich, dass Lernen in Projekten vor allem eine gute Hinführung benötigt, damit die Kinder und Jugendlichen Basiskompetenzen haben, um überhaupt mit einem Format wie dem FREI DAY umgehen zu können und nicht überfordert werden. Gleichzeitig braucht es auch für viele Kolleg*innen Weiterbildungsmöglichkeiten, um sich mit der Methodik und Didaktik von projektbasiertem Lernen tiefgehend auseinanderzusetzen, da dies oft im Rahmen der Ausbildung nicht stattgefunden hat. Organisatorisch braucht es dazu mindestens die drei folgenden Elemente: Einen Kick-off, der Begeisterung schürt und die Kinder und Jugendlichen ermutigt. Regelmäßige Reflexionsgespräche mit den Teams, um den eigenen Prozess und die Lernerfahrungen zu reflektieren und so die Kompetenzentwicklung überhaupt erst möglich zu machen. Ein Schulfest am Ende des Schuljahres, um das Engagement der Schüler*innen zu würdigen und der ganzen Bildungslandschaft zu zeigen, was junge Menschen alles können, wenn man ihnen den dafür notwendigen Freiraum gibt. Welche Rolle spielt projektbasiertes Lernen für die Schule der Zukunft? Ich bin davon überzeugt, dass sich durch die zunehmende Digitalisierung und die Veränderung in der Arbeitswelt der bisherige Fokus auf Wissensvermittlung immer mehr Richtung (Handlungs-)Kompetenzentwicklung verschieben wird. Projektbasiertes Lernen ist dabei ein Format, das Schüler*innen ermöglicht, die für die Kompetenzentwicklung notwendigen Erfahrungen zu machen, diese zu reflektieren und daraus zu lernen. Die Schule der Zukunft wird dabei noch viel mehr Freiräume als bisher für Formate wie den FREI DAY schaffen. Über den FREI DAY: Am FREI DAY beschäftigen sich Kinder und Jugendliche mit aktuellen, gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen, die sich an den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen orientieren. Sie finden Antworten auf selbstgewählte Zukunftsfragen. Dabei recherchieren, planen und tüfteln sie selbst, wie sie ihre Projektideen in die Tat umsetzen können. Sie finden nicht nur Antworten auf diese Fragen; sie entwickeln gemeinsam mit anderen Schüler*innen konkrete Lösungen für die gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen in ihrer Nachbarschaft und setzen diese als eigenes Projekt selbstständig um. Mittlerweile lernen Kinder und Jugendliche an über 100 Schulen in Deutschland, was sie alles auf die Beine stellen können, wenn sie den FREI-Raum dafür erhalten. Seit 2021 ist die GPM Teil des FREI DAY Netzwerks und unterstützt das Format, u. a. mit den PM macht Schule-Materialien als Bestandteil der FREI DAY Toolbox. Einem Online-Methodenkoffer, der Lehrkräfte und Schüler*innen bei der Planung und Umsetzung ihrer FREI DAY-Projekte mit geeigneten Vorlagen und Empfehlungen begleitet. Internet: www.frei-day.org/ 31 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0050 Die Generation X und Z im Vergleich Wie attraktiv ist New Work für die (Projekt-)Arbeit wirklich? Loraine Brandis Für eilige Leser | Ausgehend von dem zunehmenden Fachkräftemangel und den sich verändernden Wertevorstellungen der Generation Z müssen sich Unternehmen attraktiv auf einem Arbeitnehmermarkt platzieren, um dem „War for Talents“ standzuhalten. Eine Möglichkeit hierzu bietet die Neugestaltung der (Projekt-)Arbeit im Sinne von New Work anhand der Dimensionen „People“, „Places“ und „Tools“ mithilfe geeigneter New-Work-Instrumente. Da sich jedoch auch die Generation X seit vielen Jahren auf dem Arbeitsmarkt befindet, müssen diese Veränderungen für alle Generationen gleichermaßen attraktiv sein. Die Einführung von New Work gilt als produktivitätssteigernd und kann eine verbesserte Reaktionsfähigkeit in Unternehmen und deren Teams fördern. Studien ergeben, dass die Attraktivität von New Work von beiden Generationen als ähnlich hoch eingestuft wird. Schlagwörter | Generation Z, Generation X, New Work, verändernde Wertevorstellungen, Wandel 1 Einleitung Die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung, die weitreichende Globalisierung, der demografische Wandel wie auch die Covid-19-Pandemie sind nur einige der vielen Faktoren, welche Unternehmen vor neue Herausforderungen stellen und die Art zu arbeiten verändern [1]. Aspekte wie die zunehmende Diversität, eine Vielzahl von verschiedenen Lebensentwürfen und Wertevorstellungen sowie die Vielfalt von Herkünften unterstützen dies [2, 3]. Mit dem Eintritt einer neuen Generation in den Arbeitsmarkt, welche als „Generation Z“ bezeichnet wird, werden sich Unternehmen an neue Werte und Anforderungen anpassen müssen. Eine gute Work-Life-Balance, ein Arbeitsplatz ohne Druck und der Wunsch, in der Freizeit Neues zu entdecken, steht für diese Generation im Vordergrund [4, 5]. Im Kontrast hierzu befindet sich die technikunabhängigere Generation X seit über 20 Jahren im Berufsleben und priorisiert die Arbeit vor der Freizeit [6, 7]. Um der Vielzahl an Lebensentwürfen der verschiedenen Generationen auf dem Arbeitsmarkt gerecht zu werden, liegt es nahe, die Arbeit und somit auch das Projektmanagement im Sinne von „New Work“ neu und damit für alle Gruppen von Arbeitnehmern attraktiv zu gestalten [10]. 2 Der Generationenbegriff Um Generationen voneinander abgrenzen zu können, wird von der Hypothese des „Generationen-Effekts“ ausgegangen. Hierbei wird sich auf eine zur gleichen Zeit durchlebte Sozialisationsphase berufen, welche eine Generation prägt. Zu dieser Phase kann die Kindheit, Jugend und das frühe Erwachsenenalter gezählt werden, in welcher historische Ereignisse und gesellschaftliche Veränderungen das Aufwachsen der Generationen beeinflussen [7, 11]. Als besonders relevant werden hierfür Ereignisse zwischen 18 und 25 Jahren gesehen [12]. 2.1 Das Aufwachsen, prägende historische Ereignisse und Merkmale der Generation X „Generation X“ ist der Begriff für Personen, welche zwischen den Jahren 1966 und 1980 geboren wurden. Ihre Kindheit und Jugend fand somit hauptsächlich in den 70erbis, für Spätgeborene, in den 90er-Jahren statt, geprägt von der Trennung Wissen | Wie attraktiv ist New Work für die (Projekt-)Arbeit wirklich? 32 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0050 zwischen Ost- und Westdeutschland [7]. Historische Ereignisse wie die Wiedervereinigung, der Integrationsprozess der EU wie auch die aufkommende Arbeitslosigkeit mussten sie bewältigen. Durch das Aufkommen erster technischer Produkte in Westdeutschland lernten die „Xer“ schon im Berufseinstieg mit diesen Produkten umzugehen, wohingegen sich die Generation X aus Ostdeutschland erst noch an diese gewöhnen musste. Die Einarbeitung in neue Technologien fällt Ihnen im Gesamten jedoch leicht und das Interesse, sich an neuen Technologien zu versuchen, ist hoch. [9, 13]. Sie verfügen meist über eine lange Lebens- und Berufserfahrung, die sich in ihrem Wissen und Fähigkeiten sowie in der Sicherheit ihres Auftretens zeigt [9]. Die Arbeit wird als zentraler Lebensinhalt angesehen, Freizeit gilt als weniger wichtig. Dennoch ist Arbeit vielmehr ein „Mittel zum Zweck“ [6, S. 57], um sich und der eigenen Familie ein gutes Leben zu ermöglichen [6]. Personen der Generation X befürworten (generationsübergreifende) Teamarbeit, Projektarbeiten sowie teilautonome Arbeitsgruppen und sehen Gleichberechtigung und auch soziale Integration am Arbeitsplatz als selbstverständlich an [14]. Zur heutigen Zeit nehmen sie zudem häufig obere Führungspositionen ein [9]. Die prägendsten Eigenschaften und Merkmale können ebenfalls der Abb. 1 entnommen werden. 2.2 Das Aufwachsen, prägende historische Ereignisse und Merkmale der Generation Z Personen, welche zwischen den Jahrgängen 1996 und 2010 geboren wurden, können der Generation Z zugeordnet werden [7]. Da diese Generation die Zukunft der Belegschaft in Unternehmen ausmachen wird, müssen sich Unternehmen an neue Erwartungen und Wertevorstellungen anpassen, um dem „War for Talents“, also der erschwerten Suche nach Fachpersonal unter hoher Konkurrenz, standzuhalten [2]. Ein Teil der Generation Z befindet sich in der schulischen Ausbildung, während andere vor der Berufswahl stehen und wieder andere bereits Teil des Erwerbslebens sind. Bis zum Jahr 2035 wird die Sozialisationsphase abgeschlossen sein und es wird sich der Großteil dieser Generation im Arbeitsleben befinden. Somit können sich zukünftig weitere historische Ereignisse einreihen, welche einen Einfluss auf die Entwicklung und Veränderung dieser Generation haben [7]. Bisher führten unter anderem der Brexit, die Klimastreiks „Fridays For Future“, die COVID-19-Pandemie wie auch der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zu einem veränderten Aufwachsen der jungen Generation [7, 15]. Trotz der Zunahme von außerfamiliärer Betreuung erfahren Personen der Generation Z in der Zeit des Aufwachsens Abbildung 1: Eigenschaften und Merkmale der Generation X Abbildung 2: Eigenschaften und Merkmale der Generation Z Wissen | Wie attraktiv ist New Work für die (Projekt-)Arbeit wirklich? 33 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0050 eine große elterliche Unterstützung. Dennoch führt der steigende Bildungsdruck wie auch die Akademisierung zu hohem Druck und auch zu einer eingeschränkten Freizeitgestaltung bereits in jungen Jahren [7]. Auch das Aufwachsen in einer heterogenen Gesellschaft wird normaler als je zu vor [16]. Mitglieder der Generation Z wachsen vollständig in der Zeit der Digitalisierung auf und gelten als erste Generation, die den Übergang von der Jugend zum Erwachsenenalter ausschließlich im digitalen Zeitalter erlebt [7]. Die Suche nach Sinnhaftigkeit und Selbstverwirklichung in der Arbeit wie auch in der Freizeit wird großgeschrieben, was auch den Wunsch auslöst, dass sich die Arbeit an das Privatleben anpassen soll [18]. Die materielle Sicherheit scheint im Gegensatz zur Generation X zum aktuellen Zeitpunkt nicht als eigentlicher Treiber zur Arbeit. [7]. Der Wunsch nach einem guten Arbeitsklima und einer guten Arbeitsatmosphäre wird stärker, ebenso wie das Bedürfnis nach ständiger Rückmeldung, was in der Nutzung digitaler Technologien und dem damit verbundenen dauerhaften Feedback durch Likes und Kommentare begründet ist. [6, 17]. Durch das Aufwachsen unter stetigem Leistungsdruck und den Anstieg psychischer Probleme erwartet sich die Generation Z das Gegenteil im Erwerbsleben. Sie möchten nicht unter Druck stehen und sich bewusst Auszeiten nehmen, um auf ihre Work-Life-Balance zu achten [7]. Auch für die Generation Z dient die Mindmap in Abb. 2 zur Veranschaulichung der prägendsten Merkmale und Eigenschaften. 3 Der New Work Ansatz Der Begriff „New Work“ wurde bereits vor knapp 40 Jahren durch den österreich-amerikanischen Sozialphilosophen und Philosophieprofessor Frithjof Bergmann geprägt, nachdem der Taylorismus zu Massenentlassungen in einer Automobilfabrik in Michigan führte [19]. Ausgehend davon war es Bergmanns Ziel, eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftsform zu erschaffen, welche die klassische Erwerbsarbeit durch drei Teile ersetzt. [10, 21, 22]. Hierzu zählt, wie in Abb. 3 zu sehen ist, zu einem Drittel der „Rückbau der Lohnarbeit“, welcher bewirken soll, dass Arbeitnehmer weniger finanziell abhängig von ihrem Beruf sind, wodurch Angst und Erpressbarkeit gelindert wird [21]. Diese verminderte Arbeitszeit soll mit der Förderung der „Hightech-Selbstversorgung“ ausgeglichen werden, welcher ebenfalls ein Drittel der Zeit gewidmet wird [22]. Diese hat zum Ziel, den Menschen ein unabhängiges Leben zu ermöglichen, indem lebenswichtige Objekte selbst hergestellt werden können. Das restliche Drittel der Zeit soll für das sogenannte „Calling“ genutzt werden. Hiermit soll der Mensch herausfinden, welche Arbeit er „wirklich, wirklich will“ [21, S. 21] und wie damit Geld verdient werden kann [21, 24]. Das heutige New-Work-Konzept hat wenig mit dem von Bergmann zu tun und ist vielmehr als ein „Sammelbecken für verschiedene Ansätze, Maßnahmen und Konzepte“ [19, S. 4] zu betrachten. Der Begriff New Work steht stellvertretend für die Arbeit der Zukunft und für alle Veränderungen in der modernen Arbeitswelt. Nicht selten wird New Work von Unternehmen falsch interpretiert und beschränkt sich auf das Angebot kostenloser Obstkörbe, einen Kickertisch, das Erlauben von Homeoffice oder den Verzicht auf Hierarchien. Doch dass diese Gesten auch eine gelebte Kultur benötigen, wird nur selten berücksichtigt [23]. Durch grundlegende, nachhaltige Veränderungen in Unternehmen kann jedoch eine Vielzahl von Zielen erreicht werden, wozu eine verbesserte Arbeitgeberattraktivität und somit ein besserer Ausgangspunkt für den steigenden Fachkräftemangel, eine höhere Reaktionsgeschwindigkeit und eine verbesserte Innovationsfähigkeit zählen [1]. 4 Der Einsatz von New Work im Projektmanagement auf den Ebenen People, Places und Tools und deren Attraktivität Hackl et al. (2017) teilen New Work in drei Dimensionen ein: People, Places und Tools. Nur, wenn alle diese Dimensionen bei der Umsetzung von New Work betrachtet werden, können die New-Work-Instrumente hinreichend Anwendung finden, erfolgreich umgesetzt werden und die (Projekt-)Arbeit verbessern [1]. Die Liste der möglichen Instrumente ist vielfältig und kann der Abb. 4 entnommen werden, wobei auch diese nicht als vollständig zu betrachten ist. 4.1 Dimension „People“ Der Dimension „People“ geht voraus, dass jeder Mitarbeiter New Work von innen heraus lebt, was im Umkehrschluss eine neue Unternehmenskultur und eine veränderte Art zu arbeiten zur Folge hat [1]. Auf der anderen Seite bewirkt New Work, dass sich Unternehmen intensiver an die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter ausrichten [19]. Um eine erfolgreiche Dimension „People“ im Projektmanagement zu schaffen, kann das Instrument Teams herangezogen werden. Eine gute Zusammenarbeit in Projektteams kann sich positiv auf das Stressempfinden und die Leistung von Mitarbeitern bereits ab Projektstart auswirken. Die Hemmschwelle, Fragen zu stellen und Fehler zuzugeben, ist aufgrund der gegebenen Sympathie deutlich geringer als in anderen Arbeitsformen. Zur Teamarbeit zählen jedoch auch die gemeinsame Verteilung von Aufgaben inklusive deren Zuständigkeiten, die Wichtigkeit von Sympathie im Team und die Wahl der Führungskraft ausgehend von den Mitarbeitern, also „Bottom-up“ [19]. Sowohl Generation X als auch Z ste- Abbildung 3: New Work- Konzept nach Bergmann [21] Wissen | Wie attraktiv ist New Work für die (Projekt-)Arbeit wirklich? 34 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0050 hen der Teamarbeit positiv gegenüber, lediglich 10 % der Generation X und 16 % der Generation Z lehnen Teamarbeit ab [4]. Außerdem findet es die jüngste berufstätige Generation etwas wichtiger, sich auch privat mit ihren Arbeitskollegen gut zu verstehen, was mit dem verstärkten Wunsch nach einer guten Arbeitsatmosphäre in Verbindung gebracht werden kann [17, 20]. Eine offene und ehrliche Kommunikation ist ebenfalls ein zentrales Instrument von New Work, welches einen respektvollen Austausch mit Kollegen und Führungskräften fördern soll. Ebenso wird es als wünschenswert angesehen, wenn auch schlechte Nachrichten geteilt werden und eine vollständige Transparenz herrscht. Generation X und Generation Z sind sich in Bezug auf Kommunikation im Unternehmen einig, sodass sich über 90 % beider Generationen eine offene und aufrichtige Kommunikation wünschen, welche respektvoll verläuft und von Anerkennung geprägt ist, was auch für die Zusammenarbeit im Projektteam von Vorteil ist. Ebenso wird von beiden Generationen die persönliche der virtuellen Kommunikation vorgezogen, was bei der Generation Z mit ihrem Leben in den sozialen Netzwerken divergiert [16]. Die veränderte Rolle von Führungskräften kann als weiteres Instrument zur Etabilierung von New Work in der (Projekt-)Arbeit dienen [1]. Führungskräfte sollen bei New Work die Rolle von Experten und Coaches einnehmen, indem sie die Bedürfnisse der Mitarbeiter erkennen und die Erfüllung dieser vorantreiben. Führungskräfte nehmen dabei die Rolle von Unterstützern ein, welche den Weg und die Leitplanken vorgeben und jeden Mitarbeiter auf diesem Weg begleiten, auf welchem sie sich jedoch frei entfalten können [19]. Hiermit soll die Motivation der Mitarbeiter gefördert werden, was wiederum die Leistungsfähigkeit erhöht. Somit schwindet der Führungsstil „Command and Control“ und wird ersetzt durch eine Output-orientierte Vertrauenskultur, in welcher eine höhere Agilität und Innovationsfähigkeit geschaffen wird [1]. Der Wunsch nach einem Leader und Coach wird von über der Hälfte beider Generationen als wünschenswert gesehen. Doch auch der Wunsch eines Vertrauensvorschusses bei neuen Aufgaben und Herausforderungen ist besonders für die jüngere Generation wichtig, was in Verbindung mit der noch geringeren Berufserfahrung steht [19]. Ein weiteres Instrument, das eine Veränderung der Arbeitsweise zur Folge hat, ist die Einführung flacher Hierarchien. Dieses Instrument ermöglicht das Arbeiten auf Augenhöhe, indem weniger Hierarchien das Organigramm von Unternehmen und auch von Projekten prägen. Zusätzlich kann hierdurch ein schnelleres Treffen von Entscheidungen gefördert werden, da mehr Mitarbeiter an einer Lösung arbeiten als zuvor und weniger Abstimmungsprozesse nötig sind. Außerdem nimmt somit die Anzahl an Führungspositionen ab, wodurch einige Führungskräfte ihre Position abgeben müssen. Dies ermöglicht das Teilen von (Führungs-)Positionen (Job Sharing), wodurch die Freizeit der ohnehin ausgelasteten Führungskräfte vermehrt wird. Ansätze, um flache Hierarchien zu schaffen, sind der Wegfall akademischer Titel im gesamten Unternehmen, der Wegfall von Einzelbüros, welche eine Höherstellung symbolisieren, die Einführung einer Duz-, Fehler- und Feedbackkultur, welche auch die Führungskräfte betrifft sowie die Vergabe von projektbezogenen Führungspositionen [1, 26]. Schermuly (2019) hingegen wandelt das Konzept von (flachen) Hierarchien ab und ersetzt diese durch dynamische Netzwerke. Er vertritt die Meinung „Hierarchie bleibt Hierarchie, egal wie flach sie ist.“ [20, S. 127]. Durch die mit flachen Hierarchien einhergehende vermehrte Zuständigkeit der Führungskräfte für mehr Mitarbeiter, wird das Risiko von Unübersichtlichkeit und Konflikten erhöht. Dynamische Netzwerke hingegen, in welchen Mitarbeiter und Führungskräfte abteilungsübergreifend und projektorientiert eingeteilt werden, ermöglichen ein hierarchiefreies Arbeiten und Denken, indem die Führungskräfte als gleichgestelltes Teammitglied agieren und am gemeinsamen Erfolg beteiligt sind. Die Akzeptanz der Teammitglieder muss sich erst verdient werden und die Führungskräfte fungieren lediglich als Moderator des Projektes [20]. Die Hälfte beider Generationen wünschen sich, in dynamische Netzwerken anstatt in starren Teams zu arbeiten [19]. Außerdem wünschen sich über 60 % beider Generationen, dass in der Zukunft Führungspositionen nur noch projektweise vergeben werden, es also keine festen Hierarchien mehr gibt [24]. Abbildung 4: New Work-Dimensionen und New Work-Instrumente [1, 20, 21] 35 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0050 JETZT INFORMIEREN! VOLLZEIT ODER BERUFSBEGLEITEND IN BOCHUM, IN HAMBURG ODER REIN ONLINE IMMOBILIEN KANN MAN STUDIEREN Anzeige 4.2 Dimension „Place“ Die Dimension „Place“ beruht auf der Anpassung des Arbeitsumfeldes, welche große Auswirkungen auf die Effektivität und Effizienz der Mitarbeiter haben kann [20]. Außerdem kann hierdurch die Kommunikation, Kreativität und der Wissensaustausch zwischen Mitarbeitern gefördert werden [1]. Die Arbeitsortautonomie beschreibt die Möglichkeit frei zu entscheiden, an welchem Ort der Arbeitstätigkeit nachgegangen werden soll [20]. Der Arbeitsplatz ist alleinig von den technischen Geräten abhängig, welche flexibel auch zuhause genutzt werden können, sodass aus technischer Sicht die Arbeit von fast überall auf der Welt erledigt werden kann [1, 27]. Die Möglichkeit zur Arbeitsortautonomie setzt das Vertrauen der Führungskräften an die Mitarbeiter voraus. Bei Nichtvorhandensein der Arbeitsortautonomie kann ein Gefühl von mangelndem Vertrauen übermittelt werden [19]. Aus Blick der Mitarbeiter besteht jedoch auch die Möglichkeit, dass die häuslichen Umstände keinen Platz für Homeoffice zulassen [25]. Die Arbeitsortautonomie kann ebenfalls die Kommunikation unter Mitarbeitern sowie die Innovationsfähigkeit und Arbeitgeberattraktivität negativ beeinflussen. Eine Präsenzkultur, welche im Einklang mit mobilem Arbeiten steht, kann den negativen Aspekten entgegenwirken und die Mitarbeiterzufriedenheit aufrechterhalten [1]. Weniger als die Hälfte beider Generationen geben an, gerne ortsunabhängig arbeiten zu wollen [19]. Ähnlich viele Personen der Generation Z wünschen sich 1 bis 4 Tage im Homeoffice zu arbeiten, befürchten jedoch mehr negative Aspekte als Generation X. Hierzu zählen unter anderem der fehlende Austausch mit der eigenen Führungskraft, die verspürte Enge in den eigenen vier Wänden und vermehrte Probleme mit der Familie oder dem Partner [24]. 4.3 Dimension „Tools“ Die zuletzt zu betrachtende Dimension stellen die „Tools“ dar. Dieser kommt in Betrachtung von New Work eine besondere Bedeutung zu, da sich die technische Infrastruktur an Arbeitsplätzen in den letzten Jahren deutlich verändert hat. Der gängige Bildschirmarbeitsplatz mit Meetings im Konferenzraum wird nun in Teilen durch virtuelle Zusammenarbeit ersetzt, was unter anderem durch die Zunahme von Homeoffice-Möglichkeiten, insbesondere ausgelöst durch die Covid-19-Pandemie, begünstigt wird. Die hierfür nötige Ausstattung eines jeden Mitarbeiters muss durch das Unternehmen sichergestellt werden. Außerdem muss für die Nutzung der Tools im Büro eine stabile Internetverbindung und ein guter Empfang für Telefonate gegeben sein, um die Grundlage für diese Dimension legen zu können [1]. Anwendungen wie „Microsoft Teams“, „Zoom“ oder „WebEx“ ermöglichen es, gemeinsame Meetings trotz vermehrter Möglichkeit zur Arbeitsortautonomie durchzuführen [26]. Hierdurch kann ein fortlaufender Informationsaustausch und auch die Kommunikation unter Mitarbeitern aufrechterhalten werden, auch wenn sich nicht alle Mitarbeiter im Büro befinden. Außerdem kann somit die Anzahl von Geschäftsreisen Wissen | Wie attraktiv ist New Work für die (Projekt-)Arbeit wirklich? 