PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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2023
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Unter Mitwirkung von: spm - Swiss Project Management Association und Projekt Management Austria P R OJ E K T M A N A G E M E N T A K T U E L L www.pm-aktuell.de Innovationen durch Projekte Ausgabe 5/ 2023 | 34. Jahrgang Projektmanagement Grundlagenseminar online 26.-28.02.2024 online 08.-10.04.2024 online 03.-05.06.2024 Künstliche Intelligenz im PM online 23.01.2024 online 26.04.2024 online 14.06.2024 Kommunikationsziele erreichen mit überzeugenden Texten online 23.-24.01.2024 online 23.-24.04.2024 Agil oder was? online 26.01.2024* online 12.04.2024* Nachhaltigkeit im und durch PM online 01.02.2024 online 25.04.2024 Digitalisierung und Digitale Transformation strategisch managen mit MPM und OKR online 07.-08.02.2024 online 13.-14.05.2024 Projektmanagement von oben: Anforderungen, Verantwortung, Aufgaben online 09.02.2024* online 31.05.2024* Crashkurs Projektmanagement-Praxis online 13.-14.02.2024 online 28.-29.05.2024 Modernes Selbst- und Zeitmanagement auf Basis von PM und OKR online 15.02.2024 online 30.05.2024 Wirksames Controlling von Projekten - klassisch, agil, hybrid and beyond online 15.02.2024 online 23.05.2024 Die Bedeutung des Projektmanagement- Office (PMO) für den Unternehmenserfolg online 20.02.2024 online 04.06.2024 Projektmanagement als Erfolgsfaktor in Geschäftsmodellen online 22.02.2024* online 24.04.2024* Situationsanalyse durch Prozessaufnahme - Methoden der Prozessmodellierung online 23.02.2024 online 22.04.2024 Projektmanagement mit Microsoft Project - vom Einsteiger zum Profi online 26.-27.02.2024 online 03.-04.06.2024 Emotional intelligentes Projektmanagement online 27.02.2024 Aktives Stakeholdermanagement mit Changemanagement-Anteilen online 01.03.2024 Erfolgreiches Personalmanagement in Indien Mannheim 04.-05.03.2024 Projekte beschleunigen, so geht’s! online 04.-05.03.2024 Projektmanagement mit Microsoft Project Online online 04.03.2024* online 10.06.2024* Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen (CSR) als Mehrwert bei der Mitarbeiterakquise online 05.03.2024 online 07.06.2024 Erfolgreiches PM mit Asien online 06.-07.03.2024 S-M-O-R-Fst Du schon? Die 5 Scrum Werte in der Organisation gestalten. Nürnberg 07.03.2024 Projekterfolge sichern - Konflikte lösen / Basisseminar online 14.-15.03.2024 Unsicherheiten erkennen und managen online 19.03.2024 Programm-Management zur Steuerung strategischer Transformationen online 21.03.2024 online 30.05.2024 Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung online 21.03-22.03.2024 Konfliktmanagement in Projekten mit dem Konfliktcanvas von www.pm-tiefe.de online 05.03.2024 (Einführung) Hamburg 03.-04.04.2024 Perfekte Stakeholderkommunikation - Erfolgsfaktor für jedes Projekt online 17.-18.04.2024 Agiles Mindset und Scrum als Vorgehensmethode - Umsetzung im agilen PM online 19.04.2024 Projektleitertraining Köln 10.-12.06.2024 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. I seminar@gpm-ipma.de I www.gpm-ipma.de Seminare für Ihren Projekterfolg 1. Halbjahr 2024 Bitte beachten: Änderungen vorbehalten. Aktuelle Infos unter: www.gpm.ipma.de/ seminare *Seminar findet halbtags statt Projektmanagement Grundlagenseminar online 26.-28.02.2024 08.-10.04.2024 03.-05.06.2024 Künstliche Intelligenz im PM online 23.01.2024 online 26.04.2024 14.06.2024 gpm-ipma.de/ seminare GPM Weiterbildung 1 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Am Tullnaupark 15, 90402 Nürnberg Unter Mitwirkung von Spm - Swiss Project Management Association Flughofstraße 50, CH-8152 Glattbrugg und Projekt Management Austria Palais Schlick, Türkenstraße 27/ 2/ 21, A-1090 Wien Redaktion: Prof. Dr. Steffen Scheurer, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (Chefredakteur) Oliver Steeger, Alfter (Ressort Report) Nadja Saoudi, GPM Nürnberg Dr. Thor Möller, prometicon projects GmbH, Bremen Redaktionsbeirat: Prof. Dr. Peter Thuy (Präsident GPM) Dr. Dieter Butz Axel Graser, Südwestrundfunk / SWR Prof. Dr. Nino Grau, Grauconsult GmbH Prof. Dr. Katrin Hassenstein, Hochschule der Medien Stuttgart Prof. Dr. Claus Hüsselmann, Technische Hochschule Mittelhessen Dr. Ingrid Giel, spm, Schweizerische Gesellschaft für Projektmanagement Brigitte Schaden, pma (Projektmanagement Austria) Prof. Dr. Doris Weßels, Fachhochschule Kiel G 6010 34. Jahrgang, 5/ 2023 ISSN 2941-0878 Verlag: UVK Verlag. Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5, 72070 Tübingen Telefon: +49 (0)7071 97 97 0 Telefax: +49 (0)7071 97 97 11 www.projektmanagement.digital © 2023 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Tübingen Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages. Namentlich gekennzeichnete Beiträge sowie die Inhalte von Interviews geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion oder des Verlages wieder. Zeitschriftenkoordination: Patrick Sorg eMail: sorg@narr.de Anzeigenverwaltung: Stefanie Richter Telefon: +49 (0) 89 / 120 224 12 eMail: richter@narr.de Erscheinungsweise: 5 Hefte pro Jahr Bezugspreise für Privatpersonen: Einzelheftpreis: EUR 20,- Jahresbezugspreis (print): EUR 67,- Jahresbezugspreis (print & online): EUR 88,- Bezugspreise für Institutionen: Jahresbezugspreis (print): EUR 67,- Jahresbezugspreis (print & online): EUR 198,- Preisänderungen vorbehalten. Der Bezugspreis für Mitglieder der GPM ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Alle Preise zzgl. Versandkosten und inkl. MwSt. Die Kündigung ist sechs Wochen vor Ende eines Kalenderjahres schriftlich an den Verlag zu richten. Sonderausgaben werden zusätzlich berechnet. Bei Nichterscheinen der Zeitschrift ohne Verschulden des Verlages oder infolge höherer Gewalt entfällt für den Verlag jegliche Lieferpflicht. Umschlagabbildung: © Piyapong89/ Shutterstock.com Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird die männliche Form verwendet (generisches Maskulinum). Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter und beinhalten keine Wertung. Impressum 2 Editorial 4 In eigener Sache Reportage 6 Das 89-Elemente-Projekt 13 Das Tunnelprojekt gegen den „Flaschenhals“ 18 Im Projekt historischen Fund zum Reden bringen 25 Iterativ vorgehen, in Szenarien denken und Stakeholder einbinden 28 Projekte holen Fachkräfte in kommunale Verwaltungen Wissen 33 Krisenbewältigung und Krisenarten 39 Projektmanagement praktisch erleben mit Project Based Learning 46 Die Revolution des Projektmanagements durch Künstliche Intelligenz 50 Digital souveränes Projektmanagement - Wie geht das? 55 Projektifizierung reloaded: Ergebnisse der zweiten Studie zum Stand der Projektifizierung in Deutschland PM Forum 60 Projekte vs. Prozesse - Symbiose oder Widerspruch 62 Nachhaltige Geschäftsmodellentwicklung: Systemdenken in der Gründungsberatung 64 „Langsamkeit ist keine Option.“ 66 Der Zukunftskongress Staat & Verwaltung 2023 im Rückblick 68 Rückblick auf das PM Forum Digital 2023 71 Kolumne Aus den DACH-Verbänden 72 GPM intern Die GPM Fach- und Regionalgruppen 74 pma intern 76 spm intern 78 Auf ein Wort mit-… Franka Richter Editorial | Innovationen durch Projekte 2 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0085 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, wir leben in herausfordernden Zeiten. Schon der Blick in die Nachrichten des Morgens kann ernüchternd wirken für den restlichen Tag. Zugegeben: Wer die Ereignisse auf der Welt in diesen Tagen aufmerksam verfolgt, findet genug Gründe für Sorgen. Auch deshalb wenden sich immer mehr Menschen von Nachrichten ab. In vielen Ländern vermeidet es inzwischen ein guter Teil der Menschen bewusst, überhaupt noch Nachrichten zu konsumieren. Sie schalten-- und schotten sich- - schlichtweg ab. So liegt der Anteil befragter Menschen, die manchmal oder sogar oft aktiv vermeiden Nachrichten zu konsumieren, laut Statista in Brasilien bei 54 %, in UK bei 46 %, in Frankreich bei 36 % und in Deutschland immerhin noch bei 29 %. [1] Die negativen Nachrichten nicht mehr wahrzunehmen-- das bedeutet dann natürlich auch: Viele Menschen entfalten keine Aktivitäten, die Dinge zu verbessern. Sie verweigern sich der Realität. Sie wollen weder Willen noch Kraft aufbringen. Ich bin überzeugt, dass es weiterhin viele gute, ermutigenden Nachrichten gibt. Nur leider sind diese medial nicht so präsent. Schlechte Nachrichten erzielen nachweislich einen höheren Aufmerksamkeitsgrad. Wir wollen in dieser Ausgabe der PM-AKTUELL dem inzwischen weit verbreiteten Pessimismus entgegenwirken. Wir leugnen nicht, dass es auch schlechte Nachrichten gibt. Was wir vor dem Hintergrund der zahlreichen Herausforderungen nicht brauchen, ist eine „Schockstarre“, sondern das Gegenteil. Wir wollen zeigen, wie Mut zu innovativen Problemlösungen führt. Wie Motivation Menschen hilft, diese Problemlösungen voranzubringen. Und wie gute Methoden den Erfolg ermöglicht-- Methoden, die wir mit dem Projektmanagement bieten. In diesem Heft zeigen wir, wie uns mutige MacherInnen mit ihren großen und kleinen Projekten voranbringen. Wir machen mit Ihnen zusammen einen Streifzug durch die guten Nachrichten aus der Welt der Projekte. Starten wir gleich mit einem der größten Infrastrukturprojekte in Nordeuropa: dem Bau des Fehmarnbelttunnels durch die Ostsee zwischen Dänemark und Deutschland. Lesen Sie den Report von Oliver Steeger , in dem er die Vorteile des Tunnels für die europäische Verkehrsinfrastruktur erklärt und die Herausforderungen zeigt, die solch ein großes Infrastrukturprojekt für das Projektmanagement mitbringt. In diesem Zusammenhang stellen wir Ihnen Gerhard Cordes vor, einen der Projektdirektoren, der dieses Projekt mitverantwortet. Projektmanagement trägt auf vielfältige Weise dazu bei, Lösungen für völlig neue Herausforderungen zu finden. Dies zeigt sich an dem Projekt zur Hebung eines historischen Hanseschiffes aus der Trave in der Nähe von Lübeck. Ingrid Sudhoff und Felix Rösch berichten in zwei Interviews über dieses archäologische Projekt. Wie das gemeinnützige Unternehmen „Lokalprojekte“ über Projekte Fachkräfte in kommunale Verwaltungen vermittelt, erzählen Charlotte Bock und Sabrina Hein im Interview. Innovationen durch Projekte Welche Rolle ein Projekt in einem komplett innovativen Lehrkonzept an der Hochschule Reutlingen spielt, zeigt Jochen Brune in seinem Beitrag. Vladislav Vodatinskij erläutert in seinem Beitrag die Innovationspotenziale, die Künstliche Intelligenz (KI) für das Projektmanagement selbst ermöglicht. Wie wichtig die Digitale Souveränität für das Projektmanagement ist und was dafür getan werden kann, machen Harald Wehnes und Guido Bacharach in ihrem Beitrag klar. Die Fachgruppe „Turnaround“ der GPM hat sich mit der Frage beschäftigt, wie erprobte Methoden zur Krisenbewältigung praxisnah aufbereitet werden können. Daraus ist eine Prozessbeschreibung entstanden, die Patrick Fiebeler vorstellt und die für die wichtigsten Arten von Krisen konkrete Schritte und Methoden empfiehlt. Andreas Wald, Christoph Schneider und Peter Thuy stellen in ihrem Beitrag die Ergebnisse der neuen Studie zur Projektifizierung der deutschen Wirtschaft 2022 vor. Darüber hinaus setzen wir in diesem Heft unsere Berichte aus dem PM-Forum 2023 fort. Dieses Mal beantworten Erich Dräger und Ralph Riedel die Frage, ob Projekte und Prozesse als zwei Seiten der gleichen Münze zu sehen sind. In einem weiteren Beitrag stellen David Paul Müller, Michael Holzner und Siegfried Zürn ein auf Systemdenken basierendes Business Model Canvas zur Geschäftsmodellentwicklung vor. Zudem gibt es aus der GPM Interessantes zu berichten. Lesen Sie den Rückblick von Maximilian Hahn zum Creative Bureaucracy Festival 2023 und von René Mittelstädt und Maximilian Hahn zum Zukunftskongress Staat & Verwaltung 2023. Am 9. und 10. November fand das PM Forum Digital 2023 mit über 450 Teilnehmerinnen und Teilnehmern unter dem Motto „Zeit für Projektmanagement! “ statt. Lesen Sie hierzu den Bericht von Antonia Zöls . Gerne möchte ich Sie auch noch auf den Bericht von Antonia Zöls zum Online-Vortrag "The Secret to a Successful Agile Transformation" von Jeff Sutherland , dem Mitentwickler des Scrum-Frameworks hinweisen. Zum Glück gibt es aus der Welt des Projektmanagements viele gute und erfreuliche Nachrichten. Nach wie vor sind Projekte und Innovationen in Wirtschaft und Gesellschaft vielfach nicht voneinander zu trennen. Das ist genau das, was wir auch in Zukunft brauchen: MacherInnen, die die Herausforderungen der Zukunft mit Projekten erfolgreich anpacken! Darüber werden wir auch im Jahr 2024 weiter berichten. Sie finden unter dem Hinweis „In eigener Sache“ die Schwerpunktthemen für das kommende Jahr. Wir freuen uns schon auf Ihre Anregungen und Beiträge im neuen Jahr. Aber zunächst wünschen wir Ihnen schöne und besinnliche Feiertage und ein gutes und glückliches Jahr 2024. Ihr Steffen Scheurer [1] https: / / de.statista.com/ infografik/ 27622/ umfrage-zum-aktiven-vermeiden-von-nachrichten/ Abruf am 26.10.2023 Mit der All-in-One-Software von PLANTA haben Sie alle Funktionen, die Sie für erfolgreiches Projektmanagement brauchen, in einem System. Ob klassische, agile oder hybride PM-Methode, ob Projekt oder Portfolio, Sie sind für alle Projektsituationen gerüstet. Präzise Planungsfeatures für Termine, Kosten, Ressourcen und Fortschritte sorgen dafür, dass Sie nicht nur weniger Zeit benötigen, um Projekte zu managen, sondern Ihre Projekte auch schneller zum Abschluss bringen. Dank der agilen Komponente reagieren Sie außerdem mit Leichtigkeit auf Projektveränderungen. Alle Projektteams behalten dabei den Überblick über ihre Aufgaben und kommunizieren Infos im Handumdrehen, egal ob im Büro oder am heimischen Schreibtisch. So nutzen Sie Ihre Arbeitszeit mit ungeahnter Effektivität. PLANTA als Hybrid-System - ein Extraschub für alle Teams im Unternehmen. So geht Projektmanagement in Zeiten der Digitalisierung Gewinnen Sie Zeit, Transparenz und Flexibilität: Planen Sie hybrid Jetzt informieren und Beratungstermin vereinbaren: www.planta.de 4 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0086 In eigener Sache PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL-- Themen 2024 Liebe Leserinnen, liebe Leser, im Jahr 2024 gehen wir der Frage nach, in welchen Bereichen von Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft Projekte einen echten Mehrwert leisten können. Wir wollen außergewöhnliche Projekte vorstellen-- und die Menschen, die diese Projekte umsetzen. Die Hefte der PM-AKTUELL werden sich wie gewohnt jeweils mit einem Schwerpunktthema befassen. Welche Rolle auch immer Sie im Projektmanagement haben: Praktiker, Wissenschaftler oder Studierende, Berater oder Trainer, Auftraggeber oder Stakeholder- - wir laden Sie ein, sich mit Ideen und Fachbeiträgen an unseren geplanten Schwerpunkten zu beteiligen. Als Themenschwerpunkte für 2024 sind geplant: • Künstliche Intelligenz im Projektmanagement Projektmanagement ist in Bewegung. Doch eine Entwicklung sticht besonders hervor: Die rasante Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI). Beim Projektmanagement hat KI das Potenzial, grundlegende Änderungen herbeizuführen. Welche Herausforderungen ergeben sich daraus für das Projektmanagement, welche Chancen ergeben sich? Wie kann KI-Einsatz bestehende Methoden des Projektmanagements verbessern-- oder sogar ersetzen? Wie können unterschiedliche Projektfunktionen unterstützt werden? Welche Herausforderungen kommen auf die Mitarbeiter- Innen mit dem Einsatz von KI im Projektmanagement zu? Welche praktischen Anwendungsfälle gibt es bereits, über die Sie berichten können? • Nachhaltigkeit in Projekten, Nachhaltigkeit durch Projekte Nachhaltigkeit ist derzeit eine der wichtigsten Herausforderungen im Projektmanagement. Projekte tragen im privaten sowie im unternehmerischen Umfeld dazu bei, heute und morgen die ökologischen, ökonomischen und sozialen Ziele der Nachhaltigkeit zu erreichen. Projekte werden initiiert, um Unternehmen und Gesellschaft auf die Ansprüche des European Green Deals vorzubereiten. Zudem stehen Projektverantwortliche vor der konkreten Aufgabe, ihre Projekte selbst nachhaltiger zu planen, zu managen und umzusetzen. Durch welche Ansätze können Projekte den unterschiedlichen Dimensionen der Nachhaltigkeit gerecht werden? Wie können Projektverantwortliche, Projektsponsoren, Auftraggeber und Stakeholder die Herausforderungen der Nachhaltigkeit erfolgreich bewältigen? Welche herausragenden Nachhaltigkeitsprojekte lohnt es sich vorzustellen? • Projekte zur Verbesserung und Weiterentwicklung der Infrastruktur Bei unserer Infrastruktur stehen wir vor Herausforderungen. Nicht nur braucht unsere Infrastruktur Erhaltung und Erneuerung. Auch müssen wir unsere Infrastruktur weiterentwickeln- - und sie teils völlig neu aufbauen und gestalten. Dies gilt unter anderem für die Verkehrsinfrastruktur, die Energieinfrastruktur- - oder auch für die Infrastruktur im Gesundheitswesen. Im Vordergrund stehen dabei Anforderungen wie die Digitalisierung und die Nachhaltigkeit. Ähnliches gilt für die Weiterentwicklung und Neuerstellung privater und öffentlicher Immobilien. Eine wichtige Rolle spielen hier veränderte gesellschaftliche Werthaltungen und die demografische Entwicklung. Wir wollen in diesem Schwerpunkt Projekte und Menschen aus der Wirtschaft und Verwaltung vorstellen, die sich mit neuen und fortschrittsweisenden Lösungen für unserer Infrastruktur einsetzen. • Projektmanagement und Wandel In vielen Bereichen ist der gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Wandel zunehmend dynamisch geworden. Projektmanagement bietet Organisationsformen und Methodiken, mit Veränderungen gut umzugehen. Zugleich verändert diese Dynamik auch das Projektmanagement selbst. Wir werden uns mit den veränderten Anforderungen beschäftigen, die sich aus den Sichtweisen der Generation Y und Z für das Projektmanagement ergeben. Zudem werfen wir einen Blick auf die Veränderungen im Projektmanagement. Wie entwickeln sich projektorientierte Unternehmen weiter: etwa in Hinblick auf das skalierte agile Projektmanagement oder auf Aufbau und Ausgestaltung von Projektmanagement-Offices (PMOs). Diese Fragen stellen sich auch für die Verwaltungen auf kommunaler, auf Landes- und auf Bundesebene. Zudem interessiert uns, welche Kompetenzen die Mitarbeiter im Projektmanagement in Zukunft zusätzlich erwerben müssen. Welche Rollen werden in Zukunft noch bedeutsamer? Wie werden die Karrierepfade aussehen im sich weiterentwickelnden Projektmanagement von Wirtschaft und Verwaltung? • Projekte in innovativen und kreativen Umgebungen Wir wollen über Projekte berichten, die sich mit der Entwicklung innovativer Produkte oder Dienstleistungen beschäftigen- - und dabei die Wirtschaft und Gesellschaft zukunftsfähiger machen. Dabei gilt: In manchen gesellschaftsrelevanten Bereichen sind die Vorteile von Projektmanagement zunächst wenig offensichtlich. Wir wollen In eigener Sache | PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL - Themen 2024 5 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0086 solche Projekte aufgreifen, beispielsweise Projekte aus der Kunst, des Denkmalschutzes oder der Archäologie. Darüber hinaus suchen wir immer spannende oder herausragende Projekte aus Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft, über die wir berichten können. Uns interessieren dabei auch die Menschen hinter diesen Projekten und deren Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen. Welche Menschen und Projekte kommen aus Ihrer Sicht in Frage? Schreiben Sie uns Ihre Ideen, Vorschläge und Angebote- - gerne auch zu Ihren konkreten Plänen für Artikelmanuskripte unter: artikel@pmaktuell.de Wir freuen uns auf Ihre Beiträge- - und werden Ihnen auch im Jahr 2024 spannende und interessante Themen in der PM-AKTUELL vorstellen. Ihr Steffen Scheurer powered by Projekte neu denken Welche Chancen bieten Digitalisierung und KI? 18. April 2024 / München 20 Speaker 2 Workshops 16 Vorträge 4 Methoden + 400 Teilnehmer www.pmwelt.com 5 Tracks Anzeige 6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0087 Der Fehmarnbelt-Tunnel schließt 2029 eine Lücke in Europa Das 89-Elemente-Projekt Oliver Steeger Fußgänger wie wir sind selten an Bord der Ostsee-Fähre vom deutschen Puttgarden ins dänische Rødby. Weshalb auch? Die meisten Passagiere kommen mit Sattelschleppern, Wohnmobilen und Autos; sie wollen weiter Richtung Skandinavien. Für sie ist die Fährfahrt eine Unterbrechung auf ihrer Reise, weil hier im europäischen Straßennetz eine Lücke von 18 Kilometern klafft. Unsere Reise dagegen endet im dänischen Küstenstädtchen Rødbyhavn- - wo rund 2000 Menschen an einem 7,3-Milliarden-Euro-Projekt daran arbeiten, diese Lücke zu schließen. Mit einem Tunnel durch die Ostsee. Dem Fehmarnbelttunnel. Während die LKWs und Autos rumpelnd die Fähre in Rødbyhavn verlassen, durchqueren wir menschenleere Gangways und Fußgängertunnel. Einiges davon könnte tatsächlich noch aus den 1960er Jahren stammen, als diese Fährverbindung eingerichtet wurde. Seither ging immer wieder das Gerücht um, dass es für die Reisenden auf der sogenannten Vogelfluglinie mit den zeitraubenden Fährfahrten bald ein Ende haben könnte. Schon im Jahr 1963 berichtete eine Hamburger Tageszeitung über eine technische Studie, die eine riesige Brücke an dieser Stelle empfahl. 1992 prüfte in Hamburg ein Team von Ingenieuren erneut die Machbarkeit einer Querung, gründlicher dieses Mal. Das Team sprach sich für einen Tunnel aus, einen Absenktunnel. Also einen Tunnel, der aus vorgefertigten Betonelementen am Meeresboden zusammengesetzt wird. Ob Brücke, ob Tunnel-- die Pläne für eine feste Verbindung zwischen Dänemark und Deutschland landeten immer wieder in der Schublade. Bis die Dänen das Projekt entschlossen in die Hand genommen haben. Jetzt liegt der Bau des Fehmarnbelttunnels gut in der Zeit, sagt Projektdirektor Gerhard Cordes. Gestartet auf dänischer Seite im Sommer 2020, soll der Tunnel für Bahn und Straßenverkehr im Jahr 2029 eröffnen. Der Lückenschluss auf der europäischen Nord-Süd-Magistrale wird Fahrtzeiten reduzieren- - von derzeit 45 Minuten für die Seepassage (plus Wartezeit und Zeit fürs Verladen) auf zehn Minuten für Autos und sieben Minuten für die Bahn. Gerhard Cordes- - hochgewachsen, in sich ruhend, direkter Blick-- ist derzeit noch mit dem Bau der Tunnelfabrik befasst. Bevor die jeweils 217 Meter langen Betonelemente für den Tunnel auf den Meeresgrund der Ostsee abgesenkt werden, müssen diese Fertigbauteile hergestellt werden. Dafür Die Graphik des Fehmarnbelttunnel im Querschnitt. In bis zu 40 Meter Wassertiefe verbindet er Dänemark und Deutschland. Abbildung: Femern A / S Reportage | Das 89-Elemente-Projekt 7 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0087 braucht es eine Fabrik. Diese Tunnelelementfabrik entsteht derzeit an der Küste unweit des Fährhafens Rødby, eine riesige Baustelle. Wir sind auf dieser Baustelle in einem geländegängigen Toyota unterwegs, stehen mit Helmen und Warnwesten auf der Böschung eines Dammes und überblicken das Gelände groß wie 310 Fußballfelder. Auf der Baustelle an Land herrscht Gewusel von Kippern und Kränen, Baggern und Betonmischern. Hinter einem Damm, der die Baustelle meerseitig abschließt, liegt grau und glatt die Ostsee. Gerhard Cordes zeigt auf drei riesige, weiße Fabrikhallen. Dort werden die Betonelemente wie am Fließband hergestellt. Serienfertigung auf sechs Produktionslinien, in Spitzenzeiten ein Element in neun Wochen. 89 Elemente mit jeweils zwei Röhren für Autos und die Bahn sowie einer Wartungsgalerie. Schon nächstes Jahr, 2024, will Gerhard Cordes die ersten Betonelemente aufs Meer hinausbringen und in einen Graben am Meeresboden absenken lassen. Gerhard Cordes gehörte in den 1990ern Jahren zu dem Hamburger Projektteam, das den Absenktunnel als technisch optimale Lösung empfohlen hatte. Das war zu Anfang seiner Karriere. Nun, dreißig Jahre später, ist er mit dabei, diese Lösung zu verwirklichen. „Die damalige Studie und mein heutiges Projekt haben nichts miteinander zu tun“, betont er. Dennoch zieht sich die Fehmarnbeltquerung wie ein roter Faden durch sein Berufsleben: verknüpft mit anderen Fäden, doch mit deutlich sichtbarer Linie. Schon in Hamburg erkannte Gerhard Cordes die Herausforderung dieses Vorhabens in der Ostsee. Eine Tunnelröhre zu bohren kommt unter anderem aus geologischen Gründen nicht in Frage. Stattdessen wird ein 18 Kilometer langer Graben ausgehoben. Dort werden-- in bis zu vierzig Meter Wassertiefe-- die jeweils 73.000 Tonnen schweren Betonelemente zusammengefügt. Alle knapp zwei Kilometer gibt es ein Spezialelement mit einem Untergeschoss für die Versorgung des Tunnels. Diese Technologie ist nicht neu. Viele Unterwassertunnel wurden so gebaut. Einer der ersten Absenktunnel entstand 1910 unter dem amerikanischen Detroit River. In Deutschland wurden beispielsweise der Neue Elbtunnel Hamburg, der Frankfurter City-Tunnel unter dem Main sowie der Warnowtunnel in Rostock mit dieser Methode gebaut. Dennoch-- wie ist das möglich? Die riesigen Elemente bauen, aufs Meer hinaustransportieren und absenken? Sie mit den anderen Tunnelelementen verbinden-- fest und wasserdicht? Etwas überrascht über die Frage antwortet Gerhard Cordes: „Das ist technisch machbar. Das kriegen wir gut hin! “ Dies steht für ihn schon seit über dreißig Jahren fest. Das Arbeitsprinzip zu begreifen ist eine Herausforderung für Menschen, die weder Ingenieure sind noch je über die Frage nachgedacht haben, wie Unterwassertunnel entstehen. Es hilft, sich das enorme Gewicht und die Größe der Tunnelelemente vor Augen zu führen-- und dabei im Kopf zu behalten, dass solch ein röhrenartiges Element schwimmen kann, wenn es an beiden Enden luftdicht verschlossen ist. Die Tunnelelementfabrik ist durchgetaktet wie eine Automobilproduktion. Im Arbeitshafen (von unserem erhöhten Standpunkt am Horizont zu sehen) werden Bewehrungsstahl, Rohstoffe für den Spezialbeton und andere Materialien angelandet und in einem Lager bevorratet. In mehreren Mischanlagen wird der Spezialbeton gemischt. Dann die drei weißen Fabrikhallen mit ihren Produktionsstraßen: Am Anfang der Produktionsstraße entstehen aus dem Bewehrungsstahl die haushohen Stahlskelette für die einzelnen Segmente (ein Tunnelelement besteht aus neun Segmenten). Im weiteren Verlauf der Produktionsstraße werden diese Stahlskelette mit Spezialbeton ausgegossen. Segment für Segment- - bis schließlich ein komplettes Element fertig ist. Ist der Beton der Elemente ausgehärtet, verlassen sie die Fabrik in Richtung Ostsee: Zunächst werden sie von der Fabrik aus in ein Schleusenbecken geschoben. Sind sie dort angekommen, wird das Becken geflutet. Trotz ihres Gewichts schwimmen die an beiden Enden abgedichteten Betonelemente. Nach dem Fluten schwimmen die Elemente auf Höhe des Meeresspiegels. Das Schleusentor öffnet sich. Pontons heben dann das beschwerte Element an, und mit Schleppern wird es hinaus aufs Meer gezogen, wo es schließlich vorsichtig abgesenkt wird. Auf der Baustelle an Land laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren, damit die ersten fertigen Elemente im kommenden Jahr ausgeschwommen und abgesenkt werden können. „Wir müssen für die Elemente keinen Auftrieb schaffen“, sagt Gerhard Cordes, „sie schwimmen von allein, und wir brauchen sie nur zu halten und auszuschiffen.” Wie Korken im Wasser. „Wir setzen dann Ballastbeton ein, um die Elemente abzusenken“, erklärt Gerhard Cordes. Der extra Ballastbeton gleicht das Gewicht aus, dass später die fehlenden technischen Anlagen im Tunnel haben werden. Ein feiner Balanceakt. Wir blicken aus der Höhe in eines dieser halbfertigen Schleusenbecken herunter. Die drei Becken vor den Fabrikhallen sind längst ausgehoben, die Dämme haushoch aufgeschüttet. Kräne arbeiten an den riesigen Schleusentoren. Winzig klein wirken die Bagger und Lastwagen, die sich am trockenen Grund bewegen. Wir stellen uns vor, wie das Becken wirkt, wenn es geflutet ist: groß wie ein See. Während an den Becken noch gearbeitet wird, entstehen in den Produktionshallen bereits die ersten Tunnelsegmente. Die Segmente müssen beim Betonieren „in einem Guss“ gefertigt werden, um Fugen zu vermeiden. Dies ist eine technische Herausforderung. Noch immer laufen Tests, um Details Schon bald geflutet: Der Blick in eines der Schleusenbecken (Stand: August 2023) Foto: Oliver Steeger Reportage | Das 89-Elemente-Projekt 8 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0087 der Betonrezeptur zu verbessern: die optimale Zusammensetzung, die Abbindezeit, die Feuchtigkeit in den klimatisierten Hallen. Zum einen muss der Beton extrem langlebig für den Einsatz unter Wasser und wasserdicht sein (da sind wir wieder bei der Laien-Frage mit der Abdichtung). Zum anderen muss man den Beton in der Fabrik gut verarbeiten können. Beim Betonieren in einem Guss gelten die Übergänge zwischen der Bodenplatte, den Wänden und der Decke als besonderes schwierig. Es darf nicht zu Fugen oder gar Rissen kommen. Deshalb werden dem Beton auch Substanzen zugesetzt, die das Abbinden bis zu acht Stunden hinauszögern- - und langsames Gießen ermöglichen. Und der Beton muss transportabel sein; Hochleistungspumpen müssen ihn bis zu 400 Meter weit von den Mischanlagen zu den Produktionsstraßen befördern können. „Wir lernen noch immer bei den Details“, sagt Gerhard Cordes. Dieses Lernen ist wichtig für ihn. Es geht ihm nicht nur darum, Probleme zu lösen-- sondern frühzeitig zu erkennen, wo überhaupt solche Probleme entstehen können. „Im Vorfeld haben wir beispielsweise ein Testelement hergestellt, um Abläufe durchzuspielen und die Betonqualität testen zu können“, erklärt er. Hinzu kommen die ungezählten Schnittstellen in diesem Großvorhaben. Das Tunnelbauprogramm ist in mehrere große Verträge unterteilt, jeder davon ein eigenes Projekt. Gerhard Cordes leitet eines dieser Projekte, das größte. Er ist bei dem dänischen Bauherrn Femern A / S der Direktor für den Bau der Fabrik, das Herstellen der Tunnelelemente und das spätere Absenken der Elemente. Im Projekt laufen viele Arbeiten parallel, anders wäre der Zieltermin kaum zu halten. Die Herausforderung: Hinterher muss alles zusammenpassen, häufig buchstäblich auf den Zentimeter genau. „Dies macht das Projekt komplex“, sagt er, „damit muss man umgehen.“ Beispielsweise hat er Spezialisten im Team eigens dafür, die Schnittstellen zu managen. Für ihn selbst sind solche Schnittstellen- - überhaupt die Komplexität von Projekten- - ein berufliches Lebenselixier. „Ich liebe solche Herausforderungen“, sagt er und reibt sich die Hände. Ein Signal für uns: Weiter geht es auf der Baustelle. Durch eine Seitentür betreten wir eine der Produktionshallen, groß wie ein Flugzeughangar. Wegen der erforderlichen Betonqualität ist die Halle das ganze Jahr über auf rund 20 Grad klimatisiert. Wir stehen am Anfang einer Produktionsstraße und blicken auf ein riesiges Gerippe aus Bewehrungsstahl. Dutzende Arbeiter in orangefarbener Spezialkleidung und blauen Helmen formen hier das Skelett der späteren Segmente: Rotbraune Stahlgeflechte, in die später der Beton gegossen wird, so groß, dass wir den Kopf in den Nacken legen müssen, um ihre Ausmaße zu betrachten. Wer dabei genau hinschaut, kann die Konturen des späteren Tunnels ausmachen: die breiten Röhren für den Autoverkehr, die schmaleren für die Züge sowie die kleinere Röhre für die Wartungsgalerie. Wie Schablonen helfen blaue Gerüste den Bewehrungsstahl exakt zu montieren, erst die Bodenplatte, dann die Seitenteile, schließlich die Decke. „Wir haben hier viele Monteure aus Polen und Rumänien“, erklärt Gerhard Cordes, „das sind Könner! Richtig gute Leute-- präzise, zuverlässig, verantwortungsvoll.“ Dieses Thema ist ihm wichtig. „Neben unseren Ingenieuren, die auf Großprojekten in der ganzen Welt gearbeitet haben, brauchen wir auf der Baustelle Arbeiter, die Verantwortung übernehmen“, ergänzt er, „denen nicht nur die Tagesarbeit vor Augen steht, sondern die das ganze Projekt im Blick haben. Beispielsweise kleine Fehler, selbst wenn sie ihnen unbedeutend erscheinen, sofort melden und kommunizieren. Weil diese Fehler vielleicht für das Ganze Bedeutung haben.“ Er schaut uns direkt an. „Ohne solche Mitarbeiter können Sie solche komplexen Projekte nicht durchführen.“ Nach seiner Hamburger Zeit rückte die Fehmarnbeltquerung für Gerhard Cordes in den Hintergrund. Er durchlief alle Positionen bei einem großen deutschen Baukonzern bis zum Divisionsmanager. Dann bekam er die Chance für ein Großprojekt in Katar. Er sollte den Bau eines neuen Stadtteils als Projektdirektor leiten, 6000 Apartments in unterschiedlichen Häusern, ein Milliardenprojekt, damals das größte seines Arbeitgebers. „Eine faszinierende Herausforderung“, sagt er, „technisch und kulturell komplex.“ Nach Abschluss ging er nach Bahrain-- und kehrte bald wieder nach Katar zurück, um dort eine U-Bahn zu bauen mit 21 Tunnelbohrmaschinen und neunzig Kilometer Röhre („Das war damals Weltrekord! “). Parallel zur U-Bahn baute das Land einen sechsspurigen Highway, alles parallel gemanagt. In diesen Projekten kultivierte er das, was ihm ohnehin im Blut liegt: Offenheit, Redlichkeit, Verlässlichkeit. Nichts unter den Teppich kehren. Auch (und vor allem) dann, wenn er mit Auftraggebern über Probleme zu reden hatte. Über seine Projekte berichtet Gerhard Cordes ohne jede Eitelkeit. Beim Titel Projektdirektor betont er den Wortteil „Projekt“, nicht den „Direktor“. Er hat gelernt, souverän Verantwortung zu übertragen. Loszulassen plagt ihn nicht. Eher plagte ihn, dass einige sich scheuten, die Verantwortung anzunehmen, die er ihnen angeboten hat. Auch, wenn er lau- Grafsche Darstellung eines der Tunnelelemente. Abbildung: Femern A / S repräsentative Studie zum Anteil der Projektarbeit in Deutschland 2023 uvk.de Reportage | Das 89-Elemente-Projekt 10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0087 fend versicherte, dass niemandem bei Fehlern „der Kopf abgerissen wird“, wenn sie rechtzeitig mitgeteilt werden. „Soll ich jede Entscheidung gegenzeichnen oder gar selbst fällen? ! ? “, fragt er rhetorisch. Nein, das würde nur die Entscheidungen verzögern und dem Ziel kaum dienen. Seine Spezialisten kennen die Sache, über die entschieden werden muss, viel besser als er. „Dafür hat man doch die Spezialisten“, sagt er. Bei alledem klingt nicht der leiseste Stolz auf einen modernen Führungsstil im Projektmanagement durch. Sondern nur sachliche Notwendigkeit und Verpflichtung für die Sache-- für das in seiner Komplexität einzigartige Projekt. Der Fehmarnbelttunnel wird mit Abstand der längste Absenktunnel der Welt werden. Allein diese Dimension macht das Projekt einzigartig. Wir bringen das Gespräch nochmals auf die Frage zurück, weshalb man sich bei der festen Fehmarnbeltquerung für einen Tunnel entschieden hat. Warum wurde die lange Zeit diskutierte Idee für ein imposantes Brückenbauwerk dann doch verworfen? „Die Brücke hätte massive Eingriffe in das Ostseegebiet bedeutet“, erklärt Gerhard Cordes.-- Moment! Gilt dies nicht auch für einen Absenktunnel? „Auch der Tunnel bedeutet einen Eingriff, dies bestreitet niemand“, entgegnet er. Aber? „Diese Eingriffe sind temporär. Wir heben am Meeresboden einen Graben aus, senken Elemente ab und verfüllen den Graben wieder.“ Die Natur könne sich danach erholen. Das habe das Beispiel des Öresundtunnels zwischen Dänemark und Schweden gezeigt. Anders bei der Brücke. „Die massiven Pfeiler hätten das gesamte Ökotop beeinträchtigt“, sagt Gerhard Cordes, „und zwar nicht nur während der Bauzeit, sondern auch darüber hinaus.“ Der Fehmarnbelt ist eine „Straße“ für Millionen von Zugvögeln (was den Namen “Vogelfluglinie” erklärt). Die angedachte Schrägseilbrücke wäre für die Tiere eine große Gefahr für Kollisionen gewesen. Darüber hinaus hätten die Pfeiler die Meeresströmung verändert, eine Gefahr wiederum für die Unterwasserwelt. Hinzu kommt der Wind an der Ostsee: bei unserem Besuch der Baustelle kaum spürbar, doch zu anderen Zeiten kräftig bis stürmisch. Hier im Norden an der Küste müssen exponierte Brücken immer wieder gesperrt werden wegen zu starken Seitenwinden, die mitunter Sattelschlepper ins Wanken bringen. „Man kann dieses Problem natürlich mit Windschutzwänden in den Griff bekommen“, sagt Gerhard Cordes, „doch das bedeutet enormen Aufwand für die Konstruktion. Greift der Wind diese Schutzwände an, darf die Brücke nicht ins Schwingen kommen.“ Dafür hätte es aufwändige Verstärkungen gebraucht, bis hin zu den Fundamenten, kostspielig und zusätzlich belastend für das Ökosystem. Und noch: Der Fehmarnbelt ist eine vielbefahrene Wasserstraße mit rund 40.000 Schiffsbewegungen im Jahr von Ost nach West. Zusätzlich noch 30.000 Bewegungen der Fähre zwischen Fehmarn und Lolland in Nord-Süd-Richtung. Vor allem die Frachtschiffe werden immer größer. Für eine Brücke hätte dies bedeutet, dass sie hätte hoch-- sehr hoch-- sein müssen. „Solch eine hohe, freischwebende Schrägseilbrücke können Sie auf zwei Kilometer Länge bauen, mit technischen Innovationen vielleicht auf 2,5 Kilometer“, sagt Gerhard Cordes, „viel länger geht es nicht.“ Der Rest der Brücke hätte aus sogenannten Vorlandbrücken auf vielen Pfeilern bestanden, kaum hoch genug selbst für mittelgroße Schiffe. Kurz, eine Brücke hätte sich unweigerlich als Barriere auf den Schiffsverkehr ausgewirkt. 2008 fiel der politische Beschluss, überhaupt eine feste Querung zu bauen. Damals unterschrieben Deutschland und Dänemark einen Staatsvertrag. Nach intensiven Variantenvergleichen folgte 2011 schließlich die Entscheidung für den Absenktunnel, eine Technologie, mit der man bereits zur Jahrtausendwende bei der Öresundverbindung gute Erfahrungen gemacht hatte. Danach schloss sich die Zeit der Planungs- und Genehmigungsphase an- - und zwar in Dänemark und Deutschland. 2015 verabschiedete Dänemark ein Gesetz für den Bau des Fehmarnbelttunnels. In Deutschland dauerte dies länger. Vier Jahre nach dem dänischen Beschluss, 2019, wurde der Planfeststellungsbeschluss erlassen. Dem folgten Klagen, die das Bundesverwaltungsgericht Ende 2020 allesamt abgewiesen hat. Seitdem besteht auf beiden Seiten des Belts Baurecht für den Fehmarnbelttunnel. Dass der Genehmigungsprozess in Dänemark schneller Fortschritte machte, hängt auch mit der Mentalität der Dänen zusammen. Sie sind stolz auf die Infrastruktur ihres Königreichs. Vielleicht lenkte der deutliche politische Wille das Projekt in fruchtbare Bahnen. Erörtern Dänen ein politisch beschlossenes Infrastrukturprojekt, zeigt sich häufig ein in Deutschland seltenes Muster: Es geht kaum um das „ob überhaupt“, sondern um das „wie genau“. „In Dänemark werden solche Projekte gemeinsam entschieden, und viele Menschen werden einbezogen“, erklärt Gerhard Cordes. Ist die Sache einmal beschlossen, geht es voran und konstruktiv weiter. Generell ist man in Dänemark mehr bereit, die Vorteile eines Projekts zu erkennen-- und dann zu versuchen, Nachteile so weit wie möglich einzudämmen. Gerhard Cordes macht diese Beobachtungen an dem Beispiel der Umweltverbände fest. Natürlich haben die Fachleute der Verbände erkannt, dass der Bau des Tunnels einen Eingriff in die Natur mit sich bringt. „Doch die Diskussionen haben sich schnell darauf gerichtet, wie man die Probleme konstruktiv lösen kann, entweder durch sinnvolle Begrenzung des Eingriffes oder durch Ausgleichsmaßnahmen“, berichtet er, „bei unserem Projekt haben die dänischen Naturschutzverbände die Chancen gesehen, die dieses Projekt mit sich bringt, und letztlich auch Chancen für den Umweltschutz selbst.