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PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
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UVK Verlag Tübingen
1216
2024
355 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.
Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Unter Mitwirkung von: spm - Swiss Project Management Association und Projekt Management Austria P R OJ E K T M A N A G E M E N T A K T U E L L www.pm-aktuell.de Vielfalt im Projektmanagement Ausgabe 5/ 2024 | 35. Jahrgang PM-Zeit für dich Unser Weiterbildungsangebot bringt dich persönlich und fachlich voran PM-Zeit für uns Zahlreiche Vernetzungsmöglichkeiten bringen uns zusammen und in den Austausch PM-Zeit für alle Mit Studien und Forschung stärken wir die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft ® Mitglied der Es ist an der Zeit für Projektmanagement. Ob in der Wirtschaft, der Verwaltung oder für die persönliche Entwicklung. Mit dem gezielten Ausbau von Projektmanagement-Fähigkeiten können Projekte effizienter gestaltet und der Erfolg messbar gesteigert werden. Denn Projektmanagement ist nicht nur Methode, sondern die Basis für Struktur, Innovation und nachhaltige Ergebnisse. Jetzt über unser umfangreiches Angebot rund um PM informieren: gpm-ipma.de 1 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 34. Jahrgang · 05/ 2024 Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Am Tullnaupark 15, 90402 Nürnberg Unter Mitwirkung von Spm - Swiss Project Management Association Flughofstraße 50, CH-8152 Glattbrugg und Projekt Management Austria Palais Schlick, Türkenstraße 27/ 2/ 21, A-1090 Wien Redaktion: Prof. Dr. Steffen Scheurer, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (Chefredakteur) Oliver Steeger, Alfter (Ressort Report) Dr. Thor Möller, prometicon projects GmbH, Bremen Redaktionsbeirat: Prof. Dr. Peter Thuy (Präsident GPM) Dr. Dieter Butz Axel Graser, Südwestrundfunk / SWR Prof. Dr. Nino Grau, Grauconsult GmbH Prof. Dr. Katrin Hassenstein, Hochschule der Medien Stuttgart Prof. Dr. Claus Hüsselmann, Technische Hochschule Mittelhessen Dr. Ingrid Giel, spm, Schweizerische Gesellschaft für Projektmanagement Brigitte Schaden, pma (Projektmanagement Austria) Prof. Dr. Doris Weßels, Fachhochschule Kiel G 6010 35. Jahrgang, 05/ 2024 ISSN 2941-0878 Verlag: UVK Verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5, 72070 Tübingen Telefon: +49 (0)7071 97 97 0 www.projektmanagement.digital © 2024 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Tübingen Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages. Namentlich gekennzeichnete Beiträge sowie die Inhalte von Interviews geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion oder des Verlages wieder. Zeitschriftenkoordination: Patrick Sorg eMail: sorg@narr.de Anzeigenverwaltung: Oliver Solbach eMail: solbach@narr.de Anzeigenverkauf: Stefanie Richter Telefon: +49 (0) 89 / 120 224 12 Telefon mobil: +49 171 203 46 63 eMail: richter@narr.de Erscheinungsweise: 5 Hefte pro Jahr Bezugspreise für Privatpersonen: Einzelheftpreis: EUR 20,- Jahresbezugspreis (print): EUR 67,- Jahresbezugspreis (print & online): EUR 88,- Bezugspreise für Institutionen: Jahresbezugspreis (print): EUR 67,- Jahresbezugspreis (print & online): EUR 198,- Preisänderungen vorbehalten. Der Bezugspreis für Mitglieder der GPM ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Alle Preise zzgl. Versandkosten und inkl. MwSt. Die Kündigung ist sechs Wochen vor Ende eines Kalenderjahres schriftlich an den Verlag zu richten. Sonderausgaben werden zusätzlich berechnet. Bei Nichterscheinen der Zeitschrift ohne Verschulden des Verlages oder infolge höherer Gewalt entfällt für den Verlag jegliche Lieferpflicht. Umschlagabbildung: © iStock.com/ goir Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/ w/ d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter. Impressum 2 Editorial 4 PM-AKTUELL - Themen 2025 Reportage 6 Interview mit Professor Dr. Peter Thuy - Präsident der GPM 10 Nach sieben Jahren perfekt im Zeitplan und Budget 15 „Wer will, der kann! “ 22 Olympische Spiele in Paris - ein Großprojekt aus der Perspektive einer teilnehmenden Athletin 30 Changemanagement für 17 Millionen Wissen 31 Eine Typologie für hybride Projektmanagement-Modelle 37 Kompetenzentwicklung im Change Management - ein Erfahrungsbericht 42 Nutzenerwartung und Anwendungsfälle von KI im Projektmanagement 50 GenAI - Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Projektleitung Qualität von Entwicklungsprojekten 57 Innovationsmanagement nach ISO 56002 63 Ergebnisse der Studie Projektportfolio Sustainability Monitor 2024 Berichte aus der GPM 68 1. PM-Summit Rhein-Ruhr - Wandel durch Projektmanagement gestalten 69 Großes Kino: Rückblick auf das PM Forum Digital 2024 71 Effizienz und Effektivität in der öffentlichen Verwaltung Rezensionen 74 Radikal beteiligen, 30 Erfolgskriterien und Gedanken zur Vertiefung demokratischen Handelns 75 Projektmanagement Know-How für die Duale Karriere - Leistungssport und Studium erfolgreich verbinden Kolumne 76 Agentenaustausch mal ganz anders Aus den DACH-Verbänden 77 GPM intern 79 pma intern 80 spm intern 82 Auf ein Wort mit-… Jean Marc Bonn 2 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0080 Editorial Vielfalt des Projektmanagements Liebe Leserinnen und Leser, dem Thema