36 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0050 verringert werden, was auf einer Seite Zeit und Kosten spart, wie auch auf der anderen Seite die Umwelt schont [1]. Generation X scheint virtuelle Meetings im Homeoffice wichtiger zu sein als Generation Z. Ebenso ist ihnen die Möglichkeit zur Gabe von Feedback auch über Online-Meetings wichtiger, was jedoch nicht bedeutet, dass sie virtuelle Meetings den persönlichen Meetings bevorzugen [24]. Generation Z ist insbesondere die Kommunikation zu ihren Kollegen und Vorgesetzen wichtig-- ob diese persönlich oder virtuell stattfindet, spielt für sie jedoch keine Rolle, was im Widerspruch zur vorherigen Aussage steht [27]. Das ortsunabhängige Zugreifen auf Daten durch Apps und Cloudlösungen ermöglicht es jedem Mitarbeiter von überall in Echtzeit auf Dateien und Daten zuzugreifen und diese auch abzulegen. Somit kann ein interaktiver und gemeinsamer Arbeitsplatz geschaffen werden [1]. Zusätzlich wird hierdurch auch die Effizienz und Flexibilität der Arbeit gefördert, wie auch Kosten eingespart [28]. Die Nutzung von Apps und Cloudlösungen ist für beide Vergleichsgenerationen attraktiv, auch wenn sich die Gründe hierfür unterscheiden [29]. Jüngere Arbeitnehmer sehen durch die Nutzung von Online-Tools bei der Arbeit verbesserte Möglichkeiten zur Kommunikation im Unternehmen, was auch das direkte Feedback betrifft [30]. Generation X hingegen sieht Vorteile, Dateien somit auf einfache Weise zu teilen und auch auf den eigenen Computer herunterzuladen. Außerdem wird durch die Online-Speicherung die doppelte Absicherung der Daten unterstützt, was ebenfalls als positiv eingestuft wird. Dem entgegen stehen für die Generation X jedoch Zweifel bezüglich der Datensicherheit, welche insbesondere persönliche und sensible Informationen betreffen [29]. 5 Fazit und Handlungsempfehlungen Im Gesamten betrachtet ist der Unterschied beider Generationen in der Art zu Arbeiten nicht stark ausgeprägt. Lediglich wenige generationsspezifische Merkmale und Eigenschaften prägen sie in der (Projekt-)Arbeit. Auch in den Erwartungen an den Arbeitsplatz unterscheiden sich beide Generationen kaum. Durch die Einführung von New Work kann ein Unternehmen zukünftig eine gute, und für die neue Generation Z, eine attraktive Position auf dem Arbeitnehmermarkt einnehmen, indem sich verändernde Bedürfnisse und Wertevorstellungen berücksichtigt werden. Hierbei wird jedoch vielmehr das heutige statt das ursprüngliche Verständnis nach Bergmann mit einbezogen [1]. Die Einführung von New Work bedeutet außerdem nicht, dass alle dargestellten Instrumente einen Platz im Unternehmen finden müssen, sondern ist eher als eine Auswahl zu betrachten. Nicht jedes New-Work-Instrument ist für jede Branche gleich sinnvoll und attraktiv. Die Covid-19-Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen gelten als wesentlicher Treiber für die Einführung von New Work. Die Verpflichtung zum Angebot von Homeoffice-Möglichkeiten, die Zunahme virtueller Meetings wie auch das dafür benötigte Vertrauen von Unternehmen und deren Führungskräften an ihre Mitarbeiter dienen als Grundpfeiler hierfür. Diese Aspekte auch über die Krise hinaus aufrechtzuerhalten und die aus der Not entstandenen Fortschritte in Betrachtung aller drei Dimensionen weiter Anklang bei Unternehmen finden zu lassen, wird zukünftig besonders wichtig sein. Außerdem sollen die Wünsche von verschiedenen Generationen am Arbeitsplatz berücksichtigt werden, um die Attraktivität von New Work und somit auch die Attraktivität des Arbeitsplatzes langfristig zu fördern. Indem eine gelebte New Work-Kultur entsteht, besteht außerdem die Möglichkeit, das Wissen, die Kompetenzen und die Fähigkeiten zweier Generationen zu vereinen [14]. In Betrachtung der Studienlage sind weitere einheitliche Forschungen über die Bedürfnisse der Generation Z notwendig, welche bestenfalls nach der Sozialisationsphase wiederholt werden. Aktuell getätigte Aussagen der Generation Z könnten sich mit Antritt der ersten Arbeitsstelle widerlegen, da in der Praxis möglicherweise andere Aspekte als attraktiv und weniger attraktiv gesehen werden [7]. 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Die Abschlussarbeit beschäftigte sich mit der Attraktivität von New Work für Generation X und Z im Vergleich. 38 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0051 Wie sollte PE von morgen aussehen? Nachhaltige Personalentwicklung für nachhaltiges Projektmanagement Agnetha Flore, Frank Edelkraut Für eilige Leser | Seit der Veröffentlichung der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung im Jahr 2021 als Reaktion auf die Agenda 2030 mit den 17 globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung ist Nachhaltigkeit ein viel diskutiertes Thema. Viele Unternehmen haben sich bereits damit befasst, wie sie eine nachhaltige Transformation umsetzen können. Dabei gibt es jedoch immer noch erhebliche Unterschiede in der Art und Weise, wie Unternehmen vorgehen. Insbesondere gibt es signifikante Unterschiede in der Intensität, mit der unterschiedliche Funktionsbereiche ihre nachhaltige Transformation angehen und welche Rolle Agilität dabei spielt. In diesem Beitrag geht es darum, die Rolle der Personalentwicklung (PE) bei einer nachhaltigen Transformation zu beleuchten. Es wird erörtert, wie eine ideale Transformation aussehen könnte und wie das Projektmanagement davon betroffen ist. Schlagwörter | Personalentwicklung, Nachhaltigkeit, Mindset, Organisationsentwicklung, Projektmanagement, Agilität Die letzten Jahre haben uns klar und teilweise schmerzhaft aufgezeigt, dass verlässliche und schnelle Lieferung von Wert in immer kürzerer Zeit erfolgen müssen, um am Markt erfolgreich sein zu können. So verwundert es nicht, dass Agiles Arbeiten und Digitalisierung Hochkonjunktur haben und ihre relative Bedeutung immer weiter ansteigt. Wenn allerdings Geschwindigkeit und immer öfter auch Unvorhersehbarkeit im Fokus stehen, wie kann dann Nachhaltigkeit, die ja eher mit Beständigkeit und Langfristigkeit in Verbindung gebracht wird, eine Rolle spielen? Für die Beantwortung dieser Frage und die Auflösung des scheinbaren Widerspruchs sollten wir zunächst klären, was unter Nachhaltigkeit zu verstehen ist. 1. Bedeutung und Relevanz von Nachhaltigkeit 1.1 Definition Wer den Begriff „Nachhaltigkeit” im Lexikon nachschlägt, bekommt eine kurze und knappe Erklärung: „eine längere Zeit anhaltende Wirkung” und mit dieser knappen Aussage ist der Grundgedanke der Nachhaltigkeit bereits gut auf den Punkt gebracht. Ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammend, bezeichnet der Begriff Nachhaltigkeit die Maxime, nur so viel Holz zu schlagen, wie nachwachsen kann. Heutzutage gehört Nachhaltigkeit zu den normativen Schlüsselbegriffen des 21. Jahrhunderts, mit dem Ziel, die globalen Lebensgrundlagen dauerhaft zu erhalten. In diesem Zusammenhang werden lokale und globale Herausforderungen des 21. Jahrhunderts diskutiert, wie beispielsweise Armut, Corporate Social Responsibility, Gesundheit, Elektromobilität, Menschenrechte, Öko-Effizienz und vegetarische Ernährung. Nachhaltigkeit kann nur durch eine gleichzeitige Berücksichtigung von Ökonomie, Ökologie und Sozialem realisiert werden. Diese drei Dimensionen bilden das Drei-Säulen-Modell oder Triple Bottom Line, wobei unklar ist, wie diese zueinander in Beziehung stehen. Das Konzept der starken Nachhaltigkeit sieht das Naturkapital als kritische Ressource und fordert, dass Kapitalentnahmen stets unterhalb der Regenerationsfähigkeit bleiben müssen. Im Kontrast dazu geht das Konzept der schwachen Nachhaltigkeit von einer grundsätzlichen, wenn auch nicht unbegrenzten, Substituierbarkeit zwischen verschiedenen Kapitalarten aus, sodass ein Verlust von Naturkapital durch den Aufbau von Sachkapital ausgeglichen werden kann [4]. Wissen | Nachhaltige Personalentwicklung für nachhaltiges Projektmanagement 39 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0051 1.2 UN Sustainable Development Goals-- Soziale und ökologische Rolle Die Sustainable Development Goals (SDGs), auch bekannt als die 17 globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030, sollen von allen, einschließlich der Regierungen weltweit, Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft und Wissenschaft, umgesetzt werden. Die Agenda 2030 wurde im Jahr 2015 von der Weltgemeinschaft verabschiedet, um weltweit ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und gleichzeitig die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft zu erhalten. Die Agenda umfasst ökonomische, ökologische und soziale Aspekte, und alle Staaten sind aufgefordert, ihr Handeln danach auszurichten. Deutschland hat sich bereits frühzeitig zu einer ambitionierten Umsetzung bekannt. Die Agenda 2030 beinhaltet 17 Ziele, wie das Ende von Armut in jeder Form und überall, Ernährungssicherheit weltweit, Gesundheit und Wohlergehen, hochwertige Bildung weltweit, die Gleichstellung von Frauen und Männern, ausreichend Wasser in bester Qualität, bezahlbare und saubere Energie, nachhaltiges Wirtschaften als Chance für alle, Industrie, Innovation und Infrastruktur, weniger Ungleichheiten, nachhaltige Städte und Gemeinden, nachhaltige Produktion und Konsum, weltweiter Klimaschutz, Schutz des Lebens unter Wasser, Schutz des Lebens an Land, Stärkung von starken und transparenten Institutionen und die Förderung globaler Partnerschaft. Die Agenda 2030 umfasst eine Vielzahl von Themen, einschließlich des verstärkten Einsatzes für Frieden und Rechtsstaatlichkeit, der Bekämpfung von Korruption, Bildung für alle und dem Schutz von Klima und Ressourcen, damit kein Mensch mehr unter Hunger leiden muss [1]. Wie man an den 17 Zielen erkennen kann, spielt das Thema Nachhaltigkeit nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale Rolle wie hochwertige Bildung, Geschlechtergleichheit, menschenwürdige Arbeit, weniger Ungleichheiten sowie Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen. 1.3 Relevanz von Nachhaltigkeit Aus dem vorangegangenen Abschnitt wird ersichtlich, dass die Agenda 2030 ambitionierte Ziele hat. Um diese zu erreichen, reicht es nicht aus, einzelne Maßnahmen umzusetzen, sondern es bedarf einer grundlegenden Veränderung in dem Umgang mit der Umwelt, der Gesellschaft, der Infrastruktur und künftigem Wirtschaften. Ein weiterer Aspekt ist, dass Nachhaltigkeit nicht nur kurzfristige Vorteile hat, sondern besonders auch viele langfristige Vorteile birgt. Doch um langfristige Erfolge zu erzielen, müssen Dinge grundsätzlich geändert und mit Weitblick angepasst werden. Es reicht nicht aus, für einen Monat seinen Wagen in der Garage stehenzulassen oder zwei Monate kein Fleisch zu essen. Es bedarf einer langfristigen Transformation im Leben aller, um nachhaltige Ziele zu erreichen und für Fehlverhalten muss auch noch langfristig die Rechnung getragen werden. Auch die Wirtschaft ist für die Nachhaltigkeit relevant. Die Unternehmen können nicht wie zuvor weiter produzieren, da Rohstoffe endlich sind und neue Wege, neue Materialien oder Alternativen für Antriebe oder ähnliches gefunden werden müssen. 2. Rolle von Nachhaltigkeit für Projekte Aber nicht nur in der Wirtschaft allgemein spielt Nachhaltigkeit eine Rolle, sondern auch speziell in Projekten kann sinnvoll darauf geachtet werden, um positiven Anteil an der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele zu haben. Grundsätzlich könnte der Eindruck eines Widerspruchs aufkommen, dass Projekte, die ja definitionsgemäß kurzfristig angelegt sind, dennoch nachhaltig wirken sollen. Wie also kann das gehen? Das entscheidende ist, dass mit nachhaltigen Projekten eine große Wirkung und ein langfristiger und zukunftsorientierter Nutzen erzeugt wird. Denn dadurch kann nachhaltiges Projektmanagement auf lange Sicht einen Beitrag zum Unter- Abbildung 1: Drei Säulen der Nachhaltigkeit [7] Wissen | Nachhaltige Personalentwicklung für nachhaltiges Projektmanagement 40 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0051 nehmenserfolg, zur Wertschöpfung und zum Erhalt einer zukunftsfähigen Wirtschaft und Umwelt leisten. Das magische Dreieck des Projektmanagements wird dadurch um eine Dimension, nämlich der der Nachhaltigkeit erweitert. Dadurch wird aus dem bisher bekannten Dreieck eine magische Pyramide. Durch diese neue Dimension ergibt sich ein neues Spannungsfeld, welches es von Projektmanagern zu lösen gilt. Ein Spannungsfeld in der Marktwirtschaft zeigt sich schnell anhand von zwei Beispielen. Ein Projekt, das trotz Überschreitung von QKT einen erheblichen Beitrag zum Gemeinwohl leistet, kann als erfolgreich betrachtet werden. Dies ist zum Beispiel bei den Verhandlungen zu einem globalen Klimaschutzabkommen der Fall, da sie das magische Dreieck verfehlen und alle zweckmäßigen QKT-Ziele überschreiten, aber dennoch als Erfolg gewertet werden können. Andererseits kann ein Projekt, das alle QKT-Ziele erreicht hat, aber moralische Grenzen durchbrochen hat, als Misserfolg angesehen werden. Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung einer Software für die Dieselsteuerung. Hier spielt es keine Rolle, ob die QKT-Ziele vollständig erfüllt wurden. Der prominente Dieselskandal ist auf einen Misserfolg dieses Projekts zurückzuführen, auch wenn Autokäufer erst lange nach Projektabschluss darauf aufmerksam wurden [5]. Aus dem Bereich des Projektmanagements lassen sich auch plakative Beispiel für jede Säule der Nachhaltigkeit finden. Die ökologische Säule: In dieser Säule ist es wichtig, das Projektergebnis und die Prozesse nachhaltig zu gestalten. Beispiele hierfür sind: • Bauprojekte: Verwenden Sie ökologisch wertvolle und vertretbare Materialien und achten Sie auf die Energiebilanz des Gebäudes. • Internationale Projekte: Vermeiden Sie unnötige Reisen und versuchen Sie, die Zusammenarbeit virtuell abzuwickeln. • Produktentwicklung: Achten Sie auf die Vertretbarkeit der eingesetzten Materialien und versuchen Sie, ein ressourcenschonendes Endprodukt zu gewährleisten. Die ökonomische Säule: In der ökonomischen Säule betrachten wir hauptsächlich finanzielle Aspekte, die die heimische Wirtschaft betreffen. Beispiele hierfür sind: • Bauprojekte: Beschäftigen Sie Arbeitskräfte aus der Region und sorgen Sie für eine faire Bezahlung, um das Wachstum der heimischen Wirtschaft zu unterstützen. • Internationale Projekte: Versuchen Sie, regionale Partner miteinzubeziehen, um die Wirtschaft in Ihrer Umgebung zu stärken. • Produktentwicklung: Achten Sie auf mögliche regionale Zulieferer und planen Sie langfristig, damit das Produkt über mehrere Jahre verkauft werden kann und einen Investitionsnutzen hervorbringt. Die soziale Säule: Die soziale Säule beschreibt den Umgang mit Stakeholdern und Beziehungen zu relevanten Umwelten. Beispiele hierfür sind: • Bauprojekte: Achten Sie auf eine hohe Qualifizierung Ihrer Mitarbeiter, um Arbeitsunfälle zu vermeiden. • Internationale Projekte: Betrachten Sie die Mitarbeiterentwicklung als explizites Ziel und bieten Sie Schulungen zur interkulturellen und digitalen Kompetenz an. • Produktentwicklung: Arbeiten Sie an Ihrer sozialen Kompetenz, um die Kommunikation und Teamarbeit zu verbessern [8]. Um im Projektmanagement nachhaltig vorgehen zu können, ist es auch besonders wichtig flexibel und kurzfristig auf neue Rahmenbedingungen, Anforderungen und Herausforderungen reagieren zu können. Besonders vor dem Gesichtspunkt der Ressourcenverschwendung. Dafür ist auch unter dem Abbildung: 2 Ziele für nachhaltige Entwicklung [1] Abbildung 3: Die magische Pyramide des Projektmanagements [5] Wissen | Nachhaltige Personalentwicklung für nachhaltiges Projektmanagement 41 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0051 Abbildung 4: Drei Aspekte von Lernkompetenzen [6] Aspekt der Nachhaltigkeit ein agiles Vorgehen in Projekten entscheidend. 3. Rolle von Personalentwicklung für Nachhaltigkeit Dass die Personalentwicklung im agilen Projektmanagement und allgemein in der agilen Wirtschaft eine besondere Rolle spielt und entsprechende Beachtung verdient, sollte nach dem bisher Diskutierten offensichtlich sein. Was dies genau bedeutet, wollen wir im Weiteren etwas detaillierter beleuchten. Um agil und nachhaltig Arbeiten zu können, also um langfristigen Nutzen zu erzielen, bedarf es nicht einzelner Maßnahmen oder kurzfristiger Änderungen. Dafür bedarf es einer Transformation, einem Change im gesamten Unternehmen, wodurch eine Verhaltensänderung der gesamten Belegschaft erfolgt. Diese notwendige Verhaltensänderung erstreckt sich über das Mindset, die Governance und die Techniken [3], [9] und [10] oder auch anders formuliert: Mindset, Skillset und Toolset [2]. Eine Transformation kann und sollte daher auch als umfassender Lernprozess betrachtet werden. Für die notwendigen Veränderungen im Skillset sind die Auswahl von entsprechenden Kompetenzen bei Einstellungen, aber auch die Weiterentwicklung von Kompetenzen und das Lernen im Allgemeinen gefragt. Die Kompetenzbasis muss also weiter ausgebaut werden. An dieser Stelle kommt die Personalentwicklung ins Spiel, um die Handlungsfähigkeit auf Individual- und auf Teamebene nachhaltig zu garantieren. Grundsätzlich ist das Thema lebenslanges Lernen in der agilen Personalentwicklung ein sehr wichtiges. Dabei wird Lernen nicht mehr nur als Prozess des Wissenstransfers verstanden, sondern als Prozess der Wissensgenerierung und -skalierung. Für die Personalentwicklung ergeben sich daraus folgende Konsequenzen: • Individualisierung der Qualifizierung und Weiterbildung • Kurzfristige Bedarfe und Veränderungen in den Entwicklungsplänen • Begleitung teaminterner Lernprozesse und von Interteam- Lernformaten • Bereitstellung größerer Toolboxes, d. h., unterschiedlichster Instrumente und Formate, mit denen die Teams und Individuen je nach aktuellem Bedarf die passenden Angebote finden und eigenverantwortlich einsetzen Das heißt also es ist für die PE wichtig, die Lernkompetenzen aller Mitarbeiter zu analysieren und zu fördern, dazu gibt es von Graf et al. (2016) eine Grafik zu den drei Aspekten von Lernkompetenzen [6]. Wie man der Grafik entnehmen kann, ist die individuelle Lernkompetenz der Mitarbeiter grundlegende Voraussetzung für das betriebliche Lernen. Die Zukunft des Lernens sollte in der kontextbezogenen Eigenkreation und der Verbreitung von Netzwerken liegen. Zu agiler Personalentwicklung gehört: • Personalisierte und selbst-definierte Pläne für die individuelle Entwicklung • Lerngruppen und Peer-Learning, ggf. begleitet durch Agile Lerncoaches • Schnelle Ergebnisse durch praxisnahe Übungen und permanente Reviews / Retrospektiven • Anpassung der Ziele bei Veränderung der Umstände oder Empfehlungen im Lernprozess • Disziplinierte Umsetzung innerhalb bestimmter Zeitabschnitte (Timeboxes, Iterationen) • Kontinuierlicher Austausch und Feedback • Transparenz bezüglich der Prozesse und Ergebnisse • Notwendige Eigenschaften und Verhaltensweisen für komplexe Umgebungen: Selbstreflexion und psychische Stabilität, Selbstsicherheit (Klarheit), breites Bildungsniveau und vielseitige Erfahrungen, Neugier und Reflexionsfähigkeit, Gelassenheit und Geduld, strukturiertes Denken und Entscheidungskompetenz, geistige Flexibilität (schnelles Lernen und Umlernen), Respekt gegenüber Andersartigkeit, Demut gegenüber der Größe der Aufgaben und den eigenen begrenzten Möglichkeiten [2] 3.1 Wirkung auf Projekte Eine geeignete Personalentwicklung hat auch positive Auswirkungen auf Projekte und stiftet somit einen großen Nutzen. Denn durch eine Veränderung in den Skillsets, die Kreativität und kritisches Denken fördern, besonders oft Kollaborationen und Innovationen auftreten. Dadurch wird auch die Wertschöpfung verbessert und gute Margen erreicht. Ebenso kann durch neue Toolsets, also der Schulung und Einführung von neuen Projektmanagementmethoden und -praktiken, zu Verbesserungen im Projektablauf und somit zu besseren Ergebnissen führen. Dies bedeutet also, dass bspw. Projektmitarbeitende neben den Schulungen für neue Techniken wie Scrum, auch dafür notwendige Kompetenzen wie Flexibilität, Zusammenarbeit, Wertschätzung und Vertrauen nahegebracht bekommen. Denn nur so können die notwendigen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Nutzung von Scrum in Organisationen geschaffen werden, wenn die Personalentwicklung bei der Transformation zu nachhaltigen Projekten unterstützt. Die Projekte selbst erleben eine Tendenz zu einer immer stärkeren Entwicklung neuen Wissens und neuer Kompeten- Wissen | Nachhaltige Personalentwicklung für nachhaltiges Projektmanagement 42 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0051 Dr.-Ing. Agnetha Flore Dr.-Ing. Agnetha Flore ist seit April 2020 im Zentrum für digitale Innovationen Niedersachsen tätig und hat dort im Oktober 2021 die Geschäftsführung übernommen; studierte Diplom-Kauffrau und promovierte Wirtschaftsinformatikerin; über 20 Jahre Tätigkeit in der Finanzdienstleistungsbranche; 2017 Zertifizierte Projektmanagerin (GPM); 2019 Zusatzzertifikat Hybrid+; 2019 Dozentin IBS Oldenburg für agiles Projektmanagement, 2019 GPM Fachgruppe Agiles Management und seit 2021 mit in der Fachgruppenleitung tätig. Anschrift: ZDIN Escherweg 2 26 121 Oldenburg Telefon: 0441 / 9722 - 102 eMail: agnetha.flore@zdin.de Dr. Frank Edelkraut Dr. Frank Edelkraut ist Geschäftsführer der Mentus GmbH und als Interim Manager in HR-Leitungsfunktionen tätig. Er ist Experte für Projekt- und Transformationsmanagement sowie Agile Organisation und Agiles Personalmanagement. Er publiziert regelmäßig online und hat bereits mehrere Bücher zu Personal- und Managementthemen geschrieben. Seit vielen Jahren engagiert er sich als Mentor für Studierende und Gründer. Mehr zu ihm: https: / / www.linkedin.com/ in/ frankedelkraut/ zen. Diese zu erfassen und in der Organisation sinnvoll zu verteilen ist eine weitere Aufgabe der Personalentwicklung. Unterbleibt diese, werden wertvolle neue Erfahrungen nur langsam verfügbar gemacht. 