PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Unter Mitwirkung von: spm - Swiss Project Management Association und Projekt Management Austria P R OJ E K T M A N A G E M E N T A K T U E L L www.pm-aktuell.de Nachhaltigkeit im Projektmanagement Ausgabe 2/ 2024 | 35. Jahrgang GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. I seminar@gpm-ipma.de I www.gpm-ipma.de GPM Seminare Trendthemen kompakt vermittelt gpm-ipma.de/ seminare GPM Weiterbildung Künstliche Intelligenz effektiv im Projektmanagement einsetzen 20. September 2024 Erleichterung der Projektarbeit? Entdecken Sie die faszinierende Welt der künstlichen Intelligenz nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch in diesem interaktiven Seminar. Mehr Informationen Zum GPM Seminarprogramm gpm-ipma.de/ seminare Unsere Bestseller: Mit Durchführungsgarantie! * *Das Seminar findet garantiert statt und ist an keine Mindestteilnehmerzahl gebunden. Projektmanagement - Das Grundlagenseminar 3. bis 5. Juni 2024 Unser 3-tägiges Grundlagenseminar vermittelt Ihnen die wichtigsten Themen und Basics des Projektmanagementstandards. Das GPM Grundlagenseminar dient zur Vorbereitung auf das Basiszertifikat im Projektmanagement (GPM) ® Mehr Informationen 1 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 02/ 2024 Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Am Tullnaupark 15, 90402 Nürnberg Unter Mitwirkung von Spm - Swiss Project Management Association Flughofstraße 50, CH-8152 Glattbrugg und Projekt Management Austria Palais Schlick, Türkenstraße 27/ 2/ 21, A-1090 Wien Redaktion: Prof. Dr. Steffen Scheurer, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (Chefredakteur) Oliver Steeger, Alfter (Ressort Report) Nadja Saoudi, GPM Nürnberg Dr. Thor Möller, prometicon projects GmbH, Bremen Redaktionsbeirat: Prof. Dr. Peter Thuy (Präsident GPM) Dr. Dieter Butz Axel Graser, Südwestrundfunk / SWR Prof. Dr. Nino Grau, Grauconsult GmbH Prof. Dr. Katrin Hassenstein, Hochschule der Medien Stuttgart Prof. Dr. Claus Hüsselmann, Technische Hochschule Mittelhessen Dr. Ingrid Giel, spm, Schweizerische Gesellschaft für Projektmanagement Brigitte Schaden, pma (Projektmanagement Austria) Prof. Dr. Doris Weßels, Fachhochschule Kiel G 6010 35. Jahrgang, 02/ 2024 ISSN 2941-0878 Verlag: UVK Verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5, 72070 Tübingen Telefon: +49 (0)7071 97 97 0 Telefax: +49 (0)7071 97 97 11 www.projektmanagement.digital © 2024 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Tübingen Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages. Namentlich gekennzeichnete Beiträge sowie die Inhalte von Interviews geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion oder des Verlages wieder. Zeitschriftenkoordination: Patrick Sorg eMail: sorg@narr.de Anzeigenverwaltung: Oliver Solbach eMail: solbach@narr.de Anzeigenverkauf: Stefanie Richter Telefon: +49 (0) 89 / 120 224 12 eMail: richter@narr.de Erscheinungsweise: 5 Hefte pro Jahr Bezugspreise für Privatpersonen: Einzelheftpreis: EUR 20,- Jahresbezugspreis (print): EUR 67,- Jahresbezugspreis (print & online): EUR 88,- Bezugspreise für Institutionen: Jahresbezugspreis (print): EUR 67,- Jahresbezugspreis (print & online): EUR 198,- Preisänderungen vorbehalten. Der Bezugspreis für Mitglieder der GPM ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Alle Preise zzgl. Versandkosten und inkl. MwSt. Die Kündigung ist sechs Wochen vor Ende eines Kalenderjahres schriftlich an den Verlag zu richten. Sonderausgaben werden zusätzlich berechnet. Bei Nichterscheinen der Zeitschrift ohne Verschulden des Verlages oder infolge höherer Gewalt entfällt für den Verlag jegliche Lieferpflicht. Umschlagabbildung: © iStock.com/ Sjo Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird die männliche Form verwendet (generisches Maskulinum). Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter und beinhalten keine Wertung. Impressum 2 Editorial Reportage 4 Die Kunst, die Wogen zu glätten 10 „Die Sturmfluten bleiben heute länger“ Wissen 12 Mission NullEmission - Ein Programm zur Dekarbonisierung von Produktionsstandorten und der Weg zur Kreislaufwirtschaft und der Steuerung durch ein PMO 19 Innovatives Projektmanagement: Wie aus dem magischen Dreieck ein Hexagon wird 22 Ganzheitliches, neues Verständnis im Projekt 28 Neue Perspektiven für Projektleiter 34 Vorgehensmodell für Business-Analytics- Projekte - ein hybrider Ansatz aus klassischen und agilen Methoden? 39 Projekt-Governance von klassisch bis agil 45 Weiterbildungs-Return-on-Investment: Vermeidung von Bildung im Blindflug! 52 Gefragt: Projektmanager für technische Produkte 59 Projektmanagement ist so viel mehr als das Managen von Projekten 62 Duale Karriere - Projektmanagement ohne Projekt, aber mit Aussicht auf doppelten Erfolg 70 Wie du dein Team auf das nächste Level bringst Buchrezension 73 Modernes Projektmanagement: Traditionelles, agiles und hybrides Vorgehen Kolumne 74 Im Hamsterrad der Prozesse Aus den DACH-Verbänden 75 IPMA intern Projektmanagement in der Ära ESG - Herausforderungen und Chancen 76 GPM intern 77 pma intern 78 spm intern 80 Auf ein Wort mit-… Inge Schottkowski-Bähre 2 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0022 Editorial Nachhaltigkeit im Projektmanagement Liebe Leserinnen und Leser, in diesem Heft beschäftigen wir uns einmal mehr mit Nachhaltigkeit in Zusammenhang mit Projektmanagement. Wie kann Projektmanagement helfen, unsere ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Ressourcen zu erhalten und zu schützen? Wir versuchen, in unserer Zeitschrift Ideen, Ansätze und Beispiele zu finden. Eines dieser Beispiele: Wir berichten über die Verstärkung des Eiderdamms in Norddeutschland-- und zeigen, wie mittels Projekte die Deiche der deutschen Nordseeküste zukunftssicher ausgebaut werden. Im Interview erklärt Projektleiter Jan Stolzenwald, wie das Zusammenspiel aus Deichen, Wattenmeer und vorgelagerten Inseln zum Schutz der Küsten funktioniert. Wolfgang Glitscher stellt ein PMO-gesteuertes Programm vor. Es zielt auf eine Dekarbonisierung von weltweit einhundert Produktionsstandorten und öffnet den Weg zur Kreislaufwirtschaft in einem internationalen Konzern. Zudem berichtet er über die Positionierung der IPMA in Sachen ESG (Environmental, Social, Governance) und Projektmanagement. Christian B. Jung und Till Schreiber zeigen, weshalb das seit Generationen bekannte „magische Dreieck“ jetzt zu einem Hexagon ausgebaut werden muss- - und zwar unter Einbeziehung der zusätzlichen Dimensionen Qualität, Nachhaltigkeit und Transformation. Über dieses Verständnis von Nachhaltigkeit hinaus beschreibt das Adjektiv „nachhaltig “ etwas, das über einen längeren Zeitraum hinweg besteht oder wirksam bleiben soll. Diesen Gedanken nehmen wir in diesem Heft zusätzlich auf. Nachhaltiges Projektmanagement heißt auch daran zu arbeiten, dass unsere Fachdisziplin und unser Können weiterhin ihre Wirksamkeit entfalten und so einen positiven ökonomischen und gesellschaftlichen Beitrag leisten. Werfen wir also einen Blick auf verschiedene Aspekte, die mit einer so verstandenen Nachhaltigkeit zusammenhängen: Johannes Gnädinger und Wolfgang Glitscher zeigen, wie wichtig das „Sich verstehen “ in einem ganzheitlichen Projektmanagement ist, um die positiven Effekte des Projektmanagements zur Geltung zu bringen. Wie sich der Einsatz von KI im Projektmanagement auf den Beruf des Projektleiters auswirkt und wie sich dessen Rolle in Projekten verändert-- dies beschreibt Frank Liebermann in seinem Beitrag. Julia Hollwedel und Peter Preuss stellen ein Vorgehensmodell für Business Analytics Projekte vor, das mithilfe von Data Science Experten entwickelt wurde. Bei diesem hybriden Modell werden agile und klassische Projektmanagement-Methoden kombiniert. Gute Projekt-Governance ist ein wichtiger Erfolgsfaktor der Projektarbeit. In der Praxis werden zunehmend agile Ansätze verwendet. Das Spektrum reicht von hybridem Vorgehen (d. h. plangesteuerter Projektarbeit mit einigen agilen Praktiken) bis zu durchgehend agilem Arbeiten in skalierten Ansätzen wie SAFe. Wie Projekt-Governance angemessen an die jeweilige Arbeitsweise anzupassen werden kann, untersuchen Dorothee Feldmüller und Gerhard Ortner. Christoph Richter beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Frage, wie die Effizienz und Effektivität des Ressourceneinsatzes in der betrieblichen Weiterbildung, aber natürlich auch für Maßnahmen im Projektmanagement gemessen werden können. Wie Projektmanager, die Projekte für technische Produkte als Teil von Programmen managen, aus- und weitergebildet werden sollten- - dies beschreibt Hans-Henrich Altfeld in seinem Beitrag. Einen interessanten Aspekt von Projektmanagement nimmt Steffen Rietz in seinem Text auf. Er stellt berechtigt die Frage, ob typische Aspekte professioneller Projektarbeit-- Methoden und Arbeitstechniken, Prozesse und Werkzeuge- - inzwischen auch Einzug in unsere alltäglichen Lebensbereiche gehalten haben, ohne dass immer ein formalisiertes Projekt gestartet wird. Zusammen mit Sandra Paruszewski zeigt er, wie die Kombination einer Karriere im Leistungssport mit einer akademischen Ausbildung über mehrere Jahre hinweg gelingt. Dies ist zwar kein Projekt im strengen Sinne. Doch durch den Einsatz von Planungs- und Steuerungsinstrumenten des Projektmanagements wird eine solche Herausforderung realisierbar. Miriam Sasse berichtet aus einem Workshop, der auf dem letzten PM-Forum stattfand und zeigt, wie mittels Metaphern komplexe Konzepte und Herausforderungen in Projekten verständlich und besprechbar gemacht werden können. Lesen Sie auch die Rezension zum Buch „Modernes Projektmanagement: Mit traditionellem, agilem und hybridem Vorgehen zum Erfolg“ in der 2. Auflage von Holger Timinger . Wir hoffen, dass Sie in diesem Heft Anregungen und Ideen in Sachen Projektmanagement finden. Falls Sie bereits bei privaten Vorhaben Projektmanagementmethoden verwendet haben, ohne dass Ihr Vorhaben „offiziell“ ein Projekt war- - dann lassen Sie uns davon wissen! Wir sind gespannt zu hören, wie die Werkzeuge des Projektmanagements Sie unterstützen etwa bei Events von Vereinen, größeren Geburtstags- oder Hochzeitsfeiern, vielleicht sogar beim Bau oder der Renovierung eines Hauses. Ihr Steffen Scheurer Verleihen Sie Ihren Projekten neuen Schub Mit Teamgeist und Software-Power zum Projekterfolg Die Verwaltung von Projektdaten und die aufwendige Teamorganisation kosten Sie viel Zeit? Mit den PLANTA-Tools optimieren Sie Ihren Planungsaufwand, sodass Sie sich auf das Wesentliche konzentrieren können. Die Software-Suite sorgt dafür, dass Sie den Überblick über alle Projekte und Aufgaben behalten, egal ob klassisch, agil oder hybrid geplant. So fahren Sie in Ihren Projekten effizienter, reagieren schneller und halten Ihr Team perfekt abgestimmt. Lernen Sie PLANTA kennen: www.planta.de 4 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0023 Mit einem Projektmanager auf der Deichkrone am Sperrwerk Die Kunst, die Wogen zu glätten Oliver Steeger Unsere Warnwesten sind das Einzige, was hier auf dem Deich leuchtet. Die Wolken hängen tief und reglos über dem Watt. Der Horizont verschwimmt im Sprühregen. Ich erkenne Wattvögeln, die auf stelzigen Beinchen durch das ablaufende Wasser flitzen. Der Deich läuft in einem langen, gleichmäßigen Bogen auf die Silhouette einer Baumreihe zu. Pfannenkuchenflach ist die Gegend hier am Eiderdeich. Alles kalt und grau und ruhig. Der Deich, finde ich, wirkt fast unscheinbar. Sanft und gleichmäßig fällt seine Böschung zum Wattenmeer ab. „Würde dieser Deich brechen, ständen viele Kilometer Nordfrieslands unter Wasser“, sagt mir Jan Stolzenwald. Wie viele Kilometer? Der Ingenieur breitet leicht die Arme aus. „Je nach Stärke der Sturmflut vierzig Kilometer ins Land hinein, vielleicht fünfzig. Das Wasser kann bis nach Rendsburg hinaufgehen.“ Tönning etwa, ein Luftkurort an der Eider, wäre mit seinen 5000 Einwohner geflutet. Teile von Schleswig-Holstein liegen unter dem Meeresspiegel. „Deshalb verstärken wir den wichtigen Eiderdamm“, sagt Jan Stolzenwald, der dieses Projekt leitet. Hinter uns, auf der Deichkrone, passiert ein Kipper mit Baumaterial. Jan Stolzenwald-- krauses Haar, Bart, Jeans, schwere Schuhe-- winkt dem Fahrer zu. Jetzt im Oktober ist noch Bausaison an Norddeutschlands Deichen. Doch bald kommen die Sturmfluten. Dann muss die Baustelle ruhen. Ich habe nie eine Sturmflut erlebt. Ich habe nur davon gelesen, etwa in der Novelle „Schimmelreiter“. Theodor Storm schreibt von gelbbraunen Wellen, die unaufhörlich wie mit Wutgebrüll an den Deich hinaufschlagen. Von tobendem Wind und Wasser, schäumender Gischt. Dahinjagenden Wolken, Geschrei der Vögel. Von der Furcht der Menschen, dass „die Deiche ihre Not haben“. Die Furcht, dass Deiche ihre Not haben werden, hat hier heute kaum jemand noch. Das liegt auch daran, dass Schleswig-Holsteins Küstenschutz als effektiv und sicher gilt. Ingenieure wie Jan Stolzenwald wissen, wie er der vom Sturm aufgepeitschten Flut die Kraft nimmt. Und wie sie auch anderem Gegenwind begegnen: etwa der Sorge der Menschen um die geschützten Wattvögel. Ich blicke Jan Stolzenwald in sein freundliches Gesicht. Ich bin überzeugt, dass er beides kann. Mit Naturkräften und Menschen umgehen. Wir laufen weiter über den Eiderdamm. In der Ferne arbeitet ein Bagger auf der Deichkrone und füllt einen Kipper. Jan Stolzenwald erläutert mir seinen Projektplan. Bis 2026 soll der vier Kilometer lange Deich mit dem amtlichen Namen „Eiderdamm Nord“ saniert sein. Es lässt sich gut erkennen, wie weit das Projekt bereits vorangeschritten ist. Der sanierte Teil hat einen neuen, grauen „Belag“, in der Sprache der Deichbauer Deckwerk genannt. Er besteht aus eckigen, hellgrauen, rauen Betonsteinen, die an grobes, überdimensioniertes Kopfsteinpflaster erinnern. Der unsanierte Teil des Deiches hat ein glattes, dunkles Asphalt-Deckwerk. In den nächsten Jahren wird der Deich Stück für Stück seine Farbe verändern von Schwarz zu warmgrau. Der in den 1960er Jahren errichtete Eiderdamm ist etwas in die Jahre gekommen. Das Problem: Der damals als Deckwerk verwendete Asphalt wurde rissig. Wasser drang in den Deich ein und spülte Sand aus. Der Deich sackte zusammen. Früher lag die Kronenhöhe des Deichs bei 8,70 Metern. Heute erreicht sie an manchen Stellen 8,40 Meter oder noch weniger. Damit ist der Deich immer noch „wehrhaft“, wie es im Deichschutz heißt. Messlatte für diese Wehrhaftigkeit sind Extremhochwasser, die statistisch alle 200 Jahre auftreten. Doch wie lange noch? Zum einen fehlt es dem Deich an Höhe. Zum anderen lässt der Klimawandel den Meeresspiegel weiter steigen. Im Mai 2023 gab es den ersten Spatenstich und den Startschuss dafür, den Eiderdeich sturmflutfest und zukunftssicher zu machen. Im Allgemeinen ist solch eine Ertüchtigung kein schwieriges Vorhaben. Doch hier am Eiderdeich liegen die Dinge nicht so einfach, wie dies auf den ersten Blick scheinen mag. Obwohl der Deich nur von Wattenmeer, Wiese und einer Straße umgeben ist, bleibt kaum Platz zum Bauen. Denn die Anlage wird von zwei Naturschutzgebieten „eingezwängt“. Das macht’s schwierig. Reportage | Die Kunst, die Wogen zu glätten 5 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0023 Jan Stolzenwald hat sieben verschiedene Planungsvarianten durchgespielt, bevor er dafür eine gute Lösung gefunden hat. Er schaut mich vergnügt an. „Ich habe immer schon solche besonderen Herausforderungen bei meinen Projekten gesucht“, sagt er. Vor einigen Jahren hat er Entwicklungshilfe geleistet in Vietnam, in monsungeplagten, von Erosion bedrohten Landstrichen ohne die Mittel für teuren Küstenschutz. Die Herausforderungen am Eiderdamm mögen weniger dramatisch sein. Aber nicht minder spannend für ihn, wie er sagt. Bei seiner Lösung spielt die Böschung eine wichtige Rolle. Was er damit genau meint, erklärt er mir später im Baucontainer am Eider Sperrwerk, dem größten deutschen Küstenschutz-Bauwerk, zehn Autominuten von der Baustelle am Deich entfernt. Von diesem Container aus treibt Jan Stolzenwald mit seinem kleinen Team das Deich-Sanierungsprojekt voran. Neben ihm wirken eine Bauzeichnerin und ein Bautechniker mit, der draußen die Baustelle überwacht. Hier gibt es nach dem herbstlich-kalten Baustellenbesuch Kaffee. Wir schauen gemeinsam auf einen Plan, einem Querschnitt des Deiches, an dem mir Jan Stolzenwald erklärt, weshalb bei seinem Projekt die Böschung einen Dreh- und Angelpunkt spielt. „Deiche müssen sanft abfallende Böschungen haben“, beginnt er. Dies erinnert mich erneut an Theodor Storms Schimmelreiter. In der Novelle hatte der Deichgraf Hauke Haien das Meer lange beobachtet und war ebenfalls zu dieser Erkenntnis gekommen. Denn was in früher Zeit Menschen auch immer dem Meer entgegengestellt hatten, mühsam steil aufgekippte Erdwälle oder Wände aus bis zu vier Meter hohen Holzbohlen-- alles riss das Meer wieder fort. Es bot dem Meer zu viel Angriffsfläche. Hauke Haien machte seinen widerspenstigen Deichbevollmächtigten klar, dass „der milde Abfall nach der Seeseite den Wellen keinen Angriffspunkt entgegengestellt.“ Aber-- weshalb? Diese Frage mündet im Baucontainer in einer langen Diskussion. Es geht um Physik von Wasser, Wellenenergie und Wellenbewegungen. Jan Stolzenwald ist in seinem Element. Meine Überlegung ist: Steigt der Meeresspiegel künftig um einen Meter, müssen alle Deiche Norddeutschlands ebenfalls um einen Meter wachsen. „Im Prinzip ja“, sagt Jan Stolzenwald, „aber die Deichhöhe allein reicht nicht aus. Wichtig ist das Zusammenspiel von Höhe und Neigung der Außenböschung.“ Ich verstehe das, was mir Jan Stolzenwald nun erklärt, so: Bei einer Sturmflut steigt nun der Wasserstand durch die Tide sowie durch den Weststurm, der Wasser an die Küste drückt. Hinzu addieren sich die Wellen, die vom Sturm getrieben an den Deich branden. Also man hat mit zwei „Gegnern“ im Küstenschutz zu tun. Vereinfacht gesagt: Die Hälfte der Deichhöhe schützt vor dem Flut-Wasserstand (erster Gegner). „Der Rest, den wir auf den Deich packen, ist gegen den Wellenauflauf“, sagt Jan Stolzenwald. Zweiter Gegner. Wie kommt nun die Neigung der Böschung zur Seeseite in Spiel? Der technische Kniff besteht darin, dass man der Welle schon die Kraft nimmt, bevor sie gegen den Deich brandet und die Deichkrone erreicht. Dies hat der Deichgraf Hauke Haien verstanden. Eine geschwächte Welle ist für den Deich weniger gefährlich. Anders: Wenn man vor dem Deich den Wellen die Energie nimmt, braucht man den Deich beispielsweise nicht so hoch und massiv zu bauen. An diesem Punkt bekommt die Böschung ihren Auftritt. Man muss dafür wissen, dass wir von der Welle auf dem Meer nur einen Teil sehen. Denn die Welle ist eine energiereiche Wasserwalze, die sich um ihre eigene Achse dreht (ähnlich einem Nudelholz). Ein großer Teil dieser rotierenden Wasser- Walze liegt unter der Wasseroberfläche. Nun die Pointe: Auf dem Weg zum Ufer hin, wenn das Meer flacher wird, bekommt diese Walze „Bodenkontakt“ und wird unten hart abgebremst. Die Welle verformt sich zu einer Art Ellipse und bricht. Was wir am Ufer als Welle wahrnehmen sind häufig die noch immer kraftvollen Trümmer der Wasserwalze. Und jetzt verstehe ich den Sinn der Böschung: Sie ist eine natürliche Bremse für die Wellen. Das sanft ansteigende Gelände absorbiert Wellenenergie. An der Westküste Schleswig- Holsteins kommt hinzu, dass das flache Wattenmeer mit den vorgelagerten Inseln die Wellen bremst. Schon weit- - häufig kilometerweit-- vor der Deichlinie berühren Wellen den Meeresgrund im flachen Wasser. Das Wattenmeer ist also nicht nur ein Refugium für bedrohte Wasservögel und Seepflanzen, sondern auch ein natürlicher Küstenschutz. Aber-- durch den Klimawandel steigt auch der Wasserspiegel im Wattenmeer. Damit kann es die Wellen weniger bremsen. „Und damit trifft mehr Wellenenergie auf den Deichkörper“, erklärt Jan Stolzenwald. Wow! Der Klimawandel erhöht nicht nur den Meeresspiegel, sondern macht hier auch die Deiche gegen die Energie der Wellen wehrloser. Da sind zwei Effekte im Spiel. Man braucht also höhere Deiche und eine größere Böschung. Genau dies ist das Problem hier am Eiderdamm. Zum einen ist der Untergrund hier sehr weich. Bei einem höheren und damit schwereren Deich würde es zu Setzungen kommen. Zum anderen die eingezwängte Lage. Es fehlt Platz für eine größere und weiter ins Meer reichende Böschung. Direkt vor dem Deich liegt der streng geschützte Nationalpark Wat- Die menschengemachte Trennlinie zwischen Meer und Land: Deichbau hat in Norddeutschland eine besondere Bedeutung. Eine gesellschaftliche Aufgabe. Foto: Oliver Steeger Reportage | Die Kunst, die Wogen zu glätten 6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0023 tenmeer, ein lebenswichtiges Reservat unter anderem für Vögel. Rund 140 Meter liegen zwischen der Deichkrone und der Grenze des Nationalparks. Eine Verlängerung der Böschung würde das empfindliche Ökosystem beeinträchtigen. Auch auf der anderen Deichseite- - zum Land hin- - erstreckt sich hinter einer Landesstraße ein Naturschutzgebiet. Der Deich hat also keinen Platz zu wachsen. Weder in die Höhe noch in die Breite. Mit anderen Worten: Den weit auslandenden, grasbewachsenen und von Schafherden bevölkerten „Klimadeich“, wie man ihn so häufig in Norddeutschland sieht, konnte man hier nicht verwirklichen. „Trotzdem wollen wir für den Eiderdamm das Sicherheitsniveau eines Klimadeichs erreichen“, erklärt Jan Stolzenwald. Dafür setzt er beispielsweise an der Oberfläche der Böschung- - dem Deckwerk- - an. Das Kalkül: Je unebener und rauer das Deckwerk ist, desto mehr nimmt es der Welle die Kraft. Das Deckwerk wird eine Art „Feile“. Diese grauen, klobigen Betonsteine, über die wir auf der Deichböschung gelaufen sind- - sie bilden einen raffinierten Mechanismus, der Welle zusätzlich Energie zu entziehen. An dieser Lösung hat Jan Stolzenwald lange getüftelt. Er ließ sogar Erkenntnisse, die niederländische Wissenschaftler im Wellenkanal gewannen, in seine Konzepte einfließen. Dann war er sich mit einer Lösung sicher. „Wir nehmen den alten, brüchigen Asphalt des Damms ab und ersetzen ihn mit einem neuartigen Deckwerk aus speziellen Betonsteinen“, erklärt Jan Stolzenwald. Eine Art Kopfsteinpflaster aus schuhgroßen, unebenen Steinen und breiten Fugen. Zudem stehen einige Steinreihen rund fünfzehn Zentimeter aus dem Pflaster heraus. Hier reibt sich die Welle auf. Dank dieses Kunstgriffes hat Jan Stolzenwald den Deich selbst nur um dreißig Zentimeter erhöhen müssen und die Böschung kaum verlängert. Hinzu kommt: Jan Stolzenwald verwendet den Asphalt, der bislang den Deich bedeckte, wieder. Er wird vor Ort zerkleinert und als Baumaterial für den Deichkörper eingesetzt. „Es wäre Unsinn gewesen, die geschätzt 60.000 Tonnen Asphalt als Schutt zu entsorgen“, erklärt er, „wir haben einen Weg gefunden, den Asphalt hier vor Ort aufzubereiten und sinnvoll für die Bildung einer wasserdichten Schicht im Deich einzusetzen.“ Das sei zum einen nachhaltig, zum anderen senke es die Baukosten. Er ist stolz auf die Lösung, die er für den Eiderdeich gefunden hat. Wer Jan Stolzenwald länger zuhört, bemerkt einen Akzent, der nicht ins Norddeutsche passt. „Ich stamme aus dem Süden“, sagt er, „am Rhein geboren, dann aber in Nürnberg aufgewachsen. Meine Mutter spricht noch rheinländisch.“ Wie kommt ein Rheinland-Franke dazu, sich hier im Norden für Deiche zu begeistern? Jan Stolzenwald führt dies zurück auf seine Kindheit. Die Sommerurlaube verbrachte er im familieneigenen Ferienhaus in den Niederladen. Dort ist er erstmals dem Deichbau begegnet. „In den Niederlanden gibt es für Kinder wunderbare Museen zum Küstenschutz“, erklärt er. Während seines Studiums- - zuletzt an der TU Hamburg- - weckte ein ostfriesischer Dozent sein Interesse. „Irgendwann wurde in mir der Schalter umgelegt, und ich beschloss, mich in dieses Thema zu vertiefen“, berichtet er, „das war ein längerer Prozess.“ Er denkt nach und ergänzt: „Ich fühle mich heute zum Meer hingezogen.“ Dann: „Vielleicht war für mich als Bauingenieur auch interessant, dass Deiche gewissermaßen aus der Reihe fallen und etwas anderes sind als Straßen oder Häuser. Der Statik galt nie so richtig meine Leidenschaft. Stattdessen habe ich bei mir ein Verständnis für Strömung oder Wellen entdeckt.“ Zuletzt fügt er an: „Für mich ist es wichtig, dass meine Arbeit für die Gesellschaft Nutzen bringt.“ Dies erinnert ihn an seinen Großvater. Er war Wagenbauingenieur. Beim TÜV hat er damals an der Entscheidung mitgewirkt, dass LKWs auf Autobahnen nicht schneller als 100 Stundenkilometer fahren dürfen. „Er wollte zum Wohl der Gesellschaft wirken“, sagt Jan Stolzenwald, „mir geht es ähnlich. Ich will die Lebensgrundlage der Menschen schützen.“ Dabei hat er auch eine globale Perspektive: Die Hälfte der Menschheit wohnt küstennah. „Küstenschutz“, sagt er, „ist weltweit ein wichtiges Thema.“ Dort, wo Jan Stolzenwald geboren und aufgewachsen ist-- in der Mitte und im Süden Deutschlands- - machen sich nur wenige ein Bild von der Bedeutung des Küstenschutzes. Das Leben an der Küste hängt an der Sicherheit der Deiche. Die Älteren hier wissen dies häufig aus eigener Erfahrung. Sie erinnern sich an die Wassermassen der Sturmflut von 1962, oder sie kennen es aus den Erzählungen ihrer Eltern. „Keen nich will dieken, de mutt wieken,“ sagt man sich hier auf Plattdeutsch („Wer nicht deichen will, muss weichen.“). Die Vorfahren der Menschen hier trotzten ihr Land zäh dem Meer ab. Für ihr bitternötiges Gemeinschaftsprojekt „Deichbau“ hatten alle die Pflicht, Hand anzulegen und am Deich mitzuarbeiten-- oft unerträgliche Lasten neben der ohnehin harten Tagesarbeit. Theodor Strom beschreibt im Schimmelreiter ein solches Deichbauprojekt in alter Zeit. Bei Wind und Wetter rollten aus dem Hinterland unablässig Sturzkarren heran und brachten bei Wind und Wetter schweren, klebrigen Kleiboden zur Baustelle. Der ehrgeizige Deichgraf Hauke Haien sah „ wie die Leute trieften und kaum atmen konnten in der schweren Arbeit vor dem Winde, der ihnen die Luft am Munde abschnitt, und vor dem kalten Regen, der sie überströmte.“ Bauern, die zu dieser Schinderei nicht mehr willens oder fähig waren, machten von dem Spatenrecht Gebrauch. Sie stießen symbolisch ihren Spaten in den Deich, packten ihre Habe und ließen Hof und Land zurück. Den Deichgrafen zu dieser Zeit wehte der Argwohn der Menschen entgegen, ihr Misstrauen, ihre Abneigung, auch ihr Hass. Wer Deiche baute, hatte sich nicht nur gegen das Meer durchzusetzen, sondern auch gegen die Menschen. Heute spricht niemand mehr von Pflichten und Spatenrecht. Küstenschutz ist Ländersache. Was nicht bedeutet, dass Deichbau-Projektmanagern kein Gegenwind mehr ins Gesicht blasen kann. Einwände kommen häufig aus dem Naturschutz. Deichbauer gehen heute anders- - kooperativer- - mit solchen Einwänden um als der fanatische Hauke Haien. Obwohl der Eiderdamm klar außerhalb der angrenzenden Naturreserverate liegt, macht der Schutz am Bauzaun nicht Halt. Da ist zum Beispiel der Seeregenpfeifer. Er steht weit oben auf der roten Liste; die Zahl der Brutpaare ist gerade noch zweistellig in Schleswig-Holstein. Für sie ist auch der Deich ein Platz für Brut und Aufzucht der Jungen. „Die Vögel lieben für den Nestbau das am Deich angeschwemmte Material, das sogenannte Treibsel, etwa Schilf“, erklärt Jan Stolzenwald, „hinzu kommt die willkommene Wärme des sonnenbeschienenen Reportage | Die Kunst, die Wogen zu glätten 7 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0023 Deckwerks.“ Bei der Planung hatte er sicherzustellen, dass sich die guten Brutmöglichkeiten am Deich nicht verändern. „Wir haben beispielsweise dafür gesorgt, dass das Treibsel weiterhin auf dem Deich liegenbleibt“, sagt er. Nicht ganz so einfach zu lösen war ein anderes Problem, mit dem er anfangs nicht gerechnet hatte. Viele geschützte Seevögel brüten nicht direkt auf dem Deich- - sondern landeinwärts, hinter dem Deich. Von dort müssen die flugunfähigen Jungvögel schleunigst das nahrungsreiche Wattenmeer erreichen. Dabei überwinden sie den Deich. Bislang war dies auf dem glatten Asphalt keine Schwierigkeit. Doch nun ist das Deckwerk rau und ungleichmäßig. Vogelschützer befürchteten, dass die Fugen zwischen den Betonsteinen für die Jungvögel zur tödlichen Falle würden. Und selbst Split zur Füllung würde nicht helfen; das Meer spült dieses Material schnell aus den Fugen heraus. Jan Stolzenwald sah diesen Punkt ein. Der Ingenieur ließ eine erosionsfeste, „vogelsichere“ Technik für das Füllen der Fugen entwickeln. Man entschied sich für ein Verfahren mit Dränbeton. Dann kam das nächste Problem. Einige Steinreihen ragen aus dem Deckwerk gut 15 Zentimeter hervor. Dies soll zusätzlich den Wellen die Energie nehmen. „Fünfzehn Zentimeter sind überschaubar für mich“, berichtet Jan Stolzenwald, „leider sehen das die Jungvögel buchstäblich anders.“ Für sie sind die Steinreihen wie Wände eines Labyrinths. Sie verlieren den Weg zum Meer. Die Sichtachse für die geschützten Jungvögel drohte gestört zu werden. Auch bei der verlorenen Sichtachse fand er eine Lösung, indem er die Steinbarrieren versetzt anordnen ließ „Da stoßen zwei Welten aufeinander“, sagt Jan Stolzenwald, „die des Naturschützers und die des Ingenieurs.“ Das meint er wörtlich. Wie wenig kompatibel die beiden Welten anfangs waren, zeigt sich in einem bezeichnenden Detail. Jan Stolzenwald wollte die Binnenböschung-- also die Deichböschung zum Land hin- - begrünen. Eine bunte, naturnahe, ökologisch hilfreiche Blühwiese sollte entstehen. Er vermutete, der Plan würde Zustimmung der Naturschützer finden, vielleicht sogar Wohlwollen. Doch weit gefehlt! Eine solche Wiese wäre für die Jungvögel ebenfalls ein Hindernis. Also lieber eine nackte Böschung, sodass die Jungen hinaufkommen. „Das sind zwei völlig verschiedene Perspektiven, mit denen wir und unsere Stakeholder auf das Projekt draufgeschaut haben“, sagt Jan Stolzenwald. Doch anders als vielleicht Storms Deichgraf Hauke Haien stellt Jan Stolzenwald Menschen nicht vor vollendete Tatsachen. Er sucht das Miteinander. „Wir haben von Anfang die Naturschützer involviert und geschaut, wie wir Naturschutz und Deichbau gerecht werden“, sagt er. Die Offenheit zahlte sich aus. Beide Seiten verstanden, dass es für den jeweils anderen auch gewisse, unverhandelbare Notwendigkeiten gab. Deichschutz ist wichtig. Vogelschutz ist wichtig. Erkennt man die Bedürfnisse des anderen und nimmt man sie ernst- - so kann man aufeinander zugehen und Lösungen finden. „Ich habe als Ingenieur viel gelernt über die Erfordernisse des Vogelschutzes“, sagt Jan Stolzenwald. Auf der Seite der Naturschützer mag dies ähnlich sein. Der gut entwickelte kooperative Geist zahlt jetzt während der Bauphase seine Dividende. Jan Stolzenwald einigte sich mit den Naturschützern auf eine sogenannte Umweltbaubegleitung, die auf der Baustelle tätig wird- - und beispielsweise während der Brutzeit schon bei Morgengrauen den Dienst aufnimmt. Die meisten Vögel wandern nachts; ihre Nachzügler sammeln Fachleute vor Baubeginn ein. Danach beobachten sie das Gelände. Anfangs hatte man die „Leute mit den Eimern“ auf der Baustelle belächelt. Doch sehr schnell lernte man ihre Hilfe zu schätzen. Jan Stolzenwald erinnert sich an einen besonders mutigen Brutvogel, der sich mitten in der Baustelle niedergelassen hatte. Für viele Bau-Projektleiter sind solch streng geschützten Gäste mitten im Bautrubel ein Alptraum. Doch am Eiderdeich waren schnell die Fachleute zur Stelle. „Wir konnten Eingriffe sofort mit der Artenschutzstelle klären“, sagt er. Eines hat er dabei auch gelernt: Man muss nicht nur die Position des anderen akzeptieren, sondern gründlich verstehen. Die Welt durch ihre Augen sehen. Lernen zu denken wie sie. Anderenfalls kann es selbst bei gutem Willen zu Fehleinschätzungen und Missverständnissen kommen. Graue Steinblöcke decken jetzt den Deich. Der alte Asphalt wird nachhaltig wiederverwendet. Jan Stolzenwald (rechts) erklärt Chefredakteur Prof. Steffen Scheurer, wie das neue Deckwerk dem Wasser die Kraft nimmt. Foto: Oliver Steeger Reportage | Die Kunst, die Wogen zu glätten 8 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0023 Nicht immer können Projektmanager auf das Prinzip konstruktiven, sanften Interessenausgleichs setzen. Mitunter müssen sie sich dem Druck entgegenstellen und ein Bollwerk gegen Widerstand bilden. Dies erlebte Jan Stolzenwald ausgerechnet bei seinem Ziel, das alte Deckwerk-- den Asphalt-- als Baumaterial wiederzuverwenden. Bei einigen Beteiligten wurden Zweifel laut an dem Plan, den Asphalt vor Ort zu zerkleinern und im Deich einzusetzen. Viele Fachleute und Gutachter hatten dem Konzept ihren Segen gegeben. Trotzdem wurde immer wieder versucht, Jan Stolzenwald von seiner Idee abzubringen. Sie ihm „madig zu machen“, wie er sagt. Über Monate kämpfte er mit Einwänden, Ablehnung, „Dasgeht-niemals“-Kritik. Mit Rückendeckung seiner Behörde bestand Jan Stolzenwald auf seinem Konzept. „Doch die Brachialität, mit der man dieses Konzept zu verhindern suchte, hat mich überrascht,“ sagt er, „wenn einem einer über Wochen erzählt, dass das, was man über vier Jahre sorgfältig geplant hat, eigentlich Humbug ist-- das perlt nicht mehr an einem ab.“ Das perfide Störfeuer, das ihn Zweifeln machen sollte am eigenen Plan, belastete ihn; er nahm die Sache auch nach Feierabend mit heim. Dennoch setzte er sich am Ende durch. „Dadurch haben wir etwa zwei bis vier Millionen Euro Mehrkosten vermeiden können“, sagt er. Triumph liegt dabei nicht in seiner Stimme, eher Bedrückung. Zusammenarbeit in Projekten stellt er sich anders vor. „Deiche sind meine Leidenschaft“, sagt Jan Stolzenwald unumwunden. Er hat seine Berufung gefunden. Ist er auf Reise, hält er immer Ausschau nach Deichen. In den Niederlanden- - selbst bei privaten Urlauben- - fachsimpelt er mit dortigen Deichbauern. „Der Vorteil der Niederländer ist, dass in ihrer Gesellschaft der Deichbau sehr tief verankert ist“, erklärt er, „die Niederländer wissen, dass es ohne die Deiche ihr Land nicht geben würde. Entsprechend innovativ ist man dort.“ Unlängst war er in England. Dort schaute er sich die britischen „Sea Walls“ an, mächtige Verteidigungsanlagen gegen Sturmfluten, die häufig auch Strandpromenaden aufnehmen. „So etwas haben wir hier noch nicht gemacht“, sagt er, „vielleicht kann man die Prinzipien mal aufgreifen.“ „Ist Deichbau eine Kunst? “, frage ich. Jan Stolzenwald schüttelt langsam den Kopf. „Wir Wasserbau-Ingenieure haben einen Werkzeugkoffer, mit dem wir fast jedes Projekt lösen können“, sagt er. Moment- - fast jedes Problem? „Es gibt bestimmte Sonderprojekte, bei denen man kreativ werden muss“, antwortet er. Ein solches „Sonderprojekt“ hat er gerade auf dem Schreibtisch. Es betrifft Helgoland. Hier am Eiderdamm ist wenig Platz für den Deich. Auf der kleinen Insel Helgoland ist kaum Platz für Böschungen. Eigentlich müsste man in den sauren Apfel beißen und massiv in die Höhe bauen. Aber: Der Damm müsste meterhoch sein- - ein Unding! „Mit meinem üblichen Werkzeugkoffer komme ich so nicht weiter”, sagt Jan Stolzenwald. Doch solche Projekte jenseits des Üblichen fesseln ihn. Er ließ Helgoland als Modell nachbauen und tüftelte im Wellenbecken des Ludwig-Franzius-Instituts der Leibniz Universität Hannover an Lösungen. Gefunden hat er eine. Doch bevor es mit dem Deichbau auf Helgoland losgeht, muss der Eiderdeich fertigwerden. Im Herbst bricht die Zeit der Sturmfluten an. Traditionell kommen die Arbeiten an Deichen Anfang Oktober, manchmal auch Anfang November zum Stillstand. Stillstand heißt: Die Deichkörper und die Außenböschungen müssen sturmflutsicher sein. Im vergangenen Winter hat Jan Stolzenwald am Schreibtisch Pläne ausgearbeitet. Jetzt, ab Mitte April geht’s auf der Baustelle weiter. Jan Stolzenwald hat noch mehr als drei Kilometer Deich vor sich, um das Land bis nach Rendsburg vor dem Meer zu schützen. Sein Projekt liegt passabel in der Zeit. Er zuversichtlich. Tönning, die anderen Orte hinter dem Deich und die einstreuten Bauernhöfe- - sie werden auch bei steigendem Meeresspiegel sicher sein. Eingangsabbildung: Der Deich am norddeutschen Eidersperrwerk. Er wird in einem Projekt auf rund vier Kilometer verstärkt. Foto: Oliver Steeger pma.at/ focus Informationen & Anmeldung zur hybriden Veranstaltung: © Klaus Vyhnalek Megatrends, Future Systems und die Kindness Economy der Zukunft Oona Horx Strathern Trend- und Zukunftsforscherin Dekarbonisierung kommunaler Wärmeversorger - Entscheidungsqualität in der Projektentwicklung Heinz Nusser Partner Decision Advisory Group GmbH © Decision Advisory Group © Monika Löff Humoristischer Ausklang Angelika Niedetzky Kabarettistin Circular Economy - ein Generationenprojekt Karin Huber-Heim Executive Director Circular Economy Forum Austria © Sacha Gillen 17. Oktober 2024 Austria Center Vienna/ Online #pmafocus24 PROJECTING FUTURE/ S M I T P R O J E K T M A N A G E M E N T D I E W E LT V E R B E S S E R N ’24 FRÜHBUCHER BONUS bis 30. Juni! pma.at 10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0024 Projektleiter Jan Stolzenwald im Gespräch „Die Sturmfluten bleiben heute länger“ Oliver Steeger, Steffen Scheurer Küstenschutz ist für Schleswig-Holstein essenziell. Mehrfach in seiner Geschichte haben Sturmfluten Not gebracht, Land geraubt und Ortschaften ausgelöscht. Heute verstehen Ingenieure den Küstenschutz hier als ein Zusammenspiel aus Deichen, Wattenmeer und vorgelagerten Inseln. Im Gespräch erklärt Projektleiter Jan Stolzenwald, wie dieses Zusammenspiel funktioniert, von welchem Standard man ausgeht-- und weshalb der jüngeren Bevölkerung das Bewusstsein für Deichbau und Küstenschütz verlorengeht. Herr Stolzenwald, Sie arbeiten an einem Deich nahe dem größten deutschen Küstenschutz-Bauwerk-- dem Eidersperrwerk. Wie steht Ihr Deichprojekt in Verbindung mit dem Eider-Sperrwerk? Jan Stolzenwald: Die Eider, die hier am Sperrwerk ins Meer mündet, ist der größte Fluss Schleswig-Holstein. Er entwässert weite Teile des Hinterlands. Wir haben hier einen Mündungstrichter von fünf Kilometern Breite. Über viele Jahrhunderte wurde bei Sturmfluten Meerwasser in die Eider hineingedrückt. Zuletzt bei der großen Sturmflut 1962: Die Eider ist im Hinterland über die Deiche und Dämme getreten und hat das Land zerstört. Nach dieser Sturmflut sah man zwei Möglichkeiten. Entweder, man verstärkt 70 Kilometer Deich entlang der Eider- - oder man schließt den Mündungstrichter mit einem fünf Kilometer langen Deich und baut ein riesiges Sperrwerk in die Mitte, das bei Sturmfluten geschlossen wird und das eindringende Meerwasser zurückhält. Man hat sich damals für das Sperrwerk als Schutz entschieden-… Richtig. Aber Küstenschutz ist immer ein Zusammenspiel von vielen Maßnahmen, nicht nur von einem Sperrwerk. Das Wattenmeer, vorgelagerte Inseln, die Halligen, die Deiche- - dies alles und mehr trägt zu einem heute gutem und hohen Schutzniveau bei. Sie haben am Sperrwerk einen Tidenhub von etwa zwei Metern. An anderen Küsten Europas schwankt die Wasserhöhe zwischen Ebbe und Flut noch mehr, teils bis zehn Meter. Ich war unlängst in Großbritannien. Da sind fünf bis acht Meter Tidenhub normal. Doch man sollte die Wirkung des Tidenhubs hier am Sperrwerk nicht unterschätzen. Gerade bei auflaufendem Wasser kann man die starken Strömungen beobachten. Da ist Musik drin! Wo liegt derzeit die Herausforderung beim Küstenschutz? Die Sturmfluten bleiben heute länger als früher. In einem der letzten Jahre hatte wir drei oder vier Tage lang Höchststände. Das heißt, in dieser Zeit war auch das Sturmflut-Niedrigwasser noch über dem normalen Hochwasserstand. Augenblick-- während dieser Sturmflut war über mehrere Tage die Ebbe noch so hoch wie die übliche Flut? Genau! Und dies machte es schwierig, das Hinterland zu entwässern. Auf der einen Seite des Deiches die Höchststände, auf der anderen Seite das Wasser, das zum Meer drängt. Bei so langen Sturmfluten nimmt das Wasser die Deiche von beiden Seiten her in die Zange? Ja. Das ist eine unserer Herausforderungen für die Zukunft. Wir sollten dabei bedenken, dass Küstenschutz sich nicht auf Deiche und Sperrwerke konzentriert. Er findet auch vor und Reportage | Die Sturmfluten bleiben heute länger hinter dem Deich statt. Sogar ich habe anfangs unterschätzt, wie breit gefächert der Küstenschutz ist. An der Nordseeküste kam es immer wieder zu verheerenden Flutkatastrophen. Beispielsweise die grote Mandränke von 1362 raubte Schleswig- Holstein weite Landstriche. Die Stadt Rungholt ging buchstäblich im Meer unter. Husum-- heute an der Küste-- lag damals im Landesinnern. 