PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
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UVK Verlag Tübingen
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2024
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Unter Mitwirkung von: spm - Swiss Project Management Association und Projekt Management Austria P R OJ E K T M A N A G E M E N T A K T U E L L www.pm-aktuell.de Projektmanagement und Wandel Ausgabe 4/ 2024 | 35. Jahrgang HIGHLIGHT EVENT DER MENSCHEN. METHODEN. LÖSUNGEN. Der bedeutendste Treffpunkt der Projektmanagement-Community Erleben Sie ein live gestreamtes Programm mit praxisnahen Impulsen und hochwertigem PM-Wissen: 30 Fachvorträge in sechs Streams und vier herausragende Keynotes. Fatih Akin, Meister der Visionskraft und Präzision, teilt seine Erfolgsgeheimnisse aus der Filmbranche. Prof. Dr. Silke Schönert zeigt, wie systematisches Projektmarketing zum Erfolg führt. Dr. Maximilian Lude spricht über nachhaltige Innovationen. Roger Basler de Roca demonstriert den Einsatz von KI-Tools in Projekten. Es wird erstklassig, machen Sie sich bereit! PM FORUM DIGITAL VON ÜBERALL 7. - 8. NOVEMBER 2024 Informationen und Anmeldung unter: www.pm-forum.de Fatih Akin Dr. Silke Schönert Dr. Maximilian Lude Roger Basler de Roca Erfolgsregisseur und Gründerin Institut für Zukunftsforscher Schweizer KI-Experte Golden Globe Gewinner Projektmanagement- Exzellenz 1 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 04/ 2024 Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Am Tullnaupark 15, 90402 Nürnberg Unter Mitwirkung von Spm - Swiss Project Management Association Flughofstraße 50, CH-8152 Glattbrugg und Projekt Management Austria Palais Schlick, Türkenstraße 27/ 2/ 21, A-1090 Wien Redaktion: Prof. Dr. Steffen Scheurer, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (Chefredakteur) Oliver Steeger, Alfter (Ressort Report) Nadja Saoudi, GPM Nürnberg Dr. Thor Möller, prometicon projects GmbH, Bremen Redaktionsbeirat: Prof. Dr. Peter Thuy (Präsident GPM) Dr. Dieter Butz Axel Graser, Südwestrundfunk / SWR Prof. Dr. Nino Grau, Grauconsult GmbH Prof. Dr. Katrin Hassenstein, Hochschule der Medien Stuttgart Prof. Dr. Claus Hüsselmann, Technische Hochschule Mittelhessen Dr. Ingrid Giel, spm, Schweizerische Gesellschaft für Projektmanagement Brigitte Schaden, pma (Projektmanagement Austria) Prof. Dr. Doris Weßels, Fachhochschule Kiel G 6010 35. Jahrgang, 04/ 2024 ISSN 2941-0878 Verlag: UVK Verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5, 72070 Tübingen Telefon: +49 (0)7071 97 97 0 www.projektmanagement.digital © 2024 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Tübingen Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages. Namentlich gekennzeichnete Beiträge sowie die Inhalte von Interviews geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion oder des Verlages wieder. Zeitschriftenkoordination: Patrick Sorg eMail: sorg@narr.de Anzeigenverwaltung: Oliver Solbach eMail: solbach@narr.de Anzeigenverkauf: Stefanie Richter Telefon: +49 (0) 89 / 120 224 12 eMail: richter@narr.de Erscheinungsweise: 5 Hefte pro Jahr Bezugspreise für Privatpersonen: Einzelheftpreis: EUR 20,- Jahresbezugspreis (print): EUR 67,- Jahresbezugspreis (print & online): EUR 88,- Bezugspreise für Institutionen: Jahresbezugspreis (print): EUR 67,- Jahresbezugspreis (print & online): EUR 198,- Preisänderungen vorbehalten. Der Bezugspreis für Mitglieder der GPM ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Alle Preise zzgl. Versandkosten und inkl. MwSt. Die Kündigung ist sechs Wochen vor Ende eines Kalenderjahres schriftlich an den Verlag zu richten. Sonderausgaben werden zusätzlich berechnet. Bei Nichterscheinen der Zeitschrift ohne Verschulden des Verlages oder infolge höherer Gewalt entfällt für den Verlag jegliche Lieferpflicht. Umschlagabbildung: © iStock.com/ eternalcreative Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/ w/ d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter. Impressum 2 Editorial Reportage 4 „Viel Kompetenz für Wasserstoff-Projekte“ 10 Windstrom, Wasserstoff, Waterkant 16 Eine ganze Stadt für Wasserstoff 22 Die rote Insel will grün werden 28 Fünf „Macher: innen“ machen die Integration einfacher Wissen 32 Agile Management Maturity Map AM³ - Reifegradlandkarte für agile Organisationen 43 Einsatzmöglichkeiten und Potenziale 48 Die Entfesselung des Project Management Office? 53 Krisenbewältigung und Krisenarten 60 PM Forum live in Hamburg: Ein Rückblick auf das Highlight-Event der GPM 62 Kraft der Diversität: Ein Rückblick auf die 16. GPM Aktiv 2024 64 Projektmanagement für eine effiziente Verwaltung - Die GPM beim 10. Zukunftskongress! 65 re: publica 2024 - Who cares? Kolumne 67 Nicht das Beste, oder? Aus den DACH-Verbänden 68 GPM intern 69 pma intern 70 spm intern 72 Auf ein Wort mit-… Michael Barg 2 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0061 EDItORIAl Projektmanagement und Wandel Liebe Leserinnen und Leser, Gesellschaft und Wirtschaft stehen vor großen Herausforderungen: etwa der Klimawandel und der daraus resultierende Zwang zum nachhaltigen Wirtschaften, die Digitale Transformation und die schnelle Verbreitung der KI und nicht zuletzt auch noch zunehmende Handelskonflikte und geopolitische Spannungen. Ein kurzer Blick auf die bei weitem noch nicht vollständige „Liste“ unserer Herausforderungen reicht für die Erkenntnis, dass sich Gesellschaft und Wirtschaft ständig anpassen müssen. Wir brauchen neue Strategien, um zukunftsfähig zu bleiben. Unsere Fähigkeit zu Innovation und stetigem Wandel wird entscheiden, ob wir diese Herausforderungen erfolgreich bewältigen. Der Wandel in eine unsichere Zukunft hinein wird oft als Zumutung empfunden, sogar als gefährlich. Doch auf dem Status quo zu beharren und Stillstand in Kauf zu nehmen-- das ist noch gefährlicher! Die Fähigkeit zum Wandel muss heute zum Standardrepertoire gehören. In den Herausforderungen liegen häufig auch Chancen für eine bessere Zukunft. Wie mit Projekten der Wandel aktiv gestaltet werden kann, zeigen wir in diesem Heft am Beispiel einer Stadt, die sich aktiv bei der Bewältigung der Energiewende engagiert. Saskia Greiner, Innovationsmanagerin und Projektleiterin bei der BIS Gmbh erklärt in einem Interview, welche Chancen Grüner Wasserstoff für Bremerhaven bietet-- und wie die Stadt mit der Vernetzung und Förderung einer Vielzahl von Projekten diese Chancen ergreift. Es geht dabei um Forschungsprojekte. Sie versuchen zu klären, wie Grüner Wasserstoff in Zukunft in industrialisierter Form auch im Megawattbereich hergestellt werden kann. Damit nicht genug. Bremerhaven engagiert sich selbst mit konkreten Anwendungsprojekten. Die Stadt unterstützt beim Aufbau einer kompletten Wertschöpfungskette von der Produktion Grünen Wasserstoffs vor Ort, über dessen Distribution mittels einer Wasserstofftankstelle bis hin zur Nutzung beispielsweise im ÖPNV durch Wasserstoffbusse. Lesen Sie dazu den Report über die in Bremerhaven laufenden Forschungsprojekte zum Grünen Wasserstoff. Kevin Schalk, Leiter des Hydrogen Labs des Fraunhofer-Instituts, erforscht mit seinem Team wie Windenergie und Elektrolyseure auch in großem Maßstab zusammenspielen. An einer alternativen, günstigen Technologie zur Gewinnung von Grünem Wasserstoff forscht das ttz Bremerhaven, ein unabhängiges und gemeinnütziges Forschungsinstitut. Hier zeigt uns Malte Fredebohm eine Pilotanlage, mit der Wasserstoff aus Ammoniak herausgelöst wird. Eine weitere Variante bringt Gerhard Schories, der Leiter des ttz Bremerhaven in die Diskussion. Grüner Wasserstoff könnte zu Grünem Methanol verflüssigt werden. Der Vorteil: Für diesen Energieträger ist die bestehende Infrastruktur weitgehend geeignet. Nicht minder interessant sind die Projekte zur ersten kommerziellen Herstellung von Grünem Wasserstoff und zur Nutzung dieses Grünen Wasserstoffs im ÖPNV. So berichtet André Kiwitz von HY.City.Bremerhaven, einem rein privatwirtschaftlichen Unternehmen von der Investition in einen Elektrolyseur. Dieser nutzt die Energie direkt von einem benachbarten Windrad. Robert Haase, Geschäftsführer des Verkehrsunternehmens „Bremerhaven Bus“ und sein Werkstattleiter Jens Wefer zeigen uns ihre neue Generation von Wasserstoffbussen. Ihr Projekt “Wasserstoff-Busse” bringt viele technische und ökonomische Herausforderungen mit sich-- aber auch große Chancen. Lesen Sie im Bericht, weshalb man bei „Bremerhaven Bus“ vom wasserstoff-elektrischen Antrieb überzeugt ist. Aber nicht nur Bremerhaven wandelt sich, erfahren Sie mit welchen Projekten sich Helgoland sukzessive von einer „roten zu einer grünen Insel“ wandelt. Auch das gemeinnützige Unternehmen „Lokalprojekte“ wirkt kräftig am gesellschaftlichen Wandel mit. Lesen Sie über seine Initiative “Integrationsmacher: innen”, die von der Robert-Bosch-Stiftung gefördert wird. Projektmanagement unterstützt nicht nur Projekte des Wandels. Als Methodik entwickelt sich Projektmanagement ständig weiter- - und wandelt sich damit auch selbst. Agiles Projektmanagement ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Stichwort. Von der Fachgruppe „Agile Management“ haben Hubertus C. Tuczek, Agnetha Flore, Helge F. Wild, Norbert Schaffitzel und Rüdiger Lang mit der Agile Management Maturity Map AM3 ein neues Instrument entwickelt. Es ermöglicht dem Management, Agilitätsreifegrade der eigenen Organisation zu analysieren und gewünschte Zielerreichungsgrade an Agilität für die Organisation festzulegen. Frank Liebermann zeigt in seinem Beitrag, welche Effizienzsteigerungen KI im Projektportfoliomanagement bewirken kann. Wie sich PMOs wandeln könnten, um diese zukunftsfähig zu machen und gleichzeitig neue Perspektiven zu eröffnen- - dies zeigen Timo Braun, Joana Gerstle und Vincent Lächelt in ihrem Beitrag. Lesen Sie darüber hinaus auch die Berichte von Katja Bäumel und René Mittelstädt zum PM-Forum und der GPM-Aktiv in Hamburg sowie über die Aktivitäten der GPM auf dem beim 10. Zukunftskongress Staat & Verwaltung 2024 und auf der re: publica 2024. Mit Projektmanagement haben wir eine bewährte Methodik. Mit ihr können wir Schritt für Schritt die aktuellen Herausforderungen und Veränderungen angehen: durch klar definierte Prozesse und Rollen, effizienten Ressourceneinsatz und systematisches Risikomanagement. Durch den Einsatz weiterentwickelter agiler Methoden und durch das Schaffen kreativer Freiräume für kollaborativ arbeitende Teams können wir auch in dynamischen Umfeldern den Wandel aktiv mitgestalten. Lassen Sie uns genau das tun! Ihr Steffen Scheurer 3 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0061 EDItORIAl Sichern Sie sich eines der kostenlosen Tickets für den cplace Day am 10. Oktober - Teilnahme entweder vor Ort in München oder remote. Europas größte PPM-Konferenz cplace Day 2024 Jetzt kostenloses Ticket sichern! www.cplace.com/ pmaktuell Das erwartet Sie: Exklusive Einblicke in das Projekt- und Portfoliomanagement führender Unternehmen Neueste Technologien und Methoden Networking mit Fachexperten und Fachexpertinnen 4 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0062 Wie Bremerhaven zur Modellregion für Wasserstoff wird „Viel Kompetenz für Wasserstoff-Projekte“ Oliver Steeger Wasserstoff als Energieträger-- das ist nicht nur eine Chance für die Energiewende, sondern auch für die Wirtschaft in Bremerhaven. Die norddeutsche Seestadt mit ihrem Welthafen ist schon mehrfach durch den Strukturwandel gegangen. Zunächst verloren die Werften und der Fischfang im internationalen Wettbewerb. Dann dämpften der politische Schlingerkurs und technologische Probleme die Hoffnungen auf das Geschäft mit Offshore-Windkraftanlagen. Doch jetzt lassen Wasserstoff-Projekte wieder Optimismus in Bremerhaven keimen. Dr. Saskia Greiner, Innovationsmanagerin und Projektleiterin (BIS Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbh) erklärt, welche Chancen Wasserstoff für Bremerhaven bietet-- und wie die Stadt diese Chancen ergreift. Grüner Wasserstoff im Energiemix ist für viele ein hoffnungsvolles, doch abstraktes Thema. Vielfach stehen Konzepte, mit Windenergie Wasserstoff zu produzieren und damit etwa Fahrzeuge anzutreiben, nur auf Papier. Anders in Bremerhaven. Die Stadt veranschaulicht konkret, wie eine Energiewende mit Wasserstoff aussehen könnte. In der Stadt wird die komplette Wasserstoff-Kette modellhaft abgebildet-- von der Produktion mit grünem Strom über die Speicherung, die Verteilung bis zur Verwendung etwa in Bussen. Frau Dr. Greiner, was prädestiniert Ihre Stadt dafür, Vorreiter in Sachen Wasserstoff zu sein? Dr. Saskia Greiner: Das hat mehrere Gründe. Zum einen kommen wir in Bremerhaven aus der Windenergie. Im Stadtgebiet haben wir Windkraftanlagen, die grünen Strom produzieren, den wir für grünen Wasserstoff nutzen. Man muss dafür wissen: Nicht jeder Wasserstoff ist klimaneutral. Manchmal wird Wasserstoff aus Erdgas gewonnen. Doch nur der Wasserstoff, der mit regenerativem Strom erzeugt wird, ist umweltfreundlich. Ja. Vermittels Windenergie und Elektrolyse erproben Forschungseinrichtungen und ein Unternehmen in Bremerhaven, wie wir grünen Wasserstoff herstellen und nutzen können. Bremerhaven ist eine Wissenschaftsstadt. Es sind viele wissenschaftliche Einrichtungen ansässig, die sich schon länger mit Wasserstoff beschäftigen. Hier ist also viel Kompetenz für die Wasserstoff-Projekte zu finden- - von der Erzeugung des Wasserstoffs über Speicherung und Transport bis hin zur praktischen Anwendung etwa in Fahrzeugen. Zudem ist Bremerhaven eine Stadt der kurzen Wege etwa bei Genehmigungen. Viele, die an Genehmigungen beteiligt sind, stehen bereits im Austausch mit dem hiesigen Wasserstoff-Netzwerk. Hinzu kommt ein weiterer Standortvorteil. Sie haben vor rund zwanzig Jahren Erfahrungen mit der Offshore-Windenergie gewonnen, Sie wissen, wie herausfordernd die Entwicklung und Einführung einer neuen Energietechnologie sein kann. Das ist richtig- - gleichwohl es mit der Offshore-Windenergie am Ende nicht geklappt hat. Damals aus politischen Gründen? Zum großen Teil aus politischen Gründen. Bremerhaven hat seine Wirtschaft immer wieder neu erfinden müssen. Anfangs waren Werften das wirtschaftliche Standbein. Später die Fischerei und Fischverarbeitung. Dann die Windenergie. Heute ist es Wasserstoff. Langsam. Wir haben auch Konstanten, etwa unseren Übersee-Hafen. Der Containerhafen und der Hafen für den RoRo- Reportage | „Viel Kompetenz für Wasserstoff-Projekte“ 5 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0062 www.junfermann.de - Wir liefern versandkostenfrei! Doris Klappenbach-Lentz Facilitation-Tools Mit Mediativer Kommunikation und Mediation Prozesse in Gruppen ermöglichen Facilitation bedeutet, in der Arbeit mit Gruppen Prozesse zu ermöglichen und zu begleiten. Anlässe zum Einsatz dieses Formats können Konfliktklärungen oder -lösungen sein. Auch in der Gestaltung von Change-Prozessen haben sich Facilitation-Workshops bewährt, ebenso für das Teambuilding, z. B., wenn es darum geht, dass sich eine für eine Projektarbeit international zusammengestellte Gruppe schnell zu einem arbeitsfähigen Team entwickelt. Die Autorin gibt einen Überblick über verschiedene Facilitation- Anlässe. Sie erläutert, wie Kompetenzen und Elemente aus Mediation und Mediativer Kommunikation sowie weitere Tools dabei zum Einsatz kommen. Beispiele aus der Praxis fassen die Buchinhalte anwendungsbezogen zusammen und runden sie ab. 250 S., kart., E-Book inside • € (D) 32,00 • ISBN 978-3-7495-0566-1 • Auch als E-Book erhältlich Doris Klappenbach-Lentz Mediative Kommunikation Mit Rogers, Rosenberg & Co. konfliktfähig für den Alltag werden 2. überarbeitete Auflage Allen, die sich in einer Haltung wertschätzender Kommunikation in Beruf und Alltag weiterentwickeln wollen, bietet dieses Buch eine Fülle an Informationen und Anregungen. Die Autorin stellt ein theoretisch fundiertes und alltäglich anwendbares Konzept vor, mit dessen Hilfe sich aus der Mediation stammende Methoden - unabhängig von einem bestimmten Setting - verwenden lassen. Nach einem Einblick in das Konzept und seine Wurzeln erhalten die Lesenden Möglichkeiten, sich mithilfe praktischer Beispiele und Übungen das wesentliche Handwerkszeug der Mediativen Kommunikation zu erschließen. Hierzu werden Ansätze und Erkenntnisse aus Psychologie, Soziologie, Supervision, Beratung und Gesprächstherapie gezielt für die alltägliche berufliche und private Anwendung aufbereitet, u. a. Elemente aus GFK, Personzentrierter Gesprächsführung, TA, TZI, NLP und aus dem prinzipiengeleiteten Verhandeln nach dem Harvard-Konzept. Für die Neuauflage wurden die Inhalte dieses bewährten Grundlagenbuches überarbeitet und ergänzt. 304 S., kart., E-Book inside • € (D) 38,00 • ISBN 978-3-7495-0483-1 • Auch als E-Book erhältlich Konflikte klären - wertschätzend kommunizieren Reportage | „Viel Kompetenz für Wasserstoff-Projekte“ 6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0062 Umschlag, also der Umschlag von rollenden Gütern (Roll on Roll off), sind Knotenpunkte in Europa. Dies macht den Standort wirtschaftlich interessant. Aber Sie haben Recht. Die Vergangenheit war teils sehr wechselhaft. Bremerhaven ist eine Art Stehaufmännchen. Doch die vielfältige Vergangenheit hat auch Vorteile: Jeder Sektor, den wir hatten, hat hier etwas hinterlassen. Noch heute sind fischverarbeitende Unternehmen mit ihrer Produktion ansässig. Neuerdings ist Bremerhaven wieder Heimathafen für einen Fischtrawler. Ähnliches gilt für die Windenergie. Viele dieser Sektoren kann man jetzt gut miteinander verbinden-- wie wir es beim Wasserstoff jetzt tun. Inwiefern verbinden? In Bremerhaven hat beispielsweise das Alfred-Wegener-Institut seinen Sitz. Eines der Forschungsschiffe-- die Uthörn-- soll mit grünem Methanol betrieben werden. Das Forschungsinstitut ttz Bremerhaven wird zukünftig in einem Pilotprojekt grünes Methanol mit grünem Wasserstoff erzeugen, der in Bremerhaven produziert wird. Ein anderes Beispiel: Bedingt durch den Hafen haben wir in unserer Stadt Logistikkonzerne, mit denen wir gemeinsame Projekte aufsetzen können, um Wasserstoff für Fahrzeuge zu nutzen. Sie bringen verschiedene Partner zusammen und entwickeln mit Ihnen Projekte? Ja. Am Anfang stand die Aufgabe, das Umfeld für Projekte und den wirtschaftlichen Einsatz von Wasserstoff zu schaffen. Dazu gehört auch Wasserstoff zur Verfügung zu stellen. Ohne das zuverlässige, lokale Angebot ist es sehr schwierig, Nachfrage für Wasserstoff zu entwickeln und Anwender zu finden. Wer in Bremerhaven Anwendungsprojekte startet, wird erst schauen, ob Wasserstoff am lokalen Markt ausreichend verfügbar ist. Das ist das Henne-Ei-Problem, das bei der Energiewende viel diskutiert wird. Brauchen wir zuerst das Angebot, um Nachfrage zu schaffen? Oder entwickeln wir zunächst die Nachfrage als wirtschaftliches Fundament für ein Angebot? Gut ist es am Anfang Angebot und Nachfrage gemeinsam zu entwickeln. Das Joint Venture hy.city.Bremerhaven hat dieses Henne-Ei-Problem gelöst, indem es sowohl die Erzeugung in wirtschaftlich zu betreibenden Elektrolyseuren als auch die Anwendung in zehn Wasserstoffbussen von Bremerhaven Bus auf den Weg gebracht hat. Dies hat auch die Politik überzeugt, die dieses Projekt von Bremerhaven Bus unterstützt hat. Also im besten Fall Elektrolyseuren, Tankstelle und wasserstoffbetriebene Fahrzeuge wie gleichzeitig auf den Weg bringen-… Das läuft nicht immer lehrbuchmäßig. Die Elektrolyseure sind noch in der Inbetriebnahme, die Wasserstoff-Tankstelle für die Busse ist noch in Bau und wird in diesem Jahr eröffnet. Die Busse sind seit Anfang letzten Jahres in Betrieb. Derzeit werden die Busse noch mit einer Betriebstankstelle betankt, und dieser Tankvorgang dauert recht lange. Ist die Tankstelle in Betrieb, werden die Busse deutlich schneller betankt werden können. Ist einmal das Angebot vorhanden, entwickeln und verbessern sich Anwendung und Versorgung Hand in Hand. Dann kann man iterativ skalieren. Mit dem Skalieren wird auch der Wasserstoff günstiger, was wiederum mehr Nachfrage schafft. Sprechen wir über grünen Wasserstoff selbst. In der Diskussion taucht er als vielseitiger Energiespeicher immer wieder auf. Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile von Wasserstoff? Grüner Wasserstoff ist ein Speicher für erneuerbaren Strom aus Photovoltaik oder Wind, wie Sie eben gesagt haben. Das ist wichtig im Kopf zu behalten. Er ist kein fossiler Brennstoff wie Kohle oder Öl. Kohle oder Öl werden verbrannt. Das setzt Kohlendioxid frei. Grüner Wasserstoff dagegen ist völlig klimaneutral. Wie eine Art-- Batterie? Ja. Ein Energiespeicher. Als Speichermedium ist Wasserstoff einem Akku sogar überlegen. Ein Akku ist zudem groß und schwer und bindet viele Ressourcen. Wasserstoff dagegen können wir komprimieren und auch über längere Zeit in unterirdischen Kavernen speichern-- so, wie wir dies heute bereits mit Erdgas machen. Um dies zu verstehen, muss man sich den Chemieunterricht aus der Schule ins Gedächtnis rufen. Wasser besteht aus zwei verschiedenen Atomen: Wasserstoff und Sauerstoff, H2O. Chemisch betrachtet sind im Wassermolekül zwei Teile Wasserstoff mit einem Teil Sauerstoff fest verbunden. Mit Strom allerdings kann man das Wassermolekül in seine Bestandteile zerlegen, gewissermaßen spalten-- die Elektrolyse. Den Wasserstoff kann man dann wieder mit Sauerstoff verbinden. Energie wird frei-- und Wasser entsteht. Aus dem Chemieunterricht kennen wir das durch die Knallgas-Explosion. Richtig. Wie wird dieses Prinzip in der Praxis genutzt? Wir können Wasserstoff in einem Verbrennungsmotor einsetzen-- oder in einer Brennstoffzelle, in der aus dem Wasserstoff Strom erzeugt wird. Interessant ist dabei, dass wir Wasserstoff gut durch das bestehende Leitungsnetz in Deutschland transportieren können. Das Leitungsnetz, das wir heute für Erdgas nutzen? Ja. Diese Pipelines selbst sind für Wasserstoff in der Regel, geeignet. Die bestehenden Armaturen wie etwa Ventile, Pumpen oder Dichtungen müssen für den Einsatz von Wasserstoff umgerüstet werden. Doch das Rohrnetz selbst ist gut nutzbar. Wasserstoff ist ja nicht nur ein Energiespeicher, sondern auch eine Art Rohstoff oder Ausgangsstoff für die chemische Industrie-… Nicht nur für die chemische Industrie, sondern beispielsweise auch für die Lebensmitteltechnologie. Man kann Wasserstoff etwa zur Härtung von Fett verwenden. Auch bei der Stahlerzeugung ist Wasserstoff einsetzbar. Reportage | „Viel Kompetenz für Wasserstoff-Projekte“ 7 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0062 Also eine klimaneutrale Energiequelle für die Stahlkocher? Nicht nur die Energie, sondern auch das Molekül selbst wird bei der Stahlerzeugung verwendet. Wasserstoff ist ein hochwertiges Reduktionsmittel bei der Stahlproduktion. Bislang setzt man Erdgas ein, was zu Kohlendioxid-Emissionen führt. Bei grünem Wasserstoff ist das anders. Da hat man keinen CO2-Austrag mehr. Wir haben viel über die Vorteile von Wasserstoff als Energiespeicher und als Molekül für die Industrie gesprochen. Betrachten wir die Sache von einer anderen Seite: Wo liegen Grenzen und Nachteile beim Einsatz von Wasserstoff? Ein Nachteil ist, dass beim Wasserstoff der Energiegehalt nicht so hoch ist wie bei den fossilen Energieträgern. Das hat praktische Konsequenzen. Man braucht ein größeres Volumen als etwa beim Erdgas, um den gleichen Energiegehalt zu speichern. Beispielswiese müssen Wasserstoff-Fahrzeuge öfters betankt werden als mit fossilen Treibstoffen betriebene Fahrzeuge. Das ist eine Herausforderung. Wasserstoff ist gefährlich. Kommt Wasserstoff mit Sauerstoff in Berührung, kann sich ein hochexplosives Gas entwickeln. Wir alle kennen die Bilder von der Zeppelin-Katastrophe von Lakehurst, von dem Brand des Luftschiffs im Jahr 1937. Wasserstoff kann bei vielen Menschen Ängste auslösen. Ich glaube, dass es berechtigte Bedenken gibt. Aber: Diese Bedenken wären auch berechtigt beim Einsatz von Diesel und Benzin. Auch diese Treibstoffe sind gefährlich. Doch wir sind schlichtweg an sie gewöhnt und wissen, wie wir sicher mit ihnen umgehen? Etwa, weil viele Menschen schon hunderte Male ihr Auto an der Tankstelle getankt haben? Ja. Der Tankvorgang ist bei Wasserstoff anders. Beim Tanken hat man einen Stutzen, über den das Gas mit bis zu 700 bar in den Tank des Fahrzeugs gepresst wird. Das ist ungewohnt-- und mag Ängste hervorrufen. Faktisch aber gilt: Vielleicht ist im Alltag Benzin sogar noch gefährlicher als Wasserstoff. Weshalb noch gefährlicher? Bricht ein Benzintank, fließt Benzin aus und verbreitet sich. Fängt es Feuer, fangen die Gase über der fließenden Lache an zu brennen. Anders der Wasserstofftank. Ist er beschädigt, gibt es eine Stichflamme nach oben weg, weil der Wasserstoff sehr leicht und damit flüchtig ist. Aber das Feuer verteilt sich nicht flächig. Das Brennverhalten von Wasserstoff ist günstiger. Wir sollten dabei auch im Blick behalten, dass Wasserstoff nichts Neues ist. Als technisches Gas wird es seit über hundert Jahren eingesetzt. Wir haben viel Erfahrung im Umgang damit. Nun wird Wasserstoff in einem anderen Zusammenhang eingesetzt. Das ist alles. Befürworter von Wasserstoff bringen immer wieder das Argument vor, dass wir mit Wasserstoff überschüssigen erneuerbaren Strom sinnvoll verwenden können. Ein Beispiel: In Deutschland drehen sich Windräder 24 Stunden am Tag-- also auch nachts, wenn nicht viel Strom im Netz benötigt wird. Man könnte diesen überschüssigen Strom in Wasserstoff speichern. Klingt zunächst plausibel. Aber ist dies auch realistisch? Bis zu einem gewissen Grad. Der überschüssige Strom wird nicht ausreichen, um annähernd den Wasserstoff-Bedarf in Deutschland zu decken. Auch haben wir noch nicht die Großanlagen, um überhaupt größere Mengen an Wasserstoff produzieren zu können. In Bremerhaven werden kleinere Pilotanlagen betrieben. In diesen Projekten wird erforscht, wie man solche Anlagen skalieren kann- - und auch inwieweit sie zuverlässig und systemdienlich in unserem Energiesystem eingesetzt werden können. Das heißt, wir müssen noch viel forschen und entwickeln, um überhaupt Großanlagen bauen zu können. Ja. Zudem müssten wir Strategien und Technologien finden, solche Anlagen in Serie zu produzieren. Die Elektrolyseure etwa auf dem Hydrogen Lab Bremerhaven des Fraunhofer IWES sind noch keine in Serie gefertigte Anlagen. Sie wurden in Manufakturen gebaut. Da steckt viel Handarbeit drin, und das macht die Technologie teuer. Solche Pilotanlagen reichen, um städtische Fahrzeuge und einige Anwender zu versorgen. Doch für Großanlagen brauchen wir leistungsfähigere, zuverlässige, in Serie gefertigte und preiswerte Elektrolyseure. Wir sprechen von enormen Größenordnungen. Welche Rolle wird Bremerhaven aus Ihrer Sicht bei dieser Skalierung spielen? Ich sehe Bremerhaven als Standort für Forschung, Technologie und Produktion der Anlagen. Ich denke nicht, dass unsere Stadt ein Zentrum für die Wasserstoffproduktion sein wird. Ein Grund dafür ist, dass wir geographisch zu weit weg sind von den Offshore-Windkraftanlagen und dem Haupt-Leitungsnetz. Doch ich sehe gute Chance für Forschungs- und Entwicklungsprojekte, wie wir sie jetzt schon mit unseren Pilotanlagen haben- - und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Erzeugung über Verteilung und Lagerung bis hin zur Anwendung. Das heißt-- in Bremerhaven werden vermutlich keine Produktions-Großanlagen stehen. Aber es werden hier solche Großanlagen entwickelt und gebaut werden? Die deutsche Wasserstoffproduktion wird nicht den kompletten Bedarf decken können. Deutschland wird grünen Wasserstoff importieren müssen. Wasserstoff beziehungsweise seine Derivate Ammoniak oder Methanol haben den Vorteil, dass man sie gut mit Schiffen auch über lange Strecken transportieren kann. Ob Bremerhaven ein geeigneter Importstandort sein kann, wird sich zeigen. Bremerhaven ist ein Technikstandort in Verbindung mit einem Seehafen. Es bietet damit beste Bedingungen für den Export, insbesondere von großen Anlagen oder Maschinen. Reportage | „Viel Kompetenz für Wasserstoff-Projekte“ 8 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0062 Also ein Teil unseres Wasserstoffs wird aus dem Ausland kommen… Deutschland wird bis zu siebzig Prozent des benötigten Wasserstoffs importieren. Es ist denkbar, dass die Großanlagen zur Erzeugung von Wasserstoff dann in sonnenreichen Gegenden Afrikas oder des Nahen Ostens stehen. Von Bremerhaven aus könnten wir diese Länder mit der erforderlichen Technologie versorgen. Bremerhaven könnte als Standort interessant werden für Unternehmen, die etwa Elektrolyseure, Brennstoffzellen oder Tanks herstellen. Wir verfügen hier über alles, was diese Industrie braucht: Angefangen von der Infrastruktur für Forschung und Entwicklung über die erforderlichen Fachkräfte bis hin zur Logistik. Eingangs haben wir über die Offshore-Windenergie gesprochen. Bremerhaven war einige Zeit ein Hub für die großen Windkraftanlagen auf dem Meer. Sie sagen, dass Sie von dieser Erfahrung heute profitieren. Die Rückschläge damals hingen zum einen mit einem Wechsel in der Politik zusammen, zum anderen auch mit der Technologie der Windenergie selbst. Noch heute stehen in Bremerhaven viele Offshore- Windräder-… Ja, für Langzeittests. Wer genau hinsieht, wird beispielsweise verschiedene Fundamente erkennen, die damals erprobt wurden-- etwa Jackets oder Tripods. Jackets? Was darf ich darunter verstehen? Jackets sind eine Art Stahlgerüst. Äußerlich sehen sich diese Windräder ähnlich, doch innen sind sie technologisch verschieden. Diese vor zehn oder fünfzehn Jahren errichteten Windräder sehen heute vergleichsweise klein aus. Damals waren es allerdings die größten und leistungsfähigsten, die man bekommen konnte. Diese damals zur Verfügung stehende Offshore-Technologie war noch nicht marktreif. Sie war vielfach störanfällig und noch nicht für den Langzeitbetrieb getestet. Das war damals eine schmerzhafte Erfahrung für alle Beteiligten, mit einer Technologie offshore zu gehen, von der man nicht wusste, ob sie selbst an Land zuverlässig funktioniert. Aus dieser Erfahrung haben wir gelernt. Wir müssen Technologien ausführlich testen bevor wir sie an den Markt bringen? Selbstverständlich. Deshalb hat das Fraunhofer IWES in Bremerhaven das Testfeld etwa für Elektrolyseure und deren gesamte Peripherie aufgebaut. Sie erproben dort die Technologie auch in Stresstests: Was leisten die Pilotanlagen wirklich? Welche Anforderungen haben sie für den Betrieb? Welches Umfeld brauchen sie, um zuverlässig zu arbeiten? Ähnliches gilt für die Anwendung des Wasserstoffs. Inwiefern für die Anwendung? Ein Beispiel dafür sind die Wasserstoffbusse. Es reicht nicht, einfach Wasserstofftanks und eine Brennstoffzelle in die Busse einzubauen. In den Bussen arbeitet ein sehr komplexes System, das auch unter kritischen Verhältnissen einwandfrei funktionieren muss. Die Forscher, Hersteller und Anwender wollen wissen, wo die technischen Herausforderungen liegen-- und an diesen Herausforderungen arbeiten. Solche Projekte zu Forschung und Umsetzung, die die Grundlage für die Nutzung grünen Wasserstoffs legen, sind schwierig: nicht nur technologisch, sondern auch vom Projektmanagement her. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Herausforderungen? Eine wesentliche Herausforderung liegt darin, dass es sich um komplett neuartige Anlagen handelt. Ein Beispiel: Bald wird das ttz Bremerhaven einen Seegangssimulator haben, also einen Versuchsstand, der den Wellengang auf dem Meer simuliert-… …-und auf der empfindlichen Technologie realitätsgerecht „durchgeschaukelt” wird, bevor sie aufs Meer hinausgebracht wird? Ja. Solch eine Anlage hat bislang noch niemand gebaut. Die Anlage muss komplett neu konzipiert werden. So etwas kann man nicht von der Stange kaufen, sondern muss es kleinteilig konstruieren. Das Institut, das den Seegangssimulator entwickelt, betritt also absolutes Neuland. Ähnliches gilt für Elektrolyseure auf den Testfeldern. Vergleichbare Anlagen, auf die man zurückgreifen könnte, gibt es kaum. Dies wirkt sich auf das Projektmanagement aus. Beispielsweise bei Bauprojekten hat man immer einige bekannte Faktoren-- und vielleicht auch ein zumindest grobes Schema für das Management. Bei den Bremerhavener Wasserstoff-Projekten dagegen muss auch das Projektmanagement immer wieder neu betrachtet werden. Sie haben eingangs einen Vorteil von Bremerhaven angesprochen. Es ging um die Dichte der Institute, um die vielen Experten und die kurzen Wege. Es hat sich, vermute ich, in Bremerhaven ein Kompetenz-Netzwerk für Wasserstoff entwickelt. Ist dieses Netzwerk hilfreich für das Projektmanagement? Ja, definitiv! Unser Netzwerk funktioniert sehr gut. Die meisten, die in dieser Branche hier tätig sind, kennen sich ohnehin persönlich. Wir bieten außerdem Netzwerkveranstaltungen oder Innovationswerkstätten an, etwa zum Thema Meerwasserelektrolyse. Auf diesen Veranstaltungen lernen sich die Akteure besser kennen und bleiben in Austausch. Bremerhaven ist mit seinen knapp 115.000 Einwohnern eine überschaubare Stadt. Ist die Größe günstig für solch ein Netzwerk? Im Prinzip kennen sich alle Akteure. Man kann einfach den Telefonhörer in die Hand nehmen und mal eben etwas mit Kolleginnen oder Kollegen besprechen. Die Motivation, Agilität und Innovationskraft der Beteiligten sind enorm. Wie erklärt sich aus Ihrer Sicht diese Motivation? Weil Wasserstoff ein spannendes Thema ist und man mit den Projekten zu den Pionieren gehört? Das mag ein Grund sein. Doch es geht hier auch um pure Notwendigkeit: Ohne Wasserstoff schaffen wir die Dekarbonisierung nicht. Wir müssen uns überlegen, wie wir grünen Wasserstoff einsetzen, um dem Klimawandel entgegenzutreten. Auch aus diesem Motiv speist sich die Motivation in Bremerhaven, grünen Wasserstoff voranzubringen. Reportage | „Viel Kompetenz für Wasserstoff-Projekte“ 9 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0062 Eingangsabbildung: In Bremerhaven entwickelt sich eine Modellregion für die Nutzung des Energieträgers Wasserstoff. © BIS / Scheer Dr. Saskia Greiner Dr. Saskia Greiner ist gebürtige Bremerhavenerin und seit 2020 Innovationsmanagerin für Wasserstoff bei der BIS Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbh. Sie hat Chemieingenieurwesen mit Schwerpunkt Umwelttechnik studiert, dann den Master in Umwelttechnik erworben und in Wirtschaftsinformatik promoviert. Master und Promotion befassten sich vor allem mit dem Betrieb von Offshore-Windparks. Dr. Saskia Greiner hat als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Umwelttechnik an der Hochschule Bremen gearbeitet. Zudem hat sie ihr Wissen über Prozesse in einem Ingenieurbüro im Bereich Building Information Modeling eingebracht. Foto: BIS © esser-fotografie … mehr als Technik Individuell. Flexibel. Zertifiziert. IN DREI SCHRITTEN ZUR PROJEKTKARRIERE Basiszertifikat Aufbauzertifikat Projektingenieur VDI Sei ausgezeichnet erfolgreich mit deinem persönlichen VDI-Zertifikat im Projektmanagement! Gestalte jetzt deine individuelle Weiterbildung: www.vdi-wissensforum.de/ mat Anzeige 10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0063 Wie grüne Wasserstoff-Projekte Bremerhaven eine Zukunft geben Windstrom, Wasserstoff, Waterkant Oliver Steeger Bei Regenwetter wirkt der Bremerhavener Flugplatz Luneort wie ein Lost Place. Er liegt auf einer kleinen Insel im Süden der Stadt zwischen dem Hafen, der Weser und dem Flüsschen Lune. Der stillgelegte Tower und die blau-silbernen Hangars scheinen verlassen. Die Startbahn- - von wilden Wiesen umgeben-- läuft auf ein Windrad zu, das später errichtet wurde. An einem Gebäude ist noch ein das Schild „Abflug“ zu sehen. 