Spannweite und Vielfalt des Projektmanagements haben wir uns in diesem Heft verschrieben, mitunter buchstäblich. Wir zeigen, wie essential und universal Projektmanagement ist-- und wie es hilft, im Großen und Kleinen wichtige Ziele zu erreichen. Dafür spannen wir dieses Mal einen wirklich weiten Bogen: von einem Brücken-Bauprojekt über aktuelle Ansätze und Werkzeuge im Projektmanagement bis hin zu dem persönlichen Karriereprojekt einer Sportlerin, die Deutschland auf der Olympiade in Paris vertreten hat. Starten wir mit zwei Brückenbauern. Die neue Schrägseilbrücke Duisburg-Neuenkamp steht an der Spitze der Autobahnbrücken in Deutschland: sowohl hinsichtlich ihrer Spannweite (rekordverdächtige 350 Meter) als auch der Breite des Projektmanagements. Hinter dem Projekt stehen Bereichsleiter Udo Pasderski und Projektleiter Knut Ewald von der DEGES, einer Projektmanagementgesellschaft von Bund und Ländern. Die beiden Brückenbauer zeigen, wie Projektmanagement ein solches Vorhaben in Termin und Budget halten kann. Udo Pasderski und Knut Ewald haben nicht nur eine Stahlbrücke über den Rhein gebaut (eine zweite wird bald folgen), sondern auch Kommunikationsbrücken zu vielen Stakeholdergruppen. Udo Pasderski und Knut Ewald haben uns vor Ort- - auf der Brücke- - die Arbeiten gezeigt. Zudem haben sie uns in Gesprächen die Herausforderungen bei solch einem Bauprojekt erklärt sowie eindrucksvoll die Prinzipien ihres Projektmanagements erläutert. Gemeinsam treten sie den Beweis an: Gut gemanagt können Infrastrukturprojekte zuverlässig gelingen, auch heute noch. Ähnlich beeindruckend liest sich das, was die Top-Ringerin Sandra Paruszewski im Interview mit Steffen Rietz berichtet. Sie hat gleichzeitig ein Studium absolviert und eine Karriere im Leistungssport aufgebaut-- bis hin zu einer Olympiateilnahme. Es zeigt sich: Auch bei solch einem Projekt tragen Prinzipien aus dem Projektmanagement zum Erfolg bei. Im Heft finden Sie zudem viele andere Ansätze und Beispiele, die für die Vielfalt und Bandbreite von Projektmanagement sprechen. Ein Beispiel: Mit umfassenden IT-Projekten und anderen internen Projekten ist oft eine Weiterentwicklung der gesamten Organisation verbunden. Projekt- und Change- Management gehen dann Hand in Hand. Martin Backhaus beschreibt seine Erfahrungen zur Kompetenzentwicklung im Change-Management für sein Projektteam mit der GPM zertifizierten Ausbildung „Change Manager“. Agnetha Flore und Catharina Würdemann zeigen, wie mittels agilem Projektmanagement im wissenschaftlichen Kontext ein neues Geschäftsmodell entwickelt wurde-- und zwar mit strukturierten Vorgehen nach der ISO 56 002 (Innovation management system). Jan Christoph Albrecht und Anna Lucia Romero Müller schlagen in ihrem Beitrag eine Typologie hybrider Projektmanagement-Modelle vor. Zwei Beiträge beschäftigen sich mit dem Einsatz von KI im Projektmanagement. Helge F. Wild und Agnetha Flore liefern im Rahmen einer Studie Einblicke in die erfolgreichen und erfolglosen Anwendungsversuche von KI im Projektmanagement. Batuhan Turan, Stefanie Straßer und Siegfried Zürn beschäftigen sich in ihrer Studie damit, den Nutzen des Einsatzes von LLMs in Form von Chatbots für die Projektleitung im Qualitätsmanagement von Entwicklungsprojekten zu analysieren. Timm Eichenberg, Martina Peuser und Micha Wolf untersuchen in ihrer Studie wie stark Nachhaltigkeit als Kriterium im Projektportfoliomanagement deutscher Unternehmen berücksichtigt wird. Im Fokus steht dabei insbesondere die Integration der UN Sustainable Development Goals (SDGs). Zudem gibt es Interessantes aus der GPM zu berichten. Im Interview berichtet Peter Thuy über das wachsende öffentliche Interesse an Projektmanagement. Er erklärt die Folgen der KI für Projektmanager und die Weiterentwicklung des Projektmanagements. Darüber hinaus berichtet Jörg Süggel über das erste PM-Summit Rhein-Ruhr am 6. September 2024 in Bochum. Die Veranstaltung stand unter dem Motto „Der Strukturwandel ist ohne Projektmanagement nicht zu bewältigen“. Auch die dort diskutierten Beiträge verdeutlichten die Vielschichtigkeit der heutigen Projektmanagement-Landschaft- - von der Integration Künstlicher Intelligenz und den Grundlagen der IT-Sicherheit über nachhaltige Projektmanagementpraktiken bis hin zu innovativen Ansätzen im Umgang mit Projektkomplexität. Lesen Sie darüber hinaus auch die Berichte von Sebastian Wiechschowski und Guido Bacharach sowie René Mittelstädt zum Digitalen PM-Forum und zum PM-Salon, sowie über die Aktivitäten der GPM auf dem 07. Creative Bureaucracy Festival, auf dem im GPM-Slot beleuchtet wurde, wie mittels der Metrik QT / OE die Leistung von Behörden verbessert werden kann. Wir stehen in Deutschland in vielen Bereichen vor einem echten Strukturwandel. Peter Thuy machte in Bochum deutlich: „Projektmanagement ist entscheidend für die erfolgreiche Planung und Umsetzung dieses Wandels. Die Kombination aus Systematik, Risikomanagement und effektivem Stakeholder-Management ist essenziell für den Erfolg! “ In diesem Heft werfen wir ein Schlaglicht darauf, wie vielfältig Projektmanagement einsetzbar ist und wie sich die Methodik stetig weiterentwickelt. Lassen Sie uns zuversichtlich auch die neuen Herausforderungen angehen, die im Jahr 2025 auf uns zukommen werden. Zunächst wünsche ich Ihnen und Ihren Lieben aber schöne und besinnliche