21 Deiche sollen damals gebrochen sein. Eine ähnliche Katastrophe ereignet sich 1634, die Burchardiflut. Für welche Jahrhundert-Ereignisse dieser Art sind unsere Deiche heute ausgelegt? Wir konzipieren den Deichbau mit der Annahme, dass der Küstenschutz einem zweihundertjährigen Hochwasser standhält. Wir sind also gewappnet für ein Hochwasser, zu dem es statistisch gesehen nur einmal in 200 Jahre kommt. Das ist Statistik-… Natürlich! Wir müssen ja eine Annahme für unseren Schutzstandard treffen und Abwägungen machen. In den Niederlanden liegt der Schutzstandard sogar noch höher. Dort bereitet man sich für Ereignisse vor, die statistisch nur alle eintausend Jahre vorkommen. Hinter den noderländischen Deichen liegen Metropolen wie Amsterdam oder Den Haag. Dort lebt der Hauptteil der Bevölkerung. „Wer nicht deichen will, muss weichen“-- dies ist seit jeher ein mahnender Spruch an der Nordseeküste. Seit der Strumflut von 1962 ist es aber relativ ruhig geblieben. Ist das Thema Deichschutz im Bewusstsein der Bevölkerung noch präsent? Gerät der Spruch in Vergessenheit? Präsent ist der Deichschutz mit Sicherheit bei den Menschen, die 1962 miterlebt haben. Bei den Generationen danach-- ich denke, dass manche Jüngeren die Wichtigkeit des Küstenschutzes nicht erkennen. Einige akzeptieren auch nicht mehr die Wichtigkeit der Deichbauprojekte. Bei meinem Projekt am Eiderdamm sind keine Siedlungen betroffen. Niemand wohnt hier am Deich. Doch wir haben auch Projekte mitten in Gemeinden. Diese Projekte können für zwei oder drei Jahre Lärm und Dreck mit sich bringen. Die ältere Generation sieht die Notwendigkeit ein und findet sich mit den Baustellen ab. Sie haben teils selbst gesehen oder wissen es von ihren Eltern, was es bedeutet, wenn Haus und Hof bei einer Sturmflut unter Wasser stehen. Wir kämpfen aber mit Widerständen von denen, die dies nicht erlebt haben. Zyniker sagen, man bräuchte mal wieder eine massive Sturmflut, um den Küstenschutz zurück ins kollektive Gedächtnis zu rufen-… Dies mag sein. Wir haben hier zum Glück ein hohes Schutzniveau, und wir hatten seit Langem keine außergewöhnliche hohe Sturmflut mehr. Aber trotzdem wäre es hilfreich, wenn Menschen hier mehr einsehen, dass wir für ihre Sicherheit die Deiche verstärken. Eingangsabbildung: Baustelle auf dem Deich am Eidersperrwerk. Foto: Oliver Steeger Die medienübergreifende Publikation Transforming Cities berichtet über Städte im Wandel, über die weltweite Urbanisierung und ihre Auswirkungen. Anspruch ist die ganzheitliche Analyse und Aufbereitung von Kernfaktoren zur aktiven Gestaltung der Stadt von morgen. www.transforming-cities.de Das sind unsere Themen 2024: 1 Kommunale Wärmewende 2 Offene und sichere Städte 3 Prinzip Schwammstadt 4 Transformation urbaner Mobilität Call for Papers 2024 Wir freuen uns über Ihre Beitragsvorschläge. Anzeige 12 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0025 Mission NullEmission-- Ein Programm zur Dekarbonisierung von Produktionsstandorten und der Weg zur Kreislaufwirtschaft und der Steuerung durch ein PMO Wolfgang Glitscher Für eilige Leser | Die Dekarbonisierung und die Umstellung der Produktion auf zirkulare Prozesse und die Verwendung nachhaltiger Rohstoffe liegt in der Hand der strategischen Entscheider von Organisationen, diese Transformation zu wollen. Die dafür notwendigen Konzeptionen und organisatorischen Maßnahmen sind in den nachfolgenden Schritten einzurichten. Die notwendigen Voraussetzungen, strategisches und operatives Management und damit auch das Projektmanagement betreffend, werden eingangs diskutiert und an Beispielen verdeutlicht. Anschließend wird am Beispiel eines internationalen Konzerns mit weltweit über einhundert Produktionsstandorten dargestellt, wie diese Transformationsprozess über ein Programm und ein Projektmanagement-Office (PMO) über einen Zeitraum größer als zehn Jahre gesteuert wird. Der Prozess dafür ist vollständig digitalisiert, um das notwendige Monitoring und Controlling zu gewährleisten. Schlagwörter | Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft, Beiträge des Projektmanagements, Organisationsstrategie als Zündfunke, Einsatz eines PMO zur Steuerung am Beispiel eines globalen Players, Einsatz spezifischer digitaler Werkzeuge, Eine Welt-- unsere Verantwortung Dekarbonisierung? Kreislaufwirtschaft? „Das haben wir noch nie so gemacht! “ Produktionsprozesse zu dekarbonisieren und für eine Kreislaufwirtschaft zu gestalten, ist eine Herausforderung für das strategische und operative Management. Projekte werden weiterhin mit den bekannten Abgrenzungen zwischen den strategischen Entscheidern und den Akteuren der operativen Realisierung umgesetzt. Projektmanager liefern auf Kommando Projektergebnisse in geschlossene Strukturen. Sie verstehen sich nicht als die Gestalter der Zukunft. Silodenken und deren Kommunikationsprobleme zwischen dem strategischen und operativen Management besteht weiterhin. Befragungen von Projektmanagern und eigene Erfahrungen hierzu bestätigten dies (1,2). Ein Verlassen des take-make-waste (3) des gegenwärtig in den Produktionsprozessen vorherrschenden linearen Denkens, um Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen, konfrontiert das strategische und das operative Management mit den Fragen zur Ressourcenschonung, eines angepassten Prozess- und Produktdesigns, den dafür notwendigen Produktionstechnologien und der Rückführung genutzter Produkte und ihrer Komponenten als auch die ökonomischen und psychosoziale Fragen der Arbeits- und Unternehmensorganisation. Die Situation ist nicht nur kompliziert, sondern hochgradig komplex. (4,5) Im Jahre 2023 waren weltweit lediglich für 7,2 % aller Wirtschaftssubjekte zirkulare Prozesse nachweisbar. (6) Dabei ist die produzierende Industrie weltweit abhängig von Logistikketten, fossilen Energieträgern und seltenen Rohstoffen. (7) Wissen | Mission NullEmission-- Ein Programm zur Dekarbonisierung 13 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0025 Für die produzierende Industrie bedeutet dies außer der Dekarbonisierung der Produktionsabläufe eine Kreislaufführung von Werk- und Wertstoffen, des Recyclings bzw. der Vermeidung von Abfällen. Greenwashing ist der einfache Weg. Unternehmen suchen nach Kompensationsmöglichkeiten , wie z. B. durch Förderung von Wiederaufforstungsprojekten. Die bestehenden Prozesse für die Produktion und Serviceleistungen werden, wenn dann nur zögerlich geändert in Richtung Kreislaufführung. Verordnungen und Regularien sind nicht unbedingt hier unterstützend. Gesetzgeber versuchen, durch neue oder erweiterte Verordnungen und Vorschriften Unternehmen zu zwingen, u. a. in Richtung Biodiversität tätig zu werden. Mit Verordnungen wie z. B. dem EU Nature Restoration Law wird versucht, den Verlust von Biodiversität und Erhalt von Ökosystemen zu beherrschen. (8) Schöne Grafiken mit erhoffter Wirkung zirkulieren aber keine zirkulären Produkte. Wirtschaftsprüfer erhalten neue Umsatzmöglichkeiten, der bürokratischen Aufwand erhöht sich für die Betroffenen. Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen für die erhofften Wirkungen auf die Ökosysteme und die Rohstoffverfügbarkeit und Dekarbonisierung ist fraglich. Man folgt weiterhin der bewährten aber nicht mehr zielführenden Methode der Beherrschbarkeitsideologie. Ein Denken, dass die Ewigkeitslasten der menschlichen Handlungen einbezieht und ein Denken in Kreisläufen beinhaltet, ist nicht wirklich sichtbar. (9) Diese Denk- und Handlungsweisen finden sich in den methodischen Diskussionen um nachhaltiges Projektmanagement wieder, wie im methodischen Ansatz des Green Project Managements . Das Greenwashing von Verhaltensweisen und Methoden dieser Berufsgruppe soll eine Handlungsanleitung zur Nachhaltigkeit liefern. Deren tatsächliche Wirksamkeit für Dekarbonisierung und Zirkularität, abgeleitet mit den Schlagworten People-Planet-Profit, darf infrage gestellt werden. Der Ausschluss der strategischen Entscheider und deren Entscheidungen dieser methodischen Ansätze für ein sogenanntes nachhaltiges Projektmanagement ist kontraproduktiv. Die Kommunikation, WARUM dieses Projekt jetzt und wie durchgeführt werden soll und was es liefert, und wie Nachhaltigkeitsaspekte zu berücksichtigen sind, wird nicht oder nur rudimentär berücksichtigt. (10, 11) Ebenso wie die die Fähigkeit von Projektverantwortlichen mit tiefgehender langjähriger Erfahrung, die in der Lage sind, über ein Projektende und der damit verbundenen Auslieferung des Ergebnisses hinauszudenken, nicht betrachtet wird. Eine Welt-- Unsere Verantwortung Die Schlagworte People-- Planet-Profit weisen auf das Dilemma hin: Wie kann eine Integrierung dieser drei Faktoren für den Erhalt der menschlichen Spezies erreicht werden? Acht Milliarden Menschen sind die Herausforderung für alle. Strategisches und operatives Management müssen ihre Verantwortungsbereiche erweitern. Dies lässt sich in vier Worte fassen: Eine Welt -unsere Verantwortung. Eine kurzbis mittelfristige Zielsetzung und das reine Liefern von Ergebnissen in geschlossene Strukturen verbleibt im linearen Prozess des take-make-waste . Dekarbonisierung und Fertigungsprozesse in Kreisläufe zu überführen, benötigt einen Paradigmenwechsel mit einem langfristigen strategischen Denken in enger und fortwährender Kooperation mit der operativen Realisierung: Warum ist was wie bis wann erreichbar? Welche Randbedingungen müssen hierfür geschaffen werden? Welche Fähigkeiten sind notwendig und wie sind diese erreichbar? - - um nur auf einige zu beantwortenden Fragen in dieser Richtung hinzuweisen. Die Lage ist komplex. Vom deutschen Fotografen Hans Hansen gibt es ein Foto, auf dem eines der ersten Modelle des VW-Golf in seine damals 7.000 Komponenten zerlegt, abgebildet ist. Die Zahl der Komponenten für diese und Fahrzeugmodelle anderer Hersteller ist inzwischen auf ca. 30.000 angewachsen. (12) Unter Gesichtspunkten des Remanufacturing und der Hinwendung zur Kreislaufwirtschaft bedeutet dies, alle Komponenten dieses Modells unter neuen und anderen Gesichtspunkten des Designs, der Fertigung, des Vertriebs und einer Re-Organisation im Unternehmen selbst zu betrachten. Alle menschlichen Produktions-, Sozialisations-, Kommunikations- und Verteilungssysteme unterliegen Regelwerken und einer hierarchisch kontrollierten Vorgehensweise innerhalb der Organisationen. Nach den ESG-Kriterien ist die ökologische, die soziale und die ökonomische Nachhaltigkeit in diese Prozesse einzubeziehen. Die ökonomische Nachhaltigkeit sichert die notwendigen Investitionsmittel, um die notwendige Transformation in Richtung Circular Economy zu gewährleisten. Nur diese Anpassungsleistungen ermöglichen der wachsenden Weltbevölkerung das Überleben. Die Kom- Abbildung 1: eines der ersten Modelle des VW-Golf in seine Komponenten zerlegt (Hans Hansen, Fotograf) Wissen | Mission NullEmission-- Ein Programm zur Dekarbonisierung 14 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0025 plexität dieser Aufgaben erfordert eine schrittweise Vorgehensweise. Die nachstehende Abbildung 2 zeigt einen möglichen Ansatz für die dafür notwendigen Vorgehensweisen für eine Circular Economy wie er bereits in Forschung und Entwicklung diskutiert wird. Davon betroffen sind Produktions-, Sozialisations-, Kommunikations- und Verteilungsprozesse. Die bisherigen Managementmethoden bilden dies nicht ausreichend ab- - ein Paradigmenwechsel- - oder besser deren Erweiterung-- ist notwendig. Die R-Strategien-- von Refuse bis Recover-- benötigen diese erweiterten Managementsysteme sowohl aus der strategischen als auch der operativen Position heraus. Über mehrere Produktlebenszyklen kann ein Produkt, bzw. seine Komponenten verschiedene Zustände aufweisen. Eine Life-Cycle-Sustainability für ein Produkt, wie in der Abbildung dargestellt, wird dann möglich, wenn über diese Zustände hinweg Nachhaltigkeitskriterien erreicht werden. Von den strategischen Entscheidern sind unternehmensphilosophische Grundsätze zu formulieren und überzeugend zu kommunizieren. Diese Verantwortung beinhaltet Grundsätze, die über das Weiterbestehen der Organisation im Wettbewerb und den damit verbundenen Stakeholdern hinausreichen: Eine Welt-- unsere Verantwortung. In die strategischen Entscheidungsprozesse ist das operative Management einzubeziehen. Dabei ist von folgenden Voraussetzungen auszugehen, die in den strategischen Entscheidungsfindungs- und Kommunikationsprozess zu integrieren sind: • Das Projektmanagement verfügt über umfangreiches operatives Wissen, wie und mit welchen Ressourcen und mit welchem Aufwand Umsetzungen bis wann möglich sind. • Innerhalb bereits realisierter Projekte existiert Wissen darüber, wie und wo Weiterentwicklungen der bisherigen Produktentwicklungen in Richtung zirkulärer Prozesse möglich sind. • Weiterhin ist davon auszugehen, dass das Projektmanagement über Wissen und Erfahrungen verfügt, mit komplexen Herausforderungen umzugehen und wie diese gelöst werden können. Dies impliziert für das Projektmanagement ein Verständnis dafür, sich als Designer der Zukunft zu verstehen und zu definieren. Organisationen, die bereits über Strukturen für das Programm-Management und darüber hinaus für das Projekt-Portfoliomanagement und die damit verbundenen organisatorischen Ressourcen und Erfahrungen verfügen, können einen solchen strategisch-operativen Prozess der Kooperation zwischen der Organisationsstrategie und der operativen Realisierung umsetzen. Um alle Nachhaltigkeitsziele in der vorgegebenen Zeitspanne erfolgreich zu realisieren, ist ein organisatorischer Wandel und nicht nur eine Reorganisation der Geschäftsprozesse erforderlich. Alle Geschäftsbereiche müssen die Nachhaltigkeit als eine der wichtigsten Säulen in ihre Ziele einbeziehen, und diese Ziele müssen mit den organisatorischen Zielen übereinstimmen. Betrachtet man die Nachhaltigkeit aus einem breiteren Blickwinkel, so handelt es sich im Wesentlichen um die Erweiterung der sozialen Verantwortung der Unternehmung selbst. Haben Unternehmen bisher einen Teil ihrer Gewinne für die soziale Verantwortung einbehalten, müssen sie jetzt auch die erforderlichen Mittel hier einbeziehen, um einen sinnvollen Beitrag für den Erhalt des Planeten für das menschliche Leben zu leisten: Reorganisation der gesamten Produktweiterentwicklung im Sinne von Dekarbonisierung und der Transformation in zirkuläre Prozesse. (13) Im nächsten Abschnitt wird am Beispiel eines internationalen Konzerns mit über einhundert Produktionsstandorten weltweit dargestellt, wie und auf welcher Basis die strategischen Entscheidungen für Mission NullEmission getroffen wurden und wie die operative Umsetzung mit Unterstützung durch ein PMO mit einem Portfolio-Prozess realisiert wird. Da es sich um ein sehr umfangreiches Programm handelt, kann hier nur ein Abriss dargestellt werden. Am Anfang steht die Strategie: Mission NullEmission Am Anfang stand die strategische Entscheidung des Managements: Dekarbonisierung aller weltweiten Produktionsstandorte bis zum Jahr 2040 und über dieses Primärziel hinaus sich damit auseinanderzusetzen, wie eine nachhaltige Produktstrategie möglich wird. Es ist unstrittig, dass damit der oben beschriebene Schritt zu einer Veränderung der gesamten Organisation notwendig ist. Weiterhin ist klar, dass die Umsetzung dieser ambitionierten und sicherlich mit zahlreichen Abbildung 2: Schmitt, R. H.; Bodenbrenner, M., Brings, H., Montavon, B.: Datenstrukturen für eine resiliente Life Cycle Sustainability; in: Empower Green Production, Fraunhofer IPT, 2023 Wissen | Mission NullEmission-- Ein Programm zur Dekarbonisierung 15 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0025 Risiken behafteten Ziele, eine Organisationseinheit zur Steuerung und Kontrolle über einen Zeitrahmen größer als zehn Jahre, notwendig macht. Es fand zunächst eine Orientierung zur Gestaltung der nächsten Schritte an den drei Gruppen Technologien, ökonomische und soziale Anpassungen sowie Governance, Institutionen und Verpflichtungen statt. (14) Diese wurden als Herausforderungen gesehen und es war deutlich, dass die Umsetzung der Strategie Mission NullEmission einen langen Atem benötigt (siehe Tabelle 1). Auf dieser Basis wurden die fünf Ebenen entworfen, die für eine Umsetzung mit den notwendigen Maßnahmen und der organisatorisch-personellen Ausgestaltung notwendig sind (Tabelle 2). Mission NullEmission wurde von Anfang an als ein umfangreiches Programm geplant. Alle weltweiten Produktionsstandorte wurden aufgefordert, Projektverantwortliche zu benennen, die für die lokale Umsetzung verantwortlich sind. Das Projektmanagement selbst wurde vom Kommunikationsprozess als Top-down-Flow und Bottom-up-Aggregation eingerichtet: Die jeweils Projektverantwortlichen der Produktionsstandorte hatten weitgehende Entscheidungsfreiheit, wie die notwendige Realisierung zunächst für die Dekarbonisierung des jeweiligen Standortes unter Berücksichtigung der jeweiligen gesetzlichen und kulturellen Randbedingungen vorgenommen werden muss. Die standortspezifischen Projektverantwortlichen sind damit befähigt, selbst die notwendigen Entscheidungen zur Zielerreichung zu treffen. Das Reporting erfolgt Bottom-up in Richtung PMO, entsprechende Gremien und dem Top-Management. Das Netto-Null-Ziel wird von der Unternehmensleitung festgelegt, und es wird erwartet, dass die Standorte dieses Ziel kumulativ erreichen. Die Anforderungen und Geschäftsziele fließen also von den Interessengruppen des Unternehmens zu den Programmverantwortlichen, von dort zu den Länderverantwortlichen, von dort zu den Geschäftsverantwortlichen und schließlich zu den Projektmanagern. In Abbildung 3 ist dies als Übersicht dargestellt. PMO als zentrale Steuerungseinheit Für die Steuerung dieses anspruchsvollen Programms und das Monitoring und Controlling wurde ein PMO in Deutschland gegründet. Jeder Produktionsstandort ist als unterste Basisebene definiert und das Management ist die höchste Ebene. Es existieren auch Strukturen als Geschäftseinheiten, die mehrere Produktionsstandorte umfassen. Das PMO hat nun die anspruchsvolle Aufgabe, die Kommunikation der Aggregationsstrategie mit Rückkopplungen und Synergien zwischen den Standorten, den Geschäftseinheiten und allen Verantwortlichen zu steuern. Das Programm Mission NullEmission wurde für den Zeitrahmen bis 2040 in drei Phasen unterteilt. Diese sollen für jeden Standort einen zeitlichen Orientierungsrahmen liefern, in dem die jeweils einzelnen Projekte initiiert, geplant, realisiert und wenn möglich abgeschlossen werden sollen. Die Phase 1 wurde für die ersten zwei Jahre definiert. Der Erfüllungsgrad für diese Phase wurde mit 95 % angesetzt. Inhaltlich geht es in dieser Phase um die Initialisierung und Planung für alle Produktionsstandorte hinsichtlich aller in ei- Tabelle 2: Die fünf Ebenen, die für eine Umsetzung Mission NullEmission notwendig sind Tabelle 1: Herausforderungen auf dem Weg zu NetZero (Mekala 2021) Wissen | Mission NullEmission-- Ein Programm zur Dekarbonisierung 16 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0025 ner Projektcharta und die nachfolgende detaillierte Planung notwendigen Dokumentationen als Grundlage für die nachfolgenden Realisierungen in der Phase 2- - für fünf Jahre geplant- - und Phase 3, die auf sieben Jahre angesetzt ist. Die Phase 2 lässt dabei ausreichend Spielraum für Änderungen hinsichtlich des Inhalts- und Kostenrahmens für das jeweilige Projekt und die Phase 3 ist als eine Art Platzhalter definiert, in der neue, innovative Ideen willkommen sind und deren Umsetzungsmöglichkeit in Erwägung gezogen werden kann. Neben der Unterstützung der Standorte für die jeweilige oben beschriebenen Phasen kommuniziert das PMO fortlaufend mit den jeweiligen Produktionsstandortverantwortlichen alle Spezifikationen und Besonderheiten, die für jeden Standort für die Realisierung notwendigen Maßnahmen bzw. Beschaffungen. Diese sind in einer Übersicht in Tabelle 3 dargestellt. PMO für Mission NullEmission : Steuerung, Monitoring und Controlling voll digitalisiert Für das hier beschriebene Beispiel eines Unternehmens mit mehr als einhundert weltweiten Produktionsstandorten, ist die Programmsteuerung sowie das Monitoring und Controlling ohne den Einsatz strukturierter spezifischer digitaler Tools nicht möglich. Das Unternehmen nutzt hierfür einen umfangreichen Pool digitaler Werkzeuge und Visualisierungs-Dashboards. Das gesamte digitale System basiert auf den Ressourcen von Microsofttechnologien und nutzt SharePoint und mit diesen verfügbaren Applikationen. Alle Top-down-Strategien sind nur Mittel zum Zweck, um das Netto-Null-Ziel zu erreichen, aber die wirklichen Auswirkungen und die Bedeutung müssen auf der Basisebene liegen- - am Produktionsstandort. Bei diesem Ansatz ist es schwierig, den tatsächlichen Fortschritt zu verfolgen, wenn mehrere Informationsströme von den verschiedenen Standorten in unterschiedlichen Standards vorliegen. Die Standardisierung der Datenerfassung und die Aggregation von Daten auf verschiedenen Ebenen ist hier der beste Ansatz, um Fortschritte zu verfolgen. Die Granularität ermöglicht auch die Aggregation der Daten nach Geschäftseinheit, Land, Region oder Unternehmen und, falls erforderlich, eine Mischung aus verschiedenen Standorten. Und die Aggregation aller Standorte liefert die Gesamtkennzahlen des Unternehmens. Für den Top-down-Ansatz wird ein datenbankgestütztes Wissensmanagement eingesetzt und über das PMO gesteuert. Die erhaltenen Daten werden allen relevanten Programmbeteiligten zur Verfügung gestellt. Dazu gehört die Kommunikation der Unternehmensziele, der aktuell verfügbaren Technologien und deren Leistungsparameter sowie deren Vor- und Nachteile, der Rollen und Zuständigkeiten, der geschätzten Kapital- und Betriebskosten, der verfügbaren Anbieter der Technologien bzw. der ggf. notwendigen F&E usw. Alle diese Informationen werden digital bereitgestellt mit einem robusten Zugriffsverwaltungssystem. SharePoint ist mit PowerBI verknüpft, einem Berichts-, Datenanalyse- und Visualisierungstool, um die Nutzung der Daten zu erleichtern. Das Programm-Management-Team pflegt die digitale Wis- Abbildung 3: Top-down-Flow und Bottom-up-Aggregation für die Realisierung Mission NullEmission Tabelle 3: Übersicht über die Unterstützungsleistungen des PMO Wissen | Mission NullEmission-- Ein Programm zur Dekarbonisierung 17 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0025 sensdatenbank. Es ist unerlässlich, alle Daten aktuell, genau, vollständig und zuverlässig zu erfassen und zu halten. Das System ermöglicht Kollaborationen, in denen jeder, der über relevante Daten verfügt, diese mit anderen teilen kann, um diese in einem Peer-Review-Prozess auf Qualität und Korrektheit für das gesamte Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Produktionsstandorte, die für die Realisierung eine Technologie einsetzen wollen, die noch nie auf Unternehmensebene eingesetzt wurde, müssen sich als Leuchtturmprojekte für diese Technologie verstehen und ihr gewonnenes Wissen und Erfahrung zur Verfügung stellen. Da diese Standorte mit den neuen Technologien ein höheres Risiko eingehen, müssen diese sowohl in technischer als auch wirtschaftlicher Hinsicht umfassend dokumentiert werden. Die so gewonnenen Erkenntnisse werden genutzt, um daraus ggf. Lösungen weiterzuentwickeln. Digital gesteuertes Nachhaltigkeitsmanagement Abschließend erfolgt noch ein Überblick, wie das Management für das Programm Mission NullEmission entworfen und eingesetzt wird. Der Top-down-Fluss, die Bottom-up-Aggregation und das Monitoring und Controlling für die Umsetzung und die erreichten Zwischenstadien kann für ein Programm dieser Größenordnung nur mit der Unterstützung digitaler Werkzeuge wie oben beschrieben durchgeführt werden. Dafür wurden programmspezifische Dashboards und Steuerungsinstrumente individuell entwickelt. Diese sind in Tabelle 4 in einer Übersicht dargestellt. Es sollte deutlich geworden sein, dass für alle Aspekte, die die ESG-Kriterien und deren Umsetzung innerhalb von Organisationen, primär die strategische Entscheidung des Managements steht. Nachfolgend ist die Umsetzungsplanung mit allen dafür erforderlichen Spezifikationen zu entwerfen und die dafür organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen. Das operative Management in Form des Projektmanagements ist hier für den Erfolg der Realisierung entscheidend. Vor allem ist es erforderlich, dass seitens des Projektmanagements und deren Ausführenden alle Teilprojekte dieses umfangreichen und ehrgeizigen Programms auf einen Zeitraum größer als zehn Jahre verstanden werden müssen. Damit wird jeder einzelne Projektverantwortliche zum Gestalter der Zukunft für seinen jeweiligen Standort. Das eingerichtete PMO als zentrale Steuerungseinheit ist hier die Spinne im Netz für die Kooperation, Kommunikation sowie das Monitoring und Controlling der Umsetzung. Parallel zu diesem Dekarbonisierungsprogramm werden Maßnahmen angegangen, wie die gesamte Produktpalette des Unternehmens in Richtung Nachhaltigkeit weiterentwickelt werden kann. Die Zukunft ist gestaltbar. Die Unternehmenslenker müssen den Mut dafür aufbringen. Eine Welt-- unsere Verantwortung. Literatur [1] Glitscher, W.: Den Superkunden verstehen! Next7G Project Management-- Nachhaltiges Projektmanagement für die nächsten sieben Generationen; Projektmanagement Aktuell, 34. Jahrgang, 03 / 2023 [2] Friedrich, K.: Behavioral barriers to act sustainably; 2023, in print, Universität Erlangen [3] Zirkulare Geschäftsmodelle: Barrieren überwinden, Potenziale freisetzen; Circular Economy Initiative Deutschland, acatech, 2021 [4] Sharma, M.; Dixit, Y.; Glitscher, W.: Re-Thinking Project Management-- A sustainable approach put up for discussion; 27th International Congress on Project Management and Engineering, IPMA, San Sebastian, July 2023 https: / / doi.org / 10.31219 / osf.io / hmqea [5] Glitscher, W.: Re-Thinking Project Management for Circular Economy; IPMA Global Project Profession Forum, Sevilla, September 2023 [6] www.circularity-gap.world / 2023 [7] Empower Green Production, Tagungsband Fraunhofer- IPT, 2023 [8] McClellan, A.: Regulatory Requirements; PwC, ESMT Sustainable Business Roudtable, Berlin, Mai 2023 [9] Glitscher, W.: https: / / www.gpm-blog.de / denken-in-ewigkeitslasten-eine-vision-fuer-das-projektmanagement-derzukunft/ November 2021 [10] Schoper, Y.: Nachhaltiges Projektmanagement-- Ressourcenschonung in Projekten; Projektmanagement Aktuell, 3 / 2018 [11] Persönliche Kommunikation mit Prof. Dr. Frank Habermann, Berlin, Hochschule f. Wirtschaft und Recht, 2024. Siehe auch: Vergiss den Auftraggeber- - nur Eigentum verpflichtet, Kundenorientierung neu gedacht, PM-Forum 2019 Abbildung 4: Tabellarische Übersicht über die digitalen Steuerungsinstrumente Wissen | Mission NullEmission-- Ein Programm zur Dekarbonisierung 18 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0025 Dr. Wolfgang Glitscher Dr.rer.nat. Wolfgang Glitscher, Dipl.- Biochemiker und Chemie-Ingenieur, zehn Jahre Erfahrung in F&E (TU Berlin), anschließend zehn Jahre bei Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft tätig, dabei u. a. Programmdirektor der Telematikplattform für medizinische Forschungsverbünde der Gesundheitsforschung. Langjährige Erfahrung im Consulting für Projektmanagement in einer mittelständischen Beratungsgesellschaft. Seit 2005 Dozent für Projektmanagement an der Technischen Universität Berlin im internationalen Masterstudiengang Global Production Engineering. Delegierter der GPM (Region Berlin), Mitglied der FG PM an Hochschulen und der SIG ESG der IPMA. w.glitscher@campus.tu-berlin.de [12] Manoury, M.; Bassam, H.: Module Based Solution Engineering, Fraunhofer-IPK, Berlin 2023 [13] Mahaligam, A. B.: Developing a Digital Ecosystem to Monitor Greenhouse Gas (GHG) Reduction Strategy for Manufacturing Plants to Reach Net Zero Emissions; Technische Universität Berlin, 2023 [14] Mekala, K. et.al.: Solving the net-zero equation: Nine requirements for a more orderly transition; McKinsey & Co (2021) https: / / www.mckinsey.com / capabilities / sustainability / ourinsights / solving-the-net-zero-equation-ninerequirements-for-a-more-orderly-transition Eingangsabbildung: ©iStock.com / Khanchit Khirisutchalual Die rasante Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI) hat die Art und Weise, wie wir arbeiten, leben und interagieren, grundlegend verändert. Auch im Bereich des Projektmanagements hat KI das Potenzial, grundlegende Änderungen herbeizuführen - eine Entwicklung, die in diesem Buch eingehend untersucht und bewertet wird. Es konzentriert sich auf zentrale Aspekte rund um die KI, die sich in vier Abschnittsüberschriften widerspiegeln: Problemstellungen und Chancen, Methodenunterstützung, Herausforderungen im Projektmanagement sowie Unterstützung von Projektfunktionen. Dieser Band ist damit nicht nur ein Leitfaden für KI im Projektmanagement, sondern auch eine Quelle der Inspiration und Reflexion über die sich verändernde Arbeitswelt, in der wir uns befinden. Die Herausgeber und Autor: innen bieten wertvolle Einblicke und Anregungen, die Chancen von KI zu nutzen und gleichzeitig die Herausforderungen zu meistern, die diese neue Ära mit sich bringt. Christian Bernert, Steffen Scheurer, Harald Wehnes (Hrsg.) KI in der Projektwirtschaft Was verändert sich durch KI im Projektmanagement? Projektmanagement neu denken 1. Auflage 2024, 349 Seiten €[D] 49,90 ISBN 978-3-381-11131-2 eISBN 978-3-381-11132-9 Buchtipp Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spra cherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwis senschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kultur wissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de Anzeige 19 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0026 Vorstellung eines erweiterten Konzepts zur Bewältigung moderner Herausforderungen Innovatives Projektmanagement: Wie aus dem magischen Dreieck ein Hexagon wird Christian B. Jung, Till Schreiber Für eilige Leser | Die Autoren stellen eine innovative Erweiterung des klassischen magischen Dreiecks um die Dimensionen Qualität und Nachhaltigkeit vor. Ohne die Übernahme dieser Dimensionen setzen Unternehmen ihre Zukunftsfähigkeit aufs Spiel. Schlagwörter | magisches Dreieck, Nachhaltigkeit, Transformation, Hexagon Ein Beratungshaus, dessen Kunden zu Marktführern aus fast allen Branchen gehören, erweitert das traditionelle Modell des magischen Dreiecks- - bestehend aus Kosten, Zeit und Umfang-- zu einem ganzheitlichen Sechseck. Diese Neuerung widmet zusätzlich der Dimension Qualität eine eigene Ecke. Die Qualität war bereits in der Vergangenheit indirekt die 4. versteckte Ecke des Dreiecks, jedoch gewinnt sie mit steigender Relevanz des Qualitätsmanagements an Wichtigkeit und ist im neuen Modell den anderen Dimensionen gleichgestellt. Zusätzlich werden Nachhaltigkeit und Transformation in den Standard des Projektmanagements integriert. Die gesonderte Betrachtung von Nachhaltigkeit wird dadurch begründet, dass lediglich ein nachhaltiger und ganzheitlicher Ansatz in dauerhafter, zukunftsorientierter, marktfähiger und in sich verträglicher Zielerreichung resultiert. Die Transformation findet Anklang, da nur die Berücksichtigung systemübergreifender und integrativer Strategien dazu führt, dass eine Organisation Wandlung und Aufbau von Resilienz erfährt. Die Erweiterung kommt nicht ohne eine dringliche Warnung: Unternehmen, die diese Elemente ignorieren, setzen ihre Zukunftsfähigkeit aufs Spiel. Dies untermauert auch eine kürzlich von Economist Impact veröffentlichte Studie: 85 % aller Führungskräfte befürchten, ihr Unternehmen sei nicht ausreichend anpassungsfähig [1]. Das magische Dreieck, lange Zeit das Fundament für Projektmanager weltweit, bietet eine robuste Grundlage zur Balancierung von grundlegenden Projektzielen. In der heutigen, von Komplexität geprägten Arbeitswelt erfordern Projekte aber einen umfassenderen Ansatz. Die stetigen Veränderungen bringen zahlreiche positive Effekte mit sich. Jedoch werden Qualität, Nachhaltigkeit und Transformation unverzichtbar, um diesem Wandel und den damit verbundenen Herausforderungen begegnen zu können. Das Hexagon bietet einen ganzheitlichen Rahmen, der über traditionelle Methoden hinausgeht und sicherstellt, dass Projekte nicht nur erfolgreich, sondern auch zukunftssicher und anpassungsfähig durchgeführt, abgeschlossen und deren Ergebnisse dauerhaft nutzbar in das Unternehmen integriert werden. Nachhaltigkeit ist nicht mehr nur ein Trendwort, sondern ein strategischer Imperativ, der in alle Projekte integriert werden muss. Dabei geht es nicht nur um Ökologie, sondern auch um soziale und ökonomische Aspekte, die langfristiges Wohlergehen und Stabilität gewährleisten. Transformation schließlich ist der Motor, der Unternehmen befähigt, proaktiv auf Veränderungen zu reagieren und diese zu ihrem Vorteil zu nutzen, sprich eine notwendige Resilienz aufzubauen. Die Relevanz des ganzheitlichen Ansatzes betont Torsten Graßmeier, Geschäftsführer eines auf Transformationsbegleitung und Projektmanagement spezialisierten Unternehmens: „Aus der Wirtschaftspolitik kennen wir das magische Sechseck bereits seit geraumer Zeit. Auch die Erweiterung um Qualität und Umwelt haben viele Organisationen schon auf dem Schirm. Besonders spannend empfinde ich aus der täglichen Praxis heraus die Verquickung von Projekt und den Wissen | Innovatives Projektmanagement 20 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0026 Faktor Transformation. Ich beobachte, dass dieses Thema im Augenblick viel mehr auf strategischer, bestenfalls struktureller Ebene adressiert wird. Ein Zusammenhang, wie eine unternehmensweite Transformation auf das Managen von Projekten einzahlt, findet bestenfalls im Programm- oder Portfoliomanagement statt. Mit dem Sechseck nun eine feste Zielgröße daraus zu formulieren, dürfte Transformationsvorhaben einen wichtigen Umsetzungsschub verleihen.“ Das traditionelle magische Dreieck wird durch Ergänzung um die Dimensionen Qualität, Nachhaltigkeit und Transformation zum Sechseck. Die Relevanz der ergänzten Dimensionen für das Projektmanagement wird durch Erfahrungen aus der Praxis verdeutlicht. So wird zunehmend beobachtet, dass statisches Vorgehen nur bedingt zum Erfolg führt und die herausfordernde Projektlandschaft Agilität und Flexibilität erfordert, um Ziele zufriedenstellend zu erreichen. Dafür arbeiten immer mehr Projektmanager nach dem agilen Ansatz, SCRUM usw. Jedoch federt dies die Agilität der Welt nach dem Projekt nicht ab. Ein Projektergebnis sinnvoll und dauerhaft nutzen zu können, bedarf der Beachtung von Nachhaltigkeit und Transformation vor, während und nach dem Projekt. Bildhaft lässt sich der Ansatz folgendermaßen erläutern: Früher baute man Häuser mit (ungefährer) Kosten- und Zeitvorgabe. Der Fokus lag hinsichtlich des Umfangs auf den aktuellen und absehbaren Bedürfnissen, Größen und Verwendungszwecken. Gewählte Materialien und Konstruktionsweisen sorgten für eine ortsübliche Standfestigkeit unter bekannten Witterungsbedingungen. Heute sind Gebäude lange vor dem ersten Spatenstich modular und multifunktional unter Berücksichtigung der Demografie (Barrierefreiheit, Flächenangebot) und der Herausforderung der Urbanität (Höhe, Nutzung, Dachgarten) zu konzeptionieren, die bereits in der Konzeption Umbauten, Erweiterungen, Umnutzungen und die gesamte zirkuläre Ressourcen-Ökonomie inkl. Demontage und Wiederverwendung an anderem Ort oder in einem anderen Neu-/ Umbau berücksichtigen, wobei sämtliche Daten über BIM (Building Information Modeling) digital mit sämtlichen Behörden und Dienstleistern ausgetauscht werden. Nicht nur öffentliche und industrielle Gebäude erfordern dabei den digitalen Zwilling zur Verwaltung und Instandhaltung, sondern auch intelligente (smarte) Steuersysteme zur flexiblen (Haussteuerung), komfortablen (Belüftungs-, Sicherheits- und Unterhaltungssysteme), effizienten (Heizungs-, Beleuchtungssteuerung) Nutzung. Zeit, Kosten, Projektumfang und Qualität haben weiterhin Relevanz. Die Beachtung von Zukünftigem, vermeintlich und tatsächlich Unvorhersehbarem sowie die Erreichung von Nachhaltigkeit und Transformationsfähigkeit befähigen erst einen zukunftsweisenden Bau. Das Hexagon stellt eine fortschrittliche Betrachtungsweise des Projektmanagements dar und markiert entscheidende Stellschrauben für den Projekterfolg in einer immer komplexeren Welt. Zwar konnten schon immer Projektparameter in der ‚Qualität‘ oder dem ‚Umfang‘ definiert werden, durch die Erweiterung des 70 Jahre alten Dreiecks kommt jedoch kein Stakeholder um das Hexagon und die zentralen Themen der Nachhaltigkeit und Transformation- - und deren Beachtung- - vorbei. Dies ist maßgeblich, möchte man heute die wichtigsten Projektziele im Auge behalten und ein erfolgreiches Projekt absolvieren. LIteratur [1] https: / / info.planview.com / rs / 456-QCH-520 / images / Advancing-Strategy-XB342A4DE.pdf? version=0 [Stand: 08. 04. 