2016 wurde der Flugplatz geschlossen. Hier sollte ein riesiges Terminal für Offshore-Windenergie entstehen. Aus dem Offshore-Hub wurde bislang nichts. Aus verschiedenen Gründen. Das war damals ein Tiefschlag für die Bremerhavener Wirtschaft. Doch der Eindruck am Flugplatz täuscht. So, wie in den Fugen der Startbahn Löwenzahn sprießt, wachsen auf dem ehemaligen Vorfeld und dem Hangar zarte Pflanzen für die Bremerhavener Zukunft. Es geht um grünen Wasserstoff. Erzeugt aus klimaneutraler Windenergie. Wer genau hinschaut, erkennt auf dem Vorfeld ein eingezäuntes Areal mit weißen Industriecontainern. Das sind Elektrolyseure-- Produktionsanlagen für Wasserstoff. Sie sind im Stresstest. Kevin Schalk, ein hochgewachsener, blonder Wissenschaftler, zeigt an einem regengrauen Tag im Mai einer kleinen Besuchergruppe die Anlagen. Er trägt ein grünes T-Shirt und eine signalgelbe Allwetter-Schutzjacke mit dem Fraunhofer-Symbol. Von einem überdachten Pavillon aus überblicken sie das Areal des ehemaligen Flugplatzes. Pfützen stehen auf dem Asphalt des Vorfelds, wo fensterlose Container mit metallisch-silbernen Lüftungsanlagen in Reihe stehen. Alle paar Meter recken sich Blitzableiter zum Himmel. Kleine Betonfundamente zeigen, dass das Testfeld noch Platz bietet. „Die Schalttechnik ist im ehemaligen Hangar“, sagt Kevin Schalk. Von der Wasserstoff-Produktion in den Anlagen ist weder etwas zu sehen noch zu hören. Der ehemalige Flughafen liegt still. Am Ende der Startbahn ziehen die drei Rotorblätter des Windrads lautlos ihre Kreise. „Diese Windkraftanlage war mit acht Megawatt damals die größte der Welt“, erklärt er. Heute liefert sie klimafreundlichen Windstrom für das Hydrogen Lab Bremerhaven, in dem das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme Elektrolyseure erforscht und hart testet. „Grüner Wasserstoff steht heute dort, wo die Windenergie vor einigen Jahren stand“, sagt Kevin Schalk. Vielleicht nicht am Anfang. Doch die Technologie muss noch Forschungsprojekte durchlaufen, bis sie marktreif ist. Fest steht, dass die Projekte im Hydrogen Lab den Weg Das Windrad an der ehemaligen Startbahn des Flugplatz Luneort liefert Strom für Wasserstoff. Foto: Oliver Steeger Reportage | Windstrom, Wasserstoff, Waterkant 11 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0063 spürbar abkürzen wird. Dem fiebert man in Bremerhaven entgegen. Die Stadt an der Weser ist wie ein Stehaufmännchen, sagen die Menschen hier. Erst gaben in Bremerhaven die Werften auf; Überkapazitäten wurden der hier traditionellen Industrie zum Verhängnis. Dann unterlag die Bremerhavener Fischerei im internationalen Wettbewerb. Der Fischereihafen in Bremerhaven-- einst der größte des Kontinents-- musste schließen; bezeichnenderweise liegt heute die größte Fischauktion am Frankfurter Flughafen. Zuletzt zerstob die Hoffnung auf Offshore-Windenergie wegen des energiepolitischen Schlingerkurses, verlorenem Vertrauen und fehlenden Projektaufträgen für die Bremerhavener Wirtschaft. Doch die Menschen hier haben etwas von der norddeutschen Art Stürmen zu trotzen. Kevin Schalk ist Leiter des Hydrogen Labs und gehört zu einer Bremerhavener Gruppe von Ingenieuren, Wissenschaftlern und Projektmanagern: einige von ihnen nennen sich „Wasserstofflotsen“. Sie kämpfen für Wasserstofftechnologie „made in Norddeutschland“. Gewiss, ihnen geht es auch darum, der Bremerhavener Wirtschaft eine Zukunftschance zu eröffnen. Doch sie zielen auf mehr: auf die Energiewende in Deutschland und den Klimaschutz weltweit. Die Idee, Wasserstoff als Energieträger zu nutzen, ist älter als die meisten vermuten. Vor 150 Jahren beschrieb der Science-Fiction-Autor Jules Verne seine Wasserstoff-Vision im Roman „Die Geheimnisvolle Insel“. Dort nutzen Ingenieure Wasserstoff für Lokomotiven, Schiffe und Fabriken. Heute zollen Wissenschaftler dem Autor Respekt für seine revolutionäre Weitsicht, die um 1800 entdeckte Elektrolyse aufzugreifen. Jules Verne verstand, dass Wasserstoff als Energieträger sauber, fast elegant ist-- und Kohle gut ersetzen kann. Doch wusste er nichts davon, dass Kohlendioxid das Weltklima aufheizt-- und Wasserstoff ideal ist, grünen Strom zu speichern. Strom aus Wind und Sonnenlicht gilt als Zauberformel für die Energiewende. Doch die regenerativen Energien haben einen Nachteil. Sie sind nicht berechenbar (Stichwort: „Dunkelflaute“). Und man kann sie bislang kaum in großen Mengen speichern. Drehen sich beispielsweise nachts die Windräder und wird der Strom nicht abgenommen, geht er verloren. An diesem Punkt kommt Wasserstoff ins Spiel. Seine Verfechter sagen: Wir können überschüssigen Strom als Wasserstoff speichern-- und dann nutzen, wenn wir die Energie brauchen. Wir könnten sogar das bestehende Netz von Gas-Pipelines verwenden, um Wasserstoff in Deutschland zu verteilen. Klingt so plausibel, dass sich daraus ein Hydrogen- Hype entwickelt hat. Doch dieser Hype hat einen Haken. Und den bringt Kevin Schalk mit der zwingenden Logik eines Ingenieurs auf den Punkt. Die Technologie muss unter Realbedingungen einwandfrei und im großen Maßstab funktionieren. Auf Kevin Schalks Prüffeld am stillgelegten Flugplatz trifft der Hype auf die Realität. Es braucht etwas Chemieunterricht, um dies zu verstehen. Wasser besteht aus Wasserstoff und Sauerstoff. Ein Weg, Wasserstoff zu erzeugen, besteht darin, Wasser aufzuspalten in seine Bestandteile- - und zwar mit Strom. Für das Experiment im Chemieunterricht reicht es, den Strom mit zwei Elektroden in das Wasser zu leiten. Die Elektrolyse: Der Sauerstoff wird zu der positiven geladenen Anode „gezogen“ (zum „Pluspol“), die Wasserstoff-Atome zu der negativ geladenen Kathode. Unter den staunenden Blicken der Schüler steigen kleine Gasbläschen im Wasser auf. Ähnliches geschieht in den Elektrolyseuren-- allerdings im größeren Maßstab. Die heute gängigen Technologien (es gibt mehrere Ansätze) sind auf gleichmäßige Stromversorgung ausgelegt. Windenergie aber unterliegt den Launen von Wind und Wetter. Die Stromproduktion ist ungleichmäßig; es kommt zu Unterbrechungen und Schwankungen im Netz. Für Elektrolyseure kann dies Gift sein. Sie können vorzeitig altern. Wie genau und wie stark-- dies erforscht Kevin Schalk mit seinem Team am Flugplatz. Die elektrische Schaltanlage im Hangar simuliert Schwankungen. Auf dem Testfeld untersuchen die Die Pilotanlage löst Wasserstoff aus Ammoniak heraus. Das Ammoniak selbst stammt aus Industrieabwässern oder Kläranlagen. Foto: Oliver Steeger Reportage | Windstrom, Wasserstoff, Waterkant 12 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0063 Wissenschaftler, wie bei ungleichmäßiger Last beispielsweise die Kathode altert und was man dagegen tun kann. Damit ist Kevin Schalk mitten im Thema. In seinen Forschungsvorhaben und Entwicklungsprojekten geht es um Fragen, wie man die das Gesamtsystem der Elektrolyseure für den rauen Einsatz verbessert. Wie man Schwankungen abfedert. „Vielleicht sind kleinere Schwankungen nicht schlimm“, sagt er. Längere Abschaltung dagegen könnten schwierig sein. „Wir arbeiten hier im Hydrogen Lab Bremerhaven mit zwei Technologien“, sagt Kevin Schalk, „wir vergleichen diese Technologien und wollen sie unter Realbedingungen besser einschätzen.“ Welche Technologie eignet sich besser für welche Einsatzbedingungen? Welche Betriebszustände und Betriebsübergänge, wie Kevin Schalk sagt, bringen Vorteile? Welche sind zu vermeiden? Nicht, dass die beiden Technologien völlig neu wären. „Sie arbeiten bereits auch im großen Maßstab, etwa im Megawattbereich“, sagt er, „allerdings funktionieren sie noch nicht unter den Bedingungen und in der Zuverlässigkeit, die gebraucht werden.“ Die Herausforderungen liegen häufig im Detail. Das Wasser für Elektrolyseure muss derzeit noch hochrein sein. Im Laborexperiment ist das kein Problem. Aber in „Daily life“? Und: Bei der Elektrolyse geht viel Strom verloren, oft rund 40 Prozent. Je nach Elektrolyse-Technologie können Ingenieure den Verlust vielleicht in Zukunft reduzieren. Selbst ein paar Prozentpunkte würden sich lohnen. Wenige Prozentpunkte, dies mag zunächst bescheiden klingen. Doch dieser Gewinn an Effizienz kann eine Menge bedeuten für zukünftige Großanlagen, die Deutschland mit Wasserstoff versorgen. „Mit der Technologie befinden wir uns oft in einer gehobenen Prototypenphase“, sagt Kevin Schalk, „wir arbeiten an gesicherten Qualitätsstandards und den Grundlagen dafür.“ Er stellt klar: Von der Serienfertigung von Elektrolyseuren ist man noch ein gutes Stück entfernt. Daraus spricht nicht Skepsis, sondern die Vorsicht des Wissenschaftlers und Ingenieurs. Auf dem Testfeld ist Kevin Schalk täglich in Kontakt mit der neuen Technologie. Projekte zu Forschung und Entwicklung helfen ihm, sichere und gangbare Wege für die neue Technologie zu finden. „Die Herausforderungen sind groß“, meint er und fügt sofort an: „Aber nicht so groß, dass man sie nicht gemeinsam lösen könnte.“ Der Energieträger Wasserstoff ist heute nicht mehr utopisch, anders als bei Jules Verne. „Es gibt viele Gründe, weshalb Wasserstoff funktionieren könnte für die Energiewende“, sagt Kevin Schalk, „auch wenn wir noch einiges erforschen müssen.“ Noch fehlen beispielsweise Standards für diese Technologie. Bei der Messtechnik gibt es viele offene Fragen. Die Kalibrierungsforschung ist „terra incognita“. Das Fraunhofer Institut sucht Wege, diese Technologie näher an den Markt zu bringen und durch Forschung Vertrauen etwa bei Investoren aufzubauen. „Wir unterstützen Unternehmen beim Testen und Validieren dieser Anlagen.“ Also als unabhängiges Institut einen Stempel geben und Transparenz schaffen? „Ja“, sagt Kevin Schalk, „das hilft bei der Akquise und Firmierung.“ Eines will er nicht: Halbreife Technologie beim Kunden testen. „Wir müssen das Thema strukturiert angehen“, sagt der Wissenschaftler, „die mögliche Fallhöhe ist enorm.“ An dieser „Fallhöhe“ sind in der Vergangenheit schon viele Hoffnungsträger für die Energieversorgung gescheitert. Kohle und Erdöl? Dreckschleudern und Klimakiller. Atomkraftwerke? Gefährlich und politisch kaum durchsetzbar. Dem Fall vorausgegangen war jeweils der Hype. Einen solchen Hype haben die Bremerhavener selbst erlebt bei der Offshore-Windenergie. Es war auch die Technologie selbst mit ihren Kinderkrankheiten, die Offshore-Windenergie damals ein vorläufiges Ende bereitete. Die Marktreife fehlte. Häufig kamen Prototypen hinaus aufs Meer. Fernab der Küste erwiesen sich viele Windräder als störanfällig und unzuverlässig. Schwierig war es, nicht nur die technischen Probleme zu beheben, sondern auch verlorenes Vertrauen wiederherzustellen. Diese Lektion hat man in Bremerhaven gelernt. Ihre Erfahrung wirft die Stadt in die Waagschale, wenn sie sich zur europäischen Modellregion für grünen Wasserstoff aufstellt. Man will keine Schnellschüsse, sondern sorgfältig durchgeführte Projekte und Testvorhaben, die eine Brücke schlagen zwischen Forschung und Anwendung. Die Bremerhavener Hochschule und Dutzende von Forschungseinrichtungen sind gut vorangekommen, in der Stadt eine komplette Wasserstoff-Kette aufzubauen- - von der Stromerzeugung und Wasserstoffproduktion über Lagerung und Verteilung bis hin zur Anwendung. Beispielsweise fahren Busse der örtlichen Verkehrsbetriebe mit grünem Wasserstoff „made in Bremerhaven“. Zudem haben sich Expertennetzwerke und Initiativen gegründet, die die Verbreitung von Wasserstoff vorbereiten. Wissen wird ausgetauscht. Partner finden in Projekten zusammen. Kreative Allianzen entwickeln sich. Auch dies macht Fachleute optimistisch. Derzeit gilt der hohe Preis von Wasserstoff als Hürde für eine Verbreitung. Beispielsweise kostet es mehrere zehntausend Euro im Jahr mehr, Wasserstoffbusse statt Dieselbusse zu betreiben. Mit der Skalierung der Elektrolyse-- also industrialisierter Großproduktion-- könnte der Preis fallen. Grenzen setzen die Stromkosten. Deshalb suchen Wissenschaftler andere Wege, Wasserstoff zu erzeugen. Am ehemaligen Fischereihafen-- acht Autominuten vom Flugplatz Luneort entfernt-- versuchen sie es mit Industrieabwasser. Bremerhavens Fischereihafen umfasste einst die größte Fisch- Auktionshalle Deutschlands. Einer der Backsteinbauten-- Halle X genannt-- zieht sich mehrere hundert Meter entlang der Knurrhahnstraße. 1928 bis 1929 errichtet, steht der 390 Meter lange und 28 Meter schmale Backsteinbau heute unter Denkmalschutz. Auf seiner Rückseite legten die Schiffe an; nach vorne hin wurde der verkaufte und verpackte Fisch verladen. Nach wie vor gibt es in dem Industriegebiet Lebensmittelfirmen, eine Reminiszenz an die große Zeit der Fischdampfer. Doch heute siedeln hier auch Forschungsinstitute, beispielsweise das ttz Bremerhaven, ein unabhängiger und gemeinnütziger Forschungsdienstleister. Eines seiner Projekte könnte den Schlüssel liefern, Wasserstoff günstiger herzustellen. Auf der Rückseite von Halle X liegt das Hafenbecken-- und davor die asphaltierte Fläche, auf der früher kistenweise Fisch angelandet wurde. Heute wirken die Flächen verlassen. Der Asphalt glänzt regennass. Als einziges Schiff liegt die „Akke“ vor Anker, ein Motorschiff mit blauem Rumpf und gelbem Mast, das Schlick im Hafen beseitigt. Industriehallen und ein mächtiger Verladekran zeichnen sich im Regenschleier auf der anderen Seite des Hafens ab. In einer Ecke, nahe am Backsteingebäude, stehen drei Industriecontainer. In ihnen Reportage | Windstrom, Wasserstoff, Waterkant 13 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0063 läuft eine Pilotanlage, um Wasserstoff aus Ammoniak herauszulösen: Ammoniak, das aus Industrieabwässern oder Kläranlagen stammt. Malte Fredebohm ist ein Norddeutscher, wie man ihn sich vorstellt. Direkt und klar. „I became an engineer to find solutions, not to look for problems“, schreibt er auf seinem Social-Media-Profil. Ein Macher. Ein Projektmanager. Malte Fredebohm war lange bei der Fraunhofer Gesellschaft. Heute leitet er das Kompetenzfeld Wasserstoff beim ttz. Er öffnet die Türen zu den drei Containern. Einen Blick auf die Armaturen werfen darf man, aber keine Fotos machen. Hier sind Innovationen am Start. Nochmals Chemieunterricht. Ammoniak (giftig! ) besteht aus Stickstoff und Wasserstoff. In einem Reaktor kann man die beiden Elemente voneinander trennen. Die drei Container bilden die drei Prozessschritte ab, in denen Ammoniak zerlegt wird in Wasserstoff und Stickstoff. Im ersten Container wird das Ammoniak aufkonzentriert, also vorbereitet für den weiteren Prozess. Im zweiten Container werden Wasserstoff und Stickstoff aus dem Ammoniak herausgelöst, im dritten Container die Gase separiert. „Wir können sogar den Stickstoff sinnvoll verwenden, etwa als Reinigungsmittel, um Elekrolyseure durchzuspülen“, erklärt Malte Fredebohm. Er zeigt auf ein unscheinbares Kabel, das die Container mit dem Backsteingebäude verbindet. „Das ist das Stromkabel“, sagt er, „viel Strom brauchen wir für den Prozess nicht.“ Natürlich braucht auch die Wasserstoffgewinnung aus Ammoniak Energie- - aber möglicherweise nicht solche Strommengen, wie sie bei der Elektrolyse erforderlich sind. Malte Fredebohm will keine verfrühten Hoffnungen wecken. „Das sind alles noch Vermutungen“, sagt er ernst. Die Frage ist, wie man die ganze Sache rechnet. Mit Blick auf die gesamte Energiebilanz kann dieser Ansatz günstiger sein. Denn in solche eine Bilanz fließt auch ein, dass das Wasser für Elektrolyseure speziell aufbereitet werden muss. „Man kann für Elektrolyseure nicht Wasser aus dem Wasserhahn verwenden“, erklärt der Wissenschaftler. Auch diese Aufbereitung kostet Energie. Es ist nicht leicht, die beiden Verfahren nebeneinander zu stellen und zu vergleichen. Auch lässt das Ammoniak-Pilotprojekt noch nicht erkennen, wie rein der gewonnene Wasserstoff sein wird. Daran wird einiges hängen. Malte Fredebohm sagt mehrfach: „Das wird die weitere Forschung zeigen.“ Daraus spricht die Entschlossenheit des Wissenschaftlers, der Sache schrittweise auf den Grund zu gehen. Allgemein gefragt-- lohnt sich dies überhaupt? Wir werden, sagt Malte Fredebohm, Wasserstoff in jedem Fall brauchen: Um Energie länger zu speichern. Als Grundstoff in der Industrie. Oder als Transportmedium. Doch was ist mit Mobilität und Straßenverkehr? Schwer zu sagen. Batterien sind nach wie vor ideale Stromspeicher für einige Minuten, Stunden oder Tage. Auch wirtschaftlich haben Batterien im Straßenverkehr großes Potenzial. Sie sind womöglich dem Wasserstoff überlegen. Anders sieht es aus etwa bei Baumaschinen oder Spezialfahrzeugen. Ihr Energiebedarf ist hoch. Die heutige Batterietechnologie ist für diese Fahrzeuge kaum eine Option-- oder nur mit Schwierigkeiten einsetzbar. Wasserstoff, sagt Malte Fredebohm, wäre da eine Alternative. Doch wir wissen nicht, wo die Batterietechnik in zehn oder fünfzehn Jahren stehen wird. Womöglich haben wir in Zukunft leichte und langlebige Batterien, preiswert, klein und ökologisch unbedenklich. Obwohl Malte Fredebohm Wasserstoff erforscht: Er zeigt sich bemerkenswert technologieoffen. Gut möglich, dass die Zukunft die leistungsfähigeren Batterien bringt-- und Wasserstoff dann auf den Straßen eine geringe Rolle spielt. Doch bis dahin, sagt er, können wir nicht warten. Wir müssen jetzt forschen, entwickeln und handeln. Dem Wissenschaftler geht es um etwas Größeres: nämlich Lösungen für die Energiewende und den Klimaschutz zu finden. Die Nähe zur See und der Hafen könnten sich für Bremerhaven auch in anderer Hinsicht auszahlen: Treibstoffe für Schiffe. Fachleute vermuten, dass die Schifffahrt fast drei Prozent des weltweiten Ausstoßes an Kohlendioxid verantwortet (mehr Blick ins Labor des ttz Bremerhaven. Foto: Oliver Steeger Reportage | Windstrom, Wasserstoff, Waterkant 14 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0063 Kohlendioxid, als in ganz Deutschland emittiert wird). Hinzu kommt: Die Schifffahrt verursacht weit über zehn Prozent der globalen Emissionen an Stickoxid und Schwefeldioxid; etwa für Hafenstädte sind diese Schadstoffe eine schwere Bürde. Methanol, so weiß man seit Längerem, wäre eine saubere Alternative zu Schweröl und Diesel. Große Reedereien wie Maersk haben bereits methanolbetriebene Schiffe geordert. Völlig klimaneutral wären Schiffe mit grünem Methanol unterwegs, erzeugt aus regenerativen Energien und natürlichem, nicht-fossilem („biogenem“) Kohlendioxid. Ein solches Schiff hat das Bremerhavener „Alfred Wegener Institut“ 2023 erstmals auf Forschungsreise in die Nordsee geschickt. Auf der „Uthörn“ entnehmen und untersuchen Wissenschaftler Meeresproben, oder sie vermessen das Meer. Auf dem 35 Meter langen Forschungsschiff mit dem meerblauen Rumpf und den blendend weißen Aufbauten lernen beispielsweise Meeresbiologen ihr Handwerk. Bahnbrechend an der Uthörn ist der sogenannte methanol-elektrische Antrieb. Zwei auf Methanol umgerüstete Dieselmotoren sind mit Stromgeneratoren gekoppelt; das Schiff selbst wird von elektrischen Fahrmotoren angetrieben. Eine Sache macht das grüne Methanol interessant: Der Treibstoff ist „made in Bremerhaven“. Gemacht aus grünem Wasserstoff etwa vom Flughafen Luneort und Kohlendioxid aus einer örtlichen Kläranlage. Das Forschungsinstitut ttz Bremerhaven entwickelt derzeit in einem Projekt die Methanol-Pilotanlage, um den Treibstoff für die Uthörn zu produzieren. „Methanol ist ein flüssiger Kohlenwasserstoff“, erklärt Institutsleiter Professor Gerhard Schories. In den Augen der Chemiker und Ingenieure ist Methanol dem Benzin, Kerosin oder Diesel nicht unähnlich- - und das macht es so attraktiv. „Anwender haben für flüssige Treibstoffe eine Infrastruktur“, sagt Gerhard Schories, „im Grunde können wir die Lager oder Tankanlagen leicht verändert weiterverwenden.“ Dies mache Methanol unter anderem für die Schifffahrt so spannend. Für Gerhard Schories ist Methanol eine niederschwellige Alternative, eine Brücke in die Zukunft nicht-fossiler Treibstoffe. Flüssiger Treibstoff ist Abnehmern und Anwendern vertraut. Er ist vermittelbar. „Wir sind ja in unserer Mobilität auf flüssigen Treibstoff gewissermaßen gepolt“, sagt er. Ein weiterer Vorteil ist: Anders als Öl löst auslaufendes Methanol im Meer keine Umweltkatastrophe aus. Es ist wasserlöslich und wird von Mikroorganismen abgebaut. Eine letzte Chemiestunde, dieses Mal für Fortgeschrittene. Es gibt mehrere Wege, an Methanol zu kommen, chemische und biologische. Beispielsweise entsteht Methanol als ein Nebenprodukt bei der alkoholischen Gärung; es gehört „zur leichten Fraktion“, wie Gerhard Schories erklärt. Ein anderer Weg für die Gewinnung von Methanol ist, Kohlenstoff und Wasserstoff in einem Reaktor zu verbinden. Der Ausgangsstoff grüner Wasserstoff lässt sich in Bremerhaven mittlerweile gut beschaffen. Bleibt die für die Wissenschaftler die Frage, wo das grüne Kohlendioxid herkommt. Es sollte dem natürlichen Kreislauf entstammen, „biogenen“ Ursprungs sein, wie Gerhard Schories erklärt, also nicht aus fossilen Quellen kommen. Er fand dieses biogene Kohlendioxid beispielsweise in der Bremerhavener Kläranlage. Es stammt aus der Abwasserreinigung. So unlogisch es beim ersten Hinhören klingt-- für die Produktion von grünem Methanol ist Kohlendioxid der Engpass, nicht der Wasserstoff. Weshalb ausgerechnet Kohlendioxid? Es ist Bestandteil unserer Luft. Wir sind davon umgeben. Ein Allerweltsstoff. Das Problem liegt im Detail. „Nur circa 0,042 Prozent des Luftvolumens ist Kohlendioxid“, erklärt Gerhard Schories. Genug für einen Klimawandel. Aber nicht genug, um es wirtschaftlich aus der Luft zu filtern. Da gibt es Quellen mit besserer Ausbeute: Günstig sind beispielsweise Abgase aus Gasmotoren. Sie haben 250 Mal mehr Kohlendioxid als unsere Umgebungsluft. Zudem sind die Gase heiß, wenn sie aus dem Motor kommen: Die Hitze kann man verwenden, um das Kohlendioxid aus dem Gas abzutrennen (Fachsprache: separieren) und rückzugewinnen. Doch diese Abgase haben einen Nachteil. Ihr Kohlendioxid ist fossilen Ursprungs. Es entstammt nicht einem natürlichen Kreislauf. Bessere Quellen für sind etwa Müllverbrennungsanlagen (Hausmüll ist häufig biogenen Ursprungs). Noch besser: Kläranlagen, wo in Faultürmen in biologischen Prozessen entstehendes Methan in Gasmotoren zur Stromerzeugung verbrannt wird. Ziel des Vorhabens des ttz ist es, mit seiner Pilotanlage jährlich 180 bis 200 Tonnen Methanol herzustellen-- genug für die Uthörn. „Gemessen an einer industriellen Anlage ist das natürlich nichts“, sagt Gerhard Schories, „eine solche Anlage sollte bei bis zu 100.000 Tonnen pro Jahr liegen.“ Solche Anlagen sind sein langfristiges Ziel. Die Herausforderung ist die Skalierung. „Skalierung kann man nicht erreichen, indem man den vorhandenen Apparat einfach auf das hundertfache Volumen vergrößert“, sagt er. Mit seinem Team wird er seine Anlage Schritt für Schritt ausbauen. Im nächsten Jahr wird sie vielleicht schon mehr als 10 Liter pro Tag liefern, übernächstes Jahr einige 100 Liter-- und dann kommt man schrittweise zur Großanlage. Also in drei Schritten zum industriellen Maßstab. „Für die Entwicklung solcher Anlagen erarbeiten wir zunächst ein Reaktor-Konzept“, erklärt Gerhard Schories die Vorgehensweise, „wir nutzen dabei heute stark mathematische Modellierungen, fluid-dynamische Simulationen und auch Simulationen zu Wärme und Stoffübergang.“ Damit studieren die Forscher die chemische Reaktion, lernen den Prozess kennen-- und entwickeln den Reaktor auf dem Papier. Versuche liefern dann erste Daten, das Konzept zu validieren. „Auf dieser Basis modifizieren wir das Modell und optimieren es in seinen Betriebsbedingungen“, sagt er, „im Grunde bleibt der Reaktor bei jedem Schritt gleich. Er wird nur insgesamt größer und leistungsfähiger.“ Nach den drei Schritten gehen die Forscher davon aus, dass sie wissen, wie die Anlage optimal funktioniert. Der Schlüssel sind die Modellierungen und Simulationen. „Früher hatten wir diese Hilfsmittel nicht“, sagt Gerhard Schories, „als ich Doktorand war, haben wir viele Versuche mit verschiedenen Apparaten gemacht.“ Diese Apparate wurden auf Basis der Versuchsergebnisse verändert-- und damit dann erneut Versuche durchgeführt. „Dies haben wir so oft wiederholt, bis das Ergebnis stimmte“, sagt Gerhard Schories, „das hat deutlich länger gedauert als heute.“ Wo liegen die wesentlichen Knackpunkte solcher Reaktoren? „Das größte Problem sind die Katalysatoren und ihre Zusammensetzung“, antwortet er, „wir haben uns entschlossen, unseren Katalysator selbst zu entwickeln und dafür nicht auf Lieferanten zurückzugreifen.“ Reportage | Windstrom, Wasserstoff, Waterkant 15 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0063 Wie sieht der Experte die Zukunft von Energieträgern wie Wasserstoff oder Methanol? Schaffen wir damit die Energiewende? „Entscheidend aus meiner Sicht ist, dass wir den Weg, den wir jetzt gesellschaftlich eingeschlagen haben, nun auch weitergehen“, antwortet er, „wir sollten nicht erneut beginnen, die Richtung zu hinterfragen.“ Auch wegen des Klimawandels, aber nicht nur. In Deutschland liegen die Probleme mit der Energieversorgung auf der Hand. Zuletzt hat sie uns der Ukraine-Krieg vor Augen geführt. Mit Blick auf die Verfügbarkeit von Energie zu niedrigen Kosten sagt Gerhard Schories: „Wenn wir am Industriestandort Deutschland vor der Schwierigkeit stehen, dass wir die Produktion nicht mehr aufrechterhalten können-- dann haben wir wirklich ein Problem.“ Die Industrie brauche Planungssicherheit. Wie lange wird es dauern, bis die Forschungen zu neuen Energietechnologien nutzbar werden? „Es ist vieles angeschoben worden“, sagt er, „aber es wird sicherlich noch fünf oder zehn Jahre brauchen.“ Wichtig sei, dass die Industrie sich auf neue Technologien einstellen kann. Dann werde sie mitgehen. „Sobald die Wirtschaft sieht, dass man mit diesen Technologien Geld verdienen kann, wird sie sie nutzen.“ Aber- - wird Wasserstoff je wirtschaftlich sein? „Als die Bahn vor Jahrzehnten Dampflokomotiven durch Diesellokomotiven ersetzt hat, gab es auch Diskussionen über die höheren Kosten“, sagt er. Und? Der Diesel setzte sich durch-- und der Preis fiel. So werde es auch beim Wasserstoff und Methanol kommen. Beim Preis spielt die Zeit für die Energiewende. Wie die Bremerhavener Wirtschaft von der Wasserstoff-Technologie in Zukunft profitieren kann- - dazu entstehen gerade erste Modelle, Pläne und Projekte. Sollte sich grüner Wasserstoff als Energieträger durchsetzen, könnte Bremerhaven als Standort für Technologie ins Rennen gehen. Eher unwahrscheinlich, dass hier riesige Wasserstoff-Fabriken stehen werden. Die Stadt liegt zu weit weg von den Stromtrassen, die Offshore-Strom transportieren. Es wäre vermutlich schwierig, hier industrielle Wasserstoff-Produktionsanlagen mit grünem Strom zu versorgen. Doch für die Forschung und Entwicklungsprojekte solcher Anlagen bietet sich die Stadt an- - zumal sie über ihren Überseehafen verfügt. Fachleute rechnen nicht damit, dass Deutschland seinen Wasserstoffbedarf allein decken kann. Als Faustformel gilt, dass Deutschland siebzig Prozent seines Bedarfs wird importieren müssen. Professor Gerhard Schories macht eine Rechnung zur „Windernte“ auf. In Deutschland produzieren die Windräder vielleicht 2.500 Stunden pro Jahr auf Voll-Last. Offshore, auf dem Meer, können es 4.000 Stunden sein. Doch es gibt Gegenden anderswo in der Welt, wo 6.000 Stunden und mehr möglich sind. Logischerweise, dort müssten die Produktionsanlagen stehen. In Bremerhaven könnten in Projekten die Anlagen für diese Länder entwickelt werden. Dort würde Wasserstoff produziert und etwa nach Europa verschifft. Gerhard Schories bringt Überlegungen ins Spiel, Wasserstoff dann nicht als Gas über die Ozeane zu transportieren, sondern „flüssig“ als Methanol. Chemisch gesehen ist Methanol nichts anderes als mit Kohlenstoff und Sauerstoff flüssig gemachter Wasserstoff. Ob Methanol in ferner Zukunft tatsächlich hier am Hafen umgeschlagen wird, dies steht auf einem anderen Blatt. Fest steht aber, dass die Wasserstoff-Modellregion vorbereitet sein will, wenn die Karten für neue Energieträger gemischt und ausgeteilt werden. Und zwar gründlich vorbereitet. Derweil arbeiten Menschen wie Kevin Schalk, Malte Fredebohm und Gerhard Schories daran, den Weg in die Anwendung des Wasserstoffs zu bahnen und diszipliniert die wissenschaftlichen Fundamente zu legen. „Ich bin optimistisch aus zwei Gründen“, sagte Kevin Schalk am Flugplatz Luneort mit Blick auf sein Testfeld. „Wir können gar nicht anders als Wasserstoff für die Energiewende nutzen. Mit dieser Technologie sind wir weiter als mit anderen Technologien“, erklärt er, „und wir haben sehr gute und authentisch engagierte Unternehmen hier in Bremerhaven. Erste Projekte der Privatwirtschaft lassen hoffen.“ Seine signalgelbe Schutzjacke leuchtet im Regengrau. Seine Augen auch. Eingangsabbildung: Das Testfeld des Fraunhofer Instituts. Foto: Oliver Steeger Für jede Branche die passende Lösung projektron.de/ branchen PROCESSES Projektportfolio Ressourcenmanagement Multiprojektcontrolling Angebote und Rechnungen Scrum, Kanban, PRINCE2 ® , IPMA, BPMN Anzeige 16 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0064 Unternehmen in Bremerhaven treiben Wasserstoffprojekte voran Eine ganze Stadt für Wasserstoff Oliver Steeger, Steffen Scheurer In der Werkstatthalle geht es die Treppe aus blitzblankem Aluminium hinauf. Von der Arbeitsbühne aus-- in gut vier Metern Höhe- - liegt das „Kraftwerk“ des Busses offen: Klappen im Dach sind geöffnet. Wir blicken auf die schwarzen Tanks vorne, jeder Tank für sieben Kilogramm Wasserstoff, mit 350 bar hineingepresst. Weiter hinten die Brennstoffzelle: sie wandelt Wasserstoff in Strom um, Energie für den Busmotor. Dazwischen rote Leitungen, Sicherheitstechnik, ein Behälter für Flüssigkeit. Alles wie neu. Wow! So also sieht der Wasserstoffbus der Zukunft aus. In Bremerhaven sind solche Busse der Zukunft seit gut einem Jahr unterwegs. Der Wasserstoff für die Busse kommt ebenfalls aus Bremerhaven. Er ist durch und durch klimaneutral, erzeugt aus Windenergie. Darauf sind Robert Haase, Geschäftsführer des Verkehrsunternehmens „Bremerhaven Bus“ und sein Werkstattleiter Jens Wefer stolz. Grüner, sauberer und lokaler geht’s kaum, sagen sie. Lokal heißt: Der Verkehrsbetrieb ist Teil der Bremerhavener Wasserstoff-Prozesskette. Seit einiger Zeit konzentriert sich die norddeutsche Seestadt darauf, Wasserstoff als Energieträger zu erforschen und anzuwenden. Hier ist heute im Kleinen zu sehen, wie morgen im Großen der Wasserstoff Deutschlands Energiewende voranbringen kann: angefangen bei der Erzeugung grünen Wasserstoffs über die Produktion und Lagerung bis hin zu Verteilung und Anwendung. In kaum einer anderen deutschen Stadt laufen so viele Projekte zu Wasserstoff. Beispielsweise betreibt das Fraunhofer Institut am stillgelegten Flugplatz Luneort ein Testfeld für Elektrolyseure; Wissenschaftler und Ingenieure erforschen, wie die empfindlichen Produktionsanlagen für Wasserstoff mit der schwankenden Stromleistung aus Windrädern klarkommen. Im ehemaligen Fischereihafen treibt das Forschungsinstitut ttz ein Pilotprojekt voran, grünes Methanol zu produzieren- - und zwar mit grünem Wasserstoff „made in“ Bremerhaven. In anderen Entwicklungsprojekten wollen Forscher Wasserstoff erzeugen aus Ammoniak, das sie wiederum aus Industrieabwässern gewinnen. Das Forschungsschiff Uthörn des in Bremerhaven beheimateten Alfred-Wegener-Instituts ist eines der ersten Schiffe, das mit grünem Methanol angetrieben werden wird. Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen, sagt man in Afrika. Ähnliches gilt auch für den Energieträger „Wasserstoff“. Es braucht eine ganze Stadt als Modellregion. Es braucht als Akteure nicht nur Politiker, Wissenschaftler und Ingenieure. Sondern auch Geschäftsführer und Entrepreneure: Macher mit scharfem Blick für das Ökonomische. „Bremerhaven Bus“ ist einer der Partner aus der Wirtschaft. Für Robert Haase liegt es auf der Hand, dass sein kommunales Unternehmen bei der Wasserstoff-Initiative mit vorangeht. Dies gehört zu seinem Selbstverständnis als kommunaler Geschäftsführer: mithelfen, den politischen Willen umzusetzen. Auch, wenn das Projekt „Wasserstoff-Busse“ alles andere als einfach ist. Allein die Beschaffung der Wasserstoff-Busse war kompliziert. Bremerhaven Bus betrat damit Neuland. In Europa gibt es nur zwei Hersteller für solche Busse, keiner davon aus Deutschland. Die Ausschreibung für die erste Bus-Garnitur vor drei Jahren war ein Kraftakt. Das Lastenheft umfasste 430 Positionen und musste von den internationalen Lieferanten verstanden werden. Bremerhaven Bus tat sich mit zwei weiteren Verkehrsbetrieben zusammen, aus Oldenburg und dem Ruhrgebiet. Gemeinsam, sagt Robert Haase, ließ sich die Ausschreibung besser stemmen. Schon ein Jahr später standen die ersten Busse auf dem Hof-- neu, vielleicht einen Tick zu neu. „Unsere Wasserstoffbusse haben noch zweistellige Fahrgestellnummern“, erklärt uns Jens Wefers. Die Kinderkrankheiten der Busse hat der Werkstattleiter gelernt zu akzeptieren. Gemeinsam mit dem portugiesischen Hersteller ermittelt er ihre Ursachen; man lernt zusammen. Am Anfang war es schwierig, überhaupt eine gemeinsame Sprache zu finden und sich auf Englisch zu verständigen. Das funktioniert jetzt immer besser, sagt Jens Wefers. Doch vorläufig stellt er jedem seiner sieben Wasserstoffbusse in Bremerhaven einen Dieselbus zur Seite. Als „Back-up“, bis die Kinderkrankheiten kuriert sind. Reportage | Eine ganze Stadt für Wasserstoff 17 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0064 Für die Wasserstoffbusse musste der Verkehrsbetrieb seine gut vierzig Jahre alte Werkstatthalle umrüsten. In der Halle gelten nun Hochsicherheitsstandards. Wasserstoff ist hochexplosiv, und das Gas ist leichter als Luft. Kommt es zu einer Leckage, steigt das ausströmende Gas auf. Es sammelt sich unter der Hallendecke. Dann kann das simple Einschalten des Lichts der buchstäblich zündende Funke sein. „Wir haben eine hochpräzise Sensortechnik unter der Decke installiert“, sagt Jan Wefers, „sie schaltet den Betriebshof automatisch stromlos, wenn mehr als 100 ppm Wasserstoff gemessen werden.“ An einem Cockpit-ähnlichen Schaltbrett erkennen wir: Derzeit sind es 10 ppm. Bevor die Busse in die Halle fahren, wird ohnehin der Wasserstoff aus den Tanks abgelassen. Die Pufferbatterie ist ausgelegt für dreißig Kilometer. Das reicht für das Rangieren. „Für uns waren diese Sicherheitsstandards völlig neu“, berichtet uns Jan Wefers, „damit kannte sich hier niemand in der Werkstatt aus.“ Speziell geschulte Mechaniker warten von der Arbeitsbühne aus die „Kraftwerke“ der neuen Busse. Die Mechaniker haben dafür eine spezielle Ausbildung durchlaufen, sogenannte Gas-Lehrgänge, die sie auf den Umgang mit Wasserstoff vorbereiten. „Wir haben diese Spezialisten aus der eigenen Mannschaft gewonnen, darunter auch Azubis“, sagt Robert Haase. Die Leute mitzunehmen bei solchen Innovationen ist ihm wichtig. Es ist nicht selbstverständlich, dass Mechaniker und Busfahrer neue Technologien mit offenen Armen empfangen-- schon gar nicht so etwas wie einen Systemwechsel bei der Antriebstechnik. Doch die rund 180 Mitarbeiter haben mitgezogen beim Projekt „Wasserstoff-Busse“. Auch, weil Robert Haase es ihnen als Zukunftschance erklärt hat-- so, wie er, der Ingenieur, Wasserstoff sieht. Hinzu kommt: Er ist ein Macher. Seine norddeutsche Direktheit, mit der er Probleme löst, steckt an. Die Menschen folgen ihm, auch wenn es schwierig werden könnte. Vielleicht, weil er beides denken kann: Technik und Ökonomie. Das schafft Vertrauen. Aus ähnlichem Holz ist der Entrepreneur André Kiwitz geschnitzt-- mit dem Unterschied, dass er der freien Wirtschaft entstammt. Für ihn ist Wasserstoff nicht nur ein technologischer Weg nach vorne. Er ist auch eine ökonomische Chance. André Kiwitz ist es gewohnt, zwei Schritte vorauszudenken. Vor zehn Jahren hatte er die Idee, ein Windrad dorthin zu stellen, wo der Strom verbraucht wird: Mitten ins Industriegebiet. „Es gab damals Zweifel und Bedenken dagegen“, sagt er, „heute macht es jeder.