Weihnachtsfesttage und Gesundheit im kommenden Jahr. Wir freuen uns auf neue spannende Themen aus der Welt des Projektmanagements im Jahr 2025. Ihr Steffen Scheurer Weitere Bücher, Audios, Informationen und Bestellmöglichkeit auf www.junfermann.de Monika Feichtinger & Miriam Wunder Selbstwirksamkeit stärken Wie Coaches ihre Klient: innen befähigen und beflügeln Im Coaching geht es unabhängig vom jeweiligen Ziel darum, das Vertrauen der Klient: innen in ihre Fähigkeiten und Kompetenzen zu fördern, denn Menschen mit einer geringen Selbstwirksamkeitserwartung bleiben oft unter ihren Möglichkeiten. Die Autorinnen beschreiben in ihrem Buch, wie z. B. emotionale Aufladung von Themen, Fragetechniken oder Modifizierung von Glaubenssätzen dabei helfen, ins Tun zu kommen. Sie sind Expertinnen auf dem Gebiet der persönlichen Entwicklung - zeigen durch konkrete Übungen, Praxisbeispiele und Tools auf, wie Coaches ihre Klient: innen dabei unterstützen, ihre individuellen Stärken zu erkennen, zu entwickeln und gezielt einzusetzen. Egal, ob es um beruflichen Erfolg, persönliche Ziele oder den Umgang mit Herausforderungen geht - dieses Buch bietet einen praktischen Leitfaden zur Entfaltung der Selbstwirksamkeit. 224 S., kart., E-Book inside • € (D) 32,00 • ISBN 978-3-7495-0593-7 Auch als E-Book erhältlich S ta r k i m L e b e n u n d B e r u f Monika Feichtinger & Miriam Wunder Selbstwirksamkeit stärken Wie Coaches ihre Klient: innen befähigen und beflügeln Im Coaching geht es unabhängig vom jeweiligen Ziel darum, das Vertrauen der Klient: innen in ihre Fähigkeiten und Kompetenzen zu fördern, denn Menschen mit einer geringen Selbstwirksamkeitserwartung bleiben oft unter ihren Möglichkeiten. Die Autorinnen beschreiben in ihrem Buch, wie z. B. emotionale Aufladung von Themen, Fragetechniken oder Modifizierung von Glaubenssätzen dabei helfen, ins Tun zu kommen. Sie sind Expertinnen auf dem Gebiet der persönlichen Entwicklung - zeigen durch konkrete Übungen, Praxisbeispiele und Tools auf, wie Coaches ihre Klient: innen dabei unterstützen, ihre individuellen Stärken zu erkennen, zu entwickeln und gezielt einzusetzen. Egal, ob es um beruflichen Erfolg, persönliche Ziele oder den Umgang mit Herausforderungen geht - dieses Buch bietet einen praktischen Leitfaden zur Entfaltung der Selbstwirksamkeit. 224 S., kart., E-Book inside • € (D) 32,00 • ISBN 978-3-7495-0593-7 Auch als E-Book erhältlich S ta r k i m L e b e n u n d B e r u f Marco von Münchhausen Rhetorik und Präsentationstechniken 100 Karten, E-Book inside • € (D) 45,00 ISBN 978-3-7495-0614-9 • Auch als E-Book erhältlich Birgitta Schuler Bilder bewegen - Coaching mit Metaphern 208 Seiten, E-Book inside • € (D) 28,00 ISBN 978-3-7495-0445-9 • Auch als E-Book erhältlich Ingeborg & Thomas Dietz Wie Veränderung gelingt 232 Seiten, E-Book inside • € (D) 32,00 ISBN 978-3-7495-0572-2 • Auch als E-Book erhältlich NEU! NEU! IN EIGENER SACHE 4 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0081 PM-AKTUELL-- Themen 2025 Liebe Leserinnen, liebe Leser, Projektmanagement spielt in Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung eine immer bedeutendere Rolle. Dies ist nicht verwunderlich: Je anspruchsvoller und dynamischer die Herausforderungen werden, desto wichtiger werden geeignete Methoden für die erfolgreiche Bewältigung dieser Herausforderungen. Hinzu kommt: Wir stehen mit der Künstlichen Intelligenz vor einer technologischen Revolution. Sie wird große Veränderungen in unserem Umfeld, aber auch im Projektmanagement selbst mit sich bringen. Deshalb müssen wir auch im Jahr 2025 am Puls der Zeit bleiben. Wir werden darauf schauen, in welchen Bereichen von Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft professionell gemanagte Projekte dazu beitragen, Veränderungen zu meistern. Zudem werden wir einen Blick darauf werfen, wie sich das Projektmanagement selbst weiterentwickelt. Auch im Jahr 2025 werden die Hefte der PM-AKTUELL jeweils ein Schwerpunktthema haben. Sie sind dazu eingeladen zu Ihren Projekten oder Forschungsergebnissen zu berichten, die zu unseren Schwerpunktthemen passen. Als Themenschwerpunkte für 2025 sind geplant: • Infrastruktur- und Bauprojekte Infrastruktur- und Bauprojekte weisen einen besonderen Charakter auf. Sie haben oftmals sehr lange Planungs- und Genehmigungsfristen und sie betreffen oftmals eine Vielzahl von Stakeholdern. Berichten Sie uns von solchen Projekten oder von Projektleiterinnen und Projektleitern, die solche Projekte umsetzen. • Welche Rolle spielt die Kommunikation und die Einbeziehung der Öffentlichkeit? • Welche Vertragsmodelle eignen sich für große Bau- und Infrastrukturmodelle? • Wie kann mit den Risiken in solch langlaufenden Projekten umgegangen werden? • Welche Rolle spielt die Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus des Bauwerks schon in der Projektplanung und Projektabwicklung? • Welche Rolle spielen Nachhaltigkeitsgesichtspunkte bei diesen Projekten? • Projektmanagement und Resilienz Das ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Umfeld ist in ständiger Bewegung. Das sorgt bei Projekten für Unsicherheiten und Risiken und für Stress in den Projektteams. Projekte und Projektteams müssen anpassungsfähiger werden. • Wie können Veränderungsmuster und konkrete Projektrisiken früher erkannt werden? • Welche Rolle können dabei