2024]. Eingangsabbildung: © Shutter2U-- stock.adobe.com Till Schreiber Till Schreiber ist Multi-Projektmanager bei der it[colos]AG. In seiner Funktion leitet er internationale Projekte im IT- und Logistikbereich. Internet: www.itcolos.com Die it[colos]AG erweitert das traditionelle magische Dreieck um die Dimensionen Qualität , Nachhaltigkeit und Transformation zum Sechseck. (Bild: it[colos]AG) Quelle der Abbildung: https: / / itcolos.com/ Prof. Dr. Christian B. Jung Prof. Christian Jung ist CEO der it[colos] AG, die international Auditierungen, Safe-Guardings und Rettungsaktionen bei kritischen IT- und Logistik-Projekten durchführt. Er ist Honorar- und Gast-Professor für Digitale Transformation an mittel- und osteuropäischen Hochschulen. CEO, it[colos]AG; eMail: office@itcolos.com repräsentative Studie zum Anteil der Projektarbeit in Deutschland 2023 uvk.de 22 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0027 „ Sich verstehen “ ist eine wesentliche Voraussetzung für die Steigerung der Projekterfolge, die Entschärfung des Fachkräftemangels und den Einsatz von KI Ganzheitliches, neues Verständnis im Projekt Hännes Gnädinger, Wolfgang Glitscher Für eilige Leser | Die GPM-Studie Projektifizierung 2.0 zeigt die Entwicklung des Projekterfolgsindex von 2013 bis 2022. Es wurde erwartet, dass die professionellen PM-Prozesse und die exzellenten Technologien / Tools, die Zusammenarbeit vereinfachen, was den Fachkräftemangel entschärft und den Projekterfolgsindex steigert! Das Gegenteil ist eingetreten. Der Projekterfolgsindex ist rückläufig und der Koordinationsaufwand hat zugenommen, was den Fachkräftemangel in den Projekten verschärft hat. Was ist falsch gelaufen? Es wurde missachtet, dass der Einsatz neuer Technologien / Tools in den Fachgebieten „ Sich verstehen “ voraussetzt. „ Sich verstehen “ braucht ein ganzheitliches Verständnis im Projekt, damit die Fachexperten des Auftraggebers mit den Fachexperten der Auftragnehmer reibungslos zusammenarbeiten und die Tools Daten nahtlos austauschen. Schlagwörter | Fachkräftemangel, Projektmanagement, PMO, PPM, Tools, PM-Prozess, Zusammenarbeit, Projektsprache, Produktsprache, KPI 1. Alarmglocke Projekterfolge Technologie verändert jedes Unternehmen, oft radikal, und das Tempo des Wandels wird immer schneller. Aber, die digitale und KI-Transformation muss mit dem Problem beginnen, nicht mit der Technologie (McKinsey & Company). Das heisst, das Problem „Sich nicht verstehen“ muss vor dem Einsatz neuer Technologien und vor dem Projektstart durch „Sich verstehen“ gelöst sein. 1.1 Rückläufiger Projekterfolgsindex Abb. 1: Die Studie der GPM (Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.) zeigt, wie sich der Projekterfolgsindex in den letzten 10 Jahren entwickelt hat. Ins Auge sticht, die Zunahme der Zufriedenheit der Stakeholder in ihren Fachgebieten und der Rückgang der Zeit- und Kosteneinhaltung, sowie der Ergebnisse / Qualität. Die Studie zeigt auch, dass die Fachgebiete, wie PMO, welche für „Sich verstehen“ verantwortlich sind, in vielen Unternehmen gestrichen wurden. Die Zunahme der Zufriedenheit der Stakeholder weist darauf hin, dass sich die Fachgebiete mit neuen Technologien / Tools zu ihrer Zufriedenheit ausgerüstet haben. Das Lösen des Problems „Sich nicht verstehen“, was für die Projekt- Performance und damit für die Zufriedenheit der Shareholders und Kunden essenziell ist, wurde jedoch vernachlässigt. Fazit: Bevor neue Technologien / Tools in den Fachgebieten eingeführt werden, muss die Ursache des Problems „Sich nicht verstehen“ erkannt und das Problem gelöst werden. 1.2 Steigerung Projekterfolgsindex Abb. 2: Die Steigerung des Projekterfolgsindex braucht als Erstes die Lösung für „Sich verstehen“ in der Kundenlösung, sowie ein ganzheitliches Verständnis im Projekt. Als Zweites den gezielten Einsatz der Technologien / Tools in den Wissen | Ganzheitliches, neues Verständnis im Projekt 23 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0027 Fachgebieten. Beide Schritte sind Voraussetzung, um sowohl die Zeit- und Kosteneinhaltung, sowie die Qualität der Ergebnisse zu steigern. „ Sich verstehen “ im Projekt braucht eine gemeinsame Produktsprache (Strukturierung / Kodierung) im Lebenszyklus der Kundenlösung als Fundament in den Projekten und im Betrieb. Und es braucht eine gemeinsame Projektsprache (Scope- und Kosten-Strukturierung / Kodierung) zur Planung, Beauftragung und Steuerung der Leistungen und Lieferungen, sowie die Abstimmung zwischen den zwei Sprachen. Die gemeinsamen Sprachen sind die Voraussetzung, dass sich die Fachgebiete des Auftraggebers mit den Fachgebieten der Auftragnehmer verstehen und sich ein ganzheitliches Verständnis im Projekt bildet. Fazit: Wir müssen wieder lernen, die Stakeholder- Zufriedenheit in Projekterfolge umzusetzen! Tabelle 1: Wir lernen durch die Zielsetzung, das Problem „ Sich nicht verstehen “ durch die Lösung „ Sich verstehen “ zu eliminieren. Dazu müssen wir die Ursache des Problems erkennen. Problem, Ursache und Lösung ist der Fokus in den nachfolgenden Kapiteln. Nachhaltige Kundenlösungen, Entschärfung Fachkräftemangel, Einsatz neuer Technologien / Tools, reibungslose Zusammenarbeit, proaktive Planung, agile Steuerung, etc. sie alle brauchen „ Sich verstehen “ ! 2. Nachhaltige Kundenlösung Abb. 3: Im Lebenszyklus einer Kundenlösung wechseln sich Projekte und Betrieb bis zum Rückbau ab. Die Herausforderung ist, die Ursache des Problems „ Sich nicht verstehen “ zu erkennen, um die Lösung „ Sich verstehen “ zu finden. 2.1 Projekte im Lebenszyklus einer Kundenlösung Effektivität und Effizienz in den Projekten und im Betrieb der nachhaltigen Kundenlösung verlangen eine gemeinsame Produktsprache in der Plattform des digitalen Zwillings. Diese stellt das Konfigurieren und Aktualisieren der Dokumente und Daten im Lebenszyklus sicher. Die Projekte verlangen zusätzlich die Projektsprache WBS 4.0. Diese organisiert die Planung, Beauftragung und Steuerung des Liefer- und Leistung- Umfanges in Beziehung zu den Terminen und den Kosten. Die gemeinsamen, abgestimmten und projektübergreifenden Sprachen stellen nicht nur die Wiederverwendung der Daten und Dokumente in den Projekten sicher, sondern auch zwischen Projekten verschiedener Kundenlösungen. Die zwei Sprachen entlasten die Fachexperten signifikant und sind auch die Voraussetzung für die digitale und KI-Transformation. Schon beim Aufsetzen des ersten Projektes ist „ Sich verstehen “ entscheidend, um den Fachkräftemangel in den Projekten und im Betrieb zu entschärfen. Oft gilt der Fachkräf- Abbildung 1: Entwicklung des Projekterfolgsindex von 2013 bis 2022 (Quelle nach GPM Studie Projektifizierung 2.0) Abbildung 2: Ursache erkennen; Quelle: Fakten und Zahlen: GPM Studie Projektifizierung 2.0 Wissen | Ganzheitliches, neues Verständnis im Projekt 24 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0027 temangel fälschlicherweise als Ursache für den rückläufigen Projekterfolgsindex. Fachkräftemangel im Projekt ist jedoch die Folge des Problems „ Sich nicht verstehen “ . Aber was ist die Ursache für das Problem „ Sich nicht verstehen “ ? 2.2 Ursache des Problems „Sich nicht verstehen“ Unterschiedliche Strukturierungen und Kodierungen der Leistungen und Lieferungen in den Projekten sind die Ursache des Problems „Sich nicht verstehen“. Aber unterschiedliche Strukturierungen und Kodierungen braucht es, weil in Abb. 4 das Projekt Office den Projekt-Scope abwicklungsorientiert rückwärts von der Montage-Phase zur Design-Phase zur effektiven und effizienten Abwicklung strukturieren und kodieren muss. das Engineering Office die Kundenlösung in der Plattform funktionsorientiert vorwärts für den Betrieb / Unterhalt strukturieren und kodieren muss. die Partner-/ Supplier Offices ihre Lösungen zur Standardisierung kundenunabhängig strukturieren und kodieren. Jedes Projekt braucht eine Produktsprache in der Kundenlösung und eine Projektsprache. Und jedes Projekt hat eine Vielzahl von unterschiedlich kodierten Lösungen der Auftragnehmer. Die Lösungen der Auftragnehmer, aus welchen die Kundenlösung entsteht, müssen in der gemeinsamen Plattform in der Produktsprache konsolidiert werden. Die Vielzahl von Lösungen, die die Auftragnehmer mit unterschiedlichen Kodierungen ins gemeinsame Projekt bringen, sind im Anlagenbau beispielhaft die Hauptfunktionen, Tabelle 1 Abbildung 3: Projekte im Lebenszyklus die Haustechnik, die Hilfs- / Nebensystem, die Logistik, die Baumaßnahmen und die Montage. Die Partner- und Supplier-Offices der externen Auftragnehmer sind nicht nur Teil der Kundenlösung, sondern auch Auftraggeber zu ihren Auftragnehmern. Ein Partner- und Supplier-Office hat somit sein eigenes Projekt-Team, seine eigenen Auftragnehmer, und seine Konsolidierung- und Review- Ebene. Deshalb ist es einleuchtend, dass die Auftragnehmer ihre kundenunabhängigen Strukturierungen und Kodierungen brauchen. 2.3 Lösung „Sich verstehen“ Abb. 5: Um sich zu verstehen, muss eine gemeinsame abwicklungsorientierte Projektsprache und eine gemeinsame funktionsorientierte Produktsprache vor dem Projektstart festgelegt werden. Beide müssen projektübergreifend definiert und aufeinander abgestimmt sein. Nur dadurch werden die Fachexperten entlastet, können sich auf das Wesentliche in ihren Fachgebieten fokussieren und reibungslos zusammenarbeiten. Und nur dadurch können ihre Tools nahtlos Informationen austauschen. Um „Sich verstehen“ operativ umzusetzen, wurde die Methode SSM 4.0 (SMART Scope Management) entwickelt. Sie stellt sicher, dass jedes Fachgebiet im Projekt-Team und jedes Fachgebiet bei den Auftragnehmern seine Aufgaben, in Beziehung zum Budget und den Terminen, beim Start der Projekt-Ausführung, kennt. Wissen | Ganzheitliches, neues Verständnis im Projekt 25 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0027 Der Kern der Methode SSM 4.0 sind die zwei, aufeinander abgestimmten Sprachen. Dabei basiert: • die Projektsprache auf dem WBS 4.0 Prinzip „Back to Front“, welches den Scope und die Kosten in den Projekt-Phasen zur Planung, Beauftragung und Steuerung aus der Sicht der Rückwärts-Terminplanung strukturiert und kodiert. • die Produktsprache auf internationalen Standards im Lebenszyklus der nachhaltigen Kundenlösung, von der Lösungsentwicklung bis zum Rückbau. Die Standards strukturieren und kodieren die Systeme, Produkte, Signale und Anordnung aus der Sicht der Funktion der Kundenlösung. Wie Abb. 5 zeigt, stellen die abgestimmten Projektsprache WBS 4.0 und die Produktsprache die reibungslose Zusammenarbeit in und zwischen den Arbeitsebenen „Projekt-Team“ und „Auftragnehmer“ sicher. Damit ist auch der nahtlose Informationsaustausch zwischen den Tools der Fachgebiete sichergestellt. Und es ist die Voraussetzung geschaffen, die Technologien einzusetzen, welche den Fachkräftemangel entschärften. Prinzipien der SSM 4.0 Methode: • Die Beziehung zwischen der Projektsprache WBS 4.0 und der Produktsprache wird sichergestellt. Dies, indem die terminierten und budgetierten Scope Positionen der WBS 4.0, welche die Kundenlösung bestimmen, in die Plattform der Produktsprache geladen werden, um die Objekte der Auftragnehmer Lösungen zuzuordnen. • Für die Konfiguration des Scope und die Konsolidierung der Kosten definiert die WBS 4.0 die Work Breakdown Structure und die Cost Breakdown Structure, sowie die Beziehung zueinander. • Für die Planung und Beauftragung der Auftragnehmer definiert die WBS 4.0 die Dokumentenmappen, welche in den Projekt-Phasen der Scope Positionen gefüllt werden müssen. • Die Verfolgung und Steuerung des Fortschritts erfolgt dann durch den Status der Dokumente in den Dokumentenmappen. • Die Review-Teams, bestehend aus Fachexperten des Projekt-Teams und der Auftragnehmer, sind „Bottom-up“ in der Lage, den Arbeitsfortschritt und die Qualität zu beurteilen. Und, sie sind „Top-Down“ in der Lage, die Performance Indikatoren mittels den akzeptierten / freigegebenen Schlüsseldokumenten in Bezug zu den Terminen und den budgetierten Kosten zu beurteilen. Fazit: SSM 4.0 ist die Grundlage für das ganzheitliche Verständnis im Projekt. Abbildung 4: Zusammenarbeit im Projekt Abbildung 5: Methode SSM 4.0 Wissen | Ganzheitliches, neues Verständnis im Projekt 26 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0027 3. Ganzheitliches Verständnis im Projekt Bruce Sterling: „Wir brauchen kein Out-of-the-Box-Denken-… Wir brauchen ein ganzheitliches, neues Verständnis der Box selbst-…“ Die Frage stellt sich, braucht es ein ganzheitliches, neues Verständnis oder braucht es einfach nur ein „back to basic“ Verständnis. Keine Frage ist, ob es ein Überdenken des heutigen Projektmanagements braucht. Dies fordert die Entwicklung des Projekterfolgsindex von 2013 bis 2022. 3.1 Projektmanagement überdenken Wie Abb. 6 zeigt, nimmt das ganzheitliche Verständnis die Fachgebiete des Projekt-Teams und der Auftragnehmer in die Pflicht. Die Grundlage dazu ist die Lösung „Sich verstehen“ in Kapitel 2.3. Das Projekt-Team plant, beauftragt und steuert in der Projektsprache und die Auftragnehmer konsolidieren ihre Lösungen in der Produktsprache in der gemeinsamen Plattform. Dadurch werden die gemeinsamen Beurteilungen der SPI und CPI fundiert und nachvollziehbar. Notwendige Zielkorrekturen werden gemeinsam festgelegt, von allen Beteiligten im Kontext verstanden und effizient, effektiv und agil ausgeführt. Als Resultat steigert sich nicht nur die „Stakeholder-Zufriedenheit“ weiter, sondern es wird sich auch die „Termin- und Kosteneinhaltung“, sowie die „Ergebnis / Qualität“ steigern und somit der „Index Projekterfolg“ in Abbildung 1. Das Statement der Fachexperten „Wir haben keine Zeit den Bagger zu holen, wir müssen schaufeln“ zählt nicht mehr. Der „Bagger“, als abgestimmte Sprachen, ist vor Projektstart einsatzbereit. Es wird nur noch dort geschaufelt, wo der „Bagger“ nicht hinkommt. Fokus Projekt-Team: Wenn Projektmanagement nur als Projekt-Team (Auftraggeber) verstanden wird, fehlt das ganzheitliche Verständnis. Es fehlt die gemeinsame Grundlage, welche die Beziehung der „Top-down“ Termin- und Kosten-Performance zum „Bottom-up“ Fortschritt sicherstellt. Fokus Ganzheitliches Verständnis: Dies bringt die „Projekt-Team Fachgebiete“ und die „Auftragnehmer Fachgebiete“ in einer gemeinsamen „Projekt-Box“ zusammen. Es etabliert sich ein ganzheitliches Verständnis im Projektmanagement, im welchem sich die Fachexperten mit dem Projekt identifizieren. In den Reviews verstehen sich die Fachexperten des Projekt-Teams mit den Fachexperten der Auftragnehmer in den abgestimmten Projekt- und Produktsprachen. Fazit: Das Projektmanagement muss neu gedacht werden. Abbildung 6: Projektmanagement überdenken Abbildung 7: Das PMO bestimmt die gemeinsamen Sprachen und Tools Wissen | Ganzheitliches, neues Verständnis im Projekt 27 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0027 Dr. Wolfgang Glitscher Dr. rer. nat. Wolfgang Glitscher, Dipl.- Biochemiker und Chemie-Ingeneur, zehn Jahre Erfahrung in F&E (TU Berlin), anschließend zehn Jahre bei Einrichtungen der Frauenhofer-Gesellschaft tätig, dabei u. a. Programmdirektor der Telematikplattform für medizinische Forschungsverbünde der Gesundheitsforschung. Langjährige Erfahrung im Consulting für Projektmanagement in einer mittelständischen Beratungsgesellschaft. Seit 2005 Dozent für Projektmanagement an der Technischen Universität Berlin im internationalen Masterstudiengang Global Production Engineering. Delegierter der GPM (Region Berlin), Mitglied der FG PM an H9ochschulen und der SIG ESG der IPMA. w.glitscher@campus.tu-berlin.de Johannes Gnädinger Johannes Gnädinger entwickelte eine Methodik für ein ganzheitliches Projektverständnis im Anlagenbau vor rund 30 Jahren in ABB. Heute berät und unterstützt er Unternehmen auf dem Weg zur Steigerung der Projekterfolge und bei Kostenreduktionsprogrammen. Das heißt, das Projektmanagement muss für die Zukunft konzipiert werden. Dies bedeutet, dass sich das Projektmanagement aus dem Projekt-Team und den Auftragnehmern zusammensetzt. Dabei muss das PMO und das Projekt-Team Wissen über die Auftragnehmer-Lösungen, Wissen über einsetzbare Technologien und Wissen über die Realisierung aneignen. Eine Hauptaufgabe im ganzheitlichen Verständnis im Projektmanagement ist, Lösungen zu designen und Projekte zu managen, welche als nachhaltige Kundenlösung von den nächsten sieben Generationen akzeptiert werden. So muss zum Beispiel bereits im ersten Projekt im Lebenszyklus der Kundenlösung überlegt werden, wie im letzten Projekt „Rückbau“ Recycling, Weiternutzung und sichere Entsorgung möglich sein wird. 3.2 Vorbereitung Projektstart Abb. 7: Das PMO (Projekt Management Office) legt vor dem Projektstart projektübergreifend die gemeinsamen Sprachen, sowie die gemeinsamen Tools fest. Die Sprachen sind dabei der Schlüssel zum nahtlosen Informationsaustausch zwischen den Tools und dadurch zur reibungslosen Zusammenarbeit der Fachexperten, sowie die Voraussetzung für den Einsatz neuer Technologien / Tools. Das PMO erfüllt damit die Voraussetzung, den Fachkräftemangel in den Projekten und im Betrieb zu entschärfen. Durch seine projektübergreifende Rolle setzt das PMO alle Projekt-Teams in die Lage, ihre Projekte in allen Projekt-Phasen proaktiv zu planen und agil zu steuern. Es setzt damit den Grundstein für eine nachhaltige Kundenlösung, die im Termin und Budget als physischer und digitaler Zwillinge an den Betrieb übergeben wird. In den gemeinsamen Sprachen verstehen sich das Projekt- Team, die Auftragnehmer, der Kunde und die KI beim Entwickeln der wirtschaftlichsten und von der Umwelt und Gesellschaft akzeptierten, nachhaltigen Lösung. Eingangsabbildung: © alphaspirit-- stock.adobe.com 28 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0028 Künstliche Intelligenz im Projektmanagement Neue Perspektiven für Projektleiter Frank Liebermann Für eilige Leser | Der Text analysiert die Auswirkungen von KI auf den Beruf des Projektleiters. Er betont, dass trotz automatisierter Prozesse durch KI, Projektleiter weiterhin essenziell bleiben, da sie personenbezogene und kontextbezogene Aufgaben übernehmen. Die Rolle des Projektleiters wandelt sich, wobei Soft Skills wie Kommunikation und Konfliktmanagement an Bedeutung gewinnen. Projektleiter müssen kritisch denken und KI-Kompetenz entwickeln, um die potenziellen Vorteile und Grenzen von KI zu verstehen. Die Zusammenarbeit zwischen Projektleitern und KI-Systemen eröffnet neue Möglichkeiten und erfordert gleichzeitig eine Anpassung der Arbeitsweise. Schlagwörter | Künstliche Intelligenz im Projektmanagement, Soft Skills, Technologischer Wandel, Projektleiterberuf, Herausforderungen im Projektmanagement, Zukunft der Arbeit 1. Einleitung Schon immer waren Menschen von Maschinen fasziniert, die intelligente Leistungen nachbildeten. Technologische Fortschritte in der Disziplin der Künstlichen Intelligenz (KI) und der Digitalisierung haben in den letzten Jahren zu Anwendungen geführt, die viele Tätigkeiten revolutionieren. Dadurch entstanden neue Berufe, alte verschwanden. Bei etlichen Aufgaben ist absehbar, dass durch die Unterstützung von KI weniger Arbeitskräfte notwendig sind. Betroffen sind Lektoren, Kreditprüfer, Übersetzer, Controller oder Programmierer, die spürbare Effizienzsteigerungen durch KI-Tools erleben. Arbeiten, wie sie Callcenteragenten, Datentypisten und Buchhalter ausführen, verschwinden unter Umständen vollständig [1]. KI wird den Beruf des Projektleiters nicht vor ihren Auswirkungen verschonen. Daher ist es sinnvoll zu prüfen, inwieweit KI Einfluss ausübt und was die Effekte in den nächsten Jahren sind. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob Projektleiter noch notwendig sind und falls ja, welche neuen Kompetenzen sie entwickeln müssen? KI und Projektmanagement Für den Begriff der KI gibt es zahlreiche Definitionen. Da der Fokus von diesem Text nicht auf der technologischen Perspektive liegt, sondern in der Anwendung von KI, ist es sinnvoll zu klären, wie eine nutzerorientierte Betrachtungsweise aussehen kann. Allgemein lässt sich KI als die Entwicklung von Systemen definieren, die Aufgaben ausführen, für die, wenn sie ein Mensch erledigen würde, Intelligenz notwendig wäre [2]. Hinzu kommt, dass eine KI Tätigkeiten erledigt oder sich an diese anpasst, für die sie nicht zwangsläufig trainiert wurde [3]. Die Anwendungsgebiete im Projektmanagement dafür sind vielfältig. Themen sind in den Bereichen Controlling, Reporting, Analysen und der Planung zu finden. Diese lassen sich automatisieren oder deren Erledigung wird beschleunigt. Gemäss Gartner entfallen bis zum Jahr 2023 rund 80 Prozent der heutigen Projektleiteraufgaben, da künstliche Intelligenz diese übernehmen kann. Die Analysen prognostizieren, dass neue Tools auf den Markt kommen, die Projektleiter bei Managementaufgaben unterstützen [4]. Entwicklung des Projektleiterberufs In den letzten Jahren wurde der Projektleiter einige Male totgeschrieben. Manche Unternehmen ersetzten diese durch Scrum Master, Product Owner, Release Train Engineers oder Business Owner [5]. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass dies zu kurz gedacht war. Firmen, die diese abgeschafft haben, sind zurückgerudert. Der Beruf erlebte ein Comeback. Der Grund ist offensichtlich. Viele Aufgaben, die ein Projektleiter erledigt, fallen bei agilen Ansätzen unter den Tisch, was zu Problemen führte. Ein Projekt muss eben nicht nur Ergebnisse liefern, es ist in Organisationen eingebettet, die Anforde- Wissen | Neue Perspektiven für Projektleiter 29 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0028 rungen an Prozesse, Stakeholder und Strategie haben. Wenn diese nicht berücksichtigt werden, wird es kaum erfolgreich sein. Hinzu kommen immer mehr Vorhaben, die in einem internationalen und multikulturellen Umfeld stattfinden. Die von der Agilität geforderte Selbstorganisation umzusetzen ist dort problematisch, da länder-, kulturelle- und fachspezifische Barrieren Sensibilität und ein verlässliches Management verlangen. Der letzte Trend, der eine maßgebliche Veränderung mit sich brachte und den Projektleiterberuf eher stärkt, ist die Etablierung von Homeoffice, was sich seit der Coronapandemie sich als Arbeitsform etabliert hat. Verteilte und virtuelle Teams erfordern Führung, da sonst Effizienzverluste eintreten. Diese neuen Herausforderungen zeigen, dass der Projektleiter noch immer notwendig ist, was ein Blick in die Stellenbörsen im Internet bestätigt. Fragestellung Basierend auf diesen Entwicklungen und der Annahme, dass Projektleiter auch in Zukunft notwendig sind, lassen sich folgende Fragestellungen formulieren: • Wie verändert sich der Projektleiterberuf durch KI? • Welche Themenfelder des Projektmanagements gewinnen an Bedeutung? • Was sind die wichtigsten Lernfelder für Projektleiter? 2. Veränderungen des Projektleiterberufs Der Projektleiterberuf war schon immer Veränderungen entworfen. Ein Projektleiter nimmt unterschiedliche Rollen ein. Zum einen sind dort die personenorientierten. Er trifft Entscheidungen, moderiert Gruppen und ist gleichzeitig ein Mitglied davon. Er kümmert sich um politische Fragen, in die das Projekt involviert ist, hat Spezialistenwissen und vertritt es nach aussen. Innerhalb der Institution, für die er aktiv ist, übernimmt er die Funktionen eines Arbeitgebers, Unternehmers, Kulturvermittlers und Pragmatikers. Interaktionen nimmt er als Führungsperson, Bürger, Wissensvermittler, Berater, Schlichter, Mitarbeiter und Emotionsarbeiter war. Bei den funktionsorientieren Rollen stehen Aufgaben wie Planer, Krisenmanager, Netzwerker, Organisator, Innovator, Controller, Visionär und Stratege im Vordergrund. Eine Analyse der Tätigkeiten zeigt, dass vor allem die funktionsorientierten Rollen von KI betroffen sind. Aufgaben in den Bereichen Controlling (Finanzen, Reporting, Lieferumfang- …) und Planung (Finanzen, Ressourcen, Termine- …) lassen sich am einfachsten durch KI optimieren. Diese Aktivitäten hinsichtlich der Arbeitslast zu quantifizieren, ist nicht zielführend, obwohl einige Autoren das versucht haben [7, 8]. Projekte sind zu verschieden, um dies seriös zu messen. Beispielsweise kann der Aufwand für Stakeholdermanagement in einem Projekt minimal sein, da es kaum Widerstände gibt, in einem anderen verursacht es den Großteil davon. Ähnliches gilt für die sonstigen Aktivitäten. Diese hängen vom projektspezifischen Kontext ab. Trotz dieser fehlenden Möglichkeit zur genauen Quantifizierung ist festzuhalten, dass eine Entlastung bei den Tätigkeiten stattfindet, die bei den funktionsorientierten Rollen angesiedelt sind. KI lässt sich bei etlichen Aufgaben einsetzen. Potenzielle Einsatzbereiche sind folgende [9, 10]: • Automatisierung von Routinetätigkeiten: KI-Systeme können alltägliche Aufgaben wie die Erstellung von Statusberichten oder die Aktualisierung von Planungen automatisieren. • Optimierte Entscheidungsfindung: Durch die Verarbeitung grosser Datenmengen kann KI helfen, genaue und aktuelle Informationen bereitzustellen. Sie ist in der Lage, Muster in Daten zu erkennen, die menschlichen Betrachtern möglicherweise entgehen, und unterstützt damit eine bessere Entscheidungsfindung. • Risikomanagement: Durch das Analysieren historischer Projektdaten kann KI Muster identifizieren und Risiken vorhersagen, die dem menschlichen Auge verborgen bleiben. Sie kann präventive Massnahmen priorisieren und planen und sie kann Eintrittsindikatoren tracken. • Interaktive Dashboards und Berichterstattung: KI-unterstützte-Dashboards können Daten in Echtzeit interpretieren und Vorhersagen treffen. Sie ermöglichen eine dynamische Anpassung an zukünftige Herausforderungen und bieten detaillierte Einblicke in spezifische Projektbereiche. • Unterstützung bei der Projektplanung: KI kann aus Daten vergangener Projekte lernen und Empfehlungen für die Struktur und den Zeitplan zukünftiger Vorhaben geben. Abbildung 1: Projektleiterrollen, adaptiert nach [6] Wissen | Neue Perspektiven für Projektleiter 30 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0028 • Chatbots für administrative Aufgaben: Chatbots können in Projektmanagement-Tools integriert werden, um repetitive Arbeiten wie die Meeting-Organisation, das Versenden von E-Mails und die Freigabe von Prozessschritten zu übernehmen. Wichtige Helfer sind dabei Projektmanagementsoftware, Datenanalyse-Tools und Chatbots [11]. Durch die Optimierung von Aktivitäten, die bereits heute möglich sind, entstehen Freiräume, die Projektleiter für andere Tätigkeiten aufwenden können. Außerdem ist davon auszugehen, dass Softwareanbieter Lösungen entwickeln, die spezifische Projektmanagementanforderungen erfüllen, die weit über ChatGPT-Requests hinausgehen. Daher sind für die Zukunft noch stärkere Entlastungen zu erwarten. 3. Themenfelder Es ist nicht neu, dass der Erfolg von Projekten wesentlich von Soft Skills abhängig ist. Die steigende Bedeutung von interkulturellem Management, Konfliktmanagement, Kreativität, Motivation und partnerschaftlichem Arbeiten ist in den letzten Jahren stärker in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt [12]. Wer sich die häufigsten Gründe für das Scheitern von Projekten anschaut, findet die Themen «Schlechte Kommunikation» und «Unklare Anforderungen und Ziele» auf den Spitzenplätzen [13]. Projektleiter sind zukünftig mit neuen Methoden, Altersgruppen und Technologien konfrontiert. Die technischen Aspekte sind herausfordernd, lassen sich aber mit einer ausreichenden Fachkompetenz bewältigen. Kritischer ist das Zusammenspiel zwischen Menschen. Babyboomer bis zur Generation Z arbeiten zusammen, demnächst kommen die Alphas hinzu (ab Jahrgang 2010). Jede davon hat unterschiedliche Lebensmodelle, die es zu integrieren gilt. Agile Ansätze sind auf dem Vormarsch, die sich durch Flexibilität in komplexen Umfeldern auszeichnen [14]. Was bei diesen Vorgehensweisen häufig vergessen geht, sind Soft Skills. Methoden wie Scrum und SAFe fokussieren stark auf den Delivery Prozess und die Ergebnisentwicklung. Welche weichen Faktoren begleitend zu beachten sind, nimmt dabei weniger Bedeutung ein. Deshalb ist es bei vielen agilen Projekten der Fall, dass parallel ein Projektleiter beschäftigt wird. Hinzu kommen Entwicklungen wie KI, die einen weiteren Veränderungsschub im Projektumfeld mit sich bringen. Eine Fokussierung auf Soft Skills, wie sie in der IPMA Competence Baseline in den Kompetenzbereichen «Menschen» und «Kontext» beschrieben sind, ist notwendig [15]. Themen wie Führung, Offenheit, Wertschätzung, Strategie, Kultur und Werte sind Themen, denen sich Projektleiter verstärkt annehmen müssen. Daher sind hier exemplarisch einige aufgeführt, die zukünftig an Bedeutung gewinnen. Menschen führen Für Projektleiter ist eine Aufgabe, die Kommunikation gegenüber allen Stakeholdern. KI kann die Automatisierung von repetitiven Tätigkeiten übernehmen, beispielsweise das Versenden von E-Mails, die Erstellung von Protokollen und die Analyse von grossen Datenmengen. Noch gelingt es KIs nicht, Personen einzuschätzen. Welche Präferenzen diese haben und was für Reaktionen bestimmte Kommunikationsinstrumente auslösen, müssen Menschen herausfinden. Des Weiteren ist zu prüfen, wie der Wissensstand aussieht und ob eine positive Grundhaltung vorhanden ist. All diese Elemente sind vor der Ansprache zu berücksichtigen. So bevorzugt eine Person ein Treffen, während die andere ein Protokoll als Informationsquelle erwartet. Eine andere wichtige Rolle spielt im Projekt das Konfliktmanagement. Mitarbeiter, Auftraggeber, Lieferanten, Kunden, etc. sind potenzielle Verursacher von Konflikten. KI hat die Möglichkeit mit themenbezogenen Analysen zu unterstützen. Bei der frühzeitigen Evaluation, vor allem in den Phasen vor der Eskalation, hilft ein Projektleiter. Seine Aufgabe ist es, diese zu erkennen und zu beseitigen, bevor diese eskalieren. Hier sind Fähigkeiten gefragt, die bei Konsensfindungen, Verhandlungen oder Problemlösungen helfen. Beim Änderungsmanagement unterstützt KI bei Analysen, genauso wie bei der Aktualisierung der Planung und Aufwandschätzung. Schwerpunkt ist dabei das Management von Terminen und Ressourcen. Diese harten Fakten sind notwendig, um den Impact abzuschätzen. Anders sieht es bei den soften Faktoren aus. Eine Veränderung hat eine weitere Dimension. Sie kann für Menschen Konsequenzen haben, beispielsweise durch neue Prozesse, die Teamzusammensetzung oder Anforderungen an das Know-how. Projektleiter müssen daher Empathie für ihr Team und die Stakeholder entwickeln, um darauf angemessen zu reagieren [16]. Abbildung 2: Neufokussierung im Kontext der IPMA Baseline Wissen | Neue Perspektiven für Projektleiter 31 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0028 Projektkontext managen Projekte stellen ein unverzichtbares Instrument für Organisationen dar, um ihre strategischen Ziele zu verwirklichen. Sie transformieren abstrakte Strategien in konkrete, umsetzbare Initiativen, indem sie eine klare Struktur für Planung, Durchführung und Operationalisierung bieten. Durch die gezielte Zuweisung von Ressourcen wie Zeit, Geld und Personal ermöglichen Projekte eine effiziente Nutzung von Ressourcen, um maximale Ergebnisse zu erzielen. Darüber hinaus fördern sie die interdisziplinäre Zusammenarbeit zur Erreichung von Zielen. KI unterstützt hier bei der Entwicklung von Szenarien, Prognosen und Analysen, genauso wie bei der Überwachung von kritischen Erfolgsfaktoren und Key Performance Indicators. Projektleiter müssen kulturelle und strukturelle Aufgaben übernehmen und im Kontext der Unternehmensstrategie geeignete Priorisierungen vornehmen, die es erlauben, Vision und Mission der Organisation zu berücksichtigen. Das Thema Compliance beschreibt im Projektmanagement, welche Vorgaben zu beachten sind. Branchenspezifische Normen, unternehmensinterne Regularien oder gesetzliche Vorschriften sind einzuhalten. KI-Systeme können grosse Mengen von Projekt- und Compliance-Daten analysieren, um sicherzustellen, dass alle Aspekte den geltenden Regelungen entsprechen. Durch die Automatisierung dieser Überprüfungen lassen sich Fehler reduzieren und der Zeitaufwand für manuelle Kontrollen verringern. Der Projektleiter ist notwendig, um diese Informationen kritisch zu validieren. Vorschriften sind an spezifische Situationen anzupassen, so dass ein pragmatisches Arbeiten möglich ist. Eine Übererfüllung von Vorgaben behindert Projekte durch unnötigen Aufwand. Eine zu geringe Beachtung führt zu Risiken und Problemen. In Interaktion mit dem Management ist es Projektleiteraufgabe, hier die richtige Granularität zu entwickeln. Die Interessen der verschiedenen Stakeholder zu managen, ist prinzipiell mit KI möglich. Durch die Analyse von Dokumenten, Mails, Social Media, Umfragen, etc. entstehen Resultate. Allerdings dürften diese mit Lücken versehen sein, da meist nicht alles Relevante zugänglich ist. Mit Predictive Analytics lassen sich Verhaltensweisen prognostizieren. Der Projektleiter hat die Aufgabe, diese zu interpretieren und angemessen darauf zu reagieren. 4. Lernfelder KI führt zu neuen Herausforderungen und Anforderungen, die ein Projektleiter zu bewältigen hat. Er muss fähig sein, KI-generierte Analysen zu interpretieren, inklusive deren Begrenzungen. Kritisches Denken und ein gutes Verständnis von Technologien sind daher notwendig. Bewertung von Informationen Kritisches Denken umfasst einen systematisch reflektierten Prozess, welcher sich durch die Aneignung und die Anwendung von Methoden der Informationsbeschaffung und Auswertung auszeichnet. Es beinhaltet die Fähigkeit zur Entscheidungsfindung und zur Bewertung von Wissen. Dieser Denkprozess stützt sich auf rationale Verfahren, die sich nachvollziehbar beschreiben lassen [17, 18]. Vor dem Hintergrund eines verstärkten KI-Einsatzes, dürfen Projektleiter Informationen nicht unkritisch übernehmen. Diese sind hinsichtlich Logik, möglichen Fehlern und der Herkunft zu hinterfragen, um dann daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Daten können problematisch sein, deren Qualität ist zu prüfen, auf denen KI-Analysen basieren. Daher ist es notwendig, ein Bewusstsein für kognitive Verzerrungen zu entwickeln. Menschen neigen zu Bestätigungsfehlern, bei denen sie nach Informationen suchen, die bestehende Überzeugungen stützen. Ankereffekte führen dazu, dass Entscheidungen auf Basis von anfänglich präsentierten Fakten verankert werden, während Rahmungseffekte die Entscheidungsfindung durch die Art der Präsentation beeinflussen [20]. Wenn ein Projektleiter mit KI konfrontiert ist, sollte er unterschiedliche Blickwinkel einnehmen, beispielsweise die von Stakeholdern, um zu hinterfragen, ob die gelieferten Informationen zielführend sind. Abhängig von der Perspektive entstehen neue Einsichten, die eine KI kaum vollständig abbilden kann. Fachkompetenz gewinnt an Bedeutung, eine reine methodische Projektführung ist nicht mehr ausreichend. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Projektgegenstand ist zwingend. Die Zusammenarbeit mit Experten hilft, um KIgenerierte Informationen zu hinterfragen. Abbildung 3: Datenqualität, adaptiert nach [19] Wissen | Neue Perspektiven für Projektleiter 32 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0028 KI-Kompetenz Insgesamt zeigt sich, dass kritisches Denken im Kontext der KI nicht nur die Fähigkeit umfasst, Informationen zu analysieren und zu bewerten, sondern zusätzlich ein Verständnis für die Grenzen und potenziellen Verzerrungen der KI verlangt. Dies ist wichtig, da KI-Systeme in der Lage sind, komplexe Aufgaben zu übernehmen, aber nicht über die menschliche Tiefe des Bewusstseins verfügen. KI-Systeme haben das Problem, dass sie Wissen halluzinieren, wenn es nicht vorhanden ist. Erkennt der Projektleiter das nicht, sitzt er falschen Analysen auf, zieht daraus die falschen Schlüsse und trifft unter Umständen Fehlentscheide. Weitere Probleme sind fehlerhafte und unvollständige Daten, Fehlinterpretationen, Generalisierungen, Halluzination etc. Häufig werden KI-Modelle irrtümlich als fehlerfrei betrachtet, obwohl sie Verzerrungen in den Trainingsdaten oder durch Modellbegrenzungen anfällig für Fehler sind. KI-Systeme, die auf Deep-Learning basieren, agieren wie eine „ Black Box “ mit mangelnder Transparenz, was das Verständnis ihrer Arbeitsweise und Entscheidungsfindung erschwert. Projektleiter müssen sich mit den Limitierungen von KI auseinandersetzen und deren Funktionsweise verstehen. Nur so ist sichergestellt, dass sie bereitgestellte Informationen richtig interpretieren. 5. Fazit KI wird zukünftig ein wichtiges Arbeitsmittel im Projektmanagement sein. Bei zahlreichen Aufgaben entstehen Möglichkeiten, die Effizienzsteigerungen und Erkenntnisgewinne mit sich bringen. Gerade die Sammlung von Informationen und die Analyse davon war zentral für das klassische Projektmanagement, da Entscheide und Ergebnisse darauf basierten. Projektleiter müssen sich intensiv mit KI-Tools beschäftigen, da die neue Technologie traditionelle Aufgaben verändert. Hier liegt der Fokus neben dem Verständnis der Technologie auf deren Limitierungen, um Fehlinterpretationen zu vermeiden. Noch sind viele Tools umständlich und nicht ergiebig. Dies wird sich schnell ändern. Projektleiter sollten darauf vorbereitet sein. KI übernimmt langweilige und mühsame Aufgaben. Gleichzeitig entstehen Freiräume. Diese gewonnene Zeit gilt es zu nutzen. Die Interaktion mit Menschen wird einen größeren Raum einnehmen und es bleibt mehr Zeit für Kreativität und Innovation genauso wie für strategische Aufgaben. Der Beruf entwickelt sich weiter und wird spannender. Projektleiter können sich darauf freuen. 