“ Mehr noch, die Ver- Die Anlagen im dänischen Küstenstädtchen Rødbyhavn: Hier werden die Elemente für den Absenktunnel hergestellt. Foto: Femern A / S Reportage | Das 89-Elemente-Projekt 11 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0087 bände beteiligen sich mit ihrem Wissen, um die Auswirkungen der Bauarbeiten so gering wie möglich zu halten. „Sie sind aktiv beratend dabei, wenn wir die Schutzmaßnahmen umsetzen“, sagt Gerhard Cordes. Der dänische Pragmatismus gefiel auf der anderen Seite des Belts nicht jedem. Zwar liegt das Projekt samt Finanzierung komplett in dänischer Hand, doch es ist auf Genehmigungen auf deutscher Seite angewiesen. Das Planfeststellungsverfahren löste hunderte von Einwendungen aus und provozierte Klagen. Im Herbst 2020 zog das deutsche Bundesverwaltungsgericht einen Schlussstrich unter die Rechtsstreitigkeiten und entschied für den Tunnel. Das Verfahren war das größte in der Geschichte dieses Gerichts, so umfangreich, dass die Räumlichkeiten des Gerichts nicht ausreichten und man eigens eine Kongresshalle anmieten musste. Heute denken Gerhard Cordes und seine Kollegen nicht nur Naturschutz im Projekt laufend mit, sondern auch Nachhaltigkeit. Drei Beispiele: • Der Tunnel ist technisch auf eine Lebensdauer von mindestens 120 Jahren ausgelegt, eine beachtliche Lebensspanne für ein Unterwasserbauwerk aus Stahl und Beton. • Die Tunnelelementfabrik, ursprünglich nur für den Bau des Fehmarnbelttunnels gedacht, wird sehr wahrscheinlich nach Vollendung für andere Projekte weitergenutzt, möglicherweise sogar für andere Absenktunnel. „Wir können mit Schleppern und Pontons Elemente praktisch überall hinbringen, wo solch ein Tunnel entsteht“, sagt Gerhard Cordes. • Während des Baus des Fehmarnbelt-Tunnels haben die Beteiligten laufend nachhaltige und umweltfreundliche Lösungen im Blick. Beispielsweise ist der für die Tunnelelemente und andere Bauten verwendete Beton klimafreundlich hergestellt. Er hat, wie man uns sagt, einen um bis zu 20 Prozent geringeren CO2-Fußabdruck als konventionelle Zementmischungen. Ähnlich der Wasserverbrauch in den Fabrikhallen. Das Wasser für die Reinigung von Technik nach dem Betoniervorgang wird mehrfach wiederverwendet. „Das sind viele kleine Bausteine, die sich aufsummieren“, erklärt Gerhard Cordes. So beeindruckend der Bau der Tunnelelement-Fabrik in Rødbyhavn ist-- die eigentliche Tunnel-Baustelle liegt im Verborgenen bis zu vierzig Meter unter Wasser. Die an Land produzierten Betonelemente werden demnächst einzeln in einen durchschnittlich zwölf Meter tiefen und bis zu 100 Meter breiten Graben herabgelassen. Mit dem Aushub dieses Tunnelgraben- - rund 15 Millionen Kubikmeter Erdmasse- - wird an der dänischen Küste Land aufgespült: Natur- und Freizeitflächen mit über 300 Hektar. Dem Absenken der Elemente sieht Gerhard Cordes mit Spannung entgegen. Das erste Element wird mit dem dänischen Tunnelportal verbunden. Rund 48 Stunden dauert der Absenkprozess auf das Kiesbett im Tunnelgraben, ein auf Millimeter genauer Prozess. „Mit GPS und anderen Navigationstechnologien, über die wir heute verfügen, kann man die nötige Präzision gut erreichen“, sagt er. Diese Präzision ist absolut nötig, letztlich auch, um die Fugen zwischen den Elementen abzudichten. Damit sind wir bei einer Frage, die sich uns während des Besuchs auf der Baustelle immer wieder gestellt hat: Wie werden die 73.000 Tonnen schweren Elemente unter Wasser so aneinandergefügt, dass kein Wasser in den Tunnel eindringen kann? Vielleicht eine Art Kitt oder Beton? Falsch getippt! Die Lösung in diesem Projekt ist ebenso simpel wie herausfordernd. Zwischen den Elementen besteht ein Hohlraum. Beim Absenken ist dieser Hohlraum mit Wasser geflutet. Sind die Elemente an Ort und Stelle, wird das Wasser aus dem Hohlraum gepumpt. Der entstehende Unterdruck verbindet die Elemente fest. Wie ein Saugnapf. Und-- das klappt dann auch alles mit der benötigten Präzision? Gerhard Cordes schaut uns fest in die Augen: „Glauben Sie mir, das funktioniert! Wir haben alles präzise berechnet und geplant mit 3-D-Modellen und BIM-Modellen.“ Der Fehmarnbelttunnel ist ein Präzisions-Projekt. Nichts, aber auch gar nichts, bleibt dem Zufall überlassen. Es wird vorab getestet, modelliert, simuliert. Ein Beispiel: Die Arbeiten in der Ostsee-- den Tunnelgraben ausheben, die Elemente absenken, den Graben verfüllen-- verursachen Unterwasserlärm. Dies kann beispielsweise die geschützten Schweinswale beeinträchtigen. Deshalb existieren scharfe Grenzwerte für den Unterwasserlärm. Das Überschreiten der Grenzwerte bedeutet einen rigorosen Stopp für die Bauarbeiten. Ingenieure erstellten deshalb detaillierte Berechnungen und spielten Simulationen durch, um herauszufinden, welche Baumaschinen in welchen Konstellationen welchen Lärm emittieren. Jedes einzelne Unterwassergerät floss in die Simulationen ein. „Wir haben kritische Punkte ermittelt und können unsere Arbeiten so planen und überwachen, dass wir die Grenzwerte sicher einhalten“, erklärt Gerhard Cordes. Später, als wir nach dem Besuch der Baustelle in einem Besprechungsraum sitzen, fragen wir Gerhard Cordes, ob diese Komplexität, dieses ständige Vorausdenken, dieses ständige Vorwegnehmen und Lösen von Problemen-- ob dies alles Der Absenkvorgang der Tunnelelemente in einer Grafik. Abbildung: Femern A / S Reportage | Das 89-Elemente-Projekt 12 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0087 nicht zu einer Last für ihn wird. Gerhard Cordes schaut uns überrascht an. „Nein, überhaupt nicht.“ Auf solche Projekte ist er vorbereitet, und er fühlt sich von ihnen angezogen. Das gilt besonders für den Fehmarnbelttunnel. Am Anfang seines Berufslebens hat er die technische Vision für den Tunnel mitentwickelt. Er sammelte Erfahrungen beim Management von Großprojekten in der ganzen Welt. Zum Ende seines Berufslebens kehrt er zurück-- und arbeitet mit daran, die Vision am Fehmarnbelt zu verwirklichen. Es gibt offenbar Projekte, die einen nicht loslassen. Vielleicht ist der Fehmarnbelttunnel sein letztes großes Projekt. Er wird wohl dabei sein, wenn die ersten Züge und Autos durch den Tunnel rollen. „Damit schließt sich der Kreis für mich“, sagt er, und lehnt sich im Stuhl zurück, „Was will ich mehr? “ Wirklich nichts mehr? Gerhard Cordes zögert für einen Augenblick (vielleicht haben wir einen Nerv getroffen), dann strahlt er: Ein Hochhaus, das würde ihn noch reizen, ein richtiges Hochhaus. In Frankfurt oder Hamburg? Nein, etwas richtig Spannendes, eine ganz andere Dimension, ein Hochhaus mit 600 oder 700 Metern mitten in einer engen, pulsierenden Millionen-Metropole irgendwo auf der Welt. „Das habe ich noch nicht gemacht.“ Heute sind solche Wolkenkratzer technologisch hochgerüstet und als Smart House durchdigitalisiert, nachhaltig, vielleicht sogar begrünt. Dazu die komplexe Logistik, die Nachbargebäude, die belebten Straßen unterhalb-- die „ganzen Probleme, die Sie da bekommen“, sagt er, und da wird die Stimme wirklich weich: „Schön! Es gibt nichts Schöneres für mich als Komplexität.“ Dann steht er auf und sagt: „Aber erstmal machen wir hier den Tunnel fertig.“ Eingangsabbildung: Unterwegs in den Produktionshallen: (v.l.n.r.) Denise Juchem (Head of Press and Media Relations, Femern A / S), Lutz Förster, Construction Area Manager, Femern A / S), Gerhard Cordes (Contract Director, Femern A / S) und Professor Steffen Scheurer (Chefredakteur Projektmanagement aktuell). Foto: Oliver Steeger Gut zu erkennen: Eines der riesigen Stahlskelette für ein Segment. Neun dieser Segmente ergeben ein 217 Meter langes Tunnelelement. Foto: Oliver Steeger Christoph Zahrnt Projektverträge Ein Leitfaden für Projektmitarbeiter: innen 1. Au age 2023, 302 Seiten €[D] 34,90 ISBN 978-3-7398-3240-1 eISBN 978-3-7398-8240-6 Bei der Arbeit in Projekten hat man auf verschiedene Weise mit dem Vertragsrecht zu tun. Das Buch unterstützt unter anderem dabei, was bei der Erstellung einer Leistungsbeschreibung aus rechtlicher Sicht beachtet werden sollte. Die Leistungsbeschreibung kann den größten Teil eines Vertragsdokuments ausmachen. Der Autor erklärt zudem, was bei der sachgerechten Projektdurchführung in rechtlicher Hinsicht zu beachten ist. Hier spielt insbesondere die Abnahmeprüfung eine zentrale Rolle. Anzeige 13 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0088 Fehmarnbelttunnel schließt Lücke in europäischer Infrastruktur Das Tunnelprojekt gegen den „Flaschenhals“ Steffen Scheurer, Oliver Steeger Noch verkehren auf der Vogelfluglinie Richtung Skandinavien nur Fähren. Doch schon 2029 schließt der Fehmarnbelttunnel diese Lücke für Straße und Schiene: ein 18 Kilometer langer Tunnel auf dem Grund der Ostsee, teils in vierzig Meter Wassertiefe. Die Verantwortlichen sehen in diesem Infrastruktur-Projekt mehr als nur einen Lückenschluss zwischen dem deutschen Fehmarn und dem dänischen Lolland. Der Tunnel werde, so Projektdirektor Gerhard Cordes, einen Flaschenhals beseitigen zwischen Europas Norden, seiner Mitte und seinem Süden. Im Gespräch erklärt Gerhard Cordes die Bedeutung dieses Projekts, erläutert den zentimetergenauen Aushub des Tunnelgrabens im Fehmarnbelt- - und zeigt, wie er mit den tausenden Schnittstellen dieses Großvorhabens umgeht. Herr Cordes, der Fehmarnbelttunnel wird die Ostsee-Passage von Deutschland nach Dänemark deutlich reduzieren. Die Seepassage dauert derzeit 45 Minuten; hinzu kommt, dass man mindestens 15 Minuten vor Abfahrt am Hafen sein muss. Dagegen wird die Fahrt durch den Tunnel zehn Minuten mit dem Auto dauern und sieben Minuten mit dem Zug. Sie sagen aber auch, dass es bei Ihrem Großprojekt über das Vermeiden von Fährzeiten hinaus eine europäische Bedeutung hat. Welche Bedeutung sehen Sie? Gerhard Cordes: Der Fehmarnbelttunnel ist aus unserer Sicht mehr als nur eine feste Verbindung zwischen Fehmarn und Lolland. Er ist Teil der transeuropäischen Infrastruktur. Der Tunnel schließt eine Lücke auf dem Nord-Süd-Korridor zwischen Skandinavien hin zum mediterranen Teil Europas. Es geht dabei um einen Flaschenhals im europäischen Verkehrsnetz für Straßenverkehr und Bahn, den wir hier beseitigen. Damit wird der Fehmarnbelttunnel für Europa eine ähnliche Bedeutung haben wie der Brenner-Basistunnel. Die Pläne für diesen Lückenschluss, für eine feste Verbindung zwischen Skandinavien und Europa, bestehen schon seit sehr langer Zeit-… Sie kamen immer wieder auf, in unterschiedlichen Konstellationen. Beispielsweise gab es Anfang der 1990er-Jahre Untersuchungen der Privatwirtschaft für den Bau einer festen Verbindung- - und zwar als PPP-Projekt. Diese Public-Private- Partnership Projekte waren damals sehr in Mode. Man hat untersucht, was technisch und ökonomisch überhaupt möglich war. Technisch optimal war aus damaliger Sicht ein Absenktunnel, so, wie wir ihn heute bauen. Ökonomisch stellte sich heraus, dass dieses Vorhaben privatwirtschaftlich kaum durchführbar war. Die Sache ist damals wieder eingeschlafen. Es ist einerseits interessant zu sehen, wie lange die Pläne für eine Verbindung bereits bestehen- - und doch erschreckend zu sehen, wie viel Zeit es braucht, um von der Idee zur Realisierung zu kommen. Reportage | Das Tunnelprojekt gegen den „Flaschenhals“ 14 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0088 Der Rahmen für solch einen Tunnel hat sich seither verändert. Heute stehen Aspekte wie Klimaschutz und Verkehrswende im Vordergrund bei solchen Infrastrukturprojekten. Welche Rolle spielt der Tunnel für die Verkehrswende und damit auch für den Klimaschutz? Der Tunnel wird deutlich zum Klimaschutz beitragen. Ein Beispiel: Güterzüge zwischen Hamburg und Skandinavien sparen, wenn sie den Tunnel nutzen, 160 Kilometer. Direktflüge von Hamburg nach Kopenhagen können entfallen, weil die Bahnverbindung ähnlich schnell ist, wenn man von Stadtzentrum zu Stadtzentrum will. Wir setzen bei dem Tunnel zudem stark auf regenerative Energien und nachhaltigen Verkehr. Beispielsweise planen wir Ladestationen für Elektroautos. Und schon heute steht fest, dass wir den Tunnel selbst mit erneuerbaren Energien aus Dänemark betreiben werden. Der Tunnel soll nicht nur Vorteile bringen für den transeuropäischen Verkehr, sondern auch für die Wirtschaft. Mit welchen Impulsen rechnen Sie für die Wirtschaft, wenn der Tunnel 2029 in Betrieb gehen wird? Das Potential des Tunnels beobachten wir jetzt schon- - obwohl die Eröffnung erst für 2029 geplant ist. Die Eröffnung wirft gewissermaßen ihre Schatten voraus. Inwiefern? Entlang der Verkehrsachse von Hamburg nach Fehmarn- - also zum Tunnel hin-- siedeln sich gerade viele Unternehmen und Logistikbetriebe an. Manche Gewerbeflächen auf deutscher Seite sind schon ausgeschöpft, und ich höre, dass einige Gemeinden händeringend nach neuen Flächen suchen. Ähnliches gilt auch für die dänische Seite. Man rechnet nicht nur mit dänischen Unternehmen, sondern mit Unternehmen aus ganz Europa. Sie sagten, 2029 soll der Fehmarnbelttunnel eröffnet werden. Die Arbeiten gehen voran. Im dänischen Rødbyhavn entsteht derzeit eine Fabrik für die Tunnelelemente, quasi riesige Beton- Fertigbauteile für die Tunnelröhre, die auf den Grund der Ostsee herabgelassen werden. Bereits nahezu fertig ist der Graben auf dem Meeresboden, in den diese Teile abgesenkt werden. Der Graben ist jetzt zu 90 Prozent fertig (Juli 2023, die Redaktion) . Er ist durchschnittlich 12 Meter tief und bis zu 100 Meter breit. Diesen Graben auf rund 18 Kilometer präzise auszuheben ist natürlich eine Herausforderung. Wo liegt die Herausforderung genau? Sie hängt vor allem mit den unterschiedlichen Bodenverhältnissen im Fehmarnbelt zusammen. Bodenschichten mit viel starkem Mergel sind in der Regel sehr hart und fest, andere dagegen eher weich. Diese Schichten gehen auf dem Meeresgrund der Ostsee ineinander über. Während des Aushubs müssen wir eine konstante Qualität des Grabens erreichen, damit er die Lasten der 73.000 Tonnen schweren Tunnelelemente aufnehmen kann. Zudem müssen wir bei der Böschung des Tunnels einen bestimmten Winkel präzise einhalten, damit wir später die 79 Standardelemente und 10 Spezialelemente problemlos einsetzen können. Spezialelemente? Um was geht es? Dabei handelt es sich um Tunnelelemente, die kürzer sind als die Standardelemente, dafür aber mit einem Untergeschoss ausgestattet sind. Im Untergeschoss befinden sich etwa die elektrischen Anlagen zur Versorgung des Tunnels. Wir positionieren diese Spezialelemente alle knapp zwei Kilometer. Der Tunnelgraben ist also bereits nahezu komplett fertig-… Ja, der Graben ist schon zum Großteil ausgehoben. Die Menschen auf Fehmarn und Lolland sind häufig überrascht, wenn wir ihnen sagen, dass der Tunnelgraben fast fertig ist. Man bekommt von diesen Arbeiten auf dem Meer kaum etwas mit. Viele sehen nur die Fabrik hier an Land wachsen, in der wir die Tunnelelemente bauen werden. Die Baggerarbeiten auf der Ostsee sind vergleichsweise unauffällig. Wie ist dies möglich? Einen solchen Graben wird man nicht mit einem gewöhnlichen Bagger ausheben können-… Wir setzen tatsächlich sehr große Baggerschiffe ein, beispielsweise den weltgrößten Tieflöffelbagger sowie andere Seilbagger und Saugbagger. Wo genau wir welches Gerät einsetzen- - dies hängt beispielsweise von der Meerestiefe und der Bodenbeschaffenheit ab. Der Tieflöffelbagger kommt mit seiner Schaufel maximal 26 Meter tief. Er kann damit nicht in den ganz tiefen Bereichen verwendet werden, wohl aber mit seiner Kraft dort, wo die Böden hart sind. Das Baggern geschieht übrigens mit höchster Präzision, fast auf den Zentimeter genau. Die Arbeiter in den Baggerkabinen sehen auf verschiedenen Monitoren sehr genau, wo sie etwa die Baggerschaufeln ansetzen und wie viel sie ausheben müssen: nicht zu viel und nicht zu wenig. Jeder Arbeitsschritt wird mit modernster Technik überwacht. Einen solchen Graben unter Wasser auszuheben ist die eine Herausforderung. Die andere Herausforderung sind die Erdmassen, die Sie aus der Tiefe emporfördern. Was geschieht mit dem Aushub? Wir holen rund 15 Millionen Kubikmeter aus dem Tunnelgraben. Den Aushub bringen wir zum Großteil an die Küste Lollands. Wir schütten damit neues Land auf, insgesamt rund 300 Hektar, die später zu Natur- und Freizeitflächen werden. Das ist auch Teil der Ausgleichsmaßnahmen, die wir innerhalb Ab 2024 werden die Tunnelelemente auf den Meeresgrund herabgelassen und miteinander verbunden. Reportage | Das Tunnelprojekt gegen den „Flaschenhals“ 15 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0088 des Projekts vornehmen. Das Gesetz sieht vor, Eingriffe in die Natur so gering wie möglich zu halten-- und die unvermeidlichen Eingriffe an anderer Stelle wieder zu kompensieren. Diese Landgewinnung ist eine solche Kompensation. Nochmals zu dem Graben. Die ersten Tunnelelemente werden ab 2024 in diesen Graben abgesenkt. Was tun Sie, damit der Graben bis dahin nicht wieder von der Strömung zugeschwemmt wird? Wir haben dies berechnet und vorab ermittelt, wie viel Sediment sich nach dem Ausheben wieder im Graben absetzen wird. Unsere Simulationen haben ergeben, dass dies sehr überschaubar sein wird. Aufgrund der Fließgeschwindigkeit der Ostsee rechnen wir nur mit marginalen Ablagerungen. Die Tunnelelemente werden später auf ein Kiesbett in dem Graben abgesenkt. Bevor wir dieses Kiesbett aufschütten, saugen wir das Sediment im Graben nochmal ab. Sie haben eben Simulationen und Berechnungen erwähnt. Wie wichtig sind solche Instrumente für Ihr Projekt? Wir wollen in unserem Projekt nichts dem Zufall überlassen, deswegen sind die Simulationen sehr wichtig. Ein Beispiel ist der Unterwasserschall. Wir sind verpflichtet, einen bestimmten Lärmpegel nicht zu überschreiten. Der Unterwasserlärm wird von externen Experten laufend kontrolliert, und es wird ständig an die Behörden berichtet. Es gibt also einen unabhängigen „Third-Party- Check“? Ja. Kommen wir mit dem Lärm in die Nähe der Schwellenwerte, wird Alarm ausgelöst. Deshalb haben wir vorab in Simulationen einen genauen Fahrplan ausgearbeitet, wann wir welche Maschinen einsetzen und welche Lärmemissionen dadurch entstehen. Wir haben Szenarien durchgespielt, um herausfinden, in welchen Konstellationen wir dem Schwellenwert zu nahe kommen könnten. Wenn wir den Schwellenwerten nahekommen, können wir die Ursache schnell finden und gegensteuern, etwa zu laute Geräte austauschen, die Zahl der Geräte reduzieren oder den Arbeitsprozess umplanen. Während der Arbeiten selbst fließen weiterhin Daten in unsere Simulationen ein, um ihre Prognosen noch sicherer zu machen. Ähnliche Simulationen haben wir auch für die Freisetzung von Sediment entwickelt. Freisetzung von Sediment-- wo liegt da das Problem genau? Arbeiten im Wasser schwemmen zwangsläufig Sedimente auf. Das kennt man vielleicht vom Badeurlaub, wenn man im seichten Wasser läuft und dabei Sand aufgewirbelt wird, der das Wasser trübt. Die Strömung kann diese aufgewirbelten Sedimente forttragen. Dann können sie an anderer Stelle problematisch werden-- etwa durch Ablagerungen. Der Tourismus, der vor allem für Fehmarn sehr wichtig ist, ist bei diesen Trübungen sehr sensibel. Das Eintrüben des Wassers wird von Touristen als negativ wahrgenommen. Daher dürfen in den Sommermonaten keine küstennahen Baggerarbeiten stattfinden. Bei Ihrem Projektprogramm laufen viele Handlungsstränge zeitlich gleichzeitig. Ein Beispiel: Die Fabrik für die Beton-Tunnelelemente ist noch im Bau, doch an fertigen Produktionsstraßen werden bereits die ersten Elemente gegossen. Schlepper und Pontons werden ab 2024 die ersten 73.000 Tonnen schweren Beton-Fertigteile aufs Meer hinausbringen, wo sie in den Graben abgesenkt und miteinander verbunden werden. Diese Pontons wurden speziell für dieses Projekt in einer Werft in Polen hergestellt. Sie sind bereits getestet, obwohl noch kein Element fertig ist. Parallel zu diesen Arbeiten entstehen derzeit auf dänischer und deutscher Seite die Portale, also die Einfahrten in den Tunnel. Aus vielen Projekten weiß man, dass paralleles Arbeiten zur Komplexität beiträgt-- und es dadurch zu vielen Schnittstellen kommt. Um die Zuständigkeiten bei diesem riesigen Projekt klar zu definieren: Wir haben es hier mit mehreren großen Verträgen zu tun. Einen davon verantworte ich als Projektdirektor. Gemeinsam mit dem ausführenden internationalen Baukonsortium FLC bauen wir die Fabrik für die Tunnelelemente, stellen die 89 Tunnelelemente her und senken sie schließlich in den Tunnelgraben auf dem Meeresgrund ab. Ein anderer Vertrag betrifft das Ausheben des Grabens und das Anlegen der Landgewinnungsflächen, ein weiterer die Tunnelportale auf der dänischen und deutschen Seite. Hinzu kommen noch Verträge für die technische und mechanische Ausstattung des Tunnels sowie für die Bahntechnik. Man kann sich vorstellen, dass es zwischen diesen Verträgen viele Schnittstellen gibt. Hinzu kommen zusätzliche Schnittstellen, die sich aus planungsrechtlichen Erfordernissen ergeben. Der Tunnel wird von dänischer Seite gebaut, finanziert und betrieben-… Richtig. Doch da er zwei Länder miteinander verbindet, haben wir es mit zwei verschiedenen Versionen von Baurecht und Normen zu tun. Die jeweiligen Vorgaben müssen wir in Planung und Ausführung umsetzen. Was nicht einfach ist. Blick in eine der Produktionshallen. Foto: Oliver Steeger Reportage | Das Tunnelprojekt gegen den „Flaschenhals“ 16 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0088 Weshalb nicht einfach? Wir haben die großen Verträge mit unseren ausführenden Unternehmen im Jahr 2016 geschlossen. Ein Jahr zuvor wurde in Dänemark ein Gesetz zum Bau des Fehmarnbelttunnels erlassen. Auf der deutschen Seite haben wir erst seit Ende 2020 Baurecht. Manche Vorgaben, die im deutschen Planfeststellungsbeschluss stehen, waren damals noch nicht Teil der Verträge. Augenblick! Solche Vorgaben können Einflüsse auf die längst geschlossenen Verträge haben-… Richtig. Dies haben sie. Wie gehen Sie damit um? Es ist wichtig, dass wir uns an alle deutschen, dänischen und europäischen Vorgaben, Auflagen und Normen halten. Wir haben bei Femern A / S beispielsweise eine eigene Abteilung dafür. Sie kümmert sich speziell darum, dass alle Vorgaben des deutschen Planfeststellungsbeschlusses umgesetzt werden und immer alle notwendigen Genehmigungen vorliegen, ganz besonders im Umweltbereich. Wie funktioniert dies organisatorisch? In dieser Abteilung haben wir Spezialisten, die sich mit jeder denkbaren Facette der Auflagen befassen. Diese Spezialisten entsenden wir dann in die jeweiligen Teams, die die Arbeiten mit planen und steuern-… …-eine klassische Matrixorganisation-… Ja, eine Matrixorganisation. Das zieht sich durch das ganze Unternehmen. Wir haben beispielsweise einen Fachmann für Beton, der sich ausschließlich um Betonfragen kümmert. Er muss sich mit den Planern abstimmen- - und die Planer mit ihm. Diese Fachleute beraten und unterstützen uns. Nochmals zu den Schnittstellen. Es ist bekannt, dass der Erfolg komplexer Infrastrukturprojekte zu einem Teil auch davon abhängt, wie gut an den Schnittstellen Informationen fließen, Probleme angesprochen und offene Fragen gelöst werden. Neben der Kommunikation an den Schnittstellen ist dabei entscheidend, überhaupt die Schnittstellen aufzuspüren-- häufig noch während des laufenden Projekts. Wie sind Sie vorgegangen? Wir haben von Anfang an betont, dass das Management von Schnittstellen ein Erfolgsfaktor für dieses Projekt ist- - und dass wir deshalb beispielsweise Schnittstellen-Meetings brauchen. In unseren Verträgen waren bereits viele Schnittstellen identifiziert und verzeichnet. Doch Sie haben Recht mit Ihrer Vermutung: Während des Projektverlaufs ergaben sich viele neue Schnittstellen. Dieses Management der Schnittstellen kann man nicht nebenherlaufen lassen. Wir haben deshalb in jeder Abteilung einen hauptamtlichen Schnittstellenmanager, der sich ausschließlich um die Abstimmungen an den Schnittstellen kümmert. Je nach Bedarf hat er auch zusätzliche Kräfte, die ihn dabei unterstützen. Unsere Schnittstellenmanager arbeiten intensiv mit den Planungsteams und ausführenden Teams zusammen. An den Schnittstellen werden nicht nur Informationen ausgetauscht und Abstimmungen vorgenommen. Auch kleinere und größere Probleme werden gelöst, die sich etwa zwischen Teilprojekten ergeben. Da müssen Entscheidungen getroffen werden. Wie gehen Sie damit um? Unsere Mitarbeiter sollen die Fragen und Aufgaben an den Schnittstellen möglichst selbst lösen. Angesichts der Vielzahl von Schnittstellen können solche Entscheidungen nicht über den Schreibtisch von Projektdirektoren oder gar dem Top-Management gehen. Erst wenn die Mitarbeiter aus welchen Gründen auch immer zu keiner gemeinsamen Lösung kommen- - erst dann wird die Sache an uns Projektdirektoren übergeben. Dies ist allerdings die Ausnahme. Andernfalls könnten wir unsere Arbeit auch nicht bewältigen. Viele Schnittstellen sind, wie Sie vorhin sagten, zwischen den einzelnen Verträgen. Müssen dort Probleme gelöst werden-- dann kann es dazu kommen, dass jeder zunächst an seinen eigenen Bereich denkt und seine Interessen gewahrt sehen will-… …-statt das Wohl des Projekts, des Ganzen im Blick zu haben. Diese Herausforderungen hatten wir hier auch. Die Schwierigkeiten entstehen, wenn eine diskutierte Lösung gut für das Projekt ist, aber eher ungünstig für einen Bereich des Projekts. Denkbar, dass diese diskutierte Lösung zu Mehrkosten oder Risiken im eigenen Bereich führt. Wir brauchen die Haltung, dass jeder an der optimalen Lösung für den Tunnel arbeitet, nicht für seinen Bereich. Ist die beste Lösung für das Projekt auf dem Tisch, sprechen wir auch offen über die Finanzierung, sofern diese nicht bereits durch den Vertrag abgedeckt wird. Wir haben immer allen Beteiligten die Sicherheit vermittelt, dass die beste Lösung für keine Partei einen finanziellen Schaden bringt. Natürlich kann ich die Sorgen verstehen, auch die Sorgen einzelner Mitarbeiter. Sie fühlen sich manchmal in dem Zwiespalt, dass sie richtig für das Ganze entscheiden müssen- - und dabei möglicherweise „falsch“ für den eigenen Bereich. Diese Sorge müssen wir ihnen nehmen. Letztlich geht es auch um ein Mindset, eine innere Haltung. Wie haben Sie die Beteiligten für Schnittstellen und optimale Lösungen sensibilisiert? Diese notwendige Haltung herbeizuführen war keine leichte Geburt. Es ist uns dennoch ein gutes Stück weit gelungen. Wir haben diese Haltung immer wieder kommuniziert. Wir hatten beispielsweise vor einiger Zeit ein interessantes Seminar mit allen Mitarbeitern von Femern A / S. Wir wurden in Teams eingeteilt, die sich aus unterschiedlichen Abteilungen zusammengesetzt haben. Wir mussten auf einer Wiese eine große Kettenreaktion bauen. Ähnlich wie bei den hochkant aufgestellten Dominosteinen, die-- einmal angestoßen-- hinterher in langen Reihen und Ketten umfallen? Genau, jedes Team hatte ein paar Gegenstände wie Autoreifen, Seile oder Bretter zur Verfügung. Entscheidend war, dass nicht nur die Teile der einzelnen Teams umfallen, son- 17 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0088 dern eine Gesamt-Kettenreaktion. Das war eine spannende Übung. Wir haben spielerisch gemerkt, wie wichtig es ist, miteinander zu sprechen und Informationen weiterzugeben. Da ist man natürlich beim Thema Schnittstellen. Solche Trainings helfen im Lernprozess. Sie unterstützen die Teams, die Bedeutung des Ganzen zu erkennen. In Ihrem Projekt übergeben Sie Ihren Mitarbeitern bewusst viel Verantwortung. Wie reagieren Ihre Mitarbeiter darauf? Meine Manager nehmen diese Verantwortung an. Ich denke, dass viele darin auch mein Vertrauen und meine Wertschätzung sehen. Ich will mich beispielsweise nicht einmischen, wenn sich meine Design Manager mit unserem Contractor abstimmen. Es ist viele Jahre her, dass ich mich zuletzt detailliert mit Design befasst habe. Dafür habe ich heute Spezialisten. Sie können selbst die optimale Lösung finden. Aber: Wenn meine Manager ihre Lösungsideen mit mir diskutieren wollen, stehe ich bereit. Sie bieten sich nicht als Lösungsmanager an. Nein. Und meine Mitarbeiter wollen auch keinen Lösungsmanager, sondern einen Diskussionspartner. Wo finden Sie diese Spezialisten, die das Zeug haben, solch ein Großprojekt wie den Fehmarnbelttunnel mit Ihnen voranzutreiben? Es gibt in der Baubranche eine internationale Szene von Spezialisten für solche großen Infrastrukturprojekte. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen kennen sich bereits von anderen Projekten. Sie schätzen sich und vertrauen einander. Auch ich habe mit einigen bereits bei Großprojekten auf der ganzen Welt zusammengearbeitet. In Projekten wie unserem ist dadurch von Anfang an eine gewisse Vertrauensbasis vorhanden. Also ein weltumspannendes Netzwerk, in dem sich Menschen kennen und einander vertrauen? Genau. Wer einmal in der Welt der Großprojekte Fuß gefasst hat, ist Teil dieses weltumspannenden Netzwerkes. Und über dieses Netzwerk sprechen wir Mitarbeiter an, wenn wir den Eindruck haben, dass wir gut mit ihnen zusammenarbeiten können. Einige von meinen Managern waren schon Senior Projektmanager in einem Projekt in Katar. So groß Projekte wie der Fehmarnbelttunnel selbst auch sind-- die Welt dieser Projekte ist klein. Eingangsabbildung: Stahlarbeiten an einer der Produktionslinien. Foto: Femern A / S Gerhard Cordes Gerhard Cordes ist seit 2021 Projekt Direktor bei Femern A / S, der staatlichen dänischen Projektgesellschaft, die für den Fehmarnbelt-Tunnel zuständig ist. Er ist verantwortlich für die Planung und den Bau des Absenktunnels sowie der dazugehörigen Produktionsanlagen. Nach dem Bauingenieur-Studium an der TU Braunschweig hatte er zunächst als Statiker in einem Ingenieurbüro gearbeitet, bevor er zum Baukonzern Bilfinger Berger wechselte. Dort war er mehr als 17 Jahre maßgeblich an diversen Großprojekten im In- und Ausland beteiligt, wie z. B. dem Bau der Mittellandkanalbrücke über die Elbe in Magdeburg und der Errichtung von „Barwa City“ in Katar. Nach seiner Zeit bei Bilfinger Berger verantwortete er als Projekt Direktor den Bau von drei Linien der Doha Metro und arbeitete als COO in Bahrain für eine führende bahrainische Unternehmensgruppe. Foto: Femern A / S Ressourcenmanagement Projektportfolio-Management Aufwand- & Kosten-Controlling Projektplanung Das System, bei dem die Ressourcenplanung funktioniert www.ressolution.ch Scheuring AG +41 61 853 01 54 info@scheuring.ch Unverbindlich online kennenlernen! Anzeige 18 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0089 Ein Lübecker Hanseschiff, 160 Fässer Brantkalk - und eine Handvoll Rätsel Im Projekt historischen Fund zum Reden bringen Oliver Steeger Der Lübecker Unterwasserarchäologe Dr. Felix Rösch verdankt sein aktuelles Projekt einem Schiffsunglück aus dem 17. Jahrhundert. Auf dem Fluss Trave, der Lübeck mit der Ostsee verbindet, war ein Handelsschiff gesunken - vielleicht durch ein Feuer an Bord, vielleicht wegen der damaligen tückischen Untiefen. Über das Schicksal von Mannschaft und Kapitän, Reeder und Kaufleuten weiß man (noch) nichts. Fest steht: mitsamt dem Schiff ging auch die Ladung - 160 Fässer Branntkalk - komplett unter. Der Branntkalk, eine ätzende, hochreaktive Substanz, muss beim Kontakt mit Wasser große Hitze entwickelt haben. Dieses Unglück ist für Dr. Felix Rösch und sein Team gewissermaßen ein Glücksfall. Das Wrack hat in rund elf Metern Wassertiefe die Jahrhunderte überraschend gut überstanden. Sogar die Hälfte der Ladung lag noch an Ort und Stelle im Rumpf. Das Wrack öffnet ein einzigartiges Fenster in die nordeuropäische Handelsschifffahrt der frühen Neuzeit. Große Teile des hölzernen Rumpfes und der Fässer sind bereits geborgen, ruhen in Süßwasserbecken in einem Gewerbegebiet und werden Stück für Stück dokumentiert. Jetzt geht es in dem Projekt darum, den stummen Fund zum Reden zu bringen. Wie sah das Schiff aus? Wo wurde es gebaut? Wem gehörte es? Und weshalb genau ist das Schiff mit dem eindrucksvollen, möglicherweise bis zu sieben Meter hohen Heck gesunken? Ein Projekt, das Unterwasserarchäologie, Naturwissenschaft und Detektivarbeit miteinander verbindet. Herr Dr. Rösch, das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Ostsee (WSA Ostsee) untersucht regelmäßig die Fahrrinne der Trave. Man will sichergehen, dass dort nichts Gefährliches für den Schiffsverkehr liegt. Im Jahr 2020 ortete das Amt eine Unebenheit auf dem Grund des Flusses. Daraus entwickelte sich ein archäologischer Sensationsfund: Ein Frachtschiff aus dem 17. Jahrhundert, der Spätzeit der Hanse. Was macht den Zufallsfund für Sie als Archäologe so spannend? Dr. Felix Rösch: Zum einen haben wir aus der Spätphase der Hanse relativ wenig Schiffsfunde, schon gar nicht in Binnengewässern. Zum anderen ist der Fund überraschend gut erhalten. Nach meinem Wissen gibt es kaum einen vergleichbaren Fund. Vermutlich gibt es ähnlich gut konservierte Schiffe auf dem Grund der Ostsee; unter den anaeroben Bedingungen in dieser Wassertiefe haben sie oft in hervorragendem Zustand überdauert, manchmal sogar mit vollständiger Takelage. Aber diese Wracks kann man nur mit Robotern oder technischen Tauchern erforschen. In unserem Fall ist das anders. Wir können wirklich in das Schiff hineintauchen. Wir können die Bauweise verstehen und es Stück für Stück untersuchen. Sie sagten, dass das Wrack in der Trave gut erhalten ist - trotz der geringen Wassertiefe von etwa 11 Metern … Das ist ein wichtiger Punkt. Bei Funden in ähnlich flachen Gewässern sind häufig nur die Bodenschalen havarierter oder absichtlich versenkter Schiffe erhalten. Alles andere fehlt, häufig auch die Ladung. In unserem Fall haben wir die Bord- Reportage | Im Projekt historischen Fund zum Reden bringen 19 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0089 wände, den Heckbereich und das riesige Ruder gefunden. Und wir haben die komplette Ladung! Sie bergen - laienhaft gesagt - auch die Teile des Schiffes, die früher über Wasser lagen? Richtig. Die Bordwände sind abgebrochen, aber sie sind noch stellenweise vorhanden, links und rechts zur Seite gefallen. Wir haben wesentliche Teile des Hecks gefunden. Hölzer vom Inneren des Schiffs sind ebenfalls vorhanden; meistens sind sie um das Wrack herum verstreut. Durch diese Funde lernen wir viel über die Bauweise und Aussehen der Handelsschiffe aus dieser Zeit. Wir können die Schiffsbautechnik studieren. Das, was wir bislang darüber wussten, war immer etwas hypothetisch. Wir haben beispielsweise einen Deckbalken entdeckt, der von Backbord nach Steuerbord ging … … also quer über das Schiff … Ja. Dank dieses Balkens können wir auf die Breite des Schiffes schließen. Das Ruder, das wir geborgen haben, ist mehr als fünf Meter lang. Wir können davon ausgehen, dass das Heck mindestens fünf Meter hoch war, vielleicht sogar bis zu sieben. Das alles wird sich mit weiteren Forschungen konkretisieren. Das Schiff muss beeindruckend gewesen sein. Wie groß war es? Es war gewiss beeindruckend. Da das Schiff mindestens 160 Fässer transportieren konnte, lässt sich auf eine Ladungskapazität von 75-90 t schließen. Wir haben den 17,2 Meter langen Kiel komplett freigelegt. Damit dürfte das Schiff vom Bug bis zum Heck zwischen 21 und 23 Metern lang gewesen sein. Die Breite wird zwischen fünfeinhalb und sechs Metern gelegen haben, wie uns der vollständig erhaltene Decksbalken verrät. Die Ausmaße standen also im Verhältnis von etwa 1 zu 3,5 oder 4. Damit handelt es sich um ein mittleres bis großes Handelsschiff, das über eine eindrucksvolle Takelage verfügt haben muss und absolut hochseetauglich war. Wir haben Fensterglas gefunden; vermutlich hatte das Schiff hinten eine Kajüte mit Glasfenstern, etwa für den Kapitän oder den Eigner. Es gab Funde hochwertiger, bemalter Keramik und Flaschen, darunter eine Weinflasche sowie eine Schnapsflasche aus London. Also handelte es sich vermutlich um eine Kajüte mit gehobenem Komfort. Was ist mit der Ladung? Das Schiff transportierte Branntkalk, den man für den Häuserbau braucht - genauer: für Mörtel und Putz. Bei Berührung mit Wasser entwickelt Branntkalk Hitze. Also eine gefährliche Ladung? Mit Sicherheit! Wie viele Masten hatte das Schiff? Wahrscheinlich drei Masten. Wir haben den Rumpf näher untersucht, nachdem wir die Ladung geborgen haben. Wir haben im Kielschwein, also dem oberen Teil des Kiels, der auf den Spanten aufliegt, einen Mastschuh in der Mitte entdeckt und einen weit hinten. Vieles spricht dafür, dass vorne am Bug auch noch ein Mast gestanden hat - auch wenn wir weder Mast noch den Mastschuh bisher gefunden haben. Mastschuh? Um was handelt es sich dabei? Ein Mastschuh ist eine ausgeprägte Vertiefung im Kielschwein, in der der Mast befestigt worden ist - in der der Mast gewissermaßen steht. Wie ein Tannenbaum in Ständer? Wenn Sie so wollen, ja. Haben Sie eine Idee, weshalb das Schiff havariert und untergegangen ist? Das Schiff befand sind wahrscheinlich auf der Fahrt nach Lübeck. Es fuhr die Trave aufwärts. Die Stelle, an der es sank, war herausfordernd für Schiffer. Die Tiefe nahm schnell von acht auf unter drei Meter ab. Es gab Muschelbänke und scharfe Kurven dort. Die Untiefen reichten weit in die Fahrrinne hinein; damals war die Trave insgesamt schwierig zu befahren. Für den Weg von Travemünde nach Lübeck brauchte man manchmal bis zu drei Wochen, wie Quellen berichten. Man hat immer wieder auf den richtigen Wind warten müssen oder das Schiff in mühsamer Arbeit getreidelt. Also ist das Schiff auf Grund gelaufen? Gestrandet und Leck geschlagen? Das wissen wir noch nicht. Viele der geladenen Fässer befinden sich noch an Ort und Stelle. Dies zeigt, dass das Schiff wahrscheinlich weder gekentert ist noch Schlagseite hatte. Außerdem haben wir auch verkohltes und verbranntes Schiffsholz vorgefunden. Es hat also ein Feuer an Bord gegeben. Wir wissen aber nicht, ob das Feuer wirklich ursächlich für die Havarie des Schiffes war. Solche Fragen sind noch offen. Das Schiff, das Sie bergen und untersuchen, stammt aus dem siebzehnten Jahrhundert. Damals hatte die Handelsstadt Lübeck ihre glanzvollsten Zeiten hinter sich. Dies gilt auch für den Städtebund Hanse, dem Lübeck angehörte. Andere aufstrebende Länder, etwa die Niederlande oder England, stellten die Hanse in den Schatten. Wie war es um die Hanse und um Lübeck selbst bestimmt im 17. Jahrhundert? Die Vormacht der Hanse war da bereits so gut wie ausgelaufen. Wir sprechen von der Spätphase des im Mittelalter so mächtigen Bundes. Doch dieses Auslaufen war weder ein gleichmäßiger noch aprupter Prozess. Es gab immer wieder Höhen und Tiefen. Die Niederlande wurden, wie Sie richtig sagen, zu einem Rivalen. Niederländer drangen damals mit neuen, erfolgreichen Schiffstypen wie die Fleute in den Ostseeraum vor. Sie machten der Hanse den Rang streitig. Lagen die Niederländer aber im Krieg und waren damit ihre Kräfte gebunden - dann erlebte die Hanse auch in ihrer Spätphase wieder bessere Tage. Dann wurden hier in Lübeck wieder mehr Schiffe gebaut, auch größere Schiffe mit den neuen Techniken aus den Niederlanden. Schiffbau in Lübeck? Die Hansestadt Lübeck war der größte Schiffsbauer im südlichen Ostseeraum, noch vor Danzig. Allein die schriftliche Überlieferung der in Lübeck zwischen der Mitte des 16. Jahrhunderts und 1800 gebauten Schiffe beläuft sich auf