Simulations-, Szenariotools oder die KI spielen? Wie können Projektkrisen besser bewältigt werden? • Was kann unternommen werden, um die psychologische Resilienz der Projektteams zu fördern? • Welche zusätzlichen Kompetenzen müssen ProjektleiterInnen erwerben? • Welche praktischen Anwendungsfälle gibt es bereits, über die Sie berichten können? • Projektmanagement aus unternehmerischer Perspektive Aufgrund der hohen Umfelddynamik muss die Strategie von Unternehmen anpassungsfähig bleiben. Strategieumsetzung über Projekte unterstützt Unternehmen dabei, strategische Initiativen flexibel zu priorisieren und zu realisieren, was eine schnelle Reaktion auf neue Chancen oder Herausforderungen ermöglicht. Lassen Sie uns an Ihren Erfahrungen teilhaben! Was uns besonders interessiert: • Wie können Projektportfolios und Projektprogramme zu strategischen Erfolgsfaktoren für Unternehmen werden? • Wie entwickeln sich projektorientierte Unternehmen weiter: etwa in Hinblick auf das skalierte agile Projektmanagement oder auf Aufbau und Ausgestaltung von Projektmanagement-Offices (PMOs)? • Welche Sichtweise sollten Vorstände und Geschäftsführungen auf die strategische Rolle des Projektmanagements entwickeln? • Wie kann sich ein Projektleiter zu einem „Unternehmer“ im Unternehmen weiterentwickeln? • Wie kann der strategische Beitrag von einzelnen Projekten und Projektportfolios gemessen werden? • Projektmanagement im Gesundheitswesen Das Gesundheitswesen ist im Umbruch. Ein „Weiter so“ ist weder finanzierbar noch aus Sicht der Patienten wünschenswert oder aus der Perspektive der Ärzte und Pflegekräfte leistbar. Deshalb werden eine Vielzahl von Projekten zur Umgestaltung in den verschiedensten Bereichen des Gesundheitswesens initiiert. Berichten Sie uns von Ihren Projekten im Gesundheitswesen. Uns interessieren Projekte besonders zur Digitalisierung des Gesundheitswesens. • Wie werden Verwaltungstätigkeiten digitalisierte oder digitale Therapien ausgebaut? • Wie kann die Überforderung der Notaufnahmen angegangen werden? • Welche neuen KI- oder robotergestützten Operationstechniken können Operationen effektiver machen? • Welche Chancen bietet die Telemedizin? Wie kann die Medizinentwicklung / Gentherapie mittels KI weiterentwickelt werden? • Projekte und Kultur Kulturelle Aktivitäten tragen zur Identitätsbildung einer Gesellschaft bei. Sie bringen Menschen zusammen, fördern das Verständnis für kulturelle Vielfalt und helfen, ein gemeinsames Gefühl der Zugehörigkeit zu schaffen. Zudem vermittelt Kultur Wissen und fördert kritisches Denken. Darüber hinaus tragen kulturelle Aktivitäten zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Förderung der lokalen Wirtschaft bei. Grund genug, sich mit Projekten im Kulturbetrieb zu beschäftigen. Kennen Sie Beispiele für außergewöhnliche kulturelle Projekte aus der Kunst-, Musik-, Film-oder Museumswelt? Dann lassen Sie uns davon wissen, oder berichten Sie über diese Projekte. In eigener Sache | PM-Aktuell - Themen 2025 Darüber hinaus suchen wir laufend nach spannenden oder herausragenden Projekten in Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft, über die wir berichten können. Uns interessieren dabei auch die Menschen hinter diesen Projekten und deren Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen. Welche Menschen und Projekte kommen aus Ihrer Sicht in Frage? Wir freuen uns über Ihre Ideen, Vorschläge und Angebote-- gerne auch zu Ihren konkreten Plänen für Artikelmanuskripte unter: artikel@pmaktuell.de Ich bin sicher, dass wir Ihnen auch im Jahr 2025 spannende und interessante Beiträge in der PM-AKTUELL bieten können. Ihr Steffen Scheurer PM und E-Rechnung in einer Lösung PROCESSES Projektportfolio Ressourcenmanagement Multiprojektcontrolling Angebote und Angebote und E-Rechnungen E-Rechnungen Scrum, Kanban, PRINCE2 ® , IPMA, BPMN Anzeige 6 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0082 Interview mit Professor Dr. Peter Thuy-- Präsident der GPM Steffen Scheurer, Oliver Steeger Klimawandel, Infrastruktur, Demographie, Digitalisierung- - Deutschland steht vor großen Herausforderungen. GPM Präsident Professor Peter Thuy sieht auch ermutigende Zeichen. Er beobachtet: Immer mehr öffentliche Organisationen erkennen den Nutzen von Projektmanagement. Bund, Länder und Kommunen professionalisieren ihre Projekte. Im Interview berichtet Professor Peter Thuy über das wachsende öffentliche Interesse an Projektmanagement, erläutert die Folgen der KI für Projektmanager-- und erklärt, wie die GPM junge Menschen an Projektmanagement heranführt. Herr Professor Thuy, Sie haben in unseren Gesprächen immer wieder auf die Herausforderungen verwiesen, vor denen Deutschland steht: etwa Klimawandel, Digitalisierung, Demographie, Globalisierung und Nachhaltigkeit. In jeder Krise kann bekanntlich auch eine Chance stecken. Wie sehen Sie derzeit die Chancen für das Projektmanagement, an der Lösung dieser Krisen mitzuwirken? Professor Peter Thuy: Die Herausforderungen, die Sie erwähnen, sind von Jahr zu Jahr dringender geworden. Man hat den Eindruck, dass wir uns politisch und gesellschaftlich von Krise zu Krise hangeln. Aus der Perspektive des Projektmanagements: Wir haben die Werkzeuge, solche Krisen zu bearbeiten-- was ja auch bereits mit Erfolg geschehen ist. Denken Sie an den Ersatz des russischen Erdgases durch Flüssiggas und