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Januar 2024) Eingangsabbildung: generiert mit KI © StockWorld-- stock. adobe.com Dr. Frank Liebermann Dr. Frank Liebermann hat an der Charles Sturt University in Australien promoviert. An der Universität Konstanz studierte er Informations- und Verwaltungswissenschaften. Mehr als 30 Jahre arbeitete er als Projekt-, Programm- und Portfoliomanager in verschiedenen Großunternehmen. Aktuell ist er als Studiengangsleiter an der Privaten Hochschule Wirtschaft (PHW) in Bern tätig. Dr. Frank Liebermann Max-Daetwyler-Platz 1 CH-3014 Bern frank.liebermann@phw.ch Die neue Buch-Reihe aus der Kooperation von UVK und der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Die Reihe behandelt insbesondere neue Fachthemen und neue Herangehensweisen in der Projektmanagementpraxis. Dabei steht der konkrete Nutzen für die praktische Anwendung im Vordergrund. Leser: innen dürfen sich sowohl auf einen Wissenszuwachs als auch Tipps für den Praxisalltag freuen. Bestellen Sie unter www.uvk.de . Projektmanagement neu denken Anzeige 34 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0029 Vorgehensmodell für Business-Analytics- Projekte-- ein hybrider Ansatz aus klassischen und agilen Methoden Julia Hollwedel, Peter Preuss Für eilige Leser | Der Beitrag stellt ein Vorgehensmodell für Business-Analytics-Projekte vor, das mit Hilfe von Data Science Experten entwickelt wurde. Bei diesem hybriden Modell werden agile und klassische Projektmanagement- Methoden kombiniert. Es gliedert sich in eine Definitions-, Implementierungs- und Produktphase, wobei jede Phase spezifische Aktivitäten und Ziele umfasst. Der Ansatz betont die Bedeutung von Proof of Concept (PoC) und Minimum Viable Product (MVP) in der frühen Projektphase, um Unsicherheiten bezüglich der Datenqualität und Projektumsetzung zu adressieren. Schlagwörter | Business-Analytics-Projekte, Hybrides Modell, Agile Methoden, Klassische Methoden, Proof of Concept (PoC), Minimum Viable Product (MVP) 1. Einleitung Die Analyse von Daten und das evidenzbasierte Lösen betriebswirtschaftlicher Problemstellungen kann Unternehmen zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil führen. Bei diesen Business-Analytics-Projekten ist zu Projektbeginn häufig nicht absehbar, welche Informationen und Muster in den Daten stecken und in welche Richtung sich das Projekt entwickeln wird. Dennoch ist ein strukturiertes Vorgehen notwendig und es muss die Bereitschaft gegeben sein, solche Projekte abzubrechen, sollten die Daten nicht das gewünschte Ergebnis erzielen. In diesem Beitrag wird ein Vorgehensmodell vorgestellt, das mithilfe verschiedener Experten aus den Bereichen Business Analytics und Data Science entwickelt wurde. Bei diesem Ansatz handelt es sich um ein hybrides Modell, das aus agilen und klassischen Projektmanagement- Bestandteilen besteht. 2. Business Analytics Vorgehensmodell 2.1 Überblick Das Vorgehensmodell lässt sich in eine Definitions-, eine Implementierungs- und eine Produktphase unterteilen. Jede Phase beinhaltet verschiedene Aktivitäten, die linear oder iterativ durchgeführt werden (siehe Abbildung 1). Die Definitionsphase gliedert sich in eine Ideen- und eine Spezifikationsphase. Ziel der Ideenphase ist es, ausgehend von einem bestimmten Bedürfnis oder einer Herausforderung des Unternehmens oder eines Fachbereiches, Anforderungen für eine Projektidee zu sammeln. In der darauffolgenden Spezifikationsphase geht es um die Bewertung der Ideen und um die Erarbeitung eines eindeutigen Zielbildes, welches für die weitere Projektplanung und -umsetzung genutzt werden kann. Auf die Definitionsphase folgt die Implementierungsphase. In einem ersten Proof-of-Concept (PoC) wird eine technische Machbarkeitsanalyse durchgeführt. In dieser Phase werden die Datenquellen angebunden, die Daten aufbereitet, der Markt nach einer fertigen Lösung durchsucht und eine erste Analyse durchgeführt bzw. ein erstes Modell gerechnet. Am Ende dieser Phase wird das Zielbild bestätigt, angepasst oder abgelehnt. Nach dem PoC ist die Erstellung eines Minimum Viable Products (MVP) das nächste Ziel. Die Implementierungsphase wird in Experimenten durchgeführt, an deren Ende jeweils eine neue Produktversion mit Inkrementen entsteht. In dieser Phase sollte möglichst iterativ gearbeitet werden, damit die Datenlösung schrittweise verbessert werden Wissen | Vorgehensmodell für Business-Analytics-Projekte 35 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0029 kann. Die Experimente werden so lange durchgeführt, bis das Zielbild erreicht ist. Hierbei ist es sinnvoll, eindeutige Erfolgskriterien festzulegen und diese kontinuierlich zu erheben, um so die Erreichung der Ziele messbar zu machen. In der abschließenden Produktphase liegt der Schwerpunkt auf dem Betrieb des Produktes. Ist der Nutzen des Produktes nicht mehr vorhanden, sollte das Produkt zurückgebaut werden. Die drei Phasen sind durchlässig, sodass Erkenntnisse beispielsweise für die Detaillierung der Projektziele fließen können. Aus der Produktphase kann bei auftretenden neuen Anforderungen auch wieder in die Implementierungsphase gewechselt werden. Im Folgenden werden die Definitions- und die Implementierungsphase genauer beschrieben. 2.2 Definitionsphase Ausgangspunkt der Ideenphase ist das Vorhandensein eines Grundes oder einer Motivation für ein Business-Analytics- Projekt. Die in dieser Phase beteiligten Personen versuchen, unterschiedliche Lösungswege für ein bestehendes Problem aufzuzeigen. Dabei beinhaltet diese Phase nicht die Bewertung der Lösungswege, sondern stellt eine kreative Herangehensweise und die Überlegung dar, wie mithilfe von Daten und Modellen bestimmte Bedürfnisse erfüllt oder vorhandene Herausforderungen und Probleme gelöst werden können. Typischerweise stammt eine Projektidee aus dem Fachbereich des Unternehmens, der mithilfe eines Datenprojektes einen Mehrwert schaffen möchte. Für das Projekt sollte möglichst genau spezifiziert werden, worin der Wert des Projektes liegt und mit welchen Metriken dieser gemessen werden kann. Dies können monetäre Größen wie die Steigerung des Umsatzes aber auch Kunden-Metriken wie die Verbesserung der Kundenbindung sein. Der Erfolg eines Projektes kann zudem in der Verbesserung eines Prozesses liegen, sodass z. B. Zeit eingespart wird. Auch die Skalierbarkeit einer Lösung wirkt sich auf den Wert einer Lösung aus. Wird eine Lösung z. B. zunächst nur für einen kleinen Teil der Daten entwickelt und lässt sich flexibel auf weitere Datenmengen anwenden, hat dies einen positive Auswirkung auf den Geschäftswert. Um kreative Ideen zu sammeln, eignet sich eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Abbildung 2: Zielbild eines Business-Analytics-Projekts als Ergebnis der Spezifikationsphase Abbildung 1: Vorgehensmodell für Business-Analytics-Modelle Wissen | Vorgehensmodell für Business-Analytics-Projekte 36 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0029 Fachbereich und den Projektverantwortlichen. Ideen können beispielsweise in einem gemeinsamen Workshop diskutiert werden. Methoden, die kreative Ideen fördern wie beispielsweise Brainstorming, Event Storming oder Design Thinking, können Anwendung finden. Nach der Ideenphase folgt die Spezifikationsphase. Hier werden die Projektidee oder mehrere Projektideen bewertet und erste Ziele sowie Anforderungen definiert. Die Priorisierung der Ideen kann beispielsweise anhand von Aufwand und Nutzen erfolgen. Projekte mit geringem Aufwand und großem Nutzen sollten priorisiert werden. Das Ergebnis dieser Phase ist ein mit den involvierten Parteien abgestimmtes Zielbild. Um die Bewertung zu objektivieren, sollten einheitliche Merkmale evaluiert werden. Das Zielbild beinhaltet die folgenden Elemente (siehe Abbildung 2): • Projektziel (Wozu? ): Im Zentrum des Zielbildes steht das Projektziel. Die Frage, die hier beantwortet werden soll, ist die nach dem Zweck des Projektes: Welche Herausforderung kann mit dem Projekt gelöst werden? Oder welche Veränderung bewirkt die Umsetzung des Business- Analytics-Projektes? Beispiele für Projektziele sind Umsatzgenerierung/ -sicherung, Kostenreduktion, Prozessverbesserung, Steigerung der Kundenzufriedenheit. Das Ziel des Projektes sollte auf die Strategie des Unternehmens einzahlen. Das Projektziel oder die Projektziele sind typischerweise auf einen Zeitraum von drei bis sechs Monate ausgerichtet. • Vision: Die Ziele, die darüber hinausgehen und langfristiger ausgerichtet sind, beschreiben die Projektvision. Die Vision ist inspirierend und weniger konkret als die Ziele. • Projektumfang (Was und was nicht? ): Entscheidend ist neben den Projektzielen und dem Projektumfang auch festzulegen, welche Ziele nicht enthalten sind und damit im Projekt zunächst nicht angegangen werden. • Erfolgs- und Abnahmekriterien (Wie gut? ): Bei der Formulierung des Projektziels sollten Erfolgskriterien berücksichtigt werden. Es sollte ermittelt werden, woran sich der Projekterfolg und die Wertschöpfung im Projekt erkennen lassen. Dies sollte eine messbare Größe sein. Beispielsweise soll durch das Projekt eine bestimmte Umsatzsumme erzielt werden oder die Optimierung eines Prozesses spart eine gewisse Zeit ein, die wiederum für andere Tätigkeiten im Unternehmen genutzt werden kann. • Stakeholder und / oder Auftraggeber (Für wen? ): Als Teil des Zielbildes sollte auch ermittelt werden, wer Nutzer des Projektes ist und wer von dem Projekt darüber hinaus als Stakeholder betroffen ist. Dies kann beispielsweise auch das interne Team sein. Nur wenn diese relevanten Parteien bekannt sind, kann das Projekt so durchgeführt werden, dass die Nutzer oder Stakeholder am Ende vom Projekt profitieren und sich eine Veränderung ergibt. 2.3 Implementierungsphase Nach der Definitionsphase folgt die Implementierungsphase. Diese sollte mit einem PoC beginnen, um die Machbarkeit des Projektes und die Umsetzung der festgelegten Ziele zu validieren. Fällt dieser positiv aus, folgt die Entwicklung des MVP und das Projekt wird anschließend schrittweise weitergeführt und das Produkt bzw. die Lösung entwickelt, um letztendlich die festgelegten Ziele zu realisieren. 2.3.1 Proof of Concept und weitere Projektspezifizierung Die PoC-Phase beinhaltet die Validierung der Projektidee. In einem PoC sollte die wichtigste Annahme, die einem Projekt zu Grunde liegt, überprüft werden. Hierfür sollte der Umfang dieser Fragestellung möglichst klein gehalten werden, auf einen oder wenige Teilaspekte fokussiert sein und mit den Stakeholdern im Projekt abgestimmt werden. Nur wenn diese Überprüfung positiv ausfällt, kann das Projekt weitergeführt werden. Ist das Projekt beispielsweise darauf ausgelegt, eine bestimmte Größe wie den Absatz eines Produktes vorherzusagen, könnte für einen PoC eine Datenbasis aus der Vergangenheit zu Grunde gelegt werden und anhand dieser Daten ein erstes Modell trainiert und evaluiert werden. Bereits vor diesem Test sollten die Projektverantwortlichen überlegen, mit welcher Güte die Vorhersage mindestens gelingen muss. Kann der Test diese Güte annähernd erfüllen, ist dies ein Zeichen, das Business-Analytics-Projekt fortzuführen. Gelingt es auch nach einiger Zeit nicht, den Absatz mit der Nutzen und Ziele Entwicklung der Lösung Kosten und Aufwand Daten Ergebnisse Risiken Welches Problem soll gelöst werden? Erfolgskriterien Stakeholder u. Nutzer Projektscope Datenaufbereitung, explorative Analyse Marktlösung? Eigenes Modell Evaluation Technische Infrastruktur Hardware, Software, Cloud Personal u. Expertise Datenquellen Datenqualität Data Governance Zugriff und Integration Visualisierung Analyse, Report Code, Repository Dokumentation Gesetzlicher Rahmen Datenschutz Compliance Datenverfügbarkeit und -qualität Kosten Aufwand Arbeitspakete Zeit plan Abbildung 3: Spezifizierung des Projektes nach Abschluss des PoCs Wissen | Vorgehensmodell für Business-Analytics-Projekte 37 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0029 erwarteten Güte vorherzusagen, sollte das Projekt abgelehnt werden. Darüber hinaus wird die Business-Analytics-Lösung in dieser Phase weiter konkretisiert und spezifiziert. Abbildung 3 veranschaulicht in einem Projekt-Canvas die Projektfaktoren, die am Ende der PoC-Phase definiert sein sollten. Stellt sich in der PoC-Phase heraus, dass das Projekt nicht umsetzbar ist, sollte das Projekt abgelehnt werden. Alternativ sollten die Projektziele angepasst werden. In diesem Fall würde das Projekt wieder in die Definitionsphase zurückversetzt und es werden neue Ziele definiert. Die PoC-Phase kann die Bildung eines ersten Prototyps eines Produktes beinhalten. Ein Prototyp kann beispielsweise ein Dashboard sein, was die Ergebnisse des Modells bereitstellt oder ein Mockup einer Nutzeroberfläche. Dies kann für die Veranschaulichung des Projektes helfen oder Projektsponsoren überzeugen, dass das Projekt sinnvoll ist. Die Bildung eines Prototyps ist jedoch in der PoC-Phase nicht zwingend notwendig. Die PoC-Phase sollte linear durchgeführt werden, es ist aufgrund ungewisser Faktoren nicht sinnvoll, iterativ und in fest geplanten Sprintzyklen zu arbeiten. Bestimmte Komponenten müssen erst aufgebaut werden. Dies ist beispielsweise die Anbindung der Daten oder der Aufbau der Infrastruktur. Es bietet sich in der Explorationsphase daher ein Kanban- Ansatz an, bei dem die Arbeitspakete flexibel abgearbeitet, verfeinert und definiert und dann bearbeitet werden können. Die Durchführung des PoCs führt dazu, dass die nächsten Entwicklungsschritte im Projekt planbar sind. So lassen sich nach dieser Phase die Aufwände für eine erste Produktversion, das MVP und weitere Entwicklungsschritte in gewissem Maße abschätzen. Diese Entwicklungsschritte sollten dokumentiert werden und befüllen den Produkt-Backlog für die weitere Entwicklung der Lösung. Abbildung 4: Datenexperiment 2.3.2 Minimum Viable Product Nach der Durchführung eines PoC zur Entscheidungsfindung bietet sich ein iteratives Vorgehen an, und das MVP-Konzept sollte angewendet werden. Ein MVP erfüllt die Mindestanforderungen und Grundfunktionalitäten einer zu entwickelnden Lösung und kann damit den beabsichtigten Nutzen vermitteln. Um das MVP entwickeln zu können, sollten zu Beginn die notwendigen Anforderungen definiert werden. Die MVP-Phase beinhaltet die typischen Phasen eines datenbasierten Projektes. Hierzu zählen die Integration der primären Datenquellen, die Datenvorverarbeitung. Des Weiteren beinhaltet die MVP- Phase die Entwicklung eines initialen Modells, dessen Evaluation und die erstmalige Bereitstellung. Das MVP als initiale Produktversion sollte allen relevanten Stakeholdergruppen und vor allem den Nutzern präsentiert werden. So werden die Stakeholder aktiv in den Produktentwicklungsprozess eingebunden und das Entwicklungsteam kann vom Feedback profitieren. Das Feedback wird verwendet, um die weitere Projektplanung zu adaptieren und zu spezifizieren. 2.3.3 Iterative Weiterentwicklung mithilfe von Experimenten Die Entwicklung eines MVPs erlaubt die Einbeziehung der Kunden und Nutzer und sichert die Möglichkeit, wertvolles Feedback für die weitere Entwicklung der Business Analytics Lösung zu erhalten. Um weitere Versionen der Lösung zu entwickeln, sollte ein inkrementelles und iteratives Vorgehen in einer agilen Arbeitsweise verwendet werden. Ein inkrementelles Vorgehen erlaubt es, die Planung und Produktentwicklung schrittweise zu verfeinern. Ein Inkrement ist eine neue Version eines Produktes und ein Zwischenschritt, um die Produktziele zu erreichen. Ein Inkrement baut auf den vorherigen Versionen eines Produktes auf und funktioniert mit diesen zusammen. In einem iterativen Vorgehen gibt es festgelegte Zyklen, die sich typischerweise über einen Zeitraum von zwei bis vier Wochen erstrecken. Am Ende einer Iteration können ein oder mehrere Inkremente entstehen, die anschließend vom Nutzer genutzt werden können und einen Mehrwert zur vorherigen Version darstellen. Das iterative Vorgehen ermöglicht ein kontinuierliches Verproben und die Evaluation bestimmter Parameter. Sollte das initial ausgewählte Modell nicht das gewünschte Ergebnis liefern, ist es einfach möglich, die Umsetzung den Erkenntnissen anzupassen. Das Gesamtziel kann in Zwischenziele heruntergebrochen werden, sodass ständig überprüft wird, ob die für das Produktziel festgelegten Erfolgskriterien angenähert oder erreicht werden. Das Verproben verschiedener Parameter kann auch als Experiment bezeichnet werden. Ein Experiment bezeichnet in den Naturwissenschaften eine systematische Methode, um Hypothesen zu testen oder einen kausalen Zusammenhang zu prüfen. Es werden dabei verschiedene Variablen verändert, um zu überprüfen, welche Auswirkungen dies auf die zu untersuchende Variable hat. Ein Experiment sollte möglichst in einer oder wenigen Iterationen durchgeführt werden, sodass bei einer erfolgreichen Durchführung ein neues Inkrement entsteht. Die Durchführung eines Experiments enthält die in Abbildung 4 genannten Phasen. Die Veränderung der Variablen kann sich entweder auf die verwendeten Daten oder das Modell beziehen. Es kann bei- Wissen | Vorgehensmodell für Business-Analytics-Projekte 38 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0029 Julia Hollwedel Julia Hollwedel hat an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management in München Big Data & Business Analytics studiert. Beruflich ist sie als Product Owner bei ProSiebenSat.1 im Bereich AI Products tätig. Prof. Dr. Peter Preuss Prof. Dr. Peter Preuss lehrt Wirtschaftsinformatik an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management in Stuttgart. Parallel zu seiner Lehrtätigkeit ist Peter Preuss geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung People Consolidated GmbH. spielsweise ein Datenfeld hinzugenommen werden und als Feature in das bestehende Modell fließen. Eine weitere mögliche Anpassung ist das Verändern eines Modellparameters. Es kann auch ein neues Modell ausprobiert werden. Dabei ist wichtig, dass die Veränderung so klein ist, dass diese möglichst in einer Iteration umgesetzt werden kann. Dies ist nur möglich, da bereits beim ersten Experiment auf eine erste Produktversion (MVP) aufgebaut werden kann. In Ausnahmefällen und bei größeren Experimenten können auch mehrere Iterationen darauf verwendet werden. In einem Experiment sollte nur eine Variable verändert werden und die Evaluationsmethoden möglichst gleich gehalten werden, sodass die Beeinflussung des Resultats eindeutig auf eine Größe zurückzuführen ist. Verbesserungen der initialen Lösung sollten so oft wie möglich bereitgestellt werden. Mit zunehmender Verwendung und Reife der Analytics-Lösung kommt neben den Entwicklungsaufgaben auch der Betrieb des Produktes hinzu. Die Experimentierphase im Projekt wird so lange durchgeführt, bis die Ziele erreicht sind. In der anschließenden Produktphase wird die Lösung so lange betrieben bis das Produkt nicht mehr in ausreichendem Maße genutzt wird und die Kosten über dem erzielten Geschäftswert liegen. Ist dies der Fall, sollte das Produkt abgebaut werden, damit die freigewordenen Kapazitäten für andere Projekte genutzt werden können. 3. Resümee Business-Analytics-Projekte zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass eine bestimmte Herausforderung im Unternehmen mit Hilfe von Daten gelöst werden soll und letztlich Wert geschaffen wird. In diesem Beitrag wurde ein Vorgehensmodell für solche Business-Analytics-Projekte vorgestellt. Bei diesem Modell handelt es sich um ein hybrides Modell, das agile und klassische Methoden kombiniert. Zu Beginn eines Business-Analytics-Projekts werden wie in einem klassischen Projekt eine anfängliche Planung und ausführliche Anforderungs- und Zieldefinition durchgeführt. Im Anschluss werden ein PoC und ein MVP entwickelt. Das Vorgehen mithilfe von PoC und MVP ist dann sinnvoll, wenn das Projektvorhaben zu Beginn sehr schwer einschätzbar und die Datenqualität unklar ist. Die anschließende Umsetzung wird iterativ und inkrementell vorgenommen. Das Vorgehensmodell ist nutzbar für mittlere bis kleine Projekte in einem Team von drei bis sieben Personen. Bei sehr großen und komplexen Vorhaben oder bei Projekten, die eine feste Zeitstruktur haben, ist das Vorgehensmodell weniger geeignet. Eingangsabbildung: © iStock.com / metamorworks 39 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0030 Agile Transformation auf den Führungsetagen Projekt-Governance von klassisch bis agil Dorothee Feldmüller, Gerhard Ortner Für eilige Leser | Gute Projekt-Governance ist ein wichtiger Erfolgsfaktor der Projektarbeit, die zunehmend mit agilen Ansätzen erfolgt, wobei das Spektrum in der Praxis von hybridem Vorgehen, d. h. plangesteuerter Projektarbeit mit einigen agilen Praktiken, bis zu durchgehend agilem Arbeiten in skalierten Ansätzen wie SAFe reicht. Dabei stellt sich die Frage, wie Projekt-Governance angemessen an die jeweilige Arbeitsweise anzupassen ist. Wir machen im Folgenden einen Vorschlag zur Kategorisierung der agilen Ansätze und stellen Handlungsempfehlungen für die Projekt-Governance vor. Besondere Herausforderungen ergeben sich auch bei der Koexistenz verschiedener Ansätze in einer Organisation. Unsere Überlegungen richten sich an PMOs sowie Projekt- und Managementverantwortliche, die Projekt-Governance in ihren Organisationen gestalten oder reflektieren. Schlagwörter | Projektauftraggeber, Lenkungsausschuss, Projekt Management Office, Projekt-Portfoliomanagement, Senior Management, Projekt-Governance, Agile Projekt Governance, SAFe Bewusst gestaltete und gelebte Projektsteuerung durch die Führungskräfte einer Organisation-- sogenannte „Projekt-Governance“ ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für Projektarbeit ([1], [2] bzw. [3], [4], [5]). Die wichtigsten Rollen und Bestandteile von Projekt-Governance sind in Standards beschrieben ([6], [7]). Bei zunehmend agilen Ansätzen unterschiedlicher Ausprägung in der Projektarbeit- - man spricht von „agiler Transformation“ in den Organisationen- - muss auch die Projekt-Governance „transformiert“ werden- - wie kann dies angemessen erfolgen? Motivation Projekt-Governance spielt eine entscheidende Rolle in agilen Projekten, indem sie Struktur und Richtlinien zur effektiven Umsetzung bietet. In agilen Umgebungen, die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit betonen, gewährleistet eine klare Governance eine ausgewogene Balance zwischen Agilität und Kontrolle / Steuerung. Durch klare Rollen, Verantwortlichkeiten und Entscheidungswege trägt die Governance zur Effizienz bei, indem sie Teams dabei unterstützt, ihre Ziele zu erreichen, ohne den Rahmen zu sprengen. Die Wichtigkeit der Projekt-Governance in agilen, aber auch allen anderen Kontexten begründet sich in der Sicherstellung von Transparenz und Kommunikation. Governance- Mechanismen wie regelmäßige Reviews und klare Berichtsstrukturen fördern die Transparenz über den Projektfortschritt und ermöglichen rechtzeitige Anpassungen. Dies ist entscheidend, um Risiken zu minimieren und den Erfolg des Projekts zu sichern. Des Weiteren dient eine effektive Governance in agilen Projekten als Bindeglied zwischen Stakeholdern und (agilen) Teams. Sie hilft, unterschiedliche Erwartungen zu harmonisieren und die Ausrichtung auf die übergeordneten strategischen Ziele zu gewährleisten. Dadurch wird das Vertrauen der Stakeholder gestärkt und die Akzeptanz gefördert. Zusammenfassend ist eine gut durchdachte Projekt-Governance von entscheidender Bedeutung für den Erfolg aller Projekte. Sie schafft eine Struktur, die Flexibilität ermöglicht, ohne dabei die Kontrolle zu verlieren, und stellt sicher, dass das Projektteam auf Kurs bleibt, um Mehrwert zu liefern und die Bedürfnisse aller Beteiligten zu erfüllen. Herausforderungen der jüngeren Zeit sind die Koexistenz und geforderte Kooperation verschieden agiler Ansätze in den Projektportfolios. Die immer breitere Methodenvielfalt führt dabei zu einigen Unterschieden aber auch zu vielen Gemeinsamkeiten aus dem Blickwinkel der Governance. In manchen Wissen | Projekt-Governance von klassisch bis agil 40 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0030 Bereichen, wie der Produktentwicklung, wird auch der Projektbegriff teilweise zurückgedrängt (z. B. bei SAFe). Nach welchen Vorgehensmodellen Organisationen Projektarbeit leisten, ist durchaus unterschiedlich, und auch wenn von agilem Vorgehen gesprochen wird, ist durchaus nicht eindeutig, was damit gemeint ist. In der Praxis scheint hybrides und selektives Vorgehen zu dominieren-- so zeigt es die letzte Studie „Status Quo Agile“ ([8], S. 13 f.). Mit hybridem Vorgehen ist eine Mischung von agilen und traditionell plangesteuerten Ansätzen in einem Projekt bzw. in der Entwicklungsarbeit gemeint, mit selektivem Vorgehen eine gezielte Auswahl entweder agiler oder plangesteuerter Methoden für ein spezifisches Projekt. Bei den Teilnehmenden der Studie hat ein Drittel der Befragten ein Scaling Framework im Einsatz, das verbreiteteste Framework ([8], S. 100) ist das unter dem Namen „SAFe“ bekannte Scaled Agile Framework von Leffingwell ([9]). Mit diesem Framework wird eine Produktentwicklung unterstützt, die ohne den Begriff „Projekt“ auskommt: Die Entwicklung erfolgt inkrementell innerhalb von „Trains“, die es kundenorientiert zu koordinieren gilt. SAFe ist eine mittlerweile etablierte Methode, um agile Prinzipien in großen Unternehmen zu skalieren. Seine Besonderheiten liegen in der Struktur, die auf drei Ebenen- - Portfolio, Value Stream und Team- - aufbaut. Diese Hierarchie ermöglicht eine klare Verbindung zwischen strategischer Ausrichtung und operativer Umsetzung. Einzigartig an SAFe ist seine Betonung der Ausrichtung auf Wertstromebene, wodurch Unternehmen in der Lage sind, den Fluss der Wertschöpfung zu optimieren. Das Framework integriert Lean und agile Praktiken, um Wertkontinuität, schnelle Lieferung und hohe Qualität zu gewährleisten. Die klare Definition von Rollen und Verantwortlichkeiten (Governance! ) innerhalb von SAFe erleichtert die Zusammenarbeit und das Verständnis der verschiedenen Ebenen. Es fördert eine gemeinsame Sprache und ermöglicht eine effiziente Kommunikation über organisatorische Grenzen hinweg. Ein weiteres Merkmal von SAFe ist seine Anpassungsfähigkeit. Das Framework bietet verschiedene Konfigurationen, um den spezifischen Bedürfnissen und Kontexten von Unternehmen gerecht zu werden. Dadurch kann es flexibel auf unterschiedliche Unternehmensgrößen und Industrien zugeschnitten werden. Die Auswahl des geeigneten Ansatzes und insbesondere die Koordination gleichzeitig vorhandener verschiedener agiler Ansätze ist eine aktuelle und relevante Herausforderung, wie auch die Kooperation zwischen Teilbereichen einer Organisation, die einerseits mit Projekten und Projekt-Portfolios und andererseits mit einem SAFe-Framework „ohne Projekt“ arbeiten. Wie kann man z. B. als Projektverantwortlicher für ein plangesteuert aufgesetztes Hardware-Projekt dafür sorgen, dass die benötigte Software-Komponente in time im „Train“ umgesetzt wird-- wenn die Entwickelnden im Software- Bereich nach SAFe arbeiten? Der Anspruch, Business Value durch Projektbzw. Entwicklungsarbeit zu schaffen, ist allen Ansätzen gemeinsam. Ob und welche Anforderungen wann umgesetzt werden, und auf welcher Ebene darüber entschieden wird, darin unterscheiden diese sich stark. So bringt die nach reiner Lehre dezentrale Priorisierung nach SAFe-Regeln im IT-Bereich für die zentrale Organisation durchaus Herausforderungen, wie das obige Beispiel verdeutlichen soll. Vorschlag zur Kategorisierung der Ansätze Um einen Überblick über in der Praxis verwendete agile bzw. hybride Ansätze zum Vorgehen im Projekt zu erhalten, schlagen wir eine Kategorisierung der Ansätze wie folgt vor: • (Rein) Plangesteuertes Vorgehen (auch oft als „klassisch“ oder „traditionell“ bezeichnet): Die Projektdurchführung erfolgt nach sorgfältiger Planung des gesamten Projektablaufs. • Hybrider Ansatz: Ein plangesteuertes Vorgehen auf der Makro-Ebene, d. h. bei der Phasen-Modellierung des gesamten Projektablaufs, wird gemischt mit agilen Praktiken wie Dailys oder Sprints auf der Mikro-Ebene, in der Regel in einer oder mehreren Projektphasen, oft bei der Durchführung, aber auch bei Anforderungserhebung oder Konzeptarbeit. • Hybride Projektorganisation: Ein plangesteuertes Vorgehen auf der Makro-Ebene wird gemischt mit agilen Praktiken und agilen Rollen wie Product Owner, Scrum Master und Development Team, oft in der Durchführungsphase. Der Unterschied zu der vorhergehenden Kategorie besteht darin, dass agile Rollen in der Projektorganisation genutzt werden. • (Rein) Agile Projektorganisation: Ein Projekt wird rein nach einer agilen Methodik durchgeführt, prominentestes Vorgehensmodell dabei ist heute Scrum ([8], S. 51). • Agil im Großen: Die Arbeit in der Entwicklungsarbeit einschließlich des Portfolio-Management erfolgt projektübergreifend bzw. „ohne Projekte“ agil nach einem skalierten Abbildung 1: Governance-Ebenen nach PM² [6] für plangesteuerten und hybriden Ansatz Wissen | Projekt-Governance von klassisch bis agil 41 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0030 agilen Modell wie z. B. SAFe, daneben gibt es in der Regel Projekte für andere temporäre Vorhaben. Im Folgenden gehen wir auf verschiedene Aspekte, die die Project-Governance betreffen, für diese Kategorien ein. Governance-Ebenen und -Rollen Die aus traditionellen Ansätzen bekannten Governance-Ebenen und -Rollen werden in agilen Settings nicht sofort und komplett durch andere Strukturen ersetzt, sondern Stück für Stück angepasst je weiter eine Organisation sich vom plangesteuerten Vorgehen hin zu einer agilen Organisationsform entwickelt. Dabei verschieben sich die Managementebenen, auf denen Governance stattfindet, und neue Rollen verdrängen bisher gelebte Rollenbilder je agiler die Organisation agiert. Auch die Verantwortungskette, die ein Projekt über den Lebenszyklus begleitet (Verantwortung für den Business Case, für die saubere Projektabwicklung und Verantwortung für die Generierung des Nutzens) verschiebt sich mit den unterschiedlichen Rollenträgern. Damit verbunden verschieben sich natürlich im Weiteren auch die Kompetenzen, die Führungskräfte für das erfolgreiche Umsetzen von Vorgaben in den unterschiedlichen Ausprägungsformen mitbringen sollten. Wendet man die in den PM² Empfehlungen der EU-Kommission ([6], S. 23) für Governance-Ebenen und Rollen an, lassen sich damit aus unserer Sicht drei Varianten für die verschiedenen Ansätze darstellen: • Im plangesteuerten wie im hybriden Ansatz ist eine Verteilung der Verantwortlichkeiten auf bis zu vier Ebenen der Governance hilfreich wie in Abbildung 1 dargestellt: Von „unten“ nach „oben“ in der Hierarchie sind dies-- über dem Performing Layer mit dem Projektteam-- der Managing Layer, Directing Layer, Steering Layer und Business Governing Layer. Die vier Ebenen sind in jedem Projekt implizit vorhanden, aber nicht immer explizit benannt und involviert. • In der hybriden Projektorganisation gibt es im Performing Layer sowie im Managing Layer andere Rollen-- etwa einen Product Owner, den wir je nach Ausprägung der Rolle im Managing Layer oder im Performing Layer verorten, sowie das Developer Team und den Scrum Master, die wir im Performing Layer sehen. Aus Gründen der Gewohnheit wie auch dem Wunsch, „einen“ verantwortlichen Ansprech- Abbildung 2: Governance-Ebenen nach PM² [6] für (rein) agile Projektorganisation nach Scrum partner zu definieren, wird dabei oft noch die Rolle der Projektleitung im Managing Layer gelebt. • Bei einer rein agilen Projektorganisation- - wir gehen hier von der Nutzung von Scrum aus-- gibt es keine Unterscheidung zwischen Managing Layer und Performing Layer, und es gibt auch keine Projektleitung und kein Business Management mehr. Diese gehen in die auf Augenhöhe miteinander arbeitenden Rollen von Product Owner, Scrum Master und Developer Team über, wie in Abbildung 2 dargestellt. Die Definition von Projekten bei einer agilen Projektorganisation erfordert den gleichen Überbau wie im traditionellen Ansatz: ein Auftraggeber und Auftragnehmer für das Projekt, ein Lenkungsausschuss, die ihrerseits als übergeordnete Kontroll-Instanz eine Geschäftsleitung oder von ihr beauftragte Gremien zur übergeordneten Steuerung der Projekte über sich wissen. Bei SAFe hingegen kommen neue Rollen ins Spiel: ein Business Owner, Product Manager und Release Train Engineer treten in Steuerungsrollen ein, deren Verantwortungsbereich ganz anders definiert ist. Unterschiede In den Aufgaben, Befugnissen und Verantwortlichkeiten ergeben sich mit Übergang zu einer agilen Projektorganisation bzw. bei rein agilem Vorgehen deutliche Verschiebungen: Beim plangesteuerten Ansatz ist der Auftraggeber verantwortlich, den Nutzen bzw. Projekt-Erfolg zu definieren, der im Projekt erarbeitet und am Ende im Tagesgeschäft idealerweise auch eintritt. Mit dem iterativen Vorgehen im Projekt und der Integration eines Product Owner in die Projektorganisation, der den Nutzen verantwortet, wird der Projekt-Erfolg („Value“) während des Projektablaufs viel stärker integriert betrachtet. Genau dies hat das agile Vorgehen dem plangesteuerten Ansatz voraus. Wir haben- - ausgehend vom traditionellen Ablauf-- versucht, dies in Abbildung 3 darzustellen. Um von der agilen Projektorganisation zu profitieren, gibt ein Projektauftraggeber bzw. Lenkungsausschuss Verantwortung an den von diesen gestellten Product Owner ab. Die Herausforderung kann sein, dies auch wirklich umzusetzen und die Selbstorganisation des Scrum Team-- Product Owner, Scrum Master und Developer Team- - untereinander zu res- Wissen | Projekt-Governance von klassisch bis agil 42 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0030 pektieren. Dafür braucht es auf Seiten der Steuerungsebene Kompetenzen im agilen Vorgehen. Die gegenseitigen Erwartungen, die die verschiedenen Governance-Ebenen-- zum Beispiel Auftraggeber an ihre Projektleitungen aber auch umgekehrt-- aneinander haben, wurden in der Vergangenheit für plangesteuerte Modelle schon öfter untersucht ([1]). Auch hier haben wir eine für das traditionelle Vorgehen erstellte Darstellung versucht anzupassen, siehe Abbildung 4, wobei wir die wesentlichen Anpassungen in rot dargestellt haben: In der agilen Welt tritt das (Scrum-)Team an die Stelle von Projektleitung und Projektteam, und die Selbstorganisation des Teams erfordert für dieses mehr Spielraum, und auch mehr Interaktion mit der Steuerungsebene („nicht offene Tür, sondern selbst zum Team gehen“). Was in der traditionellen Projekt-Welt der Business Case ist, dem kommt der Gedanke der Produktvision unseres Erachtens am nächsten. Diese ist auch im Performing Layer, also im Scrum Team zu verstehen und in die tägliche Arbeit einzubeziehen, und andererseits von den Steuerungsebenen fortwährend zu prüfen und ggf. anzupassen. Von allen Beteiligten wird mehr Nutzenorientierung verlangt. Es kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass auf den Steuerungsebenen die Selbstorganisation wie auch die am „Value“ orientierte nicht von vornherein fest umrissene Leistung, die erbracht werden soll, herausfordernde Veränderungen im Selbstverständnis als Führungskraft bedeuten. Kompetenz im Sinne von Wissen, Verstehen und Wollen dieses anderen agilen Ansatzes sind hier von essenzieller Bedeutung. Herausforderungen einer agilen Portfolio- Steuerung Die agile Portfolio-Steuerung birgt einige spezifische Herausforderungen, denen Organisationen gegenüberstehen. Eine davon ist die Balance zwischen Flexibilität und strategischer Ausrichtung. Die Vielzahl agiler Initiativen kann zu einer Fragmentierung der Ressourcen führen, was eine klare Priorisierung und Ausrichtung erschwert. Des Weiteren stellen die Dynamik und Geschwindigkeit agiler Projekte eine Herausforderung dar. Traditionelle Portfolio-Management-Ansätze sind möglicherweise nicht agil genug, um mit schnellen Veränderungen und unvorhergesehenen Risiken Schritt zu halten. Abbildung 3: Aufgaben und Verantwortlichkeiten in der agilen Projektorganisation: ein Product Owner wird integriert, um fortlaufend den Projekt-Erfolg abzusichern Abbildung 4: Gegenseitige Erwartungen der Governance- Ebenen bei agilem Vorgehen nach Scrum Wissen | Projekt-Governance von klassisch bis agil 43 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0030 Ein weiteres Hindernis ist die Transparenz über das gesamte Portfolio hinweg. Ohne klare Sichtbarkeit und einheitliche Metriken kann es schwierig sein, den Status, Fortschritt und Wertbeitrag der einzelnen Projekte zu verstehen. Die Einführung von flexiblen und anpassungsfähigen Rahmenwerken für die Portfolio-Steuerung sowie die Nutzung von Tools (z. B. auch bald auf KI Basis) zur transparenten Visualisierung und Verfolgung des Portfolios können ebenfalls helfen, eine effektive agile Portfolio-Steuerung zu ermöglichen. Dem agilen Gedanken entsprechend, muss Governance im agilen Kontext auch ein Projekt-Portfolio „agiler“ steuern, worunter wir nicht nur mehr Flexibilität in den jeweiligen Projekt-Anforderungen, sondern auch mehr Flexibilität im Portfolio verstehen. Sich ergebende Chancen auf Mehrwerte und Wettbewerbsvorteile müssen kurzfristig geprüft werden und auch zu Lasten laufender Projekte aufgegriffen und umgesetzt werden können. Taborda und Mohammed [10] sprechen von „emergent strategy“, durch die sich agile Governance auszeichnet. Bechtel et al. ([11]) finden negative Effekte klassischer Praktiken in der Portfolio-Steuerung wie die Existenz eines Business Case, strategische Klarheit und Kontrolle auf die Qualität der Teamarbeit in agilen Projekten, weil sie vermutlich die Freiheit und Kreativität der Teamarbeit einschränken. Zur agilen Portfolio-Steuerung gibt es derzeit kaum gesicherte Erkenntnisse, die Forschung steht noch am Anfang. Sicherlich zu betrachten sind in diesem Kontext folgende Fragestellungen: • Häufigkeit der Prüfung von neu sich ergebenden Business Chancen und deren Potentialen; • Möglichkeiten, aufgrund vorhandener Budget-Puffer Chancen kurzfristig aufzugreifen; • Dauer der Entscheidungsfindung für Änderungen am Projekt-Portfolio; • Review und Retrospektive des Prozesses der Portfolio- Steuerung, einschließlich des Aufwandes für das „Front End Loading“ im PPM. Insgesamt erfordert die agile Portfolio-Steuerung ein Umdenken traditioneller Ansätze, um eine flexible, transparente und strategisch ausgerichtete Verwaltung von agilen Initiativen zu ermöglichen. Lösungsansätze zu Kooperation von „Projektwelt“ und SAFe Wir kommen zurück auf die eingangs gestellte Frage: Wie kann man z. B. als Projektverantwortlicher für ein plangesteuert aufgesetztes Hardware-Projekt dafür sorgen, dass die benötigte Software-Komponente in time im „Train“ umgesetzt wird- - wenn die Entwickelnden im Software-Bereich nach SAFe arbeiten- - und die Priorisierung der IT-Aktivitäten dezentral im IT-Bereich erfolgt auf Basis des dort bekannten Beitrags zur Wertschöpfung? Die erste Herausforderung für die Praxis besteht darin, das Problem überhaupt zu erkennen bzw. vorauszusehen. Eine im klassischen Vorgehensmodell geübte und auch weiterhin damit arbeitende Projektleitung wird unter Umständen gar nicht voraussehen, dass die benötigte Software-Komponente nicht wie bislang gewohnt zum von außen vorgegebenem Termin erstellt wird und schlimmstenfalls wird man zu Beginn einmal „auf die Nase fallen“. Ist das Problem erkannt und soll die Umstellung auf SAFe nicht „ausgehebelt“ werden, dann gilt es, den Bedarf für die von außen benötigte Software-Komponente in die Sprache von SAFe zu übersetzen. Zum Beispiel kann die Software- Komponente als Epic mit entsprechendem Value und (externem) Owner in ein geeignetes Backlog eingehen und durch angemessenen Informationsfluss während Priorisierung und Bearbeitung ein für beide beteiligte Bereiche passender Ablauf sichergestellt werden. Zusammenfassung und Ausblick Insgesamt lässt sich aus unserer Sicht sagen, dass Projekt- Governance angepasst werden muss, sofern agile Rollen in der Projektorganisation gelebt werden sollen. Ein „Einmischen“ von einigen agilen Praktiken in ein traditionelles Arbeiten-- von uns hybrider Ansatz genannt-- erfordert keine wesentlichen Anpassungen in der Governance und kann damit in traditionellen Strukturen leicht als ein erster Schritt in agiles Arbeiten umgesetzt werden. Wirklich agiles Arbeiten geht mit neuen Rollen einher, für die die Kompetenzen von allen Beteiligten, auch von den steuernden Führungskräften, erworben werden müssen, und es geht hier nicht nur um Wissen, sondern um Verstehen, Wollen, Engagement auf allen Ebenen. Wo die wichtigsten Unterschiede liegen, haben wir in den Abbildungen zu verdeutlichen versucht. Der Übergang zu einer agilen Organisation, die Produkte nach SAFe oder vergleichbaren Frameworks entwickelt, bringt noch ganz neue Herausforderungen, auf die wir erste Antworten gefunden haben. Genauso wie es für die „agilisierte“ Portfolio-Steuerung erste Antworten, aber noch wichtige offene Fragen gibt. Einen Einblick in die gelebte Praxis soll daher eine für den Frühling und Sommer 2024 geplante Befragung bzw. Studien in der D-A-CH-Region liefern, an der die trinationalen Fachgruppe „PM goes Boardroom“ derzeit arbeitet. Neben der in dieser Arbeit genannnten Literatur ist die Fachgruppe, zu der außer den beiden Autoren auch Praktiker aus großen Unternehmen gehören, bei denen derzeit in Teilbereichen SAFe eingeführt wird bzw. worden ist, eine wesentliche empirische Quelle. Wir danken allen Mitgliedern der Fachgruppe für den bereichernden Austausch. Literatur [1] Feldmüller, Dorothee; Hunziker, Thomas; Ortner, Gerhard; Rudischer, Christian: Projektauftraggeber und Lenkungsausschuss als Erfolgsfaktor, in: projekt MANAGE- MENT aktuell 3 / 2020, Nürnberg 2020, S. 53-59. [2] Feldmüller, D. ; Hunziker, T.; Ortner, G.; Atzor, M.: Project Governance-- Verbesserungspotenziale für eine erfolgreiche Projektsteuerung. Zeitschrift Führung + Organisation zfo Ausgabe 03 / 2022, S. 157-164. [3] Joslin, R., Müller, R.: The relationship between project governance and project success. International journal of project management, 34(4), 2016, S. 613-626. [4] Ul Musawir, A., Serra, C. E. M., Zwikael, O., Ali, I.: Project governance, benefit management, and project success: Towards a framework for supporting organizational stra- 44 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0030 tegy implementation. International Journal of Project Management, 35(8), 2017, S. 1658-1672. [5] The Standish Group: Chaos Manifesto 2012: The Year of the Executive Sponsor. The Standish Group, 2012. [6] PM² project management methodology guide, EU Commission, https: / / op.europa.eu / en / publication-detail/ -/ publication / 0e3b4e84-b6cc-11e6-9e3c-01aa75ed71a1 [7] GAPPS Global Alliance for Project Performance Standards: A Guiding Framework for Project Sponsors, GAPPS, 2015, https: / / globalpmstandards.org / downloads/ [8] Komus, Ayelt et al. 