3.2 Resilienz der Organisation Aber eine Veränderung hin zu agilen und nachhaltigen Verhaltensweisen hat nicht nur auf Projektebene einen positiven Einfluss. Sie hat auch einen positiven Einfluss auf die der gesamten Organisation und hilft die Resilienz des Unternehmens zu verbessern. Denn durch agiles Verhalten, kann sich eine Organisation kurzfristig neuen Herausforderungen annehmen und durch nachhaltiges Handeln auch mit Weitblick langfristige Erfolge erzielen und am Markt bestehen. Das heißt in Konsequenz, dass neben dem Mindset, Skillset und Toolset auch noch ein viertes „Set“ hinzukommt: das Frameset. Damit ist die Organisationsentwicklung für die Transformation und die neu zu schaffende Organisation gemeint. Nehmen wir beispielhaft das Lernen selbst. In der Vergangenheit lag die Verantwortung für die Sicherung des im Projekt generierten Wissens beim Projektmanagement. Allzu oft wurden Lessons Learned aber nicht mehr durchgeführt bzw. Ergebnisse verschwanden in Schubladen. Im modernen Projektmanagement werden, analog zum Agilen Arbeiten, Reviews und Retrospektiven regelmäßig durchgeführt und die Ergebnisse in der Organisation verfügbar gemacht. Hierfür ist es sinnvoll, die Personalentwicklung einzubeziehen, die dafür sorgt, das neue Wissen zugänglich zu machen. Dies bedeutet auch eine Organisationsentwicklung, wenn etwa explizite Lernzeiten etabliert werden, Zielvereinbarungssysteme um Lernanteile ergänzt werden oder die Rolle der Führungskräfte im Lernen neu definiert wird. In vielen Unternehmen besteht hier akuter Handlungsbedarf. Fazit Zusammenfassend bedeutet das, dass es für Wirtschaftsunternehmen unerlässlich ist, eine Transformation in Bereichen des Mindset, Skillset, Toolset und Frameset zu vollziehen, um nachhaltig zu werden und für die Zukunft gerüstet zu sein. Hierbei ist ein entscheidender Hebel, mit der Personalentwicklung diesen Transformationsprozess anzustoßen und stetig zu begleiten. Dadurch kann das Paradoxon beherrschbar werden, langfristige Nachhaltigkeit in einer VUCA-Welt realisieren zu können. Literatur [1] Bundesregierung; Quelle: https: / / www.bundesregierung. de / breg-de / themen / nachhaltigkeitspolitik / nachhaltigkeitsziele-erklaert-232 174 (abgerufen am 26. 04. 2023) [2] Edelkraut, F., Mosig, H.: Schnelleinstieg Agiles Personalmanagement, 1. Auflage, Haufe Group Freiburg- - München-- Stuttgart (2019) [3] Flore, A., Edelkraut, F.: Agile HR, Projektmanagement aktuell, Maiausgabe (2023) [4] Gabler Wirtschaftslexikon; Quelle: https: / / wirtschaftslexikon.gabler.de / definition / nachhaltigkeit-41 203 (abgerufen am 26. 04. 2023) [5] GPM; Quelle: https: / / www.gpm-blog.de / die-magischepyramide-des-projektmanagements/ (abgerufen am 27. 04. 2023) [6] Graf, N., Gramß, D., Heister, M.: Gebrauchsanweisung für lebenslanges Lernen, Vodafone Stiftung Deutschland (2016) [7] Institut Bauen und Umwelt e. V.; Quelle: https: / / ibuepd.com / nachhaltige-entwicklung/ (abgerufen am 26. 04. 2023) [8] Jungwirth, Kathrin: Nachhaltiges Projektmanagement; Quelle: https: / / www.inloox.de / unternehmen / blog / artikel / nachhaltiges-projektmanagement/ (abgerufen am 27. 04. 2023) [9] Tuczek, C. H., Flore, A., Nuhn, H. F. R., Schaffitzel, N.: A systemic approach to agile management and self-organization for a sustainable transformation of organizations, IPMA 8th Research Conference (2020) [10] Tuczek, C. H., Flore, A., Nuhn, H. F. R., Schaffitzel, N.: Agiles Management-- ein systemischer Ansatz. Ohne agiles Mindset der Organisation müssen agile Projekte scheitern, Projektmanagement aktuell, Juliausgabe (2022) Eingangsabbildung: © iStock.com / anyaberkut 43 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0052 Lean Project Management Wie Sie Verschwendung in Ihren Projekten identifizieren und eliminieren Rainer Erne, Claus Hüsselmann, Stefanie Langhardt Für eilige Leser | Im Streben danach, Projekte erfolgreich zu machen, stellen unterschwellige Faktoren, wie bspw. Warten auf Zulieferungen oder Suchen nach Informationen erhebliche Einflussfaktoren dar. Diese werden im Lean Management als Verschwendung bezeichnet, denn diese Faktoren leisten keinerlei Beitrag zur Wertschöpfung. Mit Lean Project Management liegt ein konzeptioneller Ansatz vor, mit dem Verschwendung identifiziert und mit Hilfe bewährter Prinzipien und Praktiken vermieden werden kann. In diesem Beitrag wird der Project Management Waste Index vorgestellt, mit dem Unternehmen in einfacher und schneller Weise die Arten von Projektverschwendungen ans Tageslicht bringen und quantifizieren können. Auf dieser Basis können sodann die Gründe für die Störfaktoren zielgerichtet angegangen werden. Das Ausmaß dieser sieben Verschwendungsarten in einem Projekt lässt sich anhand eines Fragebogens aufzeigen. Aus den Antworten lässt sich eine Kennzahl ermitteln, den sogenannten „Project Management Waste Index“. Dieser zeigt zum einen das Ausmaß der Verschwendung insgesamt. Zum anderen gibt er Aufschluss darüber, in welchen Bereichen das größte Ausmaß an Verschwendung stattfindet. Schlagwörter | Lean Project Management, Verschwendung, Project Management Waste Index, Studie Die erfolgreiche Zielerreichung von Projekten hängt in erheblichem Ausmaß von der Vermeidung von Verschwendung ab. Diese findet allerdings oftmals unter dem Radar der Projektarbeit statt, so dass im Streben danach, Projekte erfolgreich zu machen, eher unterschwellige Faktoren, wie bspw. Warten auf Zulieferungen oder Suchen nach Informationen, außer Acht gelassen werden. Solche Misserfolgsfaktoren werden im Lean Management als Verschwendung bezeichnet, da sie keinen Beitrag zur Wertschöpfung leisten. Der Project Management Waste Index Im Folgenden wird der Project Management Waste Index (PMWI) vorgestellt, mit dem Unternehmen in einfacher und schneller Weise die Arten von Verschwendungen in Projekten ans Tageslicht bringen und quantifizieren können. Auf dieser Basis können sodann die Gründe für die Störfaktoren zielgerichtet im Sinne des Lean Project Management angegangen werden. Vergleichbar zu den Verschwendungsarten im Toyota Production System lassen sich auf der Basis von empirischen Studien auch typische Verschwendungen im PM identifizieren, wie in Teil 1 dieses Beitrags in der letzten Ausgabe vorgestellt wurde. Dazu gehören Warten, Überbearbeitung sowie auch Unterbearbeitung, Fehler, unnötige Bewegung sowie Fehlallokation und Fehlweisung. Für die Ermittlung des PMWI wurde ein Fragebogen entwickelt, in dem je Verschwendungsart drei praxisnahe Aussagen formuliert wurden, die jeweils auf einer Likert-Skala von 0 ( nie bzw. keine ) bis 4 ( fast immer bzw. gravierend ) einerseits nach der Häufigkeit ihres Auftretens und andererseits nach dem Schweregrad ihrer Auswirkung in den betrachteten Projekten bewertet werden können. Dadurch ergeben sich insgesamt 21 Bewertungen (Abbildung 1). Auf dieser Grundlage lässt sich der Project Management Waste Index als Kennzahl für Verschwendung im Wissen | Wie Sie Verschwendung in Ihren Projekten identifizieren und eliminieren 44 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0052 Projekt, erheben. Damit wird das spezifische Ausmaß der Verschwendung in einem betrachteten Projekt bzw. einem betrachteten Projektportfolio zum maximal möglichen Ausmaß (=100 %, d. h. totale Verschwendung gemäß Modell) in Bezug setzen [4]. Durch den PMWI wird ein Benchmarking der Verschwendung in Projekten sowohl organisationsintern als auch organisationsvergleichend möglich. Zweitens lassen sich durch diese Erhebungsform auch die wesentlichen Verschwendungsarten innerhalb eines Projekts, einer Organisation oder einer Branche identifizieren. In einer 2021 in der D-A-CH-Region durchgeführten branchenübergreifenden Studie mit über 200 Teilnehmern konnten die Autoren durch diese Methodik einen durchschnittlichen PMWI von 25,1 % (Median: 24,0 %) ermitteln und als wesentliche Verschwendungsarten in Projekten Warten, Fehlallokation und Unterbearbeitung identifizieren (der vollständige Bericht zur Studie ist zu finden in [3]). Ursachenanalyse für Verschwendung Sind das Ausmaß und die Arten der Verschwendung im ersten Schritt organisationsspezifisch ermittelt, ist weiterhin offen, wo die Ursachen für die festgestellten Symptome liegen. Zur Klärung dieser Frage verwenden die Autoren eine Heuristik, um zumindest die Ursachen 1 . Grades für die prominentesten Verschwendungsarten in einer Organisation zu ermitteln. Diese Heuristik ist aus der Tradition des Lean Thinking entliehen und auf das PM angepasst worden [1] [2] [5] (vgl. Abbildung 2). Dabei dient das in Abbildung 2 dargestellte Ishikawa-Diagramm lediglich als erster Einstieg in die Ursachenforschung. Das Ziel besteht darin, in einem Workshop zu den grundlegenden Ursachen und Ursachenzusammenhängen zu gelangen [6]. Denn erst dann sind Ansatzpunkte gefunden, um nachhaltig Verschwendung zu minimieren. Die identifizierten Ursachen werden dann nach den Parametern Ausmaß (für die Verschwendung) und Behebbarkeit (in den Grenzen des Systems) zusammen mit den Betroffenen klassifiziert, wodurch sich eine Heat Map für die Verschwendungsursachen in Projekten ergibt (Abbildung 3). Damit sind mögliche Pfade für die Eliminierung bzw. Minimierung von Verschwendung skizziert. Eliminierung / Minimierung von Verschwendung Die darauffolgende Eliminierung bzw. Minimierung der Verschwendung folgt zwei grundsätzlichen Vorgehensweisen: Erstens einem Action Research -Ansatz und zweitens der Differenzierung in unterschiedliche Interventionsebenen (Abbildung 4). Der Grundidee des Action Research-Ansatzes folgend werden ursachenbezogene Maßnahmen zur Reduzierung der größten Verschwendungen in Projekten in priorisierter, sequentieller Reihenfolge geplant, umgesetzt und dann sys- Abbildung 2: Heuristik zur Ermittlung der Ursachen für die Verschwendungsarten Abbildung 1: Schematischer Fragebogen zur Ermittlung des PMWI Wissen | Wie Sie Verschwendung in Ihren Projekten identifizieren und eliminieren 45 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0052 tematisch im Hinblick auf ihre Umsetzung und ihre Wirksamkeit evaluiert. Diese Lernerfahrungen werden dann für die Planung und Umsetzung der weiteren Maßnahmen genutzt [Abbildung 4]. Im Hinblick auf die Gestaltungsebenen der Maßnahmen werden Interventionen auf der Ebene des Individuums (Motive, Einstellungen, Fähigkeiten), des individuellen Projekts (Teamzusammensetzung, Kommunikation, Führung) sowie der Organisation (PM-Prozesse, organisationsweise Methoden und Werkzeuge) unterschieden. Sehr häufig sind dabei parallele Interventionen auf allen drei Ebenen erforderlich. Beispielsweise erfordern Änderungen in den PM-Prozessen deren Umsetzung in den Projekten, was wiederum Entwicklungsmaßnahmen auf individueller Ebene nach sich zieht [8]. Die praktische Anwendung dieses konzeptionellen Ansatzes soll im nächsten Kapitel anhand eines zweiten Beispiels veranschaulicht werden. Fallbeispiel 2: Identifikation und Minimierung von Verschwendung in Projekten durch den Lean-PM- Ansatz In einem IT-Unternehmen, das Software für Unternehmenskunden an unterschiedlichen Standorten anbietet, implementiert und entsprechend den individuellen Kundenprozessen und Kundenwünschen konfiguriert, zeigten sich seit geraumer Zeit einige typische Probleme: 1. Die kundenindividuellen Konfigurationsprojekte waren konstant mit Kundenwünschen überlastet. 2. Wesentliche Kompetenzen zur zeitnahen Umsetzung der Kundenwünsche fehlten in den Projekten, wenn sie gebraucht wurden. 3. In den Standorten entwickelten sich unterschiedliche Vorgehensweise zur Abwicklung der Kundenprojekte, was zu Abstimmungsaufwänden beim Austausch von Personen führte. 4. Die Kluft zwischen den Zusagen gegenüber den Kunden und der Umsetzung dieser Zusagen wurde zunehmend größer. Da dies typische Symptome für Verschwendung darstellte, wurde der oben skizzierte Lean PM-Ansatz gewählt, um diese Verschwendungen systematisch und schnell zu identifizieren und zu minimieren. Dabei wurde das oben grob skizzierte Vorgehen wie folgt detailliert (Abbildung 5). Scoping (Vorgespräch) In einem zweistündigen Scoping wurden einerseits die Vorgehensweise vermittelt und abgestimmt und andererseits die Ziele, der Scope der Verbesserung sowie die Beteiligten definiert. In diesem Zuge wurden drei typische Projekte aus unterschiedlichen Standorten ausgewählt, in denen sich die Symptome in unterschiedlichen Phasen gut zeigten. Assessment (Einzelbefragung) Die Projektbeteiligten dieser drei Projekte (Organisationsleitung, Projektleitung, Projektmitarbeiter, Prozessverantwortliche) füllten den Fragebogen in jeweils ca. 20 Min. aus, was zu 22 auswertbaren Datensätzen führte. Auf dieser Basis konnte der organisationsspezifische PMWI sowie die gravierendsten Abbildung 3: Heat Map zur Klassifizierung der Verschwendungsursachen Abbildung 4: Vorgehensweisen zur Eliminierung / Minimierung von Verschwendung in Projekten Wissen | Wie Sie Verschwendung in Ihren Projekten identifizieren und eliminieren 46 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0052 Verschwendungsarten ermittelt werden. Dabei ergab sich ein PMWI im arithmetischen Mittel von 25 % (Median: 25,5 %), was ziemlich genau den Ergebnissen in der oben zitierten allgemeinen Studie entsprach. Die Verschwendungsarten verteilten sich wie in Abbildung 6 dargestellt. Die Verschwendungsart Fehlallokation bezog sich auf fehlende quantitative Personalkapazitäten sowie fehlende Kompetenzen; die Verschwendungsart Unterbearbeitung beinhaltete oberflächliches Arbeiten und unzureichende Dokumentation. Damit waren die wesentlichen Ansatzpunkte für die Ursachenanalyse und Maßnahmenplanung identifiziert. Workshop (definierter Teilnehmerkreis) Ein eintägiger Offsite-Workshop mit der Organisationsleitung, den Projektleitungen, Projektmitarbeitern und Prozessverantwortlichen war dafür bestimmt, die Ursachen zu analysieren und adäquate Maßnahmen zu planen. Zu diesem Zweck schilderten die Teilnehmer zunächst, wie sich die wesentlichen identifizierten Verschwendungsarten in ihrem Arbeitsalltag anschaulich zeigten. Hierbei wurden gleich Wirkungszusammenhänge angesprochen, die die Moderatoren mit Hilfe von Metaplankarten visualisierten. Beispielweise stellte sich heraus, dass viele ungeplante Anforderungen bei der Implementierung aufkommen, weil Projektphasen übereinander geschoben werden, ohne dass die notwendigen Voraussetzungen für den Beginn der nächsten Phase gegeben sind. Das führt in der Folge dazu, dass der Prozessfluss gestört ist, weil die nachfolgenden Arbeiten nicht stattfinden können. Gleichzeitig wird nach dem Prinzip „Feuerlöschen“ an anderen Stellen auf Zuruf geholfen und zwischen vielen verschiedene Arbeiten hin und her gewechselt. Das wiederum führt zu vielen offenen Aufgaben, unnötigem Task Switching und einer hohen Belastung einzelner Schlüsselmitarbeiter in der Organisation. Diese Wirkzusammenhänge ermöglichten es, die Beschreibungen in Ursachen und Wirkungen sowie Wechselwirkungen zu klassifizieren. Schnell wurde durch die Visualisierung klar, dass fehlende Kompetenzen und fehlende Kapazitäten als Wirkung eingeordnet werden können und die anderen Symptome eine Ursache darstellen. Auf dieser Basis konnten Lösungsideen für die identifizierten Faktoren erarbeitet werden, die dann in einer Heat Map nach Wirksamkeit und Umsetzbarkeit klassifiziert wurden. Aus diesen Kategorisierungen wurde dann ersichtlich, Abbildung 5: Praktischer Lean-PM-Ansatz zur Identifikation und Eliminierung von Verschwendung Abbildung 6: Verteilung der Verschwendungsarten im Fallbeispiel Wissen | Wie Sie Verschwendung in Ihren Projekten identifizieren und eliminieren 47 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0052 was als „Quick-Wins“ (schnelle Umsetzbarkeit) und als „Big Points“ (große Wirksamkeit, leichte / mittlere Umsetzbarkeit) angesehen werden konnte. Diese groben Maßnahmen wurden abschließend in einem Aktionsplan mit Verantwortlichen und Terminen konkretisiert. Die Umsetzung des Aktionsplans übernahm das Unternehmen selbst, da dafür keine Unterstützung erforderlich war. Lediglich für die Evaluierung der Maßnahmen wurde nochmals externe Unterstützung eingeholt. Zusammenfassung und Ausblick Die in Teil 1 und Teil 2 dieses Beitrags skizzierten Fallbeispiele zeigen zwei Möglichkeiten auf, um Verschwendungen in Projekten zu identifizieren und zu eliminieren: Zum einen der erfahrungsbzw. lernbasierte Ansatz, durch den Schwachstellen im Projekt bemerkt, analysiert und durch Maßnahmen adressiert werden. Dies wurde durch das Fallbeispiel 1 verdeutlicht. Ein zweiter Ansatz besteht darin, systematisch Verschwendungen im Projekt quantitativ und qualitativ zu erfassen, die Ursachen gemeinsam zu identifizieren und auf unterschiedlichen Interventionsebenen zu eliminieren. Der zweite, systematische Ansatz hat unseres Erachtens drei wesentliche Vorteile: 1. Der Ansatz ist analytischer und vollständiger, so dass klarer zwischen Symptomen und Ursachen unterschieden werden kann. 2. Der Ansatz identifiziert und adressiert Verschwendungen schneller als durch Erfahrungs- und Lernprozesse im Projekt. 3. Verschwendungen werden in der Regel organisationsweit erfasst und minimiert und nicht nur auf der Ebene des individuellen Projekts. Offen bleibt zum einen die Frage, ob sich auf Branchenebene oder auf der Ebene einer Projektart (Entwicklungsprojekte, Organisationsprojekte usw.) ein typisches Muster an Verschwendungen feststellen lässt, so dass der Analyseaufwand minimiert werden könnte. Das würde eine branchen- oder projektartspezifische Studie erfordern, die eine Art Benchmark für bestimmte Projekttypen darstellen könnte. Zum anderen die Frage, welche Maßnahmen zur Minimierung von Verschwendung sich als besonders wirksam oder unwirksam erweisen. Auch das würde eine spezifische Studie erforderlich machen, die Organisationen schneller dabei unterstützen würde, die „richtigen“ Maßnahmen zu finden. Die beiden offenen Fragen zeigen, dass die Arbeit am Thema Lean Project Management und am Project Management Waste Index noch längere Zeit nicht beendet sein wird, sondern im Gegenteil erst begonnen hat. Literatur [1] Womack, J. P./ Jones, D. T.: Lean Thinking: banish waste and create wealth in your corporation, New York 1996. [2] Erne, R.: Lean Project Management-- Wie man den Lean- Gedanken im Projektmanagement einsetzen kann. Springer Gabler. Berlin, Heidelberg 2019 [3] Erne, R./ Hüsselmann, C./ Langhardt, S.: Studie zum Project Management Waste Index. Bericht, WI-[Report] Nr. 014, Friedberg, THM 2021 [4] Belvedere, V./ Cuttaia, F./ Rossi, M./ Stringhetti, L.: Mapping wastes in complex projects for Lean Product Development. In: International Journal of Project Management 37 (2019), S. 410-424 [5] Spear, S. J./ Bowen, H. K.: Decoding the DNA of the Toyota production system. Harvard Business Review 77 (5) (1999), S. 97-106 [6] Wilson, P. F./ Dell, L. D./ Anderson, G. F.: Root cause analysis: a tool for total quality management. ASQ Quality Press, New York 2009 [7] Stringer, E. T./ Aragon, A. O.: Action Research. 5th ed. Sage, Los Angeles 2020 [8] Kunert, S./ Bedenk, S.: Mehrebenen-Ansätze: Komplexe Projektarchitekturen in der Organisationsentwicklung. In: Organisationsberatung- - Supervision- - Coaching 28 (2021), S. 243-254 Eingangsabbildung: © iStock.com / oatawa Prof. Dr. Rainer Erne Prof. Dr. Rainer Erne ist mit den Themenschwerpunkten (Nachhaltiges) Produkt-, Prozess- und Projektmanagement an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen- Geislingen tätig. Davor war er über 15 Jahre lang für IBM Global Services, Vector Consulting sowie der Bosch-Gruppe im Unternehmensbereich Automotive tätig. Mail: rainer.erne@idp-lab.org Prof. Dr. Claus Hüsselmann Prof. Dr. Claus Hüsselmann wirkte nach Studium der Technomathematik als leitender Entwickler in einem SAP-Systemhaus. Bei Scheer verantwortete er anschließend mehrere (Groß-)Projekte, den Bereich Project Operations & Risk Control sowie den Geschäftsbereich Project Performance Management. Seine Schwerpunkte an der TH Mittelhessen umfassen u. a. das Multiprojektmanagement sowie hybride PM-Ansätze. Mail: claus.huesselmann@wi.thm.de Stefanie Langhardt Stefanie Langhardt, Dipl. Betriebswirtin (FH), M. A., ist Beraterin für Projektmanagement und -coaching. Sie war über 10 Jahre in Profit- und Nonprofit als Projektleiterin tätig. Zertifiziert nach IPMA und SAFe sowie im Business Coaching ausgebildet, engagiert sie sich in Projekten für effiziente und effektive Prozesse und ehrenamtlich in der GPM, z. B. als Mitglied der Regionalleitung Karlsruhe. Mail: stefanie.langhardt@langhardt.org 48 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0053 Komplexe Produktentwicklungen sicher handhaben Kollaboratives Projektmanagement in der Praxis Jürgen Habenstein Für eilige Leser | Die Komplexität unserer Produkte steigt immer weiter an. Und nicht nur die Komplexität der Produkte selbst, auch die stetig größer werdende Anzahl an Stakeholdern, Anforderungen und Schnittstellen, stellen uns vor immer größere Probleme. Um diese Herausforderungen souverän zu bewältigen, sind Überblick, Transparenz und Kontrolle für den Projektmanager entscheidend für eine qualitativ hochwertige Entwicklungsarbeit. Zu diesem Zweck wurde die ebenso einfache wie effiziente Methode der Collaboration-Map entwickelt. Diese „Landkarte“ des Projekts ist automatisch passend für jedes Produkt und für jede Branche. Mit ihrer Hilfe hat jeder Projektmanager-- vom Neueinsteiger bis zum erfahrenen Experten-- sein Projekt sicher im Griff und stets die volle Übersicht und Kontrolle. Schlagwörter | Collaboration, Projektmanagement, Technical Management, Produktentwicklung, Komplexität Die Aufgabe Die Arbeit eines Projektmanagers für komplexe und hochkomplexe Produkte ist extrem herausfordernd. In meiner Praxis im technischen Projekt- und Angebots-Management für Schienenfahrzeuge wird dies immer deutlicher spürbar. Aus der Einzelverantwortung des technischen Projektleiters wird mehr und mehr eine Teamaufgabe mit mehreren Verantwortlichen-- und zwar nicht zur Optimierung und Effizienzsteigerung, sondern weil die Belastung der Mitarbeiter immer größer wird. Dies ist leicht erkennbar, wenn man sich allein die Vielzahl an zu führenden Rollenverantwortlichen in solchen Projekten vor Augen hält: Mitarbeiter, Kunde, Designer, Lieferanten, mechanische Schnittstellen, elektrische Schnittstellen, Softwareschnittstellen, technische Anforderungen, terminliche Anforderungen, Budgetanforderungen, Prozessschnittstellen, Anforderungen aus Querschnittsthemen usw. Teamgrößen von 30 bis 40 Mitarbeitern, verteilt auf diverse Standorte in mehreren Ländern sind inzwischen keine Seltenheit mehr- - eine enorme logistische und kommunikative Herausforderung. Der Trend in der Produktentwicklung geht deshalb immer mehr zum kollaborativen Projektmanagement. Gant-Charts, Kanban-Boards und andere Tools sind dabei ein erster, wichtiger Schritt, um komplexe Projekte zu beherrschen. Zur Koordinierung und Synchronisierung der komplexen technischen Informationsflüsse selbst fehlte aber bisher noch ein geeignetes Tool. Dieses Tool sollte selbst hochkomplexe Projekte auf einfache Weise darstellbar, überschaubar und kontrollierbar machen. Es sollte Simplifikation ermöglichen, die nichts außer Acht lässt und dennoch sicherstellt, sich einen wirklich vollständigen Überblick zu verschaffen. Eine Art Landkarte, die die Projektstruktur und auch die potenziellen Problemstellen darin sichtbar macht und dabei hilft, geeignete Lösungsmaßnahmen effizient zu koordinieren und zu kontrollieren. Die grundlegende Basis, um ein solches Tool konsequent umzusetzen, sind die Mitarbeiter im Projekt. Denn jede Anforderung, jede Information und jede Schnittstelle benötigt zwingend einen oder mehrere Mitarbeiter, die die Verantwortung dafür tragen. Diese Mitarbeiter zusammenzubringen ist die Aufgabe eines Projektmanagers und damit auch Grundlage der hier vorgestellten Collaboration-Map Methode. Wissen | Kollaboratives Projektmanagement in der Praxis 49 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0053 Kollaboration im Projekt-- wer mit wem Ein wichtiges Erfordernis, um ein komplexes Projekt zu starten ist es, sich einen Überblick über die benötigten Rollen, die dafür benötigten Mitarbeiter und deren Verantwortungsbereiche zu verschaffen. Ein zweckmäßiger Weg dorthin ist die Erstellung eines Organigramms, in dem die beteiligten Rollen im Projekt aufgezeigt und in einzelne Verantwortungsbereiche gegliedert werden. Es geht also zunächst einmal um das „wer macht was“. Ein solches Organigramm lässt sich in vier Themenbereiche gliedern: 1. Komponenten: das sind die Verantwortlichen für die Einzelprodukte, die für das Gesamtprodukt notwendig sind, z. B. mechanische Komponenten, elektronische Komponenten, Software, Schaltpläne, etc. Die Komponenten spielen in der Collaboration-Map die zentrale Rolle, weil in ihnen alle Anforderungen und Schnittstellen final umgesetzt werden. 