über 2.500 - und das sind nur die Fahrzeuge, von denen wir Kennt- Reportage | Im Projekt historischen Fund zum Reden bringen 20 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0089 nis besitzen. Je nach Konjunktur waren das bis zu zwanzig Schiffe im Jahr … … also in Spitzenzeiten lief rein rechnerisch im Sommerhalbjahr jede Woche ein Schiff vom Stapel? Womöglich! Leider ist uns davon kaum ein Schiff bekannt. Zumindest im siebzehnten Jahrhundert gab es doch erste Kupferstiche oder Zeichnungen von den damals alltäglichen Schiffen? Ja, solche Dokumente gibt es. Kupferstiche zeigen unterschiedliche Schiffstypen, und daraus kann man vielleicht etwas ableiten. Man muss aber vorsichtig sein. Die Chronisten und Zeichner dieser Zeit wussten nicht unbedingt, welchen Schiffstyp sie vor sich hatten. Manchmal ist auf den Stichen oder Zeichnungen gar nicht zu erkennen, ob es sich bei den abgebildeten Schiffen etwa um eine Fleute oder ein anderes Handelsschiff handelt. Die Künstler und Chronisten kamen nicht aus dem Schiffsbaubetrieb. Sie haben die Schiffe häufig falsch bezeichnet. Und manchmal waren sogar die damaligen Schiffbauer ungenau mit den Bezeichnungen. In der Hansestadt Lübeck wurde fast jedes Schiff als Galiot bezeichnet. Unwahrscheinlich, dass damals ausschließlich Galioten gebaut wurden … Lübeck gilt als Keimzelle der Hanse. Fest steht, dass sich der Städtebund von hier aus entwickelt hat. Im 14. und 15. Jahrhundert stand der Bund in voller Blüte. Zeitweilig gehörten 300 Städte der Hanse an, auch viele im Binnenland wie etwa Göttingen oder Soest. Köln war zeitweilig einer der südlichsten Vorposten der Hanse. Führend waren vor allem Küstenstädte Hamburg, Bremen, Rostock, Wismar, Stralsund, Danzig, Riga und Lübeck. Gegründet wurde der Städtebund, um gemeinsam wirtschaftliche Interessen zu verfolgen. In juristischen Konflikten oder bei Krieg stand man zusammen, ergriff füreinander Partei und finanzierte gemeinsam auch kriegerische Unternehmungen. Als Hansebund konnte die Gemeinschaft machtvoll in anderen Ländern auftreten und sich dort Privilegien für ihre Händler sichern. Die Hanse unterhielt Dependancen - die berühmten Kontore - in Brügge, London, Bergen oder Nowgorod - also ein Netzwerk von Niederlassungen mit weitreichenden Vorrechten. Lübeck wurde 1143 durch Heinrich den Löwen gegründet. Was machte die Stadt als Handelsknotenpunkt so attraktiv? Langsam! Lübeck wurde 1143 nicht auf der grünen Wiese gegründet, wie es einige Mythen vielleicht nahelegen. Schon vorher gab es an der Mündung der Schwartau einen Fürstensitz mit Handelsgeschehen. Lübeck war schon in frühester Zeit ein Seehandelsplatz mit Verbindungen in die Ostsee. Doch die Gesetzgebung Heinrich des Löwen verschaffte der Stadt Privilegien - und damit Vorteile für Kaufleute. Und so wurden Kaufleute vor allem aus Westdeutschland angelockt. Ein großer Vorteil Lübecks war die Verbindung zur Elbe und damit nach Hamburg. Dies machte den Weg vom Westen zum Ostseeraum frei. Bis dahin war der Ostseehandel stark von Dänemark beherrscht. Nun, im späten zwölften Jahrhun- Eindrucksvoll und hochseetüchtig: Eine alte Grafik - sie zeigt eine dreimastrige Galiot - vermittelt eine Idee, wie das Schiff ausgesehen haben könnte. Stich: J.F. Endersch dert, begann Lübeck Dänemark den Rang abzulaufen - über die Achse Hamburg, Lübeck und Lüneburg. Lüneburg? In Lüneburg wurde Salz gewonnen. Salz brauchte man, um Fische zu konservieren. Die Christianisierung der slawischen Länder wirkte sich positiv auf den Handel mit Fisch aus; Fisch war christliche Fastenspeise. So handelten Kaufleute mit in Lüneburger Salz konserviertem Stockfisch aus Bergen und anderen Nordatlantikgebieten. Das ist ein gutes Beispiel für die einträglichen Geschäfte, die hier getätigt wurden! Die Handelsmargen waren groß, und trotz aller Risiken und Gefahren rentierte sich schnell die Kapitalinvestition in Mannschaft, Schiff und Ladung. Die Handelsflotte wuchs. Immer mehr Schiffe wurden hier in Lübeck auf Kiel gelegt - bis ins 17. Jahrhundert hinein, aus dem unser Fund stammt. Vorhin sagten Sie, dass keines der in Lübeck gebauten Schiffe heute bekannt ist. Macht dies Ihren Fund für Lübeck so bedeutsam? Wir wissen noch nicht bestimmt, ob das Schiff aus Lübeck stammt. Wir werden die Schiffbautechnik und die Holzherkunft untersuchen. Beides lässt darauf schließen, ob das Schiff überhaupt in Lübeck gebaut worden sein könnte. Sie können wissenschaftlich herausfinden, woher das Holz stammt? Sehr gut sogar. Über die Jahrringe können wir auf die Herkunft schließen und die Jahre, in denen es geschlagen wurde. Wenn viele Hölzer aus dem norddeutschen Raum stammten, liegt es nahe, dass das Schiff hier gebaut worden ist. Bei der Schiffsbauweise erkennen wir schon jetzt, wie stark im 16. Jahrhundert die Niederländer den weltweiten Handel bestimmt haben. Aufgrund des niederländischen Erfolgs ko- Reportage | Im Projekt historischen Fund zum Reden bringen 21 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0089 pierten Schiffsbauer auch anderswo die holländischen Baumethoden und Schiffstypen Aha? Inwiefern? Die Niederländer entwickelten Techniken, um die aus dem Mittelmeerraum und von der Atlantikküste bekannte und sehr effektive Kraweellbauweise mit ihren eigenen Methoden umzusetzen. So umgingen sie die Skelettbauweise, die ein hohes Maß an Planung und mathematisches Wissen erforderte und bei der das Spantengerüst zuerst errichtet wurde. Stattdessen entwickelten sie die seit dem frühen Mittelalter bekannte Schalenbauweise zur sogenannten niederländischen Bodenbautechnik weiter. Dabei entstand zunächst unter Einsatz von Klammern, temporären Leisten und Stützen die aus Kiel, Steven und Planken bestehende Bodenschale des Schiffs, bevor darin die Spantenteile eingebracht wurden, an denen dann die Bordwände konstruiert werden konnten. Diese damals modernen Ansätze konnten auch gut von den Lübeckern mit ihren tradierten Techniken adaptiert werden. Wobei man wissen muss: Im Gegensatz zur Skelettbauweise mussten dafür von den Schiffsbaumeistern keine Pläne gezeichnet und darauf basierend der Bau ausgeführt werden. Die Baumeister haben Erfahrungswissen genutzt und quasi drauflosgebaut. Im Bauprozess wurde das Schiff immer weiter angepasst. Man wusste anfangs nicht genau, wie das Schiff später mal aussehen würde. Es konnte durchaus von den Spezifikationen des Auftrags abweichen, beispielsweise mehr Platz für Ladung bieten als beauftragt - oder auch weniger Platz. Lübeck hat ein reiches Archiv an mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Handelsdokumenten. Ist es denkbar, dass Ihr Fund darin erwähnt wird und wir durch schriftliche Quellen mehr über das Schicksal des Schiffs, der Mannschaft und der Eigner erfahren? Ich rechne damit. Das Schiff war quasi vor dem Toren der Stadt unrettbar untergegangen. Seine Ladung ging komplett verloren. Da hat jemand sehr viel Kapital verloren. Dieser Vorfall dürfte seine Spuren in den Archiven hinterlassen haben. Doch wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht einmal, wann genau das Schiff im 17. Jahrhundert erbaut worden ist und wie lange es im Einsatz war. Solange wir da noch keine Ergebnisse haben, brauchen wir die Suche in den Archiven nicht zu beginnen. Wir müssen gezielt nachschauen können. Sie haben in den vergangenen Monaten das Wrack Stück für Stück unter Wasser auseinandergenommen. Weshalb haben Sie diese Strategie für die Bergung gewählt? Auf diese Weise können wir am meisten über das Schiff lernen. Entscheidend für uns sind ja nicht nur die Funde selbst, sondern auch die Lage, also die Fundsituation, die wir sorgfältig dokumentieren. Wir haben zunächst im Umfeld des Schiffes begonnen und dort Sedimente abgesaugt. Dabei haben wir die abgebrochenen Bordwände und weitere verstreute Fässer gefunden. Danach haben wir uns dem Schiff gewidmet, es Schicht für Schicht freigelegt, den Fund dokumentiert mit Fotos und Videos - und dann das Schiff auseinander genommen; die Einzelteile werden markiert, katalogisiert und an Land gebracht. Hätten Sie die Überreste des Schiffs auch als Ganzes heben können? Theoretisch ja. Vor allem zwei Gründe sprechen dagegen. Zum einen ist unser Ansatz logistisch einfacher. Für das Bergen im Ganzen müsste man ein riesiges Gerüst bauen, eine Art riesigen Käfig, in dem das Schiff hochgehoben würde. Diesen Käfig müsste man exakt ausmessen; beim Heben des Wracks muss die Gewichtsverteilung richtig sein, damit nichts abbricht oder durchbricht. Und auch bei guter Gewichtsverteilung wäre das Heben im Ganzen eine gewaltige Belastung für das Holz gewesen. Der zweite Grund ist vielleicht noch wichtiger: Indem wir das Schiff auseinandernehmen, können wir sowohl die Fundstücke als auch die Fundstelle systematisch untersuchen. Wir können beispielsweise jedes einzelne Holzstück von allen Seiten untersuchen. Von jedem geborgenen Einzelelement wird ein 3D-Modell berechnet. Später können wir die einzelnen Stücke wieder zusammenbauen - sowohl virtuell in einem Modell als auch ganz praktisch. Dadurch kann man am Ende zu einer Vollrekonstruktion kommen. Grafsche Darstellung, wie auf der Trave das Bergungsschiff über dem Wrack steht. Foto: P. Stencel/ Archcom Reportage | Im Projekt historischen Fund zum Reden bringen 22 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0089 Das klingt nach Detektivarbeit. Selbst winzige Details müssen aufgenommen und dokumentiert werden, damit später aus den Puzzleteilen ein Gesamtbild entsteht - und die Fragen beantwortet werden, die das Wrack aufgibt? Richtig. Wir erarbeiten zum Beispiel auch ein 3D-Modell der Fundsituation. Das Modell zeigt, wo genau was an der Fundstelle unter Wasser gelegen hat. Jeder Schritt der Bergung wird dabei hochauflösend dokumentiert. Vorhin, als wir über die Herkunft der Bauhölzer sprachen, haben Sie es bereits angedeutet: Moderne naturwissenschaftliche Analysemethoden tragen heute viel dazu bei, aus archäologischen Fundstücke zu lernen. Schon kleinste Spuren können ein Fenster in die Vergangenheit öffnen. Richtig. Wir sind beispielsweise mehrfach auf Stroh- oder Heureste, wohl eine Art Dämmmaterial zwischen den Fässern, gestoßen. Auch konnten wir im Schiff Knochen finden. Sie stammen höchstwahrscheinlich von Nutztieren, die an Bord gegessen worden sind. In den Sedimentproben vermuten wir zudem Überreste von Nagetieren, Fischen und Insekten. Quasi der Abfall der damaligen Zeit? Solche Alltagsreste lagerten sich häufig ganz unten im Schiff ab. Wir finden sie heute in den Sedimenten zwischen den Hölzern. Diese Alltagsreste sind für uns gute Geschichtsquellen: Bei Knochen kann man durch die Isotopie beispielsweise mehr über die Herkunft der Tiere erfahren. Wo hat das Tier in seinen ersten Lebensjahren gelebt? Man könnte feststellen, ob beispielsweise in Schweden eine Kuh mit an Bord genommen worden ist. Oder Geflügel als Proviant. Ähnliche Untersuchungsmethoden existieren auch für Pollen. Man kann einzelne Pollen aus dem Sediment gewinnen und etwas über ihre Herkunft lernen - was technisch allerdings recht aufwendig ist. Die Fundstelle selbst offenbart also sehr viel über die Vergangenheit. Entscheidend ist, dass man solche Untersuchungen früh genug im archäologischen Projekt plant. Projekt mit Tiefgang: Im trüben Wasser der Trave bergen Archäologen die wertvollen Fundstücke. Foto: P. Stencel/ Archcom Geborgene Funde werden in wassergefüllten Becken gelagert - und warten auf die weitere Untersuchung. Foto: P. Stencel/ Archcom Inwiefern früh genug plant? Wir überlegen uns schon bei der ersten Projektplanung, welche naturwissenschaftlichen Verfahren wir einsetzen wollen. Wir müssen wissen, welche Proben wir nehmen wollen, wie und wo wir diese analysieren können, und was bei der fachgerechten Entnahme der Proben zu beachten ist. Dies kann man nicht erst entscheiden, wenn man bereits Funde birgt oder das Wrack gar komplett an Land geholt worden ist. Reportage | Im Projekt historischen Fund zum Reden bringen 23 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0089 Ist dies der Grund, weshalb Archäologen eigentlich ungerne Funde dem sogenannten Bodenarchiv entnehmen? Weil jede Ausgrabung oder Bergung zugleich auch eine Zerstörung ist? Ja. Wir können natürlich die Teile des Schiffes nach der Untersuchung wieder zusammensetzen. Doch die Sedimente, die so viel über die Vergangenheit sagen, sind dann verloren. Archäologen haben sehr viele neue naturwissenschaftliche Analysemethoden hinzugewonnen. Viele Untersuchungen, die wir heute durchführen, waren vor Jahren- - geschweige denn vor Jahrzehnten- - nicht einmal ansatzweise denkbar. Wir wissen nicht, welche bahnbrechenden Methoden die Zukunft noch für uns bereithält. Wäre es auch eine Option gewesen, dieses Schiffswrack in der Trave zu lassen? Nein, in diesem Fall war das keine Option. Das Wrack war in Gefahr. Wir mussten es bergen. Es war ja bereits durch Eingriffe von außen beschädigt. Wir gehen davon aus, dass ein Saugbagger massiv in das Schiff hineingegriffen und ihm womöglich sogar die Bordwand abgerissen hat. Das ganze Schiff ist etwas verschoben, einige Spanten sind komplett abgebrochen. Und: Die Schiffsbohrmuschel bedroht solche Wracks immer mehr. Sie zersetzt das Holz. Die Schiffsbohrmuschel? Hier? Die Schiffsbohrmuschel ist seit den 1990er Jahren tiefer in die Ostsee vorgedrungen und hat sich an den hiesigen, niedrigen Salzgehalt des Wassers angepasst. Sie kann ein Wrack innerhalb weniger Jahre vollständig zersetzen. Sie bohrt sich tief in das Holz ein und durchlöchert es komplett. Solange das Die Hanse im Schlaglicht Es war ein mittelalterlicher Entwicklungsschub: Binnen weniger Jahrhunderte verdreifachte sich die Bevölkerung im damaligen regnum thetonicum. Lebten um das Jahr 1.000 geschätzt rund vier Millionen Menschen in dem Gebiet, das heute mehr oder weniger Deutschland ist - so waren es um 1300 bereits 13 Millionen Menschen. Eine wirtschaftliche Blüte folgte. Landauf, landab wurden Städte gegründet und mit Privilegien ausgestattet, die das Fundament für späteren Reichtum legten. Bei den höheren Ständen wuchs der Wohlstand und mit ihm die Nachfrage nach Luxusgütern. Der Fernhandel wurde intensiviert, professionalisiert, die Routen über den gesamten Kontinent hinweg ausgebaut. Händler tauschten Rohstoffe aus dem Norden und Osten Europas (Getreide, Holz, Wachs, Stockfisch, Felle oder Pelze) gegen Fertigprodukte aus dem Westen (wie Tuche, Keramik, Waffen, Schmuck und Weine). Einer der Gewinner dieses Aufschwungs war die Hansestadt Lübeck. Ab etwa Mitte des 13. Jahrhundert dominierte die Stadt an der Trave den Warenaustausch zwischen Ost und West und Nord und Süd. Sie war Drehscheibe für die Waren aus dem Ostseeraum mit den angrenzenden Gebieten sowie aus den reichen, westlichen Gebieten, etwa Südengland, Nordfrankreich und den Niederlanden sowie dem Rheinland. Von Lübeck aus wurde dann auch die Hanse ins Leben gerufen, eine Allianz für den Handel. Die Initiative dafür ging von den Fernhandels-Kaufleuten aus. Sie schlossen sich zusammen, um eine sichere Überfahrt ihrer Handelsschiffe zu erreichen - und um ihre wirtschaftlichen Interessen in der Ferne zu behaupten. Aus der (persönlichen) Kaufmanns-Hanse entwickelte sich später die (politische) Städtehanse, der zeitweise 300 Städte an der Küste und im Binnenland angehörten. Zwischen 1250 und 1400 blühte die Hanse auf. Handelswege wurden sicherer. Der Kaufmannsstand etablierte sich in der Gesellschaft und gewann an Einfluss. Neue Wege des Bezahlens lösten den bis dahin üblichen Tauschhandel ab. Kreditfinanzierung und Schuldscheine kamen auf. Die Kaufleute begannen Vertreter auf Handelsreise zu entsenden statt selbst ihre Waren an Bord der Schiffe zu begleiten. Diese „kaufmännische Revolution“ hatte den Nebeneffekt, dass Kaufleute in den Handelsstädten sesshaft wurden. Von dort aus konnten sie mehrere Handelsgeschäfte gleichzeitig „managen“ - und langsam zu einflussreichen Ämtern und Positionen in der Stadt kommen. Manche Historiker veranschlagen die Gründung der Städtehanse auf das Jahr 1241, als die Städte Lübeck und Hamburg ihre schon länger andauernde Kooperation vertraglich besiegelten. Zunächst entwickelten sich solche Städtebünde regional. Doch bis spätestens 1400 war die Hanse zu einer nordeuropäischen Großmacht herangewachsen - mit dem gemeinsamen „Hansetag“, auf dem sich die Mitgliedsstädte koordinierten. Trotz des machtvollen Auftritts nach außen: Im Innern handelte es sich bei der Hanse um keine formale Organisation, sondern um ein gut funktionierendes, freies „Netzwerk“ ohne Verfassung oder Mitgliederlisten. Weshalb die Hanse im 16. und 17. Jahrhundert niederging - dazu gibt es mehrere Erklärungen. Fest steht, dass sich das Wirtschaftsgefüge in Europa veränderte: Territorialstaaten verfestigten sich und gewannen Macht. Neue Konkurrenz kam auf, sowohl im Handel selbst als auch in der Produktion. Einer der Gründe für den Niedergang waren innovative, schnelle Schiffe, die vor allem in den Niederlanden entwickelt wurden und den Handel revolutionierten. Die Hanse büßte ihre Innovationskraft ein und gab ihre führende Position als Schiffsbauer an Länder in Westeuropa ab. Der technologische Rückstand führte auch dazu, dass die Hanse nicht am entstehenden Welthandel teilhaben konnte, etwa in amerikanischen oder asiatischen Gebieten. Die Hanse zerfiel langsam in der frühen Neuzeit und spielte Ende des 17. Jahrhunderts kaum mehr eine Rolle. Doch ihr Erbe blieb. Die die eindrucksvollen Stadtbilder vieler norddeutscher Hansestädte, darunter die UNESCO Welterbestätten Bremen, Lübeck, Stralsund, Wismar, Rostock und Greifswald gehen vielfach auf den Reichtum der Hansekaufleute zurück. Bis heute haben einige ehemalige Hansestädte die Hanse-Farben „rot-weiß“ in ihrem Wappen. Darunter auch Lübeck: Der Doppeladler im Stadtwappen führt ein kleines, rot-weißes Schild. Oliver Steeger Reportage | Im Projekt historischen Fund zum Reden bringen 24 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0089 Dr. Felix Rösch Dr. Felix Rösch ist seit Anfang 2023 als Unterwasser- und Feuchtbodenarchäologe im Bereich Archäologie und Denkmalpflege bei der Hansestadt Lübeck angestellt und koordiniert die Bergung und weitere Auswertung des Wracks. Darüber hinaus ist er mit denkmalpflegerischen Aufgaben im Bereich der Gewässerflächen Lübecks betraut. Felix Rösch hat an den Universitäten Kiel und Basel Ur- und Frühgeschichte studiert und 2015 in Kiel im Rahmen des Projekts „Zwischen Wikingern und Hanse“ über das mittelalterliche Hafenviertel von Schleswig promoviert. Während seines Studiums wurde er zum Forschungstaucher ausgebildet und hat zahlreiche Unterwasserarchäologische Projekte im In- und Ausland begleitet. Vor seiner Tätigkeit in Lübeck war er Wissenschaftler und Dozent für Historische Archäologie und digitale Methoden an den Universitäten Halle und Göttingen. Foto: Olaf Malzahn Wrack im Sediment „ vergraben “ liegt, besteht keine Gefahr. Doch sobald nur ein Stück des Schiffes aus dem Grund herausragt, hat die Schiffsbohrmuschel einen Angriffspunkt, von dem aus sie das gesamte Wrack zerstört. Ihr Wrack wurde bislang davon verschont? Leider nicht ganz. Auch an unserem Wrack hat die Schiffsbohrmuschel Spuren hinterlassen. Einige Hölzer, die wir geborgen haben, sehen von außen gut aus. Doch von innen sind sie massiv geschädigt. Archäologen können mit solchem Holz wenig anfangen für weitere Untersuchungen. Schon bei den ersten, frühen Tauchgängen haben wir nicht nur erkannt, wie faszinierend dieses Wrack für die Archäologie ist, sondern wie akut gefährdet es auch war. Wir mussten handeln und das Wrack sichern, um es für die Nachwelt zu erhalten. Eingangsabbildung: Ein Anker wird geborgen. © Foto: P. Stencel/ Archcom Die neue Buch-Reihe aus der Kooperation von UVK und der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Die Reihe behandelt insbesondere neue Fachthemen und neue Herangehensweisen in der Projektmanagementpraxis. Dabei steht der konkrete Nutzen für die praktische Anwendung im Vordergrund. Leser: innen dürfen sich sowohl auf einen Wissenszuwachs als auch Tipps für den Praxisalltag freuen. Bestellen Sie unter www.uvk.de . Projektmanagement neu denken Anzeige 25 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0090 Projektmanagement als modernes Werkzeug der Archäologen Iterativ vorgehen, in Szenarien denken und Stakeholder einbinden Oliver Steeger, Steffen Scheurer Dr. Ingrid Sudhoff ist Abteilungsleiterin Archäologie bei der Hansestadt Lübeck. Ihr Herz schlägt für Denkmalschutz, für die Bewahrung historischer Spuren - und für die Hilfe von modernem Projektmanagement. „ In unseren archäologischen Projekten laufen viele Fäden zusammen “ , sagt Dr. Ingrid Sudhoff, „ wir müssen die Vorhaben systematisch angehen. “ Die Lübecker Archäologin setzt auf iterative Vorgehensweisen: Archäologen können ihre Vorhaben kaum bis zum Ende durchplanen. Zu früh oder falsch gestellte Weichen gefährden den wissenschaftlichen Erfolg. Im Interview erklärt Dr. Ingrid Sudhoff, weshalb sie Projektmanagement für die Archäologie empfiehlt, wie es bei der Bergung eines Schiffswracks aus dem 17. Jahrhundert geholfen hat - und weshalb Archäologen Funde eigentlich lieber unter der Erde lassen. Frau Dr. Sudhoff, über Archäologie gibt es landläufig viele populäre Fehlurteile. Eines ist: Archäologen sind auf „Schatzsuche“ und wollen Spektakuläres ausgraben. Als Archäologin sehen Sie diesen Punkt vermutlich anders? Dr. Ingrid Sudhoff: Mit Sicherheit. Wir wollen nach Möglichkeit nicht ausgraben. Wir Archäologen müssen uns ein Stück weit zügeln - auch, wenn wir den Drang spüren, an manchen Orten nachzuschauen und Erkenntnisse über die Vergangenheit zu gewinnen. Doch es ist besser, wenn Funde im Boden bleiben. Das Bodenarchiv ist die beste Option für uns. Es ist der beste Schutz für die Funde. Weshalb die beste Option? Ausgrabungen sind immer eine Zerstörung der Originallage. Wir versuchen, so viel wie möglich unter der Erde zu bewahren für die Zukunft. Man muss wissen, dass Archäologen nicht nur von den Fundstücken selbst lernen, sondern auch davon, wie sie genau im Boden gefunden werden. Jede Kleinigkeit dieser Originallage kann Erkenntnisse über die Vergangenheit liefern. Richtig. Deshalb ist die Dokumentation der Fundstätte ein so wichtiger Prozess in unseren Projekten. Wir können beispielsweise aus dem Boden, in dem Fundstücke liegen, viele Erkenntnisse ziehen. Besonders in den vergangenen Jahren haben naturwissenschaftliche Methoden uns ganze neue Möglichkeiten gegeben. Das ist der entscheidende Punkt. Die technologische Entwicklung geht weiter. Vielleicht haben künftige Generationen ganz andere Möglichkeiten, durch uns heute unbekannte Technologien über die Vergangenheit zu lernen. Dafür muss man natürlich das Material haben, also die Proben. Wenn sie heute ausgraben, nehmen Sie vielleicht künftigen Generationen die Chance, ihre Technologien wissenschaftlich einzusetzen? Das ist die entscheidende Überlegung. Wir graben und bergen häufig nur, wenn Funde und Fundstätten akut gefährdet sind - etwa durch Baumaßnamen, landwirtschaftliche Nutzung oder wie beispielsweise jetzt bei dem Schiffswrack aus dem 17. Jahrhundert, das wir in der Trave gefunden haben. Dann können wir den Fund nicht an Ort und Stelle behalten. In diesem Fall müssen wir sorgfältig planen, wie wir das Ausgrabungsprojekt durchführen, Funde konservieren und die Lage dokumentieren. Alles so, damit möglichst auch künftige Generationen Erkenntnisse daraus ziehen können. Das heißt beispielsweise, dass wir Makroreste, die wir heute noch nicht Reportage | Iterativ vorgehen, in Szenarien denken und Stakeholder einbinden 26 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0090 untersuchen können, fachgerecht aufbewahren. Wir müssen also für die Zukunft mitdenken. Dies dürfte ein archäologisches Projekt recht komplex machen … Das ist einer der Gründe, weshalb archäologische Projekte Projektmanagement erfordern. Als Archäologin habe ich mich unlängst im Projektmanagement weitergebildet. Archäologische Ausgrabungen bedeuten auch, Projekte zu planen, Kalkulationen durchzuführen, Verträge zu machen oder Ressourceneinsätze zu ermitteln. Wie verläuft ein typisches archäologische Projekt? Es beginnt häufig damit, dass uns etwas gemeldet wird. Beispielsweise setzen uns andere Behörden über einen Verdachtsfall in Kenntnis. Bei dem Schiffswrack in der Trave, das wir derzeit bergen, hat uns das Wasser- und Schifffahrtsamt Beobachtungen einer routinemäßigen Sonaruntersuchung mitgeteilt, die auf einen archäologischen Fund hindeuten können. Durch solche Meldungen erfassen wir ein Kulturdenkmal und stellen es unter Schutz. In der Umgebung darf dann nichts mehr passieren. Was das Wrack in der Trave betrifft: Wir haben nach der Meldung erste Tauchgänge unternommen zusammen mit den Universitäten Kiel und Göttingen, um den Verdacht zu bestätigen. Wichtig in dieser frühen Projektphase ist die ständige Kommunikation und Zusammenarbeit mit allen, die mit dem Fund in Verbindungen stehen. Also auch die Öffentlichkeit und die Politik? Dies sind zwei sehr wichtige Stakeholder. Aber: Wir haben nach der Entdeckung des Wracks versucht, den Fund zunächst „unter dem Deckel“ zu halten. Der Bürgermeister und die zuständigen städtischen Bereiche waren informiert. Doch der Öffentlichkeit haben wir zu diesem Zeitpunkt noch nichts mitgeteilt. Wir wollten erst sehen, um was es sich wirklich handelt und wie wir weiter vorgehen. Auch mussten wir verhindern, dass der Fund durch Neugierige gefährdet wird. In der Frühphase eines solchen Projekts weiß man noch wenig … Natürlich! Es gibt Vermutungen und Hypothesen zu dem, was man vorfindet. Aber bei unserem Schiffswrack sind schon einige Monate ins Land gegangen, bis wir sagen konnten, dass es sich wirklich um ein historisches Wrack aus dem 17. Jahrhundert handelt. Dies haben dann die ersten Gutachten ergeben. Dann haben wir gemeinsam mit dem Bürgermeister die nächsten Schritte beraten. Was war aus unserer Sicht notwendig? Wie kann man vorgehen? Ein bedeutender archäologischer Fund ist gleich auch politisch. Inwiefern politisch? Zum einen wegen der historischen Bedeutung, zum anderen wegen des Geldes, das benötigt wird, um so ein Wrack zu bergen und zu untersuchen. Also Geld der öffentlichen Hand? Ja. Und dieser Aufwand muss gerechtfertigt werden. Außerdem besteht generelles öffentliches Interesse an Geschichte und archäologischen Funden. Wird ein Fund bekannt, kommen Fragen auf, die wir stichhaltig beantworten müssen. Was kostet das Projekt? Wie lange dauert es? Solange wir Ein Anker des Schiffs nach der Bergung. Noch kennen die Archäologen weder den Namen des Schiffes noch seine ehemaligen Eigner. Doch die Chancen stehen gut, diesen Geheimnissen auf die Fährte zu kommen. Foto: P. Stencel/ Archcom nichts genaues wissen, informieren wir nur die engsten Stakeholder. Beim Wrackfund ist erst nach einem Dreivierteljahr der Bürgermeister an die Öffentlichkeit getreten und hat die Entdeckung vorgestellt. Da war es dann auch klar, dass wir das Wrack bergen mussten, weil es akut gefährdet war. Nach allen Untersuchungen und auch Kostenanalysen hat die Bürgerschaft dann diesem Plan zugestimmt. Die Öffentlichkeit, die letztlich die Bergung finanziert, wird möglicherweise Ansprüche anmelden. Vielleicht will man das Wrack später in einem Museum sehen, wo es auch für Nicht- Wissenschaftler zugänglich aufbereitet ist. Diese Fragen kommen. Gibt es eine Ausstellung? Verschwindet der Fund im Archiv? Solche Fragen kann man vermutlich zu einer solch frühen Projektphasen noch gar nicht beantworten. Vieles ergibt sich aus dem Verlauf der weiteren Bergung. In welchem Zustand sind die Hölzer? Wie kann man sie konservieren? Aber wir müssen diese Fragen von Anfang an mitdenken und mitberücksichtigen. Das heißt, sie haben nicht das Fernziel, in einigen Jahren das Schiff in einem Museum auszustellen? Das kann man so nicht sagen. Es ist gefährlich, wenn man sich bei solchen Projekten zu sehr auf ein Fernziel versteift. Sollte sich das Ziel als unrealistisch herausstellen, muss man kleinlaut zurückrudern. Deshalb machen wir bei solchen Projekten einen Schritt nach dem anderen. Aber es ist wichtig, dass man die Optionen von Anfang an im Kopf hat und die Alternativen im Blick behält. Muss wirklich das gesamte Schiff ausgestellt werden? Gibt es die Möglichkeit, das Schiff später auch nicht komplett im Museum zu zeigen? Welche Varianten kann man sich vorstellen? Wir liefern das „ Material “ zur Entscheidungsfindung, geben fachliche Einschätzungen, äußern vielleicht auch Wünsche - doch die Entscheidungen selbst werden an anderer Stelle getroffen. Sie werden als Denkmalschützer sicherlich eigene Erwartungen oder Anforderungen mitbringen. Reportage | Iterativ vorgehen, in Szenarien denken und Stakeholder einbinden 27 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0090 Natürlich ergibt sich aus unserem Auftrag heraus ein Rahmen. Es kann nicht sein, dass wir das Schiff nach der Bergung so lagern, dass es erneut gefährdet wäre. Aber theoretisch wäre auch denkbar, einen Platz für das Schiff zu finden, an dem man es ohne Konservierung sicher einlagern kann. Vielleicht unter Wasser im Schlick. Denkbar! Wir hätten dann die Dokumentation des Fundes und die wissenschaftliche Auswertung. Wir hatten in der Frühphase des Projekts auch überlegt, den Fund an Ort und Stelle in der Trave zu belassen und ihn konservatorisch abzudecken. Diese Abdeckung wäre allerdings ein Hindernis für die Bundeswasserstraße gewesen. Das war also keine Option. Dieses Szenario ist früh ausgeschieden aus unseren Überlegungen. Um die Bergung kam man nicht herum. Dies heißt: In Ihren Projekten denken Sie in Szenarien und gehen iterativ vor. Sie sind darauf vorbereitet, dass die Politik sich in die eine oder andere Richtung entscheiden kann. Sie antizipieren Optionen und sorgen dafür, dass bestimmte Wege nur ausgeschlossen werden, wenn dem Hindernisse entgegenstehen. Dies macht Projektmanagement für unsere Arbeit so wichtig. Auf der einen Seite müssen wir intensiv mit Stakeholdern kommunizieren, Interessengruppen einbeziehen und Entscheidungen herbeiführen. Auf der anderen Seite müssen wir die Alternativen im Projekt entwickeln. Wir müssen achtgeben, dass wir Weichen nicht falsch stellen; dies kann immense Konsequenzen für solch ein Projekt haben. Die iterative, offene Vorgehensweise trägt dazu bei, dass wir nicht zu früh Entscheidungen treffen, die wir später bereuen. Sie sagten vorhin, dass Sie selbst einen Projektmanagement-Lehrgang absolviert haben … Ich habe bei einem Projekt erlebt, wie viele Fäden bei solch einem Vorhaben zusammenlaufen. Zwischen 2009 und 2016 hatten wir eine große Ausgrabung in der Lübecker Innenstadt. Wir waren damals der Vorhabenträger. Das heißt: Wir haben das Projekt selbst geleitet. Der damalige Weltkulturerbe-Koordinator hat uns nahegelegt, einen professionellen Projektsteuerer hinzuziehen. Der Koordinator machte deutlich, dass wir dieses Projekt allein nicht bewältigt konnten. Wir haben dies verstanden - und später gesehen, wie schnell sich die Investition in Projektmanagement rentiert hat. Nach diesen Erfahrungen habe ich einen Projektmanagement-Kurs belegt und mir das Handwerkszeug angeeignet. Für mich war es wichtig, mir die Ansätze und Methoden zu verdeutlichen. Einiges von diesem Handwerkszeug kannte ich ja vorher schon. Doch ich habe gelernt, Projektmanagement bewusst als Hilfsmittel anzuwenden. Als Hilfsmittel - inwiefern? Projektmanagement bringt aus meiner Sicht Systematik in die Projekte. Beispielsweise bei Kommunikation und Stakeholdermanagement hilft es, keine Interessengruppe zu vergessen und jeden ins Boot zu holen. Dies mag zunächst unspektakulär klingen, doch für uns ist es entscheidend, dass wir jede erforderliche Genehmigung und Einwilligung einholen - und Menschen auch wirklich mitnehmen. Vielleicht, weil die Belange des Denkmalschutzes draußen auch als „Störung“ empfunden werden? Die Gesetze haben sich zugunsten des Denkmalschutzes verändert. Vielfach gilt das Verursacher-Prinzip. Etwa bei Bauprojekten muss Archäologie mitgedacht werden. Der Vorhabenträger muss archäologische Untersuchungen dann auch im Rahmen des Zumutbaren bezahlen. Das heißt, wir Archäologen sind ein Teil von Bauprojekten geworden. Wir werden beispielsweise beteiligt, wenn etwa neue Gewerbegebiete oder Wohnareale erschlossen werden sollen. Wir können uns als Bodendenkmalpfleger den Baumaßnahmen natürlich nicht generell verschließen mit der Begründung, dass wir in den Gebieten, die bebaut werden sollen, archäologische Funde vermuten. Welche Möglichkeiten haben sie? Wird ein Flächennutzungsplan aufgestellt, können wir steuernd eingreifen. Falls wir stark bedeutsame Funde erwarten, können wir vielleicht erreichen, dass alternative Bauflächen gesucht werden. Aber in der Regel kooperieren wir mit Bauprojekten. Da ist es sinnvoll, wenn wir Bauprojekte mit ihren Abläufen verstehen - auch seitens des Projektmanagements. Wir können uns in solche Projekte dann ganz anders einbringen - also wirklich mitdenken und mitreden. Projektmanagement erleichtert also auch die Kooperation? Einige meiner Kolleginnen haben schon an so vielen Bauprojekten mitgewirkt, dass sie sogar vernünftige Vorschläge zu den Projekten selbst machen können. So etwas hilft uns dabei, nicht als Hemmschuh oder Störung gesehen zu werden, sondern eher als Partner. Projektmanagement ist dafür eine gemeinsame Sprache. Ich empfehle jedem in unserem Fach, sich zumindest Grundkenntnisse im Projektmanagement anzueignen. Wir haben es in der Archäologie ständig mit Situationen zu tun, in denen uns dieses Wissen helfen kann. Eingangsabbildung: Die hochauflösende Fotodokumentation zeigt, wie der Schiffsrumpf im Boden der Trave liegt.-© Foto: P. Stencel/ Archcom Dr. Ingrid Sudhoff Dr. Ingrid Sudhoff ist seit 2023 Leiterin der Abteilung Archäologie bei der Hansestadt Lübeck, aber schon seit 2001 in der Lübecker Archäologie tätig. In diesen 22 Jahren hat sie viele verschiedene Projekte geleitet, von archäologischen Ausgrabungen im Zusammenhang mit großen Bauvorhaben wie Autobahnbau oder Erschließung von Baugebieten, über Stadtkerngrabungen in der Lübecker Innenstadt bis hin zu mehrjährigen grenzüberschreitenden Projekten mit dänischen Partnern. Seit 2019 betreut sie alle bodendenkmalpflegerischen Maßnahmen im Lübecker Landgebiet und den Vorstädten und vertritt somit auch die Belange der Archäologie in allen Bauplanungsverfahren und Bauvorhaben. Foto: Olaf Malzahn 28 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0091 Projekt „E-Akte“ mit neuen Ideen für die Stadtverwaltung von Eschwege Projekte holen Fachkräfte in kommunale Verwaltungen Oliver Steeger Digitalisierung, Integration, Klimaschutz-- die Verwaltungen von Städten und Gemeinden stehen vor großen Herausforderungen. Das gemeinnützige Unternehmen „Lokalprojekte“ hat dafür einen ungewöhnlichen Lösungsansatz entwickelt. Es schlägt Brücken zwischen kommunalen Verwaltungen und Fachkräften aus der Wirtschaft und Zivilgesellschaft-- und zwar mit Projekten. Die Idee: Lokalprojekte unterstützt Verwaltungen, Projekte aufzusetzen. Es sucht anschließend nach geeigneten Fachkräften aus der Wirtschaft und Gesellschaft, sogenannte Querwechsler. Zudem unterstützt es während der gesamten Projektlaufzeit mit einem Bildungs-Begleitprogramm. Ein solches Projekt zum Thema „E-Akte“ ist bei der Stadtverwaltung Eschwege gelungen. Querwechslerin Sabrina Hein, vormals selbständige IT-Spezialisten mit Schwerpunkt Automotive, trieb dieses Projekt voran; sie ist heute fest bei der Verwaltung beschäftigt. Im Interview berichten Sabrina Hein und Charlotte Bock (Geschäftsführerin Lokalprojekte GmbH): Weshalb tun sich kommunale Verwaltungen schwer, Fachkräfte aus der Wirtschaft zu binden? Warum sind Impulse aus der Wirtschaft hilfreich für Verwaltungen? Und weshalb macht es Querwechslern Spaß, sich in der Verwaltung zu engagieren? Frau Bock, Frau Hein, kommunale Verwaltungen stehen vor modernen Herausforderungen, etwa die Digitalisierung. Doch die Verwaltungen tun sich schwer, geeignete Fachkräfte für diese Herausforderungen zu finden-- weder junge Menschen noch erfahrene Kräfte mit Spezialkenntnissen. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Ursachen? Charlotte Bock: Die jüngere Generation bewirbt sich heute immer seltener auf traditionelle Stellenausschreibungen der kommunalen Verwaltungen. Die Ausschreibung einer Position als Sachbearbeiter: in wirkt offenbar wenig attraktiv auf junge Menschen. Sie bewerben sich eher auf Projektausschreibungen, die definiert sind im Sinne von klaren Projektzielen und am Ende ein greifbares Ergebnis aufzeigen. Das motiviert und stärkt die Selbstwirksamkeit. Was erfahrene Fachkräfte aus der Wirtschaft betrifft: Die Stellenausschreibungen scheinen häufig bei diesen Menschen nicht anzukommen. Weil sich erfahrenen Fachkräfte eher in der Wirtschaft bewerben? Charlotte Bock: Nach meiner Beobachtung nehmen diese Fachkräfte kommunale Verwaltungen für sich als Chance gar nicht wahr. Sie kommen überhaupt nicht auf die Idee, dass kommunale Verwaltungen für sie interessante Herausforderungen bieten. Einige sehen Verwaltungen nicht als attraktive Arbeitgeber. Sie haben ein bestimmtes Bild von unter anderem der Arbeitsweise in Verwaltungen, ein Bild, das jedoch oft nicht mit der Realität einer modernen Verwaltung übereinstimmt. Oder aber das Wissen darüber, warum Verwaltungen manchmal längere Wege aufgrund rechtlicher Situationen haben, ist schlichtweg nicht vorhanden- - wodurch gängige Vorurteile entstehen. Hier setzt unser Unternehmen Lokalprojekte an. Wir schlagen eine Brücke zwischen Fachkräften aus der Wirtschaft und Gesellschaft und kommunalen Verwaltungen. Wir wollen die beiden Bereiche enger zusammenbringen-- und zwar durch Projekte. Reportage | Projekte holen Fachkräfte in kommunale Verwaltungen 29 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0091 Lokalprojekte setzt gemeinsam mit kommunalen Verwaltungen Projekte auf, die zwischen sechs und achtzehn Monate dauern. Diese Projekte sollen dazu beitragen, kommunale Herausforderungen besser zu bewältigen. Für diese Projekte suchen Sie Fachkräfte aus der Wirtschaft und Gesellschaft. Diese Querwechsler sollen die Projekte mit vorantreiben. Weshalb sprechen Sie von Querwechsler? Charlotte Bock: In der Wirtschaft werden häufig andere Herangehensweisen, Arbeitsmethoden und Lösungsansätze als in der Verwaltung verwendet. Man wechselt quasi zwischen zwei unterschiedlichen Welten? Charlotte Bock: Es handelt sich für beide Seiten um einen bereichernden Perspektivwechsel, bei dem das voneinander Lernen im Mittelpunkt steht. Wir wollen, dass beide Seiten von der jeweils anderen Perspektive profitieren- - besonders die kommunalen Verwaltungen von den Sichtweisen aus der Wirtschaft. Denn die Impulse, die Menschen aus der Wirtschaft mitbringen, sind für die Bewältigung neuer kommunaler Herausforderungen sehr hilfreich. Dies zeigt nicht nur die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes auf kommunaler Ebene sehr deutlich auf. Hier würden sich sicher einige Städte über kundige Fachexpert: innen freuen. Das heißt-- Sie bringen Fachkräfte in kommunale Verwaltungen, verstehen sich aber nicht als eine Art Personalagentur. Wie darf ich dies genau verstehen? Charlotte Bock: Als gemeinnütziges Unternehmen haben wir zum Ziel, an der Lösung lokaler Herausforderungen mitzuwirken. Kommunale Verwaltungen sind für die lokale Daseinsfürsorge verantwortlich und sind damit eine wichtige Säule unseres Zusammenlebens als Stadtgesellschaft. Aus unserer Sicht werden Kommunen zu wenig bei ihrer Arbeit unterstützt, besonders bei großen Herausforderungen wie der Digitalisierung oder lokaler Integrationsarbeit. Wir verstehen uns als Projekt- und Bildungsunternehmen, da wir all unsere Projekte vom ersten bis zum letzten Tag mit einem umfassenden bildenden Begleitprogramm unterstützen. Von einer Art Personalvermittlung sind wir u. a. durch diese gemeinnützige Dienstleistungskomponente weit entfernt. Sie betonen die Bedeutung von Projekten für die Verwaltung. Vorhin sagten Sie, dass gut definierte Projekte deutlich besser Fachkräfte „anlocken“ als etwa eine Stellenausschreibung. Wie gehen Sie in der Praxis vor, solche Projekte mit kommunalen Verwaltungen aufzusetzen? Charlotte Bock: In der Regel sprechen wir mit Kommunen die uns von einer spezifischen Herausforderung berichten, vor der sie stehen. Beispielsweise wollen sie lokale Integrationsarbeit verbessern oder ein Klimaschutzmanagement einführen. Wir unterstützen die Stadt dabei, daraus ein Projekt zu gestalten: also Anforderungen, Rahmen, Meilensteine und Wirkungsziele zu definieren, sowie die Festlegung eine: r verwaltungsinterne: n Pat: in, die als Sparringspartner für die eingesetzte Macher: in fungiert. Ist das Projekt definiert, leiten wir daraus ein Kompetenzprofil ab für die Person, die wir anschließend in Wirtschaft und Gesellschaft suchen. Ist diese Person von uns gefunden, stellen wir sie flexibel über eine Arbeitnehmerüberlassung in der Kommune ein- - und das Projekt kann beginnen. Wir begleiten das Projekt mit unserem Bildungsprogramm. Dazu gehört auch die Bereitstellung eines Buddy für die reibungslose Projektabwicklung, mit zweiwöchentlichen Jour Fixes mit dem Buddy sowie fachbezogener Bildungsinput über unsere E-Learning Plattform. Ist das Projekt dann also ein Katalysator für die Zusammenarbeit zwischen den beiden Welten Wirtschaft und Verwaltung? Es erlaubt ja, dass sich beide Seiten kennenlernen. Charlotte Bock: Dieser Punkt steht hinter unserer Gründungsidee. Wie vorhin gesagt, eine klassische Stellenausschreibung findet selten den Weg zu den Fachkräften. Stattdessen schreiben wir ein attraktives Projekt aus-… …-weil es mehr Zugkraft hat? Charlotte Bock: Ja, deutlich mehr Zugkraft. Es verringert die Hürden für Menschen, die sich bislang nicht vorstellen konnten, in einer Verwaltung zu arbeiten. Bei uns bewerben sich viele Menschen, weil sie an der Projektidee Gefallen finden, weil sie wirksam werden können, etwas Gutes tun-- und das Ergebnis sehen werden. Natürlich ist es schön, wenn die Kommune nach dem Projekt eine Stelle einrichten kann und die Querwechsler: in dauerhaft in der Verwaltung bleiben- - wie Sabrina Hein. Alles beginnt bei uns mit einem Projekt. Frau Hein, Sie sind Querwechslerin. Sie waren selbständige IT-Spezialistin in der Wirtschaft. Dann haben Sie für sechs Monate ein Projekt der Stadt Eschwege zum Thema E-Akte geleitet. Anschließend sind Sie ganz in die Verwaltung gewechselt, dauerhaft als Mitarbeiterin. War dieser Weg geplant für Sie? Sabrina Hein: Nein, überhaupt nicht. Ich war über viele Jahre erfolgreich im Automotive-Bereich tätig. Durch Zufall habe ich während der Covid-Pandemie die Stellenausschreibung von Lokalprojekte für das Projekt zur E-Akte gefunden. Ich fand die Sache spannend. Es handelte sich offenbar um ein fest umrissenes Projekt mit klarem Fokus, gut beschriebenen Zielen sowie mit einem Termin für den Start und das Ende. Das heißt? Sabrina Hein: Es war ein zeitlich begrenztes Projekt, mit dem ich kein Risiko einging. Ich musste meine selbständige Tätigkeit nicht aufgeben. Ich habe gespürt, dass mir ein Perspektivwechsel guttun würde. Die Gelegenheit, anders zu denken und zu arbeiten, war mir willkommen. Nach dem Projekt hat mir die Arbeit für die Verwaltung der Stadt Eschwege so gut gefallen, dass ich ihr Stellenangebot angenommen habe. Ich habe diesen Schritt nicht bereut! Für viele Menschen aus der Wirtschaft ist solch ein Schritt ungewöhnlich, für einige sogar undenkbar. Weshalb scheuen aus Ihrer Sicht Fachkräfte die Arbeit für kommunale Verwaltungen? Sabrina Hein: Vielleicht eine Klarstellung: Ich habe die Tätigkeit für kommunale Verwaltungen nicht gescheut. Ich hatte die Verwaltungen bei meiner beruflichen Planung überhaupt Reportage | Projekte holen Fachkräfte in kommunale Verwaltungen 30 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0091 nicht auf dem Schirm. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass dort Menschen wie ich gesucht werden und dass es in Verwaltungen Positionen gibt, die ich ausfüllen kann. Wie viele andere Bürgerinnen und Bürger auch hatte ich wenig Berührungspunkte mit der Verwaltung. Ich wusste nicht, dass es dort spannende Tätigkeitsfelder gibt. Woher auch? Wie häufig sehen Sie ein Rathaus von innen? Offen gesagt, selten. Sabrina Hein: Das ist der Punkt. Als Bürger: innen meldet man sich mal an oder um, verlängert einen Pass oder beantragt ein Führungszeugnis. Ansonsten erfährt man wenig. Ich wusste beispielsweise nicht, wie vielfältig eine kommunale Verwaltung ist und wie viele interessante Themen dort zusammengefasst sind- - angefangen bei sozialen Themen wie Kindergärten und Tagesstätten über Bauwesen bis hin zu Klimaschutzmanagement. In meinem vorherigen Beruf habe ich solch eine Vielfalt kaum erlebt. Dies ist heute zum einen spannend für mich, zum anderen auch positiv herausfordernd. Inwiefern positiv herausfordernd? Sabrina Hein: Wie gesagt, ich arbeite an der Digitalisierung von Verwaltungsabläufen. In der Softwareentwicklung war es schon immer meine Aufgabe, mich in Prozesse hineinzudenken und die Menschen hinter den Prozessen zu verstehen. Man kann viel lernen-- besonders bei einer kommunalen Verwaltung mit ihren vielen unterschiedlichen Berufsgruppen und Aufgaben. Ein letzter Punkt: Es geht bei der kommunalen Verwaltung um Arbeit, die direkt oder indirekt vielen Menschen zugutekommt. Wir entwickeln Lösungen, die anderen helfen. Hinzu kommt: In der kommunalen Verwaltung entstehen gerade viele neue Bereiche. Die Digitalisierung von Prozessen ist nur einer davon. Ich komme hier in den Genuss, etwas völlig neues aufzubauen, von ganz unten auf. Wir entwickeln Digitalisierungsstrategien und denken über Smart City nach. Das ist Pionierarbeit. Viele Fachkräfte aus der Wirtschaft werden von langsamen und umständlich Verwaltungsabläufen abgeschreckt. Bürokratie hat bekanntlich einen schlechten Ruf-… Sabrina Hein: Dies stimmt. Die Verwaltung hat in dieser Hinsicht leider kein gutes Image nach außen. Verwaltungsabläufe gelten als langsam, manchmal auch sperrig. Wer je wegen einer Baustelle eine Straße hat sperren lassen, kennt dies. Aber? Sabrina Hein: Bürger: innen nehmen dabei nicht wahr, weshalb dies so ist. Weshalb bestimmte Abläufe einem festen Muster folgen müssen. Weshalb bestimmte Schritte, die das Gesetz vorsieht, abzuarbeiten sind. Kürzlich wurde die Meldung veröffentlicht, dass bis 2028 in einer großen deutschen Stadt alle Faxgeräte abgeschafft werden sollen. Die Meldung hat für erstaunte Heiterkeit gesorgt. Immer noch Faxgeräte in Betrieb? Sabrina Hein: Aber kaum jemand weiß, weshalb in der Verwaltung Faxgeräte bis vor Kurzem noch notwendig waren, beispielsweise aus rechtlichen Gründen. Als Bürger: innen oder Unternehmer können wir schnell unser Faxgerät durch eine IT-Lösung ersetzen. Das ist eine individuelle Entscheidung. Doch eine kommunale Verwaltung ist kein Unternehmen. Sie ist die kleinste ausführende Einheit des Bundes. Sie ist eingebettet in ein hierarchisches Konstrukt. Die Arbeitsweise mag von außen als umständlich und langsam gesehen werden. Sie ist aber historisch gewachsen und hat ihren Sinn. Frau Bock, Lokalprojekte will Menschen aus der Wirtschaft mit kommunalen Verwaltungen zusammenbringen. Vorhin sprachen sie vom Perspektivenwechsel. Wie genau profitieren Verwaltungen von den Fachkräften, die aus der Wirtschaft oder dem zivilgesellschaftlichen Sektor kommen? Charlotte Bock: Zum einen nutzt der kommunalen Verwaltung das spezifische Fachwissen der Querwechsler: innen. Zum anderen profitiert die Verwaltung aber auch von der mitgebrachten Methodik aus der Wirtschaft, beispielsweise Projektmanagement, design thinking oder Scrum. Unternehmen müssen sich den Märkten ja immer wieder neu anpassen. Sie haben eine enorme Flexibilität entwickelt etwa bei Lösungssuche, Arbeitsweisen oder fachbereichsübergreifender Zusammenarbeit. Genau diese Flexibilität bei der Zusammenarbeit können heute Verwaltungen gut brauchen, um kommunale Projekte anzugehen und um wichtige wie dringende Zukunftsaufgaben zu lösen. Sabrina Hein: In der Praxis muss man natürlich differenzieren. In einigen Bereichen wird man die Vorgehensweisen der Wirtschaft nicht oder nur wenig anwenden können, etwa bei Bürgerservices oder Baugenehmigungen, bei denen Prozesse präzise nach Gesetz abgearbeitet werden müssen. Dort würde agiles Arbeiten nur bedingt einsetzbar sein . Kann sich öffentliche Verwaltung dennoch in Richtung Wirtschaftsunternehmen entwickeln? Beobachten Sie Veränderungen seit Sie dabei sind? Sabrina Hein: Für mein Digitalisierungsprojekt habe ich in unserer Verwaltung nach einem Besprechungsraum gesucht, der New Work begünstigt. Ich brauchte einen Raum mit digitalem Equipment wie Whiteboards oder Smartboards. Solch eine Umgebung lädt etwa zum Brainstorming ein und bildet einen willkommenen Kontrast etwa zu Büros. In der Wirtschaft ist es ja normal, beispielsweise für gemeinsame konzeptionelle Arbeiten das Büro zu verlassen, Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Fachbereichen zusammenzuholen und in einem New Work Space kreativ zu arbeiten. Und? Haben Sie einen solchen New Work Space vorgefunden? Sabrina Hein: Vorgefunden habe ich zunächst nur Besprechungsräume, die bestenfalls ein klassisches Flipchart mit Moderationskarten geboten haben. Heute aber sind wir dabei, diesen New-Work-Space aufzubauen- - als einen Ort, an dem man Team-Gespräche führen kann. Natürlich dauert es, bis der Raum wirklich eingerichtet ist und genutzt werden kann. Das ist der Unterschied zu Wirtschaft-… Sabrina Hein: Langsam! Wenn sich ein Unternehmen entscheidet, in solch einen Raum zu investieren-- dann geht es um privates Geld. Entsprechend schnell kann entschieden Reportage | Projekte holen Fachkräfte in kommunale Verwaltungen 31 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0091 und realisiert werden. Wir in der Verwaltung jedoch arbeiten anders. Hinter Entscheidungen stehen häufig politische Entscheidungsträger. Sie befinden darüber, für welche Zwecke und Ziele investiert wird. Es gibt Regularien, die ein sorgfältiges Abwägen bei solchen Investitionen sicherstellen. Die Investition in einen solchen Raum kann man nicht von heute auf morgen beschließen. Die Prozesse brauchen Zeit. Haben Sie sich zunächst daran gewöhnen müssen, dass solche Prozesse Zeit kosten? Sabrina Hein: Natürlich! Ich kam von außen. Ich musste mein Denken anpassen und mir immer wieder bewusst machen: Wir arbeiten hier mit Steuergeldern. Hier muss genau überlegt und gerechtfertigt werden, für was man diese Gelder einsetzt. Misslingt eine Investition in der Wirtschaft, dann trägt das Unternehmen den Schaden. Misslingt sie in der Kommune, dann ist es zum Schaden der Bürger. Das ist ein Unterschied! Wie hat Lokalprojekte Sie bei Ihrem Wechsel von der Wirtschaft in das kommunale Projekt unterstützt? Sabrina Hein: Unter anderem durch einen sehr spannenden und informativen Workshop. Es ging um das Thema, wie eine Verwaltung genau arbeitet und weshalb sie auf diese Weise arbeitet. Da habe ich auch den Ausdruck „Historisch bedingt“ kennengelernt. Ich habe verstanden, weshalb die Abläufe so sind, wie sie sind- - eben aus gesetzlichen, politischen oder historischen Gründen. Die Regularien können ja auch etwas Gutes haben. Etwas Gutes-- zum Beispiel? Sabrina Hein: Nehmen wir zum Beispiel die Aktenführung. Sie folgt festen Mustern. Vorgänge in der Verwaltung sind sorgfältig dokumentiert, die Unterlagen nach einheitlichen Regeln in Akten abgelegt. Dies hat durchaus Vorteile. Man kann sich in Sachverhalte schnell einlesen. Hat man die Regeln, nach denen Akten aufgebaut sind, verstanden- - dann weiß man jederzeit, wo man welche Informationen finden kann. Der Workshop hat damit gewissermaßen Ihr Mindset für die Arbeit in der Verwaltung vorbereitet? Sabrina Hein: Ja. Ich habe durch die beiden Workshoptage gelernt, eine kommunale Verwaltung besser zu verstehen. Zusätzlich wurde mir der Einstieg durch eine Patin bei der Stadt Eschwege erleichtert. Sie ist heute eine Bürokollegin. Wir beiden kamen zwar aus sehr verschiedenen Bereichen; ich bin IT-Fachfrau, sie ist Fachfrau für Öffentlichkeitsarbeit. Menschlich haben wir uns aber sofort verstanden. Frau Bock, wie unterstützen Sie diesen Onboarding- Prozess über den Workshop hinaus? Charlotte Bock: Wir verstehen uns als Sparringspartner nicht nur während der Definition des Projekts, sondern auch während der Abwicklung. Wir unterstützen bei der weiteren Ausarbeitung und der Durchführung des Projekts, vermitteln Methodik oder spezifisches Wissen oder stehen zur Seite, falls der „Kulturschock“ mal zu groß ist und Querwechsler: innen persönliche Unterstützung durch jemanden von außen brauchen. Konkret: Wir stellen dem Projekt einen Ansprechpartner aus unserem Unternehmen an die Seite, einen Buddy. Er begleitet das Projekt von Anfangen bis Ende-- und ist Ansprechpartnerin für alle Beteiligten. Vermitteln Sie bei dieser Vorbereitung auch das Handwerkszeug für Projektmanagement? Charlotte Bock: Projektmanagement vermitteln wir sehr praktisch, direkt durch die Anwendung. Wir haben zudem auf unserer ständig wachsenden E-Learning-Plattform Kurse zu Projektmanagement und Methodiken. Den Nutzen von Querwechslern für Verwaltungen habe ich verstanden: Sie bringen die neuen Arbeitsweisen, Lösungsstrategien und Methoden mit. Was ist aber mit der Wirtschaft selbst? Wie können etwa Unternehmen davon profitieren, wenn sie beispielsweise einen Mitarbeiter für ein halbes Jahr für eines Ihrer Projekte an die Verwaltung „ausleihen“. Charlotte Bock: Querwechsler: innen verstehen während ihrer Projektlaufzeit, wie eine kommunale Verwaltung funktioniert. Davon profitieren auch Unternehmen. Die Querwechsler: innen erweitern das Blickfeld der Unternehmen. Sie können den Kunden „ Öffentliche Hand “ besser verstehen. Dieses Wissen kann hilfreich sein etwa bei öffentlichen Aufträgen. Sabrina Hein: Kommunale Verwaltungen haben in der Gesellschaft- - und in Unternehmen- - ein gewisses Image. Darunter kann die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Verwaltung leiden. Angenommen, eine Kommune baut ein Informationsportal auf, das junge Menschen erreichen soll. Sie beauftragt eine Grafikagentur mit Entwürfen für die Website. Wir wissen, dass beispielsweise peppige Farben und dynamisches Design junge Menschen anspricht. Lassen Sie mich raten! Die Agentur würde solch einen peppigen Entwurf vielleicht Unternehmen aus der Wirtschaft vorlegen. Nicht aber einer Verwaltung. Sabrina Hein: Vielleicht! Peppige Farben und Verwaltung-- das geht im Kopf vieler Menschen nicht zusammen. Man assoziiert eine Verwaltung eher mit geraden Linien, gedeckten Farben und unauffälligen Website-Elementen. Dienstleister sollten versuchen, dieses Image aus ihren Köpfen herauszubekommen, wenn sie mit der Verwaltung in Projekten zusammenarbeiten wollen. Ich denke, dass sich der Perspektivwechsel lohnt- - und sowohl Verwaltungen als auch Unternehmen von Querwechslern profitieren. Eingangsabbildung: © sdecoret-- stock.adobe.com Reportage | Projekte holen Fachkräfte in kommunale Verwaltungen 32 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0091 Sabrina Hein Sabrina Hein ist derzeit Digitalisierungsbeauftragte der Kreisstadt Eschwege und bringt langjährige Erfahrungen aus der freien Wirtschaft mit. Ihre Reise begann mit einem Studium der Allgemeinen Informatik, Schwerpunkt Softwareentwicklung, an der Technischen Hochschule in Köln, welches Sie 2008 als Dipl. Informatikerin erfolgreich abgeschlossen hat. Bereits während des Studiums war sie an der TH angestellt und arbeitete in den Bereichen Softwareentwicklung und Webtechnologien in der Automatisierungstechnik. Nach Abschluss des Studiums übernahm Sabrina Hein am Institut für Automation and Industrial IT, ebenfalls an der TH Köln, die Stelle als Leiterin der Softwareentwicklung für die Schwerpunkte Industrielle Kommunikationstechnik und Industrial Security. 2008 - 2011 absolvierte sie parallel zu ihrer Anstellung den internationalen Master für Automation & Industrial IT. Von 2012 bis Februar 2023 war sie Gründerin und geschäftsführende Gesellschafterin der AIT Solutions GmbH. Als international tätiger Dienstleister im Bereich Automation & Industrial IT unterstütze das Unternehmen Hersteller und Anwender der PROFINET-Technologie. Foto: Stadt Eschwege Charlotte Bock Charlotte Bock ist Co-Geschäftsführerin bei Lokalprojekte gGmbH und Initiatorin des Programms „Integrationsmacher: innen“, gefördert von der Robert Bosch Stiftung. Sie ist gelernte Wirtschaftswissenschaftlerin und schloss ihren Master of Public Policy mit Spezialisierungen in Social Entrepreneurship und Open Government ab. Möglichkeiten staatlicher Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft über die Nutzung von Offenen Daten zum Zwecke sozialer Innovationen sowie die Bedeutung der Inkorporation von Social Entrepreneurship-Lehre und -Praxis in die Curricula von u. a. Public Policy Studiengängen zur Lösung komplexer Zukunftsherausforderungen, waren Fokusse ihrer wissenschaftlichen Lehre und Arbeiten an zwei Universitäten, bevor sie zu Lokalprojekte wechselte. Foto: privat BEA | SCHEURER | HESSELMANN Projektmanagement Der Klassiker endlich neu aufgelegt. uvk.de Anzeige 33 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0092 Methodensammlung zur Bewältigung von Projektkrisen Krisenbewältigung und Krisenarten Patrick Fiebeler Für eilige Leser | Die Fachgruppe „Turnaround“ der GPM hat sich mit der Frage beschäftigt, wie erprobte Methoden zur Krisenbewältigung praxisnah aufbereitet werden können. Daraus ist eine Prozessbeschreibung entstanden, die für die wichtigsten Arten von Krisen konkrete Schritte und Methoden empfiehlt. Die Ergebnisse werden in mehreren Artikeln in der PM-AKTUELL veröffentlicht. Dieser erste Artikel legt die Grundlagen der Krisenbewältigung und deren Krisenarten und erläutert der Krise zugrunde liegende Ziel- und Beurteilungskonflikte. Auf Basis dieser Klassifizierung werden konkrete Schritte und Methoden zur Krisenbewältigung beschrieben. Ergänzt wird der Artikel um Praxisbeispiele und Arbeitsblätter. Schlagwörter | Projektkrise, Krisenbewältigung, Turnaround, Krisenarten Einordnung Ein Projekt kann in eine Schieflage geraten. Wird diese nicht korrigiert, führt dies zu einer Krise. Steuerungslosigkeit und Handlungsunfähigkeit sind die Folge. Meist entsteht operative Hektik ohne Zielerreichung. Das Projekt steckt in einer Krise. Die Fachgruppe der GPM „Turnaround“ beschäftigt sich mit diesen Projektkrisen und hat u. a. Kriterien zur Definition einer Schieflage [1, 2] entwickelt und einen Krisenprozess definiert. Demnach entwickelt sich aus einem zunehmend kritischen Status des Projektes eine erkennbare Schieflage. Wird diese nicht aktiv überwunden, läuft das Projekt in eine Krise, die Vorphase tritt ein. Danach folgt die Phase des „Sehen und Anerkennens“. Es sollte nicht verpönt sein, den Krisenstatus zu kommunizieren. Nur wenn dieser anerkannt wird, kann er behandelt werden. Die Krise kann bewältigt werden. Dieser mehrteilige Artikel beschreibt Methoden, die für die Krisenbewältigung nach der Erfahrung der Fachgruppe besonders hilfreich sind. Sie konkretisieren die in der Literatur beschriebenen Wege Auditierung, Sanierung, Neu-Start, Coaching, Abbruch oder Mediation [3]. Klassifizierung Die Fachgruppe hat in mehreren Sessions ihre erprobten Vorgehensweisen und Methoden gegenseitig vorgestellt und abgeglichen. Dabei wurde herausgearbeitet, dass die in der Praxis angewendeten Methoden kategorisiert werden können. Es ließen sich Kriterien der Krise identifizieren, bei denen die Fachgruppe einen Konsens für die Abarbeitung der Bewältigung finden konnte. Für diese Kriterien wurde der Begriff der Krisenarten eingeführt. Die Inhalte dieses Artikels sind in der Fachgruppe „Turnaround“ der GPM entstanden. Über die letzten Monate wurden diverse Diskussionen unter den Experten geführt und diese online visualisiert. So entstand ein Vorgehen, das sich mit der Erfahrung aller Beteiligten deckt und praxistauglich angewendet werden kann. Neben dem Autor waren daran maßgeblich beteiligt: Gunnar Daehne, Siegfried Diekow, Nicola Findeis, Jörg Freese, Kai Rahnenführer, Sabine Schnarrenberger und Jörg Süggel. Wer in Zukunft einen Beitrag zur Fachgruppe leisten möchte, ist herzlich eingeladen, sich hier zu melden: turnaroundpm@gpm-ipma.de Wissen | Krisenbewältigung und Krisenarten 34 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0092 Die Krisenarten orientieren sich in erster Linie an den Ursachen von Krisen [3]: A ungelöste Konflikte B ungelöste Probleme C plötzliche Ereignisse Dabei stellen ungelöste Konflikte aus Sicht der Fachgruppe die wichtigsten Ursachen von Krisen dar. Zwar können unvorhergesehene Ereignisse und ungelöste Probleme ebenfalls auftreten. Diese sind mit den vorhandenen Methoden (z. B. Problemlösungstechniken, Kreativitätstechniken, Notfallpläne aus dem Risikomanagement) des Projektmanagements ohne größere Anpassungen an die Krisensituation anwendbar. Ungelöste Probleme und plötzliche Ereignisse sind außerdem leichter zu kommunizieren und zu bewältigen. Sie können meistens transparent und überwiegend sachlich aufgearbeitet werden. Ungelöste Konflikte hingegen verursachen nicht nur eine Krise, sondern sind schwerer zu lösen und sind tendenziell Hauptursachen dafür, dass eine Krise nicht nachhaltig, sondern allenfalls oberflächlich bewältigt werden kann. Sie sind schwerer zu erkennen und wirklich abzustellen. Sie sind häufig schwelend / latent. Daher konzentriert sich dieser Artikel auf ungelöste Konflikte als Ursache für Projektkrisen. Auf der zweiten Ebene werden die Krisenarten entsprechend weiter klassifiziert: A1 Zielkonflikte A2 Beurteilungskonflikte A3 Verteilungskonflikte A4 Beziehungskonflikte A5 Wertekonflikte A6 Rollenkonflikte Die Hypothese lautet, dass eine Projektkrise besonders effektiv und effizient gelöst werden kann, wenn die ihr zugrunde liegenden und sie immer wieder befeuernden Konflikte gelöst werden. Entsprechend wurde für diese Konfliktarten ein Vorgehen zur Lösung in der Fachgruppe erarbeitet und als Flow-Chart in der Gruppe zusammengefasst. Aus diesem Flowchart wurden die Arbeitsblätter für diesen Artikel abgeleitet. Umsetzung der Krisenbewältigung Eine Analyse und die Klassifizierung der Krise ist also der erste Schritt zur Bewältigung. Häufig sind Zeit und Ressourcen gerade in einer Krise nicht ausreichend vorhanden, um ausführliche Analysen durchzuführen. Die Fachgruppe hat daher ein Modell entwickelt, das auf Basis einfacher Beobachtungen schnelle Empfehlungen geben kann. Krisen beinhalten selten nur einen ungelösten Konflikt, ein ungelöstes Problem oder ein plötzliches Ereignis. Häufig treten gleich mehrere Schwierigkeiten auf. Werden die Krise und vor allem die sie befeuernden Konfliktarten jedoch frühzeitig klassifiziert und so die wichtigsten Symptome einem Schema zugeordnet, wird man schnell feststellen, welche Maßnahmen die größten Erfolgsaussichten versprechen. Man sollte mit der Konfliktart beginnen, die am meisten vertreten scheint. In der Krise ist es wichtig, dass Sofortmaßnahmen gestartet werden, die so fundiert wie möglich sind, statt alle Zusammenhänge umfänglich zu erfassen und geplant abzuarbeiten. Das erzeugte Flow-Chart stellt eine Art Notfallplan mit Vorratsmaßnahmen für das Risiko einer Projektkrise dar. Sobald die Wirkung einzelner Maßnahmen sichtbar wird, können weitere Maßnahmen und weniger vordringliche Konfliktarten in den Vordergrund rücken. Die Maßnahmen einer Konfliktart werden auch Auswirkungen auf andere Konflikte haben. Die Krisenbewältigung ist komplex und volatil. Wenn das Projekt in einer Krise steckt, hilft ein parallel aufgesetztes Turnaround-Projekt, die Krise zu bearbeiten und im besten Fall zu überwinden. Dabei kann auch Scrum für die Steuerung dieses Turnaround-Projektes genutzt werden: Das Flow-Chart kann durch den Krisenmanager in ein Backlog für ein Krisenbewältigungsprojekt umgewandelt und genutzt werden. Die verschiedenen Aufgaben werden als Anforderungen durch den Krisenmanager anhand der Klassifizierung der Krisenart priorisiert und dann in Sprints umgesetzt. Die Ergebnisse der Maßnahmen können am Ende des Sprints regelmäßig besprochen und reflektiert werden und so u. a. die konkreten Maßnahmen an den Verlauf der Krise angepasst werden. Viele Maßnahmen werden in einer Krise auf eine Veränderung hinwirken. Changemanagement mit seinen Methoden und Kompetenzen bietet hierfür ergänzend viel Potenzial für eine erfolgreiche Bewältigung. Krisenbewältigung bei Zielkonflikten Das Kompetenzelement „Anforderungen, Nutzen und Ziele“ und „Chancen und Risiken“ bilden die Grundlage dieses Abschnittes. Ein Arbeitsblatt mit den wichtigsten Fragestellungen und Schritten ist Teil dieses Artikels. Krisenarten-- Einordnung Krisenursachen und Konfliktarten Wissen | Krisenbewältigung und Krisenarten 35 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0092 Wenn bei der Grobanalyse der Krise immer wieder Symptome ins Auge fallen, die darauf hindeuten, dass Ziele nicht vorhanden, unklar, unterschiedlich oder nicht erreicht werden, liegt eine Krise vor, die durch Zielkonflikte befeuert wird. In einer Krise ist die Tatsache, dass Ziele nicht erreicht werden, wenig überraschend. Die meisten Projektbeteiligten würden nicht behaupten, dass sie gerade erfolgreich sind. Interessant ist jedoch, genauer herauszufinden, was die Projektbeteiligten als Erfolg (für sich) definieren. Sind diese Definitionen unterschiedlich oder unklar, ist dies ein sehr gutes Indiz für einen Zielkonflikt. Ziele sind die Kriterien des Erfolges. Wenn nicht einmal die Ziele klar sind, ist Erfolg nicht definiert. Die Projektergebnisse, egal mit welchem Einsatz und in welcher Geschwindigkeit „passen“ nicht. Insofern ist zur Bewältigung der Krise zunächst wichtig herauszufinden, ob diese Erfolgskriterien (=Ziele) überhaupt definiert und bekannt sind. Die erste Frage lautet also: a) Existiert eine dokumentierte Zielhierarchie? Für die Krisenbewältigung ist es einfacher, wenn eine Zielhierarchie vorliegt. Wenn nein, sollte diese möglichst in einem Workshop erarbeitet werden. Dabei sollte das ganze Team eingebunden sein und eine eher einfache Herangehensweise sollte gewählt werden. Es reicht evtl. schon 5-10 textliche Ziele im Team zusammenzutragen und als Präsentation aufzubereiten. Natürlich sind die Qualitätskriterien wie SMART sinnvoll. Wenn das Projektteam aber in einer Krise ist und nicht schnell die wichtigsten Ziele nennen kann, wäre ein Team mit einer detailliert, SMART formulierten Hierarchie und Zielunverträglichkeitsmatrix wahrscheinlich überfordert. Weniger ist hier mehr. Nun gibt es also eine Zielhierarchie, diese sollte näher untersucht werden und die nächsten Schritte durchgeführt werden: b) Zielhierarchie aktuell, abgestimmt, priorisiert und Zielerreichung sachlich dargestellt? Eine umfangreich theoretisch richtige Zielhierarchie nützt wenig, wenn diese veraltet ist, das aktuelle Umfeld nicht abbildet, wichtige Stakeholder nicht eingebunden sind oder Zielunverträglichkeiten nicht aufgezeigt und nicht priorisiert werden. Selbst wenn dies alles vorliegt, ist interessant, nachzuvollziehen, wie aktiv mit den Zielen gearbeitet wurde. Gibt es etwa pro Ziel einen „Botschafter des Zieles“, wurden Kennzahlen zur Zielerreichung erhoben, wurden Ziele formell geändert? Wenn all diese Fragen mit „Ja“ beantwortet werden können, kann es nicht mehr an der Zielhierarchie selbst liegen. Der Zielkonflikt resultiert dann evtl. aus Risiken. Risiken sind Ereignisse, die einer Zielerreichung womöglich entgegenstehen. Bei einem Zielkonflikt, der nicht auf die Zielhierarchie selbst zurückzuführen ist, lohnt ein Review des Risikomanagements. Die Kernfrage lautet: Wie reif ist es in dem Unternehmen insgesamt und wie wird es im Projekt gelebt? In einer Krise mit unreifem Risikomanagement sollte zunächst im Team eine einfache Risikoliste erstellt und die Maßnahmen und deren Wirkung visualisiert werden. Parallel sollte Risikomanagement als Disziplin eingeführt werden. Wichtig ist, dass Risikomanagement besonders in dieser Situation als integrale Management-Aufgabe wahrgenommen wird und nicht etwa Externe alleinig Risikolisten schreiben. Auch hier gilt, dass eine einfache Risikoliste, die allen präsent ist und gelebt wird ausreichen kann, um den Krisenmodus zu verlassen und das Projekt zumindest zu stabilisieren. Aus dem Risikoreview kann auch eine strategische Empfehlung für den weiteren Verlauf des Projektes bis hin zum Abbruch erfolgen. c) Ist auch jetzt die Krise, die vor allem durch einen Zielkonflikt befeuert wird, nicht bewältigt, sollte man sich auf die „Suche nach der Nadel im Heuhaufen“ begeben. Neben der Problemlösung als separate Krisenart kann hier eine Root Cause Analyse zur Anwendung kommen. Im Zentrum sollten hier die bisher nicht erreichten Ziele und eventuell ein Abgleich der Risiken mit anderen Projekten im gleichen Unternehmen erfolgen. d) Die zentrale Maßnahme zur Bewältigung eines Zielkonfliktes ist, dass mit dem Projektteam und (wichtig) dem Auftraggeber eine schriftliche Zielhierarchie für die nächsten 3 Monate inkl. Ziele für Krisenbewältigung erstellt werden. Je nach vorherigem Verlauf liegen hier schon Projektziele und Risiken vor oder müssen erstellt werden. In den meisten Fällen sollten die Ziele und Risiken in einer Krise angepasst werden. Dies ist der Startpunkt eines Krisenbewältigungsprojekts und kann auch Elemente / Ziele für die anderen Konfliktarten beinhalten. f) Das Krisenbewältigungsprojekt ist der Pilot für ein verbessertes Ziel- und Risikomanagement. Es sollte entsprechend Strahlkraft auf die anderen Projekte haben und z. B. durch das PMO auf andere Projekte angemessen übertragen werden. Fallbeispiel „Krise aufgrund eines Zielkonfliktes“ Peter soll ein bereits laufendes Projekt mit sechs Kernteammitgliedern übernehmen. Er wird direkt vom Topmanagement informiert und vorgestellt. Hintergrund des Einsatzes ist, dass man nicht glaubt, dass das Projekt gut vorankommt und es bereits im mittleren Management Unzufriedenheit gibt, weil sowohl Ausrichtung und Weg des Projektes als unzureichend benannt werden. Nach kurzer Vorstellung wird er mit dem Team allein gelassen und dieses empfängt ihn sogleich mit den Worten: „Peter, wir wollen nicht wieder von 0 anfangen. Wir wissen, was wir wollen, und Du sollst uns lediglich helfen, das umzusetzen.“ Peters Antwort ist kurz und knapp: „Das ist ja dann viel einfacher als gedacht! Da ich aber noch nicht genau weiß, „Ziele als Kriterium des Erfolges“ mit freundlicher Unterstützung von Wolfgang Irber (https: / / wirber.de) Wissen | Krisenbewältigung und Krisenarten 36 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0092 was erreicht werden soll, würde ich gerne von euch wissen, was in einem Jahr hier stehen soll-…“ Daraufhin fängt die erste Projektmitarbeiterin an, der zweite fällt ihr kurz ins Wort und korrigiert sie, worauf das dritte Projektmitglied die Situation wieder etwas anders darstellt. Alle sechs haben unterschiedliche Sichten auf die Ziele und stellen sie entsprechend unterschiedlich dar. So richtig zusammen passt gar nichts. Nach fünfzehn Minuten Diskussion tritt betretenes Schweigen auf. Alle gestehen, dass man wohl doch besser wieder von vorn anfängt und die Ziele gemeinsam überarbeitet. Nach dieser Runde erhält Peter ein Budget, um in einem zweitägigen Workshop mit diesem Team die Ziele, den Strukturplan, den Projektplan und die Risiken zu diskutieren und zu dokumentieren. Die unterschiedlichen Ziele der einzelnen Teammitglieder hätten früher oder später im Projekt zu Konflikten geführt. Die Frage, welche Ziele jedes Mitglied mit dem Projekt identifiziert, entlarvt genau dies ganz am Anfang des Projektes. Aus der Beratungspraxis von Gunnar Daehne (www. gdpmc.eu) Krisenbewältigung bei Beurteilungskonflikten Das Kompetenzelement „Planung und Steuerung“ bildet die Grundlage dieses Abschnittes. Ein Arbeitsblatt mit den wichtigsten Fragestellungen und Schritten finden Sie als Teil dieses Artikels. In einer Projektkrise ist häufig unklar, was der tatsächliche Sachstand ist. Die Informationen sind unvollständig oder politisch bewertet und geprägt. Je mehr die Krise sichtbar wird, desto weniger transparent werden die handelnden Personen und Abteilungen den Sachstand aufzeigen und ggf. Fehler präsentieren. Es liegt ein Beurteilungskonflikt vor. Die Basis der Projektbeurteilung sollten die verabschiedeten Projektziele und deren Erreichungsgrad sein. Ohne Ziele ist eine sachliche Beurteilung des Projektstandes in einer Krise nicht möglich. Entsprechend sollten die Schritte des Zielkonfliktes ggf. vorangestellt werden. Bei einem Beurteilungskonflikt geht es um das Finden von aussagefähigen Informationen und Daten, deren Bewertung und den daraus abgeleiteten transparenten Prognosen, Szenarien und Maßnahmen. In einer Krise sollten folgende Schritte durchgeführt werden, wenn Beurteilungskonflikte diese befeuern: a) Zunächst sollte die vorhandenen Key Performance Indikatoren [4] und Dashboards gesichtet werden. Diese sollten dem Krisenmanager einen repräsentativen Gesamteindruck verschaffen, ohne umständlich und von verschiedenen Personen erklärt werden zu müssen. Und sie sollten leicht für alle Stakeholder zugänglich sein. b) Die vorhandenen Berichte sollten dann zunächst auf Relevanz für die Stakeholder und korrektem Input geprüft werden. Für die Krisenbewältigung sollte im Mittelpunkt stehen, dass die Berichte sich an den Zielen und den wichtigen Stakeholdern und deren Interessen orientieren. Vor allem sollte geprüft werden, welche Sachstände gar keine Zielgruppe haben und inwiefern die Information so aufbereitet ist, dass die Erwartung der Zielgruppe erreicht wird. Interviews mit den Empfängern von Berichten können hierfür eine gute Grundlage bilden. c) Sind die zielgruppenrelevanten Informationen definiert, ist wichtig, dass neben der unbewerteten Darstellung der aufbereiteten Informationen fachlich nachvollziehbare Bewertungen erfolgen. Die unterschiedlichen Sichtweisen des interdisziplinären Teams sollten als sehr wertvoll angesehen und nicht verwässert werden. Dabei sollten singuläre Interessen, Abteilungen und Hierarchien keine Rolle spielen. Die Bewertung sollte abgestimmt erfolgen und alternative Handlungsempfehlungen aufzeigen. Die Entscheidung zu den Maßnahmen sollte auch strategischen Überlegungen des Unternehmens berücksichtigen, ohne strategische Entscheidungen vorwegzunehmen oder einzuengen. Eine interdisziplinäre Gesamtbewertung der Informationen ist notwendig. Die Mängel und Erfolge der unterschiedlichen Funktionen und Organisationseinheiten sollten ausgewogen dargestellt werden. Die Visualisierungen sollten einen repräsentativen Eindruck des tatsächlichen Fortschritts ermöglichen. Werden Ampeln zur Visualisierung genutzt, sollten die dahinterliegende Definition klar sein. d) Im nächsten Schritt können einzelne, kritische KPI s qualitativ verbessert werden [3]. Es bietet sich an, besonders kritische Themen in einem “deep dive” zu beleuchten und Kennzahlen daraus zu entwickeln, die die Stabilisierung der Krise anzeigen. e) Die Daten, Informationen und Bewertungen des Sachstandes beziehen sich zumeist auf die Vergangenheit. Ein besonderes Augenmerk bei Beurteilungskonflikten sollte auch auf die Trends und Prognosen gelegt werden. Neben der Fragestellung, ob es überhaupt methodisch professionelle Prognosen gibt, sollte ein Augenmerk auf die Annahmen und den Kontext gerichtet werden. Sind diese realistisch und passen z. B. zur Kontext- und Umfeldanalyse zum Start des Projektes. Genauso sollten die Risiken und Chancen berücksichtigt werden. Besonders in einer Krise sollte nicht auf ein Wunder gehofft werden und kritisch gefragt werden, mit welchen Maßnahmen und Gründen eine positive Prognose zulässig ist. f) Der letzte Schritt der Bewältigung von Beurteilungskonflikten ist gleichfalls eine Chance, die nicht nur in einer Krise, sondern permanent existiert: In einem Projektteam sind diejenigen Mitarbeiter vereint, die am meisten über das Projekt wissen. Sie tauschen sich in einer Organisation am engsten fachübergreifend aus und haben für das Projekt ein gutes Gefühl, was gerade gut und schlecht läuft. Selbst in einer Krise ist die Beurteilung des Projektteams wahrscheinlich die beste, die das Unternehmen zu bieten hat. Daran zu arbeiten, dass den Empfehlungen des Projektteams gefolgt wird und diese frei von politischen Einflüssen ist, kann Krisen verhindern und lösen. Fallbeispiel: „Wie ein Verteilungskonflikt einen Bewertungskonflikt überdeckt“ Projektleiter Peter steuert seit einiger Zeit ein komplexes Projekt, in dem an über 60 Standorten eine komplexe Lösung an Produktionslinien installiert und innerhalb eines Jahres ITtechnisch an die Zentrale angebunden werden soll. Das Projektkernteam besteht aus sechs Personen aus unterschiedlichsten Bereichen wie Logistik, IT, Qualitätsmanagement etc. Nachdem Peter das Gefühl bekam, dass ein Teammitglied sich zurückzieht und in letzter Zeit nicht mehr so engagiert Wissen | Krisenbewältigung und Krisenarten 37 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0092 erschien, beschloss er, sich mit dem Mitglied unter vier Augen zu unterhalten. Das Gespräch eröffnete zunächst, dass das Mitglied sich aus dem Projekt zurückziehen möchte. Begründet wurde dies mit zu viel Arbeit in der Linientätigkeit. Peter genügte die Antwort nicht, weil ihm diese Ressource offiziell zu 50 % garantiert war. Im weiteren Gespräch offerierte das Mitglied die Wahrheit, dass sich der Vorgesetzte seit geraumer Zeit gegenüber dem Mitglied über das Projekt negativ äußert und der Mitarbeiter diesem beständigen Druck nicht mehr standhält, obwohl er eigentlich gerne im Projekt weiterarbeiten würde. Peter schlägt dem Mitglied vor, persönlich mit dem Vorgesetzten zu sprechen. In der Vorbereitung zu dem Gespräch überlegte Peter, was wohl die Gründe sein könnten für die Ablehnung des Projektes: Hat er den Vorgesetzten nicht genug eingebunden? Hat er einen falschen Lösungsansatz verfolgt und der Vorgesetzte hat eine bessere Idee? Sind die falschen Leute involviert im Kernteam? So richtig erklären konnte Peter sich das nicht und beschloss, gleich zu Beginn des Gespräches, dem Vorgesetzten die Fakten auf den Tisch zu legen. Den Vorgesetzten kannte Peter natürlich schon als aktiven Stakeholder aus anderen Gesprächen und Meetings. Nach kurzer Begrüßung kam Peter zum Punkt seines Anliegens und der klaren Aussage, dass er den Mitarbeiter nicht aus dem Projekt gehen lassen möchte und dieser auch gern dort weiter mitwirken würde. Relativ schnell platzte dem Vorgesetzten der Kragen und es sprudelte heraus, dass Peters Projekt viel zu groß aufgestellt ist, er würde das gleiche mit zwei Personen abwickeln. Dieses aufgeblähte Projektmanagement führt zu nichts, belastet die Organisation und erreicht die Ziele nicht. Es werden viel zu viele Abstimmungsmeetings durchgeführt und zu viele Dokumente produziert. Es zeigt sich hier, dass der Vorgesetzte das Vorgehen des Projektes völlig anders bewertete als Peter und das Projektteam. Es erwies sich auch als aussichtslos, den Vorgesetzten von der planvollen Vorgehensweise des Projektes zu überzeugen, da er grundsätzlich von einer solchen Projektvorgehensweise nicht überzeugt war. Ganz tief im Innern erkannte Peter auch eine gewisse Angst, dass Peters planvolle Vorgehensweise zeigt, dass man dieses komplexe Projekt tatsächlich in Zeit und Budget erledigen kann und damit die bisherige Praxis von koordinativem Projektmanagement dem Matrixprojektmanagement unterlegen ist. Peter schlug vor, dem Vorgesetzten die Vorgehensweise offenzulegen und über den Mitarbeiter, der im Team bleiben sollte, regelmäßig Bericht zu erstatten, wie man im Detail vorankommt. So sollte der Mitarbeiter auch etwas über Matrixprojektmanagement lernen. Das Projekt endete mit drei Monaten zeitlichem und 10 % finanziellem Verzug. Nach offiziellem Ende des Projektes sagte der Vorgesetzte unter vier Augen zu Peter, dass er jetzt verstanden habe, was er in seinen Projekten bisher falsch gemacht habe-… Aus der Beratungspraxis von Gunnar Daehne (www. gdpmc.eu) Schluss Mit den zuvor genannten Methoden kann eine Projektkrise, die sich vor allem aus Ziel- und Beurteilungskonflikten ergeben, gelöst werden. Es sind keine Garantien für den Projekterfolg, aber Sie geben Auftraggebern und Projektteams wichtige Anreize, um den Turnaround zu schaffen. Zentral ist dafür auch die Kompetenz des Krisenmanagers. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass die hier genannten Kompetenzelemente besonders ausgeprägt sind und die Krise als Chance gesehen wird. Eine Krise kann zu einer positiven, revolutionären, Veränderung führen, die ohne sie nie möglich gewesen wäre. Weitere Krisenarten werden in der Fachgruppe analysiert und sukzessive in der PM-AKTUELL vorgestellt. Literatur [1] Rahnenführer, Kai / Radin, Goran: Projekte in der Krise-- oder doch nicht? Teil 1: Definition und Herleitung. Projektmanagement Aktuell 05 / 2017, S. 57-62 [2] Rahnenführer, Kai / Radin, Goran: Projekte in der Krise-- oder doch nicht? Teil 2: Checkliste zur Einschätzung der Situation eines Projektes. Projektmanagement Aktuell 02 / 2018, S. 37-45 [3] GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement, Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM4): Handbuch für Praxis und Weiterbildung im Projektmanagement [4] A Guide to the Project Management Body of Knowledge (PMBOK® Guide), 7th Edition by Project Management Institute Published by Project Management Institute, https: / / pmi.org, 2.7.1.1 Seite 95 ff. Eingangsabbildung: © iStock.com / Andranik Hakobyan Patrick Fiebeler Unter dem Markennamen „Projektmanagement mit Tiefe“ hat Patrick Fiebeler seine Erfahrung und Passion für Projektmanagement zusammengefasst. (www.pm-tiefe.de). Ein ausführliches Porträt ist in der PM-AKTUELL 02 / 2020 über ihn erschienen. Wissen | Krisenbewältigung und Krisenarten 38 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0092 Arbeitsblatt: Beurteilungskonflikte Bei einem Beurteilungskonflikt geht es um das Finden von aussagefähigen Informationen und Daten, deren Bewertung und den daraus abgeleiteten transparenten Prognosen, Szenarien und Maßnahmen. In einer Krise sollten folgende Schritte durchgeführt werden, wenn Beurteilungskonflikte diese befeuern: a) Prüfen der Key Performance Indikatoren und Dashboards Verschaffe Dir einen Überblick anhand des vorhandenen Materials c) Fachliche Nachvollziehbarkeit der Bewertungen − Werden die fachlichen Bewertungen als nachvollziehbar wahrgenommen? − Werden Mängel und Erfolge ausgewogen dargestellt? − Erfolgen die fachlichen Bewertungen abgestimmt im interdisziplinären Team? − Zeigen diese Bewertungen auch alternative Handlungsempfehlungen auf? − Beziehen die Handlungsempfehlungen strategische Überlegungen ein? − Werden Entscheidungen in der Bewertung vorweggenommen? − Sind Visualisierungen enthalten, die einen Eindruck des tatsächlichen Fortschritts vermitteln? d) Optimierung kritischer KPIs − Schaue Dir die KPIs an, die eine Stabilisierung der Krise anzeigen würden und prüfe ob diese verbessert (Relevanz, Genauigkeit, Darstellung, ...) werden müssen. e) Trends und Prognosen − Werden bereits Trends und Prognosen verwendet? − Sind die Annahmen realistisch und im Kontext realistisch? − Werden positive Prognosen geprüft? Wenn ja, wie? f) Wird Empfehlungen des Projektteams geglaubt? − Wenn nicht, solltest Du daran arbeiten. b) Prüfen der Relevanz des vorhandenen Materials und der Berichte − Prüfe die Relevanz für die Stakeholder − Wird auf die Ziele orientiert berichtet? − Gibt es für alle Sachstände auf Zielgruppen? − Treffen die Berichte die Erwartung der Stakeholder? Check Check Check Check Jörg Freese Arbeitsblatt: Zielkonflikte Wenn nicht einmal die Ziele klar sind, ist Erfolg nicht definiert. Wie definieren Projektbeteiligte (für sich) Erfolg. Sind diese Definitionen unterschiedlich oder unklar, ist dies ein sehr gutes Indiz für einen Zielkonflikt. e) Anpassen der Ziele und Risiken an die Krisensituation Zur Bewältigung eines Zielkonfliktes ist es wichtig, mit dem Projektteam und dem Auftraggeber eine schriftliche Zielhierarchie für die nächsten 3 Monate inkl. Ziele für Krisenbewältigung zu vereinbaren. a) Existiert eine dokumentierte Zielhierarchie? Nein? Erstelle eine einfache Zielhierarchie. 5-10 textliche Ziele im Team zusammentragen und als Präsentation aufzubereiten. Do b) Zielhierarchie aktuell, abgestimmt, priorisiert und Zielerreichung sachlich dargestellt? Aktuell, vollständig und genutzt? − Ist die Zielhierarchie aktuell? − Ist das derzeitige Umfeld abgebildet? − Sind die wichtigen Stakeholder eingebunden? − Werden Zielunverträglichkeiten aufgedeckt und priorisiert ? − Ist pro Ziel definiert wie die Zielerreichung gemessen wird (KPI)? − Wurde aktiv mit den Zielen gearbeitet? − Wurden ‚Botschafter des Ziels‘ definiert und nehmen diese ihre Aufgabe wahr? − Wird ein Verfahren zur Zieländerung genutzt? Check c) Stehen Risiken einer Zielerreichung im Wege? − Wie reif ist das Risiko Mgmt in dem Unternehmen insgesamt und wie wird es im Projekt gelebt? − Wird das Risiko Mgmt als integrale Management Aufgabe wahrgenommen? − Erstelle eine einfache Risikoliste, die Maßnahmen und deren Wirkung visualisiert − Führe parallel ein Risikomanagement ein und stelle sicher, dass es als integrale Management-Aufgabe wahrgenommen wird − Ableitung strategischer Empfehlungen zur Zukunft des Projektes ableiten Sonst d) Ist die Krise noch nicht bewältigt? − Beginne die Suche nach der Nadel im Heuhaufen − Problemlösung als separate Krisenart − Führe ggf. eine Root Cause Analyse durch. Fokus auf noch nicht erreichte Ziele und Abgleich mit Risiken mit anderen Projekten Do Jörg Freese Arbeitsblätter Beurteilungskonflikt und Zielkonflikt 39 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0093 Bau eines Motorflugzeugs in einer Lehrveranstaltung Projektmanagement praktisch erleben mit Project Based Learning Jochen Brune Für eilige Leser | Projektbasiertes Lernen (PBL) ist eine ideale Methode, um Studierenden an Hochschulen praktische Projektmanagement-Kompetenzen zu vermitteln. Selbst anspruchsvolle Projekte werden hierdurch möglich. Jedoch ist die Balance zwischen den angestrebten Lernzielen und der praktischen Projektdurchführung in der Hochschulpraxis herausfordernd. Mit Hilfe des ‚PBL-Gold Standards‘ lassen sich PBL-Projekte zielgerichtet entwerfen und auf Effektivität hinsichtlich der Lernziele überprüfen. Am Beispiel des Projekts ‚IP Plane‘ der Hochschule Reutlingen, dem Bau eines Motorflugzeugs durch Studierende, wird die praktische Umsetzung eines PBL-Projektes demonstriert. Schlagwörter | Projektbasiertes Lernen, PBL, Hochschul-Projekte, PBL Gold Standard, Projektmanagement-Ausbildung, Didaktik im Projektmanagement, Motorflugzeug, Flugzeugbau. Können Studierende ohne Vorkenntnisse ein echtes Motorflugzeug bauen? Mit Hilfe von gutem Projektmanagement ist das möglich! Gutes Projektmanagement lässt sich aber nicht allein im Hörsaal erlernen. Entscheidend für den beruflichen Erfolg von Projektleiterinnen und Projektleitern sind vor allem ihre praktischen Kompetenzen im Projektmanagement. Deren Vermittlung an Hochschulen ist jedoch herausfordernd. Eine geeignete Methode zur Vermittlung praktischer Kompetenzen ist das „Projektbasierte Lernen“ (PBL). Sie lässt sich auf Arbeiten von John Dewey [1], [2], einem amerikanischen Philosophen und Pädagogen, zurückführen. Dewey sieht die Rolle des Lehrers als Begleiter und Vermittler im Lernprozess, der die Studierenden bei ihrer Entwicklung unterstützt, anstatt Wissen nur durch Frontalvortrag zu vermitteln. Im Studiengang „Wirtschaftsingenieurwesen - International Project Engineering (B.Eng.)“ (kurz: IP) der Hochschule Reutlingen werden Studierende auf eine Karriere als Projektleiterinnen und Projektleiter in der Industrie vorbereitet. In einer Vielzahl von Projekten können die Studierenden Praxiserfahrung im Projektmanagement sammeln. Highlight ist das Projekt ‚IP Plane‘ des Studiengangs im 6. Semester, in dem seit 2012 Motorflugzeuge mit PBL-Projekten im Rahmen einer Lehrveranstaltung realisiert werden [3]. Die Vermittlung praktischer Projektmanagement-Kompetenzen und nicht der Bau eines Flugzeugs ist jedoch das eigentliche Ziel der Lehrveranstaltung. Im Folgenden wird, nach einer kurzen Übersicht, zunächst auf das Design von PBL-Projekten eingegangen. Anschließend wird der Ablauf des Projekts ‚IP Plane vorgestellt. Anhand dieses Projekts wird exemplarisch die Optimierung von PBL-Projekten aufgezeigt. Die dargestellte Vorgehensweise kann anderen PBL-Projekten und Hochschulen als Blueprint dienen. 1. Design von PBL-Projekten mithilfe des ‚Gold Standards‘ Projektbasiertes Lernen hat sich inzwischen an vielen Schulen und Hochschulen etabliert. Besonders im ingenieurwissenschaftlichen Bereich existieren langjährige Erfahrungen (z.B. [4], [5]). PBL ermöglicht nachweislich die konkrete Verbesserung von technischen und transversalen Fähigkeiten, Teamarbeit, Kommunikation und Konfliktlösung, Zusammenarbeit, Management von Ressourcen, Unternehmertum, kritisches Denken, Problemlösungsfähigkeit und selbstgesteuertem Lernen [6]. Auch die Verknüpfung von PBL-Projekten mit bekannten Projektmanagement-Frameworks wurde untersucht [7]. Außerdem konnte nachgewiesen werden, dass sich mit- Wissen | Projektmanagement praktisch erleben mit Project Based Learning 40 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0093 hilfe von PBL auch Führungskompetenzen und kommunikative Fähigkeiten signifikant verbessern lassen [8]. Die genannten Kompetenzen sind für Projektleiter entscheidend. Inzwischen hat sich die Methode etabliert und es existieren verschiedene Frameworks, die Lehrende beim Design und bei der Durchführung von PBL-Projekten unterstützen [9], [10], [11]. Für den praktischen Entwurf von PBL-Projekten im schulischen und universitären Bereich bietet der sogenannte ‚Gold Standard‘ von Larmer und Mergendoller [3] (siehe Abb. 1) einen geeigneten Rahmen. Er besteht aus der zentralen Lernziel-Definition und sieben Designelementen. Dieses Framework wird im Folgenden kurz erläutert, bevor es auf das Projekt ‚IP Plane‘ angewandt wird. Lernziele (Learning Goals) Zu Beginn des Designs eines PBL-Projekts steht die Definition der Lernziele. Hierzu zählen sowohl das zu vermittelnde Fachwissen als auch die von den Studierenden zu erwerbenden Erfolgskompetenzen. Zu letzteren gehören insbesondere diejenigen Fähigkeiten, die zum kritischen Denken, zur Kooperation, zur Lösung von Problemen und zur Innovation im betrachteten Fachgebiet erforderlich sind. Erfolgskompetenzen können jedoch nur auf der Basis eines soliden Fachwissens vermittelt werden, welches vor oder innerhalb des PBL-Projekts erworben werden muss. Herausforderndes Problem Ein zentrales und herausforderndes Problem steht zu Beginn jedes PBL-Projekts. Dieses muss einerseits in Bezug zu den definierten Lernzielen stehen, andererseits aber auch einen klaren Bezug zu den Interessen der Studierenden haben. Bei gelungener Definition schafft das Problem die Notwendigkeit, Wissen selbst zu akquirieren, um das Problem zu lösen. Inspiration zur nachhaltigen Recherche Auf der Basis des herausfordernden Problems recherchieren die Studierenden selbständig das für die Lösung erforderliche Fachwissen. Diese Recherche erfordert Zeit und erfolgt meist iterativ. Die Studierenden erlernen, die richtigen Fragen zu stellen und Neugierde zu entwickeln. Authentizität Ein nachhaltiges Engagement der Studierenden wird durch Authentizität, also die Arbeit an einem „echten“ Problem, erreicht. Dies kann beispielsweise die Lösung eines Problems in der realen Welt oder der Umgang mit professionellen Methoden und Werkzeugen sein, welche die Studierenden in ihrer zukünftigen beruflichen Tätigkeit benötigen. Die Motivation steigt, da die erlernten Konzepte und Fähigkeiten auch außerhalb des Hörsaals von Bedeutung sind. Stimme und Entscheidungsspielräume Effektive PBL-Projekte bieten den Studierenden vielfältige Gelegenheiten, ihre Perspektiven zu teilen und zu präsentieren. Außerdem geben sie den Studierenden Kontrolle und Entscheidungsspielräume. Hierdurch erreicht man, dass sich die Studierenden das Projekt zu Eigen machen und sich kontinuierlich engagieren. Sie erlernen außerdem, Entscheidungen vorzubereiten, zu treffen und die damit verbundenen Konsequenzen zu tragen. Reflexion Wir lernen nicht aus Erfahrung, sondern in dem wir unsere Erfahrungen reflektieren [1]. Im Projekt geschieht dies beispielsweise in Form von Diskussionen und Dialogen oder auch formalisiert mit Reportings, Reviews Präsentationen oder Assessments. Die Reflexion hilft den Studierenden, Verantwortung für ihren eigenen Lernerfolg zu übernehmen, Erfolge zu feiern und an den Herausforderungen zu wachsen. Konstruktive Kritik, Feedback und kontinuierliche Verbesserung Qualitativ hochwertige Arbeit ist ein Kennzeichen des PBL- Projekts. Dies erfordert Bereitschaft und Fähigkeit zu kons- Abbildung 1: Goldstandard des Projektbasierten Lernens (angepasst, nach Larmer und Mergendoller [3]) Wissen | Projektmanagement praktisch erleben mit Project Based Learning 41 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0093 truktiver Kritik und Feedback. Auf dieser Basis findet eine kontinuierliche Verbesserung sämtlicher Prozesse statt. Konstruktive Kritik und Feedback sind außerdem die Basis für die Bewertung der Studierenden im Projekt. Die Verantwortung hierfür verschiebt sich somit vom Lehrenden auf das gesamte Projektteam. Ergebnisse öffentlich präsentieren Die öffentliche Präsentation der Projektergebnisse fördert maßgeblich Motivation und Engagement der Studierenden. Außerdem trägt sie zu einem hohen Qualitätsbewusstsein bei. Die Bedeutung des Projekts wird somit erhöht. Hierfür bieten sich zahlreiche Möglichkeiten an, wie beispielsweise Presseartikel oder einen Tag der offenen Tür. Die richtige Auswahl und das Design eines PBL-Projekts sind somit die wichtigsten Erfolgsfaktoren. Neben dem Design von PBL-Projekten eignet sich der beschriebene „Gold Standard“ [3] auch hervorragend dazu, existierende Projekte einer Prüfung zu unterziehen, zu reflektieren und somit kontinuierlich zu verbessern. 2. Das Projekt ‚IP Plane‘ - Vermittlung praktischer Projektmanagement-Kompetenzen im Studium Im Projekt ‚IP Plane‘ im 6. Semester sollen neben praktischen Kompetenzen im Projektmanagement auch weitere Studieninhalte unter anderem aus den Bereichen Maschinenbau, Elektrotechnik, Informatik, Smart Systems, Marketing sowie rechtliche Fragestellungen vermittelt werden. Welches Projekt könnte daher passender, spannender und motivierender sein, als der Bau eines Motorflugzeugs? Auf Basis eines Kits der Firma Van’s Aircraft entstand über einen Zeitraum von fünf Jahren ein zweisitziges, einmotoriges Sportflugzeug des Typs RV-12 in klassischer Aluminiumbauweise. Der Erstflug und die Taufe auf den Namen „Ingenious Performance“ erfolgten in 2018 und eine umfangreiche Flugerprobung folgte. Inzwischen wurde das fertige Flugzeug verkauft. Vermutlich ist es weltweit das erste Flugzeug, welches in einer regulären Lehrveranstaltung an einer Hochschule entstanden ist. Seit 2018 wird am zweiten Flugzeugprojekt, einer Pitts Model 12, gebaut. Das neue Flugzeug entsteht in Holz- und Stahlrohrbauweise und ist sehr viel aufwändiger zu realisieren. Beispielsweise müssen die komplexe Avionik, der Motoreinbau und die komplette Motorüberwachung selbst entworfen und realisiert werden. 3. Anwendung professioneller Projektmanagement-Methoden im Projektverlauf Ein Semester lang sollen Studierende im Rahmen des Projektes IP Plane in verschiedenen Rollen erfahren, wie sich die Arbeit in einem industriellen Projekt „anfühlt“. Leider kann nicht jedes Teammitglied in die Rolle des Projektleiters schlüpfen, jedoch werden alle relevanten Projektrollen besetzt. Dem Projekt liegt ein professioneller Projektmanagement-Prozess zugrunde, der auf Basis eines industriellen Vorbilds entworfen wurde. Dieser bietet den Teammitgliedern Orientierung während des gesamten Projektablaufs. Das Projekt folgt dabei einem hybriden Vorgehensmodell: Während der Phasenplan mit den Meilensteinen klassischem Projektmanagement entspricht, erfolgt die tägliche Arbeitsplanung teamweise an Scrum-Boards mithilfe von Aufgabenkarten. Abbildung 2: RV-12 „Ingenious Performance“ der Hochschule Reutlingen bei der Flugzeugtaufe auf dem Flugplatz Poltringen 2018 [Bildquelle: Jürgen Schelling [13]] Das Projekt startet jeweils zu Semesterbeginn mit der Besetzung des Projektteams (siehe Abb. 3). Die Team-Zusammensetzung ändert sich von Semester zu Semester etwas, je nachdem, welche Arbeiten anstehen. In der Regel setzt sich das gesamte Projekt jedoch aus Management Team, Marketing Team, Fuselage Team, Wing Team, Avionik Team und Engine Team zusammen. Somit entsteht eine sehr realistische Projektorganisation, lediglich der prozentuale ‚Management Overhead‘ ist höher als in der industriellen Realität. Insgesamt nehmen in jedem Semester maximal 22 Studierende am Projekt teil. Wie in der Industrie bewerben sich die Studierenden mit einem Anschreiben und Lebenslauf auf bis zu drei Rollen in den verschiedenen Teams. Das Steering Board wird von den beiden beteiligten Dozenten der Lehrveranstaltung gebildet, die gleichzeitig aber auch als Berater und als Sponsoren fungieren. Wie in einem industriellen Projekt wird zunächst der Projektleiter durch das Steering Board ausgewählt, danach erfolgt gemeinsam die Besetzung aller weiteren Rollen im Projekt. Hierbei wird nach Qualifikation und Vorerfahrungen ausgewählt. Der M0 Meilenstein (siehe Abb. 5) ist erreicht, wenn alle Rollen im Projekt besetzt sind. Nun erfolgt die Einarbeitung der Teams in die jeweiligen Aufgaben. Bis zum M1, dem Start Durchführungsphase, vergehen ca. 3 Wochen. Dies ist die anspruchsvollste Zeit für das Management Team und die Supervisors, denn die Planungen sämtlicher Teams und die Arbeitspakete-Beschreibungen müssen im Detail bis dahin vorliegen. In der M1-Meilensteinpräsentation stellen die Teams ihre Arbeitspakete und Ziele für das Semester dem Steering Board vor und stellen damit sicher, dass die Erwartungen des Steering Boards mit den im Semester erreichbaren Zielen in Übereinstimmung gebracht werden. Mit dem M1 beginnt die eigentliche Bauphase, die sich über ca. 8-10 Wochen erstreckt. In dieser Phase werden beispielsweise Bremsleitungen im Rumpf eingebaut, Rippen am Flügelholm verleimt, Anbauten am Motor angeschlossen, Avionik-Komponenten getestet, Bestellungen vorgenommen, Presseartikel verfasst und Berichte erstellt. Aus Projektsicht werden wichtige PM-Methoden eingesetzt und eingeübt: Neben einer professionellen Projektplanung, Scrum Boards und Meilenstein-Reviews anhand von Checklisten zählen unter anderem Projektreporting, Risiko- und Qualitätsmanagement sowie die umfangreiche Dokumentation nach Vorgaben des Wissen | Projektmanagement praktisch erleben mit Project Based Learning 42 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0093 Luftfahrt-Bundesamtes (LBA) zu den Aufgaben der Teams. Alle Methoden werden nach industriellen Standards eingesetzt. Höchstmöglicher Qualität kommt eine besondere Bedeutung zu, denn es entsteht ja ein echtes Flugzeug, mit dem später einmal Menschen fliegen. Das Qualitätsmanagement wird daher durch mehrere ineinandergreifende Plan-Do- Check-Act(PDCA)-Loops gebildet. Die erste Schleife bildet das jeweilige Arbeitsteam: vor dem Beginn eines neuen Bauabschnitts wird im jeweiligen Team jeder einzelne Schritt zunächst am Scrum-Board besprochen und geplant (P), danach realisieren Teammitglieder die Arbeit (D). Schließlich überprüft das Team die korrekte Durchführung des Arbeitsschritts (C) und korrigiert, falls erforderlich, nochmals die Arbeiten oder die Prozesse (A). Die Fertigstellung einer Baugruppe wird anschließend durch einen studentischen Qualitätsmanager einem detaillierten Qualitätsreview unterzogen. Schließ- Abbildung 3: IP Plane Org-Chart: Typische Teamzusammenstellung (Anzahl der Teammitglieder in Klammern) Abbildung 4: M3-Meilenstein-Präsentation im Hangar: Projektleiterin Larissa Fix präsentiert die erreichten Ergebnisse. lich erfolgen jeweils zu Semesterende umfangreichere Prüfmaßnahmen durch einen Prüfer des Luftfahrt-Bundesamts. Der Bau eines Flugzeugs ist sehr komplex, daher ist professionelles Wissensmanagement ein zentraler Erfolgsfaktor des Projekts. Umfangreiche Informationen zum Bau müssen von den studentischen Teams recherchiert, gelesen, verstanden, dokumentiert und abgelegt werden. Gemäß LBA- Vorgaben muss außerdem jeder Arbeitsschritt mit Foto und Beschreibung in einem standardisierten Format dokumentiert werden. Alle relevanten Dokumente werden zentral auf dem Sharepoint der Hochschule abgelegt. Der studentische System-Administrator ist für die Ordnerstruktur und die Qualität der abgelegten Dokumentation verantwortlich. Mit dem Meilenstein M2 enden die Bauarbeiten eines Semesters. Nun wird die Dokumentation auf den endgültigen Stand gebracht. In Projektabschluss-Workshops werden Good Practices und Lessons Learned gesammelt und für die Übergabe an das Folgesemester aufbereitet. Außerdem erfolgt die Evaluation der Teammitglieder. Mit dem M3 endet das aktuelle Semester. Damit ist die Arbeit des aktuellen Semesters aber noch nicht beendet. Ebenfalls zum Wissensmanagement zählt die Übergabe des Projekts an das Folgesemester. In einem strukturierten zweitägigen Übergabe-Workshop werden die Erfahrungen an das kommende Semester teamweise und persönlich weitergegeben. Erst wenn das neue Projektteam die vollständige Übergabe bestätigt, ist das aktuelle Team entlastet und der M4 wird erklärt. Mit dem Erstflug und der Taufe des ersten Flugzeugs 2018 wurde nach 10 Semestern Bauzeit ein großer Erfolg erzielt, der ein großes Echo in Presse und Fernsehen fand (z. B.: [12], [13]). Ca. 400 Gäste haben an der Veranstaltung auf dem Flugplatz Poltringen teilgenommen, davon viele ehemalige Studierende und deren Angehörige. Es bestätigte sich somit, dass Studierende tatsächlich ein echtes Motorflugzeug bauen können, wenn sie mit professionellen Projektmanagement- Methoden arbeiten. Bisher existieren in der Literatur jedoch nur wenige Beispiele zur praktischen Realisierung von PBL-Projekten. Beim Wissen | Projektmanagement praktisch erleben mit Project Based Learning 43 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0093 IP Plane Projekt liegt dies unter anderem daran, dass es bereits einige Jahre vor der ersten Veröffentlichung der PBL- Standards begonnen wurde. Daher wird im Folgenden exemplarisch anhand des PBL-Gold-Standards überprüft, wie das IP Plane-Projekt den Gold-Standard erfüllt und wo Optimierungspotenziale existieren. Dies kann anderen PBL Projekten als Anregung für das Projektdesign dienen. 4. Wie der PBL-Gold Standard im Projekt IP Plane umgesetzt wird Lernziele Im Studiengang „Wirtschaftsingenieurwesen - International Project Engineering (B.Eng.)“ der Hochschule Reutlingen sind die Lernziele für das Projektmanagement im Modulhandbuch auf Basis der ICB 3.0 Kompetenzmodells der IPMA definiert. Ziel ist eine Qualifizierung der Studierenden, die mindestens dem Level D entspricht. Eine Anpassung zur ICB 4.0 wird mit der nächsten Reakkreditierung vorgenommen. Im Projekt IP Plane sind die inhaltlichen Projektziele für das jeweilige Semester klar formuliert. Durch den im Projekthandbuch festgelegten Projektmanagement-Prozess wird allen Beteiligten der Projektablauf einschließlich der einzusetzenden Projektmanagement-Methoden vorgegeben. Somit sind auch die Lernziele implizit vorgegeben. Bisher fehlen jedoch explizit formulierte Ziele für den Kompetenzaufbau im Projektmanagement, sowohl für das gesamte Team als auch für die einzelnen Rollen im Projekt. Diese soll ebenfalls auf Basis der ICB 4.0 formuliert werden. Abbildung 5: Phasenplan des Projekts IP Plane Abbildung 6: Abnahme des Flügel-Baufortschritts durch LBA-Prüfer Markus Pöschel (Mitte). (links: Steering Board Mitglied und Sponsor Jochen Brune, rechts: Leiterin Flügelteam Alicia Weissenberger) [Bildquelle: Paul Jacot, 2023] Herausforderndes Problem Ein herausforderndes Ziel ist sowohl mit dem Gesamtprojekt als auch mit den einzelnen Bauabschnitten gegeben. In der Praxis erweist sich der Flugzeugbau als ideales PBL-Projekt, da es spektakulär, motivierend, inspirierend und gleichzeitig inhaltlich anspruchsvoll ist. Der Bezug zu den Lernzielen ist stets gegeben. Dies gilt sowohl für die Projektmanagementbezogenen Anteile als auch für die praktisch-technischen Themenbereiche. Inspiration zur nachhaltigen Recherche Die Komplexität des Projekts stellt die Studierenden tagtäglich vor neue Herausforderungen und erfordert, Wissen selbst zu recherchieren, kontinuierlich aufzubauen und Probleme zu lösen. Datenbanken, Websites, Baudokumentation, aber auch Kontakt zu Experten aus dem Luftfahrtbereich werden den Studierenden für die Recherche zur Verfügung gestellt. Authentizität Mit dem Bau eines echten Motorflugzeugs ist die Authentizität gegeben. Es geht eben nicht um ein Modellflugzeug, sondern um ein Flugzeug, mit dem später Menschen fliegen. Die Studierenden entwickeln ein hohes Qualitätsbewusstsein und verstehen, dass ihr Handeln im Projekt und in der Realität Konsequenzen hat. Stimme und Entscheidungsspielräume geben Im Projekt IP Plane werden die Studierenden auf vielfältige Weise gefordert, ihre Arbeitsergebnisse zu kommunizieren und zu präsentieren. Dies geschieht beispielsweise im per- Wissen | Projektmanagement praktisch erleben mit Project Based Learning 44 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0093 sönlichen Gespräch, in Reports und in Meilenstein-Präsentationen. Umfangreiche Entscheidungsspielräume sind gegeben. Komplexere technische Entscheidungen werden durch Studierende vorbereitet und gemeinsam mit den Steering Board, gegebenenfalls weiteren Experten und dem Prüfer des Luftfahrt-Bundesamtes getroffen. Reflexion Durch die regelmäßig stattfindende Vorstellung ihrer Arbeitsergebnisse in Meilensteinpräsentationen, Reportings und im persönlichen Gespräch mit dem Steering Board erhalten die Studierenden vielfältige Gelegenheiten zur Reflexion. In Teamevents werden Erfolge gemeinsam gefeiert. Eine explizite Reflexion der Lernergebnisse im Projektmanagement ist jedoch bisher nicht Bestandteil des Projekts. Konstruktive Kritik, Feedback und kontinuierliche Verbesserung Durch ineinandergreifende PDCA-Loops ist kontinuierliche Verbesserung sämtlicher Prozesse gegeben. Feedback und konstruktive Kritik werden außerdem in verschiedenen Meilenstein-, Reporting- und Reviewmeetings ausgetauscht. Die Studierenden stehen in der Verantwortung für den Projekterfolg. Ergebnisse in der Öffentlichkeit präsentieren Über das Projekt IP Plane wird regelmäßig in der Öffentlichkeit berichtet. Dies geschieht auf verschiedenen Kanälen, die durch das jeweilige Marketing Team gesteuert werden. Beispiele sind Präsentationen in den sozialen Medien, Presseartikel, Fernsehberichte, ‚Open Hangar Days‘ und Tage der offenen Tür (z.B.: [3], [12], [13], [14]). Ergebnisse der Analyse Das Projekt IP Plane erfüllt in vielen Aspekten bereits heute den Goldstandard. Jedoch kann die Erreichung der die Projektmanagement-bezogenen Lerninhalte klar verbessert werden. Im Bereich ‚Lernziele‘ sollten hierfür die Ziele für den Kompetenzaufbau explizit formuliert werden. Dies sollte idealerweise auf Basis der ICB 4.0 der IPMA erfolgen. Im Bereich ‚Reflexion‘ sollten Reflexionspunkte formalisiert in den Projektmanagement-Prozess aufgenommen werden, zu denen der erreichte Kompetenzaufbau im Projektmanagement und gegebenenfalls in anderen Kompetenzbereichen thematisiert und der Lernfortschritt den beteiligten Studierenden bewusst gemacht wird. 5. Zufriedenheit der Studierenden und Dozenten Trotz bestehender Optimierungspotentiale sind die Studierenden mit dem PBL-Projekt ‚IP Plane‘ jedenfalls äußerst zufrieden und bestätigen die angestrebten Projektmanagement-Lernerfahrungen. Die folgenden Statements einiger Studierender sprechen für sich: „Von Anfang an hat es mich fasziniert, bei einem echten Flugzeugbau mitzuwirken. [...] Als Supervisorin des Wing Teams begeistert es mich außerdem, die Verantwortung für ein Team zu übernehmen und gemeinsam stolz auf erfolgreich abgeschlossene Arbeitspakete zurückzublicken.“ Alicia Weissenberger, Leiterin Wing Team, Sommersemester 2023 „Ein absolutes Highlight ist das Projekt IP Plane. Hier konnte ich erstmals Erfahrungen als Supervisor sammeln und Verantwortung für andere Teammitglieder übernehmen.“ Armin Breitmaier, Leiter Engine Team, Sommersemester 2023 „Es war eine tolle Erfahrung! Diese Tätigkeit ist sehr vielseitig und als Projektleiterin bekommt man Einblicke in alle Bereiche und dadurch das sogenannte ‚Big Picture‘ eines Projektes.“, Larissa Fix, Projektleiterin IP Plane, Sommersemester 2022. Auch aus Dozentensicht ist der Erfolg deutlich sichtbar: Die Studierenden wachsen sichtbar an ihren Aufgaben und der angestrebte Kompetenzaufbau wird erreicht. Die Reifung der Persönlichkeit der Studierenden über das Projekt hinweg lässt sich zwar nicht unmittelbar messen, ist im persönlichen Umgang aber deutlich zu erkennen und ist einfach nur beeindruckend! 6. Zusammenfassung und Ausblick Projektbasiertes Lernen hat sich als idealer Ansatz herausgestellt, um praktische Projektmanagement-Kompetenzen und insbesondere Sozial- und Führungskompetenzen zu vermitteln. Mithilfe des PBL-Gold-Standards [3] lässt sich sowohl das Projektdesign als auch eine Überprüfung der Lernziele erreichen und somit eine ideale Lernerfahrung vermitteln. Das Feedback der Studierenden und Dozenten bestätigt den Erfolg der Methode. In Zukunft soll der Kompetenzaufbau im Projekt noch besser erfasst werden. Hierzu entsteht derzeit eine Evaluation auf Basis der ICB 4.0, mit der die Projektmanagement-Kompetenzen der Studierenden vor und nach dem Projekt gemessen werden sollen. Auf dieser Basis wird der Erfolg der PBL- Methode noch besser nachweisbar. Literatur [1] DEWEY, John: Democracy and Education: An Introduction to the Philosophy of Education, MacMillan, New York 1916 [2] RHYN, Heinz: Anmerkungen zur Geschichte der Projektmethode - In: Beiträge zur Lehrerbildung 12, 1994 [3] N.N.: Homepage des Flugzeugprojekts IP Plane, https: / / ip-plane.de, abgerufen am 02.08.2023 [4] DE LOS RIOS, Ignacio et.al.: Project-based learning in engineering higher education: two decades of teaching competences in real environments; Procedia Social and Behavioral Sciences 2 (2010) 1368-1378 [5] FERNANDES, Sandra: Preparing graduates for professional practice: findings from a case study of Project-based Learning (PBL), XIII International Congress on Theory of Education In: Procedia - Social and Behavioral Sciences 139, Elsevier, 2014, 219 - 226 [6] SUKACKE, Vilma et. al.: Towards Active Evidence-Based Learning in Engineering Education: A Systematic Literature Review of PBL, PjBL, and CBL. 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Zuvor war er in verschiedenen Führungs- und Leitungsfunktionen in der Raumfahrt- und in der Telekommunikationsindustrie tätig. eMail: jochen.brune@reutlingen-university.de Internet: www.tec.reutlingen-university.de/ bachelor/ wirtschaftsingenieurwesen-international-project-engineering/ Dietmar Zobel Von der Idee über die Erfindung zum Patent 1. Auflage 2022, 380 Seiten €[D] 39,90 ISBN 978-3-8252-5895-5 eISBN 978-3-8385-5895-0 Wie entkomme ich der Routine? Wo tummeln sich die guten Ideen und wie setze ich sie um? Wie schütze ich meine Innovationen vor Nachahmer: innen und verdiene damit Geld? Der Autor liefert konstruktive Handlungsempfehlungen: Intuition ist wichtig, aber nicht alles - kreatives Denken und Arbeiten ist erlernbar! Dr. rer. nat. Dietmar Zobel ist Industriechemiker, Erfinder, Fachautor, Methodiker und TRIZ-Trainer. Er war in leitenden Funktionen in der Industrie tätig und ist Inhaber zahlreicher Patente. Anzeige 46 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0094 Projektmanagement neu gedacht: KI im Fokus! Die Revolution des Projektmanagements durch Künstliche Intelligenz Vladislav Vodatinskij Für eilige Leser | Entdecken Sie die Zukunft des Projektmanagements! Künstliche Intelligenz (KI) revolutioniert die Branche mit datengesteuerter Planung, automatisierten Abläufen und prädikativen Analysen. Erfahren Sie, wie KI Projektmanager dabei unterstützt effizienter zu arbeiten, Risiken zu minimieren und die Teamarbeit zu optimieren. Betreten Sie die faszinierende Welt des Projektmanagements und erleben Sie, wie künstliche Intelligenz eine wahre Revolution entfacht. Diese innovative Technologie ermöglicht eine effiziente Planung, optimale Ressourcenallokation und die Automatisierung von Prozessen. Unternehmen können von den zahlreichen Vorteilen der KI profitieren, um ihre Ziele effektiver zu erreichen. Durch prädikative Analysen liefert KI wertvolle Einblicke, die den Projekterfolg maßgeblich beeinflussen können. Die Integration von KI im Projektmanagement verschafft Unternehmen einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil, da sie effizienter arbeiten, Risiken minimieren und Teamarbeit optimieren können. Schlagwörter | Künstliche Intelligenz, Revolution, Effizienzsteigerung, Automatisierung, Risikominderung Die Welt des Projektmanagements steht vor einer Revolution. Dank des unaufhaltsamen Fortschritts in der Künstlichen Intelligenz (KI) werden neue Horizonte eröffnet und die Effizienz sowie der Erfolg von Projekten auf eine noch nie dagewesene Weise gesteigert. KI hat sich längst als Eckpfeiler der technologischen Revolution etabliert und ist nahezu in allen Branchen zu einem unverzichtbaren Werkzeug geworden. Doch insbesondere im Projektmanagement zeigt sich das Potenzial der KI, den Status quo zu durchbrechen und eine neue Ära einzuläuten. 1 Einleitung Traditionell war das Projektmanagement ein komplexer Prozess, der von menschlicher Expertise und Erfahrungen geprägt war. Projektmanager mussten ihre Pläne auf Grundlagen von Schätzungen und Annahmen erstellen, die oft mit Unsicherheiten und Risiken verbunden waren. Doch die Zeiten haben sich geändert. Mit der wachsenden Verfügbarkeit von Daten und der rasanten Entwicklung von KI-Technologien können Projektmanager nun auf umfassende Informationen und präzise Analysen zurückgreifen, um ihre Entscheidungen zu optimieren. (Barton / Müller, S. 160) Der Einsatz von KI im Projektmanagement ermöglicht eine datengesteuerte Planung und Ressourcenallokation. Historische Daten, Mustererkennungen und Prognosemodelle werden genutzt, um genaue Zeitpläne zu erstellen, Engpässe zu identifizieren und Ressourcen optimal zu nutzen. Projektmanager können nun die Kapazitäten ihrer Teams besser einschätzen und potenzielle Engpässe bereits im Vorfeld erkennen. Die KI hilft auch bei der Vorhersage der Auswirkungen von Änderungen im Projektumfang, sodass mögliche Risiken und Herausforderungen frühzeitig erkannt werden können. (Wittpahl, S. 135) Doch die KI bietet noch viel mehr als nur Planung und Ressourcenmanagement. Eine der größten Stärken der KI im Projektalltag liegt in der Automatisierung von wiederkehrenden und zeitaufwändigen Aufgaben. KI-basierte Tools können die Erfassung und Analyse von Daten, das Reporting, die Kommunikation und die Verwaltung von Dokumenten automatisieren. Diese Automatisierung führt zu erheblichen Effizienzsteigerungen, da Projektmanager ihre Zeit und Energie auf strategische Entscheidungen und die Lösung komplexer Pro- Wissen | Die Revolution des Projektmanagements durch Künstliche Intelligenz 47 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0094 bleme konzentrieren können. Dadurch verkürzen sich Projektzeiten, die Qualität steigt und die Kosten werden optimiert. (Barton / Müller, S. 161) Ein weiterer entscheidender Vorteil der KI im Projektmanagement ist die Risikominderung. KI-Algorithmen können potenzielle Risiken frühzeitig identifizieren, indem sie auf historische Daten und Muster zurückgreifen. Das frühzeitige Erkennen von Risiken ermöglicht Projektmanagern, rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu ergreifen und die Auswirkungen von Risiken auf den Projekterfolg zu minimieren. Darüber hinaus können KI-gestützte-prädikative Analysen dabei helfen, Projektverzögerungen, Ressourcenkonflikte und Budgetüberschreitungen vorherzusagen, sodass rechtzeitig gehandelt werden kann. (Barton / Müller, S. 160) Neben der Effizienzsteigerung und der Risikominderung fördert KI auch die Zusammenarbeit und Kommunikation in Projektteams. Durch den Einsatz von KI-gestützten Tools können Projektmitglieder effizienter kommunizieren, Aufgaben delegieren und Informationen austauschen. Chatbots, virtuelle Assistenten und Echtzeitkommunikationsplattformen ermöglichen eine nahtlose Zusammenarbeit und verbesserte Koordination. Die KI-gestützte Sprach- und Texterkennung erleichtert die Erfassung und Verarbeitung von Informationen, was zu einer gesteigerten Produktivität und einer besseren Entscheidungsfindung führt. (Kreutzer / Sirrenberg, S. 35) Projektmanager sollten diese Möglichkeiten erkennen und aktiv nutzen, um den Erfolg ihrer Projekte zu maximieren und sich einen Wettbewerbsvorteil zu sichern. In einer Zeit, in der Effizienz und Agilität immer wichtiger werden, ist Künstliche Intelligenz die treibende Kraft, die das Projektmanagement in die Zukunft führt. 