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Anschrift: Hochschule Bochum Campus Velbert / Heiligenhaus, Kettwiger Str. 20, 42 579 Heiligenhaus, Tel. +49 2056 5848 - 16 721 eMail: d.feldmueller@gpm-ipma.de Prof. (FH) Mag. Dr. Gerhard Ortner Prof. (FH) Mag. Dr. Gerhard Ortner ist Fachbereichsleiter für Projektmanagement in den Studiengängen PM & IT (BA) bzw. PM & Organisation (MA) an der Fachhochschule des BFI Wien. U.a. arbeitet er derzeit auch im ISO Technical Committee 258 an der Weiterentwicklung internationaler PM Normen mit. Anschrift: FH des BFI Wien, Wohlmutstr. 22, A-1020 Wien eMail: gerhard.ortner@fh-vie.ac.at Welche Möglichkeiten haben Start-ups und KMUs, mit den gegebenen Mitteln und Fähigkeiten ihre Zielmärkte so zu analysieren, dass sich adäquate Entscheidungen treffen lassen? Welche Quellen und Strategien eignen sich für eine sachgemäße Marktrecherche und welche Entscheidungsmethoden sollten zum Einsatz kommen? Einer der häufigsten Gründe, warum Start-ups, Solo-Entrepreneure und Innovationsprojekte von KMUs scheitern, ist der, dass sie ihre Märkte falsch einschätzen. In diesem Buch erfahren Sie, welche Methoden und Prozesse geeignet sind, um ein Scheitern zu vermeiden. Dabei wird die Marktrecherche eng an die Entwicklung des Geschäftsmodells gekoppelt und es werden konkret umsetzbare Handlungsempfehlungen gegeben, welche die besonderen Herausforderungen innerhalb der frühen Gründungsphase und im Innovationsprozess berücksichtigen. Sebastian Pioch Von der Marktrecherche zum innovativen Geschäftsmodell Erfolgskonzepte für Start-ups und KMUs 1. Auflage 2024, 191 Seiten, €[D] 29,90 ISBN 978-3-381-11081-0 eISBN 978-3-381-11082-7 wissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de Anzeige 45 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0031 Weiterbildungs-Return-on-Investment: Vermeidung von Bildung im Blindflug! Christoph Richter Für eilige Leser | Trotz eines jährlichen Kostenvolumens von 12 Mrd. € [1] für betriebliche Weiterbildung in Deutschland bleibt weitgehend offen, inwiefern Effektivität und Effizienz dieses Ressourceneinsatzes untersucht werden. Lediglich 43 % der weiterbildenden Unternehmen bewerten ihre Weiterbildungsmaßnahmen [2]. Die übrigen Unternehmen beschränken sich auf die Feststellung der Teilnahme an der jeweiligen Weiterbildungsmaßnahme. Von den Unternehmen, die Bewertungen zu Weiterbildungsmaßnahmen durchführen, untersuchen knapp 50 % die Auswirkungen der Weiterbildung auf Abteilungs- und Unternehmensleistungen [3]. Im Rahmen eines unternehmensinternen Untersuchungsprojektes wurde der Frage nachgegangen, unter welchen Voraussetzungen sich die Einführung des Kennzahlensystems Weiterbildungs-Return-on-Investment (Weiterbildungs-ROI) für die Steuerung von Weiterbildungsausgaben eignet. Als ein Projektergebnis ist festzuhalten, dass sich mit diesem Kennzahlensystem ein verstärkter Fokus auf den Zweck von Weiterbildung lenken lässt. Weiterbildungen im Projektmanagement (PM) eignen sich zum Einstieg in die Anwendung des Evaluationsmodells. Chancen und Herausforderungen werden sichtbar, da das Beherrschen von Projektmanagement unterschiedliche Lernebenen betrifft. Auf der kognitiven Ebene geht es um das Erlernen einer Systematik zur Aufgabenerledigung. Inwieweit diese Systematik verstanden worden ist, lässt sich z. B. anhand von Zertifikatsprüfungen feststellen. Schulungen im Projektmanagement sollen aber auch dazu beitragen, ein „Projektmindset“ zu entwickeln, das u. a. mit Ergebnisorientierung und mit der Fähigkeit zum Perspektivenwechsel einhergeht. Inwieweit die Entwicklung dieser Kompetenzen, die sich regelmäßig über einen längeren Zeitraum erstreckt, auf die Weiterbildungsmaßnahme zurückführbar ist, lässt sich lediglich tendenziell über z. B. Interviews mit Vorgesetzten ableiten. Schlagwörter | Evaluation, Projektmanagement, Return on Investment (ROI), Weiterbildung 1 Zum Projektauftrag Zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit werden in der auftraggebenden Organisationseinheit zahlreiche Aktivitäten zur Weiterbildung von Beschäftigten durchgeführt. Die Maßnahmen verursachen direkte und indirekte Kosten, die über Kostenrechnungssysteme ermittelbar sind. Fraglich ist, welche Wirkungen mit betrieblicher Weiterbildung im Hinblick auf die Beschäftigungsfähigkeit erzielt werden und wie Wirkungen identifiziert, monetär bewertet und gemonitort werden: Wo liegen Möglichkeiten und Grenzen der Wirkungsanalyse? Bislang werden als einziger Bewertungsmaßstab für die Effektivität von Weiterbildungsmaßnahmen die Ergebnisse von Abfragen der Teilnehmer [4] zur Zufriedenheit mit den besuchten Weiterbildungsveranstaltungen herangezogen [5]. Die Aussagekraft dieser Abfragen ist dadurch eingeschränkt, dass die Rücklaufquote zu den abgegebenen Bewertungsbögen häufig deutlich unterhalb von 100 % liegt. Auch lassen die Ergebnisse keine Aussage zur Wirkungsweise von Weiterbildung im Arbeitsumfeld zu. Geprüft werden soll, inwieweit die Einführung des ROI-Ansatzes in der Personalentwicklung ein geeignetes Evaluationsverfahren darstellt, um pädagogische und betriebswirtschaftliche Perspektiven zu verknüpfen. Damit könnte das Dilemma, das sich aus der Notwendigkeit zum Nachweis des wirtschaftlichen Handelns und der mangelnden Messbarkeit individueller Lernprozesse ergibt, zumindest abgeschwächt werden. In einer ersten Projektphase ist der aktuelle Stand zu Wissenschaft und Praxis zu erarbeiten, bevor entschieden wird, ob eine empirische Untersuchung anhand ausgewählter Weiterbildungsmaßnahmen durchgeführt wird. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf die erste Projektphase sowie auf die am Ende Wissen | Weiterbildungs-Return-on-Investment: Vermeidung von Bildung im Blindflug! 46 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0031 dieser Phase formulierte Empfehlung das ROI-Modell an einer Weiterbildung im Projektmanagement zu erproben. 2 Ausgangssituation: Betriebliche Weiterbildung mit zunehmender Bedeutung In den vergangenen Jahrzehnten zeigt sich in Deutschland ein kontinuierlicher Anstieg hinsichtlich der Teilnehmenden an Weiterbildungsmaßnahmen sowie der Ausgaben für betriebliche Weiterbildung. Die Quote der Teilnahme an Weiterbildungen ist von 37 % im Jahr 1991 auf 60 % im Jahr 2020 angestiegen. Damit haben laut ihren eigenen Angaben 60 % der 18bis 64-Jährigen in den vergangenen zwölf Monaten [6] an mindestens einem non-formalen Weiterbildungsformat in ihrer Arbeitszeit oder Freizeit teilgenommen. Hochgerechnet sind dies 30,8 Mio. Menschen [7]. Die Teilnahme von 60 % der Erwachsenen an Weiterbildungsmaßnahmen in Deutschland entspricht zwar bereits dem für das Jahr 2030 geplanten Zielwert, der im Rahmen der Europäischen Säule Sozialer Rechte formuliert worden ist [8], allerdings divergieren die Teilnahmequoten deutlich in Abhängigkeit des Bildungsniveaus der Menschen, der jeweiligen Unternehmensbranche sowie der jeweiligen Unternehmensgröße [9]. Laut der Nationalen Weiterbildungsstrategie ist der Durchschnittswert von 60 % nicht ambitioniert genug. Für das Jahr 2030 wird in Deutschland eine Teilnahmequote von 65 % angestrebt [10]. Zwei Gründe für die zukünftig weiter steigende Bedeutung von betrieblicher Weiterbildung sind offensichtlich. Zum einen bedingt der demografische Wandel die Notwendigkeit zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit auch von lebensälteren Beschäftigten. Des Weiteren tragen der rasante technologische Wandel und die damit verbundene „drastisch gesunkene-[…] Halbwertszeit des Wissens“ [11] zu einer Veränderung von zahlreichen Berufsbildern bei [12]. 3 Wirkungen von Weiterbildung Die Zunahme an Weiterbildungsaktivitäten mit der Folge von steigenden Weiterbildungsausgaben lässt die Frage nach den Erfolgskriterien von betrieblicher Weiterbildung bedeutsamer werden. Schließlich sollen Weiterbildungsmaßnahmen Verhaltensänderungen der Teilnehmenden im Arbeitsumfeld bewirken. Folgende Fragestellungen betreffen die Wirkungsanalyse von Weiterbildung: Geht von betrieblicher Weiterbildung ein Nutzen für die Organisation aus? Lassen sich Wirkungen von Weiterbildung messen? Woran ist erkennbar, inwieweit mit den durchgeführten Weiterbildungsaktivitäten die geplanten Wirkungen erzielt werden? Auf der Mikroebene des Individuums eignen sich z. B. die Erweiterung des bisherigen Verantwortungsbereichs (z. B. Referenten übernehmen Projektleitungen) sowie Gehaltssteigerungen als geeignete Indikatoren für gelungene Weiterbildungen. Auf der Makroebene der Volkswirtschaft lässt sich eine positive Korrelation zwischen Bildung und Wirtschaftswachstum nachweisen [13]. Des Weiteren lässt sich auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene ein Anstieg des sozialen Kapitals als Resultat der Teilnahme an Weiterbildung belegen. Die Zunahme des sozialen Kapitals zeigt sich u. a. an verstärktem zivilgesellschaftlichem Engagement [14]. Auch die Betrachtung von einer größeren Anzahl von Unternehmen führt zu dem Ergebnis, dass betriebliche Weiterbildung Produktivitätssteigerungen bedingt [15]. Die Perspektive des einzelnen Unternehmens zielt auf die Frage nach dem Nutzen von betrieblich finanzierten Weiterbildungsmaßnahmen für ein Unternehmen ab: Inwieweit tragen Ausgaben für betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen zur Erreichung der Unternehmensziele bei? Inwieweit kann die Kennzahl ROI die Transparenz zum Nutzen von Weiterbildung erhöhen? 4 Kirkpatricks` Evaluations-Modell Der Rückgriff auf das Modell von D. Kirkpatrick aus dem Jahr 1959 liefert eine Struktur zu vier Ebenen des Erfolgsnachweises von Weiterbildungsmaßnahmen [16]. Auf der ersten Modellstufe sind Teilnehmerzufriedenheitsabfragen zu verorten. Dabei handelt es sich um Akzeptanzerhebungen, mit denen die Teilnehmer zu ihrer Meinung zur Weiterbildungsmaßnahme befragt werden. Mit diesen sogenannten „Happy sheets“ lassen sich keine Schlussfolgerungen zur Wirkung einer Weiterbildungsmaßnahme feststellen. Im Gegenteil lassen hohe Zufriedenheitswerte im Anschluss an die jeweilige Weiterbildungsmaßnahme nachweislich auch auf unzureichende Lernerfolge schließen [17]. Dieser Befund spiegelt wiederum unsere alltäglichen Erfahrungen wider, wonach Lernen häufig mit Irritationen und zunächst mit Unzufriedenheit beim Lernenden einhergehen kann. Die zweite Stufe von Kirkpatricks' Modell zielt auf Lernerfolge, die u. a. anhand bestandener Prüfungen im Anschluss an Weiterbildungen erkennbar werden. Inwieweit sich hierbei auch Kompetenzen zeigen, wird insofern infrage gestellt, als das Vorliegen von Kompetenzen erst in der Bewältigung von unbekannten und ergebnisoffenen Situationen sichtbar wird. In Prüfungssituationen werden Wissen und Verständnis zu Lehrinhalten getestet, wobei Fallstudien zwar einen Transfer abverlangen, der sich allerdings auf die Simulation von realen Situationen bezieht. Die Überprüfung des Verhaltens in konkreten Arbeitssituationen, die dritte Modellebene, stellt zur Sichtbarkeit von Kompetenzen einen geeigneteren Indikator dar, zumal die realen Situationen in der Regel mit Unsicherheit, Ungewissheit und Ambivalenz verbunden sind, und „echte“ Lösungen für „echte“ Probleme gefordert sind. Zur Messung von diesen Verhaltensänderungen sind u. a. folgende Fragen zu beantworten: Welche Methoden werden eingesetzt (u. a. Beobachtung, Befragung)? Wann ist der geeignete Zeitpunkt Weiterbildungseffekte zu messen? Welche weiteren Faktoren können Auslöser beobachtbarer Verhaltensänderungen sein? Da Unternehmen an der Erreichung betriebswirtschaftlicher Ziele gemessen werden, ergibt sich auf der vierten Modellstufe der entscheidende Erfolgsfaktor zur Überprüfung des Nutzens von Weiterbildungsmaßnahmen. Gemeint sind Ziele wie z. B. die Steigerung des Betriebsergebnisses, die Neukundengewinnung sowie die Erhöhung des umsatzbezogenen Marktanteils. Dieser Ebene ist der von J. Phillips entwickelte Weiterbildungs-ROI zuzuordnen. Analog zu dem ursprünglichen ROI-Kennzahlensystem, das der amerikanische Chemiekonzern DuPont entwickelt hat, werden im Rahmen des Weiterbildungs-ROI bewertete Output-Größen mit bewerteten Input-Größen in Beziehung zueinander gesetzt. Wissen | Weiterbildungs-Return-on-Investment: Vermeidung von Bildung im Blindflug! 47 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0031 5 Weiterbildungs-ROI Die Kennzahlensystem Weiterbildungs-ROI bildet sich aus dem Quotienten von bewertetem Weiterbildungsnutzen und den durch die jeweilige Bildungsmaßnahme verursachten Kosten. Der betriebswirtschaftlichen Logik folgend, wonach sich der Erfolg eines Projektes an der Gewinnerzielung orientiert, gilt im Rahmen dieses Ansatzes eine Weiterbildungsmaßnahme in den Fällen als werterhöhend, in denen der bewertete Nutzen gegenüber den Maßnahmenkosten höher ausfällt. Der ROI-Prozess durchläuft damit idealtypisch folgende acht Phasen: • Planung des Prozesses sowie Festlegung der Zielsetzungen • Datenrecherche und Datenauswertung • Isolierung der Nutzeneffekte • Monetarisierung der Nutzeneffekte • Separierung von immateriellen Werten, die sich nicht monetarisieren lassen • Ermittlung der Weiterbildungskosten • Berechnung des Weiterbildungs-ROI • Erstellung eines Ergebnisberichtes Die Isolierung von Nutzeneffekten, die ausschließlich auf die jeweilige Weiterbildung zurückzuführen sind, bedingt das Treffen und Überprüfen von zahlreichen Annahmen. Schließlich hängt das Gelingen des Lerntransfers auch von weiteren Faktoren wie z. B. der aktuellen Wettbewerbssituation, der Vorbildung der Weiterbildungsteilnehmer sowie der Kundenstruktur ab. Des Weiteren stellt sich die Bewertung der Nutzeneffekte in monetäre Werte als herausfordernd dar, soweit der Nutzen nicht unmittelbar mit in Geld bewertbaren Größen wie z. B. Ertragsteigerungen oder Kostensenkungen einhergeht. Wie soll z. B. eine gestiegene Kundenzufriedenheit monetarisiert werden? 6 Was sagt „die“ Wissenschaft? 83 Fach-Wissenschaftler wurden um ihre Empfehlungen zu Zugängen zum Thema „Weiterbildungs-Controlling“ befragt. Die 45 Antworten (Rücklaufquote von 54 %) lassen sich zu den drei Kategorien „Benennung von Voraussetzungen“, „Kritik“ und „Ermutigung zur Umsetzung“ weiter verdichten. Folgende Statements enthalten Anwendungsvoraussetzungen: • „umsetzbar ausschließlich für Weiterbildungsmethoden, die Lernen und Transfer miteinander verknüpfen und die Rahmenbedingungen wie u. a. das Vorwissen der Teilnehmer berücksichtigen“ • „Über den Erfolg von Weiterbildung entscheidet-[…] Sorgfalt über die gesamte Wertschöpfungskette der Weiterbildung, beginnend bei der Bedarfsermittlung. Das muss man so gut es geht mit Zahlen unterfüttern, aber bei entscheidenden Aspekten muss man dann doch mit Plausibilitätsannahmen arbeiten.“ • „Berücksichtigung individueller Lernprozesse und betriebswirtschaftlicher Kennwerte“ Die Kritik überwiegt in folgenden Aussagen: • „messtechnische Probleme“ • „Die Deutung der Wertbestimmung von Weiterbildungsmaßnahmen mit Blick auf lediglich Effektivität im Sinne der Ziel-Ergebnis-Relation und der Effizienz im Sinne einer Kosten-Nutzen-Relation greift sicherlich zu kurz.“ • „Tatsächlich ist es in der Praxis ausgesprochen schwierig, eine kausale Wirkung von Weiterbildung beispielsweise auf Produktivität oder andere für den Arbeitgeber relevante Faktoren zu messen. Deshalb "flüchten" sich viele Arbeitgeber einfach in die Messung von Zufriedenheit der Teilnehmer mit der Weiterbildung oder anderen wenig hilfreichen Indikatoren-…“ Als Ermutigung zur Umsetzung lassen sich folgende Aussagen interpretieren: • „Weiterbildungscontrolling sollte forciert werden“ • „Die Digitalisierung eröffnet vielfältige Möglichkeiten für die Evaluation von betrieblicher Weiterbildung.“ • „…bleiben die Ebenen von Kirkpatrick weiterhin für die Evaluation von Weiterbildungen bedeutsam.“ Studienergebnisse belegen diese Einschätzungen hinsichtlich der nicht eindeutigen Befundlage. 7 Was sagen „die“ Unternehmen? Gemessen an der Anzahl und der Reputation der Unternehmen, die laut Aussage von J. J. Phillipps und F. C. Schirmer Mitarbeiter an ROI-Zertifizierungen teilnehmen lassen, müsste sich das ROI-Verfahren bereits weitgehend etabliert haben [18]. Diese These lässt sich anhand aktueller Unternehmensveröffentlichungen weder verifizieren noch falsifizieren. Beispielweise enthalten die Geschäftsberichte der 40 DAX-Unternehmen für das Geschäftsjahr 2021 Weiterbildungsaktivitäten u. a. bezogen auf die Schulungen von neuen Aufsichtsratsmitgliedern. Unveröffentlicht bleiben Aussagen zu Wirkungsmessungen zu Weiterbildungsmaßnahmen. Den Ergebnissen der aktuellen Befragung von weiterbildenden Unternehmen zufolge beschränken sich ca. 57 % dieser Unternehmen in Deutschland auf die Feststellung der Teilnahme an Weiterbildungen. 43 % der weiterbildenden Unternehmen führen Evaluationen durch. Der Anteil dieser Unternehmen, die jeweils Evaluationsarten entsprechend dem vierstufigen Modell von Kirkpatrick nutzen, ist nachfolgend aufgeführt: [19] • Teilnehmerzufriedenheit: 50,5 % • Lernerfolge anhand von schriftlichen oder praktischen Tests: 73,2 % • Verhaltensänderungen in Bezug auf Weiterbildungsziele: 60,7 % • Auswirkungen auf Abteilungs- und Unternehmensziele: 49,5 % Dieser Befund ist nicht mit der zunehmenden Forderung nach Wirkungsanalysen vereinbar. Beispielsweise ist die Zuweisung von öffentlichen Geldern zu sozialen Bildungsprojekten an den Nachweis von Wirkungen geknüpft. Ein Erfolg kann z. B. in der Vermeidung von Kriminalität liegen, wenn benachteiligte Jugendliche an gezielten Förderprogrammen zur Verbesserung ihrer Lernfähigkeiten teilnehmen [20]. Auch Ratingagenturen knüpfen ihre Bewertungen an den Nachweis von Weiterbildungseffekten [21], die sich z. B. in der Entwicklung der Kennzahlen HR-EBITDA [22] und HR-Capital-Return Wissen | Weiterbildungs-Return-on-Investment: Vermeidung von Bildung im Blindflug! 48 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0031 [23] zeigen. Von einer derart verdichteten Kennzahl gehen zwar kaum unternehmensinterne Steuerungsimpulse aus, aber die Verortung dieser Kennzahl im Nachhaltigkeitsbericht [24] verdeutlicht die Einordnung von Weiterbildung in einen Themenkomplex, der zunehmend an Bedeutung gewinnt, nämlich die soziale Komponente von Nachhaltigkeit, die mit den zwei weiteren Perspektiven von Nachhaltigkeit, der ökonomischen und der ökologischen Facette, gleichrangig einzustufen ist. Hinsichtlich der Durchführung des ROI-Prozesses lassen sich zusammengefasst nachfolgend aufgeführte Vorteile und Nachteile identifizieren. 8 Weiterbildungen im Projektmanagement als Anwendungsfeld des ROI-Ansatzes Zunehmend werden Aufgaben in Unternehmen im Rahmen von Projektorganisationen wahrgenommen [25]. Der Anteil der Projektarbeit dürfte auch zukünftig weiter ansteigen, da der digitale und ökologische Wandel mit Übergängen von vorhandenen in zukünftige Strukturen verbunden ist. Übergangsphasen sind Erprobungsphasen, die Flexibilität in der Vorgehensweise erfordern. Projekte ermöglichen flexible Arbeitsweisen, da es sich um „komplexe Vorhaben, die interdisziplinär, zielorientiert, kostenbewusst und zeitgerecht mithilfe moderner Management-Methoden in einer projektorientierten Organisation geleistet werden sollen“ [26] handelt. Weiterbildungen im Projektmanagement tragen dazu bei, Beschäftigte auf diese „Projektifizierung der Gesellschaft“ vorzubereiten. Damit wird auch der Einschätzung Rechnung getragen, dass die Qualifikationen in den Bereichen Teamfähigkeit und Kundenorientierung zu den wichtigsten Qualifikationen für die zukünftige Entwicklung in Unternehmen zählen [27]. Schulungen im Projektmanagement werden regelmäßig Beschäftigten von Transfergesellschaften angeboten [28]. Die Ziele, die mit Weiterbildungsmaßnahmen im Projektmanagement verfolgt werden, entscheiden darüber, welche Evaluationsstufen zur Anwendung kommt. Umgekehrt erfordert die jeweilige Evaluationsstufe die Definition von Zielsetzungen der Weiterbildung, deren Erreichen im Anschluss an die Weiterbildungsmaßnahme überprüft wird. Sollen z. B. Beschäftigte Einblicke in die aktuellen Entwicklungen des Projektmanagements gewinnen und hierbei auch die Möglichkeit zur persönlichen Vernetzung erhalten, ließen sich diese Ziele anhand von Selbsteinschätzungen im Zuge von Akzeptanzerhebungen im Nachgang zur Weiterbildungsmaßnahme überprüfen (Modellstufe 1). Steht das Bestehen von Zertifikatsprüfungen im Vordergrund, ließe sich das Erreichen dieses Ziels anhand von Erfolgsquoten festmachen, wobei Sollwerte zu definieren sind (Modellstufe 2). Die Akzeptanzerhebungen hätten dann primär einen nachrichtlichen Stellenwert. Ein Transferziel könnte die Entwicklung eines „Projektmindsets“ bei Beschäftigten sein, die aktuell in Linienfunktionen arbeiten (Modellstufe 3). Sichtbar wird dieses Mindset daran, dass Aufgaben projektmäßig erledigt werden. Dazu zählt u. a. „gelebte“ Teamarbeit, die Festlegung von Anfangs- und Endterminen, eine stringente Erfolgskontrolle sowie die regelmäßige Dokumentation der Sachstände zur Aufgabenerledigung. Inwieweit das entsprechende „Projektmindset“ entwickelt wurde, lässt sich mittels Befragungen von Führungskräften der Teilnehmenden erheben. Auch wenn die Herausforderung darin besteht die projektmäßige Aufgabenerledigung ausschließlich auf die Weiterbildungsmaßnahmen zurückzuführen und die Einschätzungen der Vorgesetzten z. B. aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen mit den Teilnehmenden nicht frei von Verzerrungen sein dürften, lassen sich zumindest Tendenzen erkennen. Vergleiche von Verhaltensweisen vor und nach der Schulungsmaßnahme könnten hierbei ebenso hilfreich sein wie Vergleiche mit Beschäftigten, die zum Zeitpunkt der Erhebung noch nicht an den jeweiligen Schulungsmaßnahmen teilgenommen haben. Ein weiteres Ziel ist die Vermittlung von Beschäftigten aus Abbildung: Vorteile und Nachteile Weiterbildungs-ROI Wissen | Weiterbildungs-Return-on-Investment: Vermeidung von Bildung im Blindflug! 49 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0031 einer Transfergesellschaft in eine Dauerbeschäftigung entweder innerhalb des betreffenden Unternehmens oder eines anderen Unternehmens (Modellstufe 4). Sicherlich lässt sich der Vermittlungserfolg nicht ausschließlich auf die Weiterbildungsmaßnahme im Projektmanagement zurückführen, allerdings lassen Vorher-/ Nachher-Betrachtungen sowie Kontrollgruppenvergleiche zumindest auch hier tendenzielle Aussagen zu. Den Kosten für die Schulungsmaßnahmen steht ein monetarisierbarer Nutzen aufgrund des Wegfalls von Lohnkosten nach der Vermittlung aus der Transfergesellschaft in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis gegenüber, so dass sich ein Weiterbildungs-ROI ermitteln ließe. Die Bedeutung des errechneten Wertes liegt in dem Vergleich mit Kosten- und Nutzenbetrachtungen zu Vermittlungen, die zu einem früheren oder zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt sind. Die Komplexität von Projekten zeigt sich anhand der Abhängigkeit der Projektergebnisse von verschiedenen Einflussfaktoren. Damit werden auch die Grenzen der Wirkungsmessung von Weiterbildungsmaßnahmen im Projektmanagement deutlich. Einflussfaktoren sind u. a.: Stakeholder-Anforderungen, Projektplanung, Projektleitung, Projektmethoden, Projektteam. Auch die Vielzahl von Kompetenzen, die Projektmanagement erfordert [29], erschwert eine Zuordnung der Schulungsinhalte auf einzelne Kompetenzfelder, deren Vorhandensein ohnehin erst in konkreten Arbeitssituationen über Einstellungen und Verhaltensweisen von Beschäftigten sichtbar wird. Trotz dieser skizzierten Einschränkungen sollte die Evaluation von Weiterbildungsmaßnahmen im Projektmanagement ein fester Bestandteil dieser Weiterbildungsmaßnahmen sein, um Anreize für ständige Qualitätsverbesserungen zu schaffen. 9 Fazit Art und Umfang von Weiterbildungsevaluationen hängen von den jeweiligen Zielsetzungen der Weiterbildungsmaßnahmen ab. Weder Akzeptanzerhebungen im Anschluss an Weiterbildungsveranstaltungen noch das vermeintlich exakte Berechnen eines ROI sind für die operative Steuerung von Weiterbildungsabteilungen geeignet. Zwischen dem Abprüfen subjektiver Teilnehmerabschätzungen und dem Anspruch von exakter Messbarkeit gilt es eine Balance zu finden. Bevor keine Wirkungsanalysen aufgrund Zweifel an der Genauigkeit der Kennzahl Weiterbildungs-ROI durchgeführt werden, ist auf das Machbare abzustellen. Dazu zählt die Befragung von Führungskräften der Weiterbildungsteilnehmer hinsichtlich der von ihnen wahrgenommenen Effekte [30]. Die Implementierung eines Chief Learning Officer auf Unternehmensgesamtebene kann dazu beitragen die Bedeutung von Wirkungsanalysen zu erhöhen. Im Ergebnis sollte die erkennbare Zurückhaltung hinsichtlich der Erfassung von Weiterbildungswirkungen aufgegeben werden, da die Steigerung von Weiterbildungsausgaben noch keine Aussagen zur Qualität von Weiterbildung zulässt. Strukturierte Evaluationsverfahren sollten zum Standardwerkzeug von Weiterbildungsabteilungen zählen. Des Weiteren entfaltet sich ein Potenzial für education- Technology (edTech), da E-Learning-Angebote Chancen für die Messung von Weiterbildungswirkungen eröffnen, die bislang noch nicht ausgeschöpft sind. Diesen Befund bestätigen finnische Unternehmen, die regelmäßig als Vorreiter in der Digitalisierung von Institutionen und Prozessen gelten [31]. Auch wenn der Weiterbildungs-ROI keine testierfähige Kennzahl ist, trägt deren Erhebung dazu bei das Weiterbildungsprogramm zu strukturieren und zu priorisieren. Die Strukturierung beginnt mit der Festlegung der Weiterbildungsmaßnahmen, die sich für den ROI-Prozess als geeignet erweisen. In Unternehmen und in öffentlichen Verwaltungen zeigt sich ein Trend zur projektmäßigen Erledigung von Aufgaben. Fraglich ist, inwieweit Beschäftigte auf dieses Arbeitsformat hinreichend vorbereitet werden. Projektarbeit ist derart komplex, dass sich ihre Ergebnisse nicht ausschließlich auf formale Weiterbildungsmaßnahmen im Projektmanagement zurückführen lassen. Umso wichtiger sind die genaue Zielbeschreibung der jeweiligen Weiterbildungsmaßnahmen, sodass über die Prüfung der Zielerreichung zumindest Tendenzen von Weiterbildungswirkungen ableitbar sind. Anhand des Beispiels der Vermittlung von Beschäftigten aus Transfergesellschaften in reguläre Beschäftigungsverhältnisse ist erkennbar, dass Evaluationen über reine Teilnehmerbefragungen hinausgehen können, indem Erfolgskontrollen (z. B. bestandene Zertifikatsprüfungen), Transferkontrollen (z. B. Umsetzung „Projektdenke“ über Führungskräftebefragungen) und auch die Überprüfung von Unternehmenskennzahlen (z. B. Anzahl vermittelter Personen) durchgeführt werden. Die ermittelten Kennzahlen bedürfen der Interpretation und Einordnung in den Kontext von weiteren Einflussfaktoren, die für Projektergebnisse maßgeblich sind. Literatur Bellmann, L., Leber, U.: Bildungsökonomik, 2. Auflage, De Gruyter Oldenbourg, Berlin / Boston 2019. Borchers, Sebastian; Verweinen Marcel Hrsg.): Betriebliche Transformation gestalten, Hanser, München 2023. Bundesministerium für Arbeit und Soziales; Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.): Nationale Weiterbildungsstrategie, Berlin 2019 und 2022. Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.): Weiterbildungsverhalten in Deutschland 2020, Berlin 2022. CR-Report 2022 der Deutschen Telekom AG unter: https: / / w w w. crb eric ht.tele ko m. c o m / 2 0 2 2 / ste u eru n g fakten / wirtschaft / finanzielle-personalkennzahlen#atn-10 890-10 892 , abgerufen am 28. 07. 2023. European Commission (Hrsg.): THE EUROPEAN PILLAR OF SO- CIAL RIGHTS ACTION PLAN, Luxembourg 2021. Finnish EdTech Report 2022 unter: https: / / educationhubhelsinki.fi / general / insight-the-promising-future-of-learning-technology/ abgerufen am 23. 01. 2023. Gessler, M.; Sebe-Opfermann: Der Mythos “Wirkungskette” in der Weiterbildung-- empirische Prüfung der Wirkungsannahmen im “Four Levels Evaluation Model” von Donald Kirkpatrick, in: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik. 107.Band, Heft 2 (2011), S. 270-279. GPM (Hrsg.): Projektifizierung der Gesellschaft in Deutschland, 2021. Hanft, Anke: Bildungs- und Wissenschaftsmanagement, Vahlen, München 2008. Wissen | Weiterbildungs-Return-on-Investment: Vermeidung von Bildung im Blindflug! 50 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0031 IZA (Hrsg.): The Wider Benefits of Adult Learning: Work-Related Training and Social Capital, Bonn 2018. Kirkpatrick, Donald L.: Evaluation Training Program, Bernett- Koehler Publishers, Inc. San Francisco 1998. Phillips, Jack J.; Schirmer, Frank C.: Return on Investment in der Personalentwicklung, Springer, Wiesbaden 2005. PWC (Hrsg.): 23rd Annual Global CEO Survey, Navigating the rising tide of uncertainty, 2020. Schober, Christian; Then, Volker (Hrsg.): Praxishandbuch Social Return on Investment, Schäffer Poeschel, Stuttgart 2015. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Berufliche Weiterbildung in Unternehmen, Sechste Europäische Erhebung über die berufliche Weiterbildung in Unternehmen (CVTS 6) Wiesbaden 2022. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Budget für Bildung, Forschung und Wissenschaft, Wiesbaden 2023. Wößmann, L.: Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Bildung, 2015, unter: https: / / www.bpb.de / themen / bildung / dossier-bildung / 199 450 / die-volkswirtschaftliche-bedeutung-von-bildung/ , abgerufen am 01. 07. 2023. Zwick, T.: The Impact of Training Intensity on Establishment Productivity, ohne Datum. Endnoten [1] Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Budget für Bildung, Forschung und Wissenschaft, Wiesbaden 2023. Die Kosten beziehen sich ausschließlich auf Lehrveranstaltungen. Kosten für u. a. Einarbeitungen, Job-Rotation, Abordnungen, Qualitätszirkel und Selbstgesteuertes Lernen sind nicht enthalten. [2] Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Berufliche Weiterbildung in Unternehmen, Sechste Europäische Erhebung über die berufliche Weiterbildung in Unternehmen (CVTS 6) Wiesbaden 2022, S. 73. [3] Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Berufliche Weiterbildung in Unternehmen, Sechste Europäische Erhebung über die berufliche Weiterbildung in Unternehmen (CVTS 6) Wiesbaden 2022, S. 74. [4] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird jeweils ein Geschlecht genannt, auch wenn jeweils alle Geschlechter gemeint sind. [5] Laut der sechsten Europäischen Erhebung über die berufliche Weiterbildung in Unternehmen führen lediglich 43,1 % der weiterbildenden Unternehmen in Deutschland Evaluationen durch. 56,9 % beschränken sich auf die Feststellung der Teilnahme. (Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Berufliche Weiterbildung in Unternehmen, Sechste Europäische Erhebung über die berufliche Weiterbildung in Unternehmen (CVTS 6), Wiesbaden 2022, S. 73.) [6] angefangen vom Erhebungszeitraum zurückgerechnet [7] Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.): Weiterbildungsverhalten in Deutschland 2020, Berlin 2022, S. 10 f. [8] Vgl. European Commission (Hrsg.): THE EUROPEAN PIL- LAR OF SOCIAL RIGHTS ACTION PLAN, Luxembourg 2021, S. 11. [9] Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Nationale Weiterbildungsstrategie, Berlin 2022, S. 14 f. [10] Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Nationale Weiterbildungsstrategie, Berlin 2022, S. 14. [11] Bellmann, L., Leber, U.: Bildungsökonomik, 2. Auflage, De Gryter Oldenbourg, Berlin / Boston 2019, S. 1. [12] Laut Aussage der OECD werden sich bis zum Jahr 2030 35 % der Berufe grundlegend verändern (zitiert nach: Bundesministerium für Arbeit und Soziales und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.): Nationale Weiterbildungsstrategie, Berlin 2019, S. 3.) [13] Vgl. z. B. die Untersuchung zum Zusammenhang zwischen guten Schülerleistungen in Mathematik und Naturwissenschaften und dem jeweiligen Wirtschaftswachstum anhand von 50 Ländern: Wößmann, L.: Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Bildung, 2015, unter: https: / / www.bpb.de / themen / bildung / dossier-bildung / 199 450 / die-volkswirtschaftliche-bedeutung-vonbildung/ , abgerufen am 01. 07. 2023. [14] Vgl. IZA (Hrsg.): The Wider Benefits of Adult Learning: Work-Related Training and Social Capital, Bonn 2018; Laut dieser Studie steigt das Einkommen durchschnittlich zwischen 4,6 % bis 7,2 % als Folge der Teilnahme an betrieblichen Weiterbildungsveranstaltungen (vgl. S. 30). [15] Laut einer Studie von Bassi et al. zufolge führt eine Ausgabe von einem Euro in betriebliche Weiterbildung zu einer Gewinnsteigerung von 33 €. (zitiert nach: Zwick, T.: The Impact of Training Intensity on Establishment Productivity, Datum? , S. 29) [16] Vgl. Kirkpatrick, Donald L.: Evaluation Training Program, Bernett-Koehler Publishers, Inc. San Francisco 1998. [17] vgl. Gessler, M.; Sebe-Opfermann: Der Mythos “Wirkungskette” in der Weiterbildung- - empirische Prüfung der Wirkungsannahmen im “Four Levels Evaluation Model” von Donald Kirkpatrick, in: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik. 107.Band, Heft 2 (2011), S. 270-279. [18] Laut Phillips und Schirmer haben u. a. Mitarbeiter folgender Unternehmen an einer ROI-Zertifizierung teilgenommen: Amazon.com, Apple Computer, AT&T, DHL Worldwide Express, Ford Motor Company, IBM, Microsoft, Netscape, Pfizer, Sprint, Vodafone. (Vgl. Phillips, Jack J.; Schirmer, Frank C.: Return on Investment in der Personalentwicklung, Springer, Heidelberg 2005, S. 224.) [19] Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Berufliche Weiterbildung in Unternehmen, Sechste Europäische Erhebung über die berufliche Weiterbildung in Unternehmen, Wiesbaden 2022, S. 74. [20] vgl. Schober, Christian; Then, Volker (Hrsg.): Praxishandbuch Social Return on Investment, Schäffer Poeschel, Stuttgart 2015. [21] Vgl. CR-Report 2022 der Deutschen Telekom AG: European Federation of Financial Analysts Societies (EFFAS): S02-02 (Aufwendungen für Weiterbildung pro Mitarbeiter) [22] Vgl. CR-Report 2022 der Deutschen Telekom AG unter: https: / / www.cr-bericht.telekom.com / 2022 / steuerung-fakten / wirtschaft / finanzielle-personalkennzahlen#atn-10 890-10 892 , abgerufen am 28. 07. 2023. [23] Vgl. CR-Report 2022 der Deutschen Telekom AG unter: https: / / www.cr-bericht.telekom.com / 2022 / steuerung-fakten / wirtschaft / finanzielle-personalkennzahlen#atn-10 890-10 892, abgerufen am 28. 07. 2023. Wissen | Weiterbildungs-Return-on-Investment: Vermeidung von Bildung im Blindflug! 51 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0031 [24] vgl. CR-Report 2022 der Deutschen Telekom AG: Kriterium 16 (Qualifizierung) des Deutschen Nachhaltigkeitskodex. [25] vgl. z. B. GPM (Hrsg.): Projektifizierung der Gesellschaft in Deutschland, 2021, S. 4. [26] Hanft, Anke: Bildungs- und Wissenschaftsmanagement, Vahlen, München 2008, S. 371. [27] vgl. Statistisches Bundesamt (Destatis) (Hrsg.): Berufliche Weiterbildung in Unternehmen (CVTS6), Wiesbaden 2022, S. 62. [28] Das Continental Institut für Technologie und Transformation (CITT) bietet z. B. Schulungen zum Design Thinking an: vgl. Borchers, Sebastian; Verweinen Marcel (Hrsg.): Betriebliche Transformation gestalten, Hanser, München 2023, S. 54. [29] vgl. z. B. 29 Kompetenzen der drei Kompetenzbereiche „Perspective“, People“ und „Practice“ im Rahmen des Standards ICB 4 der IPMA, unter: https: / / www.gpm-ipma.de / wissen / normen-standards abgerufen am 22. 09. 2023. [30] Vgl. PWC (Hrsg.): 23rd Annual Global CEO Survey, Navigating the rising tide of uncertainty, 2020, S. 34. [31] Vgl. Finnish EdTech Report 2022 unter: https: / / educationhubhelsinki.fi / general / insight-the-promising-future-oflearning-technology/ abgerufen am 23. 01. 