2. Kundenanforderungen: das sind die Verantwortlichen für alle technischen Anforderungen und alle Kosten- und Bild 1: Beispiel Projektorganigramm Bild 2: Methode zur Umwandlung des Organigramms in die Collaboration-Map Terminanforderungen des Auftraggebers an die Komponenten und das Gesamtprodukt. Organisation und Verantwortung darüber obliegen in der Regel dem Projektmanager. 3. Querschnittsthemen: das sind die Verantwortlichen für alle weiterführenden Anforderungen, die mehrere Komponenten betreffen, z. B.: Akustik, Brandschutz, Zulassung, Gewicht. 4. Prozesspartner / Stakeholder: das sind die weiteren Verantwortlichen in der Prozesskette, die Einfluss auf die Komponenten haben, z. B. der Projekteinkäufer, der Ansprechpartner in der Fertigung, Testabteilung etc. Aus dieser Struktur wird nun die Collaboration-Map erzeugt. Mit ihr wird das „wer macht was“ des Organigramms zu einem weitaus effektiveren „wer mit wem“ erweitert. Die Erzeugung der „Landkarte“ Ziel dieser Methode ist es, die komplexen Kommunikationswege im Projekt in einer vollständigen, dabei aber möglichst einfachen und übersichtlichen, also wenig komplexen Struktur darzustellen. Diese Struktur sollte eine a) vollständige und b) einfach strukturierte Darstellung der Anforderungen und Schnittstellen im Projekt bieten. Punkt a) die Vollständigkeit wird durch die Auswahl der „Rollenverantwortlichen“ sichergestellt, denn es gibt in einem Projekt keine Information und keine Anforderung, die nicht einem solchen Rollenverantwortlichen zugeordnet ist. Punkt b) die Struktur wird durch die logische Anordnung der Schnittstellen zwischen diesen Rollenverantwortlichen erreicht. In der Praxis werden mit dieser Methode die Inhalte des Organigramms nach dem folgenden Muster in eine einfache Matrix übertragen: Diese „Collaboration-Map“ zeigt nun einfach und strukturiert, die vom Projektleiter auszusteuernden und überwachenden Kommunikationswege und Schnittstellen im Projekt an. Die Logik hinter dieser Anordnung besteht in der Erkenntnis, dass alle Anforderungen letztendlich in den Komponenten „materialisiert“ werden. Es genügt daher für das Basisquadrat (blau), nur die Komponenten zu verwenden. Die Schnittstellen der weiteren Rollenverantwortlichen zueinander müssen nicht abgebildet werden. Mit dieser Collaboration-Map hat der Projektmanager nun eine Checkliste mit der vollständigen Übersicht der Schnittstellen und damit der potenziellen Problemstellen im Projekt zu Verfügung. Er ist damit nicht mehr allein auf die Meldung von- - in der Regel bereits entstandenen- - Problemen durch die Mitarbeiter angewiesen. Er kann jetzt proaktiv und frühzeitig Probleme aufspüren und Lösungen anstoßen, und das meist schon bevor der Schaden entstanden ist. Wissen | Kollaboratives Projektmanagement in der Praxis 50 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0053 Arbeiten mit der Collaboration-Map Die Arbeit mit der Collaboration-Map ist ebenso einfach wie die Erstellung: In kurzen Einzelinterviews bespricht der Projektmanager die potenziellen Problemstellen mit seinen Mitarbeitern. Die Schnittstellenfelder werden dabei einzeln betrachtet und nacheinander abgearbeitet. So geht in diesem Beispiel die Frage des Projektmanagers an den Konstruktionsverantwortlichen des Chassis: „gibt es an den mechanischen Schnittstellen mit dem Konstruktionsverantwortlichen Motor derzeit Probleme? “ Auf diese Weise wird die gesamte technische Kommunikation im Projekt, Schnittstelle für Schnittstelle, strukturiert und vollständig durchgearbeitet. Bei der Beantwortung der Fragen gibt es dann vier Antwortmöglichkeiten nach einem einfachen Ampelsystem: • Keine Schnittstelle ->-schwarz • Keine Probleme zu erwarten ->-grün • Probleme ->-gelb • Schwerwiegende Probleme ->-rot Ist zur Lösung eines Problems eine Maßnahme notwendig, wird diese anschließend vom Projektmanager auf einem weiteren Tabellenblatt dokumentiert, terminiert und einem Verantwortlichen zugewiesen. Von dieser Liste aus kann sie dann-- ebenfalls vom Projektmanager-- verfolgt und kontrolliert werden. Bild 4: Eintrag der Maßnahmen Bild 5: Arbeiten mit der Collaboration-Map (2) Bild 3: Arbeiten mit der Collaboration-Map (1) Nach dieser Systematik wird nun der Rest der Collaboration-Map Schnittstelle für Schnittstelle vom Projektmanager zusammen mit den einzelnen Rollenverantwortlichen durchgearbeitet. Zuerst die Spalten mit der Frage „Gibt es bzw. erwarten wir an dieser (Schnitt-)Stelle Probleme? “ an den jeweiligen Komponenten-Verantwortlichen (rote Pfeile Bild 5): Im Anschluss dann-- als Gegenprobe-- die Zeilen mit derselben Frage an die restlichen Schnittstellenpartner (rote Pfeile Bild 6) Wissen | Kollaboratives Projektmanagement in der Praxis 51 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0053 Eine Frage des Projektmanagers an den Verantwortlichen Fertigung wäre z. B.: „erwarten wir bei der Montage der geplanten Komponente Probleme? “ Eine Frage des Projektmanagers an den Verantwortlichen Aerodynamik wäre z. B.: „erfüllt die Komponente die aerodynamischen Anforderungen oder gibt es hier Probleme? “ Als Ergebnis besitzt der Projektmanager nun eine vollständige, strukturierte und übersichtliche Ansicht über die aktuellen Schnittstellenprobleme im Projekt. Das obige Beispiel ist nur eine stark vereinfachte Ansicht. Erst in der praktischen Umsetzung in wirklich komplexen und hochkomplexen Projekten zeigt sich die enorme Effizienz der Collaboration-Map: vom Smartphone bis zum Flugzeugträger-- die Collaboration-Map bildet auf einfachste Weise jede noch so hohe Komplexität ab und behält dabei stets eine bisher nicht gekannte Übersicht (siehe nächste Seite). Download Excel Vorlage Mit Hilfe der beschriebenen Anleitung und der unter diesem Link hinterlegten Vorlage können Sie selbst eine Collaboration-Map ihres Projekts erzeugen: https: / / elibrary.projektmanagement.digital/ article/ 10.24053/ PM-2023-0053 Fazit Mit der Collaboration-Map steht dem Projektmanager ein hocheffizientes Tool zur Verfügung, um Projekte jeglicher Komplexität in den Griff zu bekommen. Er hat damit zum einen den vollständigen Überblick über alle wichtigen Schnittstellen. Zum anderen ist die Collaboration-Map ein höchst effizientes Frühwarnsystem für drohende Probleme, denn sie kann bereits in der Frühphase eines Projekts angewendet werden und bei Bedarf beliebig oft wiederholt werden. Die Vorteile dieser Methode stehen dabei nicht nur dem Projektmanager zur Verfügung. Jeder einzelne Mitarbeiter hat mit ihr einen zuverlässigen Überblick über seine Schnittstellen und deren aktuellem Stand. Und auch die Firmenleitung hat mit der farblich priorisierten „Projekt-Landkarte“ einen schnellen und zuverlässigen Überblick über die laufenden Aktivitäten und Probleme in den Projekten. Bereits die Excel-Lösung ist eine sehr praktikable und hilfreiche Lösung. Noch weitaus größere Vorteile lassen sich mit dieser Methode aber erreichen, wenn sie als eigenständige Software umgesetzt wird. Von der Nutzung als zentrales Datencenter über die automatisierte Verfolgung und Bearbeitung von Maßnahmen, bis zum Einsatz als Requirement- Management-Tool oder als vollwertiges Qualitätsmanagement-Tool. Die logische Oberfläche der Collaboration-Map bietet eine Reihe von ganz neuen, hocheffektiven Möglichkeiten die Projektinformationen zu finden, einzusehen, zu bearbeiten und zu kontrollieren. Die Collaboration-Map wird damit zu einem PDM / PLM Navigationssystem, das dem Projektmanager ganz neue Möglichkeiten verschafft. Diese Möglichkeiten werde ich in Kürze in einem weiteren Artikel vorstellen. Eingangsabbildung: © iStock.com / Giuseppe Lombardo Jürgen Habenstein Arbeitet bei Siemens Mobility. Zu den Aufgaben gehörten bisher u. a. das technische Angebotsmanagement, Termin- und Budgetüberwachung komplexer Schienenfahrzeugprojekte. Seit 2019 tätig als Qualitätsmanager in der Produktentwicklung. eMail: habenstein@gmx.net Internet: www.rbse.info Bild 6: Arbeiten mit der Collaboration-Map (3) Wissen | Kollaboratives Projektmanagement in der Praxis 52 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0053 Bild 7: Vollständige Collaboration-Map in einem großen Projekt 53 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0054 Das Dilemma unserer Zeit Christian Bernert Für eilige Leser | Ein Dilemma gemäß Duden, bedeutet eine „Zwangslage, eine Situation, in der sich jemand befindet, besonders wenn er zwischen zwei in gleicher Weise schwierigen oder unangenehmen Dingen wählen soll oder muss“. Dilemmata sind in Krisenzeiten alle damit verbundenen und erforderlichen Handlungsentscheidungen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen-- ob wir wollen oder nicht. Der Krieg in der Ukraine, Flüchtlingsströme, Pandemie und Klima bedingte Katastrophen, erhöhen nicht nur die Ungewissheiten, Komplexität und unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten, sondern erzeugen auch Zukunftsängste. Die schiere Summe der Ereignisse, die schnelle Entscheidungen erfordern, ohne mögliche Konsequenzen wirklich abwägen zu können? Immer auf der Hut zu sein, dass die Ereignisse nicht an einem vorbeirauschen. Was sind die möglichen Auswege? Schlagwörter | Agile Management, Dilemmata, Fehlererlaubniskultur, Gestaltungsprozess, Handlungsentscheidungen, Kreativität, Resilienz, Ungewissheiten Einleitung / Motivation Die Summe der Ereignisse und Krisen mit weitreichenden Auswirkungen verursachen in der Politik, Gesellschaft, in Organisationen und Unternehmen spürbare Verunsicherung. Auch wenn sich die Mehrzahl der Akteure bewusst ist, dass wir vor den größten Herausforderungen unserer Zeit stehen, so sind wir uns noch nicht völlig im Klaren, welche Weichenstellungen die richtigen sein werden. Zwar gibt uns die Wissenschaft klare Ziele vor, auf welche Kipppunkte wir beispielsweise beim Thema Klima zu achten haben, um keine Unumkehrbarkeiten zu verursachen. Dennoch haben wir noch nicht zu einem mehrheitlich akzeptierten gesellschaftlichen Konsens gefunden, den wir so dringend benötigen würden, um uns nicht zu verzetteln. In einer Phase gesellschaftlicher Interessenspaltung, fällt es noch schwerer die notwendigen Handlungen konsequent einzuleiten und zu verfolgen. Paradoxerweise sind aber gerade in solchen Zeiten immer häufiger schnelle Entscheidungsfindungen gefragt, mit der Folge, dass die Entscheidungsträger buchstäblich zwischen zwei Stühlen sitzen. Eine schnelle Entscheidung treffen, ohne sich der möglichen Konsequenzen zu einhundert Prozent sicher zu sein? Oder so lange zu warten und diskutieren, bis eine weitgehend sichere Entscheidung möglich erscheint-- dabei jedoch zu riskieren, dass die Ereignisse auf der Überholspur an uns vorbei rauschen? Ja, das ist ein Dilemma! Auswirkungen von Dilemmata Dilemmata umspannen die Politik, ganze Disziplinen, Fachbereiche und Branchen. Sie vereiteln elegante und endgültige Lösungen. Dilemmata sind: • fast unlösbar, • immer komplex, • oft bedrohlich, • anfangs rätselhaft und verwirrend. Dilemmata verlangen vor allem Anpassung und neue agile Management Methoden, vor allem auch bei Entscheidungsprozessen. Sich aus Dilemmata zu befreien, erfordert zusätzlich aber auch Geduld, Sinnstiftung und die ernsthafte Auseinandersetzung mit den wirklichen Kernphänomenen. Dilemmata dürfen nicht ignoriert werden! Dilemmata finden wir an allen Ecken und Enden. Sie sehen je nach Betrachtungswinkel unterschiedlich aus- - Menschen nehmen Dilemmata auch individuell unterschiedlich wahr, oft geprägt durch persönlicher Wertehaltungen, persönlicher Betroffenheit sowie individuellem Knowhow und Erfahrungs- Wissen | Das Dilemma unserer Zeit 54 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0054 wissen. Alle diese Dilemmata können praktisch universell als „Lösungskiller“ vorgefunden werden. Wie sind wir in die Dilemmata hineingeschlittert und welche Handlungsoptionen bestehen? Dilemmata in der Politik Nun, eine sich über Jahrzehnte immer verfeinernde und sich weiter ausprägende Gesetzgebung hat meines Erachtens vielfach zu einer sich daraus ergebenden Verschleppung von Genehmigungsverfahren geführt, weil dadurch auch den Prozessparteien stärkere Einwirkungsmöglichkeiten in die Hand gegeben wurden. Selbstverständlich sind nicht alle Gesetzesnovellierungen negativ zu bewerten. Gleichzeitig hätte aber auch eine Entrümpelung veralteter gesetzlicher Vorgaben stattfinden müssen. Doch wegen der Komplexität bestehender Gesetze besteht die Angst noch größere Unsicherheiten zu schaffen, wenn man Gesetze entschärft oder gar entfallen lässt. Und die falsche Konsequenz bestünde darin, aus Angst, hier könnte Schaden entstehen, alles so belassen wie es ist! Die Politik muss endlich den Mut aufbringen, Gesetze zu entrümpeln, indem man diese vorerst außer Kraft setzt und prüft ob überhaupt Schaden entsteht! Dilemmata in Unternehmen / Organisationen Die sich über Jahrzehnte verfeinernden Prozesse eines Unternehmens, einer Organisation (auch bedingt durch die QM- und TQM-Standards) hat meines Erachtens vielfach zu sehr engen Korsetts geführt, weil dadurch auch den Prozessbeteiligten kaum noch Spielräume in die Hand gegeben wurden. Zudem haben zu kleinteilige Prozesse auch zur Abschottung von Verantwortungsbereichen geführt und das kognitive Miteinander zumindest nicht gefördert. Selbstverständlich werden Prozesse benötigt, aber jeder Verantwortliche muss sich die Frage stellen, mit welcher Granularität für welchen Anwendungsbereich. Gerade wegen der Komplexität eingeübter Prozesse besteht die Angst (zumindest für die QM-Zertifizierungen) noch größere Unsicherheiten (z. B. ob man die nächste QM-Zertifizierungen, anstandslos besteht) zu schaffen, wenn man Prozesse aufweicht oder zu viele Spielräume offenlässt. Offensichtlich aus Sorge, hier könnte Schaden entstehen, belässt man lieber alles so, wie es ist! Für einen Ausweg benötigt es Mut zu haben, Prozesse zu verschlanken, oder zumindest diese nicht bis auf Ereignis gesteuerte Prozesskettenebene, um jeden Preis zu modellieren. Dabei muss gründlich differenziert werden zwischen Serienfabrikation-, Semiserien- und anderseits Organisations- und gesellschaftlichen Prozessen! Um die vor uns stehenden Herausforderungen zielgerichtet anpacken zu können, wird es darauf ankommen die jeweils richtige und erforderliche Prozesstiefe auszuloten, um die notwendigen Handlungsspielräume nicht frühzeitig und unnötigerweise abzuwürgen! Fehlererlaubniskultur Für alle diese Dynamiken, die uns herausfordern, benötigen wir ein generelles Umdenken. Eine Transformation, die in unser Bewusstsein Einkehr hält, dass bisher gewohnten Abläufe sich mit einer Dynamik verändern, die uns ein gründliches Vorausdenken und eine damit einhergehende Prozessdurchdringung nicht mehr erlaubt. Vielmehr sind wir gefordert bereits auf Basis von Hypothesen und Annahmen mit Umsetzungsmaßnahmen zu beginnen, ohne diesen Umsetzungsprozess gründlich auf Tauglichkeit hin, wie bisher gewohnt, analysieren zu können. Ja, um es ganz hart auszusprechen wir müssen bereit sein, auch fehlerhafte Wege zu beschreiten. Dafür müssen wir jedoch Werkzeuge bereithalten, die uns frühzeitig ermöglichen eine Umkehr einzuleiten. Zusätzlich benötigen wir eine Fehlerkultur des Mutes aber auch der Einsicht, um aus begangenen Fehlern frühzeitig zu lernen und fehlerhafte Pfade frühzeitig mutig zu verlassen. Es bedarf einer Fehlererlaubniskultur, die Mutige nicht abschreckt, sondern Ihnen hilft rechtzeitig einen Ausgang oder Umweg aus einem eingeschlagenen Irrweg zu finden. Demokratisierung und Flexibilisierung von Unternehmen und Organisationen Wenn sich jeder in der Organisation befähigt fühlt oder befähigt fühlen soll, Entscheidungen zu treffen, die Veränderungen beeinflussen können, dann entsteht eine spürbare Energie: Menschen neigen dazu, härter zu arbeiten, mehr Ideen anzubieten und sich viel mehr in den Gestaltungsprozess mit einzubringen. Wenn Mitbestimmungs-Aktivitäten jedoch durch Mikromanagement oder unantastbare Top-down-Entscheidungen konterkariert werden, läuft eine Organisation Gefahr, dass die gesamte Veränderungs-Energie verpufft. Damit jedoch andererseits kein hektisches, unkoordiniertes und unabgestimmtes Gewusel entsteht, wenn jede Person mitbestimmen kann, sind klare, unmissverständliche und für alle geltenden Regeln (vom Pförtner bis zum Top-Management) unabdingbar. Nur so kann ein drohendes Dilemma in Organisationen verhindert werden. Fähigkeitsentwicklung vs. Ergebnisdruck Der Zustand unserer Welt erfordert signifikante Veränderungen in der Arbeitsweise einer Organisation. Damit verbunden ist konsequenterweise immer auch der stete Erwerb neuer Kompetenzen, um Fähigkeitslücken zu schließen. Demgegenüber steht jedoch der Druck, sofortige und vor allem messbare Ergebnisse zu liefern. Dieser Druck ist oft so groß, dass sich eine Organisation gezwungen sehen kann, zwischen Ergebnisdruck und Fähigkeitsentwicklung zu entscheiden-- vor allem dann, wenn eine Organisation kalt und unvorbereitet von diesen Zwängen eingeholt wird. Gerade die konsequente Schwerpunktverlagerung von Qualifikation und Change-Begleitung fällt den meisten Organisationen am schwersten. Kreativität vs. Disziplin Kreativität ist eine elementare Kernkompetenz, um mit den versteckten Dilemmata agil umgehen zu können. Damit sich Kreativität frei entfalten kann, braucht es die entsprechenden Arbeitsumgebungen. Flexibilität und New Work sind hier bereits bekannte Schlagwörter, die in diesem Kontext keine bloßen Lippenbekenntnisse bleiben dürfen. Gleichzeitig befinden sich „die Kreativen“ immer noch in einem Organisationsumfeld, das in vielen Fällen hierarchisch ist und manchmal auch Wissen | Das Dilemma unserer Zeit 55 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0054 bleiben muss. Hierarchien funktionieren durch Disziplin-- und auch Kreativität bedarf der Disziplin, damit aus den Ideenfindungen möglichst schnell handfeste Innovationen werden können. Kreativität und Disziplin schließen sich daher nicht aus- - doch der Spannungsbogen zwischen diesen Extremen kann individuell schwer belastend empfunden werden. Führungskräfte stellt das Managen von Disziplin einerseits und das Managen von Kreativität andererseits vor neue Herausforderungen, die vor allem in Konflikt- und Stresssituationen coachend gemeistert werden wollen. Die Hausforderung besteht darin, sich der „Lösungskiller“ anhand der folgenden Fakten zu entledigen: 1. Die „Kopf-in-den-Sand stecken“-Methode führt jede Organisation in den Ruin. 2. Ein Beharren und Verharren auf bisherigen Standpunkten und Meinungen verhindert Agilität. Ein Dilemma ist deshalb eine Zwangslage, weil die Situation für uns völlig neu ist, Erfahrungswissen fehlt und die Folgen nicht abschätzbar sind. Es fällt schwer, aber wir müssen „alte“ Denk- und Handlungsmuster abstreifen. 3. Eine Schmerz- und konfliktfreie Lösungsfindung bleibt ein Traum. 