“ Unlängst kam André Kiwitz der Gedanke, neben sein Windrad einen Elektrolyseur zu stellen. Diese Zwei-Megawatt-Anlage wird demnächst aus grünem Unter speziellen Klappen liegen die schwarzen Wasserstoff-Tanks der Busse. Foto: Oliver Steeger Wasserstoff-Busse in der Werkstatthalle. Foto: Oliver Steeger Reportage | Eine ganze Stadt für Wasserstoff 18 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0064 Strom grünen Wasserstoff produzieren, genug, um bis zu 35 Busse zu betanken. Solch eine Produktionsanlage stemmt niemand allein: nicht nur wegen des benötigten Kapitals, sondern auch wegen des erforderlichen Know-hows. Die Elektrolyseure- - das Herzstück der Anlagen- - werden noch in Manufakturen erstellt, in Handarbeit. Man braucht Leute, die sich mit der jungen Technologie auskennen. Solche Partner hat André Kiwitz für sein Konsortium HY.City.Bremerhaven gewonnen. Er selbst ist Gesellschafter des Unternehmens „Green Fuels“, einem Partner dieses Konsortiums. „Wir sind gewissermaßen ein Senior-Start-up“, witzelt er. Der Elektrolyseur am Windrad erzeugt grünen Wasserstoff aus regenerativen Energien. Foto: Oliver Steeger Wasserstoff ist in Bremerhaven „sichtbar“: Informationen auf einem Trailer. Foto: Oliver Steeger Für sein Projekt hat HY.City.Bremerhaven den „Bremer Umweltpreis 2023“ gewonnen. Doch André Kiwitz will mehr als nur einen Fuß in den entstehenden Wasserstoff-Markt bekommen. Sein Ziel ist, dass das aufkommende Geschäft mit Wasserstoff nicht nur Großunternehmen überlassen wird. „Wir benötigen in Deutschland auch dezentrale Erzeugung von Wasserstoff von kreativen mittelständischen Unternehmen mit kleineren Anlagen“, sagt er. Kleine und mittlere Unternehmen, sagt er, stecken voller Ideen. Sie haben einen guten Sinn für das ökonomisch Machbare. Dieser Sinn für das ökonomisch Machbare verbindet ihn mit Robert Haase. Haase startete vor 19 Jahren bei Bremerhaven Bus als Restrukturierer und Sanierer. Mit damals acht Millionen Euro Verlust war der defizitäre Betrieb für die Stadt zu teuer geworden. Robert Haase halbierte den Verlust mit teils harten, unpopulären Maßnahmen. Dann kam Corona, begleitet von Inflation und steigenden Energiepreisen. Kostet der Diesel 30 oder 35 Cent pro Liter mehr, erhöhen sich bei Bremerhaven Bus aufs Jahr gesehen die Energiekosten um über 700.000 Euro. Gleiches gilt für den Lohn. „Ich bekam keine Busfahrer mehr für unseren üblichen Stundenlohn“, erzählt Robert Haase. Berufsstarter sagten ihm, sie würden sogar im Einzelhandel mehr verdienen. Bremerhaven Bus musste Fahrern und Mechanikern mehr Geld bieten. Damit begannen die Kosten davonzulaufen. Das Defizit kehrte zurück, die Verluste, mit denen fast alle Verkehrsbetriebe in Deutschland ringen, teils noch verzweifelter als Bremerhaven Bus. Robert Haase müsste eigentlich die Fahrpreise um 30 Prozent erhöhen. Das will die Politik nicht. Auch er selbst sieht solche Preissprünge kritisch. Öffentlicher Nahverkehr ist ein Stück Daseinsvorsorge. Für viele sozial Schwache muss diese Basis-Mobilität finanzierbar bleiben. Passen Wasserstoff-Busse in dieses Bild? Nein- - und ja. Zwar bewirbt der Verkehrsbetrieb seine neuen Busse mit Slogans wie „Prima-Klima-Bus“ oder „Luft und Liebe“. Doch die gepriesenen Busse sorgen bei Ökonomen zunächst für dicke Luft. „Für einen Wasserstoffbus haben wir Mehrkosten von 50.000 Euro“, erklärt Robert Haase rundheraus, als wir die Werkstatthalle mit der Arbeitsbühne verlassen und den Betriebshof überqueren. Das sind 25 bis 30 Prozent mehr Kosten verglichen mit einem Dieselbus. Im Augenblick gleichen häufig die Kommunen solche Mehrkosten aus. Klimaneutraler Nahverkehr wird politisch gewünscht. Dass Dieselbusse eher früher als später aus dem Straßenbild verschwinden- - daran gibt es unter Fachleuten kaum Zweifel. Streit entzündet sich an der Frage, ob Wasserstoff- Busse oder Batteriebusse die Lösung sind. Die Antwort teilt die deutschen Verkehrsbetriebe in zwei Lager. Die Batteriebus-Fraktion und die Wasserstoffbus-Fraktion. Die Batteriefans sind derzeit in der Mehrheit. Das kann Robert Haase nicht nachvollziehen. Wir sprechen mit ihm im Sitzungszimmer des Verwaltungsgebäudes. Die Fenster gehen auf den Betriebshof und die Werkstatt hinaus. An einem Kompressor wird im Hof ein Wasserstoffbus betankt. Das dauert derzeit mehrere Stunden. Reportage | Eine ganze Stadt für Wasserstoff 19 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0064 All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. AboPlus: Print + ePaper + Archiv www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren | abo@narr.de expert verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Foto von Jon Tyson auf Unsplash Reportage | Eine ganze Stadt für Wasserstoff 20 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0064 Wenn ein paar Straßen weiter die neue Wasserstofftankstelle eröffnet wird, tanken die Busse dort. Dann braucht der Tankvorgang nur noch zehn Minuten. Schneller als jeder Bus-Akku laden kann. Für Robert Haase sind Wasserstoffbusse die erste Wahl. Weil sie sich im Vergleich mit Elektrobussen besser rechnen, wie er sagt.- - Augenblick! Der Ladestrom für Batteriebusse ist deutlich günstiger als Wasserstoff. Denn Wasserstoff muss erst aus grünem Strom erzeugt werden. Das ist ein Prozessschritt mehr (bei diesem Schritt geht sogar Energie verloren! ). Schneiden in punkto Effizienz Batteriebusse nicht besser ab? Das bestreitet Gerhard Haase nicht. Doch er betrachtet den ganzen Business Case hier am Betriebshof, nicht nur den einzelnen Bus. Batteriebusse haben für ihn einen entscheidenden Nachteil. Der ist ihre Reichweite. In punkto Reichweite sind Wasserstoffbusse klar überlegen. Robert Haase kalkuliert so: Jeder Bus macht täglich einen „Umlauf“, bevor er zum Betriebshof zurückkehrt. Der Durchschnitt beim Umlauf liegt hier in Bremerhaven bei rund 280 Kilometern. Das Problem der Batteriebusse: Im Winter, unter „normalen“ Echtzeitbedingungen, schaffen sie die Umläufe nicht komplett. Dann müssten sie aus dem Verkehr gezogen werden und zurück zur Ladestation. „Ich bräuchte für viele Umläufe zwei Batteriebusse, um einen Dieselbus zu ersetzen“, rechnet Robert Haase vor, „der eine Bus ist unterwegs, der andere wird geladen.“ Die Flotte von Bremerhaven Bus besteht aus rund 80 Dieselbussen. Bedeutet dies, dass der Verkehrsbetrieb dafür 160 Batteriebusse anschaffen müsste? „Das ist ein wesentlicher Punkt“, sagt Robert Haase. Hinzu kommen drei weitere Punkte. Sie zeigen, dass Ökonomen einen anderen Blickwinkel haben als etwa Umweltwissenschaftler. Erstens: Batteriebusse müssen häufiger zurück zur Ladesäule. Sie sind mehr unterwegs zwischen ihrem Einsatzort und dem Betriebshof. Das bedeutet Leerfahrten. Bei dieser Betrachtung ist nicht der Bus entscheidend, sondern sein Fahrer. Produktiv ist ein Busfahrer, wenn er Fahrgäste befördert-- nicht, wenn er leere Busse auf Zubringerfahrten steuert. Also führen Batteriebusse zu einem Verlust an humaner Produktivität? „Ja, zumindest in unserem Fall. Ich bräuchte mehr Personal für die gleiche Leistung“, sagt Robert Haase, „bestimmt 30 Busfahrer mehr. Außerdem bräuchten wir mehr Mitarbeiter in der Werkstatt, um die dann doppelte Zahl der Busse zu warten.“ Zweitens: Der Betriebshof in Bremerhaven wäre zu klein. Er ist nicht ausgelegt für die 160 Batteriebusse, die dort nachts parken würden. „Wir bräuchten einen neuen Betriebshof“, sagt Robert Haase. Zudem bräuchte er eine Armee von Ladestationen. „Jede Ladesäule wäre auf vermutlich 50 bis 80 Kilowatt ausgelegt“, argumentiert er, „und wir bräuchten weit über 100 dieser Ladestationen- - das ist eine sehr hohe Anschlussleistung.“ Die Investitionen in solch einen Betriebshof mit der elektrischen Infrastruktur? Kaum abzuschätzen. Drittens: Batteriebusse „tanken“ deutschen Strommix, der auch nicht-grünen Strom umfasst (etwa aus Gaskraftwerken). Der Wasserstoff für die Bremerhavener Busse dagegen ist allein aus Windenergie gewonnen. Also absolut klimaneutral. „Da sind wir wirklich ganz weit vorn“, sagt Robert Haase selbstbewusst. Für ihn lag die Entscheidung auf der Hand: Wasserstoffbusse. Dies ist häufig so bei der Diskussion von neuen Energieträgern. Was zunächst plausibler Weg erscheint, kann sich als Sackgasse herausstellen- - wenn man es aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Deshalb braucht man eine ganze Stadt, um die Chancen, Hindernisse und Herausforderungen von Wasserstoff zu studieren. Ihre Vielfalt an Perspektiven und Erfahrungen. Und Menschen, die trotz allem dranbleiben. André Kiwitz hat diesen Dreiklang aus Chance, Hindernis und Herausforderung schon öfters kennengelernt. Die Idee, einen Elektrolyseur neben ein Windrad zu stellen, ist bestechend. Beides mit einem Kabel verbinden und fertig, denkt der Laie. Doch so einfach ist es nicht. Um wirtschaftlich produzieren und zu marktgerechten Preisen anbieten zu können, braucht André Kiwitz Zuschüsse. Die Wasserstoff-Busse werden betankt. Foto: Oliver Steeger Reportage | Eine ganze Stadt für Wasserstoff 21 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0064 Ohne diese Zuschüsse wäre der Betrieb defizitär, zumindest auf absehbare Zeit. Nicht, dass es solche Zuschüsse nicht gäbe. Sie zu bekommen ist das Problem. Ohne in die Details zu gehen-- komplizierte Verordnungen und noch fehlende Regularien machen André Kiwitz das Leben schwer. „Es gibt derzeit nur eine Handvoll privatwirtschaftlicher Anlagen, die Wasserstoff herstellen und vertanken“, sagt er. Das Kernproblem ist: Die Technologie ist so jung, dass beispielsweise der Gesetzgeber mit Bestimmungen nicht hinterherkommt. Was für Forschungsinstitute und Unternehmen Neuland ist, ist oft auch „terra incognita“ für Politik und Verwaltung. Viele Behörden wissen nicht, wie sie solche Produktionsanlagen überhaupt genehmigen sollen. „Wir versuchen, die Behörden zu unterstützen, sich mit dem Thema vertraut zu machen oder sich mit anderen Behörden zu vernetzen, die beispielsweise eine Anlage bereits genehmigt haben“, sagt André Kiwitz. Sein Problem derzeit: Um Zuschüsse zu bekommen, muss André Kiwitz Zertifikate beibringen. Er muss beispielsweise von unabhängiger Seite zertifizieren lassen, dass er tatsächlich grünen Strom zu Wasserstoff verarbeitet. Oder dass der Wasserstoff tatsächlich grün ist. Solche Zertifikate fehlen noch; es gibt nicht einmal Kriterien und Regularien dafür. Derzeit weiß niemand genau, wie was zertifiziert werden kann. André Kiwitz setzt auf Zwischen-Lösungen wie die sogenannte Prä-Zertifizierung: Die Zertifizierer schauen sich seine Anlage schon einmal an-- und sind vorbereitet, wenn Regularien in Kraft treten. Rund 40 Prozent seiner Arbeitszeit wendet der Ingenieur André Kiwitz für Regulatorik auf. Eigentlich ein Unding! Doch bei André Kiwitz spielt auch viel Idealismus mit-- und die Lust daran, dicke Bretter zu bohren. Komplexe und schwierige Projekte wecken seinen Ehrgeiz. „Wenn es zu einfach ist, geht mir manchmal das Interesse aus“, sagt er, „ich liebe die Herausforderung, andere zu überzeugen und Projekte voranzubringen.“ Menschen, die sich mit Wasserstoff-Projekten befassen, sind häufig ähnlich gestrickt wie er: die Lust, Projekte zu starten-- gepaart mit dem robusten Sinn für das ökonomisch Machbare. Bei André Kiwitz kommt hinzu die persönliche Faszination für das Technische. Mit Blick auf sein Windrad sagt er: „Es hat mich immer begeistert, bei einer solchen 4000 PS Anlage zu sehen, wie der Wind in die Rotorblätter greift-- und das Rad anfängt sich zu drehen.“ Das bereitet ihm heute noch Gänsehaut. Zu sehen, dass am Ende Dinge in Gang kommen. Trotz allem. Eingangsabbildung: Auf der Arbeitsbühne erreicht man das Dach der Busse-- wo das „Kraftwerk“ der Fahrzeuge liegt. Foto: Oliver Steeger Anzeige 22 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0065 Weshalb Helgoland ein Brennglas für Nachhaltigkeit ist Die rote Insel will grün werden Steffen Scheurer, Oliver Steeger Die Helgoländer geben sich nur einmal die Hand: Wenn sie sich kennenlernen. Die Insel mit den rund 1.500 Bewohnern ist so klein, dass sie sich ständig über den Weg laufen. Man kann sie in einer guten Stunde zu Fuß umrunden: Vom Hafen durch die kleinen Siedlungen, dann entlang der roten Buntsandsteinkliffs bis zur „Langen Anna“, der markanten Felsnadel an der nordwestlichen Spitze. „Wir müssten uns ständig die Hand schütteln“, sagt Bürgermeister Thorsten Pollmann, „also grüßen wir uns nur mit einem Hallo.“ Doch die kleine Welt auf Helgoland hat noch einen Effekt: Die Menschen hier haben einen feinen Sinn entwickelt für die Naturgewalten- - und für die Folgen von Klimawandel, Meeresverschmutzung und der Verschwendung von Ressourcen. Diese kleine Welt auf Helgoland ist wie ein Brennglas. Die Missstände zeigen sich klar, scharf und konzentriert. Aber auch Chancen für Lösungen und Projekte. Die rote Insel will grün werden- - und ist auf dem Weg zu diesem Ziel. Beispielsweise ganz auf Windstrom und regenerative Energie zu setzen. Es gibt zudem Projekte, Verpackungsmüll zu vermeiden, den Tourismus in sanftere Bahnen zu lenken, Vögel zu schützen und ökologisch bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die Insel mit den schroffen Felsklippen und der klaren Luft zeigt, auf welche Herausforderungen Projekte für Nachhaltigkeit stoßen-- und wie energische Menschen sie trotzdem vorantreiben. Helgoland lebt vor allem von Tagestouristen. Bis Mittag machen ein halbes Dutzend Schiffe fest und bringen Gäste, bis zu 3.500 am Tag, die durch die Gassen schlendern, Kaffee trinken und zollfrei einkaufen. Spätnachmittags, wenn die Gäste mit Einkaufstüten zum Hafen zurückströmen und die Schiffe ablegen, kehrt Ruhe ein. Wer dann zum Spaziergang aufbricht, begegnet dem zweiten Gesicht von Helgoland: dem Oberland mit Wiese, grasenden Schafen und hoch im Wind stehenden Seevögeln, die ihre Schwingen weit ausgebreitet haben. Am Lummenfelsen erwartet den Besucher ein Schauspiel, das selbst Ornithologen ins Staunen versetzt: Eine Kolonie von Basstölpeln bevölkert die Steilhänge und die Kante des Kliffs. Ihre schnarrenden Schreie erfüllen die Luft. Die weißen Vögel mit den gelborangen Köpfen und den starken Schnäbeln sind streng geschützt. Man kann ihnen hier erstaunlich nahekommen und sie beobachten. Helgoland hat nachweislich die meisten Vogelarten in Mitteleuropa. Zugvögel machen hier Rast. Neben den Basstölpeln finden hier Eissturmvogel, Dreizehenmöwe und Tordalk eine deutschlandweit einzigartige (und für sie häufig die einzige) Brutgelegenheit. Im Juni lässt sich auf Helgoland der „Lummensprung“ der Trottellummen beobachten: Die noch stummelflügeligen Jungvögel stürzen sich vom Felsen zu ihrem „Erstflug“. Ornithologen berührt es tief, die Jungen dabei zu beobachten, wie sie den Rufen ihrer Eltern folgen und ihren Mut zusammennehmen. Doch die Vogelwelt auf Helgoland steht vor immensen Problemen. Schuld daran ist die Meeresverschmutzung mit Plastik, meist Reste von Fischernetzen und Tauwerk, häufig mit Polypropylen hergestellt. Die Basstölpel verwenden diese Plastikfetzen für ihren Nestbau. Doch der Plastikmüll wird für viele Basstölpel zur Todesfalle. Die Seevögel verfangen sich im Plastik und sterben qualvoll. Auf Helgoland entgehen niemandem die verendeten Vögel. „Wegsehen“-- das ist nahezu unmöglich auf einer kleinen Insel. In einem Forschungsprojekt hat sich der Umweltwissenschaftler und Ornithologe Elmar Ballstaedt dieses Problems angenommen. Ein Ziel: Das „künstliche“ Nistmaterial untersuchen, seine Herkunft bestimmen und die Verursacher der Verschmutzung finden. Aus diesem Projekt sollen Empfehlungen abgeleitet werden für Politik, Wirtschaft und Naturschutzorganisationen. Gestartet ist das Projekt als rein wissenschaftliches Vorhaben. Doch auf Helgoland fand es schnell Aufmerksamkeit, Zulauf, Zuspruch und Öffentlichkeit. Bald meldeten sich Zeitungen und Rundfunk vom Festland und berichteten über den Plastikmüll, in dem Vögel sterben. Helgoland kommt nicht umhin, Wissenschaft in die Öffentlichkeit zu transportieren. Wie unter einem Vergrößerungsglas erkennen Gäste entsetzt die Folgen der Meeresverschmutzung: nämlich Plastikmüll in den Vogelnestern. Am liebsten hätten die Gäste es, dass jeder einzelne Vogel gerettet wird. Dies geht an den Steilfelsen kaum, so traurig dies ist. Umweltschützer sehen hier Chancen für eine Bewusstseinsänderung. Reportage | Die rote Insel will grün werden 23 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0065 Bei vielen Menschen reift die Erkenntnis: Man muss die Probleme an der Steilküste Helgolands nicht an den Symptomen behandeln, sondern an der Wurzel fassen: nämlich beim Plastikmüll im Meer selbst. Helgoland zeigt nicht nur Herausforderungen, sondern auch die Lösungswege. Über lange Zeit war Helgoland „Selbstversorger“. Kay Martens ist Geschäftsführer der Versorgungsbetriebe der Insel und selbst auf Helgoland aufgewachsen. Er kennt noch die Zeit, als die Menschen hier auf das angewiesen waren, was die Insel hergab. Beispielsweise Wasser. Es kam aus einer Brackwasserlinse und ansonsten Regenwasser-Zisternen. Kay Martens berichtet, wie er als Kind das „gute“ Wasser aus der Zisterne getrunken hat, die jedes Haus unter der Küche hatte. Selbst das „gute Wasser“ wurde abgekocht. Die Zähne aber hat man damals mit Brackwasser geputzt. „Wir haben uns mit einfachen Mitteln hier auf Helgoland buchstäblich über Wasser gehalten“, sagt er. Nachhaltigkeit aus der Not heraus. Er lässt ein wenig Stolz durchblicken, wenn er sagt, dass manche der Helgoländer Lösungen heute am Festland in Mode gekommen sind. Brauchwasser zum Beispiel für die Gartenwässerung oder Toilettenspülung. Das gilt auch für die heutige Helgoländer Lösung für die Wasserversorgung: Meerwasser wird in einer hochmodernen Anlage über Membranen entsalzt Helgoland ist berühmt für seine roten Felsen. Foto: Oliver Steeger Basstölpel-- eine bedrohte Vogelart-- lassen sich auf Helgoland gut beobachten. Leider sind sie durch Plastikmüll im Meer bedroht. Foto: Oliver Steeger Reportage | Die rote Insel will grün werden 24 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0065 und zu Trinkwasser aufbereitet. Diese Lösung könnte auch in wasserarmen Gegenden auf dem Festland infrage kommen. Zukünftig will Helgoland komplett auf regenerative Energien setzen. Nicht nur beim Strom, sondern auch bei der Wärme. Die Insel verfügt über ein Fernwärmenetz. Das ist eine gute Ausgangsbasis. Trotzdem kommt man beim Heizen von fossiler Energie nicht los. Kay Martens hat die Alternativen durchgespielt: Holzhackschnitzel verfeuern, Seetang vergären, ein Gezeitenkraftwerk, Geothermie oder Meereswärme nutzen. Doch nichts funktioniert so richtig. Oder es müssten extrem aufwändig Anlagen und Brennstoffe auf die Insel gebracht werden. Für großflächige Solarparks ist auf der Insel kein Platz-- obwohl Helgoland eine der sonnenreichsten Gegenden Deutschlands ist. Zudem: Solarenergie würde sich für die Sommermonate anbieten. Doch wie die im Sommer mit Solarenergie erzeugte Wärme für die kalten Wintertage speichern? Auch die vielfach favorisierte Lösung Meeres-Wärmepumpe hilft nur begrenzt. Das Meerwasser ist hier im Sommer etwa 18 bis 20 Grad warm. „Aber im Winter hat das Meerwasser vielleicht 3 oder 4 Grad“, sagt Kay Martens, „wie sollen in der Heizsaison daraus energieeffizient die 80 Grad Vorlauftemperatur werden, die wir dann ja für unser Fernwärmesystem in deutlich erhöhten Wärmemengen benötigen? “ Biologische Holzbrennstoffe scheiden für Kay Martens auch aus. „Wir wollen hier keine Verbrennung“, sagt er. Nicht nur des Feinstaubs wegen, sondern auch aus grundsätzlichen Überlegungen zum Kohledioxid. Außerdem: Die Helgoländer müssten Holzbrennstoffe umständlich per Fähre herbeiholen: eine ökologisch und ökonomisch eine fragwürdige Strategie. Der Transport vom Festland erhöht die Preise für alles, was auf Helgoland gebraucht wird-- angefangen beim Liter Milch über Möbel bis hin zu Baustoffen. „Wenn wir nun beginnen, Brennmaterial wie Holz zu holen, wird sich die Energie verteuern“, sagt Kay Martens, „solche Lösungen sollten auch wirtschaftlich stabil sein, nicht nur ökologisch und technisch.“ Und Heizen mit Strom aus Windkraft? Den ewigen Wind nutzen-- etwa mit Windrädern nahe der Insel? „Die Windenergie könnte eine Lösung für den Wärmebedarf im Winter sein, insbesondere da im Gegensatz zur Meereswärme das Windangebot mit dem Wärmebedarf korreliert“, sagt Kay Martens, „Windstrom könnten wir damit wirkungsvoll zum Heizen nutzen.“ Doch dies ist nur die technisch-wirtschaftliche Perspektive. Es gibt noch eine andere Sichtweise-- die der Naturschützer. Windräder auf der Insel und Vogelschutz passen auf Helgoland nicht zusammen. Die Insel liegt in einem Vogelzug-Gebiet. Viele Zugvögel machen auf ihren langen Wegen Rast auf Helgoland. Die Vögel könnten Windräder meiden und ihre Route ändern-- was sie in Gefahr bringen würde. Der Naturschutz ist Kay Martens wichtig, auch persönlich. „Als Kind war ich jeden Tag bei uns an der Vogelwarte“, erzählt Kay Martens, „später wollte ich eigentlich Meeresbiologe werden.“ Er sagt aber auch: Es gibt mittlerweile technische Lösungen, Vogelzug und Windenergie unter einen Hut zu bringen. „Wir sollten sehen, was die Studien zum Vogelschutz wirklich für die Praxis bedeuten und dann abwägen“, sagt er. Die kleine Welt auf Helgoland zeigt, dass einfache Lösungen oft nicht funktionieren für komplexe Probleme. So verlockend die Ideen auf den ersten Blick scheinen-- sie scheitern an unerwünschten Nebenwirkungen. Zielkonflikte: auch dafür ist Helgoland ein Brennglas. „Vielleicht gibt es bald Technologien, die solche Zielkonflikte lösen“, sagt er. Er hat dabei eine konkrete Idee: Wasserstoff. Doch dies ist bislang nur eine Idee. Bürgermeister Thorsten Pollmann erwähnt einen weiteren Zielkonflikt. Es ist knifflig, die Balance zu halten zwischen einerseits Naturschutz und Nachhaltigkeit, andererseits Gesellschaft und Wirtschaft. Thorsten Pollmann berichtet, dass sich auf Helgoland Betreiber von Windparks angesiedelt haben. In der Nähe der Hochseeinsel liegen Offshore-Windparks. Die Betreiber nutzen Helgoland als Stützpunkt und stationieren ihre Monteure auf der Insel. Von hier aus warten die Monteure Windräder rund 20 Kilometer auf hoher See. Eine ideale Un- Trinkwasser muss aus Meerwasser gewonnen werden. Foto: Oliver Steeger Reportage | Die rote Insel will grün werden 25 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0065 terstützung grüner Projekte, die zudem zwanzig Prozent mehr Arbeitsplätze schafft und die Gemeindekasse füllt. Die Sache hat einen Haken. Die Windparkbetreiber mieten Wohnungen für ihre Monteure an. Dies treibt die Mieten auf Helgoland in die Höhe. Derzeit liegt der Mitspiegel bei rund 9 Euro je Quadratmeter. Die Konzerne zahlen weit mehr- - und verdrängen Einheimische. Bezahlbare Wohnungen sind knapp geworden auf Helgoland. „Das ist die Kehrseite“, sagt Thorsten Pollmann, „und das mussten wir den Bürgern erst einmal verkaufen.“ Von den Mehreinnahmen schafft die Gemeinde jetzt die Infrastruktur. Unlängst entstand eine Neubausiedlung, das „Leuchtturmviertel“ auf dem Oberland: 67 Wohnungen am Leuchtturm, keine hundert Meter von der Steilküste entfernt. Die Ziele des Bauprojekts wurden lange für unvereinbar gehalten: Ökologie, Ökonomie, gesundes Wohnen und Helgoländer Architektur unter einen Hut bringen. Die Lösung kam von dänischen Architekten: Sie entwickelten die Häuser in Modulbauweise. Die Module ließen sie 1.000 Kilometer von der Insel entfernt bauen, in einer riesigen Fabrikhalle zu Häusern zusammenzusetzen- - dann wieder abbauen, auf Sattelschlepper und Frachtschiffe verladen. Am Leuchtturm wurden die Module wieder zusammengesetzt. Bauherrin war die Gemeinde Helgoland. Sie hat stark auf Nachhaltigkeit geachtet, beispielsweise auf klimafreundliche Materialien, die man später wieder recyceln kann- - und die nicht wie Plastik die Natur auf Ewigkeit belasten. Doch für den Wohnungsmangel auf Helgoland war der Bau dieser Siedlung nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. „Der Effekt ist schnell wieder verpufft“, meint ein Helgoländer. Für viele liegt auf der Hand: „Wir müssen dringend nachlegen und bauen.“ Hinzu kommt: Die Ansiedlung grüner Unternehmen auf Helgoland ist keine sichere Trumpfkarte für die Zukunft. Die Windparks der Zukunft entstehen weit weg von Helgoland. Sie werden so gebaut sein, dass sie autark funktionieren und kaum noch Wartung brauchen. Wie lange Helgoland mit Windparkbetreibern ein zweites wirtschaftliches Standbein hat, ist dahingestellt. Auf der Insel weiß man dies. Tourismus bleibt hier auch in Zukunft der wichtigste Wirtschaftszweig. Nur-- welche Art von Tourismus? Für viele Tagesgäste ist Helgoland ein preiswertes Einkaufsparadies. Die Hochseeinsel ist mit ihren steuerlichen Sonderrechten wie ein großer Duty-Free-Shop. Dies bemerken Gäste bei den häufig zollfreien Preisen; viele tragen abends prall gefüllte Tüten zurück zum Schiff. So wichtig diese Einnahmequelle ist, so sehr wissen viele Helgoländer: Diese Form von Tourismus ist alles andere als nachhaltig. Einerseits sind sie stolz und froh, dass sie an mittlerweile acht Häfen angebunden sind. Andererseits ergibt es keinen Sinn, tonnenweise Waren auf die Insel zu schaffen, von denen vieles in Einkaufstüten wieder zurückgeht. Urlaubstourismus mit mehrtägigen Aufenthalten ist nachhaltiger als Tagestourismus, und dieses noch zarte Pflänzchen Urlaubstourismus wird auch kräftiger auf Helgoland. Die Windparkbetreiber, die Zimmer für ihre Monteure mieten, brachten Hotelbetreibern Geld. Dieses Geld floss teils wiederum in die Modernisierung der Hotels. Doch Bürgermeister Thorsten Pollmann räumt ein, dass es ohne die Tagesgäste nicht geht. Aus verschiedenen Gründen. Einer der Gründe: Die Masse der Tagesgäste hält die Fährpreise niedrig. Fallen die Tagesgäste weg, müssen die Reeder ihre Preise erhöhen-- und das spüren auch die Helgoländer, wenn sie aufs Festland wollen. Ein weiter Grund ist die Kaufkraft der Gäste. Gleich, wie lange jemand bleibt, eine Woche oder einen Tag: Er kann nur einen Liter Alkohol und eine Stange Zigaretten mitnehmen. Aus Sicht der Händler sind sieben Tagesgäste lukrativer als ein Urlauber, der eine Woche bleibt. „Wir brauchen die Kaufkraft der Tagesgäste“, sagt Thorsten Pollmann, „ohne sie kommen wir hier nicht aus.“ Doch lässt sich auch der Tagestourismus nachhaltiger gestalten? Beispielgebend sind zwei Projekte zur Vermeidung von Plastiktüten und Plastikbechern, die vielerorts zum Tagestourismus gehören. Herumliegende Tüten und Becher stechen auf einer kleinen Insel schnell in Auge. Reportage | Die rote Insel will grün werden 26 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0065 Helgoland ist wie ein Versuchslabor für Projekte zur Nachhaltigkeit-- und dafür, wie man vorgehen kann, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Vor einigen Jahren setzte Dr. Rebecca Ballstaedt das Projekt „Green Anna“ auf: Für einen Monat verzichteten die Helgoländer Händler auf Einwegtüten-- und gaben 30.000 grasgrüne Taschen aus 80 Prozent recyceltem Kunststoff aus, die Mehrweg-Tragetasche „Green Anna“. Das Projekt wurde begleitet von Bildungsveranstaltungen zu Meeresmüll und einem öffentlichen Reinigungsaktion am Strand. Die Initiative zeigte Wirkung. Zwar sind die „Green Anna“- Taschen heute weitgehend vergriffen. Doch viele Händler bieten mittlerweile eigene Mehrwegtaschen an. Die Gäste nehmen wahr, dass sich hier etwas verändert und man sich auf der Insel um Nachhaltigkeit kümmert. Häufig engagieren sie sich mit. 2021 legte Rebecca Ballstaedt mit einem weiteren Projekt nach: Ein grüner Pfandbecher für Kaffee, ein Projekt mit der Unterstützung des Helgoland Tourismus-Service. Das Vorhaben war Teilprojekt des inselweiten Zertifizierungssystems „de green steer“, das 2019 ins Leben gerufen wurde und an dem knapp 60 Betriebsstätten mitmachen. „Kaffee aus Plastikbechern ist wie Eiergrog aus Dosen“, warb ein Video. Und: „Der Klügere füllt nach.“ Auch hier: Der Mehrwegbecher fand Anklang. Der Erfolg ist nicht allein dem Marketing oder der Ausdauer geschuldet. Die Projekte bezogen die Inselbewohner intensiv ein-- und machte ihnen den Start zu umweltfreundlichen Mehrwegbechern und Tragetaschen leicht. In der kleinen Welt auf Helgoland zeigt sich schnell, ob und wie Projekte funktionieren. Man muss die Interessenlage Stakeholder gut kennen; das ist auf Helgoland, wo man sich mehrmals am Tag über den Weg läuft, keine Schwierigkeit. Für Stakeholdermanagement ist Helgoland ein Labor! So sprach Rebecca Ballstaedt intensiv mit den Händlern und versuchte herauszufinden, ob sie bereit für den Umstieg auf Mehrwegtaschen sind. Natürlich gab es Bedenken und auch vereinzelte Widerspruch. Steine, die man dem Projekt in den Weg zu legen versuchte. Doch wählte Rebecca Ballstaedt eine kluge Strategie. Sie machte das „Green Anna“-Projekt den Helgoländern schmackhaft, indem sie die Laufzeit auf vier Wochen begrenzte. Vier Wochen Auszeit von der Einwegtasche- - das klang vielen Händlern besser als ein Komplettumstieg. Nach dieser Probezeit haben viele erkannt, dass Mehrwegtaschen auch langfristig der bessere Weg sind. Auch hier spielte wieder die kleine Welt eine Rolle: Einige Händler waren stolz auf ihre neue grüne Tasche. Andere fanden die Idee gut, aber nicht die Tasche selbst-- und wählten andere Mehrwegtaschen. Und diejenigen, die bei Einwegtüten blieben, hatten am Ende (zumindest) ein schlechtes Gewissen. Vielleicht war das Lob für das Projekt nicht ungeteilt, doch man respektierte, dass die Initiatoren nicht mit dem erhobenen Zeigefinger argumentierten, sondern Lust auf Veränderung und Nachhaltigkeit weckten. Zudem: Die Gäste nahmen die grasgrünen Becher und Taschen aus Helgoland mit aufs Festland, verwendeten sie dort-- und machten Werbung für die rote Insel. Eine der derzeit kühnsten Initiative auf Helgoland klingt noch nach Science-Fiction. Es geht um Wasserstoff. Denn eines hat Helgoland neben Wind reichlich: Meerwasser. Es liegt nahe, Wind und Wasser zu nutzen, um Wasserstoff zu erzeugen. „Wasserstoff als Energieträger ist gut transportierbar und speicherbar“, sagt Kay Martens. Für ihn ist Wasserstoff nicht nur der Schlüssel für die nachhaltige Versorgung auf Helgoland, sondern für die Welt. Jörg Singer, Kay Martens und andere Mitstreiter haben deshalb das Initiative „AquaVentus“ angeschoben und einen Verein gleichen Namens gegründet. Die Vision ist bestechend: Auf hoher See sind Windparks direkt an Elektrolyseure angeschlossen. Zwei Wege sind denkbar: Jedes Offshore Windrad hat einen Elektrolyseur. Oder die Elektrolyseure werden auf einer zentralen Offshore-Plattform installiert. Wie auch immer- - die gedachte Anlage würde jährlich eine Million Tonnen grünen Wasserstoff produzieren und ihn per Pipeline ans Festland transportieren. Helgoland könnte eine Drehscheibe werden, ein optimales Reallabor zur Nutzung von Wasserstoff. Unter dem Dach des AquaVentus Förderverein unterstützen heute mehr als 100 Energiekonzerne, Organisationen und Forschungsinstitute diesen Plan. Doch das Projekt AquaVentus besteht bislang nur auf Papier. Die „Lange Anna“-- das Wahrzeichen von Helgoland. Foto: Oliver Steeger Reportage | Die rote Insel will grün werden 27 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0065 Die Herausforderung für Aquaventus: Die Technologie muss sich erst im Kleinen bewähren, bevor ein Investor und Betreiber sie in Großanlagen nutzt. Jörg Singer, der ehemalige Helgoländer Bürgermeister, ist Vorsitzender des Fördervereins. Er spricht sich für eine Pilotanlage bei Helgoland aus. Er argumentiert: „Auf Helgoland haben wir das Know-how und durch die Präsenz der Windparkbetreiber auch die Fachleute, solch eine Versuchsanlage zu betreiben. Funktioniert die Anlage hier im rauen Seegebiet-- dann funktioniert sie überall.“ Für diese Pilotanlage- - ein AquaPrimus genanntes Projekt- - wirbt der Verein noch. Drei Jahre nach Gründung der Initiative präsentierte der Förderverein sein Konzept 2024 auf der Hannover Messe. Indes, über AquaVentus und eine Pilotanlage nahe der Insel sind die Helgoländer geteilter Meinung. Die einen halten AquaVentus für eine großartige Vision. Andere sagen: Die Idee ist völliger Unsinn. Die Technik wird nie funktionieren. Vielleicht sind viele Einwände gegen das Wasserstoff-Projekt nicht nur Zweifeln an der Technologie geschuldet- - sondern auch der Angst vor dem hochentzündlichen Gas selbst. Unter dem Vergrößerungsglas von Helgoland bleibt dies nicht lange verborgen. „Einige verbinden mit Wasserstoff gedanklich nicht einen Energieträger-- sondern etwa die Knallgas-Experimente aus dem Chemieunterricht oder den brennenden Zeppelin von Lakehurst“, beobachtet Kay Martens. Solch ein brandgefährliches Gas auf einer kleinen Insel wie Helgoland? Unmöglich! Erklärungen, dass eine Pilotanlage lediglich im Meeresgebiet bei Helgoland stehen würde, beruhigen die Gemüter kaum. „Auf Helgoland würde ohnehin kein Wasserstoff produziert oder gespeichert“, sagt Kay Martens. Jörg Singer hat akzeptiert, dass manche diese Projektvision noch misstrauen. Er hält entgegen, dass Wissenschaftler und Techniker an diese Technologie glauben. „Wir glauben diesen Experten“, sagt er, „ob diese Technologie dann wirklich funktioniert, wissen wir natürlich nicht.“ Doch er hält es in jedem Fall für sinnvoll, diesem Projekt Chancen zu geben. Auch-- und vor allem-- auf Helgoland. Kay Martens Vision ist, dass Helgoland künftig ein „Bezugspunkt für nachhaltiges Bewusstsein“ wird. Unter den Vergrößerungsglas zeigt die kleine Welt klar, welche Konsequenzen etwa Meeresverschmutzung und Klimawandel haben. Dass Ressourcen begrenzt sind. Wie nachhaltige Projekt Menschen „mitnehmen“ und Wandel herbeiführen. „Vielleicht haben wir auf Helgoland eine verstärkte Wahrnehmung, gewissermaßen feinere Fühler für die Welt um uns herum,“ meint Kay Martens. Vielleicht, weil das Leben hier weniger hektisch abläuft. Auf Helgoland fährt man nicht; Autos und Fahrräder gibt es kaum auf der Insel. Die Menschen gehen, sie sind langsam unterwegs. „Wer an den Klippen vorbeiläuft und in einem Vogelnest das ganz Plastik sieht-- der kann diese Wahrnehmung hier nicht so schnell wieder ausblenden und vergessen“, sagt Kay Martens. Hinschauen- - das ist immer der Anfang von Veränderung. Helgoland zeigt, wie es mit Projekten klappen könnte. Eingangsabbildung: Blick auf das Unterland. © Oliver Steeger In diesem Buch wird die Thematik Schätzen auf die Projektwelt angewandt. Wer kennt sie nicht, die großen Bauprojekte, die meist deutlich teurer werden und länger dauern als geschätzt. Egal ob es sich um die Elbphilharmonie handelt, den Berliner Flughafen oder Stuttgart 21. Verschiebungen und Kostensteigerungen sind an der Tagesordnung. In der agilen Projektwelt verspricht man sich deutlich bessere Schätzungen als bei den klassischen Verfahren. Zum einen findet der klassische Projektplan im agilen Kontext keine Anwendung, zum anderen sind die Planungszyklen deutlich kürzer. Dieser Band konzentriert sich darauf, die Hauptursachen für Fehleinschätzungen zu beleuchten und Möglichkeiten zur Verbesserung der Qualität von Abschätzungen aufzuzeigen. Er ist mitnichten als ein Plädoyer gegen Abschätzungen zu verstehen, sondern steht ganz im Sinne Dwight D. Eisenhowers Aussage: Plans are useless, but planning is essential. Jörg Brüggenkamp, Peter Preuss, Tobias Renk Schätzen in agilen Projekten nuggets 1. Au age 2024, 75 Seiten €[D] 17,90 ISBN 978-3-381-12511-1 eISBN 978-3-381-12512-8 Buchtipp cherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ info@narr.de \ www.narr.de Anzeige 28 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0066 Lokalprojekte: Verwaltungen gewinnen Fachkräfte durch Projekte Fünf „Macher: innen“ machen die Integration einfacher Oliver Steeger Dewah Bawari hat Grafik und Kommunikationsdesign studiert. Danach spezialisierte sich die junge IT-Fachkraft auf User-Experience-Design etwa für Apps. Klingt nach einer beginnenden Karriere in der IT-Wirtschaft etwa in Berlin oder Hamburg. Doch Dewah Bawaris Weg nahm eine Wendung in das lippische Kalletal, einer Gemeinde mit 13.000 Einwohner. Dort leitete die begeisterte UX-Designerin ein Projekt der Verwaltung der Gemeinde und entwickelte den „Kompass Kalletal“. Diese App hilft Geflüchteten, sich in ihrer neuen Heimat Kalletal zurechtzufinden, indem sie Antworten, Informationen und Tipps bietet. Für die Gemeinde war es ein Glücksfall, IT-Spezialistin Dewah Bawari für dieses App-Projekt zu gewinnen. Und für Dewah Bawari eröffnete sich eine überraschende Perspektive: Sie lernte die Verwaltung als attraktiven Arbeitgeber kennen. Ohne dieses Projekt wäre die IT-Fachkraft möglicherweise nie auf die Verwaltung als Wirkungsort gestoßen. „Was mich persönlich an unserem Projekt begeistert war, dass wir gemeinsam wirklich etwas bewegen können“, sagte Dewah Bawari. Ende März schloss das App-Projekt ab-- mit Begeisterung auf allen Seiten. Dieses Projekt zu Integrationsarbeit und die Zusammenarbeit zwischen Dewah Bawari und der Gemeindeverwaltung Kalletal war kein Zufall. Das gemeinnützige Unternehmen „Lokalprojekte“ hat daran kräftig mitgewirkt. Es setzte die Initiative „Integrationsmacher: innen“ auf und führte dafür Fachkräfte und Verwaltungen zusammen. Neben dem Projekt in Kalletal unterstützte Lokalprojekte vier weitere, ähnliche Projekte zur Integrationsarbeit in Pforzheim, Stralsund, Torgau sowie dem Burgenlandkreis. Gefördert wurde „Integrationsmacher: innen“ von der Robert-Bosch-Stiftung. Hinter der Initiative „Integrationsmacher: innen“ steht eine Erkenntnis: Deutschlands Herausforderungen wie die Integration lassen sich am besten vor Ort lösen, in den Kommunen. Dafür benötigen die lokalen Verwaltungen Spezialisten wie Dewah Bawari- - und auch die modernen Arbeitsweisen, die diese Fachkräfte aus der Wirtschaft mitbringen. Doch auf dem Arbeitsmarkt der Wirtschaft haben Verwaltungen in der Regel schlechte Karten. Viele Fachkräfte übersehen Verwaltungen als Arbeitgeber-- teils aus Unkenntnis, teils aufgrund von Vorurteilen. Lokalprojekte führt Verwaltungen und Spezialisten zusammen- - und zwar in Projekten. In diesen Projekten können die Fachkräfte aus der Wirtschaft in die Verwaltung „hineinschnuppern“. Nicht wenige bleiben nach solchen Projekten in der Verwaltung und wählen sie als lohnenden Arbeitgeber (siehe Interview Projekte holen Fachkräfte in die kommunale Verwaltung, PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL, Heft 5 / 2023). Wie vielversprechend dieser Brückenschlag zwischen Fachkräften und Verwaltung ist, zeigt sich auch bei den fünf „Integrationsmacher: innen“-Projekten. Eine Fachkraft trat nach dem Projekt eine Stelle in der Verwaltung an, zwei bleiben ihrer Verwaltung zunächst auf Honorarbasis verbunden. „Alle Macher: innen haben ein positives Bild aus der Verwaltung mitgenommen hinsichtlich Innovationsbereitschaft, Engagement und Offenheit der Bediensteten“, berichtet Dr. Christine Prokop-Scheer, Geschäftsführerin der Lokalprojekte gGmbH. Zudem haben die Projekte in den Verwaltungen „effizientere Arbeitsmethoden gefördert und neue digitale Anwendungen in die Praxis gebracht“, wie sie ergänzt. Arbeitsprozesse wurden vereinfacht, der Behördenzugang für die Nutzer erleichtert und das Netzwerk vergrößert. Die Lokalprojekte-Geschäftsführerin: „Die Projekte haben die Verwaltungsmitarbeitenden mit neuem Methodenwissen ausgestattet.