2023. Eingangsabbildung: © iStock.com / fitzke Dr. Christoph Richter Herr Dr. Christoph Richter studierte Verwaltungswirtschaft, Wirtschaftswissenschaften und Bildungswissenschaften. Er hat unterschiedliche Managementfunktionen insbesondere im Controlling- und HR-Bereich wahrgenommen. Seit langer Zeit ist er nebenberuflich und zeitweise auch hauptberuflich als Dozent u. a. für nachhaltige Unternehmensführung und öffentliche Betriebswirtschaftslehre tätig. Aktuell arbeitet er als Senior Experte für Placement Beratung und Projektleiter bei der Deutschen Telekom AG. Deutsche Telekom AG Senior Experte Projektmanagement Moselweißer Straße 70 56 073 Koblenz Telefon: 02 614 901 112 eMail: christoph.richter@telekom.de Wissen | Gefragt: Projektmanager für technische Produkte 52 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0032 Was wir von der Entstehung der Dampfmaschine lernen können Gefragt: Projektmanager für technische Produkte Hans-Henrich Altfeld Für eilige Leser | Es wird die persönliche Einschätzung des Autors beschrieben, nach der eine Projektmanagement- Grundausbildung bei weitem nicht ausreicht, um Projekte als Teil von Programmen zu managen, die Nutzen durch die Realisierung technischer Produkte generieren. Der hier präsentierte Vorschlag untersucht, in welche Richtungen die Aus- oder Weiterbildung für Projektmanager für technische Produkte erweitert werden sollte, und wie er umgesetzt werden könnte. Schlagwörter | Realisierung technischer Produkte, Projektmanager, Aus- oder Weiterbildung James Watt und Matthew Boulton Zunächst möge ein historisches Beispiel das Anliegen dieses Artikels einleiten. Der ‚Erfinder‘ der Dampfmaschine, James Watt, hatte ein bestehendes Dampfmaschinenkonzept durch eine technische Weiterentwicklung, die er sich 1769 patentieren ließ, so weit verbessert, dass ihr Kohleverbrauch um 60 % gesenkt werden konnte. Unermüdlich tüftelte er an Verbesserungen und wollte die Maschine immer weiter perfektionieren, wobei er allerdings (fast) alles andere vernachlässigte und Schulden über Schulden anhäufte. Wenn es dabei geblieben wäre, dann wäre seine Dampfmaschine nur als eine gute Idee unter vielen in die Geschichte der Technik eingegangen und Watt hätte sich finanziell komplett ruiniert. Aber es blieb nicht dabei. 1766 lernte Watt den Unternehmer Matthew Boulton kennen, dessen Firma Metallprodukte herstellte. Boulton hatte zwar nie studiert, sich aber immerhin ein einfaches Grundwissen der Ingenieurkunst durch ‚Learning-by-doing‘ angeeignet. Boulton erkannte viel klarer als Watt die enormen Möglichkeiten der Dampfmaschine. Und er besaß das Industrialisierungswissen, sowie beeindruckende Marketing- und Netzwerkfähigkeiten, um der Dampfmaschine zum kommerziellen Erfolg zu verhelfen. Also investierte er in Watts Manufaktur, indem er zwei Drittel der Anteile am Watts-Patent kaufte und somit Watt in die Lage versetzte, seine Schulden zu begleichen. 1775 wurden Watt und Boulton auch formell Geschäftspartner. Wie ein Terrier drängte Boulton Watt zu ständigen Verbesserungen, die aber nicht der technischen Perfektionierung der Maschine, sondern ihrer Anpassung an die Bedürfnisse des Marktes dienten. Vor allem drängte Boulton Watt dazu, die Dampfmaschine so zu verändern, dass sie sich auch für den Einsatz in Mühlen und Fabriken eignete-- einem viel größeren Markt als nur dem der Minen in Cornwall, wofür die Maschinen bis dato eingesetzt wurden. Das Ende der Geschichte ist bekannt. Erst die Watt-Boulton-Dampfmaschine ermöglichte die industrielle Revolution in Großbritannien ab Ende des 18. Jahrhunderts. [I] Projekt-Unterstützung für Ingenieure Während seiner langjährigen Programm- und Projektmanagement-Berufspraxis im Umfeld von technischen Produktentwicklungen musste der Autor immer wieder an die Geschichte Wissen | Gefragt: Projektmanager für technische Produkte 53 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0032 von Watt und Boulton denken. Warum? Weil er viele ‚James Watt‘ Ingenieure kennengelernt hat und beobachten konnte, wie das Arbeiten in Projekten eine große Herausforderung für sie darstellte. Aber es ist nun einmal so, dass technische Produkte heutzutage vielfach durch Programme und Projekte realisiert werden [II], oft mit multi-funktionalen Teams. Dem können sich auch Ingenieure vom Typ ‚James Watt‘ nicht entziehen. Zudem werden immer wieder ‚James Watt‘ Ingenieure, die technisch Hervorragendes geleistet haben, zu Projektleitern befördert, bis man aufgrund schlechter Projektergebnisse erkennt, dass sie dafür weniger gut geeignet sind. Die Frage ist also, wie Ingenieure generell, aber insbesondere die vom Typ ‚James Watt‘, in ihrer Programm- oder Projekt-Arbeit so unterstützt werden können, dass das Produkt nicht nur technisch, sondern auch kommerziell ein Erfolg wird. Im Folgenden wird dieser Frage nachgegangen. Produkt versus Programm Dazu seien vorab einige Definitionen gegeben, was in diesem Artikel mit Produkten, Programmen und Projekten gemeint ist: • Als technisches (End-)Produkt sei hier ein Zusammenbau von technischen Systemen und Strukturen verstanden, welches mit der Absicht realisiert wird, Funktionalitäten für einen Nutzer bereitzustellen (Beispiele: Auto, Flugzeug, Schiff, Kraftwerk, Bürogebäude usw.). • Ein Programm sei hier als eine Gruppe technisch und betriebswirtschaftlich miteinander verbundener Projekte verstanden, welches das Ziel hat, durch die Realisierung eines technischen (End-)Produkts Nutzen für externe Kunden, aber auch für das eigene Unternehmen, zu generieren, und das möglicherweise entlang seines gesamten Lebenszyklus. Während ein Programm also das (End-)Produkt als Ganzes im Blick hat, haben Projekte dessen technische Systeme, Strukturen und Komponenten zum Inhalt. [III] • Hat ein Unternehmen nicht nur ein Programm, sondern mehrere oder viele Programme in seinem Portfolio, so ergeben sich auf der Ebene des Portfolios zusätzliche Management-Herausforderungen, die sich vom Programm- und Projektmanagement unterscheiden. Abbildung 1: Themen und ausgewählte Unter-Themen der Fokusgruppe ΄Produkte΄ Sämtliche in der Abbildung enthaltene Informationen basieren ausschließlich auf der persönlichen Erfahrung und Einschätzung des Autors. Wissen | Gefragt: Projektmanager für technische Produkte 54 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0032 Erforderliche Projektmanager-Kompetenzen Wenn also technische Produkte vielfach durch Programme realisiert werden, dann werden Leiter für solche Programme und Manager für ihre Projekte gebraucht, die entweder direkt als solche ausgebildet oder von anderen Berufsgruppen her rekrutiert und dann weitergebildet werden müssen. Ausgehend von der persönlichen Erfahrung des Autors seien hier vier Berufsgruppen betrachtet. Drei dieser Berufsgruppen betreffen Ingenieure, die naturgemäß bei technischen Produkten eine zentrale Rolle spielen. Egal, ob am Anfang eine technische Innovation steht, für die dann ein Markt entwickelt werden kann, oder ob der Markt zu einer technischen Neuerung drängt: Es ist die Ingenieurkunst, nicht das Unternehmertum oder das Projektmanagement, welche den notwendigen, wenn auch nicht hinreichenden Beitrag im Kontext der oben definierten Projekte und Programme leistet. Der Leser möge bedenken, dass die Einteilung in vier Berufsgruppen naturgemäß sehr pauschal ist und hier nur als Modell fungiert, um das Thema dieses Artikels zu strukturieren: 1. In der ersten Berufsgruppe finden sich die ‚James Watt‘- Ingenieure, die innovativen Tüftler und Perfektionisten, die sich aber schwertun, innerhalb definierter Strukturen und Prozesse zu arbeiten und wenig Interesse an methodischen und betriebswirtschaftlichen Aspekten zeigen. 2. Zu der zweiten Berufsgruppe zählen die ‚Matthew Boulton‘- Ingenieure, die ein gewisses, aber kein tiefes Verständnis des Ingenieurwesens entwickelt haben, und eher geneigt sind, sich den finanziellen, kommerziellen und möglicherweise unternehmerischen Aspekten technischer Produkte zu widmen. 3. In der dritten Berufsgruppe finden sich Ingenieure, die zwischen den Berufsgruppen (1) und (2) anzusiedeln sind, d. h. Ingenieure, die aufgrund einer soliden Ingenieursausbildung hervorragende Arbeit leisten, wenn auch nicht so extrem fokussiert wie in der Berufsgruppe (1). Diese Ingenieure haben aber durchaus auch eine ‚Antenne‘ für die finanziellen und kommerziellen Aspekte, die sie aber mangels Wissen oder Erfahrung in der Praxis oft nicht anwenden. Auch zeigt dieser Typus Ingenieur deutlich weniger Risikobereitschaft als die Ingenieure in der Berufsgruppe (2). 4. In der vierten Berufsgruppe befinden sich Personen ohne Ingenieurkenntnisse, die aber eine solide Ausbildung in den Grundlagen des Projektmanagement erfahren haben (z. B. PMI®-Mindeststandard). Diese Personen haben das Projektmanagement im Hinblick auf eine generische Anwendung erlernt, also keinesfalls nur für Projekte, die technische Produkte zum Inhalt haben. Es sollte bereits ersichtlich geworden sein, dass Berufsgruppe (1) nicht ohne weiteres für Rekrutierungen für die Leitung bzw. das Management von Programmen und Projekten geeignet ist. Um dennoch sicherzustellen, dass Ingenieure dieser Berufsgruppe kreativ arbeiten können, werden sie am besten weitestgehend von administrativen, methodischen und prozessualen Tätigkeiten entbunden. Stattdessen integriert man sie in ein Team mit einem Projektmanager. Damit aber die beiden Rollen, also Ingenieure der Berufsgruppe (1) und Projektmanager, nicht nebeneinander, sondern miteinander und integriert agieren, muss der Projektmanager sehr häufig mit ihnen kommunizieren, muss sie antreiben, und muss Vorschläge zur Verbesserung der Kundenzufriedenheit machen können- - in etwa so, wie Matthew Boultan das mit James Watt getan hat. Abbildung 2: Themen und ausgewählte Unter-Themen der Fokusgruppe ΄Programme΄ Sämtliche in der Abbildung enthaltene Informationen basieren ausschließlich auf der persönlichen Erfahrung und Einschätzung des Autors. Es gilt die gleiche Farbkodierung wie für Abbildung 1. Wissen | Gefragt: Projektmanager für technische Produkte 55 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0032 Darüber hinaus muss der Projektmanager ein sehr solides Ingenieurgrundwissen mitbringen, nicht nur um die technischen Inhalte, die von den Ingenieuren generiert werden, verstehen und beurteilen zu können, sondern auch, um sich den nötigen Respekt zu verschaffen und um sie qualifiziert befragen und prüfen zu können, z. B. wenn es um Kosten geht. Da eine Person der Berufsgruppe (4) im Allgemeinen nicht über ein sehr solides Grundwissen des Ingenieurwesens einschließlich der damit verbundenen methodischen und prozessualen Ansätze (wie z. B. Systems Engineering) verfügt, um auf dieser Basis Einfluss auf Ingenieure der Berufsgruppe (1) nehmen zu können, ist diese Person für den hier gesuchten Typus Projektmanager nicht geeignet, insbesondere wenn es auch an den notwendigen Soft Skills fehlt. Mit anderen Worten: eine übliche Projektmanagement-Grundausbildung reicht bei weitem nicht aus und muss für diese Aufgabe erheblich ergänzt werden. Berufsgruppe (2) eignet sich im Prinzip schon besser für die Rekrutierung von Projektmanagern. Allerdings sind Ingenieure dieser Gruppe eher an strategischen Fragen interessiert. Zwar zeigen sie ausgeprägte Marketing- und Netzwerkfähigkeiten, die ebenfalls für eine Projektarbeit erforderlich sind, aber das Ingenieurverständnis reicht für das Kleinklein der täglichen Projektarbeit häufig nicht aus. Und auch hier trifft man auf Personen, die Schwierigkeiten haben, innerhalb von Strukturen und mit Prozessen zu arbeiten, wie sie nun einmal für die Projektarbeit notwendig sind. Ingenieure der Berufsgruppe (2) kämen aber für die Rekrutierung als Programm- oder Portfolioleiter infrage. Gegebenenfalls ist hier eine Ausbildung zum Wirtschaftsingenieur sinnvoll. Ingenieure der Berufsgruppe (3) bringen das notwendige Ingenieurverständnis mit, um für eine Rekrutierung als Projektmanager infrage zu kommen. Aber sie brauchen Unterstützung in Form von Weiterbildung in einer ganzen Reihe von Themen (siehe weiter unten), bevor sie diese Rolle übernehmen können. Auch ein Coaching mag hier notwendig sein, denn neben dem fehlenden Fachwissen gibt es häufig Ängste um das Agieren in unbekanntem Terrain (Projektmanagement! Risikobereitschaft! ), die abgebaut werden müssen. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass Projektmanager im Umfeld von produktspezifischen Projekten eine Aus- oder Weiterbildung in folgenden Themenbereichen erfahren haben sollten: a. ein solides Grundverständnis des Ingenieurwesens (z. B. entsprechend eines BSc in einer der Ingenieurwissenschaften); b. Methoden und Prozesse für das ganzheitliche Management entlang des Produkt-Lebenszyklus; c. vertieftes Projektmanagement auf der Basis eines betriebswirtschaftlichen Denkens, welches auch Aspekte des Managements von Programmen und Portfolios abdeckt; d. Veränderungsmanagement; e. die Ausgestaltung einer den Projekten förderlichen Kommunikation, Arbeitsweise, Führungsmethodik und Organisation; f. verschiedene Soft Skills, insbesondere Führungsfähigkeit und Kundenorientierung. Mit Ausnahme von (a) seien diese Themenbereiche im Folgenden detailliert beschrieben. Erweiterung der Ausbildung zum Projektmanager Auf der Basis eines adäquaten Ingenieurverständnisses sind Kenntnisse und Fähigkeiten eines Projektmanagers im Kon- Abbildung 3: Themen und ausgewählte Unter-Themen der Fokusgruppe ΄People΄ Sämtliche in der Abbildung enthaltene Informationen basieren ausschließlich auf der persönlichen Erfahrung und Einschätzung des Autors. Es gilt die gleiche Farbkodierung wie für Abbildung 1. Wissen | Gefragt: Projektmanager für technische Produkte 56 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0032 text von produktspezifischen Projekten in einer ganzen Reihe von Themen notwendig, die man zu den Fokusgruppen ‚Produkte‘, ‚Programme‘, ‚People‘ und ‚Policies‘ zusammenfassen kann, den 4P-Fokusgruppen. [IV] Diese werden in den Abb. 1-4 aufgeführt und durch Auswahl typischer Unter-Themen etwas detaillierter beschrieben. Da Produkte und Projekte bestimmten Hierarchien unterliegen, wird in den Abbildungen ebenfalls aufgeführt, ob ein Thema auf eine spezifische Hierarchieebene beschränkt ist (‚spezifisch‘), oder typischerweise auf einer Hierarchieebene angesiedelt ist, aber von dort auch auf mindestens eine der anderen Hierarchieebenen ausstrahlt (‚transversal‘). Ein transversales Thema auf der (End-)Produkt oder Programm-/ Portfolio-Ebene wäre damit auch für Projektmanager relevant. Aber auch Produkt- oder Portfolio-spezifische Themen können für Projektmanager von Bedeutung sein, wenn sie von Projekten Zuarbeit einfordern. Zu den Abb. 1-4 kommen noch die Details des von W. Edwards Deming eingeführten Plan-Do-Check-Act (PDCA) Konzepts hinzu, welches sich als so fundamental erwiesen hat, dass es auf alle möglichen Prozesse und Themen, insbesondere auch auf die Themen in den Abb. 1-4, angewendet werden kann. [V] Zum Beispiel basiert der im Projektmanagement sehr bekannte Planung-Durchführung-Steuerung-Prozess auf dem PDCA-Konzept. [VI] Während im Planungsvorgangs eines Projektes ganz allgemein Referenzlinien gebildet und eingefroren werden, wird im ‚Check‘ deren Einhaltung überwacht und, falls es zu Abweichungen kommt, im ‚Act‘ gegengesteuert. Typischerweise werden dazu Aktionen gestartet und verfolgt (‚Action Management‘) oder, falls das nicht ausreicht, wird die betreffende Referenzlinie in einem kontrollierten Verfahren geändert, was dann als ‚Änderungsmanagement‘ bekannt ist. ‚Action Management‘ und ‚Änderungsmanagement‘ müssen daher als inhärent zu allen Themen in den Abbildungen 1-4 mitgedacht werden. Eine Aus- oder Weiterbildung zum Projektmanager muss also nicht nur die Themen selbst abbilden, sondern auch ihr PDCA-Management. In den Abb. 1-4 wird mittels eines Farbcodes auch eine persönliche Einschätzung des Autors darüber abgegeben, inwieweit mindestens eine der gängigen Projektmanagement-Zertifizierungen, also PMI®, IPMA® oder Prince2®, ein als notwendig erachtetes Thema bereits abdeckt. [VII] Wer allerdings an einer Hochschule Projektmanagement belegt hat, der wurde nicht notwendigerweise in allen Bereichen ausgebildet, die die Projektmanagement-Zertifizierungen umfassen, sondern möglicherweise nur in den Grundlagen entsprechend der Definition der Berufsgruppe (4). Da hier die Rede ist von produktspezifischen Projekten, stehen zunächst einmal Themen der Fokusgruppe ‚Produkte‘ zur Diskussion, und zwar Themen entlang des Lebenszyklus eines Produkts. Nach Einschätzung des Autors gehören dazu die Themen in Abbildung 1. Für die Qualifizierung als Projektmanager werden des Weiteren vom Autor Themen der Fokusgruppe ‚Programme‘ als notwendig erachtet, die in Abbildung 2 dargestellt sind. Die Themen der Fokusgruppe ‚People‘ konzentrieren sich auf die an einem Programm und Projekt beteiligten Menschen und sind typischerweise auf der Ebene eines Portfolios angesiedelt, von wo aus sie auf die gesamte Produkt- und Programm-Hierarchie ausstrahlen. Nach der Erfahrung des Autors sind das Themen, wie sie in Abbildung 3 aufgeführt sind. Hinter dem Thema ‚Kompetenzmanagement‘ verbergen sich Aus- und Weiterbildung zu allen in diesem Artikel genannten Themen, aber zusätzlich auch zu Soft Skills wie z. B. Personal- Abbildung 4: Themen und ausgewählte Unter-Themen der Fokusgruppe ΄Policies΄ Sämtliche in der abbildung enthaltene Informationen basieren ausschließlich auf der persönlichen Erfahrung und Einschätzung des Autors. Es gilt die gleiche Farbkodierung wie für Abbildung 1. Wissen | Gefragt: Projektmanager für technische Produkte 57 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0032 führung, Verhandlungstaktik, Konfliktmanagement, Ethik und Compliance, Multikulturelles Management, Diversität, Zeitmanagement, Präsentationsfähigkeit usw. Schließlich sind auch einige Themen für Projektmanager relevant, die sich der Fokus-Gruppe ‚Policies‘ zuordnen lassen. Diese Themen sind in Abbildung 4 aufgeführt; auch sie sind typischerweise auf der Ebene eines Portfolios angesiedelt. Ein Vorschlag zur Umsetzung Wie bisher gezeigt wurde, reicht eine Grundausbildung in Projektmanagement nicht aus, um Manager für Projekte im Kontext von Produkt-Lebenszyklen heranzubilden. Es ist daher zu fragen, was getan werden kann, um die Ausbildung von Ingenieuren zu Projektmanagern zu verbessern und zu fördern. Egal, wie die Details eines Verbesserungsvorschlags aussehen könnten, es wird klar, dass nur ein integrierender Ansatz infrage kommt, um alle Themen für die 4P Fokus-Gruppen abzudecken. Dabei müssen nicht exakt die in den Abb. 1-4 angegebenen Themen und Unter-Themen in eine integrierte Aus- oder Weiterbildungsform eingebracht werden, sondern können im Verlauf eines integrierenden Diskussions- Prozesses verändert und / oder präzisiert werden. Die hier gemachten Themen-Vorschläge sollen lediglich einen ersten Denkanstoß geben und beruhen auf der persönlichen Erfahrung des Autors, die selbstverständlich eine noch zu objektivierende Sichtweise darstellt. Eine offensichtliche Möglichkeit für einen Verbesserungsvorschlag wäre eine spezifisch auf die Bedürfnisse der Projektmanager vom hier beschriebenen Typus abgestimmte Zertifizierung, die gemeinsam und integriert von verschiedenen Zertifizierungs-Organisationen erarbeitet wird. Das könnte zum Bespiel in enger Zusammenarbeit von IPMA mit der Gesellschaft für Systems Engineering (GfSE) erfolgen. Da es sich aber um vier Fokus-Gruppen handelt, müssen mehrere solcher Zertifizierungs-Organisationen an einen Tisch kommen. Sie müssen bereit sein, sich ein Stück weit vom Geist und Inhalt ihren genuinen Zertifizierungen, die ja parallel erhalten bleiben sollten, zu entfernen, um zu einer integrierten Lösung zu kommen. Das ist naturgemäß eine große Herausforderung. Eine weitere Möglichkeit wäre die Einrichtung eines Master-Studiengangs ‚Projektmanager für Technische Produkte‘ an Universitäten oder Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Idealerweise wären dies Hochschulen, an denen bereits Technik und Betriebswirtschaft gelehrt wird, da dort viele der in den Abbildungen 1-4 angegebenen Themen und Unter-Themen bereits als Kurse angeboten werden- - wenn auch meist nicht in integrierter Form. Im Prinzip existiert ja schon der Berufsstand der ‚Projektingenieure‘, welcher die Erwartungen des Autors an die Qualifizierung von Projektmanagern des hier beschriebenen Typs zu einem nicht unwesentlichen Teil abbildet. Da aber die Herstellung und die wettbewerbsfähige Vermarktung von technischen Produkten so wichtig sind für die wirtschaftliche Erfolgsbilanz eines Landes [VIII], verwundert es schon sehr, dass es anscheinend nur eine Hochschule in Deutschland gibt, die einen Master-Studiengang zum Projektingenieur anbietet. [IX] Darüber hinaus wird vom Verein Deutscher Ingenieure ein Zertifikatslehrgang ‚Projektingenieur‘ angeboten, dessen Inhalt aber nicht an die hier beschriebenen Anforderungen heranreicht, vgl. [6]. Zusammenfassung Die heute gängigen Lehrgänge und Zertifizierungen im Bereich Projektmanagement reichen nach Ansicht des Autors nicht aus, um hinreichend kompetente Manager heranzubilden, die im Rahmen von Programmen Projekte leiten sollen, deren Ziel es ist, Nutzen durch die Realisierung technischer Produkte zu generieren. Dazu sind bestehende Lehrgänge und Zertifizierungen zu breit aufgestellt, denn sie haben natürlicherweise den Anspruch, alle Arten von Projekten abdecken. Stattdessen fehlen Themengebiete, deren Verständnis für Projektmanager des hier beschriebenen Typus unabdingbar sind, um erfolgreich technische Projekte zu leiten. Eine erste Liste der Themen mit einer Einschätzung des Autors, inwieweit diese durch bestehende Projektmanagement-Zertifizierungen abgedeckt werden, ist in diesem Beitrag aufgeführt. Selbstverständlich wäre die Liste zu präzisieren und ist hier nur als erster Vorschlag zu verstehen. Um also die Ausbildung von Projektmanagern des hier beschriebenen Typus zu verbessern, könnten integrierte Zertifizierungen oder auch deutlich mehr Master-Studiengänge als bisher geschaffen werden. In jedem Fall muss aber zunächst eine solide Ingenieurausbildung erfolgen. Die ‚Projektingenieur‘-Grundidee, dass nämlich die unbedingt notwendige Ingenieurausbildung mit einer Weiterbildung verknüpft wird, bleibt bestehen. Das ist allein schon deshalb wichtig, weil Studenten noch nicht wissen können, in welche Richtung sich ihr beruflicher Werdegang eines Tages entwickeln wird. Es steht jedenfalls zu erwarten, dass die Industrie gegenüber dem Vorhaben einer verbesserten und auf technische Programme zielenden Projektmanager-Ausbildung sehr positiv eingestellt wäre, denn die Vorteile liegen auf der Hand. Auch James Watt und Matthew Boulton hätten wahrscheinlich ihre Freude daran. Literatur [1] h t t p s : / / d e . w i k i p e d i a . o r g / w i k i / J a m e s _ Wa t t ; Stand 15. 11. 2023 [2] https: / / intriguing-history.com / matthew-boulton/ ; Stand 15. 11. 2023 [3] GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.: Projektifizierung 2.0, Zweite Makroökonomische Vermessung der Projekttätigkeit in Deutschland, UVK Verlag, München 2023 [4] https: / / bdi.eu / der-bdi / ueber-uns; Stand 15. 11. 2023 [5] https: / / studieren.de / studiengangsliste.t-0.group-I.s-37. html; Stand 15. 11. 2023 [6] https: / / www.vdi-wissensforum.de / lehrgaenge / projektingenieur-vdi/ ; Stand 15. 11. 2023 Wissen | Gefragt: Projektmanager für technische Produkte 58 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0032 Endnoten [I] Für diese Zusammenfassung der Watt / Boulton-Geschichte vgl. [1] und [2]. [II] Für Hinweise dazu vgl. [3]. [III] Ein Projekt kann hier klassisch definiert werden als eine Ansammlung von Aktivitäten, die innerhalb eines Zeit- und Kostenrahmens abgearbeitet werden müssen, um vorab definierte technische Lösungen in der vorgesehenen Qualität zu generieren-- es sei denn, ein Programm besteht nur aus einem Projekt; in diesem Fall kann das Projekt auch als Program angesehen werden. [IV] 4P umfasst im Englischen: ‚Products‘‚ ‚Programs‘, ‚People‘ und ‚Policies‘. Um den 4P-Charakter beizubehalten, werden hier die englischen Begriffe ‚People‘ und ‚Policies‘ nicht übersetzt. [V] PDCA wird häufig als zyklische Kreisbewegung dargestellt, weswegen man von einem PDCA-Zyklus spricht. In Wirklichkeit handelt es sich aber nicht immer um einen echten Zyklus. Daher sei PDCA hier so verstanden: wo geplante Tätigkeiten ausgeführt werden, müssen auch ‚Check‘ und ‚Act‘ zum Einsatz kommen, um die gewünschten Ziele zu erreichen. [VI] Wobei allerdings noch Projektstart und Projektabschluss hinzukommen. [VII] Dabei wird berücksichtigt, dass die Ansätze dieser Zertifizierungen unterschiedlich sind: während der IPMA®- Standard den Fokus auf eine ganzheitliche und umfassende Qualifikation der Berufsgruppe legt (inkl. soft skills), betonen das PMI® und Prince® stärker die Terminologien und Prozesse. [VIII] Immerhin tragen in Deutschland Industrieprodukte ca. 30 % zum Brutto-Inlandsprodukt und 86 % zu den Exporten bei; vgl. [4]. [IX] Auch wenn man berücksichtigt, dass es andere Begriffe als ‚Projektingenieur‘ geben mag, mit denen der hier beschriebene Typus eines Projektmanagers gemeint ist, lassen sich mit einer Suche mittels [5] nur weniger als eine Handvoll Hochschulen finden. Eingangsabbildung: © iStock.com / gorodenkoff Dr. Hans-Henrich Altfeld 30-jährige Erfahrung als Projektleiter und Leiter von Project Control Offices und Project Management Offices im Umfeld komplexer und internationaler Produktentwicklungs-Programme in der Luftfahrt, Raumfahrt und der Automobilindustrie, sowie im nuklearen Kraftwerksbau. Mitglied der GPM und im Verein Deutscher Ingenieure (VDI); Ehrenvorsitzender der Royal Aeronautical Society Hamburg. Zudem ist er Autor des Buches ΄Commercial Aircraft Projects: Managing Complex Product Developments΄, welches in englischer und chinesischer Sprache erschienen ist. Internet: www.novo-artifact-consulting.com eMail: novo.artifact.consulting@gmail.com 59 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0033 Projektmanagement ist so viel mehr als das Managen von Projekten Steffen Rietz Für eilige Leser | Was war noch gleich zuerst da: die Henne oder das Ei? Entsteht die Notwendigkeit des Projektmanagements aus dem Start eines Projektes? Oder sind die Planungs- und Steuerungsnotwendigkeiten minimaler Herausforderungen inzwischen so komplex geworden, dass Projekte definiert und Projektmanager ausgebildet werden? Typische Aspekte professioneller Projektarbeit- - Methoden und Arbeitstechniken, Prozesse und Werkzeuge- - finden punktuell auch außerhalb formalisierter Projekte Anwendung im Arbeitsalltag. Schlagwörter | Methodeneinsatz, Tooleinsatz, Projektphilosophie, projekthaft, projektähnlich Projektmanagement ohne Projekt klingt im ersten Moment etwas gewöhnungsbedürftig. Hat man ein Projekt, sollte man den erwartbaren Herausforderungen mit professionellem Projektmanagement begegnen. Hat man kein Projekt, entfällt dieser Bedarf. Aber Projektmanagement ohne Projekt? Viele junge Menschen lernen in der Hochschulausbildung oder der GPM-Zertifizierung grundlegende Definitionen im Umfeld der Projektarbeit- - für bevorstehende Prüfungen, aber vor allem für den späteren Berufsalltag. Dort werden zunehmend Projekte initiiert, um die Kräfte und Budgets zielorientiert zu bündeln. Diese Bündelung ist zunehmend auch organisatorisch erkennbar in der Definition von Projektportfolios oder Programmen. Es werden Ziele definiert, (Teil-)Ergebnisse zu vereinbarten Meilensteinen erreicht, in der festen Absicht, ein Gesamtergebnis zu erreichen und damit einen Kundennutzen zu generieren. Nicht alles, aber vieles ist dabei planbar oder zumindest durch projektbegleitende Steuerung maßgeblich beeinflussbar. Ein Aspekt ist dabei regelmäßig etwas unterrepräsentiert: Wenn eine Organisation mehrere Projekte zeitlich überlappend startet, diese aber weder in einem Projektportfolio noch in einem Programm zusammenfasst, entsteht eine Multiprojektlandschaft mit besonderen Herausforderungen aus Sicht des Einzelnen, der ggf. seine Arbeitsleistungen in mehrere Projekte gleichzeitig einbringen soll. So z. B. arbeitet Frau Müller aus dem Entwicklungsbereich den größten Teil ihrer Arbeitszeit in einem Projekt zur Produktentwicklung. Gleichzeitig unterstützt sie in nennenswertem Umfang ein Projekt im IT-Bereich, in dem eine neue IT-basierte Planungsumgebung geschaffen wird. Als Mutter zweier Kinder ist sie natürlich auch in die Konzeptphase des geplanten Betriebskindergartens involviert. Einen über den drei Themen koordinierenden Programm- oder Portfoliomanager gibt es nicht, aber zumindest drei Projektleiter mit drei Projektaufträgen, mit denen sie ihre persönlichen Planungs- und Priorisierungsnöte im Arbeitsalltag diskutieren kann. (Siehe Bild 1, Spalte 3) Wenn aber gar kein Projekt gestartet wird? (Siehe Bild 1, Spalte 1) Wenn ganz maßgebliche Elemente der Projektarbeit fehlen? Kein Kunde und kein Auftraggeber! Kein Projektmanager und kein Projektteam! Kein formulierter oder gar dokumentierter Projektauftrag! Kein handlungsleitendes Projektziel! Kein terminiertes Projektende und / oder kein bereitgestelltes Projektbudget! Einfach nur ein Wunsch, an deren Realisierung eine oder mehrere Person(en) beteiligt sind, die über eine unbekannte Zeit Ressourcen und Geld benötigen werden-- ebenfalls in Art und Menge unbekannt. Eine Termingrobplanung und eine Quantifizierung des Budgetbedarfs machen aus der Situation noch kein Projekt. Wenn die Überlegungen der Bedenkenträger punktuell Elemente des Risikomanagements erkennen lassen, auch noch nicht. Einzelne Aspekte der Information und Kommunikation sind innerhalb von Personengruppen erkennbar, ein Reporting oder Formen der Eskalation oder Mediation oft schon nicht mehr, weil keine Strukturen, Untergruppen oder gar Hierarchien definiert sind. Deutlich überdurchschnittlich ausgeprägt sind hingegen oft eine persönliche Identifikation mit dem Wunsch bzw. dem Ziel, ein persönlicher Vorteil durch die Zielerreichung und Spaß bei der Arbeit. Die persönliche und intrinsische Motiva- Wissen | Projektmanagement ist so viel mehr als das Managen von Projekten 60 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0033 tion ist nicht zu unterschätzen, weil üblicherweise keine klassische monetäre Entlohnung für geleistete Arbeit erfolgt. In diesen Situationen werden im beruflichen wie auch im privaten Umfeld oft Methoden des Projektmanagements intuitiv angewendet. Aktivitäten- und Terminketten bestimmen unseren Alltag, z. B. 17: 00 Uhr das Büro verlassen, Heimfahrt, unterwegs noch einkaufen, das Kind vom Training abholen, der Nachbarin die geborgten Sachen zurückbringen, aufräumen, noch schnell duschen, den Tisch decken, um 20: 00 Uhr den angekündigten Besuch empfangen und bis dahin alles fertig haben. Wie werden solche Abende geplant? Im Grunde mit exakt den gleichen Überlegungen der Vorwärts- und Rückwärtsplanung, wie sie aus der Netzplantechnik bekannt sind, nur eben ohne Netzplan. Basis sind unbewusste und undokumentierte Überlegungen inkl. der intuitiven Bestimmung von Puffern und Reserven. Niemand käme auf die Idee, diese intuitiven Mini-Planungsszenarien Projekt zu nennen. Ähnliches ist in der Kosten- und Budgetplanung zu beobachten. Schritt eins im Kindesalter beginnt damit, die Preisschilder im Süßigkeitenregal mit dem verfügbaren Kleingeld zu vergleichen. Später vergleicht man Preise im Reiseprospekt oder im Autohaus mit dem eigenen Kontostand und leitet daraus Kaufoptionen, Sparpläne, Kosten- und Liquiditätsüberlegungen ab bis hin zu ersten Lösungsalternativen, einen kürzeren Urlaub zu buchen oder ein kleineres Auto zu kaufen, damit das begrenzte Budget dann doch reicht. Deutlich projektähnlicher wird es, wenn nicht nur Aktivitätendauern bis zur Ermittlung des Endtermins oder Kostenpositionen bis zur Ermittlung der Gesamtkosten aufaddiert werden, sondern mehrere Projektmanagementkompetenzen ineinandergreifen. Gut sichtbar wird dies in der Verbindung von Ressourcen-, Zeit- und Kostenplanung. Geplante Ressourcen kosten Geld. Begrenzte Zeit oder ein gedeckeltes Budget limitieren den Ressourceneinsatz. Daher werden in zahlreichen Planungstools (MS Project, SAP u. ä.) kalkulatorische Stundensätze hinterlegt. Wird dieser Grundzusammenhang auch außerhalb IT-basierter Planung berücksichtigt, wird aus den Überlegungen nicht gleich ein Projekt (Siehe Bild 2). Auszubildende, Studenten und Lehrgangsteilnehmer wollen angestrebte Abschlüsse in der prognostizierten Zeit bestmöglich erreichen. Paare und Familien wollen sich ein Auto kaufen, eine (Welt-)Reise machen und / oder ein Haus bauen-- vielleicht alles gleichzeitig. Sportler wollen Deutscher Meister oder Olympiasieger werden, Schauspieler die Goldene Kamera oder den Oscar gewinnen und arbeiten jeweils gezielt darauf hin. Vertreter von Vereinen, Verbänden und Stiftungen agieren arbeitsteilig und zielorientiert-… usw. Es sind täglich tausendfach Aspekte der Planung und Steuerung zu beobachten, die sich in vielen Belangen, oft sogar sehr detailreich an ausgewählten Aspekten des Projektmanagements orientieren, aber nicht Bestandteil typischer Projektarbeit sind. In kleinen oder größeren Alltagsplanungsszenarien finden dann trotzdem z. B. folgende Überlegungen notwendigerweise Berücksichtigung: • Ermitteln des Nutzens, der durch das abgestimmte Managen einzelner Aspekte erzielt werden kann / inkl. der Sicherstellung der Nutzenerzielung aus den Investitionen • Ausrichtung auf ein oder mehrere strategische und operative Ziele • Optimierung der Nutzung von Ressourcen • Optimierung von Art und Umfang der Kosten, Zeiten und Ergebnisqualität • Managen von Problemen, Gefahren, Risiken und Fehlern • Managen der Engagements der Stakeholder • Festlegen von Strategien und Aktivitäten im Zusammenhang mit Änderungen • …-usw. Abbildung 1: Methoden und Strategien des Projektmanagements anzuwenden, ist nicht nur in der Projektarbeit möglich Wissen | Projektmanagement ist so viel mehr als das Managen von Projekten 61 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0033 Auch wenn all dies-- als Einzelmaßnahme oder gesamthaft-- sehr konsequent getan wird, entsteht nicht zwangsläufig ein Projekt. Wir möchten dies zum Anlass nehmen, in einer losen Reihe von Fachaufsätzen Szenarien und Beispiele zu schildern, in denen umfänglich Methoden des Projektmanagements angewendet werden, ohne Auftraggeber, ohne Projektauftrag, ohne Budget, mehr einem Wunsch als einem Ziel folgend, aber ggf. gemeinsam, arbeitsteilig, kooperativ, unterstützend, ausdauernd, diszipliniert, professionell. Wir wollen damit u. a. auch einem Trend entgegenwirken. Hasskommentare im Internet, Beleidigungen aus der Anonymität, aggressive Opposition ohne substanzielle Alternativvorschläge sind in wachsender Anzahl und mit steigender Negativität zu beobachten. Ist es nicht viel sinnvoller, auch für jeden Einzelnen viel befriedigender aus der Deckung der zweiten Reihe hervorzutreten und zu helfen? Fehler anderer nicht kritisieren, sondern korrigieren und damit selbst ein aktiver Teil der Lösung werden. Unrealistische Planungen nicht belächeln, sondern mit Unterstützung, Kreativität und Enga- Abbildung 2: Wann werden Überlegungen entlang der Zeitachse zur professionellen Terminplanung? Wann werden Überlegungen zum Material- oder Personaleinsatz zur professionellen Ressourcenplanung? Wann wird eine Szenarioplanung in Abwägung von materiellen, finanziellen oder zeitlichen Investitionen zur komplexen Projektplanung? Prof. Steffen Rietz Prof. Dr.-Ing. Steffen Rietz • Hochschule Offenburg, Fakultät für Wirtschaft • Studiendekan für das MBA-Programm Part-time General Management • Seit 25 Jahren Erfahrung im Projektmanagement, inkl. Groß- und internationaler Projekte • inzwischen auch als Coach, Autor, in der Normung und einer Projektmanagementfördernden Stiftung ehrenamtlich aktiv eMail: Steffen.Rietz@hs-offenburg.de gement die Realisierung ermöglichen. Teil des Erfolgs wird man nicht erst, wenn man vom ernannten Projektmanager als Personalressource angefordert wird, sondern auch schon, wenn man einfach hilft zu planen, zu steuern, zu realisieren. Eingangsabbildung: © peshkova-- stock.adobe.com 62 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0034 Duale Karriere-- Projektmanagement ohne Projekt, aber mit Aussicht auf doppelten Erfolg Steffen Rietz, Sandra Paruszewski Für eilige Leser | Projekte werden immer mehr und größer. Das Wort ‚Projekt‘ wird inflationär auch für andere Herausforderungen verwendet. Und Methoden professionellen Projektmanagements werden auch vielfach außerhalb klassischer Projektarbeit angewendet. Letzteres hat an der Hochschule Offenburg die Auswertung der Erfahrungswerte im Umfeld der sogenannten ‚Dualen Karriere‘ nachweisen können. Die mehrjährige Kombination einer Karriere im Leistungssport mit einer akademischen Ausbildung ist kein Projekt, aber durch den bevorzugten Einsatz von Planungs- und Steuerungsinstrumenten des Projektmanagements sehr gut realisierbar. Schlagwörter | Duale Karriere, Methodeneinsatz, projekthaft, projektähnlich, Projektphilosophie, Sportprojekt 2024 wird bzw. ist schon ein Sportjahr. Die Handball-EM in Deutschland haben wir schon mit Zuschauerrekorden erlebt, die Fußball-EM in Deutschland steht unmittelbar bevor und im Sommer erwarten wir die Olympischen Spiele im Nachbarland Frankreich. Viele, auch viele erfolgreiche Projekte im Sport wurden bereits von der Projektmanagement Aktuell würdigend aufbereitet, beginnend mit dem Interview des Deutschen Senior Projekt Managers Klaus Grewe, der das Gelände für die Olympischen Spiele 2012 in London für über neun Milliarden Pfund und für bis zu 250.000 Zuschauer entstehen ließ. [1] Olympische Spiele zählen regelmäßig zu den größten Veranstaltungen weltweit, in dessen Kontext zahlreiche Bau- oder Projekte im Eventmanagement ablaufen. Auch einzelne Sportler, Sportlerinnen oder Mannschaften starten ihr ganz persönliches Projekt mit der Vorbereitung auf Qualifikationswettkämpfe bis zum „Projektende“, dem lang ersehnten Olympiasieg. Ob ein vorzeitiges Ausscheiden dann eine bittere Enttäuschung oder die bloße Olympiateilnahme schon als großer Erfolg anzusehen ist, hängt maßgeblich von der Realitätsnähe der Zielformulierung ab. Duale Karriere-- Doppelbelastung, auch doppelter Erfolg? Hochleistungssport, die wettkampforientierte Art Sport zu treiben, ist stark professionalisiert und von hoher Trainingsintensität geprägt. Wird der Sport zum Beruf, so z. B. für viele Sportler der Fußballbundesliga, müssen nach wie vor Spitzenleistungen erbracht werden, aber das Umfeld wird verhältnismäßig einfach. Es wird ein regelmäßiges (oft üppiges) Gehalt gezahlt. Viele organisatorische Themen übernimmt jedoch der Verein, der auch Arbeitgeber ist und zahlreichen Arbeitgeberverpflichtungen nachkommt. („Was würdest du wohl heute beruflich machen, wenn du nicht Fußballprofi geworden wärst? “ Der fünffache Champions League-Sieger und 2014er- Weltmeister Toni Kroos antwortet: „Das wurde ich schon häufiger gefragt und ich bin an der Frage eigentlich jedes Mal gescheitert.