andere Lieferungen. Bei aller Kritik, die an der Bundesregierung geübt wird-- dieses Projekt kann man nur als gelungen bezeichnen. Für den ersten Winter nach dem Wegfall des russischen Gases hat man große Engpässe befürchtet. Dies galt noch mehr für den zweiten Winter. Heute spricht kaum jemand noch davon. Der Ersatz des russischen Erdgases ist ein gelungenes Projekt. Ich gehe davon aus, dass dabei gutes Projektmanagement ein wesentlicher Erfolgsfaktor gewesen ist. Als wir in unserem ersten Interview vor drei Jahren die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen angesprochen haben, waren viele Entwicklungen noch nicht absehbar. Der Druck hat offensichtlich zugenommen. Das hat er! Ein Beispiel dafür ist unsere Infrastruktur, etwa Schienen, Brücken und Autobahnen. Vor zwei Jahren hat noch niemand geahnt, in welch schlechten Zustand unsere Infrastruktur tatsächlich ist. Heute zeigt sich dies immer mehr. In vielen Projekten wird daran gearbeitet, die Infrastruktur zu modernisieren. Da wird Projektmanagement gewiss auch in der Zukunft eine noch größere Rolle spielen. Es sind in Deutschland viele Großprojekte zur Infrastruktur angeschoben worden, beispielsweise der Bau von Rheinbrücken oder Sanierungen von Streckenabschnitten der Bahn. Obwohl überall gearbeitet wird-- viele Menschen haben den Eindruck, dass mit der Sanierung nicht vorangeht. Beispielsweise die Bahn hat eingeräumt, dass die Sanierung noch Jahre dauern kann. Das sollte man nicht unbedingt dem Projektmanagement anlasten. Aufgrund der Anforderungen und des Ausmaßes ist der Bedarf mittlerweile so groß geworden, dass sich auch mit gutem Projektmanagement Engpässe ergeben. Was das Projektmanagement selbst betrifft: In Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erkennt man, dass Projektmanagement ein wesentliches Werkzeug ist, die Herausforderungen zu bewältigen werden. Wir merken beispielsweise bei der öffentlichen Hand, dass sich mehr und mehr Verwaltungen und Behörden dem Projektmanagement ernsthaft öffnen. Zum Beispiel? Ein gutes Beispiel ist die Hansestadt Hamburg. Dort sehen wir, wie stark eine Kommune, ein Bundesland auf Project Management Offices (PMOs) setzt. Sie unterhält eine sehr umfangreiche Projektmanagementstruktur und baut die Umsetzung ihrer strategischen Ziele darauf auf. Darin zeigt sich sehr deutlich das Bestreben, das Projektmanagement der öffentlichen Hand zu professionalisieren. Auch seitens des Bunds und des Bundeslands Berlin registrieren wir ermutigende Signale. Im Gespräch erkennen wir vermehrtes Interesse, im öffentlichen Bereich die Methoden des Projektmanagements zu implementieren. Die Verantwortlichen erkennen die Vorteile und die Notwendigkeit-… Dann dürften bei der GPM die Telefone nicht mehr still stehen-… Offen gesagt, nein. Stellen Organisationen Bedarf an Projektmanagement fest, rufen sie nicht bei der GPM an; sie wenden sich an unsere Mitglieder und Vertragspartner, die Projektmanager ausbilden und Organisationen beraten. Über diese Partner und unsere Mitglieder registrieren wir das verstärkte Interesse. Wir erkennen dies aber auch indirekt an unseren Zahlen: Dieses Jahr haben wir bei unseren Zertifizierungen Reportage | Interview mit Professor Dr. Peter Thuy 7 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0082 ein Allzeithoch. Auch das Medieninteresse an Projektmanagement ist deutlich gewachsen. Derweil in der öffentlichen Verwaltung Projektmanagement diskutiert wird, wird bei den Projektmanagern selbst Künstliche Intelligenz zum Thema. Die GPM hat unlängst zwei maßgebliche Bücher zu der Frage veröffentlicht, wie KI das Projektmanagement verändern kann und wird. Zudem gibt es bei der GPM eine sehr aktive KI- Fachgruppe. Wie schätzen Sie die Auswirkungen von KI auf das Projektmanagement ein? Wie wird sie die Profession des Projektmanagers verändern? Ich habe den Eindruck, dass sich nach dem anfänglichen Hype das Thema Künstliche Intelligenz derzeit abkühlt. Dies war vielleicht zu erwarten. Wenn neue Technologien entstehen, steigen anfangs die Erwartungen steil an-… …-und dann folgt der Euphorie die Ernüchterung-… Richtig! Die Aufmerksamkeitskurve fällt wieder. Danach steigt sie aber wieder langsam an und normalisiert sich. Dies können Sie derzeit in der Diskussion um KI beobachten. Das öffentliche Interesse an diesem Thema lässt nach. Die erste Euphorie ist abgeklungen. Ich fürchte, dahinter steckt ein ähnliches Muster wie bei der Diskussion um den Klimawandel. Irgendwie scheint ein Gewöhnungseffekt einzusetzen, man lernt, mit dem Phänomen zu leben und wendet seine Aufmerksamkeit anderen Fragen zu, die kurzfristig vielleicht drängender erscheinen. Doch bei er KI ist es wie beim Klimawandel, wir müssen Lösungen finden, Anwendungen und Implementierungen auf den Weg bringen, um als Volkswirtschaft am Ball zu bleiben. Die GPM kann hierzu einen kleinen Beitrag leisten. Neben der zunehmenden Anwendung von KIunterstützten Werkzeugen ist es die Fachgruppe, die uns hier treibt, aktiver zu werden. Viele Menschen meinen, KI schreibt Texte und erzeugt Bilder-… Ja, dies prägt die öffentliche Diskussion. Doch KI kann noch viel mehr. Sie hat ein großes Potential. Wir sollten uns fragen, wie KI die Arbeitsmärkte verändern wird, weil sie immer besser selbständig handeln und entscheiden kann. Was bedeutet dieses Potential etwa für die Produktion? In