“ Doch vor allem haben von den „Integrationsmacher: innen“-Projekte die Geflüchteten profitiert-- und die Menschen, die sich täglich mit Integrationsarbeit befassen. „Integrationsmacher: innen“-Projekt in Kalletal: UX- Designerin Dewah Bawari weiß, wie hilfreich Integrationsprojekte in Kommunen sind. Sie entstammt selbst einer Familie, die Anfang der 1990er Jahre vor dem Krieg in Afghanistan nach Deutschland geflohen ist. Sie hat die Herausforderungen einer erfolgreichen Integration erlebt, wie sie sagt. In Kalletal wollte Dewah Bawari Neuankömmlinge mit der barriere- Reportage | Fünf „Macher: innen“ machen die Integration einfacher 29 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0066 freien, mehrsprachigen App „Kompass Kalletal“ unterstützen. Der Hintergrund: Für die Gemeinde ist die Beratung von Geflüchteten zeitintensiv. Mitunter müssen andere Arbeiten und Vorgänge dafür zurückgestellt werden. Zudem braucht die Verwaltung Dolmetscher für verschiedene Sprachen. Diese zeitintensive Erstberatung übernimmt nun der „Kompass Kal- Dewah Bawari entwickelte für Kalletal den „Kompass Kalletal“. Diese App hilft Geflüchteten, sich in ihrer neuen Heimat zurechtzufinden. Foto: Christine Prokop-Scheer Macher und Projektleiter Mike Brendel berichtet aus seinem Projekt in Torgau (Sachsen). Foto: Samuel Mindermann letal“ für die ersten Schritte in der neuen Heimat. Das macht bei der Verwaltung Zeit frei etwa für individuelle Beratung. „Integrationsmacher: innen“-Projekt in Pforzheim. Die Stadt Pforzheim hat nach eigenen Angaben mit 6,6 Prozent den höchsten Anteil an Asylsuchenden in Baden-Württemberg (Durchschnitt in diesem Bundesland: 3,2 %). Die steigenden Flüchtlingszahlen stellte die Verwaltung vor organisatorische Schwierigkeiten. Das „Integrationsmacher: innen“-Projekt hier richtete sich auf die internen Prozesse in der Abteilung für Migration und Flüchtlinge: mit professionellem Prozessmanagement, Prozessoptimierung und den Voraussetzungen für ein Dokumentenmanagementsystem. Macher und Leiter dieses Projekts war Dustin Savarino, Projektmanager für IT-Unternehmensprojekte. Vor zwei Jahren erkannte er, dass er in seiner Arbeit einen tieferen Sinn suchte und sich einen Weg ins Sozialunternehmertum wünschte. „Ich möchte meine Fähigkeit einsetzen, um gesellschaftliche Probleme anzugehen“, sagt Dustin Savarino, „dabei habe ich für mich erkannt, dass ich nicht nur über die Herausforderungen sprechen, sondern Teil der Lösung sein will.“ Seit seiner Schulzeit beobachtete der studierte Wirtschaftsingenieur, wie träge die Menschen im Umgang mit Veränderungen sein können, insbesondere im Bereich der digitalen Transformation. „Wir alle haben als Bürgerinnen und Bürger bereits erfahren, wie umständlich Verwaltungsprozesse sein können“, sagt er. Besonders in einer Stadt wie Pforzheim mit vielen Schutzsuchenden könne ein effektives Prozess- und Wissensmanagement unterstützt durch digitale Technologien helfen. Es entlastet Verwaltungsmitarbeiter und kommt letztlich den Menschen zugute, die auf die Dienstleistungen der Verwaltung angewiesen sind. „Solche Projekte verbessern die Verwaltungsleistungen“, ergänzt Christine Prokop-Scheer, „die Leistungen sind effizienter, genauer und leichter verfügbar.“ Für sein Projekt und sein Team aus der Verwaltung führte Dustin Savarino agiles Arbeiten ein- - auch, um der Komplexität des Projekts Herr zu werden. Mit dem effizienten und zielgerichteten Vorgehen gelang es dem Team, die hohe Zahl der Prozesse zu bewältigen, die es aufnehmen musste. „Wir konnten schnell auf neue Entwicklungen reagieren, statt uns starr an einen vorab festgelegten Plan zu halten“, sagt er. „Integrationsmacher: innen“-Projekt in Torgau: Macher und Projektleiter Mike Brendel hat Pädagogik studiert. Er ist seit 2010 als Entwickler und Leiter von Projekten zur Demokratieförderung, Konfliktbearbeitung, Bildung und Prävention unterwegs; das Thema Integration ist ihm vertraut. An der Projektidee aus der Stadt Torgau fand er sofort Gefallen: für die Kommune einen digitalen Wegweiser für die Integration zu entwickeln. 20.000 Einwohner hat Torgau in Sachsen; in einem Stadtteil leben Menschen aus 32 Herkunftsländern. Das Problem wie in anderen deutschen Städten auch: Die meisten Formulare, Websites und Broschüren von Firmen, Behörden und Vereinen liegen nur in deutscher Sprache vor-- darunter Informationen, die kritisch sind für eine erfolgreiche Integration. Formulare und Sprache bilden Barrieren für geflüchtete Menschen, die erst seit kurzer Zeit in der Stadt leben. Reportage | Fünf „Macher: innen“ machen die Integration einfacher 30 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0066 Bei der Stadt Torgau reifte der Entschluss, die Informationen digital und mehrsprachig in einer App und im Internet anzubieten. Mike Brendel übernahm die Projektleitung. Er kam gemeinsam mit der hauseigenen IT-Abteilung schnell zu Erkenntnis, dass der Übersetzungsaufwand weit weniger aufwändig war als vermutet. Mit seinem Team verwendete er ein digitales Tool, das die Informationen in die gängigsten Sprachen übersetzt (Nebeneffekt: Dieses Tool übersetzt nun auch die gesamte Webpräsenz der Stadt). Dolmetscher für andere Sprachen fanden sich im Lokalprojekte-Netzwerk. Das Ergebnis: Ankommende Menschen finden viele Sprachen vor, was für die Allermeisten eine Brücke baut in die neue Heimat. Mike Brendel sah sich in diesem Projekt am richtigen Platz. „Meine Stärken liegen in meiner Fähigkeit zur partizipativen Arbeit mit Menschen, die in einen Themenkreis involviert sind“, sagt er. Als Coach ist es ihm ein Anliegen, „Menschen auf ihrem Weg zu begleiten, zu unterstützen und persönliche Hindernisse zu überwinden.“ Christine Prokop-Scheer fügt an: „Sind Informationen barrierefrei verfügbar, fördert dies die Eigenständigkeit für Migranten und Geflüchtete.“ „Integrationsmacher: innen“-Projekt in Stralsund: Samar Salman, geboren und aufgewachsen in Syrien, hat an der Universität Damaskus Elektrotechnik studiert. Vor acht Jahren kam sie nach Deutschland, absolvierte hier einen Masterstudiengang- - und weiß aus Erfahrung, wie schwierig es ist, sich nach der Ankunft in der neuen Heimat zurechtzufinden. Für die Stadt Stralsund hat sie das Projekt „Interaktive Stadtkarte zur Integration“ geleitet. Die digitale Stadtkarte weist den Weg zu zahlreichen Angeboten für Informationen und Beratung, ein hilfreiches Angebot besonders für geflüchtete Frauen und Mädchen. Die digitale Stadtkarte ist heute verfügbar in vielen Sprachen, die in Stralsund gesprochen werden, beispielsweise Arabisch, Polnisch, Russisch oder Englisch. „Ich kenne die Probleme, vor denen geflüchtete Frauen und Mädchen bei ihrer Ankunft und Integration stehen“, sagt Samar Salman, „deswegen wollte ich mit Leidenschaft und Engagement neu zugewanderte und geflüchtete Frauen und Mädchen unterstützen.“ Durch ihr Projekt entdeckte sie selbst ihre Heimatstadt neu. „Viele Angebote kannte ich selbst nicht“, sagt sie, „das Wissen über diese Angebote hätte mir so viel weitergeholfen, als ich damals hier angekommen bin.“ „Integrationsmacher: innen“-Projekt im Burgendlandkreis: In der Integrationsarbeit wirken viele Akteure aus Gesellschaft, lokaler Wirtschaft und Verwaltung zusammen. Die komplexe Kommunikation und die Interaktion zwischen den Beteiligten gelten als Achillesferse erfolgreicher Integrationsarbeit. Zum einen wechseln häufig Mitarbeiter und Akteure. Zum anderen fehlt es an Info-Ressourcen, oder es bestehen Unsicherheiten in der Zusammenarbeit. Der Burgendlandkreis (Sachsen-Anhalt) wollte deshalb die Beteiligten besser zusammenführen und ihre Kommunikation verbessern. In dem ländlich geprägten 175.000-Einwohner-Landkreis ergab sich daraus ein Projekt: das „Netzwerk Integration“. Das Projekt bringt die Akteure zusammen, hilft Informationen zu verteilen-- was am Ende auch die Beratung von Geflüchteten verbessert. Zudem trägt eine digitale Plattform dazu bei, die Arbeit des Netzwerks zu verstetigen, Wissen trotz der Fluktuation zu bewahren und die Verbindungen zwischen den Akteuren zu halten. Projektleiterin und Integrationsmacherin Naemi Pfendt entstammt selbst einer ländlichen Region bei der Lutherstadt Wittenberg: der Dübener Heide. Eineinhalb Jahre war sie hier als Freiwillige in einem Jugendverband tätig. Dann entschied sie sich, Sozialmanagement zu studieren. „Für mich war diese Ausbildung eine tolle Kombination von Sozialem, Organisation und Wirtschaft“, sagt sie, „ich habe sie dann mit einem weiterbildenden Studiengang im Bereich Innovations- und Changemanagement ergänzt.“ Diese Leidenschaft für ländliche Heimat und sozialwirtschaftliche Projekte weckten ihr Interesse für das Projekt in Burgenlandkreis. „Gerade der ländliche Raum braucht vernetzende Strukturen, um sein sozialwirtschaftliches Potenzial auszuschöpfen“, sagt sie. Zudem ist Naemi Pfendt ausgesprochene Teamplayerin. „Mich begeistert es, wenn Menschen aufeinander zugehen und in Kooperation Probleme anzugehen, statt sich allein ‚abzustrampeln'“, sagt sie, „ich bin in einer Großfamilie aufgewachsen. Das hat mir gezeigt, welche Bedeutung gute und offene Kommunikation hat.“ Fünf Projekte. Fünf Verwaltungen. Fünf Macherinnen und Macher. Dennoch ist für die Fachkräfte der Weg in die Verwaltung nicht immer leicht. „Unsere Macher: innen erlebten auch Herausforderungen, etwa bei Hierarchie und Erwartungsmanagement“, sagt Christine Prokop-Scheer. Um diesem „Kulturschock“ vorzubeugen, bereitete Lokalprojekte sie vor. Zudem stellte ihnen das Unternehmen Helfer zur Seite, unter anderem einen „Paten“ aus der jeweiligen Verwaltung, für die sie ihr Projekt leiteten. Dr. Christine Prokop-Scheer, Geschäftsführerin der Lokalprojekte gGmbH, zieht eine positive Bilanz aus der Initiative. „Aus unserer Sicht haben sich alle Projekte für alle Beteiligten gelohnt“, sagt sie. Foto: Samuel Mindermann Reportage | Fünf „Macher: innen“ machen die Integration einfacher 31 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0066 „Wir haben festgestellt, dass auch die Patinnen und Paten aus der Verwaltung von den Projekten profitiert haben“, erklärt Christine Prokop-Scheer. So berichteten Paten, dass sie während des Projekts ihre Behörde besser kennengelernt haben- - auch hinsichtlich der Frage, wie man die Projekte mit ihrer sechsmonatigen Laufzeit schnell startet und in den Arbeitsmodus bringt. „Sie haben erlebt, wie wichtig Kommunikation, Vernetzung und Führungskompetenz sind“, sagt Christine Prokop-Scheer. Zudem erkannte man in der Verwaltung: Solche Projekte haben eine Signalwirkung und senden einen Innovationsimpuls in die Verwaltung und die Stadtgesellschaft hinein. „Aus unserer Sicht haben sich alle Projekte für alle Beteiligten gelohnt“, sagt Christine Prokop-Scheer, „die Projektbeteiligten konnten erfolgreiche Zusammenarbeit erleben, wirksam lokale Herausforderungen lösen und damit die Integrationsarbeit vor Ort besser und einfacher machen.“ Sie ist sich sicher, dass die fünf „Integrationsmacher: innen“-Projekte nicht nur Fachkräfte und Verwaltung verbinden, sondern auch einen hilfreichen Einfluss auf die Gesellschaft haben. Die Kommunen können dank der Projekte für die lokale Gesellschaft hochwertigere Informationen anbieten, Geschlechtergleichstellung verbessern, Ungleichheit abbauen, den digitalen Zugang zu Behörden erleichtern und durch gestärkte Verwaltungsstrukturen Frieden und Gerechtigkeit fördern. Deshalb profitieren von den Integrationsprojekten am Ende alle. Eingangsabbildung: Die Beteiligten aus den fünf Integrationsprojekten bei der Abschlussveranstaltung. Foto: Samuel Mindermann Anzeige In unserer heutigen Zeit, die geprägt ist von einer Vielzahl disruptiver technologischer und wirtschaftlicher Veränderungen, stehen Projekte im Fokus der Aufmerksamkeit. Für die Projektbeteiligten ergeben sich dabei immer öfter immense Herausforderungen. Dieses Buch bietet Ihnen in einer außergewöhnlich prägnanten Weise 365 Impulse für die Projektleitung, welche Sie zum (Nach-)Denken über Ihr eigenes Führungsverständnis, Ihre individuellen Wertevorstellungen und Ihr persönliches Handlungsgeschick in komplexen Projektsituationen anregen sollen. Martin Barth, Margit Sarstedt Impulse für die Projektleitung Mit 365 alten Weisheiten durch den Projektalltag 1. Au age 2024, 147 Seiten €[D] 19,90 ISBN 978-3-381-11971-4 eISBN 978-3-381-11972-1 Buchtipp Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ info@narr.de \ www.narr.de 32 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0067 Organisationale Agilität braucht eine individuelle praxisgerechte Umsetzung Agile Management Maturity Map AM 3 -- Reifegradlandkarte für agile Organisationen Hubertus C. Tuczek, Agnetha Flore, Helge F. Wild, Norbert Schaffitzel, Rüdiger Lang Für eilige leser | In der heutigen Managementwelt wird Agilität oft als Lösung für die dynamischen und unsicheren Bedingungen der VUCA-Welt betrachtet. Doch die anfängliche Begeisterung schlägt oft in Enttäuschung um, wenn erkannt wird, dass auf der Unternehmensebene das grundlegende Verständnis fehlt und die erhofften positiven Effekte nicht langfristig erreicht werden. Auf der Basis des entwickelten systemischen Ansatzes [1, 2] hat die Fachgruppe "Agile Management (AM)" der GPM ein Vorgehensmodell geschaffen, dass als Leitplanken für die individuelle Transformation zu Agilität genutzt werden kann. Die Agile Management Maturity Map AM 3 berücksichtigt, dass vollkommene Agilität nicht für jede Organisation angeraten oder gar möglich ist und somit vorab in einem strategischen Prozess der gewünschte Zielerreichungsgrad (Reifegradstufe) ermittelt werden muss. Schlagwörter | Business Agility, Organisational Agility, Systemic Agility, Agiles Mindset, Agile Techniken, Agiler Reifegrad, Komplexitätsmanagement, Selbstorganisation Die Fähigkeit von Organisationen als Ganzes agil zu agieren wird mit den Begriffen Business Agility, Organizational Agility oder Systemic Agility adressiert. Business Agility bezieht sich auf die Fähigkeit eines Unternehmens, sich schnell an die sich ändernden Marktbedingungen, Kundenanforderungen und interne Herausforderungen anzupassen, um Wettbewerbsvorteile zu erlangen oder zu erhalten. Grundlage hierfür ist die Konvergenz von unterschiedlichen Technologien wie Cloud und Edge Computing, Microservices und Künstlicher Intelligenz, die es ermöglichen, anpassungsfähige und flexible IT-Infrastrukturen aufzubauen [3].Im Kern geht es bei Business Agility darum, organisatorische Strukturen, Prozesse und Technologien so zu gestalten, dass sie adaptiv und reaktionsschnell sind. Das beinhaltet eine Verschiebung weg von starren hierarchischen Strukturen hin zu flexibleren, teambasierten Ansätzen wie DevOps, Design Thinking, Agile Methoden und Lean Management. Einige der Hauptströmungen, die zur Entwicklung des Konzepts der Business Agility beigetragen haben, sind: 1. Agile Methoden: Die Prinzipien und Praktiken agiler Softwareentwicklung, die in den 1990er Jahren entstanden sind, haben sich über die IT-Branche hinaus verbreitet und sind auf andere Bereiche des Unternehmens übertragen worden. 2. Lean Management: Die Prinzipien des Lean-Managements, die auf den Toyota-Produktionssystemen basieren und darauf abzielen, Verschwendung zu minimieren und kontinuierliche Verbesserung zu fördern, haben ebenfalls dazu beigetragen, die Idee der Business Agility zu formen. 3. Komplexitäts- und Systemtheorien: Konzepte aus der Komplexitäts- und Systemtheorie haben das Verständnis für die Dynamik und Unvorhersehbarkeit komplexer Systeme, einschließlich Organisationen, vertieft und die Notwendigkeit betont, sich an Veränderungen anzupassen und flexibel zu sein. Wissen | Agile Management Maturity Map AM³ - Reifegradlandkarte für agile Organisationen 33 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0067 4. Digitale Transformation: Die rasante Entwicklung von Technologien und die Verbreitung digitaler Geschäftsmodelle haben Unternehmen gezwungen, sich schneller anzupassen und agiler zu werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Organizational Agility oder Systemic Agility hingegen sind breitere Konzepte, die nicht nur die Agilität im geschäftlichen Kontext umfasst, sondern auch die Fähigkeit von Organisationen im Allgemeinen, sich in Bezug auf ihre Kultur, Prozesse und Strukturen flexibel anzupassen- - einschließlich der Aspekte Organisationskultur sowie Führung und Entscheidungsfindung. Hierbei steht ein menschenzentrierter Ansatz im Mittelpunkt, der die Selbstorganisation der Mitarbeitenden und Teams fördert. Diese Organisationen investieren in Formen von Experimentieren und Lernen, um den Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, sich schnell an Veränderungen anzupassen sowie innovativ und kreativ zu sein. Sie setzen auf flache Hierarchien, offene Kommunikation und eine Kultur der Zusammenarbeit, um sich in einem dynamischen und komplexen Umfeld erfolgreich zu behaupten und langfristigen Erfolg zu erzielen. Das Wachstum der Organisation basiert auf dem Wachstum der Individuen in der Organisation und der Entwicklung einer „Kollektiven Intelligenz“. Zukünftig wird auch die Künstliche Intelligenz Teil dieser Collective Intelligence werden und neue Potenziale eröffnen [4]. Park et al. [5] definieren Organizational Agility aus dem Zusammenspiel von Sensing Agility, Decision-Making Agility und Acting Agility. In diesem Modell bilden Business Intelligence- und Kommunikationssysteme die Basis für Sensing Agility, also der Wahrnehmung der Dynamik im Umfeld, wie auch für die Decision-Making Agility, die von dem Top Management Team (TMT) gelebt werden muss. Die Größe der Organisation Abbildung 1: Transformationsmodell für Agiles Management [1] habe dabei einen maßgeblichen Einfluss auf das Verhalten im Kontext von Agilität. Bronlet [6] baut seinen Ansatz zu Systemic Agility auf den sechs Elementen Sense of purpose, Management practices, Organisation practice, Information management, Agile methods and Agile behaviours auf und setzt sie in Beziehung zu einem VUCA-Umfeld. Anstelle einer Faktorenanalyse schlägt er einen Dynamic Causal Modelling (DCM) Ansatz vor, um die nichtlinearen kausalen Schleifen zwischen dem System und seiner Umgebung zu beschreiben. Wellbeing at work hat in seinem Modell einen wesentlichen Einfluss auf die Systemperformance, was dem Ansatz der Menschzentrierung entspricht. Bei der Recherche der bestehenden Ansätze für eine strukturierte Transformation zur Agilität von Organisationen sind die Autor: innen auf eine Vielzahl teils wissenschaftlicher und teils anwendungsbezogener Ansätze gestoßen. Keiner dieser Ansätze erfüllte jedoch zum einen den Anspruch nach einer umfassenden systemischen Betrachtung der Zusammenhänge und zum anderen einer praxisgerechten und für Unternehmen handhabbaren Umsetzungslogik. Diese beiden notwendigen Bedingungen für eine erfolgreiche Transformation haben wir versucht in dem hier beschriebenen Ansatz zu vereinen. 1 Reifegradlandkarte für agile Organisationen 1.1 Konzeption Der von den Autor: innen entwickelte und in diesem Beitrag beschriebene Ansatz der Agile Management Maturity Map AM 3 basiert auf dem systemischen Konzept der Synergetik von Hermann Haken [7, 8]. Der zugrundeliegende Wissen | Agile Management Maturity Map AM³ - Reifegradlandkarte für agile Organisationen 34 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0067 Abbildung 2: Dimensionen der Agile Management Maturity Map AM 3 Ansatz der Autor: innen für das Agile Management und das zugehörige agile Transformationsmodell-- siehe Abbildung 1-- wurde in früheren Beiträgen im Springer Verlag [1] und in der PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL [2] im Detail vorgestellt und diskutiert. Kernelemente sind drei Systemparameter, mit denen die Wirkungsweise eines Systems beschrieben werden kann (oberer Teil der Grafik). Auf Systemebene gilt das Organisationale Mindset (Mindset der Organisation als Ganzes) als einflussreichster Ordnungsparameter, der die Struktur und Wirkungsweise des Systems definiert. Auf Sub-System Level, der Teamebene kann das entsprechende Team Mindset beobachtet werden, das eine Vielzahl von Variationen aufweist und mit dem organisationalen Mindset in Einklang stehen kann, aber nicht muss. Die Rahmenparameter beschreiben den relevanten Kontext für die jeweilige Perspektive der Organisation oder des Teams / Individuums. Die Intervention (Kontrollparameter) muss so gewählt werden, dass sie Resonanz im System verursacht und wirksam werden kann. Im unteren Teil der Abbildung 1 ist der Dreiklang aus Mindset, Governance und Techniken dargestellt. Der Entwicklung eines agilen Mindsets als zentraler Ordnungsparameter kommt eine entscheidende Rolle zu. Operativ wirksam wird das Mindset durch die Umsetzung von Führungsgrundsätzen (Governance) zur Agilität, die in Abbildung 2 mit den sechs Dimensionen der Agile Management Maturity Map AM 3 beschrieben sind. Die Dimensionen der Reifegradlandkarte beschreiben den Handlungsrahmen für die Führungskräfte und die Organisation als Ganzes. Sie bilden ein zusammenhängendes und voneinander abhängiges Wirkungsgefüge, dass bei konsequenter Umsetzung organisationale Agilität entfaltet. Die Umsetzungslogik ist je nach Branche, Unternehmen oder Organisation im Allgemeinen individuell zu gestalten und äußerst facettenreich. Die im folgenden beschriebenen Reifegradstufen dienen der Orientierung für die Reise zur Vision der Agilität. In einem vorgelagerten strategischen Prozess zur Entwicklung der Vision für die jeweilige Organisation ist die jeweilige gewünschte und zielführende Agilitätsstufe zu ermitteln und als Zielbild zu vermitteln. Dies mag bei einem Softwareunternehmen in einem hochdynamischen Umfeld die maximale Reifegradstufe 5 sein, bei einem hardware-orientierten Unternehmen kann aber z. B. eine Reifegradstufe 3 mit einer hybriden Logik aus klassischen und agilen Elementen absolut ausreichend sein. Das Zielbild ist im Laufe der Zeit zu überprüfen und ggf. anzupassen. Die Grundlogik der 6 Dimensionen stellt sich wie folgt dar: Der Fokus auf den Kundennutzen stellt ein wesentliches Prinzip von Agilität dar. Um diesen in einem kollaborativen Ansatz zu erfüllen, muss die Organisation sich an dem zugehörigen Wertstrom zur Erbringung des Kundennutzen orientieren, was u. a. mit cross-funktionalen Teams / Organisationseinheiten für schnelle Reaktionen auf Marktveränderungen oder neue Kundenwünsche realisiert werden kann. Der iterativ-inkrementelle Ansatz stellt sicher, dass Produktänderungen zeitnah und einfach umgesetzt werden können. Die zugehörige Aufbauorganisation muss strukturell den Anforderungen an Agilität genügen. Um die Potenziale in der Organisation freizusetzen und agile Entscheidungen an dem Ort des Geschehens zu ermöglichen, muss die Führung die Selbstorganisation der Teams / Unternehmenseinheiten entwickeln und fördern. Erfolgreich bestehen und wachsen kann die Organisation in ihrem komplexen und dynamischen Umfeld nur mit einer Agilen Lernkultur, die Lernen im Kontext von Selbstorganisation unterstützt. Die verschiedenen Facetten auf dem Weg zur Agilität müssen in einem konzertierten, agilen Transformationsmanagement [9] (Transformationale Führung) kanalisiert werden, das in der Lage ist, die Menschen auf dieser Reise mitzunehmen und jederzeit auf Hindernisse zu reagieren. 1.2 Methodischer Ansatz Die Agile Management Maturity Map AM 3 wurde auf dem von den Autor: innen erstellten systemtheoretischen Ansatz für das Agile Management aufgebaut [1, 2]. Zur Erarbeitung der Dimensionen der Reifegradlandkarte und ihrer Ausprägung wurden in einem Zeitraum von 24 Monaten Expertenworkshops mit erfahrenen Praktikern durchgeführt, wobei das Kernteam aus den Autor: innen bestand. Die Erkenntnisse wurden in zeitlichen Abständen einem Review-Prozess in einem größeren Kreis unterzogen. In einem zweiten Schritt wurde die Reifegradlandkarte mit einer Literaturrecherche abgeglichen und verifiziert. Die Anwendung der Reifegradlandkarte erfolgt nach dem Prinzip eines Vorgehensmodells. Mit den sechs Dimensionen wird ein Raum für agile Organisationen aufgespannt. Die Ausprägung der jeweiligen Dimension wird mit je fünf Reifegradstufen beschrieben. Von Stufe 1 bis Stufe 5 nimmt der Grad der Agilität zu. In einem strategischen Prozess gilt es für Organisationen den Raum im Sinne eines gewünschten Zielzustandes zu interpretieren. Dieser kann für unterschiedliche Branchen und einzelne Unternehmen sehr unterschiedlich aussehen. Anschließend ist der Ist-Stand in einer Selbstbewertung zu ermitteln. Das Delta zwischen diesem Ist-Stand und dem gewünschten Zielzustand beschreibt den Transformationspfad zur jeweiligen organisationellen Agilität. Die Agile Management Maturity Map AM 3 folgt dem systemischen Ansatz und gibt in dieser Logik Hinweise, welche Schritte zu einem nächsthöheren Reifegrad führen. Dabei ist Wissen | Agile Management Maturity Map AM³ - Reifegradlandkarte für agile Organisationen 35 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0067 zu beachten, dass die Zusammenhänge für eine erfolgreiche Transformation einem komplexen Wirkungsgefüge aus den jeweiligen Rahmenparametern, den Kontrollparametern und den Ordnungsparametern in den verschiedenen Dimensionen bestehen, was in diesem Beitrag nur angedeutet werden kann. Im Folgenden werden die einzelnen Reifegradstufen in den verschiedenen Handlungsdimensionen näher erläutert, wobei mit dem Kundennutzen als Ausgangspunkt das agile Vorgehen gestartet wird. 2. Kundennutzen Die Zusammenarbeit mit dem Kunden ist ein zentraler Wert im agilen Manifest und gewinnt in einer Zeit, die von ständigem Wandel und zunehmendem Innovationsdruck geprägt ist, maßgeblich an Bedeutung. Früher herrschten auf dem Markt oft Stabilität und wenig Wettbewerb, doch heute sehen wir einen stetigen Zwang, die eigenen Marktanteile abzusichern und dem wachsenden Druck zur Innovation etwas entgegenzustellen. Dies hat direkte Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir den Kundennutzen wahrnehmen und mit unseren Kunden zusammenarbeiten. In diesem Kapitel werden die verschiedenen Reifegrade der Kundennutzen-Dimension beleuchtet und ihre Bedeutung für den Erfolg in dieser dynamischen Marktlandschaft erläutert. Abbildung 3: Dimension Kundennutzen In der ersten Stufe liegt der Fokus auf den grundlegenden Kundenbedürfnissen, und die Unternehmen verfolgen das Ziel dieser Nachfrage hinterherzukommen. Die Angebote und Güter werden demgemäß in den Markt von den Anbietern gedrückt (PUSH), weil damit zu rechnen ist, dass eine Abnahme der Güter im Markt gesichert ist. Im Kern ist das möglich, wenn ein Unternehmen eine starke Marktposition innehat und wenig Wettbewerbsdruck herrscht. Es genügt bei der Push-Strategie, dem Markt zu signalisieren, welcher Nutzen das Gut verspricht. Werbung und vielfältige Maßnahmen zur Verkaufsförderung dienen zur Unterstützung der Absatzsicherung [10, 11, 12]. Mit der zunehmenden Sättigung in den Märkten und dem veränderten Konsumentenvorlieben muss auch die Marktbearbeitungsstrategie angepasst werden. Die Unternehmen sind in steigendem Maß gezwungen, die Nachfrage der Konsumenten zu evaluieren und sich darauf strategisch auszurichten. Das gilt sowohl auf Seiten des Konsumgüterwie auch des Investitionsgütersektors mit einem stärkeren Fokus auf den Kundennutzen. Wichtigstes Ziel der Unternehmen in der Kundenmarktbearbeitung ist es nun, mit der Pull-Strategie die Produkte über Massenmedien publik zu machen, um so in höherem Maße Kundenbindung zu erzeugen. Indem man die eigenen Produkte mit positiv konnotierten Inhalten emotionalisiert absatztechnisch anpreist, schafft man es die Kunden durch die erhöhte Aufmerksamkeit an sein Angebot heranzuziehen (PULL) [10, 11, 12]. In den weiteren Stufen gewinnen Unternehmen eine fortschrittlichere Ausrichtung auf den Kundennutzen, indem sie sich stärker auf den Kundenmehrwert konzentrieren und spezifische Produkte für verschiedene Kundengruppen entwickeln. Dies erfordert eine engere Kundenbindung und ein besseres, zielgerichtetes Verständnis für die grundlegenden Anforderungen der Kunden, um echten Nutzen zu schaffen. Innovationsaspekte nehmen bei den Produkten einen immer höheren Stellenwert ein, weil es immer mehr darum geht, im weltweiten Wettbewerb signifikante Vorteile zu erzeugen [19]. Aber auch im Bereich des Konsumgütermarketings wird Innovation immer wichtiger für den Markterfolg, sodass ganze Werbekampagnen auf diese Innovationskraft von Unternehmen aufgesetzt wurden. Man denke in diesem Zusammenhang nur an den Erfolg der Kampagne von Audi unter dem Slogan „Vorsprung durch Technik“; wo das neue Marketingparadigma programmatisch bündig zusammengefasst wurde [13-19]. Auf der vierten Stufe befinden sich Unternehmen in einem volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen (VUCA) Marktumfeld, wo kontinuierliche Produkt- und Prozessinnovationen erforderlich sind. Die Kundenpartnerschaft rückt in den Fokus, und Unternehmen entwickeln Produkte gemeinsam mit ihren Kunden, um deren Erwartungen zu erfüllen oder zu übertreffen. Jetzt ist es das Ziel, die jeweiligen Interessen gemeinsam in ein für beide Seiten vorteilhaftes Gesamtinteresse zu verweben. Beide Seiten artikulieren damit den gegenseitigen Vorteil als permanentes Entwicklungsziel ihres partnerschaftlichen Austausches. Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass es in diesem Kontext ganz entscheidend ist, zu verstehen, welche Kundenprobleme die eigentliche Herausforderung darstellen (Customer Pain Points) und welche Chancen sich daraus ergeben [20-24]. Auf der höchsten Stufe des agilen Kundennutzens stehen Unternehmen in einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit ihren Kunden. Es entsteht eine co-evolutorische Kundenbindung, da Unternehmen nur erfolgreich sein können, wenn sie innovativ und kundenzentriert agieren. Produkte werden gemeinsam mit den Kunden als individuelle Lösungen entwickelt, die nicht nur Erwartungen erfüllen, sondern Begeisterung hervorrufen und die ganzheitliche „Customer Experience“ im Fokus haben. War die vorherige Reifestufe noch durch das Ansinnen eines partnerschaftlichen Austausches geprägt, geht man nun in dieser Reifephase zu einer noch stärkeren Durchdringung des Zusammenspiels von Anbieter und Abnehmer über. Diese enge Zusammenarbeit ermöglicht Wissen | Agile Management Maturity Map AM³ - Reifegradlandkarte für agile Organisationen 36 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0067 es Unternehmen, gemeinsam mit ihren Kunden zu wachsen und sich kontinuierlich weiterzuentwickeln [25-27]. 3. Wertstromorientierung Kernaspekt von Agilität ist das Schaffen von echten Werten. Diese Perspektive ist auch in anderen Konzepten vorhanden, die Agilität nahestehen, wie zum Beispiel dem Lean-Konzept [29] oder dem Critical-Chain-Projektmanagement (CCPM) [30]. So geht es in dieser Dimension der Wertstromorientierung darum, wie die Schaffung von Werten im Durchlauf durch die Organisation gestaltet ist [31]. Abbildung 4: Dimension Wertstromorientierung Sehr niedrig entwickelte Organisationen sind nach einer tayloristischen Logik aufgebaut und strukturiert. Es ist folgerichtig, dass nach dieser Wahrnehmung eine Organisation in Funktionsbereiche unterteilt wird, welche sehr hohe Effizienzgrade bezogen auf ihre spezifischen Aufgaben erreichen sollen. Die ursprüngliche Logik des Taylorismus und dem ihm nahestehenden „Scientific Management“ ist eine Wahrnehmung beherrschbarer Prozesse und klar erkennbarer Kausalzusammenhänge sowie eines sehr vereinfachten Menschenbildes der in diesen Prozessen Arbeitenden [32]. Sie ist gekennzeichnet durch eine stark tayloristische Arbeitsaufteilung. Der Fokus liegt auf funktionalen Bereichen. Hierbei wird Arbeit in isolierten Paketen vergeben, und die Optimierung beschränkt sich auf lokale Bereiche, ohne Berücksichtigung des gesamten Wertschöpfungsprozesses (Level 1). Eine weiterentwickelte Organisation befasst sich aus diesen Effizienz- und Qualitätsgründen mit klar definierten Prozessen und prägt eine Prozessorientierung aus. Organisationen auf dieser Stufe haben ihre Arbeitsabläufe strukturiert und Mitarbeiter verstehen ihre Rollen innerhalb dieser Prozesse. Die Effizienz, Effektivität und Qualität sind ausbalanciert, jedoch immer noch primär auf die Einhaltung interner Standards ausgerichtet (Level 2). Die bis zu diesem Punkt skizzierte Form einer Organisation zielt ab auf Produktions- oder Handelsvorgänge. Fernab von rein digitalen Produkten und Dienstleistungen sind heutzutage jedoch bereits konventionelle Produkte und ihre Herstellungsprozesse Gegenstand permanenten Innovationsdrucks, stets neue Produkte und Lösungen zu präsentieren. In der Folge ist die Wertschöpfungslogik stark verändert. Der Zeitpunkt der Wertfeststellung ist wesentlich näher an der Festlegung des Produktionsprozesses. Je kreativer der Output, je größer daher die Varianz im Herstellungsprozess und je digitaler der Output, desto drastischer kann dieser Effekt werden. Organisationen, die in ihrem Geschäftsmodell dieser Logik unterworfen sind, zielen ab auf Wertstromorientierung [33]. Sie beginnen zu erkennen, dass Wertströme und nicht bloß einzelne Prozesse oder Funktionen im Zentrum der Wertschöpfung stehen sollten. Die Betonung liegt auf der Schaffung von Kundenwert. Dem Lean-Gedanken folgend, werden Mitarbeiter ermutigt, aktiv an der Gestaltung der Wertströme teilzunehmen (Level 3). Agilität wurde notwendig, weil Entwicklungen schnell zu sichtbaren Erfolgen führen konnten. Das war das Prinzip von digitalen Produkten. Dies ermöglichte zuvor nicht erlebtes, nämlich die- - oft ungenutzte- - Möglichkeit schnell Kundenfeedback zu erhalten. Diese Reifegradstufe erweitert den Blickwinkel durch die regelmäßige Einbindung und Rückmeldung von Kunden. Organisationen erforschen aktiv die Wahrnehmung und Erwartungen ihrer Kunden. Mitarbeitende entwickeln ein tiefes Verständnis dafür, wie sie als Schöpfer und Interpreten von Wertströmen, Produkten und Märkten fungieren. Zu optimieren ist unter anderem die Zeit, die verstreicht, bis Kundenfeedback auf innovative Entwicklungen erlangt werden kann (Level 4). In einer höchsten Ausbaustufe ist der Kunde, oder die Wahrnehmung seiner Präferenzen integraler Bestandteil cokreativer, integrierter Wertströme [34]. Eine selbstorganisierte Zusammenarbeit über bisherige organisationale Grenzen hinweg entwickelt Produkte sowie die Organisationen und ihre Wertströme gleichermaßen. Teams haben die Freiheit sowie die Ressourcen und Entscheidungsbefugnisse, die Wertströme nach Bedarf zu steuern (Level 5). 