4. Lösungsfindungen erzeugen nie das Gefühl der Vollkommenheit- - zumindest so lange nicht, bis die Ausgangssituation, durch die dieses Dilemma entstand, nicht hinreichend aufgelöst ist. Erst dann und nur dann sind Optimierungen möglich und sinnvoll. Bis dahin müssen sich alle Beteiligten darüber im Klaren sein, dass sie • strategische Resilienz vereinbaren müssen über die Einigkeit bestehen muss, • gleichzeitig, aber flexible, dezentrale Netzwerke, Arbeitsgruppen, Wissens-Hubs einberufen müssen, um an den Problemstellungen langfristig weiterzuarbeiten, • Kompromisse eingehen müssen zwischen kurzfristigen Ergebnissen und der Umsetzung grundlegender Veränderungen, • Unsicherheiten annehmen und akzeptieren müssen, • alle lernen müssen ihrer Intuition, dem Bauchgefühl zu vertrauen und • zuletzt ist Kooperation und hybrides, mehrdimensionales Lernen gefragt. Der aus neurowissenschaftlicher Sicht entscheidende Punkt ist jedoch, dass wir in einem Dilemma den Erfolg von der Notwendigkeit entkoppeln, eine Lösung zu finden. Das bedeutet einen Paradigmenwechsel im bisherigen Denken und Handeln. Bisher haben wir die Erwartungshaltung genährt, dass auf ein Problem immer auch eine Lösung, und zwar unmittelbar folgt. Wir müssen uns vor der Illusion hüten, zu denken, dass wir Dilemmata unterbinden könnten, indem wir lineare, unmittelbare Lösungen finden. Wir werden meistens nur über Umwege, nicht über den direkten Weg und damit nicht flugs zum Erfolg finden. Wichtig ist daher, eine strategische Resilienz zu formulieren und Einigkeit zu erzielen bei der Frage, wie das Ziel, die Welt / die Situation aussehen soll, wenn das Dilemma gelöst ist. An dieser Stelle bereits einen Erfolg in Form einer klaren Lösung zu erwarten ist nicht nur fahrlässig und falsch, sondern maßlos überfordernd für alle Beteiligten. Warum? Weil es zum Lösen eines Dilemmas Zeit braucht, die richtigen Umwege gefunden sein wollen und dazu Expertenwissen gefragt ist-- wobei der Weg zur Lösung immer getreu dem Motto „try and error“ folgen wird. Das bedeutet: Nicht nur reden, sondern mutig in überschaubaren Schritten Handeln, versuchen, ausprobieren- - mit anderen Worten: Lean Management vom Feinsten. Organisationen, die eine Ausgewogenheit zwischen diesen gegensätzlichen Polen schaffen, sind eher in der Lage, mit den Dilemmata umzugehen und werden dadurch erfolgreiche Resilienz Strategien umsetzen, die Bestand haben. Eingangsabbildung: © iStock.com / mmac72 Christian Bernert Christian Bernert ist Direktor der Lean Program Management Academy und mit über 40-jähriger Berufserfahrung Prinzipal in den Bereichen Lean Management und Project Management. Aktuell erweitert er die Bausteine um das ESG-SDG Assessment, um vor allem KMUs den Einstieg in eine nachhaltige Unternehmensführung zu erleichtern. Zudem ist er gefragter Experte bei Konsultationen im BMWI zum Thema nachhaltige Beschaffung mit dem Schwerpunkt Digitale Souveränität. E-Mail: c.bernert@lpm.academy Internet: www.lpm.academy https: / / orchid.org/ 0000-0002-5869-5146 56 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0055 DAS Projektmanagementkontinuum Martin Barth, Jonas Reidick, Margit Sarstedt Für eilige Leser | Jeder, der sich mit den Methoden des Projektmanagements befasst, wird schnell feststellen, dass im Laufe der Jahre eine verwirrende Vielfalt von Projektmanagementmethoden entstanden ist. Aufsetzend auf einer an der IU Internationale Hochschule entstandenen Masterarbeit haben die Autoren sich mit der Entwicklung eines generischen Modells befasst, welches eine erste theoretisch fundierte und gleichzeitig praxistaugliche Strukturierung dieser Vielfalt bietet. Dies erfolgt zunächst durch Einführung des Agilitätsgrads als Abgrenzungskriterium zwischen einzelnen definierten Basismethoden des Projektmanagements. In einem zweiten Schritt wird mit der Definition einer zweiten Dimension-- Freiheitsgrad der methodischen Abweichung-- ein dem realen Projektgeschehen inhärenter Aktionsraum geschaffen, der sich für jede gewählte Basismethode individuell entfaltet. Hieraus ergibt sich ein situativer Ansatz für das Projektmanagement, den die Autoren mit ihrem Modell des situativen Projektmanagementkontinuums zugänglich machen. Schlagwörter | Projektmanagementmethoden, Projektmanagementmodell, klassisches Projektmanagement, hybrides Projektmanagement, agiles Projektmanagement, situatives Projektmanagement, methodisches Projektmanagementkontinuum, situatives Projektmanagementkontinuum GLASKLAR UNKLAR-- Vorgehensweisen und Methoden des Projektmanagements Das Projektmanagement hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer wichtigen Form des Managements entwickelt und ist heutzutage in nahezu allen Unternehmen und Organisation auf die ein oder andere Art anzutreffen. Dabei gibt es eine unübersichtliche Vielzahl von Verfahren und Methoden des Projektmanagements, welche sich zudem von Projekt zu Projekt unterscheiden können. Gleichzeitig werden die Methoden in der Praxis adaptiert und unterschiedlich angewendet. Dies kann leicht zu Verwirrung der Beteiligten im Projekt führen. [1] Im Einklang mit gängiger wissenschaftlicher Literatur lassen sich grundsätzlich drei Methodenkategorien des Projektmanagements unterscheiden. Die formal klassischen (traditionellen) Methoden, die formal agilen sowie die formal hybriden Projektmanagementmethoden. Die formal klassischen Methoden sind vorrangig planbzw. phasen-„getrieben“, eignen sich also gut für stringent planbare Vorhaben. Schließen lässt sich dies bereits aus der inhärenten Bedeutung des Wortes klassisch- - wie konventionell, planbasiert oder traditionell. Die klassische Vorgehensweise war die erste formale Form des Projektmanagements und wird häufig mit starren Vorgehensmodellen wie dem Wasserfallmodell oder PRINCE2 sowie mit dem Einsatz von Techniken wie den Balkenplänen oder der Netzplantechnik gleichgestellt. Tatsächlich jedoch geht das klassische Projektmanagement über diese Auffassung hinaus. Vielmehr geht es dabei um einen planbasierten Projektablauf, welcher zu Beginn mit umfangs-, zeit- und kostenbezogenen Zielen versehen wird und Pläne zu deren Erreichung aufgestellt werden. [2] Die formal agilen Projektmanagementmethoden sind vorrangig in Projekten zielführend einsetzbar, in denen das Projektziel und die Ausgestaltung dessen, erst im Projektverlauf konkretisiert werden kann. Grund dafür ist, dass wesentlicher Erkenntnisgewinn durch den Projektfortschritt sowie durch Kundenfeedback zu Adaptionen des Sachziels führt und die Fähigkeit zu interoperabler Zusammenarbeit erfordert. Das Wort agil hat in den 70er Jahren im Rahmen der Softwareentwicklung Einzug in das Projektmanagement gehalten. Agil bedeutet so viel wie „von großer Beweglichkeit zeugend; regsam und wendig“. [3] Synonyme des Wortes Agilität sind Gewandtheit, Vitalität und Wendigkeit. Diese Beschreibungen lassen sich auch in den Definitionen von agilem Projektmanagement wiederfinden. Die Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement definiert das agile Projektmanagement als: „die Fähigkeit, relevante Trends erkennend und Veränderungen antizipierend, proaktiv die Organisation so auszurichten, dass sie optimal ergebnisfähig ist“. [4] Wissen | DAS Projektmanagementkontinuum 57 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0055 Hybride Projektmanagementmethoden sind die neuste formale Form der methodischen Palette. Dabei stammt das Wort hybrid aus dem altgriechischen (Hybris- - Hochmut, Übertretung der gottgegebenen Naturordnung) und bedeutet bildungssprachlich hochmütig, überheblich und vermessen. In der Fachsprache hingegen, wird es dabei definiert als „aus Verschiedenartigem zusammengesetzt, von zweierlei Herkunft; gemischt; zwitterhaft“. [5] Die Idee formal hybrider Projektmanagementmethoden geht eher auf die zweite Beschreibung der Wortbedeutung zurück, denn formal hybride Methoden entstehen aus der Synthese zweier oder mehrerer einzelner Projektmanagementmethoden. Dabei werden ausgewählte Projektphasen oder Teilprojekte sequenziell mit unterschiedlichen Methoden abgewickelt und / oder es erfolgt eine kontinuierliche Integration der methodischen Vorgehensweisen. Relativ bekannte Beispiele hybrider Projektmanagementmethoden sind Prince2 Agile oder Water-Scrum-Fall. Grundsätzlich basiert die Disziplin des Projektmanagements auf drei Wissensebenen- - der operativen Ebene, der konzeptionellen Ebene und der wissenschaftlichen Ebene. Bei der operativen Ebene geht es um die Realisierung konkreter Projekte und die kreative Anwendung der konzeptionellen Methoden. Die konzeptionelle Ebene ist verantwortlich für unternehmensübergreifende und normierte Verfahren und Standards (PMBOK, DIN…). Bei der wissenschaftlichen Ebene geht es darum, Wissen zu erzeugen, dieses zu objektivieren und zu systematisieren. [6] Alle drei Ebenen entwickeln systematische Ansätze und Vorgehensweisen, um den Erfolg des Projektmanagements zu maximieren. An der Schnittstelle der konzeptionellen und der operativen Ebenen sind zudem eine Vielzahl von Anbietern aktiv, welche neue bzw. einzelne Methoden des Projektmanagements kommerzialisieren und vertreiben. Weiterhin erfindet gefühlt jede zweite Arbeitsgruppe ihren vermeintlich eigenen Methodenmix oder eine spezifische innerbetriebliche Lösung und gibt diesem Vorgehen dann einen weiteren, neuen Namen. Das Problem der verschiedenen Entwicklungsebenen ist allerdings nicht ausschließlich auf die Vielzahl der Modelle, deren individuelle Namensgebungen und deren immanenter Vorgehensweisen zurückzuführen, vielmehr wird verkauft, dass es DIE perfekte Methode des Projektmanagements zur Lösung ALLER Probleme gibt. Das Resultat dieser Entwicklungen ist eine Vielfalt an Vorgehensmodellen und Methoden, welche zu einer allseitigen Verwirrung geführt haben. Dies zeigt sich einerseits bei der oft fragwürdigen oder inkorrekten Verwendung von Begrifflichkeiten, anderseits in der falschen oder zumindest unglücklichen Methodenwahl in der Praxis. FATA MORGANA-- DAS klassische und DAS agile Projektmanagement Festzuhalten bleibt demnach, dass es derzeit keinen generischen wissenschaftlichen Ansatz gibt, wie aus diesem methodischen Irrgarten zweckmäßige Vorgehensweisen abzuleiten sind. Diesem Gedanken folgend existieren auch keine grundsätzlich herleitbaren praktischen Lösungen, denn letztendlich muss es doch das Ziel der Projektmanagementmethodologie sein, den Erfolg in der Praxis für das spezifische Projekt, für die individuelle Projektart sowie für die tatsächliche Projektsituation sicherzustellen. Die Autoren erläutern in diesem Beitrag, warum es ein theoretischer und praktischer Irrweg ist, dem Stein der Weisen, also DER perfekten Projektmanagementmethode, weiter nachzujagen. Vielmehr plädieren die Autoren, mit dem nachfolgenden neu eingeführtem methodischen Projektmanagementkontinuum, dafür, die theoretisch abgrenzbaren, bestehenden Projektmanagementmethoden gezielt auf der kontinuierlichen Skala des Agilitätsgrads zu verorten und darüber hinaus auf weitere- - wenig förderliche- - Neuschöpfungen als heilsbringende, generische Zwischenlösungen zu verzichten. Basis des eindimensionalen methodischen Projektmanagementkontinuums (siehe Abbildung 1) ist die Annahme, dass sich die Projektmanagementmethoden nach der zu lösenden Zielstellung und des hierfür erforderlichen anwendungsorientierten Agilitätsgrads ordnen lassen. Hierbei wird das Modell durch DAS KLASSISCHE Projektmanagement auf der einen Seite und durch DAS AGILE Projektmanagement auf der anderen Seite begrenzt. Diese Extremata sind nicht als Methoden, sondern als theoretische Gesamt-Konstrukte von methodischen Vorgehensweisen, über das zugrundeliegende Mindset bis hin zu deren inhärentem Führungsverständnis, zu verstehen. In der praktischen und wildbewegten Realität ist allerdings keines dieser beiden Extremata tat- Abbildung 1: Das methodische Projektmanagementkontinuum Wissen | DAS Projektmanagementkontinuum 58 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0055 sächlich umsetzbar. [7] DAS klassische Projektmanagement ist nie durchgängig erreichbar, da schon kleinere Probleme oder ungeplante Situationen im Projektablauf eine schnelle und flexible Lösung, sowie zumindest die Adaption kurzfristiger Pläne, erfordern. Allein hierdurch ist ein erstes Abweichen vom 100 %-klassischen Weg vorhanden. Auch DAS agile Projektmanagement mit immer wieder proklamierter Heterarchie ist in der Praxis unmöglich zu erreichen. Bereits bei Unternehmensgründung werden teilweise schon durch die Rechtsformwahl (AG, GmbH, Genossenschaft etc.) Organisationseinheiten und hierarchischen Strukturen (Vorstand, Aufsichtsrat, Geschäftsführung etc.) erforderlich. Erfolgt, wie in der Praxis üblich, regelmäßiges intraorganisationales Reporting des Projektfortschrittes, so ist auch dies nicht mit der Reinform des Agilen Projektmanagements vereinbar. Praktische Situationen und Vorgehen finden demnach im Zwischenraum zwischen dem Extremata des dunkelblauen eingefärbten klassischem Projektmanagement und dem Extremata des dunkelgrün eingefärbten agilem Projektmanagement statt. Je nach dem Agilitätsgrad des Projekts sowie weiteren Projektcharakteristika empfiehlt sich die grundsätzliche Auswahl einer der dort verorteten Basismethode. Das Modell des methodischen Projektmanagementkontinuums umfasst 14 Basismethoden, welche sich zwischen den Extremata befinden. Eine Basismethode sei definiert als eine Methode des Projektmanagements, welche das Vorgehen von Projekten mit vorgegebenen Strukturen, Prozessen und Techniken regelt (in der Literatur deshalb manchmal auch Vorgehensmodell genannt). Bei den ausgewählten Basismethoden handelt es sich um die innerhalb der gängigsten Methoden als eigenständige Methoden am besten definierten und klar abgrenzbaren Formen der jeweiligen klassischen, hybriden und agilen Methoden. Damit wird der gesamte Verlauf des Agilitätsgrads zwischen den Extremata abgedeckt. Normen und Standards wie die DIN oder ICB 4.0 sind an dieser Stelle bewusst nicht mit aufgeführt, da diese das Projektmanagement-Vorgehen nicht vollständig regeln. Bei den abgebildeten Basismethoden ist allerdings auf eine jeweilige Besonderheit in den hier dargestellten Bereichen der formal klassischen und der formal agilen Methoden hinzuweisen. Ganz generisch ist es bei hybriden Methoden irrelevant, ob deren Mixtur aus formal klassischen oder formal agilen Methoden entsteht. Demnach sind die im methodischen Projektmanagementkontinuum dargestellten Methoden „PRINCE2 + Wasserfall“ und „Scrumban“ formal hybride Methoden. Da deren Synthese allerdings jeweils aus zwei Methoden derselben Methodenkategorie entsteht, ist „PRINCE2 + Wasserfall“ inhaltlich als klassische und „Scrumban“ inhaltlich als agile Methodik zu verorten. In der Praxis existieren Abweichungen von den definierten Vorgehensweisen der Basismethoden. Unklare Verantwortlichkeiten, organisationale Unschärfen, differente Stakeholderansprüche oder andere Realitäten führen dazu, dass Teams und Organisationen im Verlauf des Projektes von der gewählten Basismethode abweichen beziehungsweise abweichen müssen. Im Sinne des Projekterfolgs sind Anpassungen durchaus sinnvoll und erforderlich. Argumentationslogisch ist somit die hier zunächst gewählte eindimensionale Darstellung des methodischen Projektmanagementkontinuums noch nicht ausreichend, um praktische Handlungsräume zu schaffen und auf Unzulänglichkeiten in Projekten methodisch zielführend reagieren zu können. REALITÄT-- Viel mehr als eine Methode Um es kurz zu sagen, wir gehen nun in die zweite Dimension. Denn mit einer Erweiterung der bisherigen eindimensionalen Darstellung in die Ebene können nun auch die in der Praxis notwendigen Handlungsräume visualisiert werden. Hierdurch soll einerseits der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die in der Realität häufig notwendigen Abweichungen von einer gewählten Basismethode erlaubt sein müssen. Andererseits soll durch diesen Ansatz auch gezielt vermieden werden, dass aufgrund jeder pragmatischen Adaption der Basismethode gleich eine neue-- und neu benannte (! )-- Methode geboren wird, die genau genommen nur eine von vielen Realitäten in dem unendlich großen Feld möglicher Projektsituationen abdeckt. Um die Grundidee zu illustrieren, ist in Abb. 2 zusätzlich zu der Achse „Agilitätsgrad“ noch die Achse „Freiheitsgrad der methodischen Abweichung“ eingeführt. Mit dieser zweiten Achse wird grafisch eine Ebene aufgespannt, die Spielraum für methodische Adaptionen schafft. Ausgehend von einer gewählten Basismethode (B) werden die erlaubten Abweichungsbereiche in der Ebene durch strahlenförmig nach schräg-oben gehenden Linien (gestrichelt) veranschaulicht. Dabei korreliert die Größe der Abweichung von der Basismethode mit der Höhe des Niveaus des Freiheitsgrads der methodischen Abweichung. Abbildung 2: Einführung des Freiheitsgrades der methodischen Abweichung Wissen | DAS Projektmanagementkontinuum 59 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0055 Ein prägnantes Beispiel soll den Grundgedanken verdeutlichen. So kann in der Praxis definiert werden, ob beispielsweise ein Scrum-Team Methoden des Kanban mit verwenden darf (wahrscheinlich, da nur ein geringer Freiheitsgrad hierfür notwendig ist), oder ob dem gleichen Scrum-Team ein Steering Board zur Überwachung von Projektphase übergeordnet werden kann (unwahrscheinlich, da hierfür ein sehr hoher Freiheitsgrad angesetzt werden müsste). Wie auch immer sich Organisation und Projektteam entscheiden, es entsteht eine methodische Klarheit, die gleichzeitig die eingeschränkte Sicht der vordefinierten Basismethoden realistisch erweitert. In der Praxis kann nun also ein Limit (waagrechte Linie) vom Team selbst oder vom Management definiert werden, so dass Bereiche niedriger Adaptionsfreiheit (Feld I) oder höherer Adaptionsfreiheit (Erweiterung durch Feld II) entstehen. Diese Adaptionsfreiheiten können bewusst- - also durch abgestimmte Entscheidungen-- ausgeschöpft werden. Sie können jedoch auch-- und das mag der häufigere Fall sein-- sich durch die täglichen Notwendigkeiten der Teamarbeit ergeben und zu unscharfen, vielleicht sogar fließenden Grenzen im methodischen Vorgehen führen. Betont werden muss an dieser Stelle, dass die Autoren solche Abweichungen nicht als negativ einschätzen, sondern hiermit gerade die positive Seite einer solchen methodischen Agilität betonen wollen. Ob es sich nun also um eine geplante oder ungeplante Abweichung von der Basismethode handelt, in jedem Fall ist die Zusammenstellung des Methodenmixes durch das Projektteam geprägt von der im konkreten Projekt vorgefundenen Situation. Und diese ist-- wie es ja schon der definitorischen Beschreibung des Konzepts „Projekt“ eigen ist-- für jedes Projekt anders. Hier ergibt sich eine Analogie zu den Konzepten und Modellen im Bereich der Personalführung. Auch dort wurde im Laufe der Zeit erkannt, dass eine Führungskraft mit einem fixierten Führungsstil nicht die Vielfalt der Führungssituationen abdecken kann, sondern dass es des Einsatzes eines Mixes situationsabhängiger Führungsstile bedarf. Und somit-- in Analogie zu dem im Personalmanagement üblichen Ausdruck der „situativen Führung“- - sprechen wir deshalb hiermit von der Wahl „situativer Projektmanagementmethoden“. Die individuell benannten und erlernbaren Basismethoden innerhalb des methodischen Projektmanagementkontinuums sind somit tragende Säulen, die es in der Praxis situativ auszugestalten gilt. Verbinden wir nun zusammenfassend den Ansatz der Basismethoden des methodischen Projektmanagementkontinuums in Abhängigkeit des Agilitätsgrads (x-Achse) mit der eben erläuterten Dimension des Freiheitsgrades der methodischen Abweichung (y-Achse), so lässt sich insgesamt das folgende Modell des situativen Projektmanagementkontinuums ableiten. Hierbei ist ersichtlich, dass die Ausgestaltungsmöglichkeiten einerseits natürlich abhängig von der spezifisch gewählten Basismethode sind, anderseits aber auch maßgeblich von der Abweichung der praktischen Projektumgebung von der theoretischen Norm-Umgebung abhängen. Wichtig ist dabei, sich an dieser Stelle auf genau eine Basismethode festzulegen. Weiterführende methodische Kombinationen werden in unserem Modell durch die zweite Dimension und die dadurch entstehenden Aktionsräume ermöglicht. Schauen wir uns auch hierzu noch ein prägnantes Beispiel an. So schließt die Wahl der Basismethode „Wasserfall“ die Implementierung von Scrum grundsätzlich aus, da sich die gestrichelten Linien, die den jeweiligen Aktionsraum begrenzen, nicht überschneiden. Wählt man allerdings bewusst „Water-Scrum-Fall“ als Basismethode, so ist eine Vernetzung sowohl methodisch inhärent als auch durch den Aktionsraum abgedeckt. Und hiermit postulieren die Autoren, dass dieses Bild nun das gesamte Feld der möglichen Methoden und deren Variationen darstellt und somit grundlegend eine Antwort auf jede mögliche reale Situation bereithält. Damit verbindet sich Abbildung 3: DAS situative Projektmanagementkontinuum Wissen | DAS Projektmanagementkontinuum 60 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0055 auch die Erkenntnis, dass es nicht nur, wie weiter oben dargelegt, DAS klassische Projektmanagement und DAS agile Projektmanagement in Reinform nicht gibt, es gibt grundsätzlich keine der möglichen Basismethoden (tragende Säulen) in Reinform. Denn durch die Gegebenheiten der Realität werden sich immer Abweichungen vom jeweiligen methodischen Idealzustand ergeben. Anders ausgedrückt, die Realität wird sich nie auf der Nulllinie des Freiheitsgrades der methodischen Abweichung (y-Achse) bewegen. EMPFEHLUNG-- Vorschläge für die Praxis Versuchen wir also nun, die theoretischen Betrachtungen mit Leben zu erfüllen. Der erste Schritt eines jeden Projektes ist die Auswahl einer passenden Basismethode für einen vorliegenden Projektauftrag. Die Basismethode bildet die Grundlage eines Projektes und regelt dessen Ablauf. Die Basismethode definiert somit die Spielregeln eines Projektes, sodass deren Auswahl zu Beginn eines Projektes ein besonderer Stellenwert zuzuweisen ist. Für die Auswahl der Basismethode sollte sich ausreichend Zeit genommen und die spezifische Projektsituation betrachtet werden. Eine Änderung der Basismethode im laufenden Projekt ist nicht zu empfehlen. Vielmehr kann der Freiheitsgrad für Adaptionen der Basismethode genutzt werden. Aus diesem Grund haben die Autoren zunächst das methodische Projektmanagementkontinuum eingeführt. Dieses erste Modell schafft einen Überblick über die wichtigsten Basismethoden und deren Verortung im Kontext des Agilitätsgrads. Anhand dieses Modells lassen sich folgende Handlungsempfehlungen ableiten: • Alleinige Fokussierung auf die Basismethoden des Projektmanagements • Generischer Wissensaufbau über die Basismethoden • Verortung des betrachteten Projektes anhand des Agilitätsgrades • Auswahl einer Basismethode für das betrachtete Projekt • Aufbau von Spezialwissen über die ausgewählte Basismethode sicherstellen Nachdem die Basismethode ausgewählt wurde, sollte im zweiten Schritt die situative Ausgestaltung der Basismethode für den Projektauftrag geprüft werden. Diese situative Ausgestaltung der ausgewählten Basismethoden unter Nutzung des vorliegenden Freiheitsgrades ist wichtiger als die strikte Durchsetzung der Vorgaben der Basismethode. Das bedeutet konkret, dass Basismethoden nicht als starre Methoden betrachtet werden sollten, sondern vielmehr nur die Grundlage für eine auf das Projekt angepasste methodische Abwicklung bereitstellen. In der praktischen Realität wäre eine starre Umsetzung einer Methode zudem auch nicht möglich, da durch geschaffene und unbewusst entstandene Freiheitsgrade Abweichungen vorhanden sind. Diese situative methodische Abweichung oder auch Anpassung an das Projekt wird in dem Modell des situativen Projektmanagementkontinuums eingeführt. Dieses Modell ermöglicht das Ableiten folgender Handlungsempfehlungen für die Praxis: • Einschätzung des vorliegenden Freiheitsgrades (bewusst und unbewusst) • Bewertung, welche „fremden“ Elemente für die zielführende Ausgestaltung der vorliegenden Projektsituation in die ausgewählte Basismethode implementiert werden sollten. Beispiele für diese Elemente / Techniken / Vorgehensweisen sind: • Kanban Board • Balkendiagramm • Stakeholder-Analyse • Daily Scrum • Sprint Retrospektive • Netzplantechnik • … • Sicherstellung einer höheren Flexibilität durch Anpassung der gewählten Basismethode • Praxisorientierte Anwendung der Basismethoden und zielführender Einsatz deren Elemente • Sinnvolle Projektentscheidungen treffen, basierend auf der Situation, nicht anhand der reinen Vorgabe der Basismethode • Berücksichtigung der Erfahrung eines Projektmanagers und Gewährleistung einer adäquaten Reaktion auf eine spezifische Projektsituation Allgemein sollte den Projektteams bewusst die Möglichkeit gegeben werden, auf die Suche nach situativen Adaptionen zu gehen, um eine bestmögliche methodische Reaktion auf die vorgefundene Projektsituation zu gestalten. Die Autoren schreiben der Nutzung dieses Freiheitsgrades mehr Bedeutung zu als dem Fixpunkt der gewählten Basismethode. Diese Gedanken sollen dazu beitragen, die Vielfalt der Methoden zu reduzieren und wieder mehr „gesunden Menschenverstand“ in das Projektmanagement einfließen zu lassen. AUFBRUCH-- DAS situative Projektmanagementkontinuum Trotz des aktuellen Hypes um die Begrifflichkeiten, vertreten die Autoren ganz generisch den Standpunkt, dass weder DAS klassische Projektmanagement noch DAS agile Projektmanagement in Reinform innerhalb des praktischen Projektumfeldes existiert. Basierend auf dieser Grundannahme schlagen wir mit dem methodischen Projektmanagementkontinuum eine Einordnung wissenschaftlich anerkannter Basismethoden nach der zu lösenden Zielstellung und des hierfür erforderlichen anwendungsorientierten Agilitätsgrads vor. Ausgehend davon empfehlen wir den Schwerpunkt zukünftig auf die qualitativ hochwertige Wissensvermittlung über die Basismethoden zu legen, anstatt durch zusätzliche methodische Neuschöpfungen zu weiterer Undurchsichtigkeit beizutragen. Darauf aufbauend empfiehlt es sich bereits in der Lehre direkt auf gewährte oder ungeplant vorhandene Freiheitsgrade in der praktischen Realität hinzuweisen. Ausgebildete Projektmanager sollten- - so unsere Überzeugung-- zukünftig wissen, dass die perfekte methodische Umgebung in der Praxis nicht existiert. Weiterhin sollten sie konkrete adaptive Maßnahmen kennen, wie auf welche konkreten Freiheitsgrade methodisch zu reagieren ist, um den Projekterfolg und damit den Mehrwert für die Organisation sicherzustellen. Hierfür schlagen wir mit dem situativen Projektmanagementkontinuum erstens ein wissenschaftliches Modell zur Auswahl und erweiterten Ausgestaltung einer für das einzelne Projekt passenden Basismethode vor Wissen | DAS Projektmanagementkontinuum 61 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0055 und liefern damit zweitens eine Beschreibung der gelebten Realität innerhalb praktischer Projektumgebungen. Wir schlagen also im Prinzip-- etwas provokant ausgedrückt-- vor, die Realität in dem situativen Projektmanagementkontinuum abzubilden und gleichzeitig ein gesamtheitliches methodisches Grundverständnis zu etablieren. Literatur 1. Barth, Martin; Sarstedt, Margit (2022): Der Projektmanager als Handwerksmeister. In: PROJEKTMANAGEMENT AKTU- ELL 33 (), S. 62-65. DOI: 10.24053 / PM-2022-0038. 