Unternehmen wird dies intensiv diskutiert, in der Öffentlichkeit leider nicht. Da stellt sich die Frage: Was bedeutet KI für den Beruf des Projektmanagers? Das ist ein wichtiger Punkt. Was bedeutet KI für die Zahl der Projektmanager, die gebraucht werden? Brauchen wir mehr oder weniger? Was bedeutet KI für ihre tägliche Arbeit? Für die Kompetenzen, die Projektmanager in Zukunft benötigen? Und nicht zuletzt: Was bedeutet KI für unsere PM-Standards? KI wird Veränderungen hervorrufen, die sich viele heute noch gar nicht vorstellen können. Dies müssen wir auch als GPM im Auge behalten. Man hört, dass KI eine Revolution im Projektmanagement auslösen könnte. Eine solche Revolution wäre im Projektmanagement nicht ganz neu. Vor einigen Jahrzehnten hat Projektmanagement-Software die Planung von Projekten weitgehend automatisiert. Viele Projektpläne, die in ihren Details früher mehr oder weniger per Hand erarbeitet wurden, konnten plötzlich digital erstellt werden. Das hat die Rolle von Projektmanagern verändert. Das ist so weit richtig. Aber ich glaube, die kommende KI-Revolution wird eine noch stärkere Qualität haben. Der Umstieg von Netzplantechnik auf Projektmanagement Software war ein Schritt, der viele Dinge erleichtert hat. Aber die Software ist „nur“ ein Werkzeug; planen mussten die Projektmanager weiterhin. Bei der KI sieht es anders aus. Bei ihr laufen viele Prozesse im Hintergrund automatisch ab. Die KI holt sich gewissermaßen ihre Aufgaben und löst sie von allein. Das ist eine völlig andere Dimension. Hinzu kommt: Die KI-Revolution wird sich viel schneller vollziehen als damals der Umstieg auf Projektmanagement Software. Es bleibt weniger Zeit zur Anpassung an sich immer schneller verändernde Gegebenheiten. Inwiefern wird sich diese Revolution schneller vollziehen? Innovationen haben sich in der Vergangenheit oft erst innerhalb langer Zeitleisten durchgesetzt. Diese Zeit werden wir dieses Mal nicht haben. Weil Innovationszyklen generell kürzer geworden sind? Ja, die technologische Entwicklung verläuft heute generell schneller. Mein Paradebeispiel ist die Schallplatte. Als Tonträger hat sie relativ lange gedient, einige Jahrzehnte. Dann hat die CD die Schallplatte abgelöst. Die CD hatte dann vielleicht noch zehn oder 15 Jahre, bis der iPod sie abgelöst hat. Dem iPod blieben nur noch wenige Jahre, bis Streamingdienste und Smartphones allgegenwärtig wurden. Wir dürfen eines nichts vergessen: Der immer schnellere Wandel hat komplette Geschäftsmodelle verändert und auf den Kopf gestellt. Früher haben Musiker Konzerte gegeben, um Werbung für ihre Schallplatten zu machen; Plattenverkauf war ihr Geschäft. Das Aufkommen der CD hat daran nichts geändert. Heute lässt sich mit CDs kaum noch Geld verdienen. Musiker füllen ganze Fußballstadien für Konzerte. Dort und bei den Streamingdiensten wird heute das Geld gemacht. Im Prinzip könnte es dem Projektmanager ähnlich ergehen. Auch sein „Geschäftsmodell“ könnte sich disruptiv verändern. Die GPM ist ein Verband. Wie sehen Sie die Rolle eines Verbands in der Diskussion? Wir als GPM können keine Beratung anbieten, wie Organisationen KI für ihr Projektmanagement nutzen können. Beratung ist nicht unsere Aufgabe und auch nicht unsere Kompetenz. Dafür gibt es spezialisierte Berater. Dagegen richten wir unseren Blick auf das übergeordnete Framework. Wir ermitteln, welche KI-Einsatzmöglichkeiten es gibt- - und wie diese das Projektmanagement als Methode sowie den Beruf des Projektmanagers verändern kann. Die Aufgabe der GPM ist es, Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spra cherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwis senschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kultur wissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen Reportage | Interview mit Professor Dr. Peter Thuy 8 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0082 die langen Linien der Entwicklung aufzuzeigen sowie die verschiedenen Einflussfaktoren zu ermitteln. Das heißt konkret? Eine wichtige Aufgabe ist für die GPM, überhaupt den Diskurs zum Thema KI und Projektmanagement zu initiieren und einen Raum für den Austausch zu bieten. Wir haben dazu beispielsweise ein Projekt angestoßen, um eine Bestandsaufnahme zu machen. Wir wollen wissen, was es bereits an Forschung zu der Frage gibt, wie KI das Projektmanagement und die Rolle und die Aufgaben des Projektmanagers verändern wird. Ich sehe dies auch als eine Unterstützung für unsere Mitglieder-- etwa Projektmanager, Berater, Wissenschaftler oder Trainer. Viele sind mit ihren täglichen Aufgaben ausgelastet. Sie haben nicht die Zeit, solch einen Diskurs zu eröffnen. Das ist die Aufgabe, die uns als Verband zufällt. Vorhin sagten Sie, dass die KI auch einen Einfluss auf den IPMA-Standard haben kann. Es scheint, dass die Stimme der GPM in der IPMA zuletzt leiser geworden ist. Täusche ich mich? Die GPM ist der größte Mitgliedsverband. Trotzdem hat sie in den letzten Jahren ihre Interessen nicht immer mit dem erforderlichen Nachdruck vertreten. Dies hatte verschiedene Gründe. Wir beteiligen uns jetzt wieder deutlich mehr an der IPMA. Die GPM hat eine Stimme im Executive Board bekommen. Auch bei der Zertifizierung ist die GPM an entscheidenden Stellen vertreten; Peter Pürckhauer ist der Leiter des neuen Standardkomitees. Deshalb können wir wieder