4. Iterativ-inkrementeller Ansatz Die zunehmende Komplexität von Produkten und die rapide Evolution digitaler Technologien fordern Organisationen heraus, ihre Produktentwicklungsprozesse kontinuierlich zu adaptieren [35, 36]. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Integration und effektiven Nutzung der Möglichkeiten der schnellen, übergreifenden Kooperation in den Wertstromprozessen. Hierbei wird vor allem wichtig, von digitalen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Ähnlich wie Kommunikation und schnelle Umsetzung im vorigen Abschnitt als wesentliche Aspekte der Digitalisierung Treiber für Agilisierung sind. Auf der ersten Stufe des Reifegradmodells dominieren klare, stark strukturierte Prozesse mit bereits ausgestaltetem Anforderungsmanagement. Zuständigkeiten sind deutlich definiert und durch zentrale Standards gestützt. Die zweite Stufe markiert den Einstieg in die Digitalisierung, wo digitale Tools partiell zur Modellierung von Produkten und Prozessen herangezogen werden. Die Einführung funktionsübergreifender Teams fördert die Kommunikation und Kooperation, was letztlich zu schnelleren Lieferzyklen führt. Wissen | Agile Management Maturity Map AM³ - Reifegradlandkarte für agile Organisationen 37 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0067 Im einfachsten Fall werden Pläne zu Produkten digital gestaltet und verwahrt. Im Kern geht es aber bereits darum, dass idealerweise nur noch live an dem jeweils aktuellen Plan gearbeitet wird. Ab der dritten Stufe werden Digital Twins zur Simulation von Produkten und Produktionsabläufen genutzt. Diese Stufe zeichnet sich durch eine ausgeprägte Koordination verschiedener Entwicklungszyklen und die Verankerung von Lebenszyklus-Verantwortlichkeiten aus [37]. Digital Twins dienen als primärer Anker über alle betrieblichen Bereiche hinweg und unterstützen eine kundenzentrierte, effektive Produktentwicklung. Die vierte Stufe integriert Hardware- und Softwareentwicklung durch synchronisierte Zyklen. Die Konvergenz und Integration von Digital Twins steigert die Verbindung zwischen Lösungen, Modellen, Produkten und Komponenten. Änderungen an Produkt- und Produktionsprozessen können über den gesamten Lebenszyklus iterativ implementiert werden, unterstützt durch eine nahezu ununterscheidbare Verwendung von Digital Twins und realen Produkten. Auf der höchsten Stufe des Modells werden Werkzeuge und digitale Zwillinge umfassend und frei zugänglich genutzt. Die kontinuierliche Integration verschiedener Ströme und die Minimierung von Vorlaufzeiten für Experimente und Integrationen stehen im Vordergrund. Die Organisation fokussiert sich auf Kundenproduktbündel, wobei Experimente mit Digital Twins essenziell für die effektive, iterative und inkrementelle Entwicklung sind. Ziel ist es, Work in Progress auf eins zu minimieren und die Markteinführungszeit zu verkürzen. 5. Agile Organisation Ausgangspunkt für eine Organisation, die als Ganzes agil werden möchte, sind auch die dafür vorliegenden Rahmenbedingungen, also wie agil die Organisation selbst ist. Unter Organisation wird hier die Aufbauorganisation eines Unternehmens verstanden. Ausgangspunkt ist, was viele spüren-- sowohl Mitarbeitende als auch Führungskräfte, dass die Art und Weise, wie in traditionell hierarchischen Organisationen gearbeitet wird, in Abbildung: 5: Dimension Iterativ-inkrementelle Vorgehensweise Abbildung 6: Dimension Agile Organisation der heutigen Welt nicht mehr funktioniert. Frederic Laloux fordert in „Reinventing Organizations“ zu einem grundlegenden Umdenken in der Art und Weise auf, wie Unternehmen geführt und organisiert werden, und bietet eine Vision für eine zukunftsfähige und menschenzentrierte Arbeitswelt. [39]. Die Evolutionäre Organisation baut nach seinen Vorstellungen auf Selbstführung mit dezentraler Entscheidungsfindung, Mitarbeitenden, die ihre ganze Persönlichkeit in die Arbeit einbringen können, und einem klaren, übergreifenden Zweck oder einer Mission, die sich im Laufe der Zeit organisch weiterentwickelt, auf. Auch viele andere Autor: innen beschäftigen sich mit der Transformation einer klassischen zu einer agilen Organisation hin [z. B. 40-44]. Diese kann ggfs. sogar in einer Soziokratie oder Holokratie münden, bei denen Hierarchien weitgehend abgebaut sind und stattdessen auf transparente und partizipative Beteiligungsmöglichkeiten baut. Bei diesen Formen der Organisationen stehen anstatt klassischer Führungspositionen/ -ebenen Rollen und / oder Kreise im Fokus. Die Art der übergreifenden Kollaboration wird mit den Führungsgrundsätzen Konsent (Art der Entscheidungsfindung) und doppelte Verbindung (die Vernetzung von Kreisen über zwei Personen) gelöst [45]. Im Folgenden wird die schrittweise Entwicklung der Organisation mit fünf Reifestufen beschrieben. Auf der untersten Ebene liegt noch eine klassische Organisationsstruktur mit einer vertikalen Ausrichtung vor. Dabei herrscht das Prinzip des Arbeitens in (funktionalen) Silos. Auch das Management legt Wert auf klassische Organisations- und Projektmanagementansätze. Das heißt, bei allen Mitarbeitenden der Organisation liegt ein klassisches Mindset vor und Expertenwissen und Effizienzoptimierung in den Bereichen steht im Mittelpunkt [38]. Auf dem zweiten Level gibt es bereits erste einzelne agile Elemente. Dafür muss festgelegt werden, in welchen Bereichen agil gearbeitet werden soll. Es kann auch erste bereichsübergreifende agile Projekte geben und eine kollaborative Zusammenarbeit in einer Matrix-Organisation ist denkbar. Das Management hat bereits einen Entwurf einer agilen Strategie und initiiert erste agile Schulungen. Ein gewisser Prozentsatz des Teams arbeiten bereichsübergreifend agil zusammen, Wissen | Agile Management Maturity Map AM³ - Reifegradlandkarte für agile Organisationen 38 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0067 wodurch erste Ansätze von agilem Mindset in den Teams und / oder durch Multiplikatoren entsteht [38, 42]. Level 3 entspricht der Agilität in einer hybriden Organisationslogik. Dabei wird die Matrix-Organisation überlagert von fluiden / temporären Organisationsstrukturen. Objectives and Key Results (OKR) werden partiell auf agiler Basis eingeführt und die Arbeitsorganisation in den Teams unterstützt den Wertstromfluss aus einer Kundenzentrierung heraus. Das Management fördert die Selbstorganisation, es fokussiert time-to-market und andere agile Ziele und es findet eine situationsbezogene Einbindung des Managements statt. Auf dieser Ebene gibt es bereits ein weiter verbreitetes agiles Mindset, insbesondere bei den Führungskräften und es entstehen gemeinsame agile Werte. Die Organisation entwickelt langsam ein eigenes organisationales agiles Mindset [38, 40, 42]. Die Agilität als dominierendes Organisationsprinzip ist Basis des Level 4 bei dem die Prozesse unternehmensweit für eine agile / hybride Struktur adaptiert bzw. eingeführt werden. Die Zielvereinbarung (KPI / OKR) der Organisation ist übergreifend auf agil angepasst und die agilen Einheiten sind in das Gesamtunternehmen mit einer neuen Organisationslogik integriert. Der vollzogene Rollenwechsel des Managements ist ein integraler agiler Bestandteil. Das Flight Level Modell von Klaus Leopold [40] beschreibt anschaulich die verschiedenen Handlungsebenen einer Organisation von der Arbeitsebene (1) über die Koordinationsebene (2) zur strategischen Ebene (3). Das Management wird bedarfsorientiert auf den Ebenen 2 und 3 in die agile Vorgehensweise eingebunden. Auf Level 4 der Dimension agile Organisation ist auch der Tipping Point für ein organisationales agiles Mindset überschritten. Auf der letzten Stufe liegt eine holistisch agile Organisation vor. Dabei ist die Arbeit bereichs- und hierarchieübergreifend organisiert (schnittstellenübergreifende Kollaboration im Sinne von Netzwerken). Ebenso gibt es umfassende Entscheidungsbefugnisse für die Teams, wodurch Höchstleistungen in den Teams ermöglicht werden soll. Das Management lebt das agile Mindset vor und treibt die Weiterentwicklung durch permanente Selbstreflexion voran. Auf diesem Level hat sich ein agiles Mindset zur übergreifenden Kollaboration eingestellt und es herrscht eine durchgängige Kultur der Offenheit und Kollaboration [45]. 6. Führungsprinzip Selbstorganisation In dieser Dimension geht es um das Thema Führung. Welche Führungsprinzipien braucht eine immer agiler werdende Organisation? Können althergebrachte Führungsprinzipien weiter angewendet werden oder bedarf es anderer Ansätze und Vorgehensweise? Genau diese Fragen werden mit den verschiedenen Leveln dieser Dimension beantwortet. Auf dem ersten Level liegt noch eine klassische hierarchische Führung vor. Die Verantwortung liegt demnach noch allein bei den Führungskräften und dieses behalten auch die alleinige Kontrolle über Entscheidungen und setzen die Ziele ohne wesentliche Beteiligung der Mitarbeitenden. Auf diesem Level betrachten die Führungskräfte die Selbstorganisation nicht als zielführend und sind überzeugt von dem Top-Down- Ansatz [47]. Auf Level 2 kommt es zu erster funktionsübergreifender Teamverantwortung. Hier entstehen Expertenkarrieremodelle parallel zur Führungskarriere, um den Wissenserwerb im Abbildung 7: Dimension Führungsprinzip Selbstorganisation Unternehmen zu stärken. Die Expert: innen bringen ihr Knowhow mit in die Ziel- und Entscheidungsfindung mit ein. Das heißt die Führungskräfte lassen sich hierbei beraten, behalten aber die Entscheidungshoheit. Das Know-how der Expert: innen wird als Führungsunterstützung akzeptiert. Es wird aber weiterhin nach einem Top-down-Ansatz gearbeitet [48]. Eine generelle funktionsübergreifende Zusammenarbeit entsteht auf Level 3, bei der die Organisation es schafft, Anreize für das Teilen von Wissen zu schaffen, und die offene Gemeinschaft fördert, um die Entwicklung der Selbstorganisation zu unterstützen. Die Mitarbeitenden haben die Freiheiten im Rahmen der vorgegebenen Leitplanken eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen und Teams tragen Verantwortung gegenüber mehreren Interessensgruppen. Das heißt, die Organisation hat begonnen, Experimente und Eigeninitiative bei der Selbstorganisation zu ermutigen, wobei die Führungskräfte Teilverantwortung an die Teams abgeben. Die Selbstorganisation wird nun von den Führungskräften als förderlich und vorteilhaft angesehen. Die Führungskräfte fördern die proaktive Zusammenarbeit und den übergreifenden Erfahrungsaustausch [49, 53]. Auf Level 4 fördert die Führung proaktiv die Selbstorganisation. Das heißt, selbstorganisierte Führung wird in die Struktur der Organisation integriert und ist ein Bestandteil der Arbeitsorganisation. Auf dieser Stufe ist die geteilte Verantwortung bereits Teil des Führungsprinzips. Das zeigt sich, in dem Führungskräfte den Teams die Kontrolle über ihre eigenen Entscheidungen in ihrem Verantwortungsbereich überlassen und somit die Selbstorganisation auf Team- und Abteilungsebene fördern. Die Führungskräfte erarbeiten daher die Ziele gemeinsam mit den Mitarbeitenden. Die Selbstorganisation wird inzwischen als integraler Bestandteil der Führungskultur betrachtet und die gemeinsame Zielentwicklung ist ein zentrales Element der Mitarbeitermotivation [50, 51]. Auf dem obersten Level- - der Reifegradstufe 5- - finden wir eine unternehmensweite Agilität vor. Selbstorganisation und partizipative Führung sind in die Unternehmensvision integriert und treiben Innovation, kontinuierliche Verbesserung und die Transformation der Organisation voran, wobei die jeweils kompetenteste Person die Führung übernimmt. In dieser Phase arbeiten die Mitarbeitenden sowie die Teams selbstge- Wissen | Agile Management Maturity Map AM³ - Reifegradlandkarte für agile Organisationen 39 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0067 steuert, wobei die Unterstützung der Personalentwicklung und Führungskräfte zur Verfügung steht. Die Führungskräfte arbeiten weiterhin an der Optimierung der Rahmenbedingungen für die Teams und coachen diese. Inzwischen sind Selbstorganisation und partizipative Führung zentrale Werte der Organisation und prägen die Unternehmenskultur. Führen und geführt werden sind hochgradig adaptive Konzepte für die Organisation [54, 55]. 7. Agile Lernkultur Durch die ständig wachsenden Veränderungen in der Arbeitswelt muss sich auch die Lernkultur massiv anpassen und wird zur Kernkompetenz für eine erfolgreiche Zukunft von Unternehmen. Denn durch eine steigende Komplexität und disruptiven Veränderungsprozessen wird das Lernen immer wichtiger und muss vor allem auch immer schneller erfolgen. Auch die Tatsache, dass Veränderungen immer öfter gestartet werden müssen, bevor ein finales Ergebnis vorliegt, verlangt Mitarbeitenden neue Metakompetenzen und den Umgang mit Ambiguität ab. Das Lernen wird anspruchsvoller, zeitintensiver und situativer, wodurch eine individuelle Abstimmung des Lernens auf Mitarbeitenden-Ebene sinnvoll ist [46, 51-55]. Nachfolgend stellen wir eine mögliche Entwicklung der Lernkultur für Unternehmen auf fünf Reifegradstufen vor. Abbildung 8: Dimension Agile Lernkultur Mitarbeitende bekommen Freiraum, eigene Lernaktivitäten zu realisieren, das Lernen als Teil der Zukunftssicherung verstanden wird. Daher wird vom Management immer mehr Wert auf strukturiertes Lernen gelegt. Ein proaktives Lernen im Selbststudium wird dann auf Level 3 erreicht. Die individuelle Expertise unter Mitarbeitenden zu teilen, wird incentiviert und erfolgt häufig über digitale Plattformen. Dadurch und durch Angebote von HR stehen Lernangebote in vielfältigen Formaten zum Selbstlernen zur Verfügung. Dabei kann auch jeder in seinem Lernverhalten experimentieren, da das Management zu einer Fehlerkultur ermutigt. Das heißt das Lernen wird kollaborativ, übergreifend und proaktiv, da eine positive Fehlerkultur eine wichtige Triebkraft für organisationales Lernen wird. Auf Level 4 kommt es zum Lernen im und mit dem Team. Das heißt, dass Lernen bereits alltäglicher Bestandteil der Arbeitsorganisation bzw. des Arbeitsalltags ist. Die Teams und die Mitarbeitenden entscheiden eigenständig über Art, Inhalte, Form und Zeitpunkt des Lernens. Das heißt, das Team steuert das Lernen und entscheidet über die Priorisierung der Lernmaßnahmen (nicht mehr das Management). Es herrschen also ideale Bedingungen für individuelles Lernen und Team-Lernen. Somit findet das Lernen kontinuierlich und direkt an der Wertschöpfung statt. Auf dem höchsten Level-- dem Level 5-- entsteht ein organisationales Lernen. Lernen findet in selbstgesteuerten Teams und Communities im Arbeitskontext statt. Es wurden auch Lernunterstützungsrollen etabliert (z. B. Agiler Lerncoach). Diese sind Teil der Aufbau-Organisation. Das Lernen ist selbstgesteuert in Abstimmung mit dem Team, unterstützt durch die Personalentwicklung und ggfs. das Management. Auf diesem Level ist Lernen zentraler Wert der Organisation und organisatorisches, teambezogenes und individuelles Wachstum gehen Hand in Hand. Fazit Die Agile Management Maturity Map AM 3 spannt einen agilen Raum für Organisationen auf, die sich Richtung organisationaler Agilität entwickeln wollen. Das Besondere an diesem Ansatz liegt in der Kombination einer ganzheitlichen systemischen Betrachtungsweise und der Perspektive aus der Unternehmenspraxis. Aus der Realität von existierenden Organisationen ergibt sich die Logik, nicht Agilität über alles zu stellen, sondern einen maßgeschneiderten Ansatz für den jeweiligen externen und internen Kontext zu finden. Um eine dauerhafte Entwicklung zu einer agilen Organisation zu erreichen, gilt es jedoch hierbei die systemtheoretischen Abhängigkeiten zu verstehen und zu berücksichtigen. Die Agile Management Maturity Map AM 3 bietet hierzu eine Orientierungshilfe. Literatur [1] Tuczek, H., Flore, A., Nuhn, H., and Schaffitzel, N.: A systematic approach to agile management and self-organization for a sustainable transformation of organizations. In: Ronggui, D; Wagner, R; Bodea, C. N. (Eds.): Research on Project, Programme and Portfolio Management. Projects as Arena for Self-organizing. 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Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0067 [2] Tuczek, H., Flore, A., Nuhn, H., Schaffitzel, N.: Agiles Management-- ein systemischer Ansatz. In: PMaktuell, Ausgabe 3 / 2022, S. 53-59 [3] Heisterberg R., Verma A.: Creating Business Agility: How Convergence of Cloud, Social, Mobile, Video, and Big Data Enables Competitive Advantage, Wiley, 2014 [4] Oswald, A., Flore, A., Lang, R., Nuhn, H.: Collective Intelligence von KI und Mensch in der Projektarbeit-- Ein Rahmenwerk auf der Basis von ICB 4.0 und Management 4.0. In: Bernert, C., Scheurer, S., Wehnes, H.: KI in der Projektwirtschaft- - Was verändert sich durch KI im Projektmanagement? UVK Verlag, 2024. [5] Park, Y.; El Sawy, O. A. & Fiss, P.: The role of business intelligence and communication technologies in organizational agility: a configurational approach. 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Agnetha Flore ist seit April 2020 im Zentrum für digitale Innovationen Niedersachsen tätig und hat dort im Oktober 2021 die Geschäftsführung übernommen; studierte Diplom-Kauffrau und promovierte Wirtschaftsinformatikerin; über 20 Jahre Tätigkeit in der Finanzdienstleistungsbranche; 2017 Zertifizierte Projektmanagerin (GPM); 2019 Zusatzzertifikat Hybrid+; 2019 Dozentin IBS Oldenburg für agiles Projektmanagement, 2019 GPM Fachgruppe Agiles Management und seit 2021 mit in der Fachgruppenleitung tätig. Anschrift: ZDIN Escherweg 2 26 121 Oldenburg Telefon: 0441 / 9722 - 102 eMail: agnetha.flore@zdin.de Helge Wild Helge Wild ist Professor für Digital Business Engineering der Wilhelm Büchner Hochschule Darmstadt und Leiter der Fachgruppe Agile Management. Er ist Wirtschaftsinformatiker (TU Darmstadt), promovierte zum Thema temporärer Organisationsformen an der EBS Universität und arbeitet seit 2008 als Unternehmensberater selbständig und für namhafte Unternehmensberatungen, üblicherweise in Digitalisierungsprojekten zum Umgang mit ihren organisationalen Herausforderungen. Anschrift: Wilhelm Büchner Hochschule Hilpertstraße 31 64 295 Darmstadt Internet: www.wb-fernstudium.de eMail: helge.nuhn@wb-fernstudium.de ORCID: https: / / orcid.org / 0000-0002-8835 - 676X Wissen | Agile Management Maturity Map AM³ - Reifegradlandkarte für agile Organisationen 42 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0067 Norbert Schaffitzel Diplom-Kaufmann Norbert Schaffitzel arbeitet seit 1988 in der IT. Nach Stationen in der Anwendungsentwicklung bei der Software AG und in der IT-Beratung bei einer IT-Servicetochter der IBM Deutschland GmbH ist er seit 1996 als Projektmanager bei der DB Systel GmbH, dem IT-Dienstleister der Deutschen Bahn AG, tätig. Seit 2012 gilt sein Hauptaugenmerk den Möglichkeiten und dem Einsatz von agilen Methoden in Projekten und für Organisationen. Auf Grund dieser Schwerpunkte ist er seit 2014 Mitglied der GPM Fachgruppe Agiles Management und hier auch Mitautor des Handbuches „Management 4.0: Handbook for agile Practices“. Anschrift: DB Systel GmbH Jürgen-Ponto-Platz 1 60 329 Frankfurt am Main Telefon: +49 69 265 18 340 eMail: norbert.schaffitzel@deutschebahn.com Rüdiger lang Rüdiger Lang studierte Mathematik und Informatik in Glasgow und Heidelberg und schloss das Studium mit Diplom und Master ab. Seit 2013 ist er Mitglied der GPM Fachgruppe Agile Management. Er ist Principal bei der Consileon Business Consultancy GmbH und verantwortlich für die Themen Strategie, Künstliche Intelligenz sowie Business Development. Seit mehr als 25 Jahren begleitet er Unternehmen in den Branchen der Finanzindustrie, Automobil und im Einzelhandel bei der Transformation. eMail: ruediger.lang@consileon.de Internet: www.consileon.de Dieser Band zeigt, wie KI die Projektwirtschaft neugestaltet werden kann und welche Herausforderungen in Projekten sich damit innovativ und effizient meistern lassen. Mit den Schwerpunktthemen KI-Einsatz in konkreten Anwendungen, in der Forschung zu KI Start-ups für Projektmanagement, Veränderung der Rollen in den Unternehmen durch KI sowie Portfolio und Mustererkennung wird der Fokus auf konkrete praxisnahe Anwendung gelegt. Es wird dargelegt, wie erfolgreiche Umsetzungen aus der Forschung in die Anwendung durch Start-ups gelingen können. Christian Bernert, Steffen Scheurer, Harald Wehnes (Hrsg.) KI in der Projektwirtschaft 2 Eine neue Ära der Ef zienz und Innovation Projektmanagement neu denken 1. Au age 2024, 331 Seiten €[D] 49,90 ISBN 978-3-381-11141-1 eISBN 978-3-381-11142-8 Buchtipp Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ info@narr.de \ www.narr.de Anzeige 43 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0068 Projektportfoliomanagement mit Künstlicher Intelligenz und Big Data Einsatzmöglichkeiten und Potenziale Frank Liebermann Für eilige leser | KI bringt wesentliche Effizienzsteigerungen im PPM mit sich, indem es Prozesse automatisiert. Durch die Analyse von aktuellen und historischen Daten kann es Muster erkennen und Trends prognostizieren. So wird es möglich, frühzeitig Probleme zu erkennen, was proaktive Interventionen ermöglicht. Verbesserungen gibt es auch bei der Entscheidungsfindung, da sich diese durch Daten unterlegen lassen. EDA ist ein statistischer Ansatz zur Entdeckung von Datenmustern und Hypothesenbildung. KI kann EDA zugänglicher machen, indem sie Daten analysiert und Muster erkennt. Die Anwendung von EDA ermöglicht eine realistischere Planung, Trendvorhersagen und die Identifizierung von Projekterfolgsfaktoren. Schlagwörter | Künstliche Intelligenz im Projektportfoliomanagement, Big Data, technologischer Wandel, Explorative Datenanalyse, Zukunft des PPM 1. Einleitung Die Verwaltung eines Projektportfolios ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Die Komplexität ergibt sich aus verschiedenen Faktoren. Die Gründe liegen in den Abhängigkeiten zwischen den Projekten begründet und den ständigen Veränderungen und Unsicherheiten auf technologischer, prozessualer und organisatorischer Ebene [1]. Künstliche Intelligenz (KI) bietet Potenziale, die sich auf das Projektportfoliomanagement (PPM) auswirken. In den Disziplinen des PPM können signifikante Optimierungen erzielt werden. Warum ist das so? Projektportfolios enthalten eine Vielzahl von Informationen. In der alten Welt wurden diese mit Reportingtools, PPM-Software und Business-Intelligence- Lösungen ausgewertet. Diese Auswertungen erfordern Knowhow, das meist eng mit der spezifischen IT-Landschaft verbunden ist. Gerade in großen Unternehmen mit divisionalen Strukturen, Konzernbereichen oder Silos entsteht eine Komplexität, die nicht gewünscht ist. Ziele des PPM Das PPM verfolgt drei gleichrangige Hauptziele. An erster Stelle steht die strategische Ausrichtung (z. B. Markterweiterung, Produktentwicklung, Digitalisierung), die sicherstellt, dass die Projekte das Unternehmen optimal unterstützen. Der effiziente Einsatz von Ressourcen (Personal, Finanzen, Sachmittel) und die Machbarkeit sind die nächsten Aspekte. Fehlt beispielsweise das Know-how in Form von Mitarbeitern, kann die Umsetzbarkeit gefährdet sein. Das dritte grundlegende Ziel ist die Maximierung des Unternehmenswertes im Sinne des Unternehmenszwecks, z. B. durch die Erwirtschaftung hoher Erträge [2]. Je nach Situation können weitere Kriterien hinzukommen, wie die Identifikation von Synergien, die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit oder die Optimierung des Shareholder Value. Herausforderungen im PPM Unternehmensumfelder und Arbeitswelten sind dynamisch und instabil, Veränderungen bilden die Regel. Die Anzahl der Einflussfaktoren ist merklich gestiegen genauso wie Kundenanforderungen [3]. Damit ein PPM Wirkung erzielt, muss es die Komplexität der Umwelt abbilden. Projektportfoliomanager sehen sich mit drei typischen Herausforderungen konfrontiert. Diese haben technische, organisatorisch-prozessuale oder inhaltliche Ursachen. Technische Limitationen haben ihre Basis häufig in der fehlenden Integration von Systemen, Daten und Prozessen. Dieses Problem ist oft bei Großunternehmen anzutreffen. Jede Organisationseinheit baut eine eigene Infrastruktur mit Software, Datenformaten und Schnittstellen auf und optimiert Wissen | Einsatzmöglichkeiten und Potenziale 44 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0068 sich. Eine Integration ist dann meist schwierig. Es entstehen Inkonsistenzen, die zu einer mangelnden Datenqualität und zu uninformierten Entscheidungen führen. Hinzu kommt, dass die zunehmende unternehmerische Komplexität zu einer wachsenden Datenmenge führt, die ohne den Einsatz von Technologie schwer zu bewältigen ist [4]. Portfolios sind dynamische Konstrukte, die sich nicht in festen Zyklen planen lassen [5]. Da ein PPM in die Prozesse eines Unternehmens eingebunden ist, führt eine fehlende Abstimmung zu Problemen (Finanzen, Beschaffung, Produktentwicklung), da das Portfolio die unternehmerische Realität nicht oder verspätet abbildet. Ein weiteres Problem stellen heterogene Bereichsportfolios und unterschiedliche Projekttypen dar. Die Aggregation gestaltet sich schwierig, da sie auf verschiedenen Daten basieren, die von den spezifischen Anforderungen der Projekte und den angewandten Methoden abhängen (ein Bauprojekt benötigt andere Daten als ein IT-Projekt). Die Entwicklung einheitlicher Metriken und Strukturen ist herausfordernd. Oftmals bilden sie den kleinsten gemeinsamen Nenner. Die Steuerungsmöglichkeiten sind limitiert. Entscheidungsträger werden mit Informationen konfrontiert, die kaum Mehrwert bieten. Inhaltliche Mängel bestehen, wenn eine gute Informationsqualität nicht vorhanden ist. Diese lässt sich mit den Kriterien (Genauigkeit, Objektivität), Kontext (Relevanz, Vollständigkeit), Repräsentation (Interpretierbarkeit, Format) und Zugänglichkeit charakterisieren [6]. Damit eine PPM-Akzeptanz erreicht wird, muss es Daten liefern, die diesen Anforderungen genügen. Fehlen einzelne Attribute (z. B. Vollständigkeit oder Aktualität), fehlt der Mehrwert. KI bietet Möglichkeiten, die Effizienz und Effektivität des PPM zu verbessern. Sie kann Probleme lösen, indem sie bekannte Prozesse automatisiert und Zusammenhänge durch explorative Datenanalysen aufdeckt. Fragestellung Dieser Text zeigt auf, welche Chancen die Explorative Datenanalyse (EDA) und Big Data in Kombination mit KI liefern. Anschließend wird die Frage beantwortet, was für KI Einsatzmöglichkeiten im PPM vorhanden sind und wie es bei der Bewältigung der Portfolioaufgaben helfen kann. 2. Explorative Datenanalyse und Big Data EDA ist ein Ansatz in der Statistik, der darauf abzielt, die Hauptcharakteristika von Datensätzen zu entdecken, Muster Abbildung 1: Datendimensionen [adaptiert nach (7)] Abbildung 2: Machine Learning im PPM zu erkennen, Anomalien zu identifizieren und Theorien für weitere Analysen zu bilden, bevor man spezifische statistische Modelle anwendet. Im Gegensatz zu konfirmatorischen Datenanalysen, die vordefinierte Hypothesen testen, ist die EDA offen und sucht nach dem, was die Daten offenbaren, ohne vorher festgelegte Vermutungen. Sie dient als Werkzeug am Anfang des Analyseprozesses, um ein besseres Verständnis für die Datenstruktur zu gewinnen, fehlende Werte oder Datenfehler zu erkennen und relevante Fragen zu entwickeln [7]. Dies ermöglicht nicht nur ein tieferes Verständnis von Projektzusammenhängen, sondern auch eine realistischere Planung des Aufwands unter Einbeziehung historischer Daten. Die Auswertung großer Datenmengen erleichtert das Erkennen von Mustern. Die Entstehungs- und Verarbeitungsgeschwindigkeit beschreibt die Velocity. In zahlreichen Anwendungen ist Echtzeitverarbeitung erforderlich, um schnelle Entscheidungen zu ermöglichen. EDA und KI können tagesaktuelle Analysen erstellen und bei Trendvorhersagen helfen, die das Portfolio widerstandsfähiger gegen Marktentwicklungen oder interne Herausforderungen machen. Variety steht für Datenvielfalt. Die Integration verschiedener Datenquellen (Finanzsysteme, Projektplanungstools, Berichte, Zeiterfassung) ermöglicht eine umfassendere Sicht auf das Projektportfolio und unterstützt Auswertungen, die über klassische Metriken hinausgehen. Veracity stellt die Konsistenz und Richtigkeit der Daten sicher. Da Informationen oft erst spät im Finanzsystem verarbeitet werden, führen Portfoliomanager eine Schattenbuchhaltung, die nicht mit den Werten in den IT-Sys- Wissen | Einsatzmöglichkeiten und Potenziale 45 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0068 temen übereinstimmt, obwohl diese die Realität besser abbilden. Solche Daten kann KI integrieren. Value beschreibt den Mehrwert. Es geht darum, greifbare Vorteile zu generieren, wie beispielsweise Kosteneinsparungen, Effizienzsteigerungen und eine verbesserte Projektleistung. Variabilität erklärt Schwankungen und Veränderungen, die in den Daten auftreten, sei es durch saisonale Entwicklungen oder andere externe Einflüsse. Visualisierung hat zum Ziel, Daten in eine Form zu bringen, die für das Erkennen von Mustern, Trends und Zusammenhängen entscheidend ist. Visualisierungstools können dabei helfen, komplexe Daten in verständliche Diagramme und Dashboards umzuwandeln, die die Entscheidungsfindung unterstützen. Machine Learning als Teildisziplin der KI macht EDA-Statistik Laien zugänglich, da sie die Arbeit im Hintergrund erledigt. Sie kann Datensätze aus abgeschlossenen, laufenden und geplanten Projekten aus unterschiedlichen Quellen (Umfang, Datenmenge) analysieren. Der große Mehrwert der explorativen Datenanalyse liegt in der kombinierten Anwendung der 7V (vgl. Abb.2). Die meisten Erkenntnisse ergeben sich aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Elemente. Clusteranalysen können neue Zusammenhänge aufdecken. Dies ermöglicht es Managern, erfolgreiche Projektmerkmale zu identifizieren und das Wissen auf zukünftige Projekte zu übertragen. Ebenfalls lassen sich wiederkehrende Fehler entdecken und eliminieren. Die Bildung von Projektclustern hilft die risikoreichen von sicheren Projekten zu separieren. Darauf basierend lässt sich das Ressourcenmanagement optimieren, genauso wie das Tracking von Risiken und der Einsatz eines Controllings. 3. KI Einsatz im PPM Die nachstehende Grafik zeigt die wesentlichen Grundfunktionen des PPM. Dabei bilden sie einen Regelkreis, der sich wechselseitig beeinflusst. Hier sind exemplarisch die wichtigsten Disziplinen dargestellt, in denen KI einen Mehrwert bringen kann. Demandmanagement Primäres Ziel des Demandmanagements ist die Ausrichtung von Projekten und Initiativen auf die strategischen Unternehmensziele. Dabei muss es den Bedarf erkennen und typische Verbrauchsmuster identifizieren [8]. Der Prozess beginnt mit der systematischen Erfassung aller Anforderungen an Projekte und Technologien. Jede Anfrage wird hinsichtlich ihrer Ziele, Nutzen, Kosten und Ressourcen dokumentiert. Es folgt eine Bewertung anhand definierter Kriterien [9]. Ein Element des Demandmanagements ist der Genehmigungsprozess. Hier geben Entscheidungsträger Vorhaben frei, die in das Portfolio kommen. Darüber hinaus spielt die Ausbalancierung des Portfolios eine Rolle. Bestreben ist, eine ausgewogene Mischung von Projekten. Risiko, Ertrag, strategische Bedeutung und Ressourcenverfügbarkeit sind zu beachten. KI kann die systematische Erfassung und Dokumentation von Anträgen unterstützen, indem sie große Datenmengen aus unterschiedlichen Quellen analysiert und relevante Informationen extrahiert. Durch den Einsatz von Natural Language Processing (NLP) ist es möglich, Projektdokumente automatisch zu analysieren und zu kategorisieren. Dies reduziert den manuellen Aufwand und verbessert die Datenqualität. Ebenfalls kann KI Simulationen und Analysen erstellen, um die optimale Zusammensetzung des Projektportfolios zu ermitteln und auszubalancieren. Die Fähigkeit, verschiedene Szenarien zu modellieren und deren Auswirkungen zu untersuchen, hilft Unternehmen, bei der Entscheidungsfindung. Damit verbunden ist der Genehmigungsprozess. Durch die automatisierte Bewertung von Projekten anhand definierter Kriterien können KI-Systeme Vorschläge unterbreiten, welche prioritär sind (siehe Priorisierung). Ebenfalls kann KI historische und aktuelle Daten analysieren. Durch die Prognose von Trends, Marktbedingungen und internen Anforderungen, können Organisationen Ressourcen und Kompetenzen rechtzeitig bereitstellen. Priorisierung Für die Projektpriorisierung bestehen unterschiedliche Möglichkeiten. Zuerst ist eine Differenzierung nach Muss (gesetz- Abbildung 3: Grundfunktionen des PPM Wissen | Einsatzmöglichkeiten und Potenziale 46 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0068 liche Vorgaben, Einhaltung von Normen) und Kann (Produktentwicklung, Umsatzsteigerung) vorzunehmen [10]. Da die Muss-Projekte nicht zur Diskussion stehen, erfolgt in einem folgenden Schritt die Priorisierung der verbleibenden. Hier sind verschiedene Kriterien relevant. Für den wirtschaftlichen Nutzen sind Amortisationszeit, Umsatz, Gewinn oder Kosten zu betrachten. Strategische Themen sind Beiträge zur Unternehmensstrategie, Wettbewerbsvorteile, Kostensenkungen, Kundenzufriedenheit und Reputationsgewinn. Weitere Merkmale beziehen sich auf die Machbarkeit von Projekten, z. B. die Verfügbarkeit von Ressourcen, Technologien und Know-how. Als letztes Cluster lässt sich prüfen, ob Probleme entstehen, wenn das Projekt nicht realisiert wird, z. B. in Form von Verlust von Marktanteilen, erhöhten Risiken oder Imageverlust [10, 11]. Die Fülle an Kriterien für die Priorisierung erzeugt eine hohe Komplexität. Machine Learning und Deep Learning sind in der Lage, aus großen Datenmengen Muster zu erkennen, die für Menschen nicht ohne weiteres sichtbar sind. Ein gewichtiger Einflussfaktor sind historische Daten. So wissen erfahrene PPM-Mitarbeiter oft, welche Projekte risikobehaftet sind, ob ein Projektleiter für das Thema geeignet ist oder ob kommunizierte Finanzzahlen erreichbar sind. Dieses Know-how lässt sich oft nicht mit Fakten belegen, weshalb diese Informationen unter den Tisch fallen. KI-Systeme können aus vergangenen Projekten lernen und Hypothesen verifizieren und diese mit Daten begründen. Auf dieser Basis lassen sich Priorisierungsstrategien kontinuierlich optimieren. Hier ist menschliches Eingreifen notwendig, um die relevanten Daten aus den Clustern zu extrahieren und eine Relevanzbewertung vorzunehmen. Der Mehrwert für die Priorisierung ist beträchtlich. Durch die grössere Datenvielfalt ergeben sich neue Prognosemöglichkeiten und eine Entlastung der PPM-Mitarbeiter durch die Automatisierung. Ressourcenmanagement Das Ressourcenmanagement muss eine optimale Balance zwischen überlappenden Projekten finden und gleichzeitig die Verfügbarkeit der richtigen Ressourcen sicherstellen [12]. Das Ressourcenmanagement arbeitet eng mit dem Demandmanagement zusammen, um die benötigten Mitarbeiter, finanziellen Mittel, Ausrüstungen, Technologien und Räumlichkeiten zu beschaffen. Im nächsten Schritt ist der spezifische Bedarf zu erheben, sprich Art, Menge und Zeitraum, in dem die Ressourcen zum Einsatz kommen. Diese sind den Projekten zuzuordnen. Die Projekte sind zu diesem Zeitpunkt idealerweise priorisiert, sodass die wichtigen Projekte bei der Ressourcenzuteilung die höchste Priorität haben. Während der Projektlaufzeit ist ein Monitoring erforderlich, das bei Planabweichungen Anpassungen vornimmt. Da Aktualisierungen meist über Statusberichte erfolgen, sind einmal freigegebene Ressourcen häufig blockiert. Grund dafür sind verspätete oder fehlende Informationen. Hier KI kann von Nutzen sein. Wenn der Ressourcenbedarf mit den bestehenden abgestimmt ist, lassen sich Szenarien bilden, mit dem Ziel einen optimalen Mitteleinsatz zu gewährleisten. Ebenfalls ist es möglich aufzuzeigen, welche Ressourcen über- oder unterlastet sind und was bei einer Umpriorisierung geschieht. Ein weiterer Vorteil ist die Prognose des zukünftigen Bedarfs. Anhand von Projekten in der Pipeline lässt sich der Einsatz besser planen. Es können bei Engpässen automatisierte Beschaffungsaufträge erfolgen, die für die Bereitstellung der Ressourcen zum benötigten Zeitraum sorgen. Risikomanagement Im Gegensatz zum Risikomanagement auf Projektebene, das sich auf spezifische Risiken innerhalb eines einzelnen Projekts konzentriert, betrachtet es auf Portfolioebene die aggregierten Risiken über alle Projekte hinweg. Es gilt sicherzustellen, dass das Portfolio als Ganzes seine Ziele erreicht und zur strategischen Ausrichtung des Unternehmens beiträgt [13]. Dazu ist eine portfolioübergreifende Risikoidentifikation notwendig, die eine Analyse auf finanzieller, operativer und strategischer Ebene durchführt und interne und externe Faktoren berücksichtigt. Themen sind strategische, finanzielle oder operationale Risiken [14]. In der Bewertung sind diese hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und ihres Einflusses auf das Portfolio qualitativ und quantitativ zu prüfen. Die Bewertung bildet die Grundlage für die Priorisierung. Darauf aufbauend sind Maßnahmen zu formulieren und ein Tracking ist zu etablieren. KI kann die Datenmenge analysieren und Zusammenhänge aufdecken. Interdependenzen zwischen Projekten können das Gesamtrisikoprofil des Portfolios erhöhen oder verringern. Eine Bewertung auf Portfoliobasis ermöglicht die Gestaltung eines ausgewogenen Portfolios, das die Unternehmensziele unterstützt und die Risiken minimiert. Auf dieser Basis ist es möglich Risikocluster zu bilden, um den gewünschten Mix aus risikoreichen und risikoarmen Projekten zu erhalten. KI kann bei der Entwicklung von Kriterien helfen, die aufzeigen, wann ein Projekt zu stoppen ist. Durch den Abgleich von historischen mit aktuellen Projektdaten lassen sich Muster entdecken, die Aufschluss über den Erfolg eines Projekts geben. Darauf basierend entstehen Vorhersagemodelle, die kontinuierlich lernen und sich weiterentwickeln. Der Vorteil von KI-Analysen ist, dass diese frühzeitig während der Projektlaufzeit entstehen. Darauf basierend lassen sich Maßnahmen definieren oder Empfehlungen zum Abbruch aussprechen. Frühzeitige Interventionen sind möglich, und nicht erst, wenn das Projekt offensichtliche terminliche oder finanzielle Probleme hat. Controlling Das Controlling überwacht den Fortschritt und die Performance der Projekte und des Portfolios. Dazu gehört die Überprüfung von Meilensteinen, die Einhaltung von Budgets und Zeitplänen sowie die Bewertung der Qualität der Projektergebnisse. Das macht es möglich, Probleme frühzeitig zu identifizieren und Korrekturmaßnahmen einzuleiten. Das Controlling liefert Berichte über den Status des Portfolios, einschließlich Leistungsindikatoren, Risikostatus und Ressourcenverbrauch. Dies ermöglicht es den Entscheidungsträgern, informierte Entscheidungen zu treffen und es entsteht eine Kultur der Transparenz. [15] KI kann die Projektdaten in Echtzeit analysieren, inklusive den Zeitplänen, der Budgets, der Ressourcennutzung und den Fortschrittsberichten. Machine-Learning-Modelle erlauben es Trends in den Daten aufzudecken, die für das menschliche Auge nicht offensichtlich sind. Dies gibt eine bessere Einsicht in die Performance jedes Projekts und des Portfolios. Ebenfalls ist es möglich, kontinuierlich den Fortschritt der Projekte zu überwachen und Abweichungen von den geplanten Zeit- Wissen | Einsatzmöglichkeiten und Potenziale 47 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0068 plänen, Budgets und Leistungszielen zu erkennen. Durch die frühzeitige Identifizierung solcher Werte können Projektmanager proaktiv Maßnahmen ergreifen, um Projekte wieder auf Kurs zu bringen, bevor kleinere Probleme zu größeren Herausforderungen werden. 