2. Timinger, Holger (2017): Modernes Projektmanagement. Mit traditionellem, agilem und hybridem Vorgehen zum Erfolg. Weinheim an der Bergstraße: Wiley-VCH. S. 29-35. 3. Oxford Languages (n.d.a): Agilität. Oxford. 4. Sommerhoff, Benedikt (2014): Agilität und Qualitätsmanagement. Turbulente Märkte, rasante Innovationen. Hg. v. Deutsche Gesellschaft für Qualität. Frankfurt am Main. Online verfügbar unter https: / / www.dgq.de / wp-content / uploads / 2014 / 03 / Agiles-QM.pdf, zuletzt geprüft am 24. 10. 2022. 5. Oxford Languages (n.d.b): Hybrid. Oxford. 6. Freitag, Matthias (2011): Projektmanagement und Projektkommunikation ‐ zum Forschungsstand. In: Matthias Freitag, Christiane Müller, Gebhard Rusch und Thomas Prof. Dr. Martin Barth Herr Barth ist Professor für Projektmanagement im Fachgebiet Wirtschaft und Management an der IU Internationale Hochschule. In seinen Forschungsarbeiten beschäftigt er sich mit den Dynamiken, Konzepten und Nutzenpotenzialen des modernen Projektmanagements. Weiterhin untersucht er auf dem Gebiet der M&A-Forschung spezifische vertikale, indirekte Post-Merger-Integrationsprozesse. Kontaktanschrift: https: / / www.iu.de / hochschule / lehrende / barth-martin/ E-Mail: martin.barth@iu.org Jonas Reidick Herr Reidick hat sein Masterstudium im Bereich Projektmanagement an der IU Internationale Hochschule abgeschlossen und sich im Rahmen seiner Abschlussarbeit mit den Vorgehensmodellen im Projektmanagement und deren Einfluss auf den Projekterfolg beschäftigt. Im Rahmen seiner mehr als sechsjährigen Berufserfahrung in der Industrie konnte er in verschiedenartigen Projektsituationen mitwirken und hat diese seit drei Jahren als Projektmanager aktiv gestaltet. eMail: jonas@reidick-online.de Prof. Dr. Margit Sarstedt Frau Sarstedt ist Professorin für Technologie- und Projektmanagement im Fachgebiet Wirtschaft und Management an der IU Internationale Hochschule. Basierend auf ihrer mehr als zwanzigjährigen Berufserfahrung in der produzierenden Industrie liegen ihre Forschungsinteressen im Einsatz verschiedener Projektmanagementmethoden in operativen und organisatorischen und Veränderungssituationen. Internet: www.iu.de/ hochschule/ lehrende/ sarstedt-margit/ eMail: margit.sarstedt@iu.org Spreitzer (Hg.): Projektkommunikation. Strategien für temporäre soziale Systeme. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 11-47. 7. Barth, Martin; Sarstedt, Margit (2022): Der Projektmanager als Jäger. In: PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 33 (5), S. 48-53. DOI: 10.304 / PMA-2022-0005. Eingangsabbildung: © iStock.com / Nuthawut Somsuk 62 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0056 Teil 3: Krisenbewältigungsprozess Projekt in der Krise-- oder doch nicht? Kai Rahnenführer, Goran Radin Für eilige Leser | Die Welt wird durch die Digitalisierung disruptiver. Entwicklungen werden schneller vorangetrieben, mehr Daten bringen mehr Transparenz, Projektleiter werden aber im gleichen Zug immer mehr herausgefordert, die steigenden Projektkomplexitäten zu managen. Nicht selten endet es damit, dass die Projekte in eine Schieflage oder gar Krise gelangen. Damit verbunden stellt sich die Frage, wie kommt man aus der Situation wieder heraus und welche Möglichkeiten hat man? Die Literatur gibt da meist nur den Weg der Priorisierung vor, doch was hilft es, wenn in einem schlecht laufenden Projekt alle notwendigen Aktionen sowohl wichtig als auch dringlich sind (nach Eisenhower). Die Fachgruppe TurnAround PM hat sich zur Aufgabe gemacht, diesen Prozess zu beschreiben und einen Ausweg darzustellen, der die wesentlichen Aspekte verdeutlicht und für alle Projektmanager nutzbar ist. Schlagwörter | Schieflage, Krise, Krisenbewältigungsprozess, Turnaround, Projektabbruch, Projektneustart, Krisenmanagement Einleitung & Wrap Up Nachdem die Autoren bereits Projekte in der Schieflage / Krise definiert [1] hatten und darauf aufbauend eine Checkliste [2] zur Ermittlung und Sicherstellung des Status generierten, ist es nunmehr an der Zeit, den „Bewältigungsprozess” zur Umkehr eines Schieflagen- / Krisenprojektes in den Normalzustand eines Projektes zu beschreiben. Warum aber nur werden immer wieder dieselben Fehler gemacht und warum geraten Projekte dadurch immer wieder in die Schieflage oder Krise? Die Autoren geben einen Einblick, dass es häufig auf Fehlern basiert, welche die Organisationen schon „immer” gemacht haben. Befindet man sich aber dann in einer Schieflage oder Krise, dann sollte sehr schnell der Fokus auf eine Bewältigung der Schieflage / Krise gelegt werden. Welche Phasen, Inhalte und welche einzelnen Phasen vorhanden sind, darum soll es in diesem Artikel gehen. Die Autoren werden die einzelnen Schritte und Voraussetzungen beschreiben, die es dem Leser möglich machen, einen Fahrplan aus der Schieflage / Krise in den Normalzustand des Projektes zu erstellen und diesen auch anzuwenden. Schieflage / Projektkrise Das Projekt ist in der Krise! Das hört man in der letzten Zeit sehr häufig, wenn man mit Projektleitern redet. Die Gründe sind meist ähnlich: • Der Fertigstellungstermin konnte nicht gehalten werden. Der Zeitpunkt des Fertigstellungstermins des veranschlagten Projektzeitraumes ist überlaufen. • Die Aufwände sind stark gestiegen und liegen weit über dem vereinbarten Budget. • Der Projektleiter und / oder auch Teile des Teams haben das Projekt verlassen. • Die Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit (VUCA) wurde unterschätzt • etc. Aber, was genau ist denn nun eine Projektkrise? [1]. Genauso vielseitig wie die Gründe, in eine Schieflage / Projektkrise zu gelangen, so vielseitig sind auch die Definitionen für Projektkrisen. An dieser Stelle weisen die Autoren darauf hin, dass in der Literatur nur über Krisen gesprochen wird, aber kaum oder bis gar nicht über Schieflagen. Diese werden lediglich am Rande erwähnt. Wissen | Projekt in der Krise-- oder doch nicht? 63 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0056 Wikipedia definiert die Projektkrise als Projektdiskontinuität: „Projektdiskontinuitäten bezeichnet man im Projektmanagement als Störungen im regelmäßigen und standardisierten Ablauf von Projekten, die das ordnungsgemäße Fortführung des Projekts wie geplant erschweren oder unmöglich machen.” [3] Die GPM (Gesellschaft für Projektmanagement e. V.) definiert die Projektkrise im PM 3 als „gefährliche Projektphasen oder Projektsituationen, deren Bewältigung entscheidend für den Erfolg eines Projektes ist.“ [4] Eine weitere- - detaillierte- - Definition wurde durch die Fachgruppe TurnAround PM der Gesellschaft für Projektmanagement entwickelt, welche den Vorteil hat, mehrere Dimensionen eines Projektes zuzulassen als auch den Aggregatzustand zwischen Schieflage und Krise feiner darzustellen Projektkrisen sind nach diesen Definitionen also • gefährliche Projektphasen oder -situationen, deren Bewältigung entscheidend für den Erfolg des Projektes sind, • gravierende Abweichungen des Projektverlaufes vom Plan, die • existenzbedrohend für das Projekt und die Projektorganisation sind. Warum scheitern Projekte? Das Projekte nach wie vor scheitern, und dies in einem hohen Anteil, zeigt Bild 2. Was sind die Gründe? Die Autoren sind der Meinung, dass dies immer noch die gleichen Gründe wie vor einigen Jahren, ggf. angereichert durch das Thema Digitalisierung sowie derzeit gesellschaftliche Krisen (Pandemien, Krieg) sind. Caeleigh MacNeil schreibt in Ihrem Artikel “Warum scheitern Projekte? ”, dass es 7 häufige Gründe hierfür gibt [6]: Grund 1: unklare Ziele Grund 2: Scope Creep Grund 3: unrealistische Erwartungen Grund 4: begrenzte Ressourcen Bild 1: Definition “Projekt in der Krise” der Fachgruppe Turn- Around PM [1] Bild 2: Scheitern von Projekten [5] Wissen | Projekt in der Krise-- oder doch nicht? 64 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0056 Grund 5: mangelhafte Kommunikation Grund 6: Zeitplan Verzögerungen Grund 7: fehlende Transparenz Bei vielen dieser Gründe stellt man fest, dass es sie schon immer gegeben hat, man fragt sich aber heute, warum sind sie nie verschwunden? Unklare Ziele als Klassiker. Jeder, der sich mit Projektmanagement beschäftigt lernt dies als Basis, dass man ohne ein Ziel kein Projekt zum Erfolg bringen kann und doch wird dies als erster Grund benannt. Vergleicht man das mit der Gründung eines Start-ups bzw. sieht man die Gründung eines Start-up-Unternehmens als Projekt, dann kommen ganz ähnliche Gründe dabei heraus. Man kann festhalten, dass grundlegende Fehler sich ähneln, sowohl im Abarbeiten von Projekten als auch bei der Gründung von Start-ups. Gründe aus “Warum Start-ups scheitern” Gründe aus “Warum scheitern Projekte” • mangelnde Nachfrage • unrealistische Erwartungen • keine Ressourcen • begrenzte Ressourcen • Mangel an den richtigen Leuten • begrenzte Ressourcen • zu starker Wettbewerb • fehlende Transparenz • fehlerhaftes Preismodell • unklare Ziele • nicht genügend Marktforschung • fehlende Transparenz • kein solider Geschäftsplan • unrealistische Erwartungen • Marketing kommt nicht an • unrealistische Erwartungen • das Timing stimmt nicht • Zeitplan Verzögerungen • der Unternehmensname ist irrelevant • unrealistische Erwartungen Tab. 1: Warum Start-ups scheitern im Vergleich zu Warum Projekte scheitern [7] Krisen und Gleichgewicht Krisen werfen Projekte und meist auch das gesamte Projektteam aus dem Gleichgewicht. Ein unvorhersehbares Ereignis kann einen aus der Bahn werfen und die Lebensumstände verändern. Die Auslöser dafür sind vielfältig, sie reichen von Naturkatastrophen und Wirtschaftskrisen bis hin zu persönlichen Verlusten oder Krieg. Psychologisch gesehen setzen Krisen einen akut unter Stress, so dass das Team und der Projektleiter das Gefühl haben könnten, die Kontrolle über die innere oder äußere Situation im Projekt zu verlieren oder bereits verloren zu haben. Die gute Nachricht. Eine Krise ist meist kein Dauerzustand. Eine Krise wird auf ganz unterschiedliche Weise erlebt. Als Beispiel. Jede Lebensveränderung kann Krisen hervorrufen, Arbeitslosigkeit, schlimme Krankheit, etc. Die Krise kann das Projektteam, den Projektleiter psychisch beschäftigen, das hemmt mitunter die Lösungskreativität, hemmt ggf. auch den Lösungswillen. Das ist ein Hemmnis für eine anstehende Krisenbewältigung. Wir können Krisen bewältigen Jede Krise läuft auf ihre ganz eigene Art und Weise ab, keine ist wie die andere. Und doch kann man Phasen beschreiben, welche sich bei allen Krisen nahezu gleich identifizieren lassen. Johann Cullberg und Verena Kast haben vier Phasen erkannt und beschrieben, die man bei traumatischen Krisen, Tod oder Verlust durchlebt. Diese sind: • Phase 1: Schock ‣ inneres Chaos verbreitet sich ‣ man fühlt sich gelähmt; teilweise verleugnet man die Realität und damit auch den Krisenzustand ‣ ein „Nicht-Wahrhaben-Wollen” ‣ die Dauer kann unterschiedlich sein, von Stunden bis mehrere Tage • Phase 2: Reaktion ‣ die Realität überwiegt langsam wieder im Bewusstsein ‣ chaotische Emotionen und Gefühle wie Angst, Hilflosigkeit, Bedrohung und Kontrollverlust machen sich breit ‣ es greifen aber auch erste Abwehrmechanismen • Phase 3: Bearbeitung ‣ Start: man widmet sich dem Ausweg aus der Krise ‣ man fängt an zu akzeptieren- - die Suche nach Lösungen beginnt ‣ man versucht, das Vergangene hinter sich zu lassen, sich von negativen Gedanken zu lösen • Phase 4: Neuorientierung ‣ man richtet sich neu aus, sich selbst aber auch in Bezug zum Umfeld und zur Umwelt ‣ neue Erfahrungen entstehen, man zieht Sinn aus der Krise Krisenbewältigung nach GPM Eine Krise kann langfristig sein und ist so schnell meist nicht zu beheben, wie bereits beschrieben wurde. Man spricht jedoch nicht erst von einer Krise, wenn z. B. ein Unternehmen Wissen | Projekt in der Krise-- oder doch nicht? 65 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0056 nicht mehr adäquat oder projektgerecht agiert, sondern auch schon früher, wenn gewisse Symptome auftreten, wie beispielsweise • man verharrt lange im gleichen Meilenstein • es gibt kaum inhaltliche Fortschritte im Projekt • man fängt an sich im Projekt gegenseitig Vorwürfe über die Qualität der bis hierhin erstellten Arbeitsergebnisse zu machen • etc. Und obwohl es eindeutige Anzeichen gibt, die zur Entstehung einer Krise beitragen, wird sie meist überraschend wahrgenommen. Dabei lassen sich die Symptome bereits in frühen Phasen des Projektverlaufes oder Krisenverlaufes identifizieren. Ein wirksames Krisenmanagement setzt die effiziente Bewältigung der einzelnen Phasen voraus. Jede dieser Phasen hat seine eigenen Spezifika und Herausforderungen, die es gilt, zu bewältigen. Phase 0: Vorphase • Diese Phase gehört nicht zum eigentlichen Krisenbewältigungprozess. • Es wird bemerkt, dass das Projekt nicht mehr innerhalb der Vorgaben verläuft; es wird von Problemen, aber nicht unbedingt am Anfang von einer Krise, eher von einer Schieflage geredet. • Frühwarnsignale werden wahr- und aufgenommen. • Frühwarnsysteme (wenn vorhanden) werden gelesen und es wird versucht diese zu interpretieren. • Es wird eine erste Einschätzung der Abweichung abgeleitet und festgelegt-- Sind wir in einer Schieflage oder Krise? • Das Management wird aktiv eingebunden und es wird ggf. die Freigabe eines Projektauftrages erwirkt, um den tatsächlichen Status des Projektes zu ermitteln (ggf. durch einen externen Berater). [Internal] „KRISENBEWÄLTIGUNGSANSATZ“ - FINALE VERSION (28.01.2022) Sehen & Anerkennen Analysieren & Verstehen Entscheiden & Planen Verändern & Implementieren Sichern & Verankern Vorphase Bewältigungsphase normale Phase Bild 4: Krisenbewältigungsprozess (eigene Darstellung) [Internal] In diesen Phasen bewältigen wir Krisen: Normalzustand Krisenbewältigungsprozess Nach der Krise 1. Schock  Lähmung  Nicht-Wahrhaben-Wollen 2. Reaktion  Chaotische Emotionen  Verdrängung, Angst 3. Bearbeitung  Akzeptanz  Lösung suchen 4. Neuorientierung  Zu sich selbst  Zur Umwelt + = - Phasen sind oft nicht voneinander zu trennen. Bild 3: Krisenbewältigungsphasen nach Cullberg, Kast in Anlehnung an Quarks [8] Wissen | Projekt in der Krise-- oder doch nicht? 66 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0056 Phase 1: Sehen & Anerkennen • Die Projekthistorie wird aufgezeigt, um zu verstehen, wie es zu den Abweichungen und damit zur Projektdisharmonie kommen konnte. • Der Status des Projektes (Schieflage, Krise) wird in Richtung Stakeholder und Team kommuniziert: ‣ Die ersten klaren bzw. nächsten Schritte werden definiert. ‣ Die weitere Vorgehensweise wird untereinander abgestimmt. ‣ Die anstehenden Aufgaben werden verteilt. • Das Vertrauen in Richtung relevanter Stakeholder muss „wieder” aufgebaut werden, ebenso in Richtung des Projektteams. • Die Transparenz und Klarheit auch in der Kommunikation zwischen Topmanagement und Projektteam wird erzeugt-- „alle Fakten werden auf den Tisch gelegt (Faktenbuch)“. Phase 2: Analysieren & Verstehen • Die Symptome der Schieflage / Krise werden beschrieben in Richtung Termine, Meilensteine, Kosten, Ressourcen, Lieferanten etc. • Eine Ursachenermittlung wird vorgenommen-- Was ist der Hauptgrund der Krise? ‣ Im Bereich des Umfeldes: Die Ermittlung auch der weichen Faktoren (Motivation, Commitment, etc.) wird vorgenommen. ‣ In Richtung Deltaanalyse: Wo sollte das Projekt bereits stehen, wo steht es tatsächlich und was genau sind die Abweichungen in Richtung der harten Faktoren? • Die Erstellung einer Entscheidungsgrundlage bzgl. des weiteren Vorgehens wird vorgenommen bzgl. der folgenden Möglichkeiten: ‣ Dem Abbruch des Projektes. ‣ Der Neuplanung des Projektes oder ‣ der Fortführung des Projektes (unter Definition der Prämissen & Randbedingungen) • Das weitere Vorgehen sollte man sich genehmigen lassen durch das Management (Buy-In). • Das Aufsetzen einer neuen Risikoanalyse im Falle der Neuplanung oder der Fortführung ist unabdingbar (Prämisse: „es darf nicht schlimmer werden! ”). Phase 3: Entscheiden und Planen • In dieser Phase liegt die Entscheidung über die weitere Vorgehensweise vor (per Projektauftrag bei Fortführung oder Neuplanung). • Die Meilensteine sind neu festgelegt, aber auch wegfallende Meilensteine und Liefergegenstände im Projekt werden seitens des Managements getragen / entschieden (unter Beachtung der festgelegten Prämissen und Randbedingungen). • Ein Projektplan inkl. Maßnahmenplan liegt vor, von kurzüber mittel-, als auch langfristig: ‣ Kurzfrist: ad-hoc Maßnahmen (in Richtung Symptome) ‣ Mittel-, / Langfrist: Meilensteine (in Richtung Ursachen) • Es wird ein „Krisenteam” aufgesetzt und benannt: ‣ die Mitarbeiter werden motiviert („ihr könnt nichts falsch machen, nur besser! ”). ‣ die entsprechenden, notwendigen Skills werden benannt und besetzt (fehlende Skills werden organisiert). • Ein erster Entwurf eines TurnAround Management Planes ist definiert inkl. Sofortmaßnahmen und Quick-Wins. Phase 4: Verändern und Implementieren • Der -neue-- Projektauftrag wird umgesetzt. • Die beschlossene Maßnahmeninitiierung und -implementierung wird umgesetzt (insbesondere auch ad-hoc Maßnahmen), auch stringent gegen Widerstände, um weiteren Schaden zu vermeiden). • Das Projektcontrolling wird aufgesetzt und es wird eng beobachtet hinsichtlich möglicher Frühwarnindikatoren. • Die Kommunikationskanäle werden festgelegt in Richtung ‣ Management als auch ‣ in Richtung Team sowie ‣ weiterer Stakeholder. • Die (Regel-)Kommunikation wird aufgebaut und sichergestellt über ‣ den „neuen” TurnAround Plan, ‣ den regelmäßigen Status Schieflage / Krise und Progress in Richtung Verbesserung, ‣ die Abweichungen vom Plan, ‣ die Sonderinformationen aus dem Projekt in Richtung der Stakeholder, Management und Team. • Die Initiierung Veränderungsprogramms aus ICB4: Practice 13- - (Change & Transformation) wird aufgesetzt, geplant und umgesetzt. Phase 5: Sichern und Verankern • Der Projektabschluss wird durch den „Krisenmanager“ als letzte Aktion initiiert und offiziell gestartet. • Dieser soll die Erkenntnisse für das Unternehmen sichern, um weitere Schieflagen / Krisen in Projekten zu verhindern. • Eine oder mehrere Workshops „Lessons Learned” werden initiiert und durchgeführt, um eine Projektamnesie [9] zu vermeiden. Erstes Fazit Was hat man nun an Erkenntnissen erlangt oder gelernt? Dem Leser ist nunmehr bekannt, dass Projekte in einer Schieflage / Krise entstehen können durch Fehler, die schon immer gemacht wurden. Weiterhin hat der Leser verinnerlicht, dass Projekte durch äußere Einflüsse in die Schieflage / Krise geraten können. Allerdings versteht es der Leser, dass man Projekte aus der Schieflage / Krise wieder herausführen kann. Dazu bedarf es eines Prozesses, welchen die GPM (Gesellschaft für Projektmanagement) mit diesem Artikel nunmehr beschrieben hat. Literatur [1] Rahnenführer, Kai / Radin, Goran: Projekte in der Krise- - oder doch nicht? Teil 1: Definition und Herleitung. In: PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 5 / 2017, S. 57-62 Wissen | Projekt in der Krise-- oder doch nicht? 67 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0056 [8] Schwenner, Lara: So bewältigen wir eine Krise. Stand: 13. Juni 2022, von https: / / www.quarks.de / gesellschaft / psychologie / phasen-einer-krise/ [9] Schacht, Silvia: The Prevention of Project Knowledge Amnesia, Doktorarbeit Uni Mannheim 2014 Eingangsabbildung: iStock.com / wutwhanfoto [2] Rahnenführer, Kai / Radin, Goran: Projekte in der Krise- - oder doch nicht? Teil 2: Checkliste zur Ergänzung der Situation eines Projektes. In: PROJEKTMANAGEMENT AK- TUELL 2 / 2018, S. 37-45 [3] Wikipedia-Autoren. (2013, 26. April). Projektdiskontinuitäten. Wikipedia. Stand: 14. Mai 2015, von https: / / de.wikipedia.org / wiki / Projektdiskontinuitäten [4] Gessler Michael: Kompetenzbasiertes Projektmanagement (Projekt Manager 3)- - Handbuch für die Projektarbeit, Qualifizierung und Zertifizierung. 7. Auflage, GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V., 2017, Seite 1037 [5] Beyond Agility. (2021). Project Management Institute: Flex to the Future. Stand: 24. März 2021 von https: / / www.pmi. org / learning / library / beyond-agility-gymnastic-enterprises-12 973 [6] MacNeil, Caeleigh: Warum scheitern Projekte? 