aktiver an der Weiterentwicklung des internationalen Standards mitarbeiten. Unsere stärkere Mitarbeit wird übrigens positiv von der IPMA aufgenommen. Dem IPMA-Standard liegt ein Kompetenzmodell zu Grunde. Sie sagen, dies könne zukünftig ein Vorteil sein, wenn die KI Einfluss nimmt auf das Projektmanagement. Weshalb ein Vorteil? Andere Standards basieren häufig auf Prozessmodellen. Prozessorientierte Modelle bieten eine Art Rezept, den Prozess. Der Projektmanager lernt, in diesem Prozess erfolgreich zu navigieren. Solche Prozesse im Projektmanagement sind selbstverständlich wichtig. Aber? Möglicherweise werden in Zukunft solche prozessorientierten Aufgaben vermehrt durch KI übernommen. Für die Praxis heißt dies dann: Projektmanager müssen die Prozesse kennen- - aber sie nicht mehr selbst ausführen. In der Praxis ist das ein großer Unterschied. Dann kann es sein, dass andere Kompetenzen wichtiger werden. Wir sehen, dass die Bedeutung von Leadership, Empathie oder Strategie im Projektmanagement wächst-- und das sind Kompetenzen, keine Prozesse. Ich glaube, dass wir mit unserem kompetenzbasierten Standard für diese Herausforderung relativ gut aufgestellt sind. Er ist beispielsweise stark auf People und Perspektive ausgerichtet, also auf die in Projekten tätigen Menschen und das Rahmenwerk. Diesen Vorteil des IPMA-Standards werden wir in den nächsten Jahren noch stärker in die Wirtschaft signalisieren. Richten wir den Blick nach innen auf die GPM. Der Verband hat erfreulicherweise seit Jahren stabile Mitgliederzahlen-… Das Thema Mitgliedschaft brennt uns auf den Nägeln. Die GPM würde gerne wachsen, aber da kommen wir nicht richtig voran. Wir werden die Vorteile der Mitgliedschaft noch besser kommunizieren müssen. Aber es stellt sich eine generelle Frage: Ist die Generation der Menschen unter vierzig Jahren generell noch für Vereinsstrukturen empfänglich? Wie darf ich dies verstehen? Wir beobachten, dass junge Menschen heute gerne bereit sind, sich zu engagieren-- allerdings mehr informell und spontan. Also außerhalb von Vereinsstrukturen. Ja. Wir sehen auch, dass junge Menschen bereit sind, Subskriptions-Modelle anzunehmen. Die GPM sollte sich überlegen, ob sie auch andere Angebote als Mitgliedschaften machen kann. Doch deutlich gesagt: Solche Modelle müssten in einem Verein schrittweise entwickelt werden. Dies darf man nicht übers Knie brechen. Die GPM hat den Satzungsauftrag, Projektmanagement stärker zu verbreiten. Wie führen Sie jüngere Menschen an das Thema Projektmanagement heran? Dazu gibt es eine Vielzahl von Aktivitäten. Wir haben beispielsweise die Fachgruppe „Projektmanagement macht Schule“. Sie arbeitet intensiv daran mit, Projektmanagement an Schulen zu verbreiten. Zudem haben wir uns im letzten Jahr verstärkt engagiert bei der offenen Lernplattform „Wir lernen online“. Dabei handelt es sich um eine Bundesinitiative. Diese Plattform ist beliebt; dies zeigen die hohen, sechsstelligen Zugriffszahlen. Sie bietet Online-Lehrangebote für schultypische Fachgebiete, die sich an Schüler und Lehrer richten-- beispielsweise zu Geschichte, Mathematik, Deutsch oder Elektrotechnik. Moment! Projektmanagement ist nach allem, was ich weiß, kein eigenständiges Schulfach. Das stimmt. Trotzdem haben die Initiatoren die Wichtigkeit dieses Themas erkannt. Sie haben sich entschieden, mit uns dort ein Lehrangebot aufzubauen. Für uns war der Aufbau des Angebots zunächst ein Projekt. Jetzt haben wir die Betreuung in unsere Linie überführt und mit einem Budget hinterlegt. Die Kooperation wird also verstetigt. Außerdem sind wir weiterhin in Schulen und Hochschulen direkt aktiv, auch etwa mit Zertifizierungen. Wenn sie auf die vergangenen zwölf Monate zurückblicken-- was sind die wesentlichen Ergebnisse, die Sie als Präsident für die GPM erzielt haben? Wir haben nach wie vor viel nach innen arbeiten müssen, und das ist uns auch erfolgreich gelungen. Wir haben die Organisation ein Stück weit handlungsfähiger gemacht und sind dabei, Prozesse mit digitaler Unterstützung zu verschlanken. Aber auch nach außen sind wir weiterhin aktiv. Wir haben Veranstaltungen gehabt im Bereich Bildung. Wir sind weiter ins Gespräch gekommen, etwa mit der Politik und mit der Ver- Die rasante Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI) hat die Art und Weise, wie wir arbeiten, leben und interagieren, grundlegend verändert. Auch im Bereich des Projektmanagements hat KI das Potenzial, grundlegende Änderungen herbeizuführen - eine Entwicklung, die in diesem Buch eingehend untersucht und bewertet wird. Es konzentriert sich auf zentrale Aspekte rund um die KI, die sich in vier Abschnittsüberschriften widerspiegeln: Problemstellungen und Chancen, Methodenunterstützung, Herausforderungen im Projektmanagement sowie Unterstützung von Projektfunktionen. Dieser Band ist damit nicht nur ein Leitfaden für KI im Projektmanagement, sondern auch eine Quelle der Inspiration und Reflexion über die sich verändernde Arbeitswelt, in der wir uns befinden. Die Herausgeber und Autor: innen bieten wertvolle Einblicke und Anregungen, die Chancen von KI zu nutzen und gleichzeitig die Herausforderungen zu meistern, die diese neue Ära mit sich bringt. Christian Bernert, Steffen Scheurer, Harald Wehnes (Hrsg.) KI in der Projektwirtschaft Was verändert sich durch KI im Projektmanagement? Projektmanagement