4. Fazit Die Anwendung der 7V in der EDA und KI ermöglicht es, Zusammenhänge besser zu verstehen und zu kommunizieren. Die Kombination dieser Elemente erzeugt neue Erkenntnisse, die es Managern ermöglichen, erfolgreiche Projektmerkmale zu identifizieren, Fehler zu eliminieren, das Ressourcenmanagement und das Risikotracking zu optimieren. Proaktive Handlungen werden frühzeitig möglich, was dem Scheitern von Projekten vorbeugt. Die Integration von KI in Unternehmensprozesse bietet weite Vorteile. Durch die Automatisierung manueller Prozesse im Demandmanagement, der Priorisierung, im Ressourcen- und Risikomanagement sowie im Controlling lassen sich Effizienz und Genauigkeit im PPM steigern. Gleichzeitig erlaubt es die Analyse großer Datenmengen durch KI Muster und Trends zu erkennen, was die Entscheidungsfindung verbessert. Darüber hinaus ermöglicht KI eine frühzeitige Identifizierung von Problemen in Projekten, was eine proaktive Intervention ermöglicht, um negative Auswirkungen zu minimieren. Die verbesserte Qualität der Entscheidungen trägt dazu bei, Unternehmensziele effektiver zu erreichen. Die Kombination traditioneller Analysemethoden mit KI-gestützten Ansätzen wie der EDA kann zusätzlich neue Erkenntnisse generieren und zu kontinuierlichen Verbesserungen beitragen. Insgesamt unterstützt die Integration von KI in Unternehmensprozesse eine effizientere und zielgerichtete Arbeitsweise. Durch die Nutzung von KI kann das PPM proaktiver, präziser und anpassungsfähiger gestaltet werden, was zu einem effizienteren Management und besseren Projektergebnissen führt. Insgesamt wird sich die Aufgabe des Projektportfoliomanagers verändern. KI erleichtert die Bewältigung von administrativen Aufgaben, vor allem im Bereich der Datenpflege und -analyse. Steuernde Aufgaben gewinnen an Bedeutung, was eine Aufwertung des PPMs in Unternehmen mit sich bringt. Literatur [1] Blichfeldt, Bodil Stilling & Pernille Eskerod (2008): Projectportfoliomanagement-There’s more to it than what management enacts. In: International Journal of Project Management 26.4 (2008): 357-365. [2] Lappi, Teemu; Aaltonen, Kirsi & Kujala, Jaakko (2019): Project governance and portfolio management in government digitalization. Transforming Government: People, Process and Policy, 13(2), 159-196. [3] Stephan, Mario (2015): Enterprise Performance Management: Grundlagen, Bestandteile und Anwendungszyklus, 21-35. In: Andreas Klein & Mario B. Stephan (Hrsg): Enterprise Performance Management, Haufe. [4] Bues, Joachim (2019): IT-Unterstützung im Projektportfolio-Management. Projektportfolio-Management: Strategisches und operatives Multi-Projektmanagement in der Praxis, 2019, S. 153-168. [5] Sterrer, Christian (2014): Das Geheimnis erfolgreicher Projekte: Kritische Erfolgsfaktoren im Projektmanagement-Was Führungskräfte wissen müssen, Springer. [6] Wang, Richard Y.& Strong, Diane M. (1996): Beyond accuracy: What data quality means to data consumers. Journal of management information systems, 1996, 12(4) S. 5-33. [7] Mayer-Schönberger, Viktor & Cukier, Kenneth (2013). Big Data: A Revolution That Will Transform How We Live, Work, and Think. Houghton Mifflin Harcourt. [8] Kleiner, Fritz (2023): IT Service Management: aus der Praxis für die Praxis. MITP. [9] Alonso, Igor Aguilar; Verdun, José Carrillo & Caro, Edmundo Tovar (2017): Description of the structure of the IT Demandmanagement process framework. International Journal of Information Management, 2017, 37 (1) S. 1461-1473. [10] Sterrer, Christian (2014): Auswahl der richtigen Projekte, professionelles Projektportfoliomanagement (PPM), S. 23-38. In Sterrer, Christian (Hrsg.): Das Geheimnis Erfolgreicher Projekte, Springer. [11] Artto, Karlos, et al. (2008): What is project strategy? International Journal of Project Management, 2008, 26 (1), S. 4-12. [12] Schwabe, Gerhard; Gerber, Michael & Huisgen, Philip (2007): Projektportfolio-Management. Der Implementierungsstand des PPMs in Schweizer Unternehmen, Solution Providers, 2007, Band 1, S. 1-39. [13] Crean, Alan (2024): Risk Management- - configuration considarations in PPM, Link: https: / / www.linkedin. com / pulse / risk-management-configuration-considerations-ppm-alan-crean-/ (Stand 02. April 2024) [14] Schwarz, Alexander & Alter, Wolfgang (2024): Umgang mit Risiken im Projektportfoliomanagement. Erfolgreiches Projektportfoliomanagement, Link: https: / / www. projektivisten.de / fileadmin/ _migrated / content_uploads / Erfolgreiches-Projektportfolio-management. pdf#page=142 (Stand 02. April 2024) [15] Baumöl, Ulrike (2023): Business-IT-Alignment durch Projektportfolio-Management und-Controlling. HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik, 2007, 44. Jg., S. 71-81 Eingangsabbildung: © iStock.com / KTM_2016 Dr. Frank Liebermann Dr. Frank Liebermann hat an der Charles Sturt University in Australien promoviert. An der Universität Konstanz studierte er Informations- und Verwaltungswissenschaften. Mehr als 30 Jahre arbeitete er als Projekt-, Programm- und Portfoliomanager in verschiedenen Großunternehmen. Aktuell ist er als Studiengangsleiter an der Privaten Hochschule Wirtschaft (PHW) in Bern tätig. Anschrift: Dr. Frank Liebermann Max-Daetwyler-Platz 1 CH-3014 Bern frank.liebermann@phw.ch 48 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0069 Ansätze für ein organisationsübergreifendes Mandat Die Entfesselung des Project Management Office? Timo Braun, Joana Gerstle, Vincent Lächelt Für eilige leser | Project Management Offices (PMOs) haben sich im Laufe der Zeit kontinuierlich weiterentwickelt und professionalisiert. Trotz dieser Fortschritte müssen sie ihren Mehrwert für das operative Projektgeschäft und die gesamte Organisation ständig unter Beweis stellen und einen strategischen Beitrag aufzeigen. In der Praxis existiert eine große Vielfalt an PMOs mit unterschiedlichen Ausgestaltungen und Schwerpunkten, die jedoch meist innerhalb der Grenzen der eigenen Organisation agieren. Um PMOs zukunftsfähig zu machen und gleichzeitig eine neue Perspektive zu eröffnen, um die eigene Legitimation zu sichern, könnte eine Lösung darin bestehen, die Kompetenzbereiche so zu erweitern, dass ein überbetriebliches bzw. organisationsübergreifendes Agieren ermöglicht wird. Der vorliegende Beitrag basiert auf einer jüngst im Project Management Journal erschienenen Veröffentlichung [1] und stellt die daraus ableitbaren Konsequenzen für die Projektmanagementpraxis in den Mittelpunkt. Entsprechend werden die nötigen Schritte für ein „entfesseltes PMO“ aufgezeigt und erörtert, inwiefern eine schrittweise Heranführung einem überstürzten Handeln vorzuziehen ist, und dass je nach Kontext ein anderer PMO-Typ geeignet sein kann. Auch die Aufgaben für ein „entfesseltes PMO“ werden skizziert rund um das Selektieren, Regulieren, Allozieren und Evaluieren. Zum Ende des Beitrags wird kritisch beleuchtet, wie realistisch ein „entfesseltes PMO“ in der Praxis tatsächlich ist und wie wir uns diesem Typ weiter nähern könnten. Schlagwörter | Project Management Office (PMO), Projektnetzwerke, Kooperation, Zusammenarbeit, Netzwerke, Steuerung 1. Die Erfolgsgeschichte von Project Management Offices In den vergangenen Jahrzenten ist der Anteil der Projektarbeit in Organisationen gestiegen. Oft ist in dem Zusammenhang von einer „Projektifizierung“ [2] die Rede. Um die Projektaktivitäten besser managen zu können, setzen Unternehmen auf eine Bündelung von Projektmanagement-Kompetenz in Form eines oder mehrerer PMOs. Die in einem PMO konzentrierten Aufgaben und Kompetenzen unterscheiden sich jedoch erheblich. Dies ist mitunter abhängig vom spezifischen Kontext, dem Reifegrad des Projektmanagements in der Organisation und nicht zuletzt auch von strategischen, unternehmenspolitischen Fragen. Unstrittig ist die Bündelung von Kompetenz und Wissen im Projektmanagement sowie die Rolle von PMOs als Bindeglied zwischen der Strategie und dem operativen Projektgeschäft von Organisationen. So führen viele PMOs Qualifizierungsaktivitäten von Projektmanagern und anderen Fachkräften durch, die mit Projektmanagement-Aufgaben betraut sind. Darüber hinaus kann die Standardisierung des im Unternehmen eingesetzten Projektmanagements eine zentrale Aufgabe sein. Dazu gehören neben Zertifizierungen von Personen nach bestimmten Standards (wie IPMA / GPM) auch die Etablierung organisationsweiter Projektmanagement- Prozesse und Regularien, die Verbreitung von Vorlagen und Templates sowie die Einführung unternehmensweiter Projektmanagement-Tools. Auch die Etablierung eines einheitlichen Reporting mit Blick auf die im Unternehmen laufenden Projekte können von Bedeutung sein. Wissen | Die Entfesselung des Project Management Office? 49 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0069 Bei der Entwicklung von PMOs lassen sich verschiedene Entwicklungsstufen unterscheiden [3]. Ein einfaches PMO hat vor allem die Projektebene im Visier und stellt sicher, dass in der laufenden Projektarbeit organisationale Regularien und Prozesse umgesetzt werden, das Projektteam auf etablierte Methoden und Verfahren des Projektmanagement zurückgreift und Controlling-Instrumente implementiert werden. Es ist möglich und verbreitet, dass sich aus einem solchen Nukleus heraus ein PMO weiterausdifferenziert, indem es z. B. mit zusätzlichen Aufgaben und Kompetenzen ausgestattet und die Professionalisierung weiter vorangetrieben wird. Für diese Entwicklungsphase gibt es viele branchenübergreifende Erfolgsbeispiele. Gleichzeitig führt das damit in der Regel verbundene Wachstum von PMOs auch dazu, dass der Legitimationsdruck steigt. PMOs müssen immer wieder nachweisen und begründen, warum eine Konzentration von Aufgaben notwendig erscheint, und worin genau der Wertbeitrag zum operativen Geschäft besteht. Mit voranschreitender Entwicklung von PMOs wird die projektübergreifende Perspektive immer wichtiger. Hierbei rücken das Programm- und Portfoliomanagement in den Mittelpunkt. Dadurch ergeben sich neue, zusätzliche Aufgaben für das PMO wie die Bewertung und Priorisierung von Projekten basierend auf ihrem Beitrag zu den strategischen Zielen und der Ressourcenverfügbarkeit, die Entwicklung einer Projektportfoliostrategie, oder auch die Optimierung der Ressourcenzuweisung über alle Projekte und Programme hinweg, um den Nutzen zu steigern und Engpässe zu vermeiden. In seiner maximalen Ausbaustufe fungiert das PMO als strategischer Berater und Kompetenzzentrum für Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement in der gesamten Organisation. Typische Aufgaben umfassen beispielsweise die Entwicklung und Förderung von Best Practices, innovativen Methoden und Tools im Projektmanagement, die Etablierung von Entwicklungsprogrammen für Projektmanager, die Einführung von organisationsweiten Qualitätsstandards für Projekte und Programme sowie auch den Aufbau und die Verwaltung einer Wissensbasis für das Projektmanagement, die den Austausch von Wissen und Erfahrungen fördert. Es ist anzumerken, dass PMOs auf unterschiedliche Weise in Organisationen entstehen können. Es existieren zwar Vorbilder und typische Vorgehensmodelle beim Aufbau eines PMOs, an denen sich die Beteiligten orientieren. Dennoch zeigt sich in der Praxis, dass sich PMOs in der Realität dann doch sehr häufig aus der operativen Arbeit und den Notwendigkeiten vor Ort entwickeln und keinem starr geplanten Prozess folgen [4]. Die Entstehung von PMOs in einer Organisation sollte dabei aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden, da mitunter parallel zur Professionalisierung eines PMO auch ein organisationaler Wandel stattfindet. Denn während die Notwendigkeit einer Standardisierung von Projekt- und Projektmanagementpraktiken innerhalb einer Organisation zunächst die Etablierung eines PMO rechtfertigt, können in der Folge weitere Transformationsbedarfe entstehen, die durch die Arbeit des PMO zu Tage treten (beispielsweise an der Schnittstelle von Projekt- und Stammorganisation). Viele PMOs sind in der Lage, mit genau dieser Situation kompetent umzugehen, weil sie flexible und partizipative Ansätze nutzen, um Spannungen konstruktiv zu lösen [5]. Die Entwicklung eines PMO folgt damit keinem klassischen Lebenszyklus, wie es trotz der neuen Erkenntnisse in der Literatur häufig noch angenommen wird, sondern bezieht sich immer auf den Kontext und die spezifischen Gegebenheiten des Unternehmens. Auch wenn PMOs immer wieder im Zwang stehen, ihr eigenes Dasein zu legitimieren, so können sie insgesamt als Erfolgsgeschichte gelten. Sie tragen dazu bei, die Effizienz und Effektivität des Managements von Projekten durch standardisierte Prozesse, klare Kommunikation und eine zentrale Steuerung zu verbessern. PMOs können insofern für eine bessere Ressourcennutzung, ein besseres Risikomanagement und eine strategisch konsistente Ausrichtung sorgen. Zudem fördern sie die kontinuierliche Verbesserung und Innovation im Projektmanagement. Durch ihre Fähigkeit, Projekte und Programme zu koordinieren und die strategischen Ziele der Organisation zu unterstützen, können PMOs damit zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen. 2. Projekte enden nicht an den Organisationsgrenzen Trotz ihres Potenzials und der zunehmenden Professionalisierung von PMOs stoßen diese auch an Herausforderungen und Barrieren. Dies hat einerseits zu tun mit dem schon beschriebenen Rechtfertigungs- und teilweise auch Rationalisierungsdruck. Andererseits stoßen PMOs auch an Grenzen ihres Wirkungs- und Einflussbereichs. Denn während die Aufgaben- und Kompetenzbereiche von PMOs auf einzelne Organisationen bzw. deren Anteil am Wertschöpfungsprozess begrenzt sind, so zeigt die Praxis, dass eine Vielzahl von Projekten mitnichten an den Organisationsgrenzen enden. Vielmehr sind Projekte heutzutage in sehr vielen Fällen überbetrieblicher bzw. organisationsübergreifender Natur [6]. Dies trifft sowohl auf IT-Projekte zu, bei denen der Kunde mit externen Dienstleistern, Service-Anbietern und Trainern kooperiert wie auch auf Bauprojekte, die mitunter in eine Vielzahl von Gewerken zerlegt werden, an denen dann eine große Bandbreite an Organisationen arbeitet, darunter Planungsbüros, Projektsteuerer und ausführende Unternehmen. Eine sehr ähnliche Situation zeigt sich in vielen weiteren Branchen, beispielsweise in der Telekommunikation, der Fernsehproduktion, Luft- und Raumfahrttechnik, Energiewirtschaft, Automobilindustrie oder der Beratung. Die Vielfalt der Kooperationspartner steigert auch die Komplexität der Projekte, denn die zunehmende Zahl an Beziehungen und der erhöhte Koordinationsaufwand ist eine herausforderndere Aufgabe als bei einer rein internen Projektabwicklung. Beispielsweise zeigen Studien der Organisationsforschung, dass Wissen nicht nur innerhalb von Projekten, sondern häufig auf einer Netzwerkebene fließt [7]. Vor diesem Hintergrund kommen PMOs als Wissensvermittler in Betracht, der auch über die eigene Organisation hinaus agieren könnte. Denkbar wäre auch ein als Change Agent agierendes PMO, das dazu beiträgt, auf notwendige Änderungsanforderungen zu reagieren und neue (strategische) Ausrichtungen, nicht nur einer einzelnen Organisation, sondern beispielsweise eines ganzen organisationsübergreifenden Projektnetzwerks zu ermöglichen [8]. Da Projekte vermehrt in solchen Kontexten durchgeführt werden, ist der Fokus auf eine einzelne Organisation jedenfalls nicht mehr hinreichend. In einem sehr kürzlich veröffentlichten Beitrag [1] wird vor diesem Hintergrund beleuchtet, wie eine „Entfesselung“ des PMOs konkret aussehen und wie die Implementierung erfolgen könnte sowie Wissen | Die Entfesselung des Project Management Office? 50 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0069 welche Aufgaben solch ein organisationsübergreifendes PMO wahrnehmen könnte. 3. Ansatzpunkte für eine schrittweise Entfesselung Ein überbetriebliches PMO dürfte insbesondere für Organisationen in Betracht kommen, die bereits ein erfolgreiches PMO betreiben, das womöglich bereits einen hohen Reifegrad erreicht hat. Schwieriger vorstellbar ist die Initiierung und Etablierung eines organisationsübergreifenden PMOs, wenn die beteiligten Organisationen bislang wenig oder gar keine Erfahrungen mit PMOs im internen Bereich gesammelt haben. Vor diesem Hintergrund zeigen die nachfolgenden Typen die Möglichkeiten der „Entfesselung“ von PMOs. Dabei soll nicht suggeriert werden, dass der letzte Typ der beste und der erste Typ der schlechteste ist. Vielmehr sind in der Praxis alle vier Typen grundsätzlich möglich, und es kommt entscheidend auf den Organisations- und Netzwerkkontext bzw. die spezifischen Anforderungen an, die an das PMO gestellt werden. Entlang der folgenden Typen kann eine „Entfesselung“ des PMOs stattfinden: [1] typ 1 Vollständig intern: Das PMO agiert vollständig innerhalb der eigenen Organisationsgrenzen und beschäftigt sich ausschließlich mit den Projekten im eigenen Betrieb. Es handelt exklusiv im Auftrag einer einzelnen Organisation. Berührungspunkte nach außen beschränken sich z. B. auf Berücksichtigung von Kunden oder Zulieferern. Grund hierfür könnte z. B. eine hohe Komplexität der Projekte und damit einhergehende Schwierigkeit der Vereinheitlichung sein. Insofern handelt es sich hier allenfalls um eine erste Annäherung an einen organisationsübergreifenden Gestaltungsraum. typ 2 Vorsichtige Experimente: Das PMO handelt exklusiv im Auftrag einer einzelnen Organisation, erkennt jedoch das Potenzial, den Schritt über die eigene Grenze hinauszuwagen. Dies könnte zum Beispiel im Sinne von Wissensaustausch mit oder Teilnahme von externen Partnern bei einzelnen Prozessschritten oder Events geschehen. Dem liegt die Überlegung zu Grunde, keine zu großen Risiken einzugehen, sondern behutsam neues Terrain zu betreten. Im Falle eines Fehlschlags wäre es sodann auch möglich, zum vorherigen Status-quo relativ einfach zurückzukehren. typ 3 PMO mit einzelnen organisationsübergreifenden Aktivitäten: Das PMO ist weiterhin innerhalb einer Organisation angesiedelt, fördert und standardisiert jedoch vermehrt Kooperation und interorganisationalen Austausch. Beispielsweise könnte eine Einigung auf bestimmte Projektmanagement-Standards (z. B. IPMA / GPM) oder die Etablierung interorganisationaler Routinen die Zusammenarbeit reibungsloser und effizienter gestalten und das gegenseitige Verständnis über organisationale Grenzen hinweg fördern. Bei diesem Typ steht im Fokus, besonders aussichtsreiche Aktivitäten mit Synergiepotenzialen gemeinsam zu verfolgen. typ 4 Interorganisationales PMO: Das PMO ist keiner einzelnen Organisation vollständig zugeordnet, es setzt sich zusammen aus Akteuren verschiedener Organisationen. Es ist vollständig in einen organisationsübergreifenden Kontext eingebettet. Die beteiligten Organisationen tragen das PMO entweder gemeinsam und teilen sich die anfallenden Aufgaben untereinander auf-- oder sie etablieren eine neue Einheit, die beispielsweise gemeinsam finanziert und gesteuert wird. [1] Die vier Typen sollen als Ausdruck unterschiedlicher Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten betrachtet werden, für die PMOs ein Mandat übernehmen. Die Typologisierung ist dabei nicht zwangsläufig als ein linearer Entwicklungsprozess (von Typ 1 zu Typ 4) zu verstehen, auch wenn dies durchaus vorkommen kann. Auch ist Typ 4 nicht zwangsläufig effektiver, effizienter oder ausgereifter als die anderen. Vielmehr dürften die meisten PMOs in der Praxis immer noch unter Typ 1 fallen und den Anforderungen ihrer Organisation dennoch gerecht werden, zumal wenn sie die Herausforderungen eines organisationsübergreifenden Projektmanagements im Blick haben. Zudem birgt das interorganisationale PMO beim Typ 4 auch Spannungen und Hindernisse, die es zu überwinden gilt, bspw. da unterschiedliche Organisationskulturen und -standards zusammengebracht werden müssen und die Frage geklärt werden muss, aus welcher Kostenstelle das PMO als Organisationseinheit oder seine Leistungen bezahlt werden soll. Für viele Organisationen ist dieser Typ daher aktuell eher noch Fiktion. Wenn PMOs zunehmend in interorganisationalen Kontexten agieren, wird es jedoch unvermeidlich sein, sich um das Management dieser Beziehungen zu kümmern, und dafür können die Typen 2, 3 und 4 einen fruchtbaren strukturellen Boden bieten. 4. Neue Aufgaben für ein entfesseltes PMO PMOs, die zunehmend über Organisationsgrenzen hinweg agieren, sehen sich neuen Aufgaben und Herausforderungen gegenüber. So müssen sie neben dem klassischen Fokus auf Professionalisierung, Standardisierung, Koordination und Qualifizierung für die Projektarbeit, nun insbesondere auch Koordinationsaufgaben zwischen den gemeinsamen Aktivitäten kooperierender Organisationen und damit folgende Funktionen zum Management der überbetrieblichen Beziehungen übernehmen: Selektieren. Hiermit ist die Auswahl passender Kooperationspartner gemeint: Wer soll Teil des PMO sein / bleiben? Relevant ist dabei sowohl die Erstauswahl bei der erstmaligen Aufstellung eines PMO als auch die Re-Selektion (wer bleibt? ) und die De-Selektion (wer geht? ) im weiteren Verlauf. Darüber hinaus kann das PMO die Selektionsfragen nicht nur für die eigene Aufstellung (des PMOs) beantworten, sondern als Teil ihrer Managementfunktion für Projekte auch Standards für die Auswahl der Mitglieder in (interorganisationalen) Projekten festlegen. Insgesamt hat die Selektionsfunktion weitreichende Auswirkungen, da die Auswahl der Akteure den Grundstein der Zusammenarbeit liefert. Beispielsweise entscheidet die Aufnahme von Partnern, welche Ressourcen und Kompetenzen eingebracht werden können oder benötigt werden und sendet darüber hinaus starke Signale an potenzielle zukünftige Partner. Eine besondere Herausforderung im überbetrieblichen Kontext ergibt sich aus den unterschiedlichen organisationalen Interessen, Standards, Kulturen und Professionalisierungsgraden, die zusammengebracht und möglicherweise aufeinander abgestimmt werden müssen. Regulieren. Hiermit ist die formelle und informelle Steuerung der Zusammenarbeit gemeint: Wie sollte die Zusammenarbeit der Projektpartner organisiert werden? Welche Art von Vertrag oder anderen formellen Steuerungsmechanismen gibt es? Welche Art der Kommunikation und Interaktion sollte gewählt werden? Hier werden sozusagen „Spielregeln Wissen | Die Entfesselung des Project Management Office? 51 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0069 der Zusammenarbeit“ aufgestellt. Diese können unterschiedliche Formalisierungsgrade einnehmen: Von offiziellen Vorschriften, formellen Verträgen oder Handbüchern hin zu losen mündlichen Absprachen oder stillschweigenden Vereinbarungen zwischen den Partnern. Das PMO hilft bei der Aufstellung solcher Standards und Richtlinien und der Etablierung oder Legitimierung informeller Regeln. Herausfordernd können dabei insbesondere fehlende Führung auf interorganisationaler Ebene, unklare Zuständigkeiten sowie Kommunikationskanäle sein, die die Umsetzung erschweren. Allozieren. Hiermit ist die Zuteilung von Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Ressourcen gemeint: Wie sollen diese im PMO verteilt werden? Wo liegen Kompetenzen und Bedarfe? Unter Ressourcen können dabei z. B. Kapital, Anlagen, Technologien, aber auch Personal, Fähigkeiten, Wissen, Beziehungen etc. fallen. Auch hier handelt es sich nicht um einen einmalig abgeschlossenen Prozess, sondern um eine kontinuierliche Aufgabe (Re-Allokation). Dies erfordert, dass das PMO einen guten Überblick über die Kapazitäten und Fähigkeiten seiner organisationsübergreifenden Partner hat, um als Vermittler fungieren zu können und Partner mit komplementären Bedarfen und Ressourcen zusammenzuführen. Darüber hinaus kann das PMO auch als Fundraiser agieren und bei den überbetrieblichen Partnern (finanzielle und nicht-finanzielle) Mittel einholen, die an anderer Stelle oder auf interorganisationaler Ebene benötigt werden. Evaluieren. Hiermit ist die regelmäßige Überprüfung der Kooperation gemeint: Zahlt sich die Kooperation aus? Läuft es wie gewünscht? Stehen Input und Output in einem fairen Verhältnis? Was sollte beibehalten/ geändert werden? In diesem Fall spielt die Evaluierung nicht nur auf der Ebene der einzelnen Organisation und des Projekts (oder Projektportfolios) eine Rolle, sondern auch auf der Ebene des eingebetteten PMO. Herausfordernd gestaltet sich hier die Frage, wie der Wert des PMO in einem überbetrieblichen Kontext gemessen und sichtbar gemacht werden kann- - insbesondere mit Hinblick auf die große Anzahl von Projekten und den immensen Umfang der Daten. Die Evaluierung wiederum hat Rückwirkung auf die vorab genannten Prozesse, da auf Basis der Ergebnisse möglicherweise Änderungen in der Partnerauswahl, den Regularien und der Verteilung von Ressourcen und Aufgaben erfolgen. Somit werden die vier Funktionen nicht in einem linearen Prozess nacheinander abgehandelt, sondern laufen teilweise nebeneinander und beeinflussen sich immer wieder gegenseitig. Die vier spezifischen Unterstützungsfunktionen eines PMO können entweder in einer der teilnehmenden Organisationen zentralisiert werden oder als gemeinsame organisatorische Einheit von mehr oder weniger allen zusammenarbeitenden Organisationen oder auf noch dezentralere Weise, z. B. im Rahmen einer gemeinsamen Verwaltung, ausgeführt werden [9].Bei der Ausführung der spezifischen Funktionen erfordert die Unterstützung des Managements über Organisationsgrenzen hinweg eine umfangreiche Netzwerkarbeit, die insbesondere eine intensive Kommunikation, Kollaboration und soziale Integration umfasst. 5. Fazit: Ein weiter Weg mit ungewissem Ausgang PMOs haben sich mit Blick auf Ihre Kompetenzbereiche und Aufgaben in der Vergangenheit immer wieder neu erfunden und es ist ein Pfad der Professionalisierung erkennbar. PMOs stehen unter einem permanenten Legitimierungszwang, da sie ihren Mehrwert für das operative Projektgeschäft wie auch für die Organisation insgesamt nachweisen und bestenfalls einen strategischen „Impact“ aufzeigen müssen. Vor diesem Hintergrund, und gekoppelt mit einem steigenden Kosten- und Rationalisierungsdruck, sind PMOs in den vergangenen Jahren zunehmend unter Druck geraten. In der Praxis ist eine große Bandbreite an PMOs vorzufinden, die sich in der konkreten Ausgestaltung und den Schwerpunkten unterscheiden. Allerdings sind die allermeisten PMOs strikt auf die Organisationsgrenzen beschränkt. Das führt dazu, dass die bereitgestellten Leistungen in der Vielzahl überbetrieblicher Projekte an ihre Grenzen stoßen. Deshalb erscheint es notwendig, über neue Wege nachzudenken mit der zentralen Frage im Hintergrund: Wie können PMOs einen messbaren Mehrwert leisten? Eine „Entfesselung“ des Kompetenzbereichs, die ein stärker interorganisationales Agieren eröffnet, wäre eine aussichtsreiche Möglichkeit. Der Beitrag zeigt, welche Schritte dabei nötig sind und welche Aufgaben ein solches PMO zu erledigen hätte. Trotzdem bleiben ungeklärte Folgefragen, beispielsweise: Wer zahlt die Leistungen des PMOs, die Anderen zu Gute kommen? Und wo ist das PMO verankert: in einer der Organisationen oder als eine gemeinschaftliche Einheit? Womöglich lassen sich solche Fragen klären, wenn erste Schritte in Richtung eines entfesselten PMOs tatsächlich erfolgt und Erfahrungen gemacht wurden. Literatur [1] Braun, T. & Sydow, J. (2024): The mandate of project management offices beyond organizational boundaries- - Still a blind spot for organizational design? Project Management Journal, 55, im Druck. [2] Midler, C. (1995): “Projectification” of the firm: the Renault case. Scandinavian Journal of Management, 11(4), 363-375. [3] Hill, G. M. (2004). Evolving the project management office: A competency continuum. Information Systems Management, 21(4), 45-51. [4] Hobbs, B., Aubry, M., & Thuillier, D. (2008). The project management office as an organisational innovation. International Journal of Project Management, 26(5), 547-555. [5] Aubry, M., Müller, R., Hobbs, B., & Blomquist, T. (2010). Project management offices in transition. International Journal of Project Management, 28(8), 766-778. [6] Sydow, J., & Braun, T. (2018). Projects as temporary organizations: An agenda for further theorizing the interorganizational dimension. International Journal of Project Management, 36(1), 4-11. [7] Brady, T., & Davies, A. (2004). Building project capabilities: From exploratory to exploitative learning. Organization Studies, 25(9), 1601-1621. [8] Braun, T. & Müller-Seitz, G. (2023): Digitale Transformation: Wandel durch Projekte. München: Vahlen. [9] Braun, T. (2018). Configurations for interorganizational project networks: The interplay of the PMO and network Wissen | Die Entfesselung des Project Management Office? 52 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0069 administrative organization. Project Management Journal, 49(4), 53-61. Eingangsabbildung: © iStock.com / mattjeacock Braun/ Lächelt: © Universität Kassel, Sascha Mannel Gerstle: © Privat, Lars Riemann Univ.-Prof. Dr. Timo Braun Univ.-Prof. Dr. Timo Braun leitet das Fachgebiet „Projektmanagement in der Digitalen Transformation“ an der Universität Kassel. Er kooperiert in verschiedenen Projekten und Gremien seit fast 15 Jahren mit der GPM und ist wissenschaftlicher Leiter der aktuellen GPM Gehalts- und Karrierestudie sowie Mitglied der Jury des Deutschen Studienpreis Projektmanagement. Universität Kassel, Fachgebiet Projektmanagement in der Digitalen Transformation, Heinrich-Plett-Straße 40, D-34109 Kassel Internet: http: / / uni-kassel.de / go / pmdt eMail: timo.braun@uni-kassel.de Joana Gerstle Joana Gerstle ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Projektmanagement in der Digitalen Transformation an der Universität Kassel. Ihre Forschung bezieht sich auf die Anwendung psychologischer Konzepte in Projektkontexten; im Vordergrund stehen dabei individuelles und Team-Verhalten in Projekten, Führung in Projekten und Veränderungsmanagement. eMail: gerstle@uni-kassel.de Vincent lächelt Vincent Lächelt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Projektmanagement in der Digitalen Transformation an der Universität Kassel. Seine Forschungsschwerpunkte liegen dabei im Risikomanagement und Controlling von Projekten, unter anderem zu der Verbesserung der Akzeptanz sowie Wirtschaftlichkeit von Verkehrsinfrastrukturprojekten. eMail: laechelt@uni-kassel.de 53 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0070 Krisenbewältigung und Krisenarten Patrick Fiebeler Für eilige leser | Die Fachgruppe „TurnAround PM“ der GPM hat sich mit der Frage beschäftigt, wie erprobte Methoden zur Krisenbewältigung praxisnah aufbereitet werden können. Daraus ist eine Prozessbeschreibung entstanden, die für die wichtigsten Arten von Krisen konkrete Schritte und Methoden empfiehlt. Die Ergebnisse werden in zwei Artikeln in der PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL veröffentlicht. Der erste Artikel ist in der PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 05 / 2023 erschienen. Dieser zweite Artikel erläutert der Krise zugrunde liegende Verteilungs-, Beziehungs-, Werte- und Rollenkonflikte. Auf Basis dieser Klassifizierung werden konkrete Schritte und Methoden zur Krisenbewältigung beschrieben. Ergänzt wird der Artikel um Praxisbeispiele und Arbeitsblätter. Schlagwörter | Projektkrise, Krisenbewältigung, Turnaround, Krisenarten Die Inhalte dieses Artikels sind in der Fachgruppe „TurnAround PM“ der GPM entstanden. Über die letzten Monate wurden diverse Diskussionen unter den Experten geführt und diese online visualisiert. So entstand ein Vorgehen, das sich mit der Erfahrung aller Beteiligten deckt und praxistauglich angewendet werden kann. Maßgeblich daran beteiligt waren: Gunnar Daehne, Siegfried Diekow, Nicola Findeis, Jörg Freese, Kai Rahnenführer, Sabine Schnarrenberger, Jörg Süggel, Andreas Moldtmann und Karin Wenzel. Einleitung Ein Projekt kann in eine Schieflage geraten. Wird diese nicht korrigiert, führt dies zu einer Krise. Steuerungslosigkeit und Handlungsunfähigkeit sind die Folge. Meist entsteht operative Hektik ohne Zielerreichung. Das Projekt steckt in einer Krise. Die Fachgruppe der GPM „TurnAround PM“ beschäftigt sich mit diesen Projektkrisen. Nachdem die Gruppe den Krisenprozess und die Schieflage untersucht hat [1], hat sie sich mit der Bewältigung der Projektkrise befasst. Dabei wurde festgestellt, dass die Krisen sich nach ihren Hauptbestandteilen, den Konflikten, typisieren lassen können. Auf dieser Basis wurden die verschiedenen Krisenarten benannt: • A1 Zielkonflikte • A2 Beurteilungskonflikte • A3 Verteilungskonflikte • A4 Beziehungskonflikte • A5 Wertekonflikte • A6 Rollenkonflikte Krisenbewältigung bei Ziel- und Beurteilungskonflikten wurden in Teil 1 dieses Artikels [1] veröffentlicht. Dieser Artikel befasst sich mit Verteilungs-, Beziehungs-, Werte- und Rollenkonflikten (A3-A6) Zentrale Arbeitshypothese ist: Eine Projektkrise kann besonders effektiv und effizient gelöst werden, wenn die ihr zugrunde liegenden und sie immer wieder befeuernden Konflikte gelöst werden. Entsprechend wurde für diese Konfliktarten ein Vorgehen zur Lösung in der Fachgruppe erarbeitet und als Flowchart in der Gruppe zusammengefasst. Aus diesem Flowchart wurden die Arbeitsblätter und der Text für diesen Artikel abgeleitet. Krisenbewältigung bei Verteilungskonflikten (A3) Das Kompetenzelement „Ressourcen“ und „Organisation“ bilden die Grundlage dieses Abschnittes. Projekte mit ihren Eigenschaften der Innovation und Einmaligkeit führen immanent dazu, dass durch sie mehr Ressourcen als für die (bisherige) Routine-Tätigkeiten benötigt werden, selbst wenn viele Projekte parallel ausgeführt werden. Allenfalls Verbesserungsprojekte führen langfristig zu einer besseren Ressourcennutzung. Abhängig von der Organisationsform treten die Bedarfe der Projekte konkurrierend Wissen | Krisenbewältigung und Krisenarten 54 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0070 (Stab), ergänzend (Matrix) oder zusätzlich (Autonom) zur Linienorganisation auf. Die effektive und effiziente Nutzung der vorhandenen Ressourcen gilt als Ziel, aber gerade Projekte in der Krise benötigen regelmäßig deutlich mehr Ressourcen als geplant. Und in vielen Fällen auch mehr als insgesamt in der Unternehmung ausreichend qualifiziert vorhanden sind. Durch die Steuerungslosigkeit in der Krise können auch innerhalb des Projektes die Ressourcen nicht angemessen ausgelastet und falsch verteilt und priorisiert sein. Zu dieser ungünstigen Ausgangssituation der Ressourcen in einer Projektkrise tritt der Effekt, dass die Motivation in einer Krise häufig im Keller ist. Die menschliche, weiche Kapazität ist damit nochmals reduziert. Diese Überlastung ist zudem nicht plötzlich entstanden, sondern meistens schleichend gewachsen. Zur Korrektur einer Schieflage sind vor einer Krise zum Beispiel bereits zusätzliche Ressourcen dem Projekt zugeordnet worden. Diese fehlten in der Linie und in anderen Projekten und sind auch für das Projekt in Schieflage nur begrenzt von Nutzen. Mitarbeiter, die eine Schieflage „retten“ sollen, arbeiten häufig ohne professionellen Krisenhintergrund ineffizient mit wenig Vorwissen in dem Projekt, nahezu keiner Einarbeitung und mit teilweise unpassenden Qualifikationen. Neben dem reinen Verteilungskonflikt sind die Ressourcen auch durch Rollenkonflikte belastet, weil klare Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortungen fehlen oder aus Rücksicht auf die Außenwirkung nicht klar kommuniziert werden. Daraus resultieren wiederum Beziehungskonflikte. 