2.1 KI-gestützte Projektplanung und Ressourcenmanagement Einer der grundlegenden Aspekte des Projektmanagements ist die effektive Planung und Zuweisung von Ressourcen. Hier kommt Künstliche Intelligenz ins Spiel, um den Projektmanagern dabei zu helfen, diese Aufgaben präziser und datengesteuerter zu bewältigen. Durch den Einsatz von KI-Algorithmen können Projektmanager auf umfangreiche Datenbanken historischer Projektdaten zugreifen und wertvolle Erkenntnisse gewinnen. Die KI analysiert diese Daten, erkennt Muster und Trends und leitet daraus wertvolle Informationen für die Planung ab. Auf dieser Grundlage können Projektmanager realistische Zeitpläne erstellen, Engpässe identifizieren und Ressourcen optimal zuweisen. Ein weiterer Vorteil der KI-gestützten Projektplanung ist die Möglichkeit, verschiedene Szenarien zu simulieren und deren Auswirkung auf den Projektzeitplan und das Budget vorherzusagen. Durch die Integration von KI in die Projektmanagement-Software können Projektmanager Änderungen im Projektumfang oder Ressourcenallokation durchspielen und sofort die Auswirkungen auf den gesamten Projektverlauf evaluieren. Dies hilft bei der Bewertung von Risiken und unterstützt die Projektmanager dabei, fundierte Entscheidungen zu treffen, um das Projekt auf Kurs zu halten. (Kreutzer / Sirrenberg, S. 78-96) Darüber hinaus kann die KI auch bei der Kapazitätsplanung und -verwaltung von Teams helfen. Die KI analysiert die Fähigkeiten und Verfügbarkeiten der Teammitglieder sowie die Anforderungen des Projekts und schlägt optimale Teamzusammenstellungen vor. Dadurch können Projektmanager sicherstellen, dass die richtigen Ressourcen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sind. Dies erhöht die Effizienz und minimiert Engpässe oder Überlastungen in den Teams. (Barton / Müller, S. 164) Ein weiterer wichtiger Aspekt der KI-gestützten Projektplanung und des Ressourcenmanagements ist die kontinuierliche Verbesserung und Lernfähigkeit der KI-Systeme. Je mehr Daten und Erfahrungen gesammelt werden, desto intelligenter und präziser werden die KI-Algorithmen. Die KI kann aus vergangenen Projekten lernen und Best Practices ableiten, um die Qualität der Projektplanung kontinuierlich zu steigern. Dies ermöglicht es Unternehmen, ihre Projekte immer besser zu optimieren und ihre Erfolgschancen zu erhöhen. (Kreutzer / Sirrenberg, S. 170-174) Es ist jedoch wichtig zu erwähnen, dass die KI nicht als Ersatz für menschliche Expertise und Erfahrungen betrachtet werden sollte, sondern als unterstützendes Werkzeug. Projektmanager spielen weiterhin eine entscheidende Rolle bei der Interpretation der KI-Ergebnisse, der Anpassung der Pläne an spezifische Anforderungen und der Entscheidungsfindung. KI-gestützte Projektplanung und Ressourcenmanagement bieten Projektmanagern jedoch eine wertvolle Grundlage und Unterstützung, um fundierte Entscheidungen zu treffen und den Projekterfolg zu maximieren. (Barton / Müller, S. 176) Nehmen wir an, der Projektmanager ist dafür verantwortlich, den Bau einer neuen Schienenverkehrsstrecke zu leiten. Aufgrund der Komplexität und der Vielzahl von Faktoren, die berücksichtigt werden müssen, kann die KI dabei helfen, dieses Vorhaben effizienter und effektiver zu gestalten. Für die Planungsphase kann die KI Zugriff auf historische Daten zu ähnlichen Projekten haben. Sie kann diese Daten analysieren, um zu ermitteln, wie lange bestimmte Bauabschnitte in der Vergangenheit gedauert haben, welche Ressourcen benötigt wurden und welche Probleme aufgetreten sind. Auf dieser Basis kann der Projektmanager einen realistischen Zeitplan erstellen. Angenommen, der Projektmanager stellt fest, dass es in der Planungsphase zu Verzögerungen kommt, weil spezialisiertes Personal oder bestimmte Maschinen nicht verfügbar sind. In diesem Fall kann die KI verschiedene Szenarien simulieren, um zu ermitteln, welche Auswirkungen alternative Ressourcenzuweisungen oder Änderungen im Projektumfang auf den Zeitplan und das Budget haben könnten. Die KI kann auch dazu beitragen, die Kapazitätsplanung des Teams zu verbessern. Wenn beispielsweise spezielle Techniker für bestimmte Phasen des Projekts benötigt werden, kann die KI analysieren, wann diese Techniker verfügbar sind und welche anderen Aufgaben sie haben. So kann der Projektmanager sicherstellen, dass diese Ressourcen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sind und Engpässe vermieden werden. Im Laufe des Projekts lernt die KI aus den gesammelten Daten und Erfahrungen. Sie kann nun feststellen, dass bestimmte Bauabschnitte länger dauern als ursprünglich geplant oder dass bestimmte Ressourcen knapp werden. Diese Erkenntnisse kann der Projektmanager nutzen, um zukünftige Projekte noch besser zu planen und zu steuern. Wissen | Die Revolution des Projektmanagements durch Künstliche Intelligenz 48 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0094 2.2 Automatisierung und Effizienzsteigerung Ein wesentlicher Beitrag der KI im Projektmanagement liegt in der Automatisierung von wiederkehrenden und zeitaufwändigen Aufgaben. KI-gestützte Tools und Systeme können eine Vielzahl von Aufgaben automatisieren, die früher manuell erledigt werden mussten. Dies führt zu einer erheblichen Effizienzsteigerung und ermöglicht es Projektmanagern, wertvolle Zeit und Ressourcen auf strategische Entscheidungen und die Bewältigung komplexer Herausforderungen zu konzentrieren. Ein Bereich, in dem die Automatisierung durch KI besonders wirkungsvoll ist, betrifft die Datenerfassung und -analyse. Traditionell mussten Projektmanager große Mengen an Daten manuell erfassen, strukturieren und analysieren, um wertvolle Einblicke zu gewinnen. Mit KI-gestützten Systemen können diese Prozesse automatisiert werden. Die KI extrahiert relevante Informationen aus verschiedenen Datenquellen, wie beispielsweise Projektberichten, Kommunikationsverläufen und anderen Dokumenten, und analysiert sie, um Muster, Trends und wichtige Zusammenhänge zu erkennen. Dadurch werden nicht nur menschliche Fehler minimiert, sondern auch die Geschwindigkeit und Genauigkeit der Datenanalyse deutlich gesteigert. Die Automatisierung erstreckt sich auch auf das Reporting und die Kommunikation im Projektmanagement. KI-gestützte Tools können automatisch Berichte und Dashboards generieren, die den aktuellen Projektstatus, Fortschritte, Risiken und weitere relevante Kennzahlen aufzeigen. Diese Berichte können auf den individuellen Bedürfnissen der Stakeholder basieren und in Echtzeit aktualisiert werden. Dies ermöglicht es den Projektmanagern, den Stakeholdern präzise Informationen zur Verfügung zu stellen und den Entscheidungsprozess zu beschleunigen. (Barton / Müller, S. 187-193) Darüber hinaus unterstützt KI die Automatisierung von Prozessen im Projektmanagement, wie beispielsweise die Zuweisung von Aufgaben, die Verfolgung von Meilensteinen und die Verwaltung von Dokumenten. KI-gestützte Projektmanagement-Plattformen können Aufgaben automatisch an die richtigen Teammitglieder zuweisen, den Fortschritt verfolgen und Erinnerungen an wichtige Termine und Abgabefristen senden. Dies reduziert den manuellen Verwaltungsaufwand erheblich und sorgt dafür, dass die Projektabläufe reibungslos und effizient ablaufen. Ein weiterer bedeutender Aspekt der Automatisierung durch KI im Projektmanagement betrifft die Qualitätskontrolle und das Risikomanagement. KI kann dazu beitragen, Risiken frühzeitig zu erkennen und zu bewerten, indem sie Daten analysiert, um mögliche Probleme oder Unregelmäßigkeiten zu identifizieren. Durch die automatisierte Überwachung von Projekt Metriken und Leistungskennzahlen können Abweichungen von den definierten Standards oder Zielvorgaben erkannt und rechtzeitig korrigiert werden. Dies trägt dazu bei, dass das Projekt auf Kurs bleibt und potenzielle Risiken minimiert werden. (Kreutzer / Sirrenberg, S. 208) Auch hier ist es jedoch wichtig anzumerken, dass die Automatisierung nicht bedeutet, dass menschliche Interaktion und Entscheidungsfindung überflüssig werden. Die Rolle des Projektmanagers bleibt von entscheidender Bedeutung, um die automatisierten Prozesse zu überwachen, die Ergebnisse zu interpretieren und angemessene Maßnahmen zu ergreifen. KI-gestützte Automatisierung ist ein mächtiges Werkzeug, das Projektmanagern hilft, ihre Aufgaben effizienter zu erledigen, jedoch immer in Kombination mit menschlicher Expertise und Erfahrung. Insgesamt ermöglicht die Automatisierung durch Künstliche Intelligenz eine erhebliche Effizienzsteigerung im Projektmanagement. Projektmanager können repetitive Aufgaben automatisieren, wodurch Zeit und Ressourcen frei werden, um sich auf strategische Aufgaben und Entscheidungen zu konzentrieren. Durch die Reduzierung von menschlichen Fehlern und die Beschleunigung von Prozessen trägt die Automatisierung dazu bei, die Projektziele effektiver und effizienter zu erreichen. Um dies nun an Anlehnung an das oben genannte Praxisbeispiel zu konkretisieren, nehmen wir wieder an, dass wir als Projektleiter verantwortlich für die Leitung eines Großprojekts zur Erstellung einer neuen Schienenverkehrsstrecke sind. Im täglichen Ablauf muss der Projektleiter eine Fülle von Informationen verarbeiten. Es gibt Bauarbeiten, Budgets, Mitarbeiter, Zeitpläne, Behördenkommunikation und vieles mehr zu managen. Eine KI-gestützte Projektmanagement-Plattform Abbildung 1: © Eigene Abbildung Vladislav Vodatinskij Wissen | Die Revolution des Projektmanagements durch Künstliche Intelligenz 49 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0094 hilft ihm dabei, die Vielzahl von Aufgaben und Informationen effizient zu verwalten. Ein praktischer Anwendungsfall ist die automatische Verfolgung des Baufortschritts. Durch die Interaktion von IoT- Sensoren in der Baustelle und Drohen für die Luftüberwachung kann die Plattform in Echtzeit genaue Daten über den Baufortschritt erfassen. Diese Daten werden automatisch analysiert und aufbereitet, sodass der Projektleiter jederzeit den Stand des Projekts auf einen Blick sehen kann. So kann er schnell auf Verzögerungen reagieren und die nötigen Maßnahmen ergreifen. Die KI-Plattform hilft auch bei der Verwaltung von Dokumenten. Es werden täglich eine Vielzahl von Dokumenten erstellt und ausgetauscht, von Bauplänen über Genehmigungsdokumente bis hin zu internen Berichten. Die KI kann Dokumente automatisch kategorisieren und indexieren, wodurch der Projektleiter schnell auf benötigte Informationen zugreifen kann. Die KI kann auch wichtige Termine erkennen und automatische Erinnerungen senden, um sicherzustellen, dass keine Fristen verpasst werden. Durch die Analyse von Daten, beispielsweise aus vorherigen ähnlichen Projekten, Wettervorhersagen oder aktuellen Projektinformationen, kann die KI potenzielle Risiken identifizieren und bewerten. So könnte die KI frühzeitig warnen, wenn aufgrund der Wettervorhersage Verzögerungen bei den Bauarbeiten zu erwarten sind, oder wenn das Projekt aufgrund von Budgetüberschreitungen oder Verzögerungen im Zeitplan vom Kurs abweicht. Auch in der Kommunikation und Berichterstattung leistet die KI einen wertvollen Beitrag. Sie kann automatisch Berichte erstellen, die den aktuellen Projektstatus, Fortschritt und Risiken darstellen. Diese Berichte können an individuelle Stakeholder angepasst werden. Der Projektleiter kann so einen wöchentlichen Bericht für das Top-Management erstellen, der einen Überblick über den Gesamtfortschritt und über die finanzielle Situation des Projekts gibt, während ein detaillierter täglicher Bericht für die Bauleitung erstellt wird, der spezifische Informationen über den Baufortschritt und die anstehenden Aufgaben enthält. Somit ermöglicht es KI dem Projektmanager, sich auf die strategischen Aufgaben zu konzentrieren und das Projekt effektiver und effizienter zu führen. Doch trotz der vielen Vorteile der KI, bleibt die Rolle des Projektleiters entscheidend, um die automatisierten Prozesse zu überwachen, die Ergebnisse zu interpretieren und angemessene Maßnahmen zu ergreifen. Die KI ist ein mächtiges Werkzeug, das dem Projektleiter hilft, seine Aufgaben effizienter zu erledigen, jedoch immer in Kombination mit seiner menschlichen Expertise und Erfahrung. 3. Fazit Die Integration von KI in das Projektmanagement bietet eine Reihe von Vorteilen und Chancen. Durch den Einsatz von KIgestützten Technologien können Projektmanager effizientere und präzisere Entscheidungen treffen, die Planung und Zuweisung von Ressourcen optimieren, Automatisierung und Effizienzsteigerungen realisieren sowie Risiken besser erkennen und bewerten. Insgesamt ermöglicht die KI im Projektmanagement eine präzisere Planung, eine effizientere Ressourcenzuweisung, Automatisierung von Aufgaben, und eine bessere Risikominderung. Die Integration von KI-gestützten Technologien eröffnet neue Möglichkeiten, um Projekte erfolgreicher und effektiver umzusetzen. Projektmanager sollten die Chancen erkennen, die die KI bietet, und diese als wertvolles Werkzeug in ihrer Projektmanagement-Praxis einsetzen, um den Projekterfolg zu maximieren. Literatur [1] Kreutzer Ralf T, Sirrenberg Marie: Künstliche Intelligenz verstehen. Grundlagen-Use-Cases-Unternehmenseigene KI-Journey, Springer Gabler, Wiesbaden 2019. [2] Barton, Thomas, Müller, Christian: Künstliche Intelligenz in der Anwendung. Anwendungspotenziale und Einsatzszenarien. Springer Vieweg, Wiesbaden 2021. [3] Wittpahl, Volker: Künstliche Intelligenz. Technologien, Anwendung, Gesellschaft. Springer Vieweg, Wiesbaden 2019. Eingangsabbildung: © iStock.com / Love portrait and love the world Vladislav Vodatinskij Vladislav Vodatinskij, Senior Projektmanager und Geschäftsführführer ENGINEC Spezialisierung: Schienenverkehr www.enginec.de eMail: vladislav.vodatinskij@enginec.de 50 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0095 Durch verantwortungsvollen Einsatz von Software und IT-Services die Zukunftsfähigkeit in der digitalen Welt sichern Digital souveränes Projektmanagement-- Wie geht das? Harald Wehnes, Guido Bacharach Für eilige Leser | Warum ist digitale Souveränität eine grundlegende Voraussetzung für die „ Enkelfähigkeit “ unserer Gesellschaft und Wirtschaft, und welchen Beitrag können Projektportfolio- und Projektmanager sowie Unternehmensverantwortliche hierzu leisten? In diesem Beitrag werden zunächst die Risiken und Konsequenzen digitaler Abhängigkeit beleuchtet; besonders kritisch sind Dauerabhängigkeiten von Monopolisten. Danach werden ein Souveränitätsscore zum Praxis-Check von eingesetzter Software, Vorgehens- und Handlungsempfehlungen mit Risikocheckliste und Produktalternativen vorgestellt. Kernaussage: Berücksichtigen Sie digitale Souveränität als Kriterium bei der Auswahl, Beschaffung und Einsatz von Software und IT-Services! Schlagwörter | Digitale Souveränität, digitale Abhängigkeit, digitale Kolonie, Open Source Software, Tool-Einsatz, Projektportfoliomanager, Projektmanager, Geschäftsführer, IT-Verantwortliche, IT-Beschaffungen, Zukunftsfähigkeit Ist Deutschland auf dem Weg in eine digitale Kolonie? Der Wirtschaftsverband BITMi Bundesverband IT-Mittelstand e. V. warnt vor den wachsenden digitalen Abhängigkeiten, die inzwischen ein „ besorgniserregendes Ausmaß “ erreicht haben, und weist auf „ konkrete Gefahren für unsere politische Selbstbestimmung “ hin [1]. Mayer und Lu von der Konrad-Adenauer Stiftung e. V. kommen in einer Studie zum Ergebnis, dass Europa die Konsequenzen seiner digitalen Abhängigkeit noch kaum erkannt hat [2]. Und hochkarätige IT-Experten, wie Prof. Broy, TU München, bringen es auf den Punkt: „Deutschland ist auf dem Weg, ein digitales Entwicklungsland, eine digitale Kolonie zu werden… Letztendlich ist das nicht allein ein wirtschaftliches Problem. Auf dem Spiel steht nichts weniger als die deutsche und europäische Identität. Wenn wir unsere digitale Souveränität verlieren, verlieren wir einen wesentlichen Teil unserer kulturellen Werte und unserer Freiheit“ [3]. Was bedeutet digitale Souveränität? Bevor wir uns mit digitalen Abhängigkeiten und deren Konsequenzen näher befassen, wollen wir den Begriff „Digitale Souveränität“ näher erläutern, der, basierend auf dem aktuellen Koalitionsvertrag und der Digitalstrategie 2022, zu einem Kernelement von Digitalisierung und Digitalpolitik geworden ist. Der IT-Planungsrat der Bundesregierung hat den Begriff beschrieben als „ die Fähigkeiten und Möglichkeiten von Individuen und Institutionen, ihre Rolle(n) in der digitalen Welt selbstständig, selbstbestimmt und sicher ausüben zu können “ [4]. Digitale Souveränität bedeutet nach unserem Verständnis, dass Bürgerinnen und Bürger, Staat, Organisationen und Unternehmen ohne Bevormundung im digitalen Raum frei handeln können. Sie bildet die Grundlage für wirtschaftliche Prosperität, Sicherheit und den Erhalt unserer Sozialsysteme (Abb. 1). Verkürzt kann man sagen: Ohne digitale Souveränität ist die Zukunft unseres Wirtschaftsraums und unserer Gesellschaft massiv gefährdet. Wissen | Digital souveränes Projektmanagement-- Wie geht das? 51 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0095 Die Konsequenzen digitaler Abhängigkeit dürfen nicht unterschätzt werden Sehr eindrucksvoll stellen J. Mahn und C. Wölbert [5] die möglichen Konsequenzen digitaler Abhängigkeit anhand eines fiktiven Beispiels dar: „Washington, Herbst 2020: In der heißen Phase des US- Wahlkampfs verschärft Trum die Saktionen gegen die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 und verbietet amerikanischen Digitalkonzernen die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen in Deutschland. Kurz drauf verlieren Hunderte Behörden, Krankenkassen und Schulen den Zugriff auf Cloud-Dienste wie Microsoft Office 365, Google Docs und Cisco Webex." [5] Die digitalen US-Embargos gegen Venezuela, Iran und China sowie die Erpressungsversuche von Big-Tech-Unternehmen-- wie jüngst gegen Gesetze der kanadischen Regierung [6]-- zeigen, dass dieses Szenario nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. Mit Blick auf die Präsidentschaftswahl in den USA 2024 kann auch eine Renaissance der „America First“-Politik nicht ausgeschlossen werden. Digitale Abhängigkeit ist kritischer als die Abhängigkeit von russischem Gas Das generelle Bewusstsein für Abhängigkeiten ist in letzter Zeit durch verschiedene Ereignisse (Ukraine-Krieg, Trump- Regierungszeit, Musk-Twitter, Microsofts Cloud-Schlüssel- Verlust) sprunghaft gestiegen. Die Konsequenzen aus dem Wegfall von russischem Gas sind uns noch allen bewusst. Im Rahmen mehrerer Workshops wurden diese von den Teilnehmern (Projektportfolio- und Projektmanager, Geschäftsführer, IT-Verantwortliche) zusammen mit den Sofortlösungen reflektiert (Abb. 2). Bei digitalen Abhängigkeiten können die Konsequenzen wesentlich dramatischer sein, z. B. wenn der sprichwörtliche „Digitale Hahn“ für lebensnotwendige Dienste von ausländischen Unternehmen oder Politikern abgedreht wird (siehe [5]). Im Rahmen der o. g. Workshops wurde festgestellt, dass es hierfür aktuell keine Sofortlösungen gibt. Mittel- und langfristige Lösungen benötigen Vorlauf. Aus den negativen Erfahrungen der Abhängigkeiten von fossilen Brennstoffen müssen wir, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, lernen und mit professionellem Risikomanagement Steuerungs- und Vorsorgemaßnahmen proaktiv einleiten und wirkungsvoll umsetzen. Wie dringlich und notwendig dies ist, zeigt u. a. der Abschlussbericht der PwC-Marktanalyse “zur Reduzierung von Abhängigkeiten von einzelnen Software-Anbietern” [7] aus dem Jahr 2019, der im Auftrag des BMI erstellt wurde. Er dokumentiert eine extrem hohe Abhängigkeit der Bundesverwaltung, insbesondere von der Firma Microsoft, und weist auch auf die Folgen dieser Abhängigkeit hin: „ …- Anbieter scheinen ihre Angebotsmacht zu ihrem Vorteil zu nutzen und Anforderungen ihrer Kunden, z. B. das erhöhte Bedürfnis nach Informationssicherheit im öffentlichen Sektor, nicht bzw. nur unzureichend zu adressieren. Dies kann die digitale Souveränität der Verwaltung gefährden-…“. Abbildung 3 enthält einige Risiken, die aus digitaler Abhängigkeit resultieren. Risiken bei der Nutzung „kostenfreier“ Tools Es gibt viele „kostenfreie“ Tools, die Projektarbeit wirkungsvoll unterstützen. Allerdings haben die meisten einen Haken. Die Nutzer bezahlen- - in der Regel meist unfreiwillig- - mit ihren Daten sowie den Daten der Beteiligten [8]. Welche Risiken man mit der Nutzung „kostenfreier“ Tools eingeht, zeigt beispielhaft die Datenschutzerklärung von Discord (https: / / discord.com / privacy). Produktnutzung bedeutet automatisch die Einverständniserklärung zu diesen Bestimmungen: Abbildung 1: Digitale Souveränität, die Basis für selbstbestimmtes Handeln in der digitalen Welt (Quelle: Eigene Darstellung) Abbildung 2: Konsequenzen aus dem Wegfall fossiler Brennstoffe und Lösungsmöglichkeiten (Quelle: Workshops der Autoren) Wissen | Digital souveränes Projektmanagement-- Wie geht das? 52 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0095 • Sämtliche Daten dürfen von Discord gespeichert werden: „ Benutzername, E-Mail-Adresse und alle Nachrichten, Bilder, temporäre Vo IP -Daten (um die Kommunikation zu ermöglichen) und andere Inhalte, die Sie über die Chat- Funktion verschicken“ • Discord darf diese Daten verkaufen: Die Daten „können auch in Datenbanken aufgenommen werden, die im Besitz von Tochtergesellschaften, Agenturen und Dienstleistern sind.“ • Aus den Daten dürfen Profile erstellt und an Dritte weitergegeben werden: „ Um-…, untersuchen wir auf der Grundlage der gesammelten Informationen demografische Daten, Interessen und Verhaltensweisen unserer Nutzer.“ • Daten, Wissen und IP können ungesteuert an Dritte abfließen: „ Unabhängig von Ihrem Standort stimmen Sie der Verarbeitung und Weitergabe Ihrer Daten in den USA und anderen Ländern zu.“ „Kostenfreiheit“ von Software-Tools und IT-Services sollte also stets hinterfragt werden. Der Abfluss von Daten und Wissen an Dritte ist besonders kritisch zu bewerten. Neben persönlichen Daten kann dies auch Projekt- und Unternehmensdaten sowie Daten von Geschäftspartnern betreffen. Auch Eigentums- und Urheberrechte sind damit gefährdet. Erschwerend kommt für Nutzer hinzu, dass diese selbst laut Datenschutzerklärung für jegliche Konsequenzen von Datenschutzverletzungen verantwortlich sind, die durch die Nutzung relativ leicht entstehen können- - und nicht das Unternehmen Discord. Darüber hinaus räumt der Cloud Act US-Behörden Zugriffsrechte auf alle Daten ein, die bei amerikanischen Providern gespeichert sind, selbst wenn die Server in Europa stehen. Risiken bei KI-gestütztem Arbeiten Die KI-Systeme bieten großartige, bisher kaum für möglich gehaltene technische Mittel, um (Projekt-)Arbeit effizienter und effektiver zu gestalten. In der Euphorie werden den Risiken und potenziellen Stolperfallen derzeit noch zu wenig Aufmerksamkeit gezollt. Die auf Basis von unvalidierten und vorgefilterten Daten generierten Ergebnisse müssen sehr kritisch überprüft werden. Es werden häufig Falschaussagen und Unwahrheiten (sog. Halluzinationen) erzeugt. Problematisch ist dies insbesondere bei Themen aus den Bereichen Recht und Medizin. Durch einen gedankenlosen Einsatz können leicht Geschäftsgeheimnisse oder vertrauliche Daten unbewusst preis gegeben werden, wie das Beispiel Samsung zeigt [9]. Daten sind bekanntlich das Öl des 21. Jahrhunderts. Mit dem Handel von „gespendeten“ Daten machen Big-Tech-Unternehmen wie Google und Meta jährliche Umsätze von mehreren Hundert Milliarden Dollar (https: / / de.statista.com / themen / 2907 / internetunternehmen/ #topicOverview). Das ist mehr als das BIP vieler Staaten. Es ist daher kaum verwunderlich, dass Google im Juli 2023 seine Nutzungsbedingungen so geändert hat, um „ alles Greifbare für das Training seiner KI -Modelle zu nutzen “ [10]. Generelle Handlungsempfehlungen Jede Bürgerin und jeder Bürger sollte sich über die Konsequenzen digitaler Abhängigkeit für unsere Zukunft bewusst werden, sofern er dieses Bewusstsein nicht bereits besitzt, und auch entsprechend handeln. Um Datensouveränität, Datenschutz und Informationsfreiheit zu gewährleisten sowie aus volkswirtschaftlicher Sicht ist zu empfehlen, vorrangig Softwareangebote und IT-Dienstleistungen zu nutzen, die europäischem Recht unterliegen. Auf der von J. Jäger, Universität Würzburg, entwickelten Plattform digital-sovereignty. net (MVP) [11] kann jeder einen Souveränitätsgrad der von ihm bzw. seiner Institution eingesetzten Software messen. Folgendes Vorgehen wird insgesamt empfohlen (Abb. 4). Abbildung 3: Risiken digitaler Abhängigkeit (Quellen: u. a. Workshop-Ergebnisse und [7]) Abbildung 4: Vorgehensempfehlung zum Management digitaler Abhängigkeit [11] Wissen | Digital souveränes Projektmanagement-- Wie geht das? 53 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0095 Für Unternehmen und Organisationen wird empfohlen: Starten Sie mit der Ermittlung des Grads der digitalen Souveränität Ihrer Institution. Konzentrieren Sie sich dabei auf die Produkte, von denen ihr Unternehmenserfolg abhängig ist bzw. die den Hauptteil Ihrer Softwareausgaben ausmachen. Führen Sie anschließend eine Risiko-Analyse durch. Erstellen Sie im 3. Schritt für die besonders kritischen Risiken einen Maßnahmenplan und controllen Sie den Erfolg der Umsetzung. Verstärken Sie ergänzend das Bewusstsein für die Risiken von digitalen Abhängigkeiten in Ihrer Organisation und in Ihrem Umfeld. Für den Schritt 2 „Risikoanalyse digitaler Abhängigkeiten“ finden Sie eine Risiko-Checkliste auf digital-sovereignty.net. Hier ein Auszug mit den Top-5-Risiken: • Existieren (potenziell) irreversible Abhängigkeiten? • Bei welchen Produkten / Services haben Sie einen Vendor- Lock in? • Bei welchen Produkten / Services besteht die Gefahr eines Cloud-Lock ins? • Bei welchen Produkten sind Sie de facto verhandlungsunfähig und müssen nahezu jedes Preisangebot und jede Vertragsklausel akzeptieren? • Wo werden Ihre „Kronjuwelen“ gespeichert? Befinden sich diese auf Cloudsystemen, für die kein EU-Recht gilt? Bei der Maßnahmenplanung sollte man sich auf wenige, extrem kritische Abhängigkeiten fokussieren. Als Sofortmaßnahme wird empfohlen: Vermeiden Sie, dass besonders kritische Abhängigkeit verstärkt werden. Als generelle Maßnahmen bieten sich an: • Zwei- oder mehrgleisige Einkaufsstrategie, um Wahlmöglichkeiten zu haben • Alternative Anbieter durch den Kauf von deren Produkte und Serviceleistungen sowie konstruktive Kritik im Reifeprozess fördern • Vermeidung von Vendor- und Cloud Lock-ins • Datensouveränität- - auch für die Kundendaten- - sicherstellen • Verschlüsselungsverfahren bei hohem Schutzbedarf nutzen • Umstieg auf alternative Produkte, bevorzugt solche, die Ihre Datensouveränität und die Ihrer Kunden wahrt und bei denen Wertschöpfung in Europa stattfindet und für die die üblichen Steuern gezahlt werden. Es gibt viele alternative Produkte, die durchaus konkurrieren können bzw. punktuell sogar besser sind als die mit hohen Marketingbudgets beworbenen Big-Tech-Produkte. Diese sind aber häufig nur in Expertenkreisen bekannt. Um insbesondere Unternehmen und Institutionen eine Orientierung für den Einsatz und die Beschaffung von Software zu bieten wurde eine Liste von Alternativen erarbeitet und auf digital-sovereignty.net zur Verfügung gestellt. Durch den vorzugsweisen Einsatz solcher Produkte wird der Wettbewerb belebt. Manager und Beschaffungsverantwortliche sollten daher stets prüfen, ob bestimmte Funktionalitäten von Softwareprodukten bzw. -services nicht auch von einem europäischen Anbieter angemessen erfüllt werden. Solange der Staat nicht selbst als Nachfrager für solche Alternativprodukte aktiv wird, konterkariert er das Leitmotiv seiner Digitalstrategie 2022, die digitale Souveränität [12]. Zukunft gestalten mit Open-Source-Software Open Source Softwareprodukte (OSS) stellen eine Alternative zur Nutzung von Software und IT-Services von Monopolisten dar. Dies vermeidet digitale Abhängigkeit, stärkt die digitale Souveränität und fördert digitale Kompetenz [13]. Die Zahlen des Bitkom Open Source Monitors von 2023 belegen, das Open Source in der deutschen Wirtschaft angekommen ist: Der Einsatz und die Nutzung von Open Source gehört für die große Mehrheit der Unternehmen und Organisationen zum täglichen Geschäft [14]. Sogar über die Hälfte der befragten Unternehmen beteiligen Sie sich an der Entwicklung bzw. Weiterentwicklung von OSS. Auch im Public Sector ist Open-Source-Software nicht mehr wegzudenken: 59 Prozent der befragten Behörden nutzen solche Lösungen. In Abbildung 5, die der Studie [14] entnommen wurde, werden die wichtigsten Gründe für den Einsatz von OSS aufgeführt. Eine pauschale Empfehlung für OSS kann allerdings nicht gegeben werden. Neben der Qualität der Software sind weitere Kriterien zu berücksichtigen, die für eine nachhaltige Nutzung stehen. Abbildung 5: Vorteile von Open Source Software [14] Wissen | Digital souveränes Projektmanagement-- Wie geht das? 54 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0095 Fazit und Ausblick Unser Beitrag hat zum Ziel, die Leser anzuregen, sich mit dem Thema digitale Abhängigkeit und deren Konsequenzen näher zu befassen. Wie mehrere Workshops ergeben haben, sind die digitalen Abhängigkeiten kritischer als die Abhängigkeiten von russischem Gas, da es hierfür derzeit keinen Plan B, keine Notfalllösung gibt. Kernaussage: Berücksichtigen Sie digitale Souveränität als Kriterium bei der Auswahl, Beschaffung und Einsatz von Software und IT-Services! Aus den schmerzvollen Erfahrungen mit den Abhängigkeitskonsequenzen von fossilen Ressourcen sollten- - bevor es zu spät ist-- die erforderlichen Lessons Learned gezogen: 1. Awareness für die Konsequenzen digitaler Abhängigkeiten 2. Risikoanalyse digitaler Abhängigkeiten 3. Maßnahmenplanung 4. Umsetzung und Controlling der Maßnahmen auf Wirksamkeit. Die Autoren sehen diesen Artikel als wichtigen Diskussionsbeitrag für die Zukunftsfähigkeit. Sie freuen sich über Feedback. Die im Rahmen der Workshops verteilten Unterlagen werden auf Anfrage gerne kostenfrei zur Verfügung gestellt. Literatur [1] BITMi (2022): Offener Brief an die Bundesregierung: BIT- Mi warnt vor voranschreitender digitaler Abhängigkeit. https: / / www.bitmi.de/ offener-brief-digitale-abhaengigkeiten/ [2] Mayer M., Lu Y. (2022): Europa hat die Konsequenzen seiner digitalen Abhängigkeit noch kaum erkannt. https: / / www.kas.de/ documents/ 252 038/ 16 166 715/ E uropa+hat+die+Konsequenzen+seiner+digitalen+Abh%C3%A4ngigkeit+noch+kaum+ erkannt. pdf/ 664c8d2d-48e4-e864-fafa-a16bfa5bdc37? version=1.3&t=1 651 564 960 080 [3] Broy, M. (2020): Deutschland ist auf dem Weg, ein digitales Entwicklungsland, eine digitale Kolonie zu werden. in TUM Forum Sustainability- - Wissenschaft, Vernunft, Nachhaltigkeit, S. 112 ff. https: / / mediatum.ub.tum.de/ doc/ 1 548 492/ 1 548 492.pdf [4] Bundesministerium des Inneren, Digitale Souveränität (2020). https: / / www.cio.bund.de/ Webs/ CIO/ DE/ digitaleloesungen/ digitale-souveraenitaet/ digitale-souveraenitaet-node.html [5] Mahn, J.; Wölbert, C. (2020): Die riskante Abhängigkeit der Bundesrepublik von amerikanischen IT-Riesen. https: / / www.heise.de/ hintergrund/ Die-riskante-Abhaengigkeit-der-Bundesrepublik-von-amerikanischen-IT-Riesen-4 881 155.html [6] Kuhn, T. (2023): Wie der Meta-Konzern Kanadas Regierung in die Knie zwingen will. https: / / nachrichten. wiwo.de/ 77c6ee0a819276c86badf1280092ac790964a- 8 2 8 9 a e 5 4 2 3 7 3 9 0 9 9 5 4 1 0 a 7 4 f a 3 1 5 1 e e 7 e 8 9 9 c - 9995207274b449f83a4061129345134? utm_source=web-frontend&xing_share=news [7] PwC (2019): Strategische Marktanalyse zur Reduzierung von Abhängigkeiten von einzelnen Software-Anbietern. https: / / wibe.de/ wp-content/ uploads/ 20 190 919_strategische_marktanalyse-compressed.pdf [8] Wehnes, H.; Beger, A. (2020): Die Wette ist eröffnet: Wird „Datenspende“ Wort des Jahres 2020? https: / / www.gpmblog.de/ die-wette-ist-eroeffnet-wird-datenspende-wortdes-jahres-2020/ [9] Donath, A. (2023): Samsung-Ingenieure geben ChatGPT vertrauliche Daten preis. https: / / www.golem.de/ news/ kuenstliche-intelligenz-samsung-ingenieure-leaken-interne-daten-an-chatgpt-2304-173 220.html [10] Weiß, E. M. (2023): Google ändert Nutzungsbedingungen: Alles darf für KI-Training genutzt werden. https: / / www. heise.de/ news/ Google-aendert-Nutzungsbedingungen- Alles-darf-fuer-KI-Training-genutzt-werden-9 207 556. html [11] Jäger, J. (2023): Digitale Nachhaltigkeit: Souveränitätsscore. Informatik-Masterarbeit, Universität Würzburg [12] Bundesministerium für Digitales und Verkehr: Digitalstrategie 2022. https: / / bmdv.bund.de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ K/ presse/ 063-digitalstrategie.pdf? __blob=publicationFile [13] Bacharach, G. et.al. (2023) : Governance von Open Source Software, Empfehlungen für die Öffentliche Verwaltung- - Diskussionsbeitrag. https: / / www.ossbig.at/ wp-content/ uploads/ 2023/ 05/ 2023-05-08-OpenSource- Governance-Diskussionsberitrag-V3-1.pdf [14] bitkom (2023): Open Source Monitor 2023. https: / / www. bitkom.org/ opensourcemonitor2023 Eingangsabbildung: © iStock.com/ Wenjie Dong Guido Bacharach Guido Bacharach, ehemaliger Leiter der Stabsstelle Strategie und Digitalisierung in der Stiftung für Hochschulzulassung, hat langjährige Erfahrungen in internationalen Projektlandschaften, ist in der GPM Leiter der GPM Fachgruppe Critical Chain Projektmanagement, Inhaber von Lehraufträgen im Projektmanagement, Leiter der VOICE Gruppe Alternativen, Berater im EMREX Executive Committee, Co-Gründer des Netzwerks Digitale Nachweise und ist in mehreren nationalen und internationalen Projekten zur Digitalisierung der Verwaltung tätig. https: / / orcid.org / 0000-0002-7945 - 9118 Prof. Dr. Harald Wehnes Prof. Dr. Harald Wehnes hat jahrzehntelange Erfahrungen als Führungskraft und Projektmanager in der Wirtschaft und Großforschung. Seit 2000 hält er Vorlesungen zu Projektmanagement und Start-ups an der JMU Würzburg. Bei der GPM leitet er die Fachgruppe „PM an Hochschulen“, die mit 400 Professoren und Dozenten des PM das größte Hochschulnetzwerk im deutschsprachigen Raum ist. Julius-Maximilians-Universität Würzburg Institut für Informatik Am Hubland 97 074 Würzburg E-Mail: wehnes@informatik.uni-wuerzburg.de 55 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0096 Andreas Wald, Christoph Schneider, Peter Thuy Für eilige Leser | Nach der Pionierstudie im Jahr 2013 hat die GPM zum zweiten Mal gemeinsam mit der EBS Universität für Wirtschaft und Recht gGmbH eine Studie zur makroökonomischen Vermessung der Projektarbeit durchgeführt. Dabei wurde der Anteil der Projektarbeit in allen Wirtschaftsbereichen in Deutschland basierend auf einer Stichprobe von 730 Unternehmen gemessen. Das Ergebnis von 34,5 % entspricht einem Beitrag von 1.204 Mrd. Euro an der gesamten Bruttowertschöpfung. Im Vergleich zu 2013 (34,7 %) hat sich der Anteil der Projektarbeit nicht wesentlich verändert, sondern auf einem sehr hohen Niveau verstetigt. Schlagwörter | Projektifizierung, Projektwirtschaft, Projektarbeit, Wirtschaftsbereich, Deutschland Einleitung Der Begriff der Projektifizierung wurde in den 90er Jahren vom französischen Wissenschaftler Christophe Midler geprägt, um damit einen fundamentalen Wandel im Produktentwicklungsprozess des Fahrzeugherstellers Renault zu beschreiben [1]. Dieser war quantitativ von einer Zunahme projektförmiger Arbeit geprägt, es ergaben sich aber auch wichtige qualitative Veränderungen hinsichtlich der Koordination, Zusammenarbeit und Kommunikation. Der Begriff der Projektifizierung hat sich seitdem in Wissenschaft und Praxis etabliert und es wird oft von einer zunehmenden Projektifizierung gesprochen, ohne jedoch verlässliche Zahlen zum tatsächlichen Ausmaß derselben zu haben. Vor nunmehr zehn Jahren hatte die GPM daher zum ersten Mal eine Studie beauftragt, bei der das Ausmaß der Projektifizierung systematisch und vollständig für sämtliche Wirtschaftsbereiche und für alle Projektarten erfasst wurde. Das Ergebnis für das Jahr 2013 war 34,7 %, d. h. über ein Drittel der Arbeit in der Deutschen Wirtschaft wurde im Rahmen von Projekten geleistet [6, 7]. Die Studie erfuhr auch international viel Beachtung und wurde mit der derselben Messmethode in Norwegen und Island repliziert [3, 5]. Nach nunmehr zehn Jahren und wesentlichen wirtschaftlichen, politischen und technologischen Veränderungen wurde die Studie erneut mit Bezugspunkt 2022 durchgeführt. Ziel dabei war neben einer aktuellen Bestandsaufnahme die Analyse von Veränderungen im Zeitablauf. Um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse zwischen den Messzeitpunkten zu gewährleisten, wurde die exakt gleiche Mess- und Aggregationsmethode verwendet wie 2013. Allerdings wurde eine größere Stichprobe gezogen, um die Repräsentativität der Ergebnisse zu erhöhen und um eine detailliertere Branchenbetrachtung zu ermöglichen. Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse der Studie präsentiert. Für eine detailliertere Darstellung der Methode und der Ergebnisse sei auf den ausführlichen Studienbericht verwiesen [5]. 1. Studiendesign Das Studiendesign wurde weitestgehend aus der Studie von 2013 übernommen. Dabei wurden insgesamt 730 Unternehmen aus allen zehn Wirtschaftsbereichen, inklusive des öffentlichen Sektors, im Rahmen einer telefonischen Erhebung (CATI=Computer Assisted Telephone Interviews) befragt. Die gegenüber 2013 erweiterte Stichprobe erlaubte es, sämtliche Wirtschaftsfaktoren direkt zu erheben, anstatt wie in der Pionierstudie vier Wirtschaftsbereiche von Branchenexperten schätzen zu lassen [6]. Dadurch sollte die Messgenauigkeit erhöht werden. Für die Erhebung wurde eine geschichtete Zufallsstichprobe gezogen, wobei Wirtschaftsbereich und Unternehmensgröße als Schichtungskriterien verwendet wurden: Die Tabelle 1 zeigt die Zusammensetzung der Stichprobe. Die Messung der Projektifizierung erfolgte auf der Unternehmensebene. Die Befragten wurden gebeten den Anteil der Arbeitszeit in ihrem Unternehmen einzuschätzen, der in Projekten geleistet wird, wobei zunächst eine präzise Definition des Projektbegriffs erfolgte [5]. Dieses Maß hat gegenüber alternativen in- und outputorientierten Maßen den Vorteil, einheitlich auf alle Unternehmenstypen, Branchen und Projektarten anwendbar zu sein [7]. Die Einzelwerte für die Unternehmen wurden zunächst als Mittelwert für die einzelnen Wirtschaftsbereiche zusammengefasst. Die weitere Aggregation auf die Ebene der gesamten Volkswirtschaft erfolgte, indem die Mittelwerte der einzelnen Wirtschaftsbereiche zunächst mit ihrem Anteil an der Bruttowertschöpfung gewichtet wurden und danach der gewichtete Mittelwert über alle Wirtschaftsbereiche gebildet wurde [6, 7]. Die durchschnittliche Unternehmensgröße der Stichprobe beträgt 1.258 Mitarbeiter und der durchschnittliche Umsatz 530 Millionen Euro. Die Befragten Unternehmensrepräsentanten sind zum Großteil Bereichs- und Abteilungsleiter Projektifizierung reloaded: Ergebnisse der zweiten Studie zum Stand der Projektifizierung in Deutschland Wissen | Projektifizierung reloaded: Ergebnisse der zweiten Studie 56 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0096 (39 %), Geschäftsführer und Vorstände (23 %) oder Mitarbeiter von Fachabteilungen (20 %). 