- […] Ich musste es nie wirklich rausfinden, da ich mit 16 Jahren, in einer Zeit also, wo man sich als Schüler dazu erste Gedanken macht, bereits einen Profivertrag unterschrieben habe.“ [2]) Entfällt die Bezahlung für sportliche Leistung, so ist das nicht nur ein finanzieller, sondern insbesondere ein zeitlicher und organisatorischer Aspekt, weil parallel eine Ausbildung abgeschlossen und einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen werden muss. Es wird der Begriff der Dualen Karriere für die Gleichzeitigkeit von akademischer Ausbildung (Studium) und Hochleistungssport (Intensivtraining) geprägt (Siehe Abbildung 1). In vielen Fällen wird aus der Doppelbelastung eine Drei- oder Vierfachbelastung. Das heißt, hinzu kommt mindestens die Notwendigkeit der Einnahmensicherung. Auch studierende Sportler müssen oft einer auf Erwerb ausgerichteten Tätigkeit Wissen | Duale Karriere-- Projektmanagement ohne Projekt 63 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0034 nachgehen, alternativ Zeit in die regelmäßige Sponsorensuche und die Vertragserfüllung investieren oder regelmäßig an Förderprogrammen teilnehmen, d. h. auf deren Bewilligung hoffen und deren Anforderungen erfüllen o. ä. Und letztlich-- viele Sportler haben keinen eigenen Manager- - sind zahlreiche Planungs- und Steuerungsaktivitäten erforderlich. Eine Vielzahl heterogener, oft widersprüchlicher Anforderungen ist zu priorisieren, zu koordinieren und in Abhängigkeit vom Studienfortschritt und dem sportlichen Karriereverlauf regelmäßig sehr fein nachzujustieren. Der Alltag studierender Leistungssportler Der Tag beginnt um 08: 00 Uhr, spätestens, mit der ersten Vorlesung oder sogar einer vorgeschalteten ersten Trainingseinheit. An eine leichte Mittagsmahlzeit schließt sich das Training an, manchmal sogar schon das zweite, bevor die „Hausaufgaben“ (Seminarvorbereitungen oder Nachbereitung von Laborübungen) auf dem Programm stehen. Phasen körperlicher und geistiger Belastung wechseln einander ab, wobei die Athleten sich entweder nach den Trainingszeiten und den Mannschaftskameraden richten oder nach der Verfügbarkeit der Kommilitonen für Projektarbeiten und Lerngruppen. (Siehe Abbildung 2) Für wirklich individuelles Lernen findet sich oft erst nach dem Abendessen Zeit. „Die Frage war eigentlich nie: Training oder Studium, sondern irgendwie beides schaffen und dafür weniger Freizeit haben als andere. Die Abstriche gab es eher im sozialen und privaten Umfeld.“ sagt Laura Vetterlein, die parallel zu ihrem Studium schon die UEFA Women’s Champions League und den Fußball-Landespokal in mehreren Ländern gewonnen hat. [4] Jasmin Ehrler, erfolgreiche Leichtathletin im Juniorenbereich ergänzt: „Man darf nicht vergessen, dazu kommen noch die Wegezeiten zum und vom Training und ganztägige Wettkämpfe inkl. der Wegezeiten zu den auswärtigen Hallen und Stadien- - in der Hauptsaison fast jedes Wochenende.“ [4] Bleibt dann überhaupt noch Zeit für das Studium? Ohne es zum jetzigen Zeitpunkt schon wissenschaftlich herlei- Akademische Ausbildung Sportliche Karriere Grundlast Regelmäßige Vorlesungen Regelmäßiges Training Grobstruktur (Sommer- und Winter-) Semesterrhythmus mit Vorlesungszeit, Prüfungsphase und vorlesungsfreier Zeit (Ferien) Sommer- und Wintersaison mit Trainings- und Wettkampfphasen; oft parallel für den Verein und die Nationalmannschaft Feinstruktur Vorlesungen, Seminare, Laborübungen, Projekt- und Hausarbeiten-- teilweise als Gruppenübungen, teilweise mit Anwesenheitspflicht,- … jeweils mit Vor- und / oder Nachbereitungsphasen Kraft-, Ausdauer-, Technik- und Taktiktraining Saisonaufteilung in Allgemeine Vorbereitungsperiode, Spezielle Vorbereitungsperiode, Wettkampfperiode und Übergangsperiode [3] Vorgaben der Organisation • Vorlesungs-(termin-)plan • Prüfungs-(termin-)plan (Wer einen erfolgreichen Studienabschluss anstrebt, wird auch regelmäßig die Vorlesungen besuchen müssen.) • Zeiten für Lehrgänge und Trainingslager • Wettkampfkalender (Wer jemals Deutscher, Europa- oder gar Weltmeister werden will, wird auch regelmäßig trainieren müssen.) Ansprechpartner • Studiengangsleiter • Dozenten • …-und viele andere • (Vereins- und Bundes-) Trainer • Ärzte, Physiotherapeuten • …-und viele andere Bewertungsmaßstab Primär: Geistige Fitness Engagement für Punkte, Testate, Zensuren-… und für einen erfolgreichen Studienabschluss Primär: Körperliche Fitness Kampf um Punkte, Sekunden und Zentimeter- - teilweise Zehntel und Hundertstel-- Qualifikationen, Wettkämpfe, Siege und Titel für eine erfolgreiche Sportkarriere Notwendige Entscheidungen • Studien- und Spezialisierungsrichtung • Hochschule oder Universität • Direkt- oder Fernstudium • Vollzeit- oder Teilzeitstudium • am Wohnort, im Wohnheim / Internat • Verein/ Trainingsstätte • Betreuer (Physiotherapeuten u. ä.) • Unterstützer (Sponsoren u. ä.) • Art u. Umfang der Trainingslager und Wettkampfteilnahmen Wer organisiert, koordiniert und finanziert die hohen, heterogenen und detailreichen Anforderungen? Wer hilft, themenübergreifende Prioritäten zu setzen? (Trainer und Dozenten kennen i. d. R. einander nicht.) Zahlreiche Anforderungen sind K. O.-Kriterien oder zumindest erfolgskritisch und stehen oft konkurrierend oder konfliktär einander gegenüber. Abbildung 1: Duale Karriere-- wesentliche Aspekte und Kernfragen Wissen | Duale Karriere-- Projektmanagement ohne Projekt 64 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0034 ten zu können: Die jungen Athletinnen und Athleten, die in ihrem Sport zu den Besten zählen, sind im Studium nicht die Schlechtesten. Trotz der Zeitknappheit ist eher das Gegenteil zu beobachten. „Im Sport habe ich einen Ehrgeiz entwickelt, der mich auch durch das Studium gebracht hat und mich auch jetzt durch den Berufsalltag begleitet. Das Durchbeißen und dranbleiben habe ich aus dem Sport. Unser Trainer hat dafür gesorgt, dass wir trainieren wie die Irren und irgendwann hat es sich dann auch ausgezahlt.“ begründet Jasmin Ehrler ihre Studienleistungen. [4] Hier werden Arbeitsweisen und Erfolgskriterien deutlich, die aus dem Projektmanagement bekannt sind: Zielorientierung, Engagement, Investitionen, Umwandlung harter Arbeit in Ergebnisse und Erfolge. Die ebenfalls aus der Projektarbeit bekannten Planungsszenarien für Termine, Ressourcen und Kosten, der bewusste und professionelle Umgang mit Risiken, Krisen und Konflikten, die Navigation in Mehrzielsystemen und die Steuerung von Engpässen- … all das sind Kernkompetenzen zur Steuerung von Projekten und offensichtlich auch zur Steuerung einer Dualen Karriere. Die Hochschule Offenburg hat dazu genauere Untersuchungen angestellt. Thesenpapier und Untersuchungsdesign Die notwendigen Kernkompetenzen sowie die kritischen Erfolgsfaktoren zur Planung und Steuerung eines Projektes sind in Art und Umfang vergleichbar mit denen zur Planung und Steuerung einer Dualen Karriere-- so die Annahme zu Beginn der Untersuchung. Die weitgehende Übertragbarkeit gilt auch ohne Projektauftrag und ohne bereitgestelltes Projektbudget, ohne einen Kunden oder Auftraggeber, ohne Projektmanager und ohne Projektteam-- also ohne Projekt. Um dies genauer zu untersuchen, wird zunächst das Projektmanagement „in seine einzelnen Bestandteile zerlegt“. Dazu werden die Projektmanagementaspekte z. B. aus Normen (z. B. die PM-Themengruppen der ISO 21 502 und die PM-Prozessschritte der DIN 69 901-2), aus Standards (z. B. die Kompetenzelemente der ICB und die Wissensgebiete des PMBoK) sowie ergänzend die Themenbereiche führender Fachliteratur und zertifizierter Trainingsanbieter betrachtet. Dem Gegenüber werden zahlreiche öffentlich zugängliche Karrierepfade erfolgreicher Sportler in der Dualen Karriere ausgewertet um zu filtern, welche Erfolgsstrategien im Alltag angewendet werden. Schnell wird deutlich, dass viele Aspekte des Projektmanagements angewendet werden, allerdings (a) unterschiedlich gewichtet, (b) in sehr unterschiedlichem Umfang und (c) jeweils mehr oder weniger adaptiert auf die persönliche Situation. Art und Umfang der Anpassung erfolgt in Abhängigkeit folgender Kriterien: • Popularität der Sportart Im Fußball, in olympischen oder zumindest medienpräsenten Sportarten sind Gestaltungsoptionen größer als in Randsportarten. • Alter der Athleten Jugendliche und junge Erwachsene werden häufig und umfänglich noch durch das Elternhaus unterstützt. Mit zunehmendem Alter steigt der Wunsch und die Notwendigkeit auf eigenen Beinen zu stehen, was zusätzliche Herausforderungen hervorbringt. • Die „Förderlücke“ Kinder- und Jugendsportförderung ist in Deutschland gut etabliert, Spitzensportförderung auch. Wer dem Jugendbereich entwachsen, im (Welt-)Spitzensport aber noch nicht angekommen ist, hat wenig öffentliche Fördermöglichkeiten und agiert notwendigerweise sehr selbständig, eigenverantwortlich und selbst finanziert. • Mannschafts- und Vereinsunterstützung In Mannschaftssportarten können viele Herausforderungen gemeinsam und arbeitsteilig gemeistert werden. Große und wirtschaftlich starke Vereine unterstützen die Sportler ebenfalls deutlich über die Bereitstellung eines engagierten Trainers hinaus. Wer als Einzelsportler kämpft und ggf. anfänglich in kleinen und wirtschaftlich schwächeren Vereinen Sport treibt, ist weit mehr auf die Eigeninitiative angewiesen. • Art & Umfang der Ausbildung Eine zum Leistungssport parallele Berufsausbildung ist eher selten, weil diese eine höhere Präsenz in der Berufs- Abbildung 2: Der typische Alltag studierender Leistungssportler-- werktags üblicherweise ohne individuelle Freizeit Wissen | Duale Karriere-- Projektmanagement ohne Projekt 65 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0034 schule und dem Ausbildungsbetrieb erfordert. Ein Studium ist leichter individualisierbar. Die Präferenz für ein Direkt- oder Fernstudium folgt logistischen Randbedingungen, da Bildungs- und Trainingsstätte in relativer räumlicher Nähe liegen müssen. Vertiefend werden ausführliche strukturierte Interviews zur Planung und Steuerung der Dualen Karriere geführt- - aus verschiedenen Sportarten und verschiedenen Studienrichtungen an verschiedenen Bildungseinrichtungen. Neben den persönlichen Erfahrungen ausgewählter Athletinnen fließen Beobachtungen aus dem Coachingbereich im internationalen Spitzensport ein. Die aufgenommenen Erfahrungen werden eingebettet in die detaillierte Selbstanalyse von Sandra Paruszewski (abgeschlossenes BWL-Studium und mehrfache EM-Bronzemedaillengewinnerin, Siehe Abb. 3) Nachfolgend sollen exemplarisch einige Planungsnotwendigkeiten und entsprechende Lösungsstrategien aufgezeigt werden. Die Anlehnung an Strategien und Methoden des Projektmanagements wird schnell deutlich und ist kein Zufall, auch wenn der Kontext ein gänzlich anderer ist. Beispiel 1: Navigation in Mehrzielsystemen und Umgang mit Zielkonflikten Die Umsetzung eines vorgegebenen Vorlesungs- oder Trainingsplans erfordert keine nennenswerte individuelle Planungsleistung. Soll aber beides einem hohen Anspruch genügen und kombiniert werden, entsteht sofort und zwangsläufig ein Mehrzielsystem mit Terminkonflikten und Ressourcenknappheit. Ziele müssen nicht nur definiert, auch quantifiziert, terminiert und priorisiert werden. Wird die Goldmedaille nicht S pezifisch • Ich möchte eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen! M essbar • Ergebnisse beim Krafttraining [kg] und Ausdauertraining [min.] • Bio-Daten zur körperlichen Fitness (⇨ Positiv-Tests) • ohne Doping (⇨ Negativ-Tests) • Internationale Wettkampf- und Turniersiege gegen Gegnerinnen, die in der Weltrangliste in den Top10, idealerweise in den Top5 liegen A ttraktiv • Olympische Spiele sind das größte Sportereignis/ vielleicht das größte Event überhaupt in der heutigen Zeit. Einmal dabei sein! Und dann natürlich eine Medaille! Am besten die Goldene! • Amtierende Deutsche-, Europa- oder Weltmeisterin ist man nur bis zur nächsten Meisterschaft. Olympiasiegerin ist man für immer. R ealistisch • Ich habe Europameisterinnen (✓), Weltmeisterinnen (✓) und Olympiasiegerinnen (✓) bereits bezwungen, nur zu einem „ungünstigen“ Zeitpunkt. Bei den Olympischen Spielen muss es klappen T erminiert • Vielleicht schon 2016 (Olympische Spiele in Rio de Janeiro/ Brasilien), • aber spätestens 2020 (Olympische Sommerspiele in Tokyo/ Japan) Abbildung 4: Eine SMARTe Zielbeschreibung macht aus einem Traum ein Ziel für Aline Rotter-Focken Abbildung 3: Erfahrungsbasiertes Studien-Design zur Erfassung der Planung und Steuerung einer Dualen Karriere Wissen | Duale Karriere-- Projektmanagement ohne Projekt 66 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0034 als Ziel definiert, so wird sie auch selten erreicht. (Siehe Abb. 4) Wird aber alles diesem Ziel untergeordnet, so werden Klausuren tendenziell nicht ausreichend vorbereitet und ggf. nicht bestanden. Spezifische und realistische Ziele von Semester zu Semester und von Wettkampfjahr zu Wettkampfjahr neu anzupassen ist das A und O der erfolgreichen Dualen Karriere. Soll parallel ein Studienfortschritt erreicht werden, sind ggf. nur zwei bis drei Vorlesungsreihen aus dem Regelstudienplan zu identifizieren, die dann aber regelmäßig besucht werden. Da ein zentrales übergeordnetes Gesamt-(Projekt-)ziel fehlt, werden Ziele häufig zyklisch umpriorisiert, d. h. Fokus auf das Studium in der Klausurphase und Fokus auf den Sport in Wettkampfphasen. Wichtig ist, in Mehrzielsystemen navigieren zu können. Zielantinomie, die objektive Unvereinbarkeit von Zielen ist eher selten, sondern resultiert häufig aus der Knappheit von Ressourcen, insbesondere der Ressource Zeit. Hochschulprofessoren verweisen auf die Notwendigkeit der Vorlesungsteilnahme, Vereins- und Bundestrainer empfehlen eine gesteigerte Trainingsintensität und der übergeordnet priorisierende Projektleiter ist nicht existent. Hilfreich ist, meilensteingebundene Ziele auf der Zeitleiste zu positionieren, wiederkehrende Notwendigkeiten routiniert in den Alltag einzubauen, Ziele zu visualisieren und Ablenkung zu vermeiden. Quantifizierte Leistungsbewertungssysteme (Benotung an der Hochschule, Zeiten und Punkte im Sport) machen es leichter, aber auch zwingend notwendig, nicht nur Wünsche zu äußern, sondern Ziele zu formulieren, wie es auch Projektleiter tun. (Siehe Abbildung 4) Beispiel 2: EINEN Kalender führen Zu Saisonbeginn kommt vom Bundestrainer der Kalender mit den relevanten internationalen Wettkämpfen und Trainingslagern, die Hochschule veröffentlicht den Semester-/ Vorlesungsplan. Der Sportverein vor Ort und persönliche Termine (Kurzurlaub, Geburtstage der Großeltern) haben in der Priorisierung oft schon das Nachsehen. Terminkonflikte löst ein Projektleiter dann über Standardplanungstechniken (Verschieben, Stauchen, Strecken oder Teilen einzelner Zeiträume) oder durch Investitionen (von Geld und / oder Personal). Vorlesungen und Klausuren können aber ebenso wenig verschoben, delegiert oder outgesourced werden wie Wettkämpfe oder Trainingslager. Die Duale Karriere wird weitgehend über Priorisierung gesteuert. Wichtig ist daher, EINEN zentralen Kalender themenübergreifend für ALLE Aktivitäten über Zyklisierung oder Periodisierung zu führen. Normale Trainingsphasen beinhalten auch Ruhephasen und sind mit dem Schreiben von Hausarbeiten für das Studium gut kombinierbar. Phasen unmittelbarer Wettkampfvorbereitung beinhalten hingegen auch eine mentale Vorbereitung und Hochkonzentration, die selten mit einer Klausurvorbereitung kombiniert werden kann. „Die ersten zwei Semester habe ich mich an den Regelstudienplan gehalten und schnell gemerkt, dass ich das mit dem Leistungssport nicht vereinen kann. Daraufhin habe ich vom Vollzeitzum Teilzeitstudium gewechselt.“ sagt Sandra Paruszewski. [4] So wird Zeitdruck abgebaut. Es kann mehr und entspannter trainiert werden und gleichzeitig verbessern sich sogar die Studienleistungen deutlich. Beachtliches Resultat dieser Entscheidung wird für Paruszewski u. a. die erste Bronzemedaille der Ringerin bei der Europameisterschaft, die Abbildung 5: Die Athletin auf dem HochschulCampus; auch das Auto der Ringerin Sandra Paruszewski macht deutlich, dass eine enge Verbindung zwischen ihr, ihrem Sport und ihren Sponsoren besteht sie durch das Teilzeitstudium allerdings in ihrem 14. Semester des 7-semestrigen Studiums erringt. Beispiel 3: Wenige Anforderungen konkret kennen Projektleiter in der Produktentwicklung kämpfen täglich mit den im Pflichtenheft verankerten Anforderungen, bei komplexen Produkten in siebenstelliger Anzahl oder mehr. Die Anforderungen an Akteure in einer Dualen Karriere sind weit weniger und lohnen kaum das Schreiben von Lasten- und Pflichtenheft. Sie sind aber nicht weniger wichtig oder weniger unangenehm. Einfach zu handhaben sind z. B. Qualifikationsnormen für große Wettkämpfe oder Hochschulveranstaltungen mit Präsenzpflicht. Anspruchsvoller wird es bei schwer quantifizierbaren Anforderungen z. B. im sozialen Bereich. Der Trainer erwartet Engagement, Sponsoren erwarten Sichtbarkeit und ein positiv ausstrahlendes Image (Siehe Abbildung 5), Journalisten und Autogrammjäger erwarten- - teilweise wenige Minuten nach dem Wettkampf-- intelligente Antworten und gute Laune. Einige dieser Anforderungen (z. B. Vorlesungs- und Sponsorentermine) müssen in den Terminplan integriert werden, andere erfordern eine umfangreichere Lösungsstrategie (z. B. Medientraining, regelmäßige Gespräche mit dem Trainer und dem Laufbahnberater) usw. Hinzu kommen die Anforderungen, die man nicht erfüllt, sondern selbst stellt. So wie industrienahe Projektgruppen nicht nur Kunden, sondern auch Lieferanten haben, entstehen auch eigene Anforderungen an das Verhalten der Mannschaftskameraden oder an die Flexibilität von Hochschuldozenten und Tutoren. Die besten Aussichten auf Erfüllung bestehen, wenn Anforderungen nicht als Forderung, sondern eher als Vorschlag oder Wunsch zum richtigen Zeitpunkt, im richtigen Tonfall, begründet und mit Unterstreichung der Bedeutung formuliert werden. Hier wird ein sehr schmaler Grat zum Stakeholdermanagement deutlich. Eine erfolgreiche Karriere braucht viele Unterstützer (auch Ehrenamtliche, Freunde, Familienmitglieder, fast nie eigene Angestellte), die nicht gern mit Forderungen konfrontiert werden, aber gern Wünsche erfüllen. Wissen | Duale Karriere-- Projektmanagement ohne Projekt 67 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0034 Wichtig sind darüber hinaus die Anforderungen, deren Erfüllung nicht in der eigenen Hand liegen. Adidas entwickelt für jede Fußball-EM und WM einen neuen Ball. Verbesserte Flug- und Rundlaufeigenschaften machen den Ball oft objektiv besser. Es ist aber nicht einfach nach zigtausend Trainingsschüssen kurz vor dem größten Turnier seines Lebens mit einem neuen Sportgerät konfrontiert zu werden. „Je mehr offizielle Spielbälle die großen Turniere hervorbringen, umso krasser kommt es bei uns in der Liga an. Die Bälle bei einem Auswärtsspiel in Basel sind anders als in Bern und wiederum anders als bei unseren Heimspielen in Zürich. Es ist keine Seltenheit, dass man sich in den ersten fünf Minuten nicht nur auf den Gegner, sondern auch auf den Ball erst einmal einstellen muss.“ sagt Fußballerin Laura Vetterlein. [4] Beispiel 4: Kosten abschätzen und Liquidität sichern Nennenswert viele Profifußballer verdienen in einem Jahr mehr, als die meisten Arbeitnehmer in ihrem ganzen Berufsleben. In Nicht-olympischen Sportarten und vor allem jenseits der Weltspitze sind die Verdienstmöglichkeiten hingegen sehr überschaubar. Sportkleidung und Trainingsgeräte werden oft (nicht immer) vom Verein gestellt. Zusätzliche Kosten für Fahrten ins Trainingslager, eine spezielle Ernährung und Nahrungsergänzungsmittel etc. sind aber selbst zu tragen und vor allem: Durch das Training und das Studium fehlt die Zeit, einer geregelten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Sportförderung und BAföG oder eine Anstellung als Sportsoldat (ggf. auch bei der Polizei oder dem Zoll) sind sehr hilfreich, aber nur Wenigen vorbehalten. Einer der Hauptunterschiede zur klassischen Projektarbeit, in der der Auftraggeber das Budget zur Verfügung stellt: Die studierenden Athleten müssen sich selbst um die Kostendeckung kümmern. (Siehe Abbildung 6) Das wichtigste Instrument dabei ist die Kosten-Nutzen-Analyse. „Ich stand früher in den Ferien oft bei Daimler oder Schaeffler am Band. Da kam es dann auch schon mal vor, dass ich nach dem Training noch in die Nachtschicht musste. Das hat mir aber mein Studium finanziert und meine Eltern entlastet, die sonst auch viel unterstützt haben.“ sagt Franziska Manz, die später Kapitänin ihrer Handballmannschaft wird und inzwischen ihr berufsbegleitendes MBA-Studium als eine der Jahrgangsbesten abschloss. [4] Andere Sportler gehen den Weg über die Sponsorensuche, so auch die um Weltcup-Punkte fahrende Mountainbikerin Clarissa Mai: „Ich habe in der Anfangsphase ca. 60-80 Unternehmen angeschrieben, die ich mir hätte vorstellen können.-[…] Ich wollte keine langweilige PowerPoint-Präsentation versenden, sondern habe mit meinem Bruder und einem Bekannten an verschiedenen Orten Videosequenzen gedreht und daraus einen Clip zusammengeschnitten. Das Video war dann lange das Fundament, auch für meine Homepage.“ [4] Ob neben Sport und Studium die Nachtschicht zur dritten Belastung wird oder die Sponsorensuche als angenehmerer Weg, aber mit ungewissem Ausgang gewählt wird-- die Duale Karriere schafft Budget- und Liquiditätsprobleme für studierende Leistungssportler. Beispiel 5: Essen und Schlafen werden zu gestaltenden Aufgaben Zahlreiche Projekte sind durch Qualitätssicherungsmaßnahmen und Optimierungszyklen gekennzeichnet. So auch das Sportler- und das studentische Leben. Das differenzierende Element zum Projektpersonal in den Unternehmen: Schlafengehen heißt nicht zwangsläufig abschalten, sondern ggf. einschalten, den Schlaftracker. Das Projekt Leistungssport läuft 24 / 7. Der Aufbau von Muskelmasse nützt wenig, solange man unkonzentriert und unausgeschlafen in den Wettkampf (oder in die Klausur) geht. Trackinggeräte werten daher Schlafphasen individuell aus. Abbildung 7 zeigt zwei Nächte mit fast identischer Schlafensdauer. Die Schlafeffektivität ist aber nur in Nächten mit Tiefschlafphasen gut (linkes Bild). Fehlen diese gänzlich und Wachphasen häufen sich (rechtes Bild), so ist der Schlaf nicht erholsam und der Leistungserbringung nicht förderlich. „Mein Papa hat mich auch manchmal zum Training gefahren, obwohl ich selbst hätte fahren können-- einfach damit ich im Auto ein bisschen schlafen konnte, um mich zu erholen,“ sagt Aline Rotter-Focken, die damit zwar nur auf eine Notlösung verweist, aber ein Masterstudium abschließt und 2020 in Tokyo die erste olympische Medaille für die deutschen Ringerinnen überhaupt holt, die Goldene! [4] Ähnlich wie ‚zu wenig Schlaf‘ ist neben der permanenten Verletzungsgefahr auch ‚falsche Ernährung‘ regelmäßig ein Aspekt des Risikomanagements. Clarissa Mai berichtet „… Labortests beim Sportarzt haben dann ergeben: Magnesiummangel, Vitamin D-Mangel, die Eisenwerte waren ganz weit unten- … Der ganze Mineralienhaushalt meines Körpers war nicht ausbalanciert. Das ist eigentlich nicht schlimm, aber für einen Leistungssportler unverzichtbar.“ In weiteren Schilderungen wird deutlich, dass der Sport auch die Ernährung bestimmt, also den gezielten Lebensmitteleinkauf (eine Frage des Geldes), eine bestimmte Art des Kochens (eine Frage der Zeit) und das pünktliche wie auch regelmäßige Essen (eine Frage des Tagesrhythmus). Schnell einen Döner mit Pommes beim Imbiss an der Ecke? Eher nicht! Wenn ein Projektleiter bemerkt, dass seine zugewiesenen Personalressourcen zu Projektbeginn nicht ausreichend qualifiziert sind, so lässt er sie qualifizieren. Die Personalentwicklung und Schulungsleiter sind dann gefragt. Ist die einzige Abbildung 6: Ein Finanzierungsbedarf verursacht einen Beschaffungsaufwand. Haben Athleten keinen Manager, stehen sie oft vor der Abwägung, ihren Sport zu betreiben oder ihn zu ermöglichen Wissen | Duale Karriere-- Projektmanagement ohne Projekt 68 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0034 ‚Personalressource‘ des Sportlers-- sein eigener Körper-- nicht ausreichend qualifiziert, so ist diese Aufgabe durchaus vergleichbar, aber leider nicht delegierbar. Fazit Die Zusammenfassung aller Erfahrungswerte bestätigt, dass die Planung und Steuerung einer Dualen Karriere kein Projekt ist, keinen Projektleiter und kein Projektteam hat, keinen Auftraggeber und keinen Projektauftrag, auch kein bereitgestelltes Projektbudget, einen nebulösen Projektstart und ein nur schwer planbares Projektende. (Die Abwesenheit der genannten Aspekte sind keine methodischen Defizite, sondern die Indikatoren, dass die mehrjährige Duale Karriere kein Projekt ist.) Es werden aber wesentliche Grundsätze des Projektmanagements angewendet. (Siehe Abbildung 8). Aus den für die Duale Karriere relevanten Projektmanagementaspekten wird-- dem sportlichen Kontext angemessen-- die MethodenUhr entworfen. Für das Beispiel der Dualen Karriere an der Schnittstelle sportlicher und akademischer Spitzenleistungen kann u. a. herausgearbeitet werden: 1. Prozesse und Methoden des Projektmanagements unterstützen die Planung und Steuerung auch außerhalb klassischer Projektarbeit. 2. Wirkmechanismen in interdisziplinären Planungsprozessen sowie methodische Abhängigkeiten sind aus der Projektarbeit auf andere Planungsszenarien übertragbar. 3. Einzelne Methoden der Planung und Steuerung müssen- - teilweise deutlich- - modifiziert werden, weil sie ggf. die Abstimmung und Arbeitsteilung in einem mehrköpfigen Projektteam voraussetzen oder die personelle Besetzung bestimmter Rollen erfordern. 4. Eigenplanung, Eigenverantwortung und Eigenleistung werden ohne bereitgestelltes Projektpersonal und -budget zu einer noch größeren Herausforderung, wenn die Akteure keine Projektmanagementausbildung haben, sich oft auch Abbildung 8: MethodenUhr: Aspekte der Planung & Steuerung zur Bewältigung einer Dualen Karriere Abbildung 7: Schlaftracking (hier zwei Auswertungen von Sandra Paruszewski), regelmäßiges Begleitprogramm, wenn in der Europa- und Weltspitze auch die letzten Optimierungspotentiale gefragt sind Wissen | Duale Karriere-- Projektmanagement ohne Projekt 69 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0034 erst sehr spät bewusst werden, dass sie in einer Rolle analog eines Projektmanagers agieren. Die Untersuchungsergebnisse, Erfahrungswerte und Interviews sind in einem Abschlussbericht strukturiert und werden auch kurzfristig publiziert. Es entsteht ein Buch mit Erfahrungsberichten und Handlungsempfehlungen, das ambitionierten jungen Menschen hilft, sich zwischen beruflicher und sportlicher Karriere zu entscheiden oder sogar beides parallel zu meistern und doppelten Erfolg systematisch herbeizuführen. Wichtig ist dann neben dem Talent auch eigenverantwortliches Analysieren, Strukturieren und Koordinieren. Multipler Erfolg ist planbar, wenn auch nicht erzwingbar. Literatur [1] Steeger, Oliver „Londoner Bürger wirkten mit am olympischen Gelände- - Sportweltspiele als Katalysator für ehrgeiziges Städtebauprojekt“ in Projektmanagement Aktuell 2 / 2012 S. 3-14. [2] Kroos, Toni/ Wurm, Oliver „Du hattest 90 Minuten Zeit“, Heyne-Verlag, 2023, S. 87. [3] Güllich, Arne/ Krüger, Michael „Sport- - Das Lehrbuch für das Sportstudium“ Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2013. [4] Paruszewski, Sandra „Einsatz von Projektmanagement- Methoden zur Planung und Steuerung einer Dualen Karriere“; White Paper (bisher unveröffentlichte Interviews), 2023. Eingangsabbildung: © iStock.com / PeopleImages Prof. Dr.-Ing. Steffen Rietz • Hochschule Offenburg, Fakultät für Wirtschaft • Studiendekan für das MBA-Programm Part-time General Management • Seit 25 Jahren Erfahrung im Projektmanagement, inkl. Groß- und internationaler Projekte • inzwischen auch als Coach, Autor, in der Normung und einer Projektmanagementfördernden Stiftung ehrenamtlich aktiv eMail: Steffen.Rietz@hs-offenburg.de Sandra Paruszewski • Absolventin der Betriebswirtschaftslehre der Hochschule Offenburg • Sportsoldatin der Bundeswehr • Mehrfache Deutsche Meisterin im Ringen sowie Europameisterschafts-Bronze 2022 und 2023 eMail: info@ringerin-sandra.de 70 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0035 Epic Win-- Prinzipien des Spieledesigns für ein erfolgreiches Projekt Wie du dein Team auf das nächste Level bringst Miriam Sasse Für eilige Leser | Täglich spielen Menschen Millionen von Stunden Brett- und Computerspiele, feiern dabei „epische Siege“ (Epic Wins), haben Spaß und können nicht genug kriegen. Im Projekt sieht es anders aus: Hier kommt häufig nicht nur der Spaß zu kurz, viele arbeiten in den Projekten mit, nur um Geld zu verdienen, haben innerlich gekündigt und suchen ihre Befriedigung in der Freizeit. Wäre es nicht großartig, wenn es Projektleitern gelingen würde, ein Umfeld zu kreieren, in dem Menschen sich genauso ausleben können wie in Spielewelten und gar nicht aufhören wollen, weiterzuspielen? Am 15. Juni 2023 näherten sich 30 Teilnehmende des PM Forums den Grundlagen des Spieledesigns. Über den Perspektivwechsel durch systemische Metaphern-Arbeit wurden komplexe Problemsituationen in Projekten dargestellt und besprechbar gemacht. In nur zwei Stunden wurden fünf Teams zu Spieledesignern und gestalteten Projektstrukturen, die den Spielraum öffnen für richtig gute Projektarbeit, die Spaß macht. Schlagwörter | Projektdesign, Spielmechaniken, Spaß im Projekt, Metaphernarbeit, Projektstruktur, Verhaltensmuster verändern, Arbeit am System Spiele-Metaphern im Projektalltag Wir nutzen regelmäßig Metaphern rund um das Thema Spiele, um unseren Projektalltag oder die Einstellung der Projektmitglieder zu beschreiben: Der Experte spielt im Projekt eine große Rolle, der Aufgabenbereich liegt außerhalb unseres Spielfeldes, der Lieferant spielt unfair und befolgt nicht die Regeln, wir müssen auf dem Markt einen guten Schachzug machen, der Bewerber ist mit seinen Fähigkeiten das fehlende Puzzlestück im Projektteam und wir können gegenüber dem Kunden mit offenen Karten spielen. Den Teilnehmenden des Workshops fielen noch viele weitere Metaphern ein. Diese Metaphern können dazu beitragen, komplexe Konzepte und Herausforderungen in Projekten verständlich und besprechbar zu machen. Das Spieledesign gibt uns zusätzliche Ausdrucksweisen und Begriffe, um unsere Wahrnehmungen und Gefühle in Worte zu fassen. Probleme und Lösungen erscheinen durch eine Spiele-Metapher in einem anderen Licht und durch den Perspektivenwechsel in einer spielerischen Leichtigkeit. Die Metaphern-Arbeit ist ein bewährter Ansatz in der systemischen Beratung und der Teamentwicklung. Anders als bei Analogien betrachten wir bei Metaphern nicht nur den Vergleich und die Übereinstimmung mit dem beschriebenen Begriff oder Ausdruck. Eine Metapher kann als eigenständiges Bild und in seiner Unterschiedlichkeit bewusst stehen bleiben. Der Vergleich der Organisation oder der eigenen Arbeit mit einem Spiel hat in systemischen Expertenkreisen eine lange Tradition und geht bis in die 50er- Jahre auf den Kybernetiker und Systemtheoretiker Gregory Bateson zurück. Diese veränderte Perspektive ermöglicht uns neue Handlungsweisen bei der täglichen Arbeit. Situationen und Probleme ergeben sich nicht durch die Menschen, die das Spiel spielen, sondern sind schon im Aufbau des Spieles angelegt. Wir suchen in Unternehmen nicht länger nach den Schuldigen, sondern nach den dysfunktionalen Strukturen. Wir wollen nicht länger Menschen verändern, sondern die Struktur der Organisation. Wir ändern nicht die Spieler des Spiels, sondern wir verbessern die Gegebenheiten des Spiels und machen es zu einem besseren Spiel. Der Schlüssel zum Spielerlebnis: Die Balance Das Spieledesign ist eine ausgetüftelte Kunst, aus der wir einiges für das Projektdesign lernen können. Brett- und Computerspiele schaffen es, dass Menschen sich freiwillig in ihrer Freizeit damit beschäftigen, komplexe Probleme zu lösen. Spieleautoren bieten mit ihren Spielen ein attraktives Spielziel an, mit verständlichen und beherrschbaren Spielregeln-- nicht zu schwer und nicht zu leicht. Der Spielende erkennt den Fortschritt des Spiels und bekommt durch das Spiel Feedback, wie gut er spielt. In Kleingruppen wurde im Workshop diskutiert, ob auch ein Projekt diese Kriterien erfüllt. „Reichen Meilensteine aus, um ein gutes Feedbacksystem zu haben? “ fragte einer der Teilnehmenden. „Wenn jeder bei uns aufschreiben würde, nach welchen Spielregeln wir spielen, wären die Wahrnehmungen sehr unterschiedlich.“ „Manche Aufgaben sind so schwierig, dass sie nur von einem bestimmten Experten bearbeitet werden können. Von Freiwilligkeit kann da nicht die Rede sein.“ Eine Teilnehmerin nickte zustimmend und fügte hinzu: „Bei uns steht genau fest, welche Projekte mit wem besetzt wer- Wissen | Wie du dein Team auf das nächste Level bringst 71 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0035 den müssen und welche Aufgaben wer zu bearbeiten hat. Da bleibt kaum Raum für Freiwilligkeit.“ Ein weiterer wichtiger Aspekt: Das Spiel benötigt genug Freiraum, um eigenständig strategische Entscheidungen treffen zu können und am wichtigsten: gute Spiele sind in Balance.Die Spielbalance in Brettspielen ist ein kritisches Qualitätskriterium, das maßgeblich dazu beiträgt, ein reibungsloses Spielerlebnis zu gewährleisten und Spieler in den Zustand des „Flow“ zu versetzen. Die Spielbalance in Brettspielen bezieht sich auf die gerechte Verteilung von Ressourcen, Kräften oder Einflussfaktoren, die den Verlauf des Spiels beeinflussen. Eine ausgewogene Balance gewährleistet: Chancengleichheit : Kein Spieler hat einen unfairen Vorteil oder Nachteil gegenüber den anderen. Alle haben die gleichen Chancen, das Spiel zu gewinnen, und ihre Entscheidungen und Handlungen haben einen bedeutenden Einfluss auf das Ergebnis. Schach ist ein Spiel, bei dem jeder Spieler die gleiche Anzahl und Art von Figuren und die gleichen Zugmöglichkeiten hat. Es ist das Paradebeispiel für gute Chancengleichheit. Spannungserhalt : Bis zum Schluss bleibt der Ausgang des Spiels ungewiss. Die Spieler bleiben bis zum Spielende motiviert, die Herausforderungen des Spiels anzunehmen. Wenn bei Monopoly schon feststeht, wer gewinnt, möchte niemand zwanzig weitere Runden um den Spielplan laufen. Spielfluss : Die Spielenden versinken völlig im Spielgeschehen und geraten in einen Zustand des Flows. Die Herausforderungen des Spiels entsprechen den Fähigkeiten des Spielers. Manche Spiele erlauben es, dass Spieler die Schwierigkeitsstufe erhöhen können, wenn sie es sich selbst zutrauen. Schach, Golf und andere Spiele nutzen die elo-Zahl oder das Handicap, um auf die Spielstärke des Spielenden einzugehen. Ein unerwarteter Einstieg: Käse-Kästchen im Workshop Im Workshop wollen wir direkt ausprobieren, wie sich Spielbalance anfühlt. Die Teilnehmenden bilden Paare und spielen eine Partie Käse-Kästchen. Schnell sind alle darin vertieft, abwechselnd Linien auf dem Karo-Zettel nachzumalen, um möglichst schnell ein Kästchen zu schließen und für sich zu erobern. Die Teilnehmenden ziehen ein Fazit: „Das war frustrierend! Irgendwann stellte sich ein Zustand ein, in dem meine Gegnerin immer mindestens ein Kästchen schließen konnte, sobald ich einen Strich gemacht hatte. Da war mir klar, dass ich verloren hatte.“ „Wir sind schnell ins Spiel gekommen und haben alles um uns herum vergessen.“ Jemand ist hoch erfreut, versucht aber ein trauriges Gesicht zu machen: „Tut mir sehr leid, dass ich ‚episch’ gewonnen habe.“ Obwohl jeder zweite verloren hat, geben alle das Handzeichen, dass sie noch eine Runde spielen wollen. Der Sieg war nicht entscheidend für den Wiederspielwert. Wollen wir in einem Folgeprojekt gleich wieder freiwillig mitspielen, wenn das Vorgängerprojekt schlecht gelaufen ist? Dafür bräuchte das Projekt eine hervorragende Struktur, großartige Spielregeln und so weiter. Wie schaffen Spiele es, dass wir wieder spielen wollen, auch wenn wir verloren haben? Was ist das Geheimnis des Spieledesigns? Die fünf Phasen der Metaphern-Arbeit Was genau im Projekt nicht rund läuft, können wir oft nur schwer in Worte fassen. Wir beschreiben die Probleme, aber finden keine Lösung. Das komplexe Umfeld, die vielen Verstrickungen und nicht beeinflussbaren Elemente, lassen die Diskussion am eigenen Gewicht ersticken. Die Metaphern, die wir größtenteils unbewusst wählen, sind sehr vielfältig und können alle Bereiche des menschlichen Erlebens umfassen. Wir könnten jetzt über Verstrickungen, Gewichte oder Ersticken reden-- unsere Metaphern aus dem vorletzten Satz-- , denn jede genutzte Metapher kann in der Metaphern-Arbeit aufgegriffen werden. Im Workshop und in diesem Artikel konzentrieren wir uns auf alle Metaphern aus dem Themengebiet „Spiel“, insbesondere Gesellschafts- und Brettspiele. Im ersten Schritt der Metaphern-Arbeit wählen wir ein aktuelles Problem unseres Projektalltags, ein Problem von Wert mit gewissem Handlungsdruck. Viele sind bereits hier so intensiv in der Spielewelt abgetaucht, dass sie zahlreiche Spiele-Metaphern nutzen, während sie ihr Problem beschreiben. Im zweiten Schritt wählen die Teilnehmenden ein konkretes existierendes Spiel, mit dem sie ihr Projekt oder das Problem assoziieren. Die Stimmung im Workshop wird heiter und gelöst. „Stille Post- - ständig höre ich ‚Das habe ich dir doch gesagt! ‘“ „Tabu- - einzelne Sachen dürfen nicht mehr genannt werden.“ „Risiko-- jeder beansprucht und verteidigt seine Gebiete.“ „Schach- - täuschen, Bauern vorschicken und den König verteidigen.“ „Activity-- wenn ich schlecht erkläre, kann auch keiner erraten, was ich meine.“ Im dritten Schritt erhalten die Teilnehmenden einen tieferen Einblick in die Methodik. Sie haben im letzten Schritt unbewusst markante Verhaltensmuster ausgewählt und mit Spielen verknüpft, in denen sie ähnliche Muster und Gefühle wiedererkennen. Wir wechseln zwischen den Bedeutungsebenen und weiten die gewählte Metapher weiter aus, indem wir Problemsituationen im Spiel detaillierter betrachten. Wir betreten die Welt der Spieleautoren: Welche Spielregeln und Spielstrukturen stecken hinter der Problematik? Warum gestalten Spieleautoren das Spiel genau so, dass diese Spielmechanik, dieses Muster auftritt? Was ist das Gute in diesem vielleicht nervigen Muster? Auf diese Weise wird das Problem anders bewertet und wir erweitern den Handlungs- und Betrachtungsraum. Die Teilnehmenden erkennen anhand von Beispielen, dass minimale Wissen | Wie du dein Team auf das nächste Level bringst 72 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0035 Änderungen in Spielen große Inkonsistenzen und Auswirkungen aufweisen können: Stille Post ohne Missverständnisse, Tabu ohne verbotene Wörter, Risiko ohne Gebietsverteidigungen, Activity ohne Erklärungsnot-- das wären komplett andere Spiele mit anderem Motto. Wer nicht das komplette Spielgefühl verändern möchte, muss auf einer tieferen Ebene ansetzen und fragen, was genau als störend empfunden wird: Fördert das Spiel keine Kooperation? Ist es zu leicht oder zu schwer zu gewinnen? Ist keine Verbesserung der eigenen Leistung erkennbar? Hängt der Erfolg zu stark vom Zufall oder zu stark von den Fähigkeiten der Spieler ab? Sind Informationen für Entscheidungen, nächste Schritte oder Situationen uneinsichtig? Ist es ein langweiliges Vor-sich-hin-Spielen ohne dahinterstehende Story oder ein übergreifendes Spielziel? Im vierten Schritt lassen wir die rational-analytische Auseinandersetzung mit dem Problem ruhen und bleiben in der bildlich-intuitiven Beschreibung. Ergänzt wird es mit den zirkulären Fragen: Was würde ein Spieldesigner tun, um das Spiel wieder interessant zu machen? Wenn ich als Kind dieses Spiel spiele, welche Änderung würde ich mir ausdenken? Die Teilnehmenden erhalten einige grundlegende Informationen darüber, wie Spieledesigner Spielregeln, Spielfiguren, Spielbretter und so weiter auslegen. In Kleingruppen kommen sie schnell auf Ideen für die Anwendung in ihrem eigenen Spiel: „Wenn im Risiko jemand das Spiel dominiert, muss derjenige Ereigniskarten mit Sonderaufträgen ziehen, die den Fortschritt nivellieren.