1. Wenn Verteilungskonflikte die Krise befeuern, sollte zunächst die sachliche Basis der Ressourcensituation erzeugt und bewertet werden. Abhängig von der Reife der Organisation, der Komplexität und Größe des Projektes und der Größe des Projektportfolios sollte eine angemessen genaue Ressourcensicht dem Projekt zur Verfügung stehen. Ist dies nicht vorhanden, so sollte ein Ressourcenplan erzeugt werden, der folgenden Kriterien genügt: a. vereinbarte Projektstruktur, b. vereinfachte Beschreibung von Arbeitspaketen mit Fokus auf Liefergegenstände / user stories, c. größe pro Arbeitspaket 3-14 Tage, d. Ressourcen auf Manntagesbasis sind zugeordnet, e. Risiken und realistische Kapazität der weichen Ressource Mensch sind berücksichtigt. 2. In einer Projektkrise ist es wahrscheinlich, dass die Verteilungskonflikte nicht unmittelbar sichtbar werden, wenn nur das Krisenprojekt eine Ressourcenplanung erzeugt. Vielmehr muss ein vergleichbarer Reifegrad der Ressourcenplanung für alle Projekte erzeugt werden. Alternativ / Zusätzlich kann je nach Organisationsform auch die übrige Linientätigkeit entsprechend in die Ressourcenplanung einbezogen werden. 3. Wenn eine Ressourcenplanung für alle Projekte, also eine Multiprojekt-Ressourcensicht vorliegt, ist diese mit der Liniensicht gemeinsam zu reviewen. Chancen und Risiken sollten hervorgehoben werden und Szenarien dokumentiert angenommen werden. Es sollten gemeinsam die Konsequenten der Ressourcensituation erarbeitet werden und ohne Ressentiments auch extreme Folgen (Pönalen, Kündigung) berücksichtigt und bewertet werden. 4. Erst dann kann ein Ressourcenengpass sachlich identifiziert werden. In einer Krise müssen die vorgenannten Schritte evtl. vereinfacht und beschleunigt durchgeführt werden. Die Projekt- und Linienexperten können sich auch auf einzelne Engpassressourcen erfahrungsbasiert einigen. Dies kann ein Anfang zur Überwindung der Krise sein. Liegt allerdings ein echter Verteilungskonflikt mit nicht nur einer Engpassressource vor, wird die Krise dadurch nicht überwunden. Es wird allenfalls durch die Einigung ein Beziehungskonflikt gelöst. 5. Im nächsten Schritt können innerhalb des Projektes die Ressourcen anders als vor der Krise geführt und organisiert werden. Die Möglichkeiten sind vergleichbar zur normalen Steuerung, sollten sich aber in der Krise vor allem um die Engpassressource drehen. Sie kann effizienter eingesetzt werden, der Lieferumfang eingekürzt oder besser definiert beziehungsweise mehr Kapazität zugeordnet werden. Eine weitere Lösungsmöglichkeit ist die Anwendung von Lean Portfolio Management [2]. Eine Abstellung aller Ressourcenschwierigkeiten wird in einer Krise nicht sofort gelingen. Ein Erfolg bei einer wichtigen und kritischen Ressource kann das Projekt aber aus dem Krisenmodus erlösen und stark motivieren. Der Glaube an die Bewältigung der Krise kann daran manchmal festgemacht werden. Dies ist ein gutes Argument, besonders kostbare und auch in der Hierarchie hohe Ressourcen dem Krisenprojekt zuzuordnen. Dadurch wird sich auch zeigen, wie wichtig die Engpassressource für die Krise wirklich ist oder ob es bisher nur eine Ausrede war. 6. Ist eine Lösung der Engpassressource innerhalb des Projektes nicht in Sicht, muss eine Entscheidung zur Priorisierung von wichtigen Arbeitspaketen über alle Projekte und Linientätigkeiten hinaus erfolgen. Hierbei geht es nicht um eine Priorisierung des Gesamtprojektes, sondern um ein dezidiertes Abwägen der Konsequenzen von temporär anders eingesetzten Ressourcen. Auch in dem Krisenprojekt gibt es Aktivitäten, die nicht kritisch sind. Der Krisenmanager sollte dieses in transparenten Szenarien aufbereiten. 7. Abhängig von der Organisationskultur ist es wichtig, die getroffenen Entscheidungen transparent zu kommunizieren und deren Umsetzung und Wirkung sachlich zu monitoren. Gerade in einer Krise kann es zu einer sehr hohen Eigendynamik der Projektteams und Linienabteilungen kommen. Besonders ist darauf zu achten, dass der Ressourcenengpass sich im Nachhinein auch als solcher bewahrheitet und die Abstellung dessen die erwartete Wirkung zeigt. Ansonsten verliert die Ressourcenplanung ihre Glaubwürdigkeit. Eventuell wird ein Verteilungskonflikt auch nur einem Beziehungskonflikt vorgeschoben. Bei einer Krise, die hauptsächlich aus Verteilungskonflikten befeuert wird, ist auch das Modell der versunkenen Kosten [3] zu beachten. Wenn die sachliche Ressourcensicht ergibt, dass das Projekt nicht erfolgreich umzusetzen ist, sollte eine entsprechende Entscheidung nicht davon abhängig gemacht werden, wie viele zusätzliche Kosten bisher entstanden sind. Entscheidend ist, welche Erfolgswahrscheinlichkeit welcher künftige Ressourceneinsatz bringt. Die Wahrscheinlichkeit des zukünftigen Erfolges wird nicht maßgeblich größer, wenn bisher viele Kosten im Projekt versenkt wurden. Die Option des Projektabbruches sollte in Erwähnung gezogen werden. Wissen | Krisenbewältigung und Krisenarten 55 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0070 Eine weitere Option in einer durch Verteilungskonflikte geprägte Krise ist die Veränderung der gesamten Projektorganisation im Unternehmen. Tendenziell werden autonome Projektorganisationen besser mit einem Krisenprojekt umgehen. Eine Veränderung innerhalb des Projektes wegen Verteilungskonflikten ist hingegen nicht empfehlenswert, da vor allem ein Kernteam im vorhandenen Projektteam häufig sehr gute und effiziente Arbeit leistet, die kaum jemand Neues übernehmen könnte. Eine personelle Veränderung in den letzten tragenden Säulen des Projektteams kann zum Chaos führen. Fallbeispiel Krise wegen eines Verteilungskonfliktes Peter ist Projektleiter eines strategisch wichtigen und technologisch komplexen Projektes. In der Startphase ergeben sich weitere Herausforderungen, weil die Organisation zusätzlich auch bei prozessualen Anforderungen des Kunden „untrainiert“ ist. Summarisch ergeben sich im weiteren zeitlichen Verlauf aus dieser Einzel-Projektsicht negative Auswirkungen auf die Kosten, Termine und Qualität des Projektes. Parallele Projekte sorgen für weitere Ressourcenengpässe auf Mitarbeiter-/ Expertenebene und in einzelnen Fachgruppen. Nacheinander kommen alle Projekte in die Krise, kämpfen für sich und nicht ganzheitlich für das Unternehmen. Der Verteilungskonflikt ist offensichtlich. Peter packt sich ans Herz und fordert eine Multi-Projektmanagement-Entscheidung bei der Geschäftsführung ein. Die Geschäftsführung unterstützt das Vorgehen und fordert wiederum eine transparente Entscheidungsgrundlage ein. Die Projekte werden nach verschiedenen Kriterien und Optionen in der zeitlichen Reihenfolge bewertet und priorisiert. Im Ergebnis haben sich alle Projekte und das Unternehmen wieder planbar gemacht und stabilisiert. Der MPM-Konflikt hätte das gesamte Unternehmen in eine Schieflage gebracht. Bei einem großflächigen Verteilungskonflikt ist eine unternehmensweite Lösung unvermeidlich. Peter hat weiterhin dafür gesorgt, dass eine strukturierte monatliche Projekt-Portfolio-Management-Runde zur Steuerung aller Projekte etabliert und der neue Prozess dauerhaft im Unternehmen verankert wurde. Aus der Berufspraxis von Andreas Moldtmann (thyssenkruppMarineSystems) Krisenbewältigung bei Beziehungskonflikten (A4) Das Kompetenzelement „Krisen und Konflikte“, „Teamarbeit“ und „Stakeholder“ bilden die Grundlage dieses Abschnittes. In einer Krise liegen fast immer eine Vielzahl an unterschiedlich hoch eskalierter Beziehungskonflikte vor. Es ist weniger die Frage, ob es Beziehungskonflikte in dem Projektzusammenhang gibt, sondern mehr, inwiefern diese die Krise befeuern. Sie sind häufig nicht nur Ursache für die Krise, sondern die vorherige Schieflage und jetzige Situation führt unmittelbar zu teils schweren Beziehungskonflikten. Zentral für die Bewertung der Beziehungskonflikte ist eine angemessene Sicht auf das aktuelle Umfeld und die Wichtigkeit und Einstellung der Stakeholder. Vergessene oder falsch eingeschätzte Stakeholder, unterschätzte Umfeldfaktoren oder das gänzliche Fehlen von Stakeholder- und Umfeldanalyse sind Ursachen von Beziehungskonflikten, die systematisch beseitigt werden können, bevor die Krise überhaupt auftritt. Typisch für eine Projektkrise ist, dass über die Projektlaufzeit oder noch davor zwischen den Stakeholdern ein ganzes Netz an Beziehungskonflikten entstanden ist. In der Krise geht es nicht mehr nur um eine überschaubare Anzahl von Konflikten, sondern eine Kombination an verschiedenen Arten und betroffenen Stakeholdern und Stakeholdergruppen. Folgende Schritte sollten zur Krisenbewältigung bei Beziehungskonflikten durchgeführt werden: 1. Wie in einem Einzelkonflikt ist das erste Mittel der Wahl, dass jede weitere Eskalation eingebremst wird. Sind Beziehungskonflikte zentral in der Krise, muss hier auf „Pause“ gedrückt werden. Dies gilt für das gesamte Projektteam, Auftraggeber und weitere Stakeholder. Teilweise wird es hierfür notwendig sein, die Kommunikation zwischen verschiedenen Konfliktparteien zunächst auszusetzen oder zumindest stringent über den Krisenmanager zu führen. 2. In einer Krise können nicht alle Beziehungskonflikte gleichzeitig gelöst werden, daher ist es notwendig, eine Übersicht aller Beziehungskonflikte und deren Eskalationsniveau zu erzeugen. Die Konflikte sollten nach ihrem Schadenspotential für das Projekt priorisiert werden. Hierzu werden folgende Schritte vorgeschlagen: a. Aktualisierung Stakeholderanalyse b. Aktualisierung Umfeldanalyse c. Sammlung der vorhandenen Konflikte d. Portfolio erstellen (Eskalationsstufe [4] vs. möglicher Schaden) Abbildung 1: Konfliktportfolio in Krisen: Die Konflikte d, e und c erscheinen hier am wichtigsten in der Behandlung. Welche der Konflikte ggfs. zeitkritisch sind, muss bewertet werden, um eine Reihenfolge festlegen zu können.-- Karin Wenzel Wissen | Krisenbewältigung und Krisenarten 56 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0070 e. Konflikte grob analysieren (mögliche Lösungsstrategie, Typ, Historie) 6. Die Krisenbewältigung sollte dann für die im Portfolio hochpriorisierten Konflikte Interventionen durchführen. In der Krise werden intensivere Methoden Anwendung finden müssen als normalerweise. Die Ebene der Lösung durch Gespräch der Konfliktparteien wird nicht genügen, auch wenn die Eskalation des einen Konfliktes eine intensivere Maßnahme noch nicht benötigt. Die geringste Stufe der Konfliktintervention in einer Krise wird die der moderierten interpersonellen Konfliktlösung sein. Eventuell ist direkt eine Mediation oder Supervision notwendig, weil Konflikte nicht mehr auseinander zu dividieren sind. In letzter Instanz sind Beziehungskonflikte, die hoch eskaliert sind und bei denen eine Win / win- oder Win / lose-Lösung unmöglich scheint, durch eine Veränderung des Projektteams und / oder der Projektorganisation zu lösen. 7. Beziehungskonflikte sind, nach Wertekonflikten, besonders anfällig, latent vorzuliegen und nur den Anschein zu erwecken, gelöst zu sein. Kurzfristig scheinbar gelöste Konflikte können schwelen und erneut zu einer Krise werden. Regelmäßige Teamklimainventuren und / oder Konfliktworkshops sollten in unmittelbarem Zusammenhang mit der Krise durchgeführt werden, um ein erneutes Aufflammen rechtzeitig zu erkennen. Es hat sich ebenfalls als wirkungsvoll erwiesen, wenn z. B. mittels Smileys die Stimmung im Team regelmäßig in Dashboards visualisiert wird. So wird die Beziehungsebene nicht unterdrückt, sondern in den Vordergrund und als normal dargestellt. Krisenbewältigung bei Wertekonflikten (A5) Das Kompetenzelement „Kultur und Werte“ bildet die Grundlage dieses Abschnittes. Wertekonflikte beruhen auf grundsätzlich unterschiedlichen Verständnissen von Arbeitseinstellungen, von kulturellen Werten, von der Moral innerhalb des Projektteams, des Unternehmens und dem Umfeld. Sie sind besonders schwer zu fassen, sichtbar zu machen und zu verändern. Sie sind die Fundamente der Zusammenarbeit, auch wenn Sie selten direkt angesprochen werden. Sichtbar werden Sie vor allem durch Beziehungskonflikte. Sind diese partout nicht lösbar, liegen grundlegendere Wertedifferenzen vor. Werte sind auf einer Ebene hinter allen Konflikt- und Krisenarten. Ein Projekt, dass auf Basis fundamentaler Wertekonflikte in eine Krise geriet, ist kaum mehr zu retten. Um einzelne Abweichungen im Verständnis der Werte dennoch aufzuzeigen, kann eine Werteinventur und anschließender Werteworkshop durchgeführt werden. Hier können Teamregeln gemeinsam erarbeitet werden, die Vision des Unternehmens begriffen werden oder Kodizes und Leadership- Prinzipien diskutiert werden. Auch die Prinzipien des Agilen Manifestes [5] können genutzt werden, um eine Diskussion über Werte herbeizuführen. Ein gemeinsames Arbeiten an einer Wertevorstellung und die dazugehörige Visualisierung z. B. mit Hilfe von graphical recording kann Klarheit über die Differenzen schaffen und mittelfristig zu einer Umorientierung der Teammitglieder führen. In einer Krise wird die Arbeit mit Werten höchstwahrscheinlich aber als fadenscheinig wahrgenommen. Projekte gelangen weniger in eine Krise, weil die Werte unklar sind als viel mehr, weil diese nur als hübsches Bild im Besprechungsraum hängen, aber nie wirklich gelebt werden. Der Krisenmanager hat die Chance, unvoreingenommen die Werte und Teamregeln vorzuleben und offen anzusprechen, falls diese nicht befolgt werden. Er muss keine negativen Konsequenzen befürchten und kann als „Blitzableiter“ auch Wertekonflikte thematisieren. Die tägliche Projektarbeit sollte sich an den selbst gegebenen Teamregeln immer wieder messen lassen. Dennoch wird bei Wertekonflikten der Erfolg der Krisenbewältigung eher mittel- und langfristigen seine Wirkung zeigen. Der Zeitpunkt, wann Wertekonflikte angegangen werden, ist bewusst zu wählen. Zu früh führt zu Misstrauen in die ernst gemeinte Krisenbewältigung, zu spät führt dazu, dass das Projekt mittelfristig nicht stabilisiert wird und wieder droht in eine Krise zu geraten. Sollten substanzielle Wertedifferenzen in der Krise vorliegen sind diese regelmäßig nur durch personelle Maßnahmen überwindbar. Fallbeispiel Krise wegen eines Wertekonfliktes Peter hat ein Projekt in Osteuropa übernommen. Ziel war, einen Teil der dort vorhandenen IT-Systeme nach Deutschland zu überführen und dann in Deutschland so zu betreiben, dass die Mitarbeiter aus Osteuropa darauf zugreifen können. Seine Vorbereitung bestand vornehmlich daraus, sich mit der Kultur der betroffenen Länder auseinanderzusetzen und zu verstehen, was sind Gos und No-Gos. So verstand er, dass die persönliche Beziehung in diesen Ländern sehr wichtig ist und man nur so ein gutes Arbeitsverhältnis aufbauen kann. Er beschloss, die Filialen umgehend zu besuchen und sich dort regelmäßig blicken zu lassen. Einladungen zu kleinen Feiern in den Filialen, aus welchen Anlässen auch immer, nahm er dankend an. So weihte ein Mitarbeiter sein neues Auto mit einem kleinen Umtrunk ein, Peter war dabei. Diese Vorgehensweise kam tatsächlich gut an. Er widersprach damit umgehend dem Vorurteil, dass Deutsche nur an Arbeit interessiert sind. Er erfuhr auch einiges über das Leben der Menschen und deren Familien. Zurück in Deutschland beschwerten sich nach einiger Zeit Mitarbeiter aus Deutschland, dass sie zu wenig Informationen aus Osteuropa erhielten trotz mehrfacher Nachfrage und Telefonaten wurden sie oftmals abgewimmelt oder es bleib unbeantwortet. Peter kontaktierte die genannten Personen in Osteuropa, die er allesamt persönlich kannte, und erhielt umgehend die gewünschten Informationen. Daher empfahl er den Kernteammitarbeitern in Deutschland in diese Länder zu reisen und die Personen, mit denen sie zusammenarbeiten in diesem Projekt, persönlich kennenzulernen. In kurzer Zeit hat sich die Zusammenarbeit drastisch verbessert und das Projekt machte trotz Entfernung und Sprachschwierigkeiten allen viel Spaß. Aus der Beratungspraxis von Gunnar Daehne Krisenbewältigung bei Rollenkonflikten Das Kompetenzelement „Organisation, Information und Dokumentation“ bildet die Grundlage dieses Abschnittes. Projekte sind per Definition zeitlich begrenzt und einmalig. Um ein Projekt professionell aufzusetzen und zu steuern, bedarf es folglich einer dezidierten, temporären Projektorgani- Wissen | Krisenbewältigung und Krisenarten 57 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0070 sation. Vor allem die Aufbauorganisation stellt dabei ein wichtiges Fundament für die zielgerichtete Zusammenarbeit dar. Die beteiligten Personen füllen im Rahmen dieser temporären Aufbauorganisation bestimmte Rollen aus, die z. B. mittels Aufgabe-Befugnis-Verantwortung-Qualifikation oder RASCI [6] definiert sein sollten. Für die Zeit des Projektes übernehmen verschiedene Personen also unterschiedliche Rollen. Sowohl die einzelne Person als auch das gesamte Projektteam müssen sich in diesen Rollen finden, dazulernen und sich entwickeln. Auch die Aufbauorganisation, mit ihren Rollen und zugewiesenen Personen, sollte die aktuellen Schwerpunkte und Herausforderungen des Projektes abbilden und sich entsprechend dynamisch verändern. Rollenkonflikte führen dazu, dass Aufgaben, Befugnisse, Verantwortungen und Qualifikationen lückenhaft, unklar oder zweideutig besetzt sind und somit die Ziele nicht erreicht werden können. Sie können auch dazu führen, dass Rollen gegeneinander arbeiten, was dann häufig auch zu Beziehungskonflikten führt. [7] In einer durch Rollenkonflikte befeuerten Krise geht es vorwiegend darum, den Kern der Rollenkonflikte ausfindig zu machen und zu analysieren. Die Lösung leitet sich daraus dann meistens relativ einfach ab. Folgende Checkliste soll dabei eine Hilfestellung sein: Tabelle: Checkliste für Rollenkonflikte: • Passt das Verhältnis der Projektaufbauorganisation zur Stammorganisation (Stab, Matrix, Autonom) zur Komplexität und aktuellen Phase des Projektes? • Ist die Projektaufbauorganisation dem Projektteam / der Linie im Verhältnis zur Stammorganisation klar? • Sind Entscheidungswege und Eskalationswege klar? • Sind alle Projektrollen ineinander kongruent (passen Aufgabe, Befugnis und Verantwortung zusammen)? • Sind allen Projektmitgliedern die Aufgaben, Befugnisse und Verantwortung der anderen Mitglieder klar? • Wird die Rolle der Projektleitung akzeptiert und auch durch das Senior Management / dem Auftraggeber gelebt? • Findet interdisziplinäre Zusammenarbeit über die Rollenbeschreibungen hinaus statt? • Sind alle Rollen ausreichend qualifiziert? • Sind alle Rollen kapazitiv vergleichbar ausgelastet und besetzt? • Sind adäquate projektspezifische Abläufe (Prozesse) definiert? • Sind querschnittliche PM-Tätigkeiten, wie Terminsteuerung, Kostensteuerung, Qualitätssteuerung, Risikosteuerung und Konfigurationssteuerung eindeutig im Team verteilt. • Sind mindestens die Rollen Projektleiter, Risikomanager, Risiko-Owner, Arbeitspaketverantwortlicher, Systemverantwortlicher, Teilprojektleiter beschrieben? Tabelle: Maßnahmenideen 1. (Externer) Vorschlag und Definition einer Projektaufbauorganisation (falls nicht vorhanden) 2. Durchführung eines Teamworkshops in dem vorher / währenddessen gegenseitig Feedback zu den Rollen gegeben wird. (Wovon sollte Rolle X mehr oder weniger tun? ) 3. Assessment der Qualifikation der Rollen auf Basis definierter Kriterien 4. Erstellung eines Wiki zur Dokumentation von projektspezifischen Prozessen 5. Feedback des Projektpersonals als Teil der jährlichen Mitarbeiterbewertung 6. Entwurf und Nutzung von im Team verabschiedeten Templates für Entscheidungen oder Projektberichtswesen (Dashboards) 7. Temporärer Rollentausch 8. Interdisziplinäre Vertretung im Urlaubsfall 9. Nutzung von Team-Retros für Rollenfeedback 10. Nutzung von Standard-Rollen des Unternehmens 11. Einzelinterviews zur Zufriedenheit und Auslastung mit der eigenen Rolle Schlusswort Mit diesem Artikel werden alle in der Fachgruppe identifizierten Krisenarten mit ihren wichtigsten Bestandteilen, Praxiserfahrungen und Lösungsideen beschrieben. Zusammen mit dem ersten Artikel zu Krisenarten bilden Sie so eine Art „Erste-Hilfe“ für Personen, die eine Projektkrise bewältigen wollen, denn-… eine Projektkrise kann besonders effektiv und effizient gelöst werden, wenn die ihr zu Grunde liegenden und sie immer wieder befeuernden Konflikte gelöst werden. Die Fachgruppe freut sich über Feedback, ob und wie diese Erste-Hilfe ankommt. Melden Sie sich gerne unter turnaroundpm@gpm-ipma.de Endnoten [1] PROJEKTMANAGEMENT-AKTUELL, 05 / 2017-- Projekte in der Krise Teil 1, PROJEKTMANAGEMENT-AKTUELL 02 / 2018- - Projekte in der Krise Teil 2 [2] Lean Portfolio Management [3] Arkes, Blumer: The psychology of sunk cost, 1985 [4] Hier werden die Eskalationsstufen nach Glasl verwendet. [5] https: / / agilemanifesto.org/ [6] Responsible Accountable Support Consulted Information-- Zuweisung von Rollen zu Aufgaben [7] Siehe auch Zielantonomie Literatur [1] Rahnenführer, Kai / Radin, Goran: Projekte in der Krise- - oder doch nicht? Teil 1: Definition und Herleitung. Projektmanagement Aktuell 05 / 2017, S. 57-62 [2] Rahnenführer, Kai / Radin, Goran: Projekte in der Krise- - oder doch nicht? Teil 2: Checkliste zur Einschätzung der Situation eines Projektes. Projektmanagement Aktuell 02 / 2018, S. 37-45 [3] Rahnenführer, Kai / Radin, Goran: Projekte in der Krise- - oder doch nicht? Teil 3: Krisenbewältigungsprozess. Projektmanagement Aktuell 03 / 2023, S. 62ff. [4] GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement, Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM4): Handbuch für Praxis und Weiterbildung im Projektmanagement [5] A Guide to the Project Management Body of Knowledge (PMBOK® Guide), 7th Edition by Project Management Wissen | Krisenbewältigung und Krisenarten 58 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0070 Institute Published by Project Management Institute, 2.7.1.1 Seite 95 ff. [6] Arkes, Blumer: The psychology of sunk cost, 1985 [8] Fiebeler, Patrick: Krisenbewältigung und Krisenarten Teil 1, pmAktuell 05 / 2023, S. 33 ff. Eingangsabbildung: © iStock.com / alzay Patrick Fiebeler Unter dem Markennamen „Projektmanagement mit Tiefe“ hat Patrick Fiebeler seine Erfahrung und Passion für Projektmanagement zusammengefasst. (www.pm-tiefe.de). Über ihn ist ein ausführliches Porträt in der PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 02 / 2020 erschienen. Arbeitsblatt: Beziehungskonflikte Beziehungskonflikte sind häufig nicht nur Ursache für die Krise, sondern die vorherige Schieflage und jetzige Situation führt unmittelbar zu teils schweren Beziehungskonflikten. c) Prüfe Beziehungskonflikte, auch wenn sie gelöst scheinen, regelmäßig − Führe Konfliktworkshops durch − Visualisier und der Stimmung mit Smilies in Dashboards Check a) Eskalation einbremsen − Prüfe zwischen welchen Gruppen Beziehungskonflikte bestehen − Ggf Kommunikation zwischen den Konfliktgruppen aussetzen, oder über Krisenmanager führen Do Bestehen Beziehungskonflikte? b) Erstelle eine Übersicht der Beziehungskonflikte a. Aktualisierung Stakeholderanalyse b. Aktualisierung Umfeldanalyse c. Sammlung der vorhandenen Konflikte d. Portfolio erstellen (Eskalationsstufe vs. möglicher Schaden) e. Konflikte grob analysieren (mögliche Lösungsstrategie, Typ, Historie) Do Liste alle Beziehungskonflikte im Projekt auf und priorisiere sie nach Schadenspotential für das Projekt. Wissen | Krisenbewältigung und Krisenarten 59 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0070 Arbeitsblatt: Verteilungskonflikte Die effektive und effiziente Nutzung der vorhandenen Ressourcen gilt als Ziel, aber gerade Projekte in der Krise benötigen regelmäßig deutlich mehr Ressourcen als geplant. a) Liegt eine angemessen genaue Ressourcensicht des Projektes vor? Ist diese Sicht nicht vorhanden sollte ein Ressourcenplan erstellt werden, der diesen Kriterien beinhaltet b) Reifegrade der Ressourcenplanung im Unternehmen c) Prüfung der Ressourcenplanung mit der Linie und Identifizieren möglicher Ressourcenengpässe − Chancen und Risiken hervorheben − Gemeinsame Erarbeitung der Konsequenzen von Szenarien − Prüfen auf Ressourcenengpässe und Lösen − Szenarien der Planung diskutieren und Entscheidungen dokumentieren Do − Vereinbarte Projektstruktur − Vereinfachte Beschreibung von Arbeitspaketen mit Fokus auf Liefergegenstände/ user stories − Größe pro Arbeitspaket 3-14 Tage − Ressourcen auf Manntagesbasis zugeordnet − Risiken und realistische Kapazität der weichen Ressource Mensch berücksichtigt Check Wie steht es um die Ressourcenplanung der anderen Projekte im Unternehmen? Priorisierung von wichtigen Arbeitspaketen über alle Projekte und Linientätigkeiten als dezidiertes Abwägen der Konsequenzen von temporär anders eingesetzten Ressourcen. d) Keine Lösung der Engpassressource innerhalb des Projektes in Sicht ? Abhängig von der Organisationskultur ist es wichtig, die getroffenen Entscheidungen transparent zu kommunizieren und deren Umsetzung und Wirkung sachlich zu monitoren. d) Kommunikation und Monitoring Arbeitsblatt: Wertekonflikte Wertekonflikte beruhen auf grundsätzlich unterschiedlichen Verständnissen von Arbeitseinstellungen und sind besonders schwer zu fassen, sichtbar zu machen und zu verändern. a) Verständnis der Werte prüfen und aufzeigen Führen Sie mit dem Team eine Werteinventur und einen anschließender Werteworkshop durch. Die gemeinsame Arbeit Klarheit über die Differenzen schaffen und mittelfristig zu einer Umorientierung der Teammitglieder führen b) Werden Werte, so sie denn dokumentiert sind, auch offen gelebt? − Als Krisenmanager sollten sie Werte und Teamregeln vorleben und Einhaltung offen ansprechen und einfordern c) Fachliche Nachvollziehbarkeit der Bewertungen Do − Erarbeitung von Teamregeln − Verstehen/ begreifbar machen der Unternehmensvision − Diskutieren der Kodizes und Leadership-Prinzipien − Treffen die Berichte die Erwartung der Stakeholder? − Nutzung der Prinzipien des Agilen Manifestes Do Sollten substanzielle Wertedifferenzen in der Krise vorliegen sind diese regelmäßig nur durch personelle Maßnahmen überwindbar. Ergreifen Sie diese Maßnahmen in Abstimmung mit dem Linienmanagement. 60 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0071 PM Forum live in Hamburg: Ein Rückblick auf das Highlight-Event der GPM Katja Bäumel In seiner 40. Jubiläumsausgabe begeisterte das PM Forum die teilnehmenden zwei halbe tage lang mit einer Fülle an Impressionen und Austauschmöglichkeiten. Während interaktiver Workshops und inspirierender Vorträge erlebten sie den „State of the Art“ des Projektmanagements in kreativer und familiärer Atmosphäre. Neben Quick-Hacks und praxisorientierten Tipps für den Projektalltag erweiterten die Teilnehmenden ihr Wissen über aktuelle PM-Trends und knüpften wertvolle Kontakte im exklusiven GPM Expertennetzwerk. Mehr als 450 Teilnehmende versammelten sich am 6. & 7. Juni 2024 im Radisson Blu Hotel in Hamburg, um gemeinsam in die faszinierende Welt des Projektmanagements einzutauchen. Mit 50 Referierenden, sechs Best Practice-Vorträgen aus der Gastgeberregion Hamburg sowie über 25 Workshops und weiteren interaktiven Formaten teilten Expertinnen und Experten nicht nur ihr umfangreiches PM-Wissen, sondern lieferten auch konkrete und maßgeschneiderte Anregungen für persönliche Projekte der Teilnehmenden. Das GPM Highlight-Event begann mit einem gemeinsamen Networking-Lunch, bei dem die Teilnehmenden die Gelegenheit hatten, sich bei regionalen Spezialitäten kennenzulernen und zu netzwerken. Nach der offiziellen Begrüßung durch die Moderatorin Vaya Wieser-Weber im Plenum folgten die Grußworte von Dr. Andreas Dressel, Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg und Schirmherr des PM Forum, und des GPM Präsidenten Prof. Dr. Peter Thuy. Dr. Andreas Dressel betonte die Bedeutung von Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung Hamburgs und stellte den modernen Ansatz seiner Stadt vor. Seit 2010 gibt es ein zentrales PMO, das Projekt-Wissenscenter, welches für alle Behörden und Ämter der Stadt tätig ist. Besonderen Fokus legt der Finanzsenator dabei auf die richtige Dosierung von Projektmanagement und die Fortbildung sowie Zertifizierung der Projektbeteiligten. Prof. Dr. Peter Thuy hob in seinem Grußwort hervor, dass es in Zeiten des ständigen Wandels entscheidend ist, komplexe Aufgaben systematisch und organisiert anzugehen. „Die GPM Studie Projektifizierung 2.0 zeigte, dass etwas mehr als ein Drittel der gesamten Arbeit in Projekten geleistet wird. Daher sind Schlüsselkompetenzen im Projektmanagement wichtiger denn je. Wir müssen uns bewusst „Zeit für Projektmanagement“ nehmen, um uns fort- und weiterzubilden.“ Im Anschluss eröffnete Matthias Jackel das PM Forum mit einer beeindruckenden interaktiven Keynote zum Thema „Neue Wege im Projektmanagement- - von Innovation und Menschlichkeit“. Er zeigte die Symbiose von musikalischer Harmonie und effizientem Projektmanagement und hob Flexibilität, Kreativität und menschliche Resonanz als Schlüssel zum Erfolg hervor. Gemeinsam musizierten die Teilnehmenden mit Boomwhackers und erlebten die Kraft der Gemeinschaft in einer synchronisierten Performance. Momente der Stille betonten die Bedeutung von Ruhe und erinnerten daran, wie Programmkomitee Wissen | PM Forum live in Hamburg 61 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0071 wichtig ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Leistung und Erholung ist. Mit bester Stimmung starteten die Teilnehmenden in die zwei Workshopreihen des Tages. Neben spannenden Vorträgen lokaler Projekte, in denen Unternehmen und Organisationen aus Hamburg und Norddeutschland ihre PM-Erfahrungen teilten, gab es vielfältige Möglichkeiten der Gamification und ein umfassendes Workshopangebot. Die Teilnehmenden gewannen zahlreiche Insights zu PMO, Megatrends und KI-Strategien. Sie lernten, die Kunst schneller Entscheidungsfindungen zu beherrschen und Konflikte für den Projekterfolg sowie Lessons Learned strategisch zu nutzen. Mit LEGO® SERIOUS PLAY® erkundeten sie Innovation und Nachhaltigkeit im Projektmanagement, während ein anderer Workshop die Verknüpfung von Agilität und Multiprojektmanagement beleuchtete. Die Teilnehmenden profitieren von zahlreichen Diskussionen, wertvollen Erkenntnissen, neuen Impulsen und einem ausgiebigen Networking. Am Abend wurde im Restaurant gemeinsam auf das 40. Jubiläum des PM Forum angestoßen. Ein leckeres Grillbuffet, stimmungsvolle Livemusik und zwei Artisten boten die perfekte Kulisse, um sich über das gesammelte Know-how und die Eindrücke des Tages auszutauschen. Auch am zweiten Tag des PM Forum live in Hamburg erwartete die Teilnehmenden eine vielfältige Auswahl an inspirierenden PM-Workshops und faszinierende Einblicke in lokale Projekte, die reichlich PM-Wissen und zahlreiche Gelegenheiten zum Austausch boten. In der dritten und letzten Workshop-Runde lernten sie, wie sie ihren PMO-Baukasten maßgeschneidert konfigurieren, Fehltritte auf dem kritischen Pfad erfolgreich bewältigen, den passenden Führungsstil für agile Umgebungen finden und ihre Projektarbeit mit Sketchnotes lebendig gestalten- - ganz ohne Buzz-Words. In der Keynote „Das Geheimnis erfolgreicher Projekte- - warum Vertrauen nicht das Problem, sondern die Lösung ist“ präsentierte Bestsellerautorin Karin Lausch eine prägnante und humorvolle Analyse unserer Arbeitsmuster und ihrer Auswirkungen. Statt die Komplexität zu reduzieren, tendieren wir dazu, sie zu erhöhen. Lausch argumentierte, dass es gesünder sei, Vertrauen zu schenken, anstatt bürokratische Strukturen zu verstärken, was zu erfolgreichen Projekten führt. Ihre Quintessenz lautete: „Vertrauen ist die Zukunft deines Projektes! “ Zum Abschluss des PM Forum gab Moderatorin Vaya Wieser-Weber einen Ausblick auf die Zukunft des Projektmanagements. Sie fasste die Kernpunkte der Veranstaltung zusammen, beleuchtete kommende Trends und Technologien und motivierte die Teilnehmenden, ihre Learnings in ihre Projekte zu integrieren. Zudem sprach sie einen besonderen Dank an die Referierenden, das ehrenamtliche Programmkomitee, die Projektleitungen Matthias Friedrich und Anne Ramerth sowie an alle weiteren Beteiligten aus, die zum Gelingen des PM Forum live in Hamburg beigetragen haben. Beim letzten Networking Lunch erlebten die Teilnehmenden einen kulinarischen Hochgenuss sowie den perfekten Schlussakkord. In entspannter Atmosphäre konnten sie Keynotes, Vorträge, Workshops und ihr gewonnenes PM-Wissen gemeinsam reflektieren und sich darüber austauschen- - ein krönender Abschluss für das GPM Highlight-Event! Die GPM freut sich bereits jetzt auf das PM Forum digital am 7. & 8. November 2024. Nach einer eindrucksvollen Präsenzveranstaltung setzt das Format seine Erfolgsgeschichte mit vier hochkarätigen Keynotes fort. Seien auch Sie dabei und erleben Sie, wie das PM Forum digital Ihr Projektmanagement-Wissen auf ein neues Level hebt! Fotos: Paul Hahn 62 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0072 Kraft der Diversität: Ein Rückblick auf die 16. GPM Aktiv 2024 Katja Bäumel „Kraft der Diversität“-- unter diesem Motto fand die 16. GPM Aktiv in Hamburg statt. Die Teilnehmenden erwartete nicht nur eine spannende Keynote zum thema Diversität, sondern auch einen Raum, Diversität zu diskutieren. Auf Einladung des Präsidialrats, bestehend aus Johannes Wille, Peter Richter, Dr. Dagmar Börsch, Claudia Simon und Prof. Dr. Reinhard Wagner, kamen die ehrenamtlich Aktiven der GPM im Radisson Blu Hotel zusammen. Ziel der Veranstaltung war es, in einem konstruktiven und offenen Austausch Ideen und Trends zu diskutieren sowie kreative Konzepte für die zukünftige Entwicklung des Vereins zu erarbeiten. Durch die Veranstaltung führten die Moderatoren Gunnar Marx und Anne Ramerth. Prof. Dr. Peter Thuy, der seit 2022 Präsident der GPM ist, begrüßte alle Anwesenden. „Während meiner Amtszeit haben wir die IT-Infrastrukturen optimiert und sind weiterhin bestrebt, Prozesse zu digitalisieren und zu verbessern. Aktuell arbeiten wir an der Einführung eines Aufsichtsrates als zusätzliches Kontrollorgan für das Präsidium, was eine Änderung der Satzung erforderlich macht.