2. Die Projektlandschaft in Deutschland Im Jahr 2022 dauerten Projekte im Durchschnitt 10 Monate und wiesen ein durchschnittliches Projektbudget von ca. 1 Millionen Euro auf. Das durchschnittliche Projektteam bestand aus 10,1 Mitarbeitern. Die umfangreichsten Projekte wurden in der produzierenden Industrie, im Baugewerbe sowie im Grundstücks- und Wohnungswesen durchgeführt. Wie in Abbildung 1 dargestellt, machen interne Projekte mit 78 %, wie beispielsweise IT-Projekte (19 %), Marketingprojekte (17 %) und Organisationsprojekte (17 %), gegenüber externen Projekten mit 22 % die deutliche Mehrheit aus. Allerdings hat sich gegenüber 2013 der Anteil der externen Projekte von 16 % auf 22 % erhöht. Dies ist ein Hinweis darauf, dass Unternehmen auch für die Leistungserstellung von Produkten und Dienstleistungen Projekte vermehrt einsetzen. Die Zusammensetzung der Projektarten weist branchenspezifische Unterschiede auf. Wenig überraschend kommen F&E Projekte relativ wenig bei Dienstleistern zum Einsatz, sind aber für produzierende Gewerbe (20 %) von großer Bedeutung. Infrastrukturprojekte sind am häufigsten im Grundstücks- und Wohnungswesen (18 %) sowie im öffentlichen Dienst (17 %) zu finden. Eine zentrale Projektorganisation, meistens in Form eines Project Management Office (PMO), existiert bei 50 % der Unternehmen (38 % davon als PMO). Dieser Wert hat sich gegenüber 2013 (65 %) deutlich verringert, obwohl empirisch ein Zusammenhang zwischen der Existenz einer zentralen Projektorganisation und dem Projekterfolg nachgewiesen werden kann [5]. Dementsprechend ist für das Jahr 2022 auch ein Rückgang im wahrgenommenen Projekterfolg zu verzeichnen. Dieser wurde als Index mit den Dimensionen Zeiteinhaltung, Kosteneinhaltung, Ergebnis / Qualität, Stakeholder-Zufriedenheit sowie ein umfassender Indikator zur Gesamteinschätzung gemessen und erreichte im Jahr 2022 einen Skalenwert von 66 Punkten (Skala von 0 bis 100) gegenüber 72 Punkten im Jahr 2013. 3. Umfang der Projektarbeit in Deutschland Die Projektifizierung der deutschen Wirtschaft, gemessen mit dem Anteil der Projektarbeit an der gesamten Arbeit, betrug im Jahr 2022 34,5 %. Dieser Wert unterstreicht die hohe Bedeutung von Projekten in für die gesamte Volkswirtschaft: Etwas über ein Drittel der Wirtschaftsleistung wird im Rahmen von Projekten erbracht. Folgt man der Annahme, dass die Tabelle 1: Stichprobenzusammensetzung Wissen | Projektifizierung reloaded: Ergebnisse der zweiten Studie 57 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0096 inputorientierte Maßzahl „Arbeitszeit“ mit dem Output der Bruttowertschöpfung korrespondiert, entspricht dies einem Betrag von 1.204 Mrd. Euro, der über Projekte generiert wurde. Bei der Interpretation dieses Ergebnisses ist zu beachten, dass Projekte in der Regel zum Generieren von Innovation, zur Umsetzung von Veränderungen innerhalb von Organisationen und zur Schaffung von Wachstum eingesetzt werden [2]. Vor diesem Hintergrund erscheint der gemessene Anteil der Projektarbeit außerordentlich hoch. Hervorzuheben ist, dass die Bandbreite zwischen den Branchen insgesamt nicht zu groß erscheint. So beträgt der Anteil in den am wenigsten projektfizierten Branchen Finanz- und Versicherungsdienstleister (19,2 %) sowie Land- und Forstwirtschaft, Fischerei (20,5 %) immerhin (knapp) 20 %. In der am stärksten projektifizierten Branche, dem Baugewerbe, werden nur 55 % der Arbeit in Projekten erbracht, obwohl dort fast die gesamte Leistungserbringung projektbasiert erfolgt. 4. Veränderung im Zeitablauf Sowohl im Rahmen der ersten Studie als auch in der aktuellen Befragung wurden nicht nur der jeweils aktuelle Projektifizierungsgrad im Unternehmen erhoben, sondern auch nach einer Einschätzung gefragt, wie hoch der Anteil der Projektarbeit vor fünf Jahren war und wie dieser in fünf Jahren sein wird. Dadurch ergeben sich neben Werten für die beiden Messzeitpunkte 2013 und 2022 auch Schätzungen für die Jahre 2008 (Rückblick aus 2013), 2019 (Prognose in 2013), 2017 (Rückblick aus 2022) und 2027 (Prognose in 2022). Die Abbildung 2 zeigt die jeweiligen Werte von 2008 bis 2027. Dabei fällt auf, dass der Anteil der Projektarbeit zwischen den beiden Messzeitpunkten 2013 (34,7 %) und 2022 (34,5 %) fast unverändert geblieben ist. Damit hat sich die optimistische Prognose von 2013, die von einer Zunahme des Anteils der Projektarbeit auf 41,3 % im Jahr 2019 aus- Abbildung 1: Projektarten differenziert nach Wirtschaftsbereichen Tabelle 2: Anteil der Projekttätigkeit an der Gesamtarbeitszeit in den 10 Wirtschaftsbereichen Wissen | Projektifizierung reloaded: Ergebnisse der zweiten Studie 58 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0096 ging, nicht bewahrheitet. Die Prognose aus dem Messzeitpunkt 2022 fällt mit 38,5 % für 2027 deutlich moderater aus. Dies unterstreicht den wesentlichen Befund der vorliegenden Studie hinsichtlich des Standes und der Entwicklung der Projektifizierung in der deutschen Wirtschaft: Insgesamt scheint ein gewisser „Sättigungsgrad“ erreicht, d. h., der Anteil der Projektarbeit scheint mit etwas über einem Drittel an der Gesamtarbeit stabil zu sein. Wie ist dieser Befund zu interpretieren? Projekte als temporäre Organisationsform sind aufgrund ihrer Flexibilität, des zeitlich begrenzten Charakters und der Möglichkeit Teams mit unterschiedlichen Experten zusammenzustellen, zur Lösung einmaliger Aufgaben geeignet. Diese sind oft neuartig, wissensintensiv und komplex [2]. Für die Erledigung einfacher und meistens repetitiver Routineaufgaben weisen Projekte Effizienznachteile gegenüber etablierten, permanenten Prozessen auf. Der Befund, dass der Anteil der Projektarbeit nach zehn Jahren unverändert etwas mehr als ein Drittel beträgt, ist ein Indikator für das Verhältnis von einmaligen, wandelbezogenen Aufgaben und repetitiven Routineaufgaben in der deutschen Wirtschaft. 5. Fazit Zehn Jahre nach der ersten Studie hat die GPM zum zweiten Mal gemeinsam mit der EBS Universität für Wirtschaft und Recht gGmbH eine makroökonomische Vermessung der Projektarbeit durchgeführt. Durch Beibehaltung der bewährten Messmethode sind die Ergebnisse aus beiden Studien direkt vergleichbar. Der Anteil der Arbeitszeit in Projekten umfasste im Jahr 2022 34,5 % und liegt damit fast exakt bei dem Wert, der für 2013 ermittelt wurde (34,7 %). Die außerordentlich hohe Bedeutung der Projektarbeit für die deutsche Wirtschaft wurde damit bestätigt und hat sich verstetigt: Die Prognose einer weiteren, deutlichen Steigerung des Projektfizierungsgrades ist nicht eingetroffen. Literatur [1] Midler, C. (1995) Projectification” of the firm: the Renault case. Scandinavian Journal of Management , 11 (4), 363-375. [2] Henning, C., Wald, A. (2019) Towards a Wiser Projectification: Macroeconomic Effects of Firm-level Project Work. International Journal of Project Management , 37(6), 807-819. [3] Schoper, Y., Wald, A., Ingason, H. T., Friðgeirsson, T. V. (2018) Projectification in Western Economies: A Comparative Study of Germany, Norway and Iceland. International Journal of Project Management , 36 (1), 71-82. [4] Wald, A., Aguilar Velasco, M. M., Torbjørn, B., Grønvold, A., Skeibrok, J., Svensson, F. L. (2016) Projektifizierung auch im Norden: Der Anteil der Projektarbeit in Deutschland und Norwegen im Vergleich. Projektmanagement aktuell , 27 (4), 50-55. [5] Wald, A., Schneider, C., Schoper, Y., Thuy, P., Hartmann, C. (2023) Projektifizierung 2.0: Zweite Makroökonomische Vermessung der Projekttätigkeit in Deutschland. UVK Verlag, München. [6] Wald, A., Schneider, C., Spanuth, T., Schoper, Y. (2015) Die Projektifizierung der deutschen Wirtschaft: Ergebnisse einer Studie zur Messung der Projekttätigkeit. Projektmanagement aktuell , 26 (5), 60-65. [7] Wald, A., Schneider, C., Spanuth, T., Schoper, Y. (2015) Towards a Measurement of “Projectification”: A Study on the Share of Project-Work in the German Economy. In: Wald, A., Wagner, R., Schneider, C., Gschwendtner, M. (eds.): Advanced Project Management: Flexibility and Innovative Capacity. Volume 4. GPM: Nürnberg, 18-36. Abbildung 2: Entwicklung des Anteils der Projektarbeitszeit von 2008 bis 2027 Wissen | Projektifizierung reloaded: Ergebnisse der zweiten Studie 59 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0096 Dr. Andreas Wald Andreas Wald (Dr. rer. pol. habil.) Professor für Strategie an der School of Business and Law der University of Agder in Kristiansand. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Temporäre Organisationen, Management Control und Innovation. Seine Arbeiten erscheinen unter anderen in wissenschaftlichen Zeitschriften wie Project Management Journal, International Journal of Project Management und International Journal of Managing Projects in Business. Internet: www.uia.no / en / kk / profile / andreasw eMail: andreas.wald@uia.no Christoph Schneider Christoph Schneider studierte Soziologie und Politische Wissenschaften an der Ruprechts-Karls-Universität Heidelberg. Seit 2007 ist er als Forschungsdirektor an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht tätig. In Kooperation mit der GPM leitete er viele Studien zum Thema Projektmanagement wie z. B. die Makroökonomische Vermessung der Projekttätigkeit in Deutschland (2015), die Gehalts- und Karrierestudie im Projektmanagement 2013, 2015, 2017 und 2019, Mit Projekten Unternehmen erfolgreich führen (2012), Global Project Management Survey (2010), Potentiale und Bedeutung des Projektmanagements aus der Perspektive des Topmanagements (2009). Internet: www.ebs.edu / forschung / institute-centerlabs / institute-for-technology-innovation-customer-centricity eMail: christoph.schneider@ebs.edu Prof. Dr. Peter Thuy Prof. Dr. Peter Thuy ist Präsident der GPM. Neben dem betriebswirtschaftlichen Studium hat Thuy Berufserfahrung im Verlagswesen und in der Wirtschaftsprüfung gesammelt, ehe er an der Universität Bayreuth im Fach Volkswirtschaftslehre promovierte und habilitierte. Zahlreiche Lehraufträge im In- und Ausland sowie die Gründung und Führung einer Akademie für betriebswirtschaftliche Weiterbildung ergänzen sein Profil. Als Rektor und Geschäftsführer war er dafür mitverantwortlich, dass sich die Internationale Fachhochschule Bad Honnef / Bonn (heute: IU International University) von einem auf spezialisierten Nischenanbieter zur größten deutschen Hochschule entwickelte. Darüber hinaus ist Prof. Thuy im Bereich der Akkreditierung tätig und ist Vorstandsvorsitzender des Verbandes Privater Hochschulen. 60 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0097 PM Forum Projekte vs. Prozesse - Symbiose oder Widerspruch Erich Dräger, Ralph Riedel Projekte machen Prozesse, ohne Prozesse keine Projekte - Soll, oder muss man deshalb Projekte und Prozesse als zwei Seiten der gleichen Münze sehen? Projekte sind einmalige, komplexe, häufig interdisziplinäre Vorhaben mit einem konkreten Ziel, einem Start und Ende, damit zeitlich abgegrenzt (und endlich), mit beschränkten Ressourcen sowie mit einem internen oder externen Auftraggeber. Prozesse sind häufig wiederkehrend, können aber auch einmalig sein, haben ebenfalls ein erwartetes oder vorgegebenes Ergebnis, Start und Ende, einen internen oder externen Kunden und benötigen (häufig beschränkte) Ressourcen zu ihrer Ausführung. Projekte sind damit nur beschränkt, v. a. auf einem höheren Level standardisierbar. Prozesse versucht man atomar zu standardisieren und damit beherrschbar zu machen. Projekte sind am Output, am Ergebnis, am Kunden orientiert, Prozessdenken orientiert sich idealerweise auch am Kunden(wert) sowie am Wertstrom und am Fluss, d. h. an der unterbrechungsfreien Aufeinanderfolge aller Schritte, die Wert erzeugen. Projekte und Prozesse haben damit viele Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten. Nichtsdestotrotz scheint Prozess- und Projektdenken häufig ein unterschiedlicher Mindset zugrunde zu liegen und bekanntermaßen gibt es für Projekt- und Prozessmanagement unterschiedliche Fachverbände, werden diese als verschiedene Fachdisziplinen gehandhabt und gelehrt. Auch in der Praxis scheinen Projekte und Prozesse durchaus zwei unterschiedliche Welten zu sein. Zwei Beispiele sollten dies illustrieren: • Da ist zum einen das Maschinenbauunternehmen, das in den letzten 20 Jahren fulminant gewachsen ist, stets technologiegetrieben als Problemlöser für seine Kunden wirkte und sich plötzlich mit der Herausforderung konfrontiert sieht, das kundenindividuelle Einzelprojektgeschäft durch Standardprodukte, die in Serienfertigung hergestellt werden sollen, zu ergänzen. Nicht nur im ERP-System, sondern v. a. in der Organisation musste plötzlich eine andere Art von Prozessen etabliert werden, was insbesondere ein Umdenken (bspw. Standardisierung als Chance und nicht als Innovationsbremse) und Verhaltensänderungen (dem Kunden alles recht machen vs. Effizienz) erforderte. • Zum anderen ist da der große Mittelständler mit knapp 2.000 Beschäftigten und einem Dutzend Standorten, der gerade mitten in einer Transformation, getrieben durch die Elektromobilität, steckt. Neben den klassischen Serien- und Linienaufgaben, die im Rahmen eines Projektes verändert werden sollen, steigt das Unternehmen zukünftig verstärkt ins Projektgeschäft ein, indem es als Entwicklungspartner seiner Kunden fungiert. Dazu müssen die Prozesse und Projekte effizient auf die Kundenbedürfnisse ausgerichtet werden. D. h., aus der bisherigen Sicht von innen nach außen muss nun die Sicht vom Kunden, dessen Prozesse und Ziele, nach innen erfolgen und hierbei muss kosteneffizient agiert werden, da der Wettbewerb sehr ausgeprägt ist. Für beide Fälle besteht ein Learning darin, dass nur durchgängige (End-to-End) Prozesse ein effektives, effizientes Projektmanagement gewährleisten können. Was lässt sich nun für die Ausgangsfrage „Symbiose oder Widerspruch“ ableiten? Unstrittig ist sicherlich, dass Projekte wie auch das Projektmanagement aus Prozessen bestehen - dies findet sich in der Literatur, wie auch in den einschlägigen Standards. Allerdings wird dort, wie auch in der Ausbildung, wenig auf das Prozessmanagement in Projekten eingegangen, sondern es werden primär die Kompetenzen eines Projektmanagers thematisiert. Projekte verändern Prozesse, man denke nur an ein Business-Reengineering-Projekt oder an die Einführung einer komplexen Unternehmenssoftware. Die Anforderungen an das Projekt werden dabei in nicht unerheblichem Maße durch die vorhandenen Prozesse gestellt. Der Prozessmanager ist dabei jedoch nicht immer auch ein Projektmanager. Am Ende fokussieren sowohl Projektals auch Prozessmanagement doch aber auf die gleichen Dinge: die Kunden, die zufriedengestellt und begeistert werden sollen, die Planung von Abläufen, Tätigkeiten in einer sinnvollen Reihenfolge, die Zurverfügungstellung der richtigen Ressourcen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sowie deren Zusammenspiel, die Definition von Verantwortlichkeiten, das rechtzeitige Erkennen und der Umgang mit Risiken sowie mit Dynamik, Änderungen usw. Dafür sind im Grunde übergreifende Managementkompetenzen erforderlich, die - je nachdem - einen speziellen Fokus haben können, gleichzeitig aber - aus den oben genannten Gründen - stets auch Wechselwirkungen bzw. das Zusammenspiel von Projekten und Prozessen im Blick behalten müssen. Im Workshop (vgl. Abb. 1) wurden viele weitere Beispiele dafür gefunden, dass sich Projekte und Prozesse gegenseitig beeinflussen; es kann aber auch vereinzelt Projekte geben, welche die Geschäftsprozesse eines Unternehmens nicht tangieren bzw. hat nicht jeder Prozess ein Projekt als Ursache. PM Forum | Projekte vs. Prozesse - Symbiose oder Widerspruch 61 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0097 Es wurde die Notwendigkeit bestätigt, dass Projektmanager Prozesskompetenz haben müssen und umgekehrt - eine integrative Sicht von Projekt- und Prozessmanagement bietet eindeutige Vorteile. Insbesondere werden dadurch sowohl die Kundenzufriedenheit als auch der Unternehmenserfolg positiv beeinflusst. Für die favorisierte Symbiose ist es erforderlich, das Knowhow sowie Methoden aus beiden Disziplinen zusammenzubringen - die „Wirkrichtung“ muss dabei klar durch Kunden und Ziele vorgegeben sein. Grundvoraussetzung ist eine gemeinsame Sprache. Die Integration von Projekten und Prozessen bzw. von Projekt- und Prozessmanagement sollte praxisorientiert erfolgen. Sinnvoll ist vermutlich ein Zusammenspiel aus akademischer Ausbildung, Best Practice und interdisziplinärem Austausch. Abbildung 1: Arbeitsergebnisse aus dem Workshop Prof. Dr.-Ing. Erich Dräger Prof. Dr.-Ing. Erich Dräger hat als Geschäftsführer, Interims-Manager, Business Coach mehr als 20 Jahre Erfahrung im Projekt- und Prozessmanagement. Im Mittelpunkt seiner Tätigkeit stehen die kompetenzorientierte und wertschöpfungsorientierte Führung von Projekten und Prozessen. Erich.draeger@resultance.de Prof. Dr.-Ing. habil. Ralph Riedel Prof. Dr.-Ing. habil. Ralph Riedel ist Professor für Logistik an der Westsächsischen Hochschule in Zwickau und beschäftigt sich in Lehre, Forschung und Praxis mit der nachhaltigen und aufeinander abgestimmten Befähigung von Menschen, Technik und Organisation, nicht nur im Kontext der Logistik. Foto: Helge Gerischer ralph.riedel@fh-zwickau.de Für die Standards im Projektmanagement, speziell für das (neue) Element „Geschäftsprozesse“ innerhalb der ICB 4.0, wurde in diesem Zusammenhang entsprechender Handlungsbedarf identifiziert - hier spielen Konzepte und Methoden des Prozessmanagements bislang noch keine große Rolle. Die GPM selbst hat einen Standard zum projektorientierten Prozessmanagement im Roll-out und auch erste positive Feedbacks von Teilnehmern - dies ist sicher ein guter erster, operativer Ansatz. Prinzipiell muss festgehalten werden: Die Kompetenz der Projektleiter muss um organisatorische Aspekte, Geschäftsprozesse wesentlich erweitert werden - dies ist Aufgabe für Unternehmen, Fachverbände, Ausbildungseinrichtungen - und für die handelnden Personen selbst. 62 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0098 PM Forum Nachhaltige Geschäftsmodellentwicklung: Systemdenken in der Gründungsberatung David Paul Müller, Michael Holzner, Siegfried Zürn Das Business Model Canvas (BMC) ist ein bewährtes Tool in der Strategie- und Gründungsberatung. Doch nach den Kickoff-Meetings mit Brainstormings und einer Auswahl von Handlungsfeldern ist die Operationalisierung der Maßnahmen eine große Herausforderung. Hier setzt ein entwickeltes Systemmodell als Tool an. Nutzen Sie das Systemdenken für Beratungsprojekte wie die Gründungsberatung und erfahren Sie, wie es Ihnen gelingt, die Zusammenhänge einzelner Aspekte in einem gemeinsamen mentalen Modell im Auge zu behalten. Dieser Beitrag stellt den an der Hochschule Esslingen entwickelten Systems Thinking-Ansatz zur nachhaltigen Geschäftsmodellentwicklung in der Gründungsberatung vor. Nachdem verschiedene präventive und reaktive Maßnahmen verglichen und bewertet werden, erfahren Sie, wie Sie mit unerwarteten Ereignissen umgehen können. Das modifizierte, auf Systemdenken basierende Business Model Canvas Bislang fehlt es an dynamischen, systembasierten Modellen für die Unternehmensentwicklung, sodass das klassische BMC weiterhin das Mittel der Wahl für die Gestaltung und Visualisierung von Geschäftsmodellen ist. Dem ursprünglichen Modell fehlt jedoch eine Anpassung an die zunehmende Komplexität und Dynamik der Märkte, die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten und der Einfluss der Digitalisierung auf die Geschäftsmodelle. Auch in seiner Konzeption stellt das BMC als statisches Modell mit verschiedenen Abstraktionsebenen keine optimale Ausgangsbasis für die Geschäftsmodellbildung dar. Die zum Teil isolierte Einzelbetrachtung und der Fokus auf lokale Maxima führt zu Fehlern bei der Entscheidungsfindung. Aus dieser Sicht wird das bestehende BMC ergänzt und stärker operationalisiert. Die einzelnen Bereiche des Canvas werden weiter untergliedert in Elemente die Verknüpfungen zu anderen Elementen unterhalten. Diese Wechselwirkungen werden aufgezeigt und analysiert. Dies spielt vor allem beim Aufbau eines neuen und innovativen Geschäftsmodells (Start-up) eine wichtige Rolle. Ein modifizierter Canvas als Visualisierungshilfe ermöglicht eine Anpassung an die sich verändernden Gegebenheiten. Aufbau des modifizierten Business Model Canvas Anwendung des Modells Ziel des vorgestellten Systems Thinking-Models ist es, Anwender, die bereits Erfahrungen mit dem BMC gesammelt haben, mit dem systemischen Denken vertraut zu machen. Erreicht wird dies mit einem Systemmodell, das in seiner Struktur dem BMC entspricht und ein kohärentes Gesamtbild aufweist. Die Nutzer können sich schnell in dem Modell zurechtfinden und bereits bekannte Aspekte wiedererkennen, sodass ein nahtloser Übergang vom BMC zum systemischen Denkmodell erreicht wird. Insofern bildet das BMC einen ersten Ansatz, eine gute Struktur, um über die einzelnen Elemente nachzudenken. Der nächste Schritt besteht darin, zu erkennen, dass die Elemente nicht für sich alleine stehen, dass die Kunden nicht von den anderen Partnern getrennt sind, dass die Aktivitäten mit den Einnahmequellen oder den verbrauchten Ressourcen zusammenhängen. Zu diesem Zweck wurden in dem vorgestellten Modell die einzelnen Bereiche des BMC in einzelne Elemente unterteilt und diese mit ihren logischen Verknüpfungen zu anderen Elementen in den anderen Bereichen des BMC versehen. So kann der Nutzer sofort erkennen, wie die entsprechenden Elemente miteinander interagieren. Damit wird ein Einstieg geschaffen, der es erlaubt, in Wirkungsketten zu denken und damit das - manchmal mehrstufige - Zusammenspiel der Elemente zu verstehen. Damit sind die Weichen gestellt für eine Diskussion mit den Unternehmern, ob die geplanten Aktivitäten oder Maßnahmen zu den selbst gesteckten Zielen passen und damit ihr Geschäftsmodell funktionieren kann. Szenarien mit unterschiedlichen Randbedingungen und potenziellen Umwelteinflüssen ermöglichen es, die Belastbarkeit des Geschäftsmodells einzuschätzen und helfen so, ein geeignetes Risikomanagement einzurichten. Schlussfolgerung Die Modifikation des traditionellen BMC in ein auf Systemdenken basierendes Modell mildert den starren, theoretischen und statischen Rahmen. Die softwarebasierte Anwendung ermöglicht es, Änderungen schnell einzuführen, zu visualisieren und damit eine Diskussionsgrundlage für die Weiterentwicklung oder Verfeinerung des Geschäftsmodells zu schaffen. Der Ansatz, die Aspekte nicht nur pro Baustein aufzulisten, PM Forum | Nachhaltige Geschäftsmodellentwicklung: Systemdenken in der Gründungsberatung 63 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0098 sondern den Grad der Zielerreichung der einzelnen Ziele zu betrachten, eröffnet neue Perspektiven. Unter dem Strich geht das auf Systemdenken basierende Modell über den Fokus auf Kostenstruktur und Einnahmequellen des traditionellen Modells hinaus. Die Umwelt- und Sozialorientierung wird heute mehr denn je von den Stakeholdern gefordert. Daher muss sich der multidimensionale Fokus des Triple-Bottom-Line-Ansatzes auch im Geschäftsmodell widerspiegeln. Das auf System Thinking basierende BMC kann hier einen Mehrwert schaffen, indem es Interaktionen und Szenarien simuliert und auch die Arbeit am Geschäftsmodell erleichtert. Ein weiterer positiver Aspekt für Start-ups ist die sehr agile Arbeitsweise am Systemmodell, da iterative Anpassungen sofort digital vorgenommen und veränderte Handlungsmuster durch anschließende Simulationen getestet werden können. Das Systemmodell ist damit zielgerichteter und besser an Start-ups angepasst als das traditionelle Canvas, das in der ersten groben Modellentwicklung noch seine Berechtigung und Nützlichkeit hat. Nachdem das BMC mit konkreten Inhalten gefüllt ist, muss jedoch ein Systemmodell aufgebaut werden, das agil und flexibel eingesetzt werden kann, um zu überprüfen, ob diese Annahmen und Merkmale mit den Zielen des Geschäftsmodells übereinstimmen und den Anforderungen an die Belastbarkeit in Simulationen unter verschiedenen Szenarien standhalten. Da Start-up-Organisationen agil und praxisorientiert agieren müssen, sollte die Arbeit mit dem modifizierten und dynamischen Systemmodell der Arbeitsweise von Start-ups keine größeren Schwierigkeiten bereiten. David Paul Müller ist Master of Engineering im Studiengang Smart Factory - Industrie 4.0 sowie Bachelor of Science im Studiengang Internationale Technische Betriebswirtschaft an der Hochschule Esslingen. Er begleitet Gründungsprojekte in Verbindung mit Systems Thinking und entwickelt Systemdenken-Tools in der Organisationsentwicklung und im Qualitätsmanagement mit der Beratungsfirma iCONDU GmbH in Ingolstadt. Aktuell arbeitet er als wissenschaftlicher Angestellter am Fraunhofer Anwendungszentrum KEIM im Projekt Anonymisierung von Mobilitäts- und Bewegungsdaten. Dr. Michael Holzner ist Gründer und Geschäftsführer der iCONDU GmbH. Er hat Maschinenbau studiert und auf dem Gebiet der numerischen Simulation promoviert. Nach mehr als 20 Jahren in leitenden Funktionen der Automobilindustrie mit Schwerpunkt Produktentwicklung gründete er 2010 das Beratungsunternehmen iCONDU mit den Themenfeldern Strategie- und Projektentwicklung sowie Gestaltung von Transformationsprozessen. Dr. Siegfried Zürn ist Professor für Operations Management und Director International Centre and Graduate School der Hochschule Esslingen. Er hat Naturwissenschaften und Business Consulting studiert und war vor seiner akademischen Laufbahn lange Jahre in Managementpositionen sowohl in der Baustoffals auch Chemischen Industrie beschäftigt. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind Qualitäts- und Leanmanagement, Internationales Projektmanagement sowie Managementaspekte von Industrie 4.0. 64 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0099 Jeff Sutherlands Appell an die Agilität von Personen und Organisationen „Langsamkeit ist keine Option.“ Mit der Entwicklung eines Frameworks für agile Software-Entwicklung hat Jeff Sutherland das Agile Projektmanagement geprägt. Visionär und mit seinem tiefgreifenden Verständnis komplexer Systeme führte er Scrum ein: einen transformativen Ansatz, der Anpassungsfähigkeit, Zusammenarbeit und iterativen Fortschritt vereint. In seinem Online-Vortrag "The Secret to a Successful Agile Transformation" wies Sutherland am 27. Juni rund 1.000 Teilnehmenden den erfolgreichen Weg zur agilen Organisation. Willy Wijnands, der Entwickler von eduScrum, führte durch diese exklusive Veranstaltung der GPM Regionalgruppe Dortmund / Ruhrgebiet. Beschleunigte Prozesse, weniger Bürokratie, geringere Kosten-- die agile Transformation birgt Potenziale, aber auch Risiken: Laut Forbes Insight and MIT Sloan Management Review scheitern 53 Prozent der Unternehmen bei diesem Prozess. Diese Misserfolgsquote sei jedoch geringer als die Konkursrate von Unternehmen von 67 Prozent, stellte Jeff Sutherland Chance und Risiko gegenüber. Wie gelingt also eine erfolgreiche agile Transformation? Dies zeigte Scrum-Pionier Jeff Sutherland anhand prominenter Unternehmen auf, die er in seiner jahrzehntelangen Karriere begleitete. Tesla: Die Power agiler Innovationen Ein Erfolgsaspekt von Scrum liegt in der Fähigkeit, sich an neue Technologien anzupassen und davon zu profitieren. Jeff Sutherland wies auf neue Technologien wie Elektrofahrzeuge, Künstliche Intelligenz und weitere innovative Entwicklungen hin, welche die Zusammenarbeit und Interaktion von Unternehmen stark beeinflusse. Der Elektrofahrzeughersteller Tesla etwa bringe wöchentlich mehr als 20 neue Software- und Hardware-Innovationen auf den Markt; die neue Technologie werde buchstäblich am laufenden Band ausgetauscht. Das gesamte Unternehmen werde durch Künstliche Intelligenz gesteuert: Teams verwalten sich selbst, werden aber von der KI geführt, die ihnen zeige, welche Prioritäten bei der Zusammenarbeit untereinander gesetzt werden müssen. Dies führe dazu, dass Tesla um ein Vielfaches effektiver sei als andere Anbieter und zu einer viermal höheren Marktkapitalisierung als jene des Wettbewerbers Toyota, berichtete Sutherland. Rocket Mortgage: Agilität im Finanzsektor Als Musterbeispiel für beschleunigte Innovation führte Sutherland den Hypothekenanbieter Rocket Mortgage an, der sich von einer SAFe-Kultur zu einer Lieferkultur bewegte: Das Unternehmen implementierte True Scrum, straffte Organisation und Meetings und stellte von vierteljährlichen auf tägliche Releases um. Das Scrums@scale-Modell wurde im gesamten Unternehmen eingeführt und alle SAFe-Implementierungen aktualisiert. Das Ergebnis: Die Anzahl der Features verachtfachte sich, während der Umsatz im Jahr 2021 sich verdreifachte. Erfolgsfaktoren der agilen Transformation 1. Schnelle Entscheidungsfindung Wo gilt es also im Transformationsprozess anzusetzen? Fest stehe: Agile Organisationen treffen Entscheidungen zeitnah und effizient, wie Jeff Sutherland anhand des Beispiels der US-amerikanischen Standish-Group illustrierte. Das Unternehmen verfügt über eine Datenbank mit über einer Million Projekten, für die Geschwindigkeit ein entscheidender Erfolgsfaktor ist. „Unternehmen, die in der Lage sind, ihre Entscheidungszeit auf unter eine Stunde zu reduzieren, erzielen im Vergleich zu langsameren Unternehmen eine deutlich höhere Erfolgsquote“, so Sutherland. Dieser Aspekt sei sogar wichtiger als alle anderen agilen Metriken. „Durch die Eliminierung von Bürokratie und die Beschleunigung der Entscheidungszeiten können Unternehmen lineare Skalierbarkeit erreichen“, so der Scrum-Spezialist. Jetzt online lesen in unserer neuen eLibrary www.pmaktuell.de Der Online-Zugriff ist in den Leistungen für GPM Mitglieder inbegriffen. Noch kein GPM Mitglied? Schreiben Sie uns unter mitglieder@gpm-ipma.de. Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Unter Mitwirkung von: spm - Swiss Project Management Association und Projekt Management Austria P R OJ E K T M A N A G E M E N T A K T U E L L Anzeige PM Forum | „Langsamkeit ist keine Option.“ 2. Sich selbst organisierende Teams Agilität gehe aus der Theorie komplexer adaptiver Systeme hervor, erklärte Sutherland. Ein intelligentes System organisiere sich selbst. Wenn es auf ein Hindernis stoße, umgehe es dieses oder verschiebe es, um schneller zum Ziel zu kommen. So managen sich in einer agilen Organisation auch Teams selbst, um ein Sprint-Ziel zu erreichen. Ein entscheidender Faktor für die Produktivität eines Teams sei seine Größe: „Ein Scrum-Team sollte inkrementell und stückweise wachsen, doch irgendwann wird das Team zu groß, um effizient zu bleiben.“ Sutherland riet den Teilnehmenden, ein großes Entwicklungsteam in zwei kleine Teams aufzuteilen, wenn es bis zum Punkt der Ineffizienz gewachsen ist. Mit mehr als sieben Personen werden Teams erfahrungsgemäß ineffizient. Die Mitglieder der neuen, kleineren Teams sollten sich weiterhin informell und bei Bedarf durch den täglichen Rhythmus von Scrum of Scrums Events miteinander abstimmen, riet der Referent. 3. Agile Führung Organisieren sich Teams selbst, ergeben sich neue Aufgaben und Herausforderungen für Manager, die sich zu Führungskräften transformieren. „Vielen fällt es zunächst schwer, die Teams ‚loszulassen‘ und das Mikromanagement einzustellen“, so Jeff Sutherlands Erfahrung. Doch die Umstellung zahlt sich aus: So zeigt eine Studie der MIT Sloan Management Review, dass 67 Prozent der Unternehmen aus einer Führungspriorität heraus agil geworden sind. „Eine engagierte agile Führung ist entscheidend für den Erfolg einer agilen Transformation. Sie schafft eine ‚agile Blase‘, in der sich die Organisation entwickeln und wachsen kann“, erläuterte Sutherland und führte die Skalierung agiler Methoden und Prozesse als weiteren wichtigen Aspekt ins Feld. Diese Art des Denkens und Handelns treibe eine erfolgreiche agile Transformation voran, resümierte Jeff Sutherland am Ende seines Vortrags. „Was ich gelernt habe ist, dass es mehr auf die Einstellung ankommt. Wer nicht fünfmal schneller wird, hat bald keinen Job mehr.“ Die doppelte Arbeit in der Hälfte der Zeit reiche nicht aus, um die nächsten zehn Jahre zu überstehen. „Analysten sagen, dass Entwickler 2030 mindestens 10 Mal produktiver sein werden als heute. Langsam ist keine Option.“ Und so müssen nach Sutherlands Ansicht nicht nur Unternehmen eine agile Transformation durchführen, sondern wir alle. 66 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0100 Vom 19. bis 21. 06. 2023 fand die neunte Ausgabe des Zukunftskongresses Staat & Verwaltung mit der GPM als Hauptpartnerin statt. Der Kongress präsentierte sich in einem neuen und frischen Gewand im WECC am Berliner Westhafen. Mit über 2.000 Teilnehmenden und 400 Speakern konnten in einem industriell-modernen Ambiente zahlreiche Impulse für die Zukunftsfähigkeit des Staates in den Bereichen der Digitalisierung und Verwaltung gesetzt werden. Der Zukunftskongress steht unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums des Innern und für Heimat und versteht sich als die Leitveranstaltung für das moderne und digitale Deutschland. Die GPM beteiligte sich an zwei Veranstaltungsformaten. Am Abend des ersten Veranstaltungstages nahm GPM Präsident Prof. Dr. Peter Thuy an der Hauptbühnen-Debatte unter dem Titel „Moderner Staat & Demokratie: Eine Debatte über Reformfähigkeit, Aufgabenverteilung und Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen“ teil. Nach einem Impuls vom Chef der Staatskanzlei Hamburg, Jan Pörksen, beteiligten sich neben Prof. Dr. Thuy u. a. auch die hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung, Prof. Dr. Kristina Sinemus und der Präsident des Bundesverwaltungsamts, Christoph Verenkotte an der Diskussion. Auch das Bundesverwaltungsamt hielt die PM-Flagge hoch. In einer Session stellten Mitarbeitende des Kompetenzzentrums (Groß-)Projektmanagement ihren neu entwickelten Standard „PMflex“ vor. Dieser basiert zum einen auf der PM²- Projektmanagementmethodik der Europäischen Kommission und zum anderen auf der S-O-S-Methode. Damit verfügt die Der Zukunftskongress Staat & Verwaltung 2023 im Rückblick Bundesverwaltung erstmalig über einen einheitlichen Standard im Bereich Projektmanagement. Parallel zum inhaltlichen Programm mit bis zu sieben Sessions gleichzeitig, war der Zuko natürlich auch die ideale Gelegenheit zum Netzwerken. Neben zahlreichen Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern der öffentlichen Verwaltung, wie etwa Staatsrat a. D. Henning Lühr, oder Hannes Kühn, Leiter des Sekretariats des Normenkontrollrats, war der GPM Stand Anlaufstelle für zahlreiche Interessierte aus Kommunen und Verbänden. Am letzten Tag des Zukunftskongresses veranstaltete die GPM einen Best-Practice-Dialog auf der Hauptbühne unter dem Motto „Projektmanagement ist der Missing Link zwischen guter Absicht und Realisierung“. Prof. Dr. Silke Schönert, Professorin für Business Information Systems und Projektmanagement an der Rheinischen Fachhochschule Köln, initiierte die Veranstaltung mit einem Impuls zu aktuellen Trends im Projektmanagement und beleuchtet die theoretische Seite des Themas. Im Anschluss skizzierte Guido Bacharach, ehemaliger Leiter der Stabsstelle Strategie und Digitalisierung bei der Stiftung Hochschulzulassung und Mitbegründer des Netzwerkes „Digitale Nachweise“, die Relevanz von professionellem Multiprojektmanagement an einem sehr relevanten Praxisbeispiel-- der Implementierung von europaweit gültigen digitalen Nachweisen. Das zehnjährige Jubiläum des Zukunftskongresses wird vom 24. bis 26. 06. 2024 ebenfalls im WECC Westhafen Event & Convention Center in Berlin stattfinden. Für die GPM definitiv ein Pflichttermin! René Mittelstädt, Maximilian Hahn PM Forum | Der Zukunftskongress Staat & Verwaltung 2023 im Rückblick 67 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0100 Wertvolle Impulse für den Unternehmensalltag der Zukunft uvk.de 68 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0101 Rückblick auf das PM Forum Digital 2023 Antonia Zöls Am 9. und 10. November war es auf dem PM Forum Digital 2023 für über 450 Teilnehmerinnen und Teilnehmer endlich wieder „Zeit für Projektmanagement! “. Live gestreamt aus einem stylischen Pop-up Studio in Köln, bot das GPM Highlight Event ein facettenreiches Programm, das von inspirierenden Vorträgen bis hin zu interaktiven Think Tanks reichte. Direkt aus dem Herzen Kölns, im modernen Ambiente des Rooftop58, begrüßte Moderator Ralf Schmitt die PM-Community zur digitalen Ausgabe des PM Forum 2023. Als virtuelle Fortsetzung des interaktiven Sommer-Events bot das PM Forum Digital ein vielseitiges Fachprogramm, das sich durch die neuesten Branchentrends und innovative Ansätze im Projektmanagement auszeichnete. Den Auftakt machte GPM Präsident Prof. Dr. Peter Thuy, der mit einer wegweisenden Botschaft an die Teilnehmenden herantrat. „Wir sind überzeugt: Es ist Zeit für Projektmanagement! “, betonte er in seiner Begrüßungsansprache. Seit der Gründung der GPM vor 45 Jahren hat sich das Projektmanagement fest in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und zunehmend auch in der öffentlichen Verwaltung etabliert. „Wir stehen am Anfang einer Entwicklung, die den Karriereweg für Fachkräfte im Projektmanagement nicht nur definiert, sondern auch bereichert“, unterstrich der Präsident. Die GPM, so Thuy, spielt dabei eine Schlüsselrolle als Förderin und Wegbereiterin. „Es ist unsere Aufgabe, diesen Weg fortzusetzen und das Projektmanagement als eine dynamische, sich ständig weiterentwickelnde Disziplin zu gestalten, die Herausforderungen ebenso wie Chancen in einer sich rasch wandelnden Welt meistert“, fügte er hinzu. Tag 1-- Die Zukunft des Projektmanagements „Zieht euch warm an, es wird heiß! “, lautete das Motto zu Beginn des digitalen Fachprogramms. Sven Plöger, mit über 25 Jahren Erfahrung als Diplom-Meteorologe und Medienpersönlichkeit, eröffnete das Programm mit einer eindrucksvollen Keynote, in der er die Dringlichkeit des Klimawandels und die entscheidende Rolle eines zukunftsweisenden Projektmanagements auf den Punkt brachte. Seine Mischung aus fundiertem Wissen, anschaulichen Beispielen und einer Prise Humor machte seinen Vortrag zu einem der Höhepunkte des Tages. Anschließend boten drei Vortrag-Streams und die neuen interaktiven Think-Tanks for Professionals den Teilnehmenden die Möglichkeit, sich in spezifische Themen wie Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Projekte aus NRW zu vertiefen. Hierbei wurden nicht nur Wissen und Erfahrungen ausgetauscht, sondern auch gemeinsam innovative Lösungen für zukünftige Herausforderungen entwickelt. GPM Präsident Prof. Dr. Peter Thuy im Gespräch mit Moderator Ralf Schmitt PM Forum | Rückblick auf das PM Forum Digital 2023 69 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0101 Keynote-Speakerin Prof. Dr. Doris Weßels zeigte in ihrem eindringlichen Vortrag „Die KI-Revolution im Projektmanagement“ neue Perspektiven auf eine Zukunft auf, in der KI-Sprachmodelle wie ChatGPT das Projektmanagement grundlegend verändern werden. Die Expertin für Wirtschaftsinformatik und Natural Language Processing betonte die Bedeutung von Innovation und Anpassungsfähigkeit in einer schnelllebigen digitalen Zeit. „Das Tempo im Themenfeld KI ist eine völlig neue Form der Innovation“, hob sie hervor und appellierte an die Zuhörerschaft, Mut und Verantwortungsbewusstsein in der Ära der KI-Revolution im Projektmanagement zu zeigen. Im Anschluss an diese starken Impulse klang der erste Veranstaltungstag des PM Forum Digital mit einem unterhaltsamen Kneipen-Quiz aus, das den Teilnehmenden eine spannende Gelegenheit bot, ihr Projektmanagement-Wissen spielerisch unter Beweis zu stellen. Dabei lockte als Hauptgewinn ein Ticket für das PM Forum Hamburg im Juni 2024. Beim gemütlichen Tresen-Talk ließen Projektleiter Matthias Friedrich und stellvertretende Projektleiterin Anne Ramerth ihre persönlichen Highlights des Tages Revue passieren. Dieser entspannte Abschluss schuf den idealen Rahmen, Vorfreude auf den kommenden Veranstaltungstag zu wecken. Tag 2-- Innovation und Strategie im Projektmanagement Der zweite Tag des PM Forum Digital startete mit einer Einführung durch das diesjährige Programmkomitee. Ein Auszug des insgesamt 18-köpfigen Teams gab Einblicke in die Herausforderungen der Umsetzung des digitalen Formats, teilte Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den engagierten Referentinnen und Referenten und stellte persönliche Highlights vor. Eine Vielfalt an Vortrag-Sessions, aufgeteilt in drei parallele Themenschwerpunkte, prägte den Tag. Dieses Angebot wurde durch interaktive Think Tanks und zwei beeindruckende Keynote-Reden bereichert. Daniel Domscheit-Berg, ehemaliges Mitglied des WikiLeaks-Gründungsteams, nahm die Teilnehmenden in seiner Keynote „Mehr Science als Fiction“ mit auf eine Reise durch die digitale Evolution. Er betonte, wie die transformative Kraft der Digitalisierung nicht nur Risiken birgt, sondern auch unermessliche Chancen für Wissen, Wohlstand und Frieden eröffnet. Sein Vortrag war ein Plädoyer dafür, die Potenziale der Digitalisierung zu erkennen und mutig zu nutzen. Domscheit- Bergs Vision: Eine Zukunft, die wir aktiv gestalten, anstatt uns von ihr überrollen zu lassen. Keynote Speaker Daniel Domscheit-Berg, IT-Sicherheitsexperte und ehemaliger Sprecher von WikiLeaks Beim Kneipen-Quiz stand das Projektmanagement-Knowhow der Teilnehmenden auf dem Prüfstand. PM Forum | Rückblick auf das PM Forum Digital 2023 70 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0101 Nach drei vielseitigen Themenblöcken, die tiefgehende Einblicke in die Digitalisierung des öffentlichen Dienstes, Transformation, KI und moderne Tools und Techniken im Projektmanagement gewährten, betrat die letzte Keynote-Speakerin des Tages die digitale Bühne. Janine Steeger, ehemals RTL-Fernsehmoderatorin, berichtete live über ihren Karriereweg von der Medienwelt in die Nachhaltigkeitsbranche. In ihrer inspirierenden Keynote teilte sie ihre Erfahrungen und Einsichten, wie man das Leben als ein Projekt mit spannenden Teilprojekten gestalten kann. Mit der Überzeugung, dass Leidenschaft, Ehrlichkeit und Mut die Schlüssel zu außergewöhnlichen Ergebnissen sind, erläuterte Steeger, wie sie ihre erfolgreiche Karriere als Moderatorin des RTL-Formats „Explosiv- - Das Magazin“ für ein höheres Ziel bewusst beendete. Als „Green Janine“ hat sie sich eine eigene Marke aufgebaut und lebt ein nachhaltiges Leben, ohne Perfektionismus anzustreben. Nach der offiziellen Verabschiedung im virtuellen Plenum sorgte die musikalische Performance von Impro-Musiker Stephan Ziron für einen stimmungsvollen Ausklang des PM Forum Digital. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verabschiedeten sich nach zwei Tagen voller inspirierender Vorträge und intensivem Austausch, bereichert um neue Erkenntnisse und Perspektiven. Die GPM dankt allen Teilnehmenden, Referierenden, dem ehrenamtlichen Programmkomitee, der Projektleitung und allen weiteren Beteiligten für ein rundum gelungenes Event. Mit großer Vorfreude blicken wir nun auf das 40. Jubiläum des PM Forum in Hamburg, das am 6. und 7. Juni 2024 zum bedeutendsten Treffpunkt der Projektmanagement- Community werden wird. Dieter Brendt, Olaf Mackowiak Führung in der Technik 1., Auflage 2021, 177 Seiten €[D] 34,90 ISBN 978-3-8169-3467-7 eISBN 978-3-8169-8467-2 Mitarbeitende zielgerichtet und effektiv führen zu können, ist ein Schlüssel für nachhaltigen Unternehmenserfolg. In diesem Buch werden den Leser: innen durch die direkte Ansprache und die Praxisbeispiele von Kolleg: innen in vergleichbaren Situationen Denkanstöße und Tipps geboten, um ihren Führungsstil zu analysieren und darauf aufbauend zu optimieren. Es werden bewährte Maßnahmen und Techniken zur effizienten Gestaltung und Beherrschung der vielfältigen Anforderungen im sich schnell verändernden technischen wie gesellschaftlichen Umfeld vorgeschlagen, die praxisgerecht im Führungsalltag eingesetzt werden können. Anzeige 71 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0102 Jens Köhler Priesberg betritt aufgeregt das Büro von Ehrlich. „Wir haben einen neuen Projektleiter aus einer anderen Firma, der vom Konstruktivismus nur so schwärmt“, sprudelt es aus ihm heraus. Er fährt langsamer fort: „Seine Grundannahme ist, dass die gesamte Projektwelt pure Konstruktion sei. Man könne also alles durch Diskurs erzeugen und beliebig ändern.“ Ehrlich steckt sich einen Zigarillo in den Mund. Priesberg schluckt und entgegnet: „Seit wann rauchst du denn? “ „Habe ich gesagt, dass ich rauche? Ich habe mir lediglich einen Zigarillo in den Mund gesteckt. Gehst du davon aus, dass ich ihn mir gleich anzünden werde? “, fragt er weiter. „Ja natürlich, das wäre doch nur logisch“, antwortet Priesberg etwas spöttisch. Ehrlich antwortet im gleichen Tonfall: „Dann dekonstruiere mal dein Weltbild, in dem sich Menschen, die sich Zigarillos in den Mund stecken, gleich mit dem Rauchen beginnen wollen.“ Priesberg springt zum Projekt zurück: „Es geht um ein neues System zur automatischen Bearbeitung von Rechnungen. Jede Rechnung soll mithilfe einer künstlichen Intelligenz dem richtigen internen Buchungsposten zugeordnet werden.“ Ehrlich entgegnet: „Das hört sich nach ziemlichem Standard an, nichts Aufregendes. Weshalb ist dein Projektleiter jetzt im Fieber des Konstruktivismus? “ Priesberg antwortet: „Naja, er ist mit den Kundenanforderungen nicht einverstanden. Meilensteine und Budgets stören ihn auch.“ Ehrlich ist verblüfft: „Das lässt sich doch mit der guten alten Tante ‚Wasserfall‘ lösen. Erzähl mal mehr aus dem Projekt.“ Priesberg fährt fort. „Der Projektleiter will immer wieder neue Versionen des KI-Algorithmus ausprobieren, auch Funktionen, die aus meiner Sicht nicht benötigt werden. Er fordert das Projektteam auf, sich Gedanken zu machen, wie man den Stakeholdern, also den Auftraggebern klarmachen kann, dass sie ein ‚falsches‘ Bild haben.“ Ehrlich zündet sich zum Entsetzen von Priesberg den Zigarillo tatsächlich an und lehnt sich zurück: „Jetzt wird es wirklich spannend. Immer nur weiter.“ Priesberg spricht: „Als erstes sollten wir das magische Dreieck ‚Qualität‘, ‚Budget‘ und ‚Zeit‘ hinterfragen. Es hemmt angeblich unsere Kreativität. Er lädt die Stakeholder dann zu regelmäßigen ‚Sitzungen‘ ein, an denen sie einsehen sollen, dass ihre Denkweise den höheren Zielen des Projektes entgegensteht.“ Ehrlich zieht kräftig an seinem Zigarillo und bläst den Rauch aus dem offenen Fenster. „Ich würde einem solchen Projektleiter eine nicht allzu große Zukunft in der Firma voraussagen, wenn er so weiter macht, oder rauche ich hier das falsche Zeug? “ Priesberg entgegnet: „Zu deiner letzten Frage: Ich fürchte, ja. Wir haben uns nämlich ‚Kreativität‘ auf die Fahnen geschrieben und alles, was dem entgegensteht, soll verschwinden. Unser Projektleiter liegt also voll im Trend unserer Abteilung.“ Ehrlich hakt nach: „Okay, was passiert denn, wenn die Auftraggeber die Abnahme verweigern? “ Priesberg spricht trocken: „Das tun sie nicht. Denn sie haben erkannt, dass das ‚alte‘ Denken aus Qualität, Budget und Zeit nicht zu einer kreativen Lösung führt. Das neue Tool kann erst dann fertig sein, wenn eine kreative Lösung auch unter Beteiligung der Stakeholder gefunden wird. Und der Projektleiter hat die herkömmliche Sichtweise der Auftraggeber erfolgreich dekonstruiert. Sie meckern nicht mehr und machen mit.“ „Jetzt verstehe ich, weshalb dein Projektleiter den totalen Konstruktivismus so mag. Er gibt ihm Macht“, kratzt sich Ehrlich am Kopf und fährt fort: „Wie all das enden wird, brauche ich dir ja nicht zu sagen: im Desaster. Spätestens wenn die ersten Buchungen durch das neue System fehlerhaft sind, also harte Fakten vorliegen, dann werden alle wieder zur Vernunft kommen.“ Ehrlich entspannt sich wieder und legt den Zigarillo auf den Rand des Aschenbechers. „Ich muss dich enttäuschen und du solltest lieber weiter an deinem Zigarillo ziehen“, unterbricht Priesberg seinen Kollegen. „Der Projektleiter hat auch dafür gesorgt, dass niemand ein fertiges System haben will, sonst verschwindet ja die Kreativität und am Ende kommen schlechte Vibes auf.“ Ehrlich überlegt: „Schon dämonisch genial: Dein Projektleiter hat ein unwiderlegbares Kommunikationssystem geschaffen und Fakten durch Gefühle ersetzt. Allerdings gelingt das nur so lange, wie dessen Abteilung brauchbaren Output erzeugt, also ihre Kosten einspielt. Wenn nicht, dann hört auch dieses kreative Orchester ganz schnell auf zu spielen.“ „Dann besteht am Ende doch noch aller Grund zur Hoffnung“, schließt Priesberg erleichtert. Eingangsabbildung: © iStock.com/ Comeback Images Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. Sein Spezialgebiet ist die Regulation sozialer Komplexität zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams. Anschrift: BASF SE, RGQ/ IM, 67056 Ludwigshafen, eMail: Jens.Koehler@basf.com Kolumne Schöne neue Welt Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch-- Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. 72 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0103 Die GPM Fach- und Regionalgruppen Neue Firmenmitglieder stellen sich vor-… Firma Hauptgeschäftsgebiet PM-Aufgaben und -Bedeutung Erwartungen an die GPM Hannover Re www.hannover-re.com Dr. Lars Nielsen, lars.nielsen@hannover-re. com Die Hannover Rück ist mit einem Bruttoprämienvolumen von mehr als 33 Mrd. Euro der drittgrößte Rückversicherer der Welt. Sie betreibt alle Sparten der Schaden- und Personen-Rückversicherung und ist mit rund 3.500 Mitarbeitenden auf allen Kontinenten vertreten. Gegründet 1966, umfasst der Hannover- Rück-Konzern heute mehr als 170 Tochtergesellschaften, Niederlassungen und Repräsentanzen weltweit. Projektmanagement bei der Hannover Rück ist innerhalb des Fachbereichs Group Operations & Strategy organisatorisch verankert und besteht neben dem Management einzelner Projekte auch aus Programmmanagement und Projektportfoliomanagement. Die Projektmanagementdisziplin bei der Hannover Rück soll kontinuierlich weiter professionalisiert werden. Hauptsächlich freuen wir uns auf den Erfahrungsaustausch und Networking, Updates zu aktuellen Trends und insgesamt die Erweiterung unserer Projektmanagementperspektive. Campus Unity GmbH www.campusunity.de Dr. Karin Lübbe, pmo@campusunity.de Die Campus Unity GmbH wurde im April 2017 mit dem Ziel gegründet, eine neue und einzigartige Form der Verbundgesellschaft für Dienstleistungen im deutschen Hochschulsektor zu schaffen. Grundgedanke dabei war die Zusammenführung des Wissens, der Erfahrung sowie der Kapazitäten bereits gemeinsam im Markt agierender kleiner und mittelständischer Unternehmen. PMO übernimmt die zentrale Steuerung für die über 30 komplexen mehrjährigen IT- Implementierungsprojekte an deutschen Hochschulen. Es stellt den kontinuierlichen Projektfortschritt sicher, passt die Planung an die Besonderheiten der Hochschulen an und führt diese strukturiert und effizient an das Projektziel. Hierbei unterstützen uns die Methoden PRINCE2 und CCPM (Critical Chain Project Management). Wir erhoffen uns methodischen und prozessbezogenen Input zum Projektmanagement und freuen uns auf einen intensiven Erfahrungsaustausch innerhalb der Community. FOM Hochschule für Oekonomie & Management gemeinnützige Gesellschaft mbH www.fom.de Jenny Westermann, jenny.westermann@fom.de Mit über 50.000 Studierenden ist die FOM Hochschule eine der größten Hochschulen Europas. Sie ist eine Initiative der gemeinnützigen Stiftung BildungsCentrum der Wirtschaft und fördert gezielt den Wissenstransfer zwischen Hochschule und Unternehmen. Die hohe Akzeptanz der FOM zeigt sich in mehr als 10.000 Kooperationen mit mittelständischen Betrieben sowie mit internationalen Großkonzernen. In Kooperation mit der GPM bietet die FOM die gemeinschaftlich entwickelte akademische Weiterbildung "Commercial Project Manager" an, bei der die kaufmännische Projektabwicklung im Fokus steht. Die FOM möchte gemeinsam mit der GPM vertiefendes Wissen im Bereich der "kaufmännischen Projektabwicklung" vermitteln und mit Teilnehmenden aktuelle Inhalte aus der Unternehmenspraxis bearbeiten. Aus den DACH-Verbänden | GPM intern Die derzeit 39 Regionalsowie 38 Fachgruppen der GPM bieten eine Plattform zum branchenübergreifenden Networking und Erfahrungsaustausch. Sie leisten damit wichtige fachliche Basisarbeit innerhalb des Vereins. Die Regional- und Fachgruppen bieten darüber hinaus ein breites Angebot von in der Regel kostenlosen Veranstaltungen zum Projektmanagement. Weitere Informationen und Ansprechpartner der einzelnen GPM Fach- und Regionalgruppen finden Sie auf der GPM Website unter: www.gpm-ipma.de / know_how / fachgruppen.html bzw. www.gpm-ipma.de / ueber_uns / regionen.html Im Berufsalltag treffen Sie auf die unterschiedlichsten Menschen ... Hier lernen Sie, mit ihnen umzugehen! uvk.de 74 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0104 Aus den DACH-Verbänden | pma intern pma Präsidentin Brigitte Schaden: „Mit der Knowledge World setzen wir auf eine neue Form des Lernens.“ Foto: © pma/ L. Schedl Die pma Knowledge World Die Fähigkeit von Unternehmen, kritisches Wissen zu sichern und gewinnbringend einzusetzen, bestimmt die Wettbewerbsfähigkeit der Zukunft. Auch pma hat sich dazu entschieden, vereinsinternes Wissen zu sichern und digital aufzubereiten, damit alle Mitarbeiter*innen davon profitieren können. „Die pma Knowledge World wird zum neuen zentralen Wissensmanagement-Tool“, sagt pma Präsidentin Brigitte Schaden. „Die Mitarbeiter*innen sollen damit einen schnellen und einfachen Zugriff auf aktuelles Wissen sowie auf Prozesse und Anleitungen haben, die sie für ihre Aufgaben brauchen“, so Brigitte Schaden. Der Mehrwert liegt darin, dass Mitarbeiter*innen in ihrer täglichen Arbeit unterstützt werden und auch das Onboarding neuer Kolleg*innen effizienter gestaltet wird. Zudem sollen kostenintensive Wissensverluste vermieden werden. das gesamte pma Wissen abgebildet, und in sogenannte „Knowledge Nuggets“ transformiert. „Damit setzen wir auf eine neue Form des Lernens. Diese kleinen Wissenseinheiten-- kurze Texte, Bilder und Micro Videos, sind von Mitarbeiter*innen schnell und einfach konsumierbar“, sagt Brigitte Schaden. Weitere Module sind ein FAQ-Tool, ein Expert*innen- Tool, eine digitale Academy, ein Best Practice- und Lessons Learned-Bereich sowie ein Ideenbereich, der die Co-Creation der Mitarbeiter*innen fördern soll. Die fünfte und letzte Phase wird darin bestehen, die Wissensmanagement-Kennzahlen zu messen und sie mit den Unternehmenskennzahlen in Verbindung zu bringen. Schließlich soll aufgezeigt werden, was die Investition in die Digitalisierung von Wissen am Ende des Tages tatsächlich für die Organisation bringt. Über die Fortschritte des Projekts berichtet pma regelmäßig im pma Blog: pma.at / de / blog pma Mitglied vor den Vorhang Infineon Technologies Austria AG Siemensstraße 2, 9500 Villach pma stützt sich dabei auf die wissenschaftlich fundierte Wissensfaktor5-Methode, bei der die digitale Transformation von Wissen anhand eines 5-Phasen-Modells erfolgt. In der ersten Phase ging es darum, kritisches Unternehmenswissen zu identifizieren, sprich Wissen, das, wenn richtig eingesetzt, Kosten- und Zeitaufwände entlang der Wertschöpfungskette reduziert. Darauf aufbauend geht es in der zweiten Phase um eine ganzheitliche Wissensmanagement- Strategie. Mitarbeiter*innen sollen einen schnellen und einfachen Zugriff auf strukturiertes, hochwertiges und aktuelles Wissen bekommen. Auch die Lösungs- und Entscheidungsfindung soll sich schneller gestalten lassen. Neue Form des Lernens Die nächsten Schritte in den Phasen drei und vier bestehen darin, die digitale Umgebung aufzubauen, sprich die Confluence-Cloud basierte „pma Knowledge World“. Hier wird Hauptgeschäftsgebiet: Die Infineon Technologies Austria AG ist mit 5.461 Beschäftigten ein Tochterunternehmen der Infineon Technologies AG, eines weltweit führenden Anbieters von Halbleiterlösungen, die das Leben einfacher, sicherer und umweltfreundlicher machen. PM-Aufgaben und Bedeutung: Ein Projekt ist nur dann erfolgreich, wenn es einen Masterplan gibt. Dahinter stecken Leute, die Fristen einhalten und Meilensteine erreichen. Ohne unsere Projektleiter*innen würden auch die besten Ideen auf der Strecke bleiben. Für diese Menschen haben wir den Karrierepfad Projektmanagement entwickelt. 75 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0105 Aus den DACH-Verbänden | spm intern Rückblick auf das PM Camp Zürich 2023 Am 8. September fand das 9 . PM Camp Zürich statt, eine lebendige Veranstaltung, die Menschen aus verschiedenen Bereichen des Projektmanagements auf Augenhöhe zusammenbringt. Anders als bei traditionellen Konferenzen folgt das PM Camp dem Format einer Unkonferenz bei der die Inhalte von den Teilnehmenden selbst entwickelt und gestaltet werden. Der spm durfte die Veranstaltungsreihe ab diesem Jahr vom Verein PM Camp Zürich übernehmen und freut sich über das erste erfolgreiche PM Camp Zürich mit dem neuen Organisationsteam. Eine Unkonferenz, oft auch als Barcamp bezeichnet, ist eine offene Tagung, die sich durch offene Workshops nach der Methode «Open Space» auszeichnet. Im Gegensatz zu vorab festgelegten Programmen bestimmen die Teilnehmenden zu Beginn der Veranstaltung selbst, welche Themen behandelt werden sollen. Das grundlegende Prinzip hierbei ist „Geben und Nehmen“. Jeder Teilnehmende ist aufgefordert, einen Beitrag in Form eines Vortrags, einer Präsentation oder der aktiven Teilnahme an einer Session einzubringen, weshalb sie auch als „Teilgeberinnen und Teilgeber“ bezeichnet werden. Den Auftakt zum diesjährige PM Camp Zürich machte Fabio Baumgartner, Lead Game-Designer und Sound-Designer beim Zürcher Game-Studio Okomotive, mit seiner beeindruckenden Impulsrede. Fabio entführte das PM Camp in die faszinierende Welt des Game-Designs und teilte Einblicke darüber, wie Design-Prinzipien in ihren Projekten angewendet werden, um Spielerinnen und Spieler auf abenteuerliche Reisen mitzunehmen. Unter dem Motto #PressPlay erforschte Fabio in seinem Vortrag die tieferen Gründe, warum Menschen spielen, welche Emotionen dabei entstehen und wie das Spielen unsere Vorstellungskraft und Fähigkeiten beeinflusst. Nach dem Impulsvortrag zeigte sich in der Sessionplanung und in den Sessions eindrucksvoll, wie durch das Format der Unkonferenz ein lebendiger Austausch und ein konstruktives Miteinander ermöglicht werden. Die Teilgeberinnen und Teilgeber nutzen die Möglichkeit aktiv am Programm teilzunehmen, eigene Themen einzubringen und so gemeinsam die Zukunft des Projektmanagements, der Organisationen und der Gesellschaft mitzugestalten. Lucia Nievergelt, spm Vorstand 76 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0105 Aus den DACH-Verbänden | spm intern Wie armasuisse erfolgreich Projekte managt Peter Winter Das Bundesamt für Rüstung, armasuisse, ist für Beschaffungen zugunsten der Schweizer Armee, des Bundes und weiterer Kunden zuständig. Diese Beschaffungen werden in Projektorganisationen abgewickelt. Dass das armasuisse im Projektmanagement besondere Leistungen vorweisen kann, zeigt die Auszeichnung beim IPMA Global Project Excellence Award 2021, die das Amt für sein aktuell grösstes Projekt „neues Kampfflugzeug“ erhalten hat. Das Bundesamt für Rüstung wickelt die Beschaffung von Armeematerial mit Hilfe von Projekten ab und ist bestrebt, kontinuierliche Lern- und Weiterentwicklungsprozesse anzuwenden. Dazu gehört auch, dass sie sich mit dem Markt misst und sich mit Hilfe eines Benchmarkings, wie beispielsweise mittels einer unabhängigen Beurteilung von erfahrenen Assessoren im Rahmen des IPMA-Wettbewerbs, verbessern kann. Bei armasuisse werden die Projektmitarbeitenden ermutigt, sich mit einer IPMA-Zertifizierung ihre Kompetenz im Projektmanagement bescheinigen zu lassen. Daneben bilden sich die Mitarbeitenden kontinuierlich weiter, u. a. über das interne Basis-Seminar „Beschaffung im Überblick“. Im dreitägigen Kurs wird den Teilnehmenden ein Überblick über den gesamten Beschaffungsablauf vermittelt. Zudem wird den Mitarbeitenden die Vernetzung der Rollen der HERMES-Methode aufgezeigt mit dem Ziel, die eigene Rolle sowie diejenigen der beteiligten Stakeholder im Prozess zu verstehen. Peter Winter, Leiter des Kompetenzbereiches Luftfahrtsysteme und Vizedirektor bei armasuisse sagt: „Ein Projekt, das erfolgreich sein will, braucht integrative Persönlichkeiten, denen es gelingt, die verschiedenen Akteure einzubinden und Win-Win- Lösungen zu kreieren.“ Preisgekröntes Projekt „neues Kampfflugzeug“ Mit dem Projekt „neues Kampfflugzeug“ hat armasuisse 2021 beim IPMA Global Project Excellence Award 2021 den dritten Platz in der Kategorie Grossprojekte erreicht. Ein zum Finalisten der IPMA Global Project Excellence Awards erkorenes Projekt zeichnet sich nicht nur durch eine klare Zielorientierung und solide Prozesse, sondern auch durch eine starke Führung aus. „Bei der Teamführung versuche ich den Mitarbeitenden günstige Voraussetzungen für die Projektarbeit zu schaffen und möglichst viele Hindernisse aus dem Weg zu räumen, damit sie ihre Aufgaben effektiv und effizient erfüllen können und wir so gemeinsam die Ziele erreichen“, sagt Peter Winter. Als Leiter des Kompetenzbereichs Luftfahrtsysteme unterliegt ihm auch die Leitung des Programms Air2030, zu dem das Projekt „neues Kampfflugzeug“ gehört. Die Ernennung durch die IMPA Jury bestätigt, dass armasuisse die Prozesse innerhalb des Projekts regelmässig hinterfragt und dort, wo es angezeigt ist, anpasst und so die erfolgreiche Projektarbeit aufrechterhalten werden kann. Wie ein gefüllter Rucksack vermittelt das Basis-Seminar das gesamte Instrumentarium einer erfolgreichen Beschaffung. IPMA/ GPM/ pma/ spm | Wie armasuisse erfolgreich Projekte managt 77 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0105 Mit dem Projekt „neues Kampfflugzeug“ beschafft armasuisse Flugzeuge des Typs F-35A für die Schweizer Luftwaffe. Foto: Sam Bosshard Peter Winter Peter Winter verantwortet seit 2009 als Leiter Kompetenzbereich Luftfahrtsysteme und Vizedirektor bei armasuisse die Zulassung aller militärisch immatrikulierten Luftfahrtsysteme der Schweiz. In dieser Funktion ist er zuständig für die Evaluation und die Beschaffung neuer Luftfahrtsysteme sowie für die Organisation der Wartung bereits eingeführten Materials. Vorher leitete er umfangreiche internationale Beschaffungsvorhaben und strategische Projekte. Er ist IPMA Level A zertifiziert und amtet seit 2010 als Assessor für die IPMA Level A, B und C. Max L. J. Wolf Projektarbeit bei kleineren und mittleren Vorhaben Orientierung schaffen für die Praxis mit dem Projektmanagement-Kompass! expertverlag.de Anzeige 78 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2023 DOI 10.24053/ PM-2023-0106 Wie sind Sie zum Projektmanagement gekommen? Während meines dualen Studiums ergab sich bereits die Möglichkeit, den Weg ins Projektmanagement einzuschlagen. Ich habe verschiedene Zertifizierungen erworben, um mir solide theoretische Grundlagen anzueignen. Durch den praktischen Anteil im Studium hatte ich außerdem die Möglichkeit, diese Kenntnisse direkt im Betrieb anzuwenden und praktisch zu erproben. Außerdem hatte ich sehr viel Glück, dass meine FH sehr praxisorientiert lehrt und mit verschiedensten Betrieben zusammenarbeitet. So erhält man als Studierender sehr früh sehr viele unterschiedliche Einblicke. Nach Abschluss meines Studiums begann ich meine Karriere als Projektmanagerin und habe seitdem kontinuierlich an verschiedenen Projekten gearbeitet und diese aktiv mitgestaltet. Welches Projekt hat Sie besonders geprägt oder war für Sie besonders wichtig? Die Digitalisierungsprojekte im öffentlichen Sektor allgemein. Wir unterstützen z. B. Bundesbehörden bei der Umsetzung ihrer OZG-Vorhaben. Es war großartig zu sehen, dass wir nicht nur für den Kunden, sondern auch für das eigene private Umfeld etwas bewegen können. Was zeichnet Sie als Projektmanagerin besonders aus? Es ist von großer Bedeutung, dass die Zusammenarbeit und Kommunikation im gesamten Team auf Augenhöhe stattfinden. Letztendlich ist ein Projekt das Ergebnis der gemeinsamen Leistung des Teams, und jedes Mitglied sollte sich wertgeschätzt fühlen, um motiviert zu bleiben. Darüber hinaus ist es für mich immer wichtig, das Team dazu zu ermutigen, ihre Gedanken und Ideen in die Diskussion einzubringen - auch dann, wenn die persönlichen Ansichten abweichen sollten. Was motiviert Sie, in Projekten zu arbeiten und Projekte zu leiten? Die Herausforderung, die mit Projekten einhergeht. Vor allem, da jedes Projekt in seinen Aufgaben und Problem einzigartig ist. Der Prozess der Innovation und des kreativen Denkens inspiriert mich und fördert das persönliche Wachstum. Die Ergebnisorientierung gibt das Gefühl, ein Ziel zu erreichen und Einfluss auf die eigene Arbeit zu haben. Welche Tipps haben Sie für den Projektmanagement-Nachwuchs? Zunächst ist die Investition in die eigene und vor allem fortlaufende Ausbildung die Basis für erfolgreiches Projektmanagement. Gerade am Anfang einer PM Karriere ist es ebenfalls wichtig, so viele praktische Erfahrungen wie möglich zu sammeln. Arbeiten Sie an Projekten mit, auch wenn es nur kleinere oder unterstützende Rollen sind. Dies ermöglicht es, die Dynamik von Projekten zu verstehen und wertvolle Einblicke zu gewinnen. Mein persönliches Best Practice: Mentorship suchen: Suchen Sie nach erfahrenen Projektmanagern, die bereit sind, Sie zu unterstützen und als Mentoren zu fungieren. Sie können Ihnen wertvolle Tipps geben und Ihnen bei der Entwicklung Ihrer Fähigkeiten und Karriere helfen. Was ist für Sie als Projektmanager das größte Glück? Teil eines erfolgreichen Projektes zu sein und positiven Einfluss auf die Teammitglieder zu haben. Was ist für Sie als Projektmanager das größte Unglück? Ein fehlender Lessons-Learned Prozess. Positive Erfahrungen sollten in die nächsten Projekte einfließen. Die Reflexion negativer Erfahrungen ist unerlässlich, um aus den Fehlern zu lernen. Was sind zukünftige Trends? Remote-Arbeit mit verteilten Teams und das selbstbestimmte, unabhängige Arbeiten. Weiterhin bin ich gespannt, wie das Thema Künstliche Intelligenz (KI) in verschiedenen Aspekten des Projektmanagements Anwendung findet z. B. bei der Automatisierung von Routinetätigkeiten: KI kann repetitive und zeitaufwändige Aufgaben im Projektmanagement automatisieren, wie beispielsweise die Erstellung von Projektberichten, die Aktualisierung von Projektplänen oder die Überwachung von Projektmetriken. Dies ermöglicht es den Projektmanagern, sich auf strategischere Aufgaben zu konzentrieren. Was geben Sie den Lesern mit auf den Weg? Es ist wichtig, eine offene Haltung zu bewahren und von Projekten zu lernen. Sich auf Menschen einlassen - unabhängig von Hintergrund und Hierarchie - ist eine Chance für die berufliche und persönliche Weiterentwicklung. Auf ein Wort mit-… Franka Richter, Vorstandsreferentin und Standortleiterin bei der Materna SE Zur Person | Franka Richter ist Vorstandsreferentin für den Public Sector bei der Materna Information & Communications SE und Standortleiterin der Geschäftsstelle Hannover. Prof. Dr. Martina Peuser ist Professorin mit den Schwerpunkten Projektmanagement und Organisation, Unternehmensberaterin und Keynote Speakerin. Als Entwicklerin des Multi Top Performance Radar (MTPR ©) begleitet sie Unternehmen bei der Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit zu agilen und absolut kundenorientierten Marktführern. In ihrer Kolumne gibt sie spannende Kurzeinblicke in Lebensläufe und Gedanken von im Projekt tätigen Personen. Jahresinhaltsverzeichnis 2023 Jahrgang 34, Heft 1 bis 5 Inhalte nach Rubriken Editorial Scheurer, Steffen: Digitalisierung im Projektmanagement 1/ 23, S. 2 Scheurer, Steffen: Arbeit der Zukunft - was Projekte beitragen 2/ 23, S. 2 Scheurer, Steffen: Projektmanagement und Nachhaltigkeit 3/ 23, S. 2 Scheurer, Steffen: Projekte für die Gesellschaft 4/ 23, S. 2 Scheurer, Steffen: Innovationen durch Projekte 5/ 23, S. 2 Scheurer, Steffen: In eigener Sache 5/ 23, S. 4 Reportage Büchner, Katja, Bock, Charlotte: Lokalprojekte - innovatives Projektmanagement und Sinnstiftung 4/ 23, S. 14 Delago, Birgit, Klausing, Helmut: „Vom Start bis zur Ziellinie: Der Ulmer Einstein-Marathon - Das ultimative Sportereignis“ 4/ 23, S. 7 Scheurer, Steffen, Steeger, Oliver: Interview mit Professor Dr. Peter Thuy, Präsident der GPM 4/ 23, S. 3 Scheurer, Steffen, Steeger, Oliver: Das Tunnelprojekt gegen den „Flaschenhals“ 5/ 23, S. 13 Steeger, Oliver: Das Ewigkeitsprojekt am Rhein 2/ 23, S. 4 Steeger, Oliver: „Der Dom ist ein Universum“ 2/ 23, S. 13 Steeger, Oliver: Das Versprechen der SAP 2/ 23, S. 17 Steeger, Oliver: Jetzt kommt die Nachhaltigkeit im Projektgeschäft 3/ 23, S. 4 Steeger, Oliver: Die Ideen junger Menschen aufgreifen 3/ 23, S. 21 Steeger, Oliver: Mehr als Mitfühlen 4/ 23, S. 25 Steeger, Oliver: Das 89-Elemente-Projekt 5/ 23, S. 6 Steeger, Oliver: Im Projekt historischen Fund zum Reden bringen 5/ 23, S. 18 Steeger, Oliver, Scheurer, Steffen: Iterativ vorgehen, in Szenarien denken und Stakeholder einbinden 5/ 23, S. 25 Steeger, Oliver: Projekte holen Fachkräfte in kommunale Verwaltungen 5/ 23, S. 28 Wissen Achenbach, Timo: Projekte hocheffektiv umsetzen 4/ 23, S. 41 Ambruster, Judith: Erfolgreich in ein KI-Projekt starten 1/ 23, S. 26 Bacharach, Guido: Digitale Nachweise und europäische Interoperabilität - eine Herausforderung für das Projektmanagement der Zukunft 4/ 23, S. 54 Barth, Martin, Reidick, Jonas, Sarstedt, Margit: DAS Projektmanagementkontinuum 3/ 23, S. 56 Bechtel, Jadena, Lehner, Patrick, Kock, Alexander, Gemünden, Hans Georg: Zukunftsfähige Projektportfolios - wie Top-Performer ökonomische, ökologische und soziale Anforderungen in Einklang bringen 4/ 23, S. 30 Bernert, Christian: Das Dilemma unserer Zeit 3/ 23, S. 53 Blümke, Mona Charlotte: Auswirkungen von Cloud-First auf IT-Projektportfolios 1/ 23, S. 33 Brandis, Loraine: Wie attraktiv ist New Work für die (Projekt-)Arbeit wirklich? 3/ 23, S. 31 Breitwieser, Karina, Paier, Dietmar, Steinreiber, Christian: Soziale Kompetenzen im digitalen Bauprojektmanagement 2/ 23, S. 31 Brune, Jochen: Projektmanagement praktisch erleben mit Project Based Learning 5/ 23, S. 39 Eberspächer, Matthias: Auf die Plätze, fertig, los! 2/ 23, S. 37 Erne, Rainer, Hüsselmann, Claus, Langhardt, Stefanie: Warum Sie sich in Projekten mehr um Misserfolgsfaktoren kümmern sollten 2/ 23, S. 55 Erne, Rainer, Hüsselmann, Claus, Langhardt, Stefanie: Wie Sie Verschwendung in Ihren Projekten identifizieren und eliminieren 3/ 23, S. 43 Fernholz, Dirk: Projektökosystem und Ökoprojekte 3/ 23, S. 22 Fiebeler, Patrick: Projektmanagement in einem Start-up - ein Erfahrungsbericht 2/ 23, S. 66 Fiebeler, Patrick: Krisenbewältigung und Krisenarten 5/ 23, S. 33 Fleischmann, Michael: Next Work - Selbstorganisation und Zukunftsgestaltung 2/ 23, S. 22 Flore, Agnetha, Edelkraut, Frank: Agiles Personalmanagement 2/ 23, S. 25 Flore, Agnetha, Edelkraut, Frank: Nachhaltige Personalentwicklung für nachhaltiges Projektmanagement 3/ 23, S. 38 Gliem, Deike, Wenzel, Sigrid, Kusturica, Wibke, Laroque, Christoph: Methodik zur Auswahl von Datenerfassungstechnologien 4/ 23, S. 49 Glitscher, Wolfgang: Den Superkunden verstehen! 3/ 23, S. 11 Gläßer, Thomas, Gehrmann, Uwe: Infrastruktur- und Großbauprojekte erfolgreich planen und steuern 1/ 23, S. 42 Habenstein, Jürgen: Kollaboratives Projektmanagement in der Praxis 3/ 23, S. 48 Khayati, Sarah-Janina: Bildung für nachhaltige Entwicklung 3/ 23, S. 29 Nuhn, Helge F. R., Flore, Agnetha, Lang, Rüdiger, Oswald, Alfred, GPT-3: Potenzial des KI-gestützten Projektmanagements mit NLP-Modellen 1/ 23, S. 21 Lutsch, Claire, Durst, Ralf, Preuss, Peter: Supportmodell für den ERP-Rollout bei der DÜRR DENTAL SE 1/ 23, S. 39 Rahnenführer, Kai, Radin, Goran: Projekt in der Krise - oder doch nicht? 3/ 23, S. 62 Rehder, Mentz-Christoph: Einer für alle, alle für einen 2/ 23, S. 60 Richter, Christoph: Die Zukunft des Projektmanagements: Projekt-Leadership zwischen Rule Makers und Rule Breakers 2/ 23, S. 45 Rietz, Steffen, Schneider, Lorenz: Wie entwickelt sich das Projektmanagement und warum? 1/ 23, S. 13 Steeger, Oliver: Künstliche Intelligenz revolutioniert Projektmarketing 1/ 23, S. 4 Vodatinskij, Vladislav: Die Revolution des Projektmanagements durch Künstliche Intelligenz 5/ 23, S. 46 Wagenhals, Klaus, Hansemann, Henrik: „Lessons Learned“ aus „Best Practices“ greift zu kurz - warum Lernen im Projekt anders gestaltet werden muss 4/ 23, S. 36 Wald, Andreas, Schneider, Christoph, Thuy, Peter: Projektifizierung reloaded: Ergebnisse der zweiten Studie zum Stand der Projektifizierung in Deutschland 5/ 23, S. 55 Wehnes, Harald, Bacharach, Guido: Digital souveränes Projektmanagement - Wie geht das? 5/ 23, S. 50 Weicht, David: Wittgenstein und das Projektmanagement: Was wir vom Philosophen für die Praxis lernen 4/ 23, S. 44 Zöls, Antonia: Rückblick auf das PM Forum Köln 3/ 23, S. 68 Kolumne Köhler, Jens: Einmal im Kreis gelaufen - oder der Weg ist das Ziel 1/ 23, S. 66 Köhler, Jens: Der Blitz des starken Arguments 2/ 23, S. 76 Köhler, Jens: Das physiologische Äquivalent 3/ 23, S. 71 Köhler, Jens: Dabei sein ist alles 4/ 23, S. 61 Köhler, Jens: Schöne neue Welt 5/ 23, S. 71 Aus den DACH-Verbänden GPM: Die GPM Fach- und Regionalgruppen 1/ 22, S. 76 GPM: Nachruf für Hans Knöpfel 4/ 23, S. 65 Grusswort von Dr. Hans Knöpfel (ehemahliger spm-Präsident von 2001-2009) zum 40-jährigen spm-Jubiläum 3/ 23, S. 79 Khayati, Sarah: „Früher oder später begegnen alle unsere Schüler*innen Projekten! “ 2/ 23, S. 73 Hahn, Maximilian, Mittelstädt, René: Rückblick auf den Zukunftskongress 2022 1/ 23, S. 57 Hahn, Maximilian: Der Zukunftskongress Staat & Verwaltung 2023 - Interview mit Prof. Dr. Silke Schönert 2/ 23, S. 71 Hahn, Maximilian: Die Hauptstadtrepräsentanz der GPM wird zur Austauschplattform 4/ 23, S. 60 Heydenreich, Norman: Nachhaltigkeit und Agilität in Projektmanagementstandards 3/ 23, S. 18 Huemann, Martina, Schoper, Yvonne, Reschwamm, Katrin: «Projektdesign» 1/ 23, S. 47 IPMA intern: Neues aus der IPMA 1/ 23, S. 67 IPMA intern: Die GPM feiert 40-jähriges Jubiläum ihrer Mitgliedschaft beim Dachverband IPMA International Project Management Association 2/ 23, S. 77 „Langsamkeit ist keine Option.“ 5/ 23, S. 64 Mittelstädt, René: Ohne Vertrauen helfen die besten Methoden nichts 2/ 23, S. 70 Mittelstädt, René, Hahn, Maximilian: Der Zukunftskongress Staat & Verwaltung 2023 im Rückblick 5/ 23, S. 66 Nachruf zum Tod von Prof. Dr. Yvonne Schoper 3/ 23, S. 72 pma intern: Ein Hoch auf 50 Jahre pma! 1/ 23, S. 72 pma intern: Projektmanagement zum Hören 2/ 23, S. 80 pma intern: Fakt oder Fake: Projektmanagement zwischen den Realitäten 3/ 23, S. 75 pma intern: Ein Hoch auf 50 Jahre pma! 4/ 23, S. 64 pma intern: Die pma Knowledge World 5/ 23, S. 74 Reschke, Hasso: Regionalkonferenz zu Commercial Project Management 1/ 23, S. 71 spm intern: spm. 40 Jahre Vielfalt 1/ 23, S. 73 spm intern: neue Zertifizierungen 2/ 23, S. 81 spm intern: spm Frühjahrstagung 2023: Verrückte Welt - unsere Chance! 3/ 23, S. 76 spm intern: Wir trauern um Dr. Hans Knöpfel 4/ 23, S. 66 spm intern: Rückblick auf das PM Camp Zürich 2023 5/ 23, S. 75 Winter, Peter: Wie armasuisse erfolgreich Projekte managt 5/ 23, S. 76 Zum Tode von Manfred Saynisch: Er hat das Projektmanagement geprägt - und das Projektmanagement ihn 1/ 23, S. 74 Zöls, Antonia: GPM Baumspende - Gemeinsam den Wald der Zukunft gestalten 1/ 23, S. 62 Zöls, Antonia: 15. GPM Aktiv: Inspirationen für eine erfolgreiche Zukunft 3/ 23, S. 70 Buchbesprechungen Schelle, Heinz: Die Resiliente Gesellschaft 1/ 23, S. 65 Auf ein Wort mit … Peuser, Martina: Andreas Schunke, Aufsichtsrat bei der österreichischen Knorr-Bremse GmbH 1/ 23, S. 76 Peuser, Martina: Dr. Martin A. Süchting, Senior Project Manager bei MTU Maintenance Zhuhai Co. Ltd. 2/ 23, S. 84 Peuser, Martina: Klaus Pfeiffer, Projektleiter bei der Isabellenhütte Heusler GmbH & Co. KG in Dillenburg 3/ 23, S. 80 Peuser, Martina: Stefan Binkowski, Vice President Retail & Wholesale Advisory für Mittel & Osteuropa bei der SAP 4/ 23, S. 68 Peuser, Martina: Franka Richter, Vorstandsreferentin und Standortleiterin bei der Materna SE 5/ 23, S. 78 GPM-Reihe „Nachgefragt“ Landgraf, Jan, Hetterich, Klaus: Sich beruflich und persönlich weiterentwickeln, an Sichtbarkeit gewinnen und Wissen teilen - mit dem Mentoring-Programm der GPM 1/ 23, S. 60 PM Forum Dräger, Erich, Riedel, Ralph: Projekte vs. Prozesse - Symbiose oder Widerspruch 5/ 23, S. 60 Horstmann, Uwe: Make it Circular 4/ 23, S. 58 Müller, David Paul, Holzner, Michael, Zürn, Siegfried: Nachhaltige Geschäftsmodellentwicklung: Systemdenken in der Gründungsberatung 5/ 23, S. 62 Zöls, Antonia: Rückblick auf das PM Forum Digital 2023 5/ 23, S. 68 Andrea Landschof Transaktionsanalyse in Veränderungsprozessen Das 6-Schritte-Programm in der Praxis von Beratern, Coaches und Trainern Laufzeit: 90 Minuten in 20 Lerneinheiten Inkl. 68-seitigem Workbook + Audio-Fantasiereise EUR 119,00 www.junfermann-live.de Sandra Brauer Der Werte-Kompass Finde Deinen Weg und sei endlich Du selbst Laufzeit: 84 Minuten in 4 Modulen Inkl. Workbook, begleitenden Audiodateien und mehr EUR 79,00 In Kooperation mit www.sinnsucher.de Junfermann live - O nline-Seminare, die Sie weiterbringen! Alle Online-Seminare mit Buchungsmöglichkeit finden Sie unter www.junfermann-live.de In diesem Online-Seminar stellt Ihnen die Transaktionsanalytikerin und Lehrsupervisorin Andrea Landschof die Grundkonzepte der Transaktionsanalyse vor. Sie gibt Fallbeispiele sowie Anregungen zur Selbstreflexion, und zeigt im umfangreichem Begleitmaterial mögliche Gefahren, Besonderheiten und Varianten der Methoden auf. So füllt sich eine „Schatzkiste“, aus der Sie später in Ihrer Rolle als Berater: in, Coach oder Trainer: in auswählen, was Sie für Ihre Arbeit mit Ihren Zielgruppen benötigen. Das Online-Seminar ist so angelegt, dass Sie eigene Erfahrungen mit den Themen, Tools und Methoden machen, bevor Sie sie später wirksam in Ihrer beruflichen Praxis einsetzen. Mit Methoden der TA gelingt es, Ihre Persönlichkeit und Beziehung zu Ihnen selbst und anderen zu reflektieren, zu verstehen und Veränderungen zu initiieren. So entsteht Raum für Neues. Werte bieten uns Orientierung im Leben und helfen uns dabei unser Leben frei und selbstbestimmt zu gestalten. In dem praktischen Kurs mit der systemischen Beraterin Sandra Brauer arbeiten Sie heraus, welche Persönlichkeitsanteile, Glaubenssätze und Werte Sie ausmachen. Mit dem Werte-Kompass erkunden Sie nicht nur Ihre Persönlichkeit, sondern spüren auch negative Glaubenssätze auf und transformieren diese in positive Affirmationen. Dafür stehen zahlreiche Übungsaufgaben und begleitende Arbeitsblätter für Sie bereit, mit denen Sie mehr über Ihre Persönlichkeit lernen. Welche Werte machen Sie aus? Wenn Sie Ihre eigenen Werte kennen und Ihre Persönlichkeitsstrukturen besser verstehen lernen, fällt es Ihnen leichter Entscheidungen zu treffen und Ihnen dabei selbst treu zu bleiben. Junfermann Die Online-Seminare. Junfermann li v e Vom Kleinunternehmer über den Mittelstand bis hin zu weltweit agierenden Konzernen: Mit Projektron BCS und Projektron BCS.start bieten wir Ihnen die passende Lösung. Für klassische, agile oder hybride Projekte. 1. Platz Process Solution Award 2022 Prozessorientierte Reorganisation Prozessoptimierung Projektmanagement- Software auswerten koordinieren planen projektron.de