7 häufige Gründe- - und Lösungen. Asana. Stand: 15. December 2022, https: / / asana.com / de / resources / why-projectsfail [7] Udoagwu, Kelechi: Warum Start-ups scheitern: Alles, was Sie wissen müssen. Stand: 20. Dezember 2021, von https: / / www.wrike.com / de / blog / warum-start-upsscheitern-alles-was-sie-wissen-mussen/ Kai Rahnenführer Kai Rahnenführer ist derzeit Managing Director der accenture GmbH. Vor dieser Aufgabe hat er eigenverantwortlich Projekte im Bereich diverser Industrien als strategischer Consultant durchgeführt, zuletzt für eine Firma aus der Mineralölindustrie zum Thema Priorisierung des Programmportfolios. Seit 2010 ist Kai Rahnenführer als Lehrbeauftragter für Projektmanagement bestellt (Hochschule Bochum). Darüber hinaus ist Herr Rahnenführer Fachgruppenleiter der Fachgruppe TurnAround PM für die GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Hier erstellt er mit dem Team mitverantwortlich eine Definition für Projekte, welche sich in der Krise befinden bzw. sich dahingehend entwickeln. Ein weiterer Artikel zum Thema „befindet sich das Projekt in der Schieflage oder Krise” stammt ebenfalls aus seiner Feder. Weitere Artikel rund um das Thema Projektmanagement runden die Kompetenz von Herrn Rahnenführer ab. Kontakt: Kai.Rahnenfuehrer@accenture.com Web: www.accenture.com Goran Radin Goran Radin ist bei der LEONI Bordnetzsysteme GmbH im strategischen Einkauf tätig. Hier verantwortet er den Bereich Supply Escalation Management mit Fokus auf globale operative und strategische Versorgungsproblematiken für die LEONI Werke. Vor dieser Aufgabe hatte er bereits mehrere Jahre Erfahrungen in verschiedenen Bereichen unter anderem in Projekterfahrung in Krisenprojekten in der Automobilzulieferindustrie gesammelt. Herr Radin ist Fachgruppenleiter der Fachgruppe TurnAround PM für die GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Fokus der Arbeit in der Fachgruppe liegt auf Definition, Analyse und Turnaround von Krisenprojekten. Kontakt: Goran.Radin@leoni.com Web: www.leoni.com 68 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0057 Rückblick auf das PM Forum Köln Antonia Zöls Zwei halbe Tage voller Impressionen und Austausch, angeregt durch spannende Projektmanagement-Impulse, interaktive Workshops und lokale Projektvorstellungen. Und nicht zu vergessen, großartige Networking-Gelegenheiten in einer einzigartigen persönlichen Atmosphäre-- genau das war das PM Forum Köln 2023. GPM Präsident Prof. Dr. Peter Thuy eröffnet das 39. PM Forum (Foto: Paul Hahn) Rund 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen am 15. und 16. Juni im NH Collection Köln Mediapark zur 39. Ausgabe des PM Forum zusammen, um gemeinsam aktiv zu werden, Neues zu erleben und sich über die aktuellen Trends und Best Practices im Projektmanagement auszutauschen. Neben bestem Sommerwetter lockte die vielfältige Auswahl an inspirierenden PM-Workshops, zukunftsweisenden Vorträgen und Projektbeispielen lokaler Unternehmen sowie das bunte Rahmenprogramm des PM Forum Köln zahlreiche Projektmanagende und PM-Interessierte in die schöne Domstadt. Tag 1 - Eröffnung und erste PM-Impulse Zum Auftakt des ersten Veranstaltungstages genossen die Teilnehmenden beim gemeinsamen Networking-Lunch kölsche Spezialitäten des Küchenchefs und konnten bereits wertvolle Kontakte in Deutschlands größter PM-Community knüpfen. Nach der offiziellen Begrüßung durch Moderatorin Vaya- Wieser Weber im Plenum richtete GPM Präsident Prof. Dr. Peter Thuy noch einige Worte an das Publikum. „Die Digitalisierung stellt die Gesellschaft vor neue Herausforderungen und Entwicklungen, die bisher noch nicht absehbar sind. Das Projektmanagement trägt hier einen wesentlichen Beitrag zur digitalen Transformation bei.“ Auch das PM Forum stelle sich mit einer Präsenzveranstaltung im Sommer und einer digitalen Variante im Herbst den neuen Anforderungen des fortschreitenden Transformationsprozesses. Dieser Leitgedanke wurde in einer fesselnden Talkrunde aufgegriffen, bei der Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Wohlfahrt und Forschung ihre Erkenntnisse aus den aktuellen Herausforderungen der Transformation teilten. Diskutiert wurde unter anderem, wie Unternehmen auch für die kommenden Generationen als Arbeitgeber attraktiv bleiben können und welche Aspekte der Generation Z im Job heute besonders wichtig sind. Nach diesen anregenden Impulsen teilten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die erste Workshop-Runde und den Vortrags-Stream der lokalen Projekte auf. Neben praxisorientierten Workshops zu wirkungsorientierter Projektsteuerung, spielerischer Methodenanwendung oder dem Einsatz von KI bei der täglichen Projektarbeit, teilten Unternehmen aus NRW in vier Streams Lösungsansätze und Handlungsempfehlungen aus erster Hand. Am Abend lud die hoteleigene Terrasse zu einem köstlichen Grillabend und frisch gezapftem Kölsch ein. Bei Livemusik und einem idyllischen Blick auf den malerischen See erfreuten sich die Besucherinnen und Besucher an guten Gesprächen mit bekannten und neuen Gesichtern sowie den vielen Referierenden. Eine wunderbare Gelegenheit, den Tag entspannt ausklingen zu lassen. Wissen | Rückblick auf das PM Forum Köln 69 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0057 Tag 2-- Highlight Keynote und Abschluss (Foto: Paul Hahn) Auch der zweite Tag des PM Forum Köln bot, mit einer erlesenen Auswahl inspirierender PM-Workshops und spannender Einblicke hinter die Kulissen lokaler Projekte, eine geballte Ladung PM-Know-how sowie zahlreiche Vernetzungsmöglichkeiten. In der letzten Workshop-Runde sammelten die Teilnehmenden wertvolle Tipps, digitale Lösungswege zu erkennen, spielerische Simulationen zu nutzen und erfuhren, wie sich Unsicherheiten in Projekten erfolgreich meistern lassen. Parallel zum umfangreichen Workshop-Angebot teilten PM-Expertinnen und -Experten lokaler Unternehmen ihr Fachwissen zu ganzheitlichem Projektmanagement und stellten nachhaltige Ansätze zur digitalen Transformation vor. Ein Highlight im Programm war auch die eindringliche Keynote von Theresa Schleicher. In ihrem Vortrag „Managing 2030-- Zukunftsfelder des Managements in einer neuen Zeit“ gab die Zukunftsforscherin eindrucksvolle Einblicke in die Arbeitswelt und das Projektmanagement der Zukunft. „Wir sind alle Teil von Zukünften und gestalten die nächsten Jahre aktiv Die Teilnehmenden erlebten spielerische Ansätze des Projektmanagements (Foto: Paul Hahn) Delicious Networking am Abend mit Livemusik (Foto: Paul Hahn) Workshop für inspirierende und motivierende Meetings mit Gunnar Marx (Foto: Paul Hahn) mit“, sagte die Forscherin. Die agile Welt stelle das Projektmanagement vor neue Herausforderungen, die zum großen Teil kulturell geprägt seien. Unterschiedlichste Werte und Kulturen werden auf kleinstem Raum zusammenkommen, betonte Schleicher. „Eine große Aufgabe der Zukunft wird es sein, hier eine gemeinsame Identität zu schaffen.“ Im Anschluss richtete GPM Präsident Prof. Dr. Peter Thuy noch einen besonderen Dank an die Referierenden, das ehrenamtliche Programmkomitee, die Projektleitung Matthias Friedrich und Anne Ramerth sowie alle weiteren Beteiligten, die zum Gelingen des PM Forum Köln beigetragen haben. Die GPM blickt bereits jetzt gespannt auf das PM Forum Digital, das die PM-Community am 09. und 10. November mit einer vielfältigen Auswahl an Live-Vorträgen, informativen Themen-Sessions und inspirierenden Projektbeispielen empfangen wird. Beim Delicious Networking versammelten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch ein letztes Mal, um die vergangenen Tage in lockerer Atmosphäre Revue passieren zu lassen. Der krönende Abschluss des Tages: Eine Führung durch das Kölner Schokoladenmuseum. Ein wahrhaft genussvoller Ausklang zwei ereignisreicher Veranstaltungstage, begleitet von leckeren Kostproben und inspirierenden Gesprächen. 70 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0058 15. GPM Aktiv: Inspirationen für eine erfolgreiche Zukunft Antonia Zöls GPM Präsident Prof. Dr. Peter Thuy im Gespräch mit den ehrenamtlich Aktiven (Foto: Paul Hahn) Ein intensiver Austausch über neue Ideen und Strategien prägten die 15. GPM Aktiv 2023 (Foto: Paul Hahn) Unter dem Motto „Inspirationen für eine erfolgreiche gemeinsame Zukunft“ bot die 15. GPM Aktiv 2023 direkt im Anschluss an das PM Forum Köln wieder den perfekten Rahmen für einen offenen, konstruktiven Austausch. Auf Einladung des Präsidialrates (Dr. Dagmar Börsch, Peter Richter, Claudia Simon, Dr. Reinhard Wagner und Johannes Wille) kamen die ehrenamtlich Aktiven der GPM im NH Collection Köln Mediapark zusammen, um Trends, Ideen und kreative Konzepte für eine zukunftsfähige Entwicklung des Vereins zu diskutieren. „Die GPM soll zu einer zentralen Kommunikations- und Informationsplattform zum Thema Projektmanagement für die Gesellschaft werden“, erklärte GPM Präsident Prof. Dr. Peter Thuy. Dafür gelte es gemeinsam zu überlegen, wie der Verein den neuen Anforderungen der digitalen Transformation begegnen kann. Er lud alle Ehrenamtlichen ein, an der erfolgreichen Zukunft der GPM mitzuwirken. „Wenn wir stets gemeinsam voranschreiten, kommen wir auch sicher zum Ziel“, so Thuy weiter. Mithilfe der Open Space Methode schaffte die GPM Aktiv einen Raum für Kreativität, Innovation und konstruktiven Dialog, der die Teilnehmenden dazu ermutigte, ihre Ideen und Themen aktiv einzubringen. An zwei halben Tagen wurden in selbstorganisierten Gruppen offene Fragestellungen diskutiert wie „Circular Economy-- was kann PM wie dazu beitragen? “ oder „Wie kann die GPM die gesellschaftliche Transformation begleiten? “. Auch aktuelle Themen wie „Satzungs- und Strukturänderung“ oder „KI in der Projektwirtschaft“ wurden intensiv beleuchtet. Einige ehrenamtliche Mitglieder beschäftigten sich zudem eingehend mit der möglichen Erschließung neuer Zielgruppen, beispielsweise aus der Forschung oder dem Handwerk. Die Abendveranstaltung bot eine ideale Gelegenheit, sich in idyllischer Kulisse direkt am Rhein zu vernetzen und auszutauschen. Ein besonderes Highlight war der Überraschungsgast und Kriminalist Roland Buss, der das Publikum mit spannenden Einblicken in die Ermittlungsarbeit fesselte und neue Perspektiven auf Kommunikation und Führung vermittelte. Es war eine gelungene Mischung aus regionalen Köstlichkeiten, spannenden Geschichten und anregenden Gesprächen, die den Abend zu einem unvergesslichen Erlebnis machte. Nach einem inspirierenden Austausch, der von kreativen Ideen und konstruktiven Diskussionen geprägt war, fand das Zusammentreffen der ehrenamtlichen Aktiven am darauffolgenden Nachmittag einen erfolgreichen Abschluss. Die GPM Aktiv 2023 war auch in diesem Jahr ein wichtiger Meilenstein für die GPM, der den Weg für eine erfolgreiche und nachhaltige Zukunft des Vereins geebnet hat. 71 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0059 Jens Köhler Ehrlich erwischt Priesberg an einer selbstschließenden Durchgangstür. Priesberg hat sichtlich Mühe, die Tür zu öffnen, da er sie in der Nähe des Scharniers aufdrücken will. Ehrlich eilt herbei und drückt auf der anderen Seite und schwupp, die Tür ist auf. „Ja, ja, das Hebelgesetz“, erwidert Priesberg. „Hatte ich vor lauter anderen Themen vergessen.“ Beide betreten ein leeres Besprechungszimmer. „Ich glaube ja, dass es zur Formulierung von Naturgesetzen körperlicher Erfahrung, also eines physiologischen Äquivalents bedarf, so wie es dir eben ergangen ist“, legt Ehrlich los und fährt fort: „Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb es in der Physik seit fast neunzig Jahren keinen fundamentalen Fortschritt mehr gibt. Ist aber nur eine Hypothese.“ Ein sarkastisches Grinsen huscht über Ehrlichs Gesicht. Priesberg fragt: „Wenn ich wissen will, was Beschleunigung ist, muss ich Achterbahn fahren; wenn ich etwas über Elektrizität lernen will, muss ich mir die Haare zu Berge stehen lassen-…? “ Ehrlich antwortet: „So ähnlich. Man kann in der modernen Physik viel parametrisieren, aber wenig körperlich erfahren. Es fehlt aus unseren Erfahrungen gebildete Intuition, um hieraus eine elegante Beschreibung der Natur abzuleiten, die sogar Messergebnisse wiedergibt.“ Priesberg entgegnet: „Jetzt sind wir aber philosophisch unterwegs. Können wir hieraus etwas für unseren Projektalltag ziehen? “ Ehrlich reagiert spontan: „Natürlich. Denke mal an die Planung von Projekten. Wie häufig unterschätzen wir den tatsächlichen benötigten Aufwand? Und komme mir jetzt nicht mit agil! “ Priesberg antwortet ruhig: „Fast immer. Das ist so wahr, dass man es stillschweigend hinnimmt.“ Ehrlich bohrt nach: „Schauen wir mal in die IT-Projekte. Woran hakt es hier? “ Priesberg lässt sich mit der Antwort nicht viel Zeit: „Naja, viele der Verantwortlichen haben vermutlich noch nie programmiert. Und wer noch nie einen Programmcode geschrieben hat-…“ „… der kann auch kein Lied davon singen, was es bedeutet, verzweifelt nach Fehlern zu suchen“, fällt ihm Ehrlich ins Wort: „Ich erinnere mich an einen besonderen Fall: Eine neuartige Methode zur schnellen Lösung eines Logistikproblems musste implementiert werden. Das Verfahren wollte und wollte nicht zünden, alles blieb langsam, ich konnte den Fehler nicht finden.“ Priesberg fragt: „Was sagten die Kollegen dazu? Konnten sie nicht helfen? “ Ehrlich erläutert: „Ich fühlte mich die ganze Zeit schlecht. Dann aber kam mir eine Idee: Ich hatte vergessen, Variablen per Hand auf null zu setzen. In der von mir verwendeten Programmiersprache musste man das nämlich tun. Als ich den Code dann gestartet hatte, war ich ganz aufgeregt und die positive Stimmung kam wieder, als das Programm lief.“ Priesberg fragt: „Und heute? “ Ehrlich erklärt: „Bei jeder Aufwandschätzung von IT-Projekten gehe ich im Kopf durch die Module und frage mich: Was könnte schiefgehen? Meine körperliche Erfahrung ist hierbei ein unschätzbarer Wegweiser geworden.“ Priesberg überlegt: „Ich habe da eine ähnliche Erfahrung gemacht. Wir wollten bei einem neuen IT-System eine Qualitätssicherung einführen, um Daten nach dem FAIR Prinzip eingeben zu können. Die Nutzer wollten aber an einzelnen Anwendungsfällen lernen, wie es konkret funktioniert.“ Ehrlich unterbricht ihn: „Lass‘ mich raten. In Einzelgesprächen konnten die Anwender folgen, aber in der Gruppe, also in größeren Meetings, folgten sie dem Lernstand der Organisation, der da lautete: ‚Anwendungsfälle zuerst! ‘.“ Priesberg überlegt: „So war es. Ist das denn kein Widerspruch? “ Ehrlich grinst verdächtig: „Nein. Erst muss jeder seine individuellen Erfahrungen mit den konkreten Beispielen machen. Danach kann es in die Kommunikation der Organisation gelangen. Mit der Zeit wird das Verlangen nach Anwendungsfällen verschwinden und die neue Methode wird akzeptiert werden: ‚FAIRe Daten sind gut! ‘.“ Priesberg überlegt: „Du hast doch sicher noch etwas in der Hinterhand. Was passiert denn, wenn neue Kollegen hinzukommen? Muss man sich dann wieder konkrete Beispiele ansehen? “ „Nein“, widerspricht Ehrlich: „Sie werden in der Organisation nur wahrgenommen, wenn sie deren Kommunikation übernehmen, die ja jetzt lautet: ‚FAIRe Daten sind gut! ‘ Ich schließe mit einem verkürzten Zitat von Niklas Luhmann: ‚Menschen können nicht kommunizieren,- […]. Nur die Kommunikation kann kommunizieren.‘“ „Das nennt man dann wohl das ‚physiologische Äquivalent von Organisationen‘“, schließt Priesberg. Eingangsabbildung: © iStock.com / Comeback Images Kolumne Das physiologische Äquivalent Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch-- Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM- Alltag geben. Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. Sein Spezialgebiet ist die Regulation sozialer Komplexität zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams. Anschrift: BASF SE, RGQ / IM, 67 056 Ludwigshafen, eMail: Jens.Koehler@basf.com 72 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0060 Prof. Dr. Yvonne Schoper, Professorin für Internationales Projektmanagement an der HTW Berlin und Vizepräsidentin der International Project Management Association ( IPMA ), ist überraschend während einer IPMA -Konferenz in Nanjing, China, am 22 . April verstorben. Ein Nachruf. Mit dem plötzlichen Tod von Prof. Dr. Yvonne Schoper verliert die GPM ein höchstengagiertes Mitglied, eine leidenschaftliche Projektmanagement-Expertin und eine hochgeschätzte, langjährige Weggefährtin. Prof. Dr. Yvonne Schoper vertrat das Projektmanagement wie keine Andere, sowohl in ihrem beruflichen Alltag an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin als auch auf Konferenzen, Workshops und in Meetings in aller Welt. Ihre gesamte Karriere war vom Thema Projektmanagement durchzogen. Nach einem Studium zur Dipl.-Wirtschaftsingenieurin und einem M. A. in International Business in England und Frankreich folgte die Promotion an der Cranfield University in Großbritannien. Als Projektmanagerin für internationale Fahrzeugentwicklungsprojekte bei der BMW AG sammelte sie wichtige, praktische Erfahrungen im Projektmanagement. Seit 2003 war sie Professorin für Internationales Management, zuletzt an der HTW Berlin mit dem Schwerpunkt Internationales Projektmanagement. Zudem war Prof. Dr.- Yvonne Schoper als Gastprofessorin an der Tongji Universität, Shanghai und der University of Reykjavik, Island tätig. Ihr Interesse an internationaler Zusammenarbeit und Projektmanagement führte Prof. Dr.-Yvonne Schoper Anfang der 2000er Jahre schließlich zur GPM. Die Mitwirkung am Fachbuch „Internationales Projektmanagement- - Interkulturelle Zusammenarbeit in der Praxis“, welches lange als Standardwerk auf diesem Gebiet galt, brachte sie mit der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement e. V. in Kontakt, 2004 folgte der Eintritt. In der GPM fand Prof. Dr.- Yvonne Schoper schnell ihre thematische Heimat: die PM-Expertinnen und Projektmanagement-Forschung. Beide Themen wurden in der GPM Studienreihe „Gehalt und Karriere im Projektmanagement“ zusammengeführt, welche Prof. Dr.- Yvonne Schoper in mehreren Ausgaben betreute. Sukzessive übernahm sie im Bereich Forschung mehr Verantwortung in der GPM und wurde 2013 schließlich in den Vorstand der GPM gewählt (dessen Vorsitz sie von 2015-2016 innehatte). Dort übernahm sie unter anderem die Verantwortung für die D-A-CH Forschungswerkstatt für die GPM und betreute verschiedene weitere Studien. Insbesondere ist hier die 2015 erscheinende „Makroökonomische Vermessung der Projekttätigkeit in Deutschland“ zu erwähnen. Der Deutsche Studienpreis Projektmanagement (DSPM) lag Prof. Dr.-Yvonne Schoper ebenfalls sehr am Herzen-- als langjährige Juryleitung zeichnete sie zahlreiche Bachelor-, Master- und Dissertationsarbeiten zum Thema Projektmanagement aus. Ihre Forschungsaktivitäten trug Prof. Dr.- Yvonne Schoper über die GPM hinaus auch in die IPMA. Dort brachte sie sich in zahlreiche IPMA-Forschungskonferenzen ein. Für die GPM war Prof. Dr.-Yvonne Schoper als Delegierte in der IPMA tätig und wurde 2021 als Vizepräsidentin in das Executive Board (ExBo) der IPMA gewählt. Bei ihren Mitstreitenden war Prof. Dr.- Yvonne Schoper sowohl in Deutschland als auch international als leidenschaftliche Expertin für Projektmanagement anerkannt, die sich jederzeit für die Belange von jungen Menschen und Berufseinsteigenden, insbesondere Frauen, einsetze und sie mit ihrer Begeisterung für Projektmanagement ansteckte und förderte. Wir sind Prof. Dr.-Yvonne Schoper sehr dankbar für ihr Engagement und intensive Arbeit, für ihre Verdienste für die GPM und IPMA sowie für ihre prägenden Beiträge zur Erforschung und Weiterentwicklung des Projektmanagements. Sie hinterlässt eine große Lücke. Nachruf Nachruf zum Tod von Prof.Dr. Yvonne Schoper 73 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0061 Aus den DACH-Verbänden | GPM intern Die GPM Fach- und Regionalgruppen Neue Firmenmitglieder stellen sich vor-… Firma Hauptgeschäftsgebiet PM-Aufgaben und -Bedeutung Erwartungen an die GPM Stromnetz Hamburg GmbH https: / / www.stromnetzhamburg.de/ Beim Hauptgeschäftsgebiet von Stromnetz Hamburg handelt es sich um die Gewährleistung der Versorgungssicherheit im Bereich des Hamburger Stromverteilnetzes. Die wichtigste PM-Aufgabe bei Stromnetz Hamburg ist der Anlagenbau (Kabel, Freileitung und Umspannwerke), welcher in Projektarbeit abgewickelt wird, um die komplexen Herausforderungen zu meistern. Das heißt, solide Projektarbeit ermöglicht die Bewältigung komplexer Investitionsprojekte im Anlagenbau und schafft durch die damit verbundenen Investitionen Gewinne für das Unternehmen. Wir freuen uns vor allem auf das Netzwerken mit anderen Projektmanagement-Interessierten und die Versorgung mit aktuellen Informationen zum Thema Projektmanagement. NetCologne GmbH www.netcologne.com Arzu Gidengil, arzu.gidengil@netcologne.com Gegründet im Jahr 1994 gehört die NetCologne heute im Großraum Köln / Bonn / Aachen mit den umliegenden Kreisen und Gemeinden zu Deutschlands Vorreiter im Glasfaserausbau. Mit über einer halbe Million Privat- und Geschäftskunden gehört sie hierzulande zu den größten regionalen Telekommunikationsanbietern. Wichtigste PM-Aufgaben: Zentrale Administration, Planung, Steuerung und Reporting aller internen Großprojekte gemäß des firmeneigenen Projekt-Vorgehensmodells. Einsatz und fortlaufende Weiterentwicklung des Vorgehensmodells und der dazugehörigen Methoden, Tools und Templates, Organisatorische Bündelung der PM-Kompetenzen und Projektleitenden in einer eigenen PM-Einheit. Austausch und Netzwerk mit Projektleiterinnen und Projektleitern über z. B. neue Methodiken im Bereich Projektmanagement. Die derzeit 39 Regionalsowie 38 Fachgruppen der GPM bieten eine Plattform zum branchenübergreifenden Networking und Erfahrungsaustausch. Sie leisten damit wichtige fachliche Basisarbeit innerhalb des Vereins. Die Regional- und Fachgruppen bieten darüber hinaus ein breites Angebot von in der Regel kostenlosen Veranstaltungen zum Projektmanagement. Weitere Informationen und Ansprechpartner der einzelnen GPM Fach- und Regionalgruppen finden Sie auf der GPM Website unter: www.gpm-ipma.de / know_how / fachgruppen.html bzw. www.gpm-ipma.de / ueber_uns / regionen.html Aus den DACH-Verbänden | GPM intern 74 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0061 berbel Ablufttechnik GmbH www.berbel.de Konstantin Hammer Dunstabzugshauben und Kochfeldabzüge für Privatküchen: in der Küchenbranche hat sich der Abzugsspezialist mit dem berbel Prinzip und der patentierten Technik einen Namen gemacht. Das Prinzip setzt zur Fettabscheidung Zentrifugalkraft ein, so dass kein Fettfilter benötigt wird. Hocheffizient, ohne Saugkraftverluste und besonders einfach in der Reinigung. Engineering Made in Germany. Die Hauptaufgabe und das Ziel des PMOs bei berbel ist, die professionelle Planung und Durchführung von anspruchsvollen Projekten und die strategische Ausrichtung des Projektportfolios nach den Unternehmenszielen sowie die Weiterentwicklung und Wissensvermittlung von unterschiedlichen PM-Methoden und Prozessen. Durch die Mitgliedschaft erhoffen wir uns ein aktives Netzwerk, interessante Weiterbildungsmöglichkeiten, Erfahrungsaustausch und neue Inspirationen für die Projektabwicklung. Haertel Management Consulting GmbH www.h-mc.de Dr. Ingo Härtel, ingo.haertel@h-mc.de Die Haertel Management Consulting GmbH berät Unternehmen in den Bereichen Anforderungs-, Projekt- und Portfoliomanagement, Transformation und Prozessoptimierung, Prozessautomatisierung, Kostenreduzierung und Effizienzsteigerung. Wir realisieren quantitativ messbare Resultate durch umgesetzte und dauerhaft funktionierende Lösungen. Hierbei setzen wir den Fokus auf eine individuelle Problemlösung. Ein professionelles, dynamisches, ressourcenbasiertes und toolgestütztes Projektmanagement, mit dem Mensch im Mittelpunkt, sehen wir als wesentlichen Schlüssel für die erfolgreiche Umsetzung von Projekten. Informationen über aktuelle Themen zu erhalten, Teil eines professionellen Netzwerkes zu sein sowie Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten zu erhalten. Jetzt online lesen in unserer neuen eLibrary www.pmaktuell.de Der Online-Zugriff ist in den Leistungen für GPM Mitglieder inbegriffen. Noch kein GPM Mitglied? Schreiben Sie uns unter mitglieder@gpm-ipma.de. Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Unter Mitwirkung von: spm - Swiss Project Management Association und Projekt Management Austria P R OJ E K T M A N A G E M E N T A K T U E L L Anzeige 75 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0062 Fakt oder Fake: Projektmanagement zwischen den Realitäten Der pma focus ist Österreichs größter Projektmanagement-Kongress und findet am 12. Oktober 2023 im Austria Center Vienna statt. Das Thema könnte aktueller nicht sein: „Fakt oder Fake: Projektmanagement zwischen den Realitäten“. Gemeinsam mit Expert*innen werfen wir einen Blick darauf, welche Auswirkungen absichtlich vorgetäuschte Informationen auf das Projektmanagement haben und welche Möglichkeiten es gibt, Fakes frühzeitig zu erkennen. Auch heuer wird sich die Projektmanagement-Community am pma focus in Wien oder online treffen. © pma / L. Schedl Aus den DACH-Verbänden | pma intern Die Beschaffung von Informationen war noch nie so mühelos-- aber auch noch nie so anspruchsvoll wie heute. Immer öfter werden Unternehmen und ihre Projekte mit Fake-News in Verruf gebracht. „Die Gefahr ist, dass sich das Falsche verfängt,“ sagt Journalistin und Buchautorin Ingrid Brodnig. In ihrer Eröffnungskeynote wird sie Beispiele liefern, mit welchen Gerüchten und falschen Behauptungen Unternehmen heute konfrontiert sind und wie sie darauf reagieren. Dass der Weg von Fakt zu Fake heute ein sehr kurzer ist, weiß Kai Erenli. Er ist Jurist, Studiengangsleiter auf der FH BFI Wien und zertifizierter Projektmanager. Sein Vortrag wird die rechtlichen Aspekte des Themas behandeln. Welchen Nutzen KI für Projektmanagement hat Doris Weßels ist Professorin für Wirtschaftsinformatik mit Schwerpunkt Projektmanagement an der Fachhochschule Kiel und widmet sich in ihrer Keynote der KI im Projektmanagement. Walter J. Unger, Oberst und Leiter der Abteilung Cyber-Abwehr des österreichischen Bundesheeres, schildert in seinem Vortrag, welche Projekte es im Kampf gegen Fake News auf österreichischer wie auch auf EU-Ebene gibt. Humorvoller Abschluss Für den unterhaltsamen Abschluss sorgt Clemens Maria Schreiner. Er ist Kabarettist und bekannt als Moderator der ORF-TV-Show „Fakt oder Fake“, in der prominente Personen herausfinden müssen, was falsch und was richtig ist. Best- Practice-Vorträge, Workshops und die größte Projektmanagement-Messe Österreichs runden das Programm des pma focus 2023 ab. Interessierte können vor Ort oder auch virtuell teilnehmen. Infos unter pma.at / focus. pma Mitglied vor den Vorhang ARS Akademie 1010 Wien, Schallautzerstraße 2-4 www.ars.at / pm Kontakt: Niklas Schröfel, Bildungsberater Tel: : +43 1 713 80 24-78 E-Mail: niklas.schroefel@ars.at Hauptgeschäftsgebiet Mit 13 Fachbereichen erfüllt die ARS Akademie fast jeden Weiterbildungswunsch. Als größter privater Seminaranbieter in Österreich bietet sie auch Aus- und Weiterbildung im Bereich Projektmanagement an-- in Wien und im Virtual Classroom. PM Aufgabe und Bedeutung In 10 Tagen zum erfolgreichen Projektmanagement: von der optimalen Projektplanung, -controlling und -führung bis hin zu der praktischen Umsetzbarkeit von theoretischen Modellen für Risiko- und Krisenmanagement. Dank Übungen und Fallsimulationen können die gelernten Methoden und Tools direkt im Alltag angewendet werden. 76 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0063 Aus den DACH-Verbänden | spm intern spm Frühjahrstagung 2023: Verrückte Welt-- unsere Chance! 40 Jahre nach seiner Gründung hielt der Schweizerische Verband für Projektmanagement spm seine diesjährige Frühjahrstagung an einem besonders stilvollen Ort ab, dem Kongresshaus Zürich-- mit Alpenpanorama und mit Sicht auf den Zürichsee. Wer hat in letzter Zeit nicht schon gedacht, wir leben in einer verrückten Welt? Ob und welche Chancen das in Bezug auf Projektmanagement bietet, war der Fokus der Tagung, die mit Rainer Peteks Keynote «Masters of Uncertainty-- Projekterfolg in ungewissen Zeiten» eindrücklich startete. Der Extrembergsteiger berichtete anschaulich, wie er als Student gemeinsam mit einem Freund die Nordwand der Grandes Jorasses erfolgreich bestiegen hatte und was er damals und danach in den vielen Jahren als Profi-Bergführer für extreme Nordwände gelernt hat. Sehr vieles davon lässt sich gut auf die Anforderungen in Führung und Projektmanagement übertragen. So unterscheidet Rainer Petek Wunschvon Willenszielen: Ersteren begegnet man in den gängigen Neujahrvorsätzen, während sich Willensziele im Handeln zeigen. Der «roasroten Brille», mit der manche sich die ungewisse Zukunft schönreden, setzte er den Bewältigungsglauben entgegen, den man als Führungsperson zuerst bei sich selbst finden müsse. Statt eines fix definierten Ziels sollte man in unsicheren Zeiten einen Chancenfokus mit mehreren möglichen Zielen angehen und unterwegs adaptieren und lernen. Experimentieren mit kalkuliertem Risiko und zugleich Hochverlässlichkeit in den Bereichen, die klar sind, ergeben zwei Beine, auf denen man gut steht. Wo Bergführer und moderne Führungspersonen das «lange Seil» lassen und vertrauen, rief Claudia Seefeldt im nächsten Vortrag auf zu: «Neue Autorität-- ja bitte! », was aber nur auf den ersten Blick ein Widerspruch zum langen Seil ist. Der Begriff ‘Autorität’ ist heute meist negativ konnotiert, Frau Seefeldt verwies jedoch auf die Definition von Hannah Arendt, nach der Autorität von Freiwilligkeit und einer externen Quelle zur Legitimität geprägt ist. Die allseits bekannte VUCA-Welt sei schon vorbei, wir leben nun in einer BANI-Welt, die brittle (zerbrechlich), anxious (verängstigt), non-linear (nichtlinear) und incomprehensible (unverstehbar) sei. Heute «blühen» neue Organisationsformen. Es ist viel die Rede von transformationaler Führung, Soziokratie, Unbossing und psychologischer Sicherheit, aber in der Krise ist wieder Unterordnung und Gehorsam gefragt. Die von Gleichwertigkeit geprägten agilen Methoden treffen heute mehrheitlich noch auf Menschen, die in ihren Grundüberzeugungen bezüglich Autorität früher geprägt wurden, dies zu einer Zeit, in der Bildungseinrichtungen noch auf «alte» Organisationsformen trimmten. Das in der BANI-Welt erforderliche neue Autoritätsverständnis muss jedoch Beziehung und Kooperation fördern, was nur mit Vertrauen, Transparenz, Präsenz und Nähe gelingen kann, um nur einige der «Zutaten» zu nennen. Vielfalt und Multiperspektivität sind zwar anstrengend, tragen aber zu besseren Lösungen bei. Agile Methoden in der praktischen Anwendung lernten wir durch Stefan Känzig näher kennen. Er zeigte uns, wie die «Entwicklung von Hightech-Robotern mit agilen Methoden» gelang. Aus einer Prototyp-Entwicklung an der ETH Zürich entstand 2016 die Firma ANYbotics, die inzwischen so erfolgreich ist, dass Stefan Känzig leider keinen ihrer Roboter mitbringen konnte, da alle Roboter-Hunde sozusagen dienstlich unterwegs waren. Beim agilen Vorgehen ist es ganz wichtig, dass man auf jeder Stufe Nutzbares erzeugt. Wann immer man aufhört, muss man einen höheren Wert geschaffen haben. Mit diesem Vorgehen liessen sich bei ANYbotics jeweils nützliche und funktionierende Roboter erstellen, auch wenn zwischendurch Phasen der Investitionsgelder- und Kundengewinnung die Weiterentwicklung unterbrachen. Jeweils nach zwei Sprints erfolgte eine Demo des bis dahin gebauten Roboters, und das Feedback der Teilnehmenden floss natürlich in die weitere Entwicklung ein. Als besonders wichtig gab uns Stefan Känzig mit, dass man in der nächsten Demo dann aufzeigen sollte, was aus dem jeweiligen Feedback wurde. Zu den grössten Herausforderungen in seinen Projekten zählten die allseits bekannten Lieferschwierigkeiten, wodurch Standardteile oder mittels 3D-Druck selbst produzierte Teile den Vorzug bekamen. Seine Rolle als Projektleiter sieht Stefan Känzig als eine Art Schiedsrichter im Konfliktfall, ansonsten war das Vorgehen sehr demokratisch geprägt. Einen besonderen «Kick» bekam das Projekt durch die seit 2018 jährlich stattfindende ARCHE Veranstaltung, wo sich Roboter in einem realistischen Umfeld für die Katastrophenhilfe bewähren müssen. Von Robotern zu KI scheint es nicht weit, im nächsten Vortrag beleuchtete Marcus Glowasz «Data Analytics und KI-- Erfolgsfaktoren für das Projektmanagement». Obwohl Projekte immer komplexer werden und die Anforderungen immer höher, wird das Projektmanagement wie bisher geführt, beobachtete Herr Glowasz. Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander, Projektmanager sind «too busy to improve». Daten und KI könnten helfen, aber da KI oft als grosse Transformation angesehen wird, wird sie abschreckend mit hohen Kosten und langer Dauer assoziiert. Die Daten sind jedoch schon da, es braucht gar keine grosse Technik, beruhigt Herr Glowasz. Der Mensch wird auch nicht obsolet, er bleibt der grösste Erfolgsfaktor im Projekt, ist zugleich aber auch ein Risiko. Aus zu grossem Optimismus resultieren falsche Einschätzungen und Entscheide. Mehr Daten bedeuten auch mehr ‘Fake News’-- im Projekt nennt man das Statusbe- Aus den DACH-Verbänden | spm Frühjahrstagung 2023: Verrückte Welt-- unsere Chance! 77 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0063 richt, wie Herr Glowasz ironisch anmerkte. Datenkompetenz oder im englischsprachigen Raum ‘data literacy’ ist gefragt: Daten verarbeiten bedeutet Wissen erfassen und ausbauen, mit Daten kommunizieren erhöht die Transparenz und zusammen mit gesundem Menschenverstand können daraus neue Erkenntnisse gewonnen werden. Aus der Masse von bisherigen Projekten könnte man beispielsweise wertvolle Erkenntnisse zur besseren Planung gewinnen, indem man das sogenannte ‘reference class forecasting’ anwendet. Der Vortrag nach der Mittagspause ist üblicherweise der schwierigste, aber spm hat sich im Jubiläumsjahr dafür eine Überraschung einfallen lassen: mit Stephan Rigert erwartete uns ein ‘Experte für Zwischenräume’, dessen Hauptberuf ‘Schlagzeuger’ ja dasselbe bedeutet. Rasch waren diverse Perkussionsobjekte im ganzen Publikum verteilt und jede Gruppierung bekam von Herrn Rigert spezifische Aufgaben, was zusammen ein harmonisches und bewegendes Miteinander ergab. Danach wurde die Band auf der Bühne mit zwei Mitmusikern von Herrn Rigert zum Trio ausgebaut, und wir durften uns zurücklehnen und die Musik geniessen. «Was die Unternehmen benötigen sind agile Leader! » urteilte im folgenden Vortrag Bruno Jenny. Auch wenn wir es vielleicht gerne so hätten, wir können nicht die Agilität nur von anderen fordern und selbst dabei stabil bleiben, ermahnte er uns. Der Anteil von stabile(re)m ‘run the business’ zu ‘change the business’ hat sich nach seiner Wahrnehmung immer mehr verschoben. Der Anteil projektorientierten Arbeitens ist steigend. Loslassen-Können ist dabei eine der zentralen Eigenschaften, sowohl auf Unternehmensals auch Mitarbeitenden-Seite. Der agile Leader oder PL 5.0 muss so unterschiedliche Rollen wie Scrum Master, Product Owner, Agile Coach, Projektleiter und Linienmanager ausfüllen können und dazu die agilen Prinzipien, Praktiken und die agile Terminologie beherrschen und als Führungsperson den Servant Leadership Ansatz leben. Angesichts der Digitalisierung muss ein PL 5.0 natürlich auch etwas von Informatik verstehen und als Persönlichkeit andere Menschen motivieren und inspirieren können. Wer jetzt denkt, das klingt ja nach ‘eierlegender Wollmilchsau’ liegt falsch: nach Bruno Jenny ist die Ente das agilste Tier, weil es fliegen, schwimmen, laufen und tauchen kann. Mit dem Bild der Ente noch im Kopf ging es als nächstes tatsächlich aufs Wasser: Franziska Steidle-Sailer fragte, «Bringen wir alle ins selbe Boot? ». Die Vision einer luxuriösen, aber nachhaltigen und abgasfreien Yacht führte zum Projekt, die Aquon One zu bauen. Nicht die Ente, sondern der Mantarochen war dafür das Vorbild. Er reist grosse Distanzen, ist dabei elegant und sportlich, effizient und lautlos. Solarenergie und Wasserstoff machen das im Yachtbau theoretisch möglich, aber die Umsetzung erfordert eine kluge Personalwahl. Nur die besten Expertinnen und Experten in ihrem jeweiligen Fach kamen ins Projekt, aber nur, wenn auch die soft Skills passten. Dadurch ergab sich automatisch ein virtuelles Projektsetup, da diese Personen nur in verschiedenen Ländern zu finden waren. Klare Regeln und fixe Routinen waren laut Frau Steidle-Sailer ein weiterer, wesentlicher Faktor zum Erfolg und so konnte in einer Rekordzeit von vier Jahren das Ziel, ein zertifiziertes Schiff, erreicht werden. Wenn man bedenkt, dass 2018, zum Start des Projektes, Wasserstoff noch nicht populär war und weder Zertifizierungsstellen noch Versicherungen Erfahrung mit neuen Antrieben und Komponenten hatten, lässt sich nachvollziehen, welche grosse Hürden das Projekt zu nehmen hatte. Zum Abschlussvortrag wurde es wieder musikalisch, die Dirigentin Graziella Contratto sprach über «Flow und Charisma- - oder wie Orchester und Teams geführt werden». Videos veranschaulichten unterschiedliche Dirigier- und somit Führungsstile, von Sergiu Celibidache über Antonio Pappano zu Alondra de la Parra. Aber auch das Orchester spielt eine wichtige Rolle, so zeigte ein Video mit einem jungen Dirigenten Kleiber, wie Innovation an Behäbigkeit und Widerstand des Orchesters scheitert, während ein späteres Video desselben Dirigenten den idealen Flow zeigte. Als nächstes betrat ein professionelles Streichquartett Experten für Zwischenräume: das Team von Drumevents Aus den DACH-Verbänden | spm Frühjahrstagung 2023: Verrückte Welt-- unsere Chance! 78 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0063 die Bühne und mutige Menschen aus dem Publikum durften selbst ausprobieren, ob und wie Führung mit dem Dirigierstab gelingt. Beiden Freiwilligen gelang das ausgezeichnet und zum Dank erhielten sie einen Dirigierstab von Frau Contratto und grossen Applaus von Streichquartett und Publikum. Der Denkpinsel Michael Meier visualisierte im sogenannten Resonance Painting live in Echtzeit auf einer Grossleinwand, was in den Vorträgen zwischen den Zeilen schwang. So eine Tagung ist immer auch eine gute Gelegenheit für das Knüpfen von neuen und Pflegen von alten Kontakten aus dem Projektmanagement-Umfeld. Und noch intensiver gefeiert und vernetzt wurde im Anschluss, bei der 40-Jahre-Jubiläumsfeier des spm, musikalisch umrahmt und nach dem Essen zum Tanz animiert von der Band Barbie Q. Margarete Nuber spm Frühjahrstagung 2023 kompakt: Highlights und Zusammenfassung: https: / / www.youtube.com/ watch? v=6sXB5_mkqiE Jubiläumsfest: 40 Jahre spm am 6. Juni 2023 im Zürcher Kongresshaus https: / / www.youtube.com/ watch? v=PPjz7beOru4 40 Jahre spm: Wir haben miteinander gefeiert! 79 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0063 Grusswort von Dr. Hans Knöpfel (ehemahliger spm-Präsident von 2001- 2009) zum 40-jährigen spm-Jubiläum Ich bin kein Strategiespezialist. Das ist typisch für Projektmanager und Projektmanagerinnern. Sie sind nicht Spezialistinnen oder Spezialisten in wenigen Projektmanagementkompetenzen, sondern Spezialisten für das ganze Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement. Ich möchte versuchen, ein Beispiel für eine spm-Strategie zu erstellen. Es dürfte dem spm darum gehen, in den verschiedenen Ökosystemen Nutzen zu generieren, der im Verhältnis zum Aufwand, der dafür nötig ist, gut aussehen. Das könnten die spm-Mitglieder erreichen, indem sie in Organisationen arbeiten, die im Projekt-, Programm und Portfoliomanagement auf gutem Niveau professionell arbeiten bzw. arbeiten werden. Insbesondere werden die spm-Mitglieder darauf schauen, dass für die vielfältigen Projekte, Programme und Portfolios geeignete, spezifische Projektziele im betreffenden Kontext definiert und dann mit adäquaten Anpassungen erreicht werden. Ich bin kein spontaner Mensch. Deshalb habe ich versucht, meine Botschaft TV-like vorzubereiten. Das wär’s, von meiner Seite, zu einer spm-Strategie. Ich freue mich, wenn ihr weitere Beispiele erstellt und wünsche euch damit viel Erfolg! 80 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 03/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0064 Wie sind Sie zum Projektmanagement gekommen? Ich habe sehr früh in meiner Arbeit im Bereich Konstruktion & Entwicklung ein Faible für alles rund um das Thema Organisation entwickelt und bin dann später diesen Weg konsequent gegangen. Falls Sie kein Projektmanager geworden wären-- was stattdessen? Eine sehr gute Frage! Was es auch immer geworden wäre, es wäre ein technischer Beruf mit Kontakt zu Menschen im Bereich Metall oder Elektrotechnik geworden. Welches Projekt hat Sie besonders geprägt oder war für Sie besonders wichtig? Ein Projekt für eine neue Pressenlinie für Fahrzeugkomponenten. Der Spirit und das kreative Projektteam habe ich bis heute noch in sehr guter Erinnerung. An welchem Projekt arbeiten Sie gerade? An der Erweiterung unseres Produktportfolios durch einen niederohmigen elektrischen Messwiderstand (Shunt), der in Hochvoltanwendungen von Batteriemanagementsystemen zum Einsatz kommt und damit einen Beitrag zur E-Mobilität leisten wird. Gelten in Ihrem Bereich bestimmte Standards und Methoden? Wir sind im Bereich Automotive nach der international gültigen Normung IATF 16 949 auditiert und steuern unsere Projekte mit einem APQP-Prozess (Advanced Product Quality Planning). Welche historischen Projekte bewundern Sie am meisten? Den Bau des ältesten und noch arbeitenden Schiffshebewerks Niederfinow in Brandenburg, das 2007 die Auszeichnung „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ erhielt. Was wäre Ihr Traumprojekt? Ein Projekt, das meinem Team und mir genau so viel Spaß gemacht hat wie das letzte Projekt, das ist das nächste Traumprojekt. Was zeichnet Sie als Projektmanager besonders aus? Die Erfahrung, dass ich vor meiner Projektleiter-Zeit selbst Projekte aus verschiedenen Perspektiven erleben durfte und dabei gelernt habe, wie wichtig Kommunikation in Projekten ist. Was motiviert Sie, in Projekten zu arbeiten und Projekte zu leiten? Die Faszination, in einem Projekt das vorhandene Wissen einzubringen und mit neuen Situationen und neuen Projektgegebenheiten zu erweitern. Welche Tipps haben Sie für den Projektmanagement-Nachwuchs? Auf jeden Fall zu lernen, wie Menschen in einem Projekt zusammenarbeiten und wie wichtig Führung ist. Führungsfähigkeiten zu erlernen und zu verbessern ist ein hilfreiches Grundwerkzeug. Welche Eigenschaften schätzen Sie an Projektmanagern*innen am meisten? Die pragmatische und strukturierte Herangehensweise an eine Aufgabe. Was ist für Sie als Projektmanager das größte Glück? Ein Projekt ohne nennenswerte Eskalationsstufen und ein Projekt-Team, das jederzeit nach innen und außen eine feste Einheit bildet. Was ist für Sie als Projektmanager das größte Unglück? Wenn mein Projekt aus dem Ruder läuft und ich keine Kenntnis davon habe. Was sind zukünftige Trends? Die Projektmanagement-Methoden und Werkzeuge sind nicht mehr die zentralen Themen, sondern die Menschen in den Projekten. Was geben Sie den Lesern mit auf den Weg? Es ist sehr wichtig, dass man im Projektmanagement Leidenschaft mitbringt und trotzdem die Distanz und den Raum für sachliche Reflexionen lässt. Auf ein Wort mit-… Klaus Pfeiffer, Projektleiter bei der Isabellenhütte Heusler GmbH & Co. KG in Dillenburg Von Martina Peuser Zur Person | Klaus Pfeiffer ist Projektleiter bei der Isabellenhütte Heusler GmbH & Co. KG in Dillenburg. Im Bereich Entwicklung ist er verantwortlich für die Umsetzung von Präzisions- und Leistungswiderständen von der Konzeptphase bis hin zur Serieneinführung. Prof. Dr. Martina Peuser ist Professorin mit den Schwerpunkten Projektmanagement und Organisation, Unternehmensberaterin und Keynote Speakerin. Als Entwicklerin des Performance Check begleitet sie Unternehmen bei der Steigerung der Unternehmensperformance durch Agilität und absoluten Kundenfokus. In ihrer Kolumne gibt sie spannende Kurzeinblicke in Lebensläufe und Gedanken von im Projekt tätigen Personen. www.junfermann.de - Wir liefern versandkostenfrei! Birgitta Schuler Bilder bewegen - Coaching mit Metaphern Oft untermalen Klient: innen im Coaching ihre Problemthematisierung mit aussagestarken Sprachbildern. Wenn man als Coach mit diesen Metaphern arbeitet, kommt meist Bewegung in den Prozess. Die Metapher wirkt hierbei wie konzentriertes Storytelling; sie bildet die Essenz der Wirklichkeitskonstruktion der Erzählenden ab. Dieses Buch ist ein Plädoyer für den kreativen Umgang mit Sprache in Coaching und Beratung. Praxisnah beschreibt es Möglichkeiten und Auswirkungen eines metaphernsensiblen Beratungsstils. Nutzen Sie das schöpferische Potenzial von Sprache und die Wirkmacht von Metaphern für Veränderungsprozesse. 208 Seiten, kartoniert, E-Book inside • € (D) 28,00 • ISBN 978-3-7495-0445-9 • Auch als E-Book erhältlich Storytelling in Coaching & Beratung Birgitta Schuler NEU! Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Unter Mitwirkung von: spm - Swiss Project Management Association und Projekt Management Austria P R OJ E K T M A N A G E M E N T A K T U E L L Vom Kleinunternehmer über den Mittelstand bis hin zu weltweit agierenden Konzernen: Mit Projektron BCS und Projektron BCS.start bieten wir Ihnen die passende Lösung. Für klassische, agile oder hybride Projekte. 1. Platz Process Solution Award 2022 Prozessorientierte Reorganisation Prozessoptimierung Projektmanagement- Software auswerten koordinieren planen projektron.de BCS im dunklen Modus