“ Nachdem Thuy die gute Kommunikationskultur im Verein lobte, wünschte er allen Beteiligten einen bereichernden Gedankenaustausch. Anna Engers und ihre Keynote „Was Giraffen und Elefanten mit Diversity zu tun haben“ erklärte im Anschluss auf anschauliche Weise die Bedeutung von Diversität und die damit verbundenen Begriffe. Eine Unternehmenskultur, in der sich Mitarbeitende wohlfühlen, bietet zahlreiche Vorteile: Geringere Fluktuation, höhere Zufriedenheit, sowie gesteigerte Kreativität und Innovation. Das GPM-Motto „Der Mensch steht im Mittelpunkt“ ist prädestiniert für die Förderung von Diversität in unserem Verein. Im Anschluss an den Vortrag fand eine Gruppenarbeit zum Thema „Kraft der Diversität“ statt, bei der die Teilnehmenden die Vorteile der Diversität für die GPM identifizierten und Ideen zur Nutzung sammelten. Dabei wurden Chancen diskutiert und Ansätze entwickelt, um diese in der täglichen Praxis umzusetzen und neue Methoden auszuprobieren. Die Abendveranstaltung fand mitten in der historischen Speicherstadt Hamburg im ältesten Speicherbauwerk, dem Kaispeicher B, im Café „Alte Liebe“ statt. Im gleichen Gebäude ist auch das Internationale Maritim Museum Hamburg zuhause. Auf regionale Köstlichkeiten folgten Führungen durch die Schatzkammer des Museums mit ihrer einzigartigen Sammlung seltener Knochenschiffe. Der Abend klang bei anregenden Gesprächen und lebhaftem Austausch aus. Open Spaces eröffneten den zweiten Tag. Mit dieser Methode bot die GPM Aktiv einen Raum für Kreativität, Innovation und konstruktiven Dialog, der die Teilnehmenden dazu ermutigte, ihre Ideen und Themen aktiv einzubringen. In 15 Open Space Slots wurden offene Fragestellungen diskutiert, wie „ICB5- - was die GPM heute unternehmen muss“, „Ideensammlung für Regionalarbeit“ oder „Projektmanagement in Wissenschaft“. Zudem wurden Themen wie „Data Wissen | Kraft der Diversität: Ein Rückblick auf die 16. GPM Aktiv 2024 63 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0072 Driven Projektmanagement“ und „Nachhaltiges Projektmanagement“ eingehend besprochen und analysiert. Frisch gestärkt ging es nach dem Mittagessen mit drei parallelen Workshops weiter. In dem Workshop „KI zum Anfassen-- Nutzen und Tools für die Projektarbeit“ wurden Tools wie ChatGPT und Copilot an einem Dummy-Projekt getestet und die Ergebnisse miteinander verglichen. Das Seminar „KI im Projektmanagement-- Umfrageergebnisse und Perspektiven“ präsentierte die Ergebnisse und entwickelte neue Veranstaltungsformate zur Weitergabe der KI-Expertise der GPM. Das Ziel des Workshops „Nachhaltigkeit maßschneidern-- Wesentlichkeitsanalyse nach ESRS“ war eine bessere Vertrautheit mit der CSDR und ESRS. Das war ein spannender Workshop- Tag mit vielen neuen Erkenntnissen für alle Teilnehmenden. Die GPM Aktiv 2024 fand ihren Abschluss mit einer Dankesrede von Claudia Simon an die Moderatoren und das Organisationsteam rund um Projektleiterin Anne Ramerth. Fotos: Paul Hahn Jetzt online lesen in unserer neuen eLibrary www.pmaktuell.de Der Online-Zugriff ist in den Leistungen für GPM Mitglieder inbegriffen. Noch kein GPM Mitglied? Schreiben Sie uns unter mitglieder@gpm-ipma.de. Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Unter Mitwirkung von: spm - Swiss Project Management Association und Projekt Management Austria P R OJ E K T M A N A G E M E N T A K T U E L L Anzeige 64 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0073 Projektmanagement für eine effiziente Verwaltung-- Die GPM beim 10. Zukunftskongress Katja Bäumel „Gute Politik braucht eine gute Verwaltung“- - unter diesem Motto präsentierte sich die GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. beim 10. Zukunftskongress Staat & Verwaltung 2024, der vom 24. - 26. Juni in Berlin stattfand. Die GPM bereicherte das Programm mit einer Podiumsdiskussion, einem Workshop und einem Best-Practice-Dialog. Der Zukunftskongress, der unter der Schirmherrschaft vom Bundesministerium des Innern und für Heimat steht, ist die Leitveranstaltung für ein modernes und digitales Deutschland. Der Kongress konzentriert sich auf die Digitalisierung und Modernisierung des öffentlichen Sektors in Deutschland. Hier treffen sich Vertreter aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft, um aktuelle Trends, Herausforderungen und Lösungen für eine zukunftsfähige Verwaltung zu diskutieren und zu entwickeln. Im Rahmen der Hauptpartnerschaft setzte sich die GPM mit ihrem Programm für ein effektives Projektmanagement als eine der wichtigen Zukunftsfähigkeiten für Staat & Verwaltung ein. Ziel ist es, für professionelles Projektmanagement in der Breite zu sensibilisieren und Best-Practices zu vermitteln. Der Auftakt der GPM Veranstaltungsreihe war eine Podiumsdiskussion zum Thema „Arbeit 4.0 im öffentlichen Sektor- - Die Transformation der Arbeitswelt in der Verwaltung hat begonnen. So gewinne ich Fachkräfte und sorge gleichzeitig für eine effiziente und nachhaltige Arbeitsumgebung.“ Prof. Dr. Peter Thuy diskutierte mit Vertretern aus dem öffentlichen Sektor und einer Unternehmensberatung über neue Arbeitsweisen und den daraus resultierenden neuen Chancen für die Verwaltung. Laut Thuy wird der Arbeitsmarkt stark durch die Generation Z beeinflusst. Diese junge Generation setzt andere Prioritäten, bevorzugt flache Hierarchien und eine ausgewogene Work-Life-Balance. „Die Einführung von New Work,“ betont Thuy, „ermöglicht selbstbestimmtes Arbeiten, während eine offene Fehlerkultur und eine Veränderung der Unternehmenskultur notwendig sind und vom Management mitgetragen werden müssen.“ Was wird von Auftraggebern für den PMO-Aufbau erwartet? Was ist für den PMO-Aufbau erforderlich? Und welche Besonderheiten gibt es für den PMO-Aufbau? Diese Fragen klärte der spannende GPM Workshop zum Thema „Moderne Aspekte für den PMO-Aufbau in Kommunen“, moderiert von Prof. Dr. Alexander Bull, Susanne Kaletta und Maximilian Rottmann. Der Workshop, aufgeteilt in drei Gruppen, beleuchtete diese Fragestellungen aus organisatorischer, technischer und sozialer Sichtweise. Der inspirierende Best-Practice-Dialog „Veränderung durch Projektmanagement: Dafür braucht es einen sympathischen Pain-in-the-Ass“ zwischen Michael Geißler und Alexandra Hänig verdeutlichte, warum effektives Change Management unverzichtbar ist. Projektleiter sollten ihr Team von Anfang an aktiv einbinden, klare Kommunikation fördern und Konflikte konstruktiv angehen. Am GPM Stand ergaben sich viele interessante Gespräche und Begegnungen mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Verwaltung und Gesellschaft. Der gemeinsame Tenor war klar: „Gute Politik braucht eine gute Verwaltung.“ Die GPM blickt auf erfolgreiche Tage zurück und zieht eine positive Bilanz der Veranstaltung. Eingangsabbildung: Christiane Scheumann 65 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0074 re: publica 2024-- Who cares? Maximilian Hahn Who cares? -- Unter diesem Motto fand die diesjährige Ausgabe der re: publica vom 27. -29.05. in Berlin statt. Die re: publica ist eine Konferenz, die sich auf Themen der digitalen Gesellschaft, der Medien sowie der Netzpolitik und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft konzentriert. Sie wurde erstmalig in Berlin im Jahr 2007 abgehalten und hat ihren Ursprung in der Blogger- und Netzaktivismusszene. Die Veranstaltung richtet sich an ein breites Publikum, darunter Bloggende, Medienschaffende, Forschende sowie gesellschaftspolitisch Aktive, die an den aktuellen und zukünftigen Entwicklungen des digitalen Raums interessiert sind. Zunehmend werden auch andere gesellschaftspolitisch relevante Themen- - wie z. B. Menschenrechte, Rassismus oder auch, anlässlich des Wahljahres 2024, die Europapolitik in verschiedensten Formaten aufgenommen. Für die GPM waren dies vielerlei Gründe um in diesem Jahr erstmalig als Programmpartnerin bei der re: publica teilzunehmen. Das Motto der Veranstaltung „Who Cares? “ war dabei vielseitig interpretierbar-- Wen interessiert’s? Wer kümmert sich? Diesen Interpretationsspielraum nahm die GPM zum Anlass, ihre eigene Antwort darauf zu finden und diese lautete- - (das) Projektmanagement! Natürlich ist der Bezug des Projektmanagements zu gesellschaftspolitischen Themen vielschichtig und vielleicht nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen, doch lohnt sich hier ein zweiter Blick, denn Projektmanagement bietet ein enormes Potenzial für gesellschaftspolitische Transformationsprozesse. Aus diesem Grund trugen alle Veranstaltungen der GPM dazu bei, die folgenden Leitfragen zu beantworten: Welche gesellschaftspolitische Relevanz hat das Projektmanagement? Und wie kann Projektmanagement dabei helfen, gesellschaftspolitische Entwicklungen voranzubringen? In einem sogenannten Lightning-Talk zum Thema „Projektmanagement für Aktivist: innen-- Damit deine Ideen zur Realität werden“ gingen Daniel Reuter und Dennis Kechel von der Young Crew der GPM der letzteren Frage nach. Dabei beleuchteten sie sehr anschaulich, wie sinnvoll Projektmanagement als Umsetzungsmethode für Aktivistinnen und Aktivisten und ihre sozialen sowie politischen Visionen sein kann. Sie vermittelten dem Publikum grundlegendes Wissen über das Projektmanagement und stellten das Kanban-Board als eine grundlegende Arbeitsmethode im Projektmanagement vor. © Christiane Scheumann Wissen | re: publica 2024 - Who cares? 66 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0074 Primäres Ziel war es, Verständnis dafür zu schaffen, wie relevant Arbeitsmethodik für die Umsetzung von Visionen und gesellschaftspolitischen Engagement ist und welche einfachen Tools bei der Umsetzung hilfreich sein können. Als eine weitere Ergänzung zum Lightning Talk gab es an den Veranstaltungstagen kleinere Impulsvorträge am Messestand der GPM. Jörg Süggel, aus der GPM Fachgruppe Turn- Around PM, sprach zum Thema „Projekte in der Krise- - Who cares? “. In seinem Impuls illustrierte er verschiedene öffentliche Großprojekte, wie beispielsweise Stuttgart 21 oder den Hauptstadtflughafen BER, welche Projektkrisen durchlaufen haben bzw. immer noch durchlaufen. Er zeigte auf, welche Methodiken und welches Mindset für einen „Projekt-Turnaround“, also dem Herausführen eines Projekts aus einer Krise, von Bedeutung sind. Dabei unterstrich er, dass Angst und Zweifel große Hindernisse darstellen und einem Projekt-Turnaround entgegenstehen können. Zugleich nutzte Jörg Süggel die Gelegenheit und stellte die Arbeit der Fachgruppe Turn- Around PM vor. In einem weiteren Talk am Stand der GPM beschäftigte sich Darya Schwarz-Fradkova mit dem Thema „Frauen im Projektmanagement- - Die Headhunting-Perspektive“. Gemeinsam beleuchtete sie dieses Thema mit Stefan Raatz von der Andreas Leifeld Personalvermittlung in einem Interview-Format. Beide gingen dabei der Frage nach, weshalb der Frauenanteil im Projektmanagement seit Jahren bei 30 % stagniert und warum die weibliche Perspektive für das Projektmanagement so wichtig ist. Zentrale Punkte, welche in diesem Kontext diskutiert wurden, waren die teilweise immer noch schwierige Vereinbarkeit von Privat-/ Familienleben und dem Berufsleben sowie ein eher traditionelles Berufsverständnis. Im weiteren Verlauf des Gesprächs evaluierten beide, welche Herausforderungen bei der Suche und Einstellung von weiblichen Profilen für das Projektmanagement bestehen und wie den zuvor genannten Herausforderungen entgegengewirkt werden kann. Es waren drei intensive Tage voller Austausch am Stand der GPM. Eines wurde sehr deutlich: die re: publica ist kein typischer Kongress, sondern eine sehr diverse, junge und durch enormes Engagement geprägte Veranstaltung. Die Bandbreite an engagierten Menschen mit Visionen ist groß und so auch unser Anspruch: Mit gutem Projektmanagement gestalten wir die Zukunft von morgen- - egal ob in Wirtschaft, Verwaltung oder Zivilgesellschaft. Eingangsabbildung: © Anne Barth 67 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0075 Kolumne Nicht das Beste, oder? Jens Köhler Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch-- Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Ehrlich nimmt an einer Projektteamsitzung seines Kollegen Priesberg teil. Doch bevor sie mit der Arbeit beginnen, ruft dieser ins Team: „Wir haben das beste Projektmanagement der Welt! “ Mechanisches Kopfnicken ist die Antwort. Anschließend beginnt die Arbeit, allerdings verheddert sich das Team häufig im Klein-Klein und diskutiert lautstark Prioritäten. „So sieht also das beste Projektmanagement der Welt aus“, spottet Ehrlich, als dieser mit Priesberg schließlich alleine im Besprechungsraum sitzt. Priesberg antwortet empört: „Wir haben doch die allerneuesten Methoden berücksichtigt und wenden sie auch an, wie du es wahrgenommen haben solltest. Streitigkeiten kommen in den besten Familien vor und zeugen keineswegs von Schwächen in den Methoden.“ Er fährt fort: „Ich weiß, was du jetzt sagen willst. ‚Schaue dir erst mal die Ergebnisse an, dann wissen wir, ob die Methoden auch was getaugt haben.’“ Ehrlich huscht ein Lächeln übers Gesicht, denn er hatte vor, genau das zu sagen. „Reden wir doch mal wieder über Glaubenssätze“ [1], entgegnet er stattdessen. Priesberg erwidert spöttisch: „Aha, du weißt nicht mehr weiter und ziehst daher den Glauben zu Rate.“ Ehrlich antwortet ruhig: „Ich meinte Glaubenssätze und nicht den Glauben.“ Priesberg redet sich in Rage: „Du glaubst einfach nicht an die Kraft der Methoden und gönnst uns noch nicht mal ganz vorne an der Spitze zu stehen-…“ Der Gebäudealarm ertönt und beide müssen es verlassen. Sie gehen schweigend nach draußen und treffen sich auf dem Sammelplatz, der bei einer Evakuierung aufzusuchen ist. Es regnet stark. „Wäre es nicht besser, im Gebäude zu warten, bis die Ursache für den Alarm gefunden ist? “, fragt Priesberg, der sich wieder beruhigt hat. Ehrlich stellt eine Gegenfrage: „Woher nehmen die Sicherheitsexperten ihr Wissen, uns auf diesen Platz zu schicken? “ „Aus der Vergangenheit. Dort hat es sich bewährt. Und daher glaubt man, dass es auch in der Zukunft helfen wird“, antwortet Priesberg, der sich in den Besprechungsraum zurückwünscht. „Aha, jetzt hast du das ausgesprochen, was ich meinte. Glaubenssätze sind geronnene Erfahrung“, muntert Ehrlich seinen Kollegen auf. Die Entwarnung ertönt und alle strömen wieder ins Gebäude.„Und wie hilft uns das weiter? “, fragt Priesberg, als sie wieder im Besprechungszimmer angekommen sind. „Ein Glaubenssatz ist wie ein Filter. Er sorgt dafür, dass wir nur die Worte aus unserer Umgebung positiv wahrnehmen und wirken lassen, die dem Glaubenssatz entsprechen. Du kannst dir also Glaubenssätze wie Magnete für bestimmte Worte vorstellen. Aus diesen Worten wird dann die Wirklichkeit gebaut“, erläutert Ehrlich. „Und wenn wir aufgrund von erlerntem Methodenwissen glauben, das beste Projektmanagement der Welt zu haben-…“ setzt Priesberg an, Ehrlich aber fällt ihm ins Wort- … „dann nehmt ihr diejenigen Signale als lästig oder gar nicht wahr, die darauf hindeuten, dass die Methoden nichterwünschte Projektergebnisse liefern.“ „Was wäre denn jetzt zu tun? “ fragt Priesberg. „Überprüft eure Glaubenssätze anhand von Ergebnissen, kümmert euch um die Zusammenarbeit, wie die Existenz eines Collective Mind: Die Glaubenssätze bestimmen, was wir denken und tun“, holt Ehrlich aus und fährt fort: „aber manchmal führen sie in die Irre. Dann muss man sie aufgrund der gemachten negativen Erfahrung ändern.“ Priesberg gibt zu: „Auf der Projektteamsitzung vorhin habe ich eine Menge negativer Erfahrung in den Gesichtern wahrnehmen können. Ich wollte es nur nicht wahrhaben. Wir sind doch die Besten-…“ Ehrlich antwortet: „Jetzt siehst du, was passiert, wenn sich eine Organisation ‚von oben‘ einen Glaubenssatz verordnet, zum Beispiel ‚wir sind die Besten‘ und die Mitglieder der Organisation nicht mitziehen. Denn ihre Glaubenssätze sind wahrscheinlich verschieden und sie passen nicht zu dem verordneten Glaubenssatz. Äußerliche Zustimmung, wie das Kopfnicken vorhin, können irreführend sein.“ Priesberg scheint das Thema mittlerweile zu mögen: „Also sollten die Mitglieder der Organisation die gemeinsame Erfahrung eines erfolgreichen Projekts schaffen. Dann kann die Anwendung der Methoden mit Projektergebnissen verknüpft werden. Schließlich haben wir als gemeinsamen, zielführenden Glaubenssatz: ‚Wir sind auf dem richtigen Lösungspfad‘.“ „Ja, so ist es. ‚Wir sind die Besten‘ führt bei einem Mangel an geerdeter Kongruenz in den Glaubenssätzen absehbar ins Gegenteil. Und das ist doch nicht das Beste, oder? “, schließt Ehrlich. [1] Vgl. auch Ehrlich und Priesberg 05 / 2022: Sind Gerüchte unwiderlegbar? Eingangsabbildung: © iStock.com / Comeback Images Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. Sein Spezialgebiet ist die Regulation sozialer Komplexität zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams. Anschrift: BASF SE, RGQ / IM, 67 056 Ludwigshafen, eMail: Jens.Koehler@basf.com 68 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0076 Aus den DACH-Verbänden | GPM intern Neue Firmenmitglieder stellen sich vor-… Firma Hauptgeschäftsgebiet PM-Aufgaben und -Bedeutung Erwartungen an die GPM Rottendorf Pharma GmbH www.rottendorf.com PMO-Director: André Herrmann, andre.herrmann@rottendorf.com Rottendorf Pharma gehört zu den führenden Auftragsherstellern und -entwicklern (CDMO) im Bereich fester oraler Darreichungsformen und ist seit mehr als 95 Jahren in der Herstellung und Verpackung sowie der Entwicklung von Formulierungen und analytischen Verfahren für die internationale Pharmaindustrie tätig. Die stetig steigenden Anforderungen unserer Kunden erfordern immer neue Investitionen in Infrastruktur, Maschinen und Anlagen sowie die Implementierung von neuen Technologien und Prozessen. Diese Aufgaben werden bei Rottendorf Pharma zentral als Projekt im Project Management Office (PMO) gesteuert und anhand eines eigens entwickelten Phasenmodells erfolgreich umgesetzt. Networking & Know-how-Austausch | Ideen & Impulse für PM-Standards | Schulung, Weiterbildung und Zertifizierung unserer Mitarbeitenden. SCOPE Engineering GmbH www.scope-engineering.de René Tietzek, tietzek@scope-engineering. de Die zwei Hauptgeschäftsgebiete unseres Unternehmens sind zum einen die Business Unit Technical Documentation im militärischen und zivilen Bereich und zum anderen die Business Unit Development mit den Bereichen Systems Engineering, Hardware- und Softwareentwicklung. In unserem Unternehmen sind die wichtigsten PM-Aufgaben die strategische Ausrichtung zur Erreichung unserer Unternehmensziele und die Effizienzsteigerung durch optimale Ressourcennutzung. Zudem legen wir großen Wert auf Risikomanagement zur proaktiven Problemvermeidung und Transparenz, um die Kontrolle und Zufriedenheit unserer Stakeholder zu gewährleisten. Wir erwarten hochwertige Weiterbildungs- und Zertifizierungsangebote sowie ein starkes Netzwerk für Austausch und Kooperation. Darüber hinaus sollen Forschung und Innovation gefördert werden. Staatliches Berufliches Schulzentrum Vilshofen: Fachakademie für Ernährungs- und Versorgungsmanagement, Hotel / Event www.bsvof.de / fachbereiche / fachakademie Cornelia Böckl-Aschenbrenner c.boeckl@bsvof.de Akademie zur Weiterbildung im Bereich Gastronomie, Hotellerie, Lebensmittelhandwerk-… mit dem Abschluss Betriebswirt für Ernährungs- und Versorgungsmanagement (Bachelor Professional in Wirtschaft) nach drei Jahren PM ist als Unterrichtsfach fester Bestandteil der 3-jährigen Weiterbildung mit einer Abschlussprüfung im PM. Studierende ergänzen den Abschluss als Bachelor Professional in Wirtschaft mit einem PM-Zertifikat nach GPM / IPMA Die GPM Fach- und Regionalgruppen Die derzeit 39 Regionalsowie 32 Fachgruppen der GPM bieten eine Plattform zum branchenübergreifenden Networking und Erfahrungsaustausch. Sie leisten damit wichtige fachliche Basisarbeit innerhalb des Vereins. Die Regional- und Fachgruppen bieten darüber hinaus ein breites Angebot von in der Regel kostenlosen Veranstaltungen zum Projektmanagement. Weitere Informationen und Ansprechpartner der einzelnen GPM Fach- und Regionalgruppen finden Sie auf der GPM Website unter: www.gpm-ipma.de / know_how / fachgruppen.html bzw. www.gpm-ipma.de / ueber_uns / regionen.html 69 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0077 lungsprojekte. Karin Huber-Heim, Circular Economy Forum Austria und Stadt Wien Stiftungsprofessur für Kreislaufwirtschaft und transformative Geschäftsmodelle an der FH des BFI Wien, spricht über Projektmanagement in der Kreislaufwirtschaft. Warum Telemedizin in der Zukunft aus der Gesundheitsversorgung nicht mehr wegzudenken ist, erläutert Facharzt und Telemedizin-Experte Andrea Vincenzo Braga. Weitere Showcases geben Ilse Merkinger-Boira und Felix W. Ratcliffe, IT-Dienstleister EBCONT, sowie Heinz Nusser, Decision Advisory Group. Für den humorvollen Abschluss sorgt die Kabarettistin und Schauspielerin Angelika Niedetzky. Die Kongress-Teilnehmer*innen erwartet am 17. Oktober ein bunter Mix aus Impulsvorträgen, Praxisbeispielen und viel Platz für Vernetzung, Weiterbildung und Unterhaltung. Interaktive Workshops und Österreichs größte Projektmanagement- Messe runden den Fachkongress ab. Interessierte können im Austria Center Vienna live vor Ort oder digital dabei sein. Infos unter pma.at / focus __________________________ Mitglied vor den Vorhang EBCONT group GmbH Millennium Tower Handelskai 94-96, 1200 Wien Kontakt: Mag. Ilse Merkinger-Boira, Head of Corporate Communication ilse.merkinger-boira@ebcont.com www.ebcont.com Hauptgeschäftsgebiet EBCONT bietet IT-Lösungen über den gesamten Projekt-Lebenszyklus. Mit Expertise in KI und Full-Stack-Technologien erfüllen wir vielfältige Kundenbedürfnisse durch Data Experts und Data Scientists. PM-Aufgabe und Bedeutung Als umfassender IT-Dienstleister wickeln wir einen Großteil unserer Aufträge in Projektform ab, häufig in einer integrierten Organisation mit dem Kunden. Je nach Anforderung verfolgen wir einen Scrum-, Kanban- oder SAFe-Ansatz und legen dabei auf praxiserprobte, zertifizierte Projectmanager und Agile-Experts großen Wert. Aus den DACH-Verbänden | pma intern pma focus 2024: Starten wir das Projekt Zukunft Österreichs größter Projektmanagement-Kongress widmet sich am 17. Oktober dem Thema: Projecting Future / s-- mit Projektmanagement die Welt verbessern. Projektmanagement wirkt heute auf all unsere Lebensbereiche ein: Wie wir leben, wo wir wohnen, was wir kaufen und vor allem, wie wir arbeiten. Wenn es um Innovation geht, sind Projekte als temporäre Organisationsform der passende Rahmen. In Projekten ist es möglich, unterschiedliche Erfahrungen zu integrieren, externe Meinungen einzubinden und auch agile Methoden zu verwenden, die der großen Dynamik der Veränderungen entsprechen. „Professionelle Projektkultur erweist sich als entscheidend für das Projekt Zukunft”, sagt pma Vorstand Robert Schanzer, der für den diesjährigen pma Kongress verantwortlich zeichnet. Zukunft gemeinsam gestalten „Mit dem pma focus beleuchten wir die großen gesellschaftlichen, wie wirtschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit und wie erfolgreiche Projekte zu einer besseren Zukunft beitragen“, so Robert Schanzer. In ihrer Eröffnungskeynote beleuchtet Zukunftsforscherin Oona Horx Strathern die aktuellen Umwälzungen in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt und bringt Praxisbeispiele aus aller Welt. Freundlichkeit, so Horx Strathern, könne der entscheidende Wettbewerbsvorteil der Zukunft werden. „Nachhaltigkeit, Purpose und Verantwortung sind jene Aspekte, die uns als Gesellschaft immer wichtiger werden“, so Horx Strathern. Keynotes, Kabarett & Co. Wie schaut die Zukunft unserer Städte aus? Johannes Suitner, Raumplaner und Forscher an der Technischen Universität Wien, entwirft ein Zukunftsbild für erfolgreiche Stadtentwick- 70 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0078 Aus den DACH-Verbänden | spm intern 24. spm. Frühjahrstagung in Zürich Stefan Ruchti, Leiter spm.stammtisch Bern Am 6. Juni 2024 fand im Papiersaal Zürich die 24. Frühjahrstagung unter dem Motto Future Skills- - die Projektwelt von morgen statt. Nach der Begrüssung durch die spm-Präsidentin Ingrid Giel und den Moderator Jos. Linssen begann die Tagung mit einem faszinierenden Vortrag von Georges T. Roos, einem der führenden Schweizer Zukunftsforscher und Gründer des Zukunftsinstituts ROOS Trends & Futures. Mit seinen Kernaussagen „Megatrends und Transformationen: Die richtigen Skills für die Arbeitswelt von morgen müssen zu den künftigen Herausforderungen passen» betonte Georges T. Roos, dass Megatrends langfristige und weitreichende Entwicklungen sind, die global spürbar sind. Sie helfen dabei, zukünftige Veränderungen zu erkunden und bieten somit eine verlässliche Prognose zukünftiger Entwicklungen und deren Projekte. Georges T. Roos erläuterte, basierend auf UN-Projektionen, dass die Weltbevölkerung bis 2050 auf 9,7 Milliarden und bis 2100 auf 11,2 Milliarden anwachsen wird. Die Wachstumsraten variieren erheblich zwischen den Kontinenten: Asien wird bis 2050 um 22 %, die Amerikas um 28-31 % und Afrika um 120 % zulegen. Europa hingegen erwartet einen Bevölkerungsrückgang von 10 %. In Nordamerika wird die Zahl der 25bis 65-Jährigen bis 2040 um 21 Millionen steigen, während in Europa ein Rückgang um 16,5 Millionen prognostiziert wird. In den Ländern südlich der Sahara wird für dieselbe Altersgruppe ein Anstieg auf 500 Millionen erwartet. Die Alterung der Bevölkerung ist ein globales Phänomen, das besonders außerhalb Afrikas ausgeprägt ist. Laut den Vereinten Nationen wächst die Gruppe der über 60-Jährigen am schnellsten und umfasst derzeit 960 Millionen Menschen weltweit. Prognosen zufolge wird diese Zahl bis 2030 auf 1,4 Milliarden und bis 2050 auf 2,1 Milliarden ansteigen. Hauptursachen sind die sinkende Geburtenrate und die steigende Lebenserwartung. Georges T. Roos propagierte ebenfalls den Megatrend einer zunehmenden Transparenz in verschiedenen Bereichen. Diese umfasst die Offenlegung von Daten, Strukturen, Prozessen und Interessen und entspricht den Forderungen eines wachsenden Teils der Weltöffentlichkeit. Viele Länder haben das Öffentlichkeitsprinzip für staatliche Tätigkeiten eingeführt, wobei alles offengelegt werden muss, was nicht als vertraulich oder geheim erklärt ist. Whistleblower geniessen vermehrt gesetzlichen Schutz, und internationale Organisationen wie die OECD und die EU bekämpfen die Steuervermeidung multinationaler Firmen. Die Öffentlichkeit fordert auch von NGOs und Unternehmen zunehmende Offenlegung ihrer Prozesse und Interessen. In der Forschung und Wissenschaft setzen sich die Prinzipien „open data“, „open access“ und „open source“ durch. Transparenz ist ein Teil der Internetkultur, wird jedoch oft ohne die direkte Zustimmung der Betroffenen praktiziert, da Nutzer auf sozialen Medien viele persönliche Informationen preisgeben und durch Internetnutzung „gläsern“ werden. Zudem führt die Markttransparenz zu einer besseren Vergleichbarkeit von Angeboten und der Bewertung von Produkten und Dienstleistungen durch Kunden. Georges T. Roos diskutiert neue Möglichkeiten zur Veränderung von Pflanzen und Lebewesen sowie die Verschmelzung von Lebewesen mit Technologien. Er betont, dass dies zu einem Megatrend führen könnte, den er als „Bio-Transformation“ bezeichnet. Marcel Ursprung von der Zürcher Kantonalbank stellte erst die provokative These auf, dass Projektleiter und Projektleiterinnen möglicherweise überflüssig geworden seien, was im Publikum für Unbehagen sorgte. Er widersprach dieser These dann aber und betonte in seinem Vortrag „Mit agilen Berufsbildern in die Zukunft“ die Notwendigkeit, die Rolle des klassischen Projektleiters zu erweitern. Statt die Position abzuschaffen, sollen die Fähigkeiten eines modernen Projektleitenden in Richtung „Agile Leader Management“ ausgebaut werden, einschließlich Kompetenzen eines Scrum Masters, Product Owners oder Agile-Coachs. Soft Skills wie emotionale Intelligenz, Kommunikation, Teamarbeit und Konfliktmanagement gewinnen an Bedeutung, da sie entscheidend für den Projekterfolg sind. Emotional intelligente Projektmanager und Projektmanagerinnen werden als effektive Führungskräfte angesehen, die motivierte und engagierte Teams leiten können. Silvio Moser sprach über das Thema „Agiles Chaos: mit oder ohne PM? “. In der agilen Welt verliert die Rolle des Projektmanagers an Bedeutung. Moser, Mitbegründer von Xebia Switzerland (ehemals SwissQ), hat die Einführung von Agile intensiv miterlebt und begleitet. Als Coach und Trainer hat er Einblicke in zahlreiche Projekte verschiedener Branchen und teilte seine wertvollen Erfahrungen mit uns. Er erläuterte, was im agilen Projektmanagement funktioniert und was nicht. Patrick Mollet von Great Place to Work Switzerland teilte mit uns in „Zwischen ChatGPT und 4-Tage-Woche“ seine Erfahrungen mit neuen Formen der Arbeit. Er reflektierte darüber, welche Skills wir für die Arbeitswelt von morgen brauchen werden. Nach einer Mittagspause, die den Teilnehmenden der 24. Frühjahrstagung ein köstliches Mittagessen bot, folgte ein Überraschungsprogramm. Die Bewegungswissenschaftlerin Michèle Mattle erklärte uns, wie wichtig Bewegung für uns alle ist und aktivierte uns nachhaltig nach der Mittagspause. Roman tschäppeler, Teil des Autorenduos Krogerus & Tschäppeler, ist bekannt für seine prägnanten und amüsanten Kolumnen über Arbeits- und Projektalltag. Er erklärte anschaulich verschiedene Entscheidungstypen und -vorgänge, wodurch wir erkennen konnten, was wir individuell und was wir besser gemeinsam entscheiden sollten. Am frühen Nachmittag wurden in zwei Breakout-Sessions die spannenden Themen der Vorträge von Roman Tschäppe- Aus den DACH-Verbänden | 24. spm. Frühjahrstagung in Zürich 71 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0078 ler, Silvio Moser, Marcel Ursprung und Patrick Mollet reflektiert und aktiv mit den Teilnehmenden der 24. Frühjahrestagung diskutiert. Nach dem offiziellen Abschluss der Tagung gab es ein ausgiebiges Apéro und die Möglichkeit zum weiteren Networken. Mein Fazit aus den Expertenvorträge und dem persönlichen Austausch mit den Teilnehmenden der 24. Frühjahrstagung des spm. lautet: Die 24. Frühjahrstagung des spm. beleuchtete Innovationen wie das Internet der Dinge (IoT), Künstliche Intelligenz (KI), Industrie 4.0 und die agile Transformation, die neue Herausforderungen im Projektmanagement darstellen. Es zeigt sich ein Trend zu stärkerer projektbasierter Arbeit, wobei das Budgetverhältnis sich von 90 % Betrieb und 10 % Veränderung auf 80 % zu 20 % verschiebt. Expertenvorträge gaben wertvolle Einblicke und neue Strategien für erfolgreiches Projektmanagement. Der Austausch mit anderen Teilnehmern ermöglichte wertvolle Kontakte und den Austausch von Best Practices. Es wurde festgestellt, dass in vielen Unternehmen und Verwaltungen organisatorische Kompetenz im Projektmanagement fehlt. Standardisierte Prozesse, Methoden und effektives Portfolio-Management sind oft noch nicht vorhanden, was die optimale Projektmischung und Ressourcenplanung erschweren. Projekte werden häufig nicht auf ihre strategische Relevanz und Durchführbarkeit geprüft. Diese Herausforderungen bieten jedoch auch Chancen zur kontinuierlichen Verbesserung und zum gemeinsamen Lernen innerhalb der Projektmanagement-Community des spm. Die Tagung endete mit dem Ausblick auf zukünftige Veranstaltungen, die weiterhin die Weiterentwicklung und Vernetzung innerhalb der Community des spm. fördern. Vielen Dank an unsere Sponsoren der spm. Frühjahrstagung 2024 Impressionen von der 24. Frühjahrestagung des spm (Bilder von Stefan Ruchti) 72 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 04/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0079 Auf ein Wort mit-… Michael Barg Martina Peuser Zur Person | Michael Barg arbeitet als Technical Team Lead seit 23 Jahren bei der TUI Group in Hannover. Er verantwortet in der Group IT einen Teil der Retail Sales Systemlandschaft und entwickelt im internationalen Umfeld Produkte, Kultur, Menschen und Prozesse fortwährend weiter. Wie sind Sie zum Projektmanagement gekommen? Schon früh habe ich festgestellt, dass es mir liegt, Menschen zusammenzubringen, Aufgaben voranzutreiben und vernetzt unterwegs zu sein. Falls Sie kein Projektmanager geworden wären-- was stattdessen? Ich könnte mir auch eine Aufgabe als Laufcoach vorstellen, um meine Erfahrungen aus 20 Jahren Laufsport weiterzugeben. Welches Projekt hat Sie besonders geprägt oder war für Sie besonders wichtig? In meinem ersten Projekt innerhalb der TUI hatte ich gleich mit Menschen in verschiedenen Ländern zu tun. Verschiedene Wertesysteme und Arbeitsweisen unter „einen Hut“ zu bekommen, sind herausfordernd und unglaublich bereichernd. An welchem Projekt arbeiten Sie gerade? Derzeit liegen mehrere Softwareentwicklungen im TUI Retail Business in meiner Verantwortung. In internationalen Softwareentwicklungsteams entwickeln wir diese Reisebürolandschaft fortwährend weiter. Gelten in Ihrem Bereich bestimmte Standards und Methoden? Wir arbeiten in der IT seit 10 Jahren in agilen Entwicklungsmethoden, im Wesentlichen nach Scrum und können so auf veränderte Anforderungen schnell reagieren. Welche historischen Projekte bewundern Sie am meisten? Ich reise gern und wenn ich heute die Monumentalbauten der Vergangenheit sehe, ob Pyramiden, Machu Pichu, Taj Mahal etc. ist es mir ein Rätsel, wie es diese Kulturen damals geschafft haben, diese wunderschönen Dokumente der Geschichte zu erschaffen. Was wäre Ihr Traumprojekt? Im Tourismus tragen wir eine wichtige Verantwortung zum Thema Nachhaltigkeit und hier einen Teil beitragen zu können, reizt mich sehr. Die TUI unterstützt derzeit viele Initiativen, um unsere Welt ein kleines Stückchen besser zu machen. Was zeichnet Sie als Projektmanager besonders aus? Mein Fokus liegt darauf, dass es den Menschen gut geht. Denn geht es den Menschen gut, sind die Ergebnisse in der Regel viel besser. Was motiviert Sie, in Projekten zu arbeiten und Projekte zu leiten? Mein Job gibt mir die Möglichkeit immer wieder neue Themen zu erlernen und mit vielen verschiedenen Menschen zusammenzuarbeiten. Welche Tipps haben Sie für den Projektmanagement-Nachwuchs? Die wichtigsten Aspekte sind immer wieder neue Ideen auszuprobieren und den Mut zu haben, Fehler anzuerkennen und daraus zu lernen. Welche Eigenschaften schätzen Sie an Projektmanagern*innen am meisten? Klare und offene Kommunikation. Verzögerungen kommen auch in den besten Projekten vor. Fahren auf Sicht ist dabei der Schlüssel. Was ist für Sie als Projektmanager das größte Glück? Die kleinen Erfolge und Fortschritte erkennen, feiern und nicht zu sehr auf das große Ganze schauen. Was sind zukünftige Trends? OKRs (Obective Key Results) sind in den letzten Jahren zu einem Hype in unserem Business geworden. Was geben Sie den Lesern mit auf den Weg? Bei allem Druck und den hohen Erwartungshaltungen, die in der Arbeitswelt herrschen, ist es umso wichtiger, den Spaß an der Arbeit nicht zu verlieren. Prof. Dr. Martina Peuser ist Professorin mit den Schwerpunkten Projektmanagement und Organisation, Unternehmensberaterin und Keynote Speakerin. Als Entwicklerin des Multi Top-Performance Radar (MTPR ©) begleitet sie Unternehmen bei der Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit zu agilen und absolut kundenorientierten Marktführern. In ihrer Kolumne gibt sie spannende Kurzeinblicke in Lebensläufe und Gedanken von im Projekt tätigen Personen. PM FORUM DIGITAL VON ÜBERALL repräsentative Studie zum Anteil der Projektarbeit in Deutschland 2023 uvk.de Auch dafür gibt es Projektmanagement-Software! Schlechte Kommunikation im Projekt? Kommunikation im Projektmanagement klingt erstmal nebensächlich, dabei scheitern immer wieder Projekte aufgrund mangelnder Abstimmung in den Projektteams. Mit PLANTA haben Sie einen besseren Überblick über den Projektfortschritt und mögliche Stolpersteine. Minimieren Sie den Abstimmungsaufwand und erreichen Sie Ihre Projektziele zuverlässig. Projektmanagement- Software kann natürlich noch viel mehr - Was genau, erfahren Sie auf unserer Website. Sie haben Fragen? Lassen Sie sich von uns persönlich beraten. Finden Sie heraus, was Projektmanagement- Software alles kann. www.planta.de