“ „Bei Activity könnte jeder entsprechend seiner Stärke zwischen Pantomime, Erklärung oder Zeichnen auswählen. Schlechte Spieler könnten mit einem Co-Spieler im Tandem spielen.“ „Bei Stille Post könnten Informationen auf zwei Strängen weitergesagt werden.“ „Bei Schach könnte jemand, der dreimal hintereinander eine Figur verliert, sich aussuchen, welche von den verlorenen Figuren wieder rein darf.“ Die Workshopteilnehmer erarbeiten, wie sich das Spiel und das Spielgefühl durch diese Änderung verändern würden. Welche Folgen ergeben sich? Bleibt das Spiel in Balance? Wird es zu lang, langweilig oder zu komplex? Braucht es weitere Ressourcen wie Spielfiguren, Karten oder ein neu gemaltes Spielbrett? Regeln das die Spieler unter sich oder braucht es eine formale Spieländerung? Spieldesigner sagen, dass viel von FairPlay dadurch entsteht, dass eben nicht alle Spielregeln aufgeschrieben werden. Im fünften und letzten Schritt übertragen wir unsere Erkenntnisse: Was hat das Vorgehen im Spieledesign mit meinem Projektalltag zu tun? Dieser letzte Schritt ist gleichzeitig der Schritt zurück in die Problemsituation im Projekt, aber um einige Erkenntnisse reicher als zuvor. Wir können nun den Kontext neu interpretieren und Bedeutungen in der wirklichen Welt suchen. Dabei ist es nicht notwendig alles 1 zu 1 zu übersetzen. Manches darf auch implizit wirken oder unbeantwortet bleiben. Ein großer Mehrwert liegt insbesondere darin, dass die Teilnehmenden kompetent waren, ihr Problem in der Spielewelt zu lösen. Dieses Kompetenzerleben stärkt und motiviert sie, einen Aktionsplan mit weiteren Handlungsschritten zu erstellen und sich die Umsetzung zuzutrauen. Die Sehnsucht nach Arbeitsfreude Im Projektalltag stellt sich schnell eine Veränderungsträgheit ein, weil bisherige Veränderungsinitiativen ins Leere gelaufen sind. Was bleibt ist die Sehnsucht nach Arbeitsfreude. Der Blick auf die Spielewelt sorgt für einen Blick auf neue Lösungsalternativen. Statt die Menschen im System verändern zu wollen, lenken wir den Blick auf das System. Wir arbeiten an den Strukturen der Projekte und der sie umgebenden Organisationen. Es zeugt von hoher Wertschätzung gegenüber den Projektmitarbeitern, sie nicht ändern zu wollen. Ein Spieledesigner weiß: Ich muss die Spielenden nehmen, wie sie sind. Wenn ich mir ein bestimmtes Verhalten und eine bestimmte Spielatmosphäre wünsche, muss ich das Spiel verändern, damit dies entsteht. Das Beschäftigen mit dem Spieledesign eröffnet Projektleitern, Projektmitarbeitenden und allen anderen die Möglichkeit, selbst zu Projektdesignern und Organisationsdesignern zu werden. Vielen sind die soziologischen und psychologischen Hintergründe der Organisationsentwicklung zu abstrakt und schwerfällig. Schon der Kulturhistoriker Johan Huizinga legte vor über 100 Jahren dar, dass unsere Arbeitswelt ein Spiel ist, das wir uns selbst erschaffen. Soziologen wie Fritz B. Simon nutzen die Metapher des Spiels, um Regeln und Strukturen von Organisationen zu erklären. Im Buch von Miriam Sasse und Juliane Pilster „Epic Win-- Die Prinzipien des Spieledesigns für eine erfolgreiche Führung“ übertragen wir weit mehr Charakteristika und Mechanismen von Spielen auf die Gestaltung von Organisationsstrukturen, als in diesem Artikel vorgestellt werden können. Wir zeigen auf, wie jeder die Ansätze aus dem Spieledesign nutzen kann, um seine Projekte und die Organisation soziologisch und psychologisch fundiert weiterzuentwickeln. Lasst uns Arbeit wieder zu einem spannenden Spiel machen! Lasst uns das Handwerkszeug der Spiele- und Organisationsdesigner erlernen und unsere Projektteams auf das nächste Level bringen! Dr. Miriam Sasse Dr. Ing. Miriam Sasse verbindet seit 16 Jahren die Produktentwicklung zukunftsweisender Technologien mit agilen Ansätzen. Als zertifizierter Business Coach und Agile Coach unterstützt sie die Selbstoptimierung von Projektteams und die Transformation von Unternehmen zu mehr Agilität und Stärke. Sie ist Lead Agile Transformation in der S&N Group AG. 73 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0036 Buchrezension Buchbesprechung Modernes Projektmanagement: Traditionelles, agiles und hybrides Vorgehen Harald Wehnes Timinger, Holger: Modernes Projektmanagement: Mit traditionellem, agilem und hybridem Vorgehen zum Erfolg. 2. Auflage. Wiley-VCH Weinheim 2024, ISBN 978-3-527-53057-1, 614 S., EUR 39,90 Die Welt der Vorgehensmodelle im Projektmanagement hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Im Zuge der digitalen Transformation wurden traditionelle, planbasierte Vorgehensweisen durch agile Ansätze ergänzt und teilweise sogar ersetzt. Ein guter Projektmanager muss heute nicht nur die „State-of-the-Art“-Modelle kennen, sondern auch in der Lage sein, je nach Situation die richtigen Vorgehensweisen auszuwählen und professionell anzuwenden. Die 1. Auflage dieses Buches hat sich seit ihrem Erscheinen im Jahr 2017 zu einem Standardwerk des modernen Projektmanagements entwickelt. Ich selbst verwende es wie viele Kolleginnen und Kollegen als Primärliteratur für meine Veranstaltungen. Es bietet nicht nur einen gut strukturierten und umfassenden Überblick über die heute eingesetzten PM-Methoden, sondern darüber hinaus einen umfangreichen Werkzeugkoffer mit Anleitungen zur Auswahl des jeweils passenden Methodensets. Ich war daher sehr gespannt auf die Neuauflage des Werkes. Um es vorweg zu nehmen, ich bin begeistert. Der bewährte systematische Aufbau der 1. Auflage wurde beibehalten. Neben einigen Aktualisierungen wurde das Werk um die wichtigsten neuen Methoden im Projektmanagement ergänzt: • Skaliertes Scrum: SAFe, LeSS, Nexus • Design Thinking, DevOps, Extreme Programming, Crystal und Lean Start-up Besonders wertvoll sind aus meiner Sicht die zusätzlichen Praxisbeispiele, Fallstudien und Übungsaufgaben sowie weitere Steckbriefe der „Werkzeugkiste“. Im Kapitel 1 gibt Timinger einen Überblick über die aktuellen nationalen und internationalen Normen von DIN und ISO, die wichtigsten internationalen Standards von IPMA, PMI und PRINCE2 sowie die Standards der agilen Vorgehensmodelle. Erfreulich ist, dass er auch auf die Grenzen dieser Standards eingeht. Die beiden folgenden Kapitel widmen sich dem traditionellen Projektmanagement. In verständlicher und kompakter Form werden dessen Vorgehensmodelle, Werkzeuge und Methoden beschrieben und deren Stärken und Schwächen aufgezeigt. Das agile Projektmanagement wird in Kapitel 4 behandelt. Im ersten Abschnitt stellt der Autor das agile Manifest und die agilen Werte vor. Besonders gelungen ist die Gegenüberstellung der agilen Prinzipien mit den Praktiken des traditionellen Projektmanagements. Die wichtigsten Vertreter der agilen Welt, Scrum, Kanban, Lean Projektmanagement und die Engpasstheorie, werden in den folgenden Abschnitten gut verständlich beschrieben. Kapitel 5 steht unter dem Motto „Das Beste aus beiden Welten“. Hier werden verschiedene Möglichkeiten vorgestellt, traditionelle und agile Vorgehensmodelle zu hybriden Vorgehensmodellen zu kombinieren. Als besonderes Highlight sehe ich den innovativen Ordnungsrahmen HyProMM, in dem traditionelle und agile Prozesse, Methoden, Werkzeuge und Rollen situationsgerecht zusammengeführt werden können. Auch das wichtige Thema Führung kommt nicht zu kurz. Kapitel 6 behandelt sowohl allgemeine Führungsthemen als auch die besonderen Herausforderungen an die Führung in traditionellen, agilen und hybriden Projekten. Neu ist die Integration der Ideen der Holokratie in den Führungskontext. Programm- und Projektportfoliomanagement stehen im Mittelpunkt von Kapitel 7, wobei die Ableitung der richtigen Projekte aus der Unternehmensstrategie und die verschiedenen Schnittstellen besonders beleuchtet werden. Die Kapitel 2 bis 7 werden durch gut ausgewählte Praxisbeispiele, Aufgaben mit Lösungen und Fallstudien wirkungsvoll ergänzt. Ein absolutes Highlight ist die Toolbox in Kapitel 8. Weit über hundert Methoden und Werkzeuge des modernen Projektmanagements werden hier kompakt und übersichtlich- - gegliedert nach den Projektmanagementphasen Initialisierung, Definition, Planung, Steuerung und Abschluss-- mit ihren Einsatzschwerpunkten beschrieben. Fazit Mit der Neuauflage von „Modernes Projektmanagement“ hat Holger Timinger sein Standardwerk um wichtige Neuerungen ergänzt. Die bewährte Gliederung wurde beibehalten. Der Werkzeugkasten wurde um weitere wertvolle Steckbriefe erweitert. 74 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0037 Ehrlich und Priesberg machen nach der Mittagspause einen Spaziergang in der Firma. Priesberg lästert: „Wir sollten uns aber nicht verlaufen.“ Ehrlich geht schweigend neben Priesberg her, bis er plötzlich ausruft: „Das kann uns nicht passieren, denn hier macht der Weg eine einhundertachtzig Grad Wendung und führt uns wieder zum Ausgangspunkt zurück.“ „Offenbar ein Weg, der mit einem durchdachten Prozess geplant wurde“, lästert Priesberg weiter und fährt fort: „Alle reden über Prozesse, also das ‚Wie‘. Zum Beispiel erlebte ich in einem Projektteam, wie sehr die Umstellung auf agile Prozesse gelobt wurde, aber dennoch alles beim Alten geblieben ist.“Beide setzen sich auf eine Bank im Schatten. Es scheint wohl eine längere Diskussion zu werden. Priesberg fragt: „Warum interessiert man sich nur noch für das ‚Wie‘ und nicht mehr für das ‚Was‘, also die Inhalte? “ Ehrlich entgegnet: „Weil die Inhalte schwer zu vermitteln sind. Das braucht Zeit und daher ein Aufmerksamkeitsfenster. Und das haben wir nicht mehr.“ Priesberg stutzt: „Das reicht mir als Erklärung nicht. Seit wann gibst du dich mit einer Allerweltserklärung wie Zeitmangel ab? “ Ehrlich hat eine Idee: „Vielleicht ist es das: Prozessdarstellungen haben stets ein Happy End, alles sieht lecker aus, wie auf einer Speisekarte. Das lässt sich mental viel leichter konsumieren als die dazugehörigen Inhalte, also die Speisen selbst. Da weiß man immer erst hinterher, ob es geschmeckt hat.“ Priesberg stimmt zu: „Die Inhalte sind doch entscheidend und bestimmen den Erfolg. Der Prozess, dargestellt durch das Prozessdiagramm oder einen leichten Text, wie aus der Belletristik, ist nur eine Hülle. Haben wir ein Beispiel, bei dem Prozess und Inhalte nicht übereinstimmen, sozusagen ein warnendes Beispiel? “ „Klar“, antwortet Ehrlich. „Stell‘ dir eine Buchhandlung vor, in der es mehrere Verkäufer gibt, die auf Provisionsbasis arbeiten. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten will die Geschäftsführung sicherstellen, dass alle Verkäufer eine Chance auf die Verkaufsprämie haben. Sie führt einen neuen Vergütungsprozess ein und stellt ein Schild in den Laden: ‚Bitte nehmen Sie keine Bücher aus den Regalen und warten Sie, bis Sie bedient werden.‘ Und jetzt die Aufgabe an dich: Lässt sich das gut verkaufen? “ Priesberg antwortet: „Das Beispiel scheint mir arg konstruiert. Aber es könnte gehen: ‚Wir haben ab heute die Entlohnung der Mitarbeiter gerechter gestaltet.‘“ Ehrlich antwortet mit einem selbstgewissen Grinsen: „Wer möchte in einem solchen Laden nicht einkaufen? Ist doch jetzt alles perfekt.“ Priesberg überlegt: „Erstens nimmt man den Kunden das Erlebnis, selbst in Büchern zu stöbern und zweitens funktioniert das nur, wenn das Verhältnis Kunde zu Verkäufer nahezu eins zu eins ist, also keine Wartezeit besteht.“ Ehrlich nickt zustimmend: „Jetzt gehen wir tiefer auf das ‚Was‘ ein: Kunden wagen es dennoch, Bücher aus den Regalen zu nehmen, sei es aus Neugier, oder weil sie das Schild übersehen haben. Schon kriegen sie von dem nächsten Verkäufer einen bösen Blick, denn diese Person hat ja tatsächlich Anrecht auf die Prämie.“ Priesberg ergänzt: „Und das führt nicht gerade zu Begeisterung unter den Kunden. Am Ende suchen sie andere Buchhandlungen auf oder wechseln ins Internet.“ Ehrlich kann sich ein Lachen nicht verkneifen: „Der Prozess ‚gerechte Entlohnung‘ führt am Ende ins Gegenteil, im schlimmsten Fall sogar in die Insolvenz, da womöglich keine Kunden mehr kommen. Dies findet man aber nur heraus, wenn man sich mit dessen Inhalt tief auseinandersetzt. Und nein, das Beispiel ist nicht konstruiert-- du musst nur mit offenen Augen durch die Welt gehen.“ „Gibt es denn eine Variante, die gerecht ist und die Kunden im Geschäft hält? “, stutzt Priesberg erstaunt. „Ja klar“, fällt ihm Ehrlich ins Wort. „Den Topf für die Prämien einfach über alle Mitarbeiter gleich verteilen, mehr nicht.“ Priesberg stimmt zu: „Damit ist das Verhalten der Kunden von internen Vorgängen entkoppelt.“ Ehrlich übernimmt: „Die dazugehörige Geschichte ist aber langweilig und daher nicht so eindrucksvoll. Also neigt man unbewusst dazu, den spannenderen Prozess zu nehmen, ohne genau auf die Inhalte zu schauen.“ Priesberg presst die Lippen zusammen: „Das ist aber eine ganz böse Wendung-… diejenigen gewinnen, die den tollsten Prozess haben, koste es was es wolle! “ „Und genau so sollten wir in Zukunft auch auf Prozesse schauen, die uns besonders geschmackvoll serviert werden“, schließt Ehrlich. Eingangsabbildung: © iStock.com / Comeback Images Kolumne Im Hamsterrad der Prozesse Jens Köhler Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch- - Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. Sein Spezialgebiet ist die Regulation sozialer Komplexität zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams. Anschrift: BASF SE, RGQ / IM, 67 056 Ludwigshafen, eMail: Jens.Koehler@basf.com 75 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0038 Wolfgang Glitscher Positionierung der IPMA Die Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen (ESG) werden in der Projektmanagement-Community weltweit intensiv diskutiert. Die Frage, wie und in welchem Umfang Projektmanagement und ihre Handelnden zu den Themenkomplexen Dekarbonisierung, Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft unter Erhalt der ökonomischen Grundlagen und der Berücksichtigung sozialer Aspekte und der Unternehmensführung beitragen kann, ist weiterhin eine offene Frage. Die IPMA hat sich im vergangenen Jahr in dieser Richtung positioniert. So wurde auf dem Global Project Profession Forum im September 2023 in Sevilla ein Panel zu den Fragen ESG und Projektmanagement durchgeführt. Die Key-Note wurde durch den GPM-Delegierten, Dr. Wolfgang Glitscher, Berlin, gehalten: Re-Thinking Project Management for Circular Eonomy (https: / / ipma.world / project-managment-in-the-eraof-esg/ ) und von den über einhundert Anwesenden im Panel intensiv diskutiert. Parallel zum Forum traf sich in Sevilla erstmals live das ESG- Team der im Frühjahr gegründeten Special Interest Group (SIG) der IPMA unter Leitung von Max Panaro, Mailand, um in Arbeitssitzungen das Referenz-Guide zum Thema ESG der ICB 4.0 hinsichtlich inhaltlicher Gestaltung und Zeitplanung zu diskutieren (https: / / sig.ipma.world / sig-environmentalsocial-government-esg/ ). Das Projekt wird unterstützt durch den in Sevilla gewählten neuen Präsidenten der IPMA, Prof. Dr. Mladen Vukomanovic, Universität Zagreb. Im sechsköpfigen ESG-Team der IPMA sind mit Peter Pürckhauer, München, und Dr. Wolfgang Glitscher zwei Vertreter der GPM vorhanden. Projektmanagement in der Ära ESG-- Herausforderungen und Chancen ESG-Panel auf dem Global Project Profession Forum in Sevilla Aus den DACH-Verbänden | IPMA intern Weitere Mitglieder sind neben Max Panaro, Prof. Lana Butkovic, Universität Zagreb, Sara Bossi, Mailand und Gilbert Silvius, Universität Utrecht. Das Projektteam arbeitet daran, die Beiträge zu den IPMA-Baselines zu definieren und den Mitgliedsorganisationen Produkte, Werkzeuge. Kompetenzen etc. zur Verfügung zu stellen. Der Vorschlag sollte bis Ende Juni vollständig abgeschlossen sein. Es ist beabsichtigt, die Ergebnisse auf der IPMA-Weltkonferenz in Kapstadt, Südafrika, im November vorzustellen (https: / / www.hope.capetown). Parallel zur Arbeit an der Entwurfsfassung des Referenz- Guides wurde eine Webinar-Serie zu den ESG-Themen seitens der SIG im Januar gestartet. Es ist vorgesehen, alle zwei Monate ein Webinar zu diesem wichtigen Themenkomplex durchzuführen, der auf drei Säulen basiert: • Strategische Rahmenbedingungen für ESG, • internationale Regularien und • Best Practices. Dabei sollen nicht nur Mitglieder des ESG-Teams der IPMA vortragen. Es werden internationale Experten eingeladen, die jeweils zu den einzelnen Themenschwerpunkten vortragen. Der Auftakt der Webinarserie am 16. Januar wurde durch das GPM-Mitglied Dr. Wolfgang Glitscher zum Thema Re- Thinking Project Management durchgeführt (IPMA SIG ESG webinar- - Re-thinking Project Management). Mit insgesamt 127 Anmeldungen übertraf diese Zahl alle bisherigen von der IPMA angebotenen Webinare. Dies zeigt Interesse und Stellenwert der ESG-Themen und deren Bezug zum Projektmanagement weltweit. Alle Webinare zum Thema ESG der SIG werden auf der Homepage der IPMA verfügbar sein. Wird der vorliegende Entwurf des Referenz-Guides verabschiedet und publiziert, erfolgt in einem zweiten Schritt durch das ESG-Team der SIG die Bearbeitung der OCB in Richtung nachhaltiger Entwicklung. 76 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0039 Die GPM Fach- und Regionalgruppen Neue Firmenmitglieder stellen sich vor-… Firma Hauptgeschäftsgebiet PM-Aufgaben und -Bedeutung Erwartungen an die GPM TANTIVE GmbH www.tantive.gmbh Jürgen Leger, juergen.leger@tantive.gmbh Wir bieten unseren Kundinnen und Kunden Unterstützung über den klassischen Life-Cycle eines Softwareprojekts. Von der ersten Analyse der Produktvision bis hin zur Auslieferung. Begleitet wird das durch Skills in agilen und klassischen Vorgehensweisen und der Möglichkeit von Trainings aller genannten Inhalte, entweder punktuell oder abgerundet als gesamtes Schulungskonzept. Projektmanagement-Unterstützung im Rahmen der Software-Projekte unserer Kundinnen und Kunden. Netzwerken, Know-how Austausch, Weiterbildung, Zertifizierungen MICAS AG www.micas.de / karriere Frau Kunz, personal@micas.de Die MICAS AG steht für hochwertige und innovative Elektronik- und Sensorlösungen für die Gebäudetechnik. Koordination, Steuerung und Dokumentation der Entwicklungsprojekte in Zusammenarbeit mit dem Entwicklungsteam. Besetzung der Stelle des Projektmanagers durch geeignete Kandidaten. Asseco Solutions AG assecosolutions.com PMO: Karsten Röttger, karsten.roettger@assecosol.com Die Asseco Solutions AG ist Hersteller und Projektierer der ERP-Lösung APplus. Wir bedienen unterschiedlichste Branchen des Mittelstands wie beispielsweise den Maschinen-, Anlagen- und Fahrzeugbau, den Automotive-Sektor, Serienfertigung, Großhandel oder Dienstleistungssektor. Die Asseco Solutions AG ist Teil der polnischen Asseco-Gruppe, dem größten Softwarehersteller Mittel- und Osteuropas. Als Projektierer unserer eigenen ERP-Lösung gehört dem Projektmanagement die maximale Aufmerksamkeit und ist letztendlich Teil des Geschäftsmodells. Wir freuen uns, ein Teil des großen und kompetenten Netzwerks der GPM sein zu dürfen. Wir werden unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rahmen der IPMA-Level weiter qualifizieren. Die derzeit 39 Regionalsowie 34 Fachgruppen der GPM bieten eine Plattform zum branchenübergreifenden Networking und Erfahrungsaustausch. Sie leisten damit wichtige fachliche Basisarbeit innerhalb des Vereins. Die Regional- und Fachgruppen bieten darüber hinaus ein breites Angebot von in der Regel kostenlosen Veranstaltungen zum Projektmanagement. Weitere Informationen und Ansprechpartner der einzelnen GPM Fach- und Regionalgruppen finden Sie auf der GPM Website unter: www.gpm-ipma.de / know_how / fachgruppen.html bzw. www.gpm-ipma.de / ueber_uns / regionen.html Aus den DACH-Verbänden | GPM intern 77 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0040 Im April 2021 startete Projekt Management Austria den eigenen Podcast. Mittlerweile ist Folge #21 on air gegangen. Um Neues zu erfahren oder Wissen zu vertiefen, kann man ein Fachbuch zu Hand nehmen, an einem Webinar oder an einem Fachkongress teilnehmen, oder-- immer beliebter-- einen Podcast hören. Wie den pma Podcast zu Projektmanagement- Themen. Von Trends in der Arbeitswelt-… Vieles ist heute in Diskussion. Demografie, Wertewandel und Künstliche Intelligenz fordern alle Unternehmen. Ob Vier-Tage-Woche, Home Office, Work-Life-Balance, Quiet-Quitting. Welche Trends bestimmen die Arbeitswelt? Wie werden die Bedürfnisse der jungen Generation berücksichtigt? Und was bedeutet diese Transformation für die Projektarbeit? In Folge 18 des pma Podcasts sprechen darüber Karin Bauer, Journalistin der Tageszeitung Der Standard, und pma Präsidentin Brigitte Schaden. Aus den DACH-Verbänden | pma intern pma Podcast: Projektmanagement zum Hören Ikarus mit Life-Work-Balance zusammen? Senior Consultant und Storyteller Christoph Rabl erzählt, warum Märchen businessrelevant sind, und wie sie dabei helfen können, die Arbeit in Projekten zu verbessern. …-bis zu Rechtsfragen in Projekten Wie oft haben Sie in Projekten mit Rechtsfragen zu tun? Häufiger, als Sie denken. In Folge 21 gibt Jurist Kai Erenli Antworten auf häufige Rechtsfragen im Projektmanagement. Etwa, wenn es darum geht, Fotos (aus dem Internet) für eine Projektpräsentation zu verwenden und dabei die Copyrights zu wahren. Oder wie Sie KI-Tools rechtlich korrekt einsetzen. Der Jurist spricht über Vertraulichkeitsregelungen und gibt wertvolle Praxistipps, wie man rechtliche Fallstricke vermeiden kann. Der pma Podcast richtet sich an Projekt-Einsteiger*innen wie auch an erfahrene Projektverantwortliche. Gleich abonnieren! Infos: pma.at/ podcast Hauptgeschäftsgebiet Die IT ist so vielfältig wie nie zuvor. Axians vereint Expertisen aus vielen Disziplinen und deckt damit eine Breite an Themen ab wie kein zweiter IT-Dienstleister in Österreich. So begleiten wir Kunden erfolgreich in die digitale Zukunft. PM-Aufgabe und Bedeutung Unser Projektmanagement-Team bietet umfassende interne und externe PM- und PMO-Dienstleistungen vom Start bis zum Ende des Projekts. Mit PM-Services, PMO-Beratung, IPMA® Level D Schulungen passen wir uns flexibel an die Bedürfnisse Ihres Unternehmens an und unterstützen Sie maßgeschneidert. In Folge 19 ist Österreichs Projektmanagerin des Jahres 2023, Franziska Mair, zu Gast. Sie leitet bei einem großen internationalen Unternehmen den Bereich Projekt- und Portfoliomanagement (PPM) und managt rund 50 Projekte, 21 Projektmanager*innen und acht Projektauftraggeber*innen im Bereich Research & Development. Warum ist PPM so wichtig? „Es hilft dabei, die Projekte strategisch auszurichten, einen maximalen Wertbeitrag zu leisten und durch den zielgerichteten Einsatz von begrenzten Ressourcen, das Gesamtrisiko zu reduzieren“, sagt Franziska Mair. …-über Rotkäppchen und Froschkönig Folge 20 des pma Podcasts widmet sich Projektmanagement von einer eher ungewöhnlichen Seite. Was haben das Rotkäppchen und der Froschkönig mit Projektmanagement und Leadership zu tun? Und wie geht der Mythos vom Überflieger pma Mitglied vor den Vorhang Axians ICT Austria GmbH Hafenstraße 2a, 4020 Linz, Austria www.axians.at Kontakt: Ing. Hannes Ruprecht hannes.ruprecht@axians.at Tel. +43 664 8 511 811 78 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0041 Aus den DACH-Verbänden | spm intern spm Generalversammlung 2024: Von Schatzkisten, Nähkästchen und Projekterfahrungen-… Vera de Spindler (freie spm-Mitarbeiterin) Impressionen von der Generalversammlung 2024 (Bilder von Rüdiger Geist und Michele Sacchet) Immer wieder sprechen Menschen von dieser speziellen Energie, welche an einem Ort oder während eines Ereignisses zu spüren war. Etwas, das mehr ist als lediglich die Summe der vorhandenen Teile- - entstanden aus der Präsenz, aus dem Austausch, aus dem Wiedergeben und Empfangen von Ideen und Gedanken. Mir geht es oft so an den Veranstaltungen des spm. Projektleiter und Projektleiterinnen aus unterschiedlichsten Arbeitsbereichen, vereint an einem Ort- - selten findet sich so viel Projekterfahrung auf (verhältnismässig) kleinem Raum und das fühlt man. Aber es ist nicht nur die geballte Erfahrung auf kleinem Raum, die es ausmacht. Vielmehr ist es die Atmosphäre von Offenheit und Akzeptanz, welche von den Anwesenden geschaffen wird. Sie bildet die ideale Voraussetzung für Kreativität, Weiterentwicklung und Wachstum. Geäusserte Ideen und Gedanken kommen nämlich nicht nur dadurch zum Fliegen, weil sie ausgesprochen werden. Es braucht den dazu notwendigen nährhaften Boden, auf welchem sie wachsen und sich entfalten können. Erst dadurch werden sie mehr, mehr als eine Idee-- sie werden eine Inspiration und aus einer Inspiration kann eine Handlung entstehen. Nicht nur, aber auch gerade deshalb ist es umso wichtiger, sich solche Räume zu suchen und diese zu kreieren (übrigens eines von vielen Aktivitäten, welche den spm so wertvoll machen). In dieser nahrhaften und inspirierenden Atmosphäre wurde an der spm Generalversammlung 2024 von erfahrenen Projektleitenden aus dem Nähkästchen geplaudert, die wertvollsten Lektionen und «Lehrblätze» aus den Schatzkisten ausgepackt und weitergegeben. Natürlich könnte ich hier meine Zusammenfassung des Gesagten wiedergeben, aber selbst, wenn ich das tun würde, ist es erstens bereits durch mein Erleben und Auffassen gefiltert, kondensiert und zweitens fühlen sich die Worte jetzt viel leerer an, als sie es an der Generalversammlung taten. So simpel schwarz auf weiss niedergeschrieben, bekommen sie einen Hauch von «ja, das ist jetzt aber auch nicht das Rad neu erfunden» und «das ist ja klar, also wem das nicht bewusst ist…». Es ist auch nicht verwunderlich, dass die Essenz der gesprochenen Worte im Nachhinein diese Färbung bekommt, denn sie entstammt ja schliesslich den Theorien über gute Projektleitung, mit welchen wir alle (so nehme ich es zumindest in diesem Umfeld an) bereits diverse Berührungspunkte hatten. Das Wissen darüber liegt irgendwo mehr oder weniger präsent in unserem Bewusstsein-- wir müssten es nur im richtigen Moment aktivieren können. Wobei so einfach ist es dann eben doch nicht. Es geht ja nicht nur darum, es zu wissen, sondern auch darum, das Wissen einer spezifischen Situation entsprechend angepasst einzusetzen. Dies zu können ist genau das, was den Unterschied zwischen einer Projektleitung und einer guten Projektleitung ausmacht. Und über genau dieses Können (inklusive situativ passenden Beispielen) wurde gesprochen-- und eben das kann ich hier nicht wiedergeben-- ausser ich würde verbatim zitieren, und selbst dann ist es nicht sicher, ob ich die mitgetragene Weisheit gebührend Aus den DACH-Verbänden | spm Generalversammlung 2024: 79 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0041 wiedergeben könnte, weil das Ganze mehr ist als die einfache Summe aus allen vorhandenen Teilen. Ich kann euch also nur empfehlen: Seid dabei, geht vor Ort, tauscht euch aus-- es lohnt sich! Lehrblätze : Lehrgeld: kostspielige und / oder schmerzhafte Erfahrung(en) beim Erlernen einer Tätigkeit, eines Handwerks, einer Kunst oder auch beim Erproben einer Beziehung: "Är het e tüüre Lehrblätz müesse zale! " (aus: www.berndeutsch.ch) Unsere Website ist revitalisiert! Vielen Dank dafür an Lucia Nievergelt, Michèle Sacchet, Jos. Linssen, Linda Vanderwee, Vera de Spindler, Yvonne Voss sowie an Zanny Zaum! Unser vielfältiges Angebot mit Veranstaltungen, Fachgruppen sowie Informationen zu IPMA-Zertifizierungen und zu uns und unseren Partnern ist jetzt noch einfacher zu finden. Hier finden Sie uns: https: / / spm.ch/ Fachgruppe Konfliktmanagement https: / / spm.ch / fachgruppen / projektmanagement-konfliktmanagement/ Kontakt: Daniel Baumann Fachgruppe BRIDGE Community-- IT und PM (Die Brückenfunktion Business IT) https: / / spm.ch / fachgruppen / projektmanagement-it/ Kontakt: Simon Moser Fachgruppe Projektmanagement Office (PMO) https: / / spm.ch / fachgruppen / projektmanagement-officepmo/ Kontakt: Anita Brans Fachgruppe PM in der Hochschul-Lehre https: / / spm.ch / fachgruppen / projektmanagement-an-hochschulen/ Kontakt: Nicole Gerber Fachgruppe Agile und Projektmanagement https: / / agile-und-pm.ch/ Kontakt: Reto Scherrer Fachgruppe mitwochdenken https: / / spm.ch / fachgruppen / projektmanagement-mitwochdenken/ Kontakt: Ingrid Giel Neue Fachgruppe in Vorbereitung: Fachgruppe Künstliche Intelligenz Kontakt Katrin Reschwamm (Fachgruppenverantwortliche): katrin.reschwamm@spm.ch Unsere Young Crew sucht junge Projektmanagerinnen und Projektmanager (bis 35 Jahre) Bitte melden bei: Lucia Nievergelt lucia.nievergelt@spm.ch https: / / spm.ch / young-crew/ Unsere Fachgruppen-- In welcher Fachgruppe möchten Sie mitmachen? https: / / spm.ch / fachgruppen/ Fachgruppe PM im Gesundheitswesen: https: / / spm.ch / fachgruppen / projektmanagement-im-gesundheitswesen/ Kontakt: Nicole Gerber Fachgruppe PM goes Boardroom: https: / / spm.ch / fachgruppen / pm-goes-boardroom/ Kontakt: Thomas Hunziker 80 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 02/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0042 Wie sind Sie zum Projektmanagement gekommen? Ich habe Architektur studiert und hatte immer mit Bauprojekten zu tun. Bei der Landeshauptstadt Hannover habe ich nach einigen Jahren Projektarbeit in der Projektleitung im Gebäudemanagement begonnen. Als Stabsstellenleitung hatte ich später die Verantwortung für 15 Personen im Programm- und Flächenmanagement. Aufgaben waren die Planung von Sanierungs- und Neubauprogrammen, die Standortentwicklungen mit Schwerpunkt auf Schul- und Kitaplanung für die Stadt. Falls Sie kein Projektmanagerin geworden wären-- was stattdessen? Architektin mit Projektleitung, ich stehe nach wie vor zu meinem Weg, an der einen oder anderen Stelle würde er aus heutiger Sicht nicht mehr so gradlinig verlaufen. Welches Projekt hat Sie besonders geprägt oder war für Sie besonders wichtig? Die KITA-Entwicklung. Im Rahmen der damals neuen gesetzlichen Vorgaben mussten wir innerhalb weniger Jahre rund 2000 Betreuungsplätze für Kinder unter 3 Jahren schaffen, da der Anspruch auf Betreuung verbindlich wurde. Das betraf nicht nur den Neubau von x Einrichtungen, sondern auch und vor allem Umstrukturierungen und Anbaumaßnahmen an vorhandene Einrichtungen. In den Vorjahren mussten Einrichtungen geschlossen werden, Grundstücke wurden umgewidmet aufgrund der rückgängigen Kinderzahlen und der langfristigen Prognosen und plötzlich standen wir vor einer riesigen Herausforderung. Und die Grundstücke in der Stadt sind meist sehr klein mit wenig Entwicklungspotenzial. Zusätzlich gab viele konkurrierende Interessenten für die potenziellen Baugrundstücke, wie bspw. Grünflächen, Schulen, Kultur aber auch Vermarktungsabsichten. Jeder Bereich hatte seine Aufgaben und musste für die eigene Zielerreichung kämpfen. Dieser intensive Prozess hat mich sehr geprägt. An welchem Projekt arbeiten Sie gerade? Ich leite das Projekt „H-Stromert“ zum Aufbau der Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge bei der Stadt. Wir hatten 2018 / 2019 das Förderprojekt zugesprochen bekommen. Dieses Jahr endet das Projekt. An dem Forschungs- und Entwicklungsprojekt sind elf Partner beteiligt. Die Hochschule Hannover und Gottfried Wilhelm-Leibniz-Universität forschen, alle anderen entwickeln und bauen. Ein vielfältiges und interessantes Projekt. Gelten in Ihrem Bereich bestimmte Standards und Methoden? Wir haben keine bestimmten Vorgaben. Größtenteils gehen wir nach klassischen Methoden vor. Welche historischen Projekte bewundern Sie am meisten? Ich finde das Thema Pyramidenbau sehr spannend. Wir wissen bis heute nicht, wie sie entstanden sind, sie bleiben geheimnisvoll. Was zeichnet Sie als Projektmanagerin besonders aus? Ich bin sehr strukturiert und suche Klarheit im Projekt. Auch ist es immer ein Geben und Nehmen. Ich gehe auf die Menschen ein und verlasse mich auf sie. Ich muss nicht alles wissen und können. Was motiviert Sie, in Projekten zu arbeiten und Projekte zu leiten? Die Zusammenarbeit macht mir Spaß. Ich habe lange eine Stabstelle geleitet mit zeitweise 18 Personen. Es macht mir Spaß, die Übersicht zu haben, Strukturen zu bilden und dabei das übergeordnete Ziel zu verfolgen. Welche Tipps haben Sie für den Projektmanagement-Nachwuchs? Suchen Sie nicht alles in sich selbst. Eine Basis ist wichtig. Finden Sie den Weg in der offenen Kommunikation und halten Sie nicht an alten Strukturen und Einstellungen fest. Legen Sie los, auch wenn sie nicht ganz sicher sind. Verlieren Sie dabei aber nicht das Ziel aus den Augen. Welche Eigenschaften schätzen Sie an Projektmanagern*innen am meisten? Ich arbeite gerne mit sehr strukturierten Menschen zusammen. Was sind zukünftige Trends? Agiles Arbeiten und agiles Projektmanagement. Auch die Entwicklungen in der künstlichen Intelligenz werden das Projektmanagement stark beeinflussen. Auf ein Wort mit-… Inge Schottkowski- Bähre, Projektleitung und Stabstellenleitung Martina Peuser Zur Person | Inge Schottkowski-Bähre ist Projektleitung im Gebäudewirtschaftsbetrieb der Landeshauptstadt Hannover, Stabstellenleitung Programm und Flächenmanagement, Projektmanagement in der Klimaschutzleitstelle der Landeshauptstadt Hannover. www.junfermann.de - Wir liefern versandkostenfrei! Doris Klappenbach-Lentz Facilitation-Tools Mit Mediativer Kommunikation und Mediation Prozesse in Gruppen ermöglichen Facilitation bedeutet, in der Arbeit mit Gruppen Prozesse zu ermöglichen und zu begleiten. Anlässe zum Einsatz dieses Formats können Konfliktklärungen oder -lösungen sein. Auch in der Gestaltung von Change-Prozessen haben sich Facilitation-Workshops bewährt, ebenso für das Teambuilding, z. B., wenn es darum geht, dass sich eine für eine Projektarbeit international zusammengestellte Gruppe schnell zu einem arbeitsfähigen Team entwickelt. Die Autorin gibt einen Überblick über verschiedene Facilitation- Anlässe. Sie erläutert, wie Kompetenzen und Elemente aus Mediation und Mediativer Kommunikation sowie weitere Tools dabei zum Einsatz kommen. Beispiele aus der Praxis fassen die Buchinhalte anwendungsbezogen zusammen und runden sie ab. 250 S., kart., E-Book inside • € (D) 32,00 • ISBN 978-3-7495-0566-1 • Auch als E-Book erhältlich Doris Klappenbach-Lentz Mediative Kommunikation Mit Rogers, Rosenberg & Co. konfliktfähig für den Alltag werden 2. überarbeitete Auflage Allen, die sich in einer Haltung wertschätzender Kommunikation in Beruf und Alltag weiterentwickeln wollen, bietet dieses Buch eine Fülle an Informationen und Anregungen. Die Autorin stellt ein theoretisch fundiertes und alltäglich anwendbares Konzept vor, mit dessen Hilfe sich aus der Mediation stammende Methoden - unabhängig von einem bestimmten Setting - verwenden lassen. Nach einem Einblick in das Konzept und seine Wurzeln erhalten die Lesenden Möglichkeiten, sich mithilfe praktischer Beispiele und Übungen das wesentliche Handwerkszeug der Mediativen Kommunikation zu erschließen. Hierzu werden Ansätze und Erkenntnisse aus Psychologie, Soziologie, Supervision, Beratung und Gesprächstherapie gezielt für die alltägliche berufliche und private Anwendung aufbereitet, u. a. Elemente aus GFK, Personzentrierter Gesprächsführung, TA, TZI, NLP und aus dem prinzipiengeleiteten Verhandeln nach dem Harvard-Konzept. Für die Neuauflage wurden die Inhalte dieses bewährten Grundlagenbuches überarbeitet und ergänzt. 304 S., kart., E-Book inside • € (D) 38,00 • ISBN 978-3-7495-0483-1 • Auch als E-Book erhältlich Doris Klappenbach-Lentz Facilitation-Tools Mit Mediativer Kommunikation und Mediation Prozesse in Gruppen ermöglichen Facilitation bedeutet, in der Arbeit mit Gruppen Prozesse zu ermöglichen und zu begleiten. Anlässe zum Einsatz dieses Formats können Konfliktklärungen oder -lösungen sein. Auch in der Gestaltung von Change-Prozessen haben sich Facilitation-Workshops bewährt, B., wenn es darum geht, dass sich eine für eine Projektarbeit international zusammengestellte Grup- Die Autorin gibt einen Überblick über verschiedene Facilitation- Anlässe. Sie erläutert, wie Kompetenzen und Elemente aus Mediation und Mediativer Kommunikation sowie weitere Tools dabei zum Einsatz kommen. Beispiele aus der Praxis fassen die Buchinhalte anwendungsbezogen zusammen und runden sie ab. 250 S., kart., E-Book inside • € (D) 32,00 • ISBN 978-3-7495-0566-1 • Auch als E-Book erhältlich Doris Klappenbach-Lentz Mediative Kommunikation Mit Rogers, Rosenberg & Co. konfliktfähig für den Alltag werden 2. überarbeitete Auflage Allen, die sich in einer Haltung wertschätzender Kommunikation in Beruf und Alltag weiterentwickeln wollen, bietet dieses Buch eine Fülle an Informationen und Anregungen. Die Autorin stellt ein theoretisch fundiertes und alltäglich anwendbares Konzept vor, mit dessen Hilfe sich aus der den - unabhängig von einem bestimmten Setting - verwenden lassen. Nach einem Einblick in das Konzept und seine Wurzeln erhalten die Lesenden Möglichkeiten, sich mithilfe praktischer Beispiele und Übungen das wesentliche Handwerkszeug der Me diativen Kommunikation zu erschließen. Hierzu werden Ansätze und Erkenntnisse aus Psychologie, Sozio logie, Supervision, Beratung und Gesprächstherapie gezielt für die alltägliche berufliche und private Anwendung aufbereitet, u. rung, TA, TZI, NLP und aus dem prinzipiengeleiteten Verhandeln nach dem Harvard-Konzept. Konflikte klären - wertschätzend kommunizieren Vom Kleinunternehmer über den Mittelstand bis hin zu weltweit agierenden Konzernen: Mit Projektron BCS und Projektron BCS.start bieten wir Ihnen die passende Lösung. Für klassische, agile oder hybride Projekte. Für jede Branche die passende PM-Lösung! Eine Übersicht finden Sie unter projektron.de/ branchen 1. Platz Process Solution Award 2022 Prozessorientierte Reorganisation Prozessoptimierung auswerten koordinieren planen