neu denken 1. Auflage 2024, 349 Seiten €[D] 49,90 ISBN 978-3-381-11131-2 eISBN 978-3-381-11132-9 Buchtipp Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spra cherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwis senschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kultur wissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de Reportage | Interview mit Professor Dr. Peter Thuy waltung. Wir haben uns beispielsweise an Kongressen für die öffentliche Hand beteiligt. Derzeit planen wir, Projektmanagement auch für Nicht-Fachleute greifbarer zu machen. Wir entwickeln derzeit eine Medienpartnerschaft, in der wir der breiten Öffentlichkeit die Vorzüge von Projektmanagement darlegen werden. Darüber hinaus werden wir uns in unserer Öffentlichkeitsarbeit verstärkt auf digitale Medien und neue Formate konzentrieren. Wir haben beispielsweise den GPM- Blog revitalisiert und werden ihn jetzt in kurzen Abständen aktualisieren-- mit Information rund um Projektmanagement, Projekte und die GPM. Zudem werden wir im nächsten Jahr die Materialien für unsere Trainingspartner verbessern. Auch da müssen wir überlegen, ob wir moderner werden können, indem wir beispielsweise die Inhalte durch Gamification vermitteln. Das alles klingt nach einer langen To-do-Liste für die nächste Zeit. So ist das. Aber bei allem, was man macht, muss man natürlich auch die Grenzen des Machbaren sehen. Die GPM ist zwar ein großer Verband, aber seine Möglichkeiten sind am Ende doch begrenzt. In der GPM gibt es hunderte guter Ideen. Am Ende kommt es aber darauf an, die Projekte herauszufiltern, die am Ende den größten Erfolg haben und den Verband wirklich weiterbringen, sichtbarer machen und dem Vereinszweck am meisten dienen. Aus meiner Sicht sind wir mit unserem Portfolio gut aufgestellt! Anzeige 10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0083 Großprojekt Autobahn-Rheinbrücke Duisburg Neukamp Nach sieben Jahren perfekt im Zeitplan und Budget Oliver Steeger, Steffen Scheurer Infrastrukturprojekte haben in Deutschland keinen guten Ruf. Zu lange dauern sie, heißt es, und die Kosten laufen aus dem Ruder. Die DEGES-- eine Projektmanagementgesellschaft von Bund und Ländern-- tritt derzeit den Gegenbeweis an. Sie ersetzt in einem Großprojekt die wichtige Autobahn-Rheinbrücke Duisburg Neukamp. Die Aufgabe von Bereichsleiter Dr. Udo Pasderski und Projektleiter Knut Ewald: Im ersten Schritt eine neue Brücke bauen. Im zweiten Schritt die bisherige, fünfzig Jahre alte Brücke demontieren. Und im dritten Schritt eine zweite Brücke an die Stelle der alten bauen. Das komplexe Vorhaben läuft wie am Schnürchen. Nach sieben Jahre Projektlaufzeit liegen sie und ihr Team perfekt im Zeitplan und Budget. Bei Risikomanagement, Stakeholdermanagement und Kooperation lief in Duisburg einiges anders-- und besser! Viele Autobahnbrücken im Westen Deutschlands sind verschlissen. Nach fünfzig oder sechzig Jahren können sie den wachsenden Verkehr nicht mehr aufnehmen. Dies galt auch für die Rheinbrücke Duisburg-Neuenkamp, die Sie in einem gut zehn Jahre dauernden Projekt ersetzen. Es muss schnell gehen. Das Ruhrgebiet braucht diese Verkehrsverbindung. Weshalb ist diese Brücke bei Duisburg so wichtig? Dr. Udo Pasderski: Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Einer ist: Duisburg hat den größten Binnenhafen Europas. Was die umgesetzte Tonnage betrifft, kann er sich fast mit Hamburg messen. Wobei in Duisburg vor allem Schüttgute umgesetzt werden… Dr. Udo Pasderski: Richtig. Also schwere Güter. Die Rheinbrücke Duisburg-Neuenkamp ist quasi die verlängerte Hafeneinfahrt. Wenn Sie sich dies auf der Karte anschauen, werden Sie feststellen: Alles, was von Westen kommend den Hafen erreichen will, muss über die Brücke. Sie ist Teil der Verbindung etwa nach Rotterdam und Antwerpen. Man kann leicht Duisburgs Bedeutung als Drehkreuz zwischen Schifffahrt und Landverkehr unterschätzen. Dabei hat die Stadt sogar im globalen Handel eine Ausnahmeposition… Dr. Udo Pasderski: Ja. Duisburg wird manchmal das Ende der Seidenstraße genannt. Es gibt von hier eine Schienenverbindung nach China. Deshalb sind viele chinesische Firmen in diesem Raum angesiedelt. Und das alles erklärt, weshalb wir so viel Schwerlastverkehr auf dieser Brücke haben. Knut Ewald: Hinzu kommt der Pendelverkehr vom Niederrhein ins Ruhrgebiet. Viele Menschen, die heute im Ruhrgebiet arbeiten, wohnen am ländlichen Niederrhein. Außerdem: Duisburg erstreckt sich auf beide Rheinseiten. Es ist gewissermaßen durch den Strom zerrissen. Deshalb ist die Brücke auch lokal sehr wichtig, für die Stadt selbst. Die alte Brücke-- 1970 für den Verkehr freigegeben-- war nach relativ kurzer Zeit verschlissen. Sie war auf ein Drittel des heutigen Verkehrs ausgelegt-- und auf deutlich leichtere LKWs. Knut Ewald: Der Schwerlastverkehr wird in Zukunft sogar noch wachsen, auf e inen Anteil von achtzehn Prozent im Jahr Reportage | Nach sieben Jahren perfekt im Zeitplan und Budget 11 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0083 2030. Wir rechnen damit, dass dann insgesamt 125.000 Fahrzeuge am Tag die Brücke passieren. Heute sind es 100.000. Dr. Udo Pasderski: Die alte Brücke wurde 1970 eröffnet, also in den späten 1960er Jahren errichtet. Damals hat man materialschonend gebaut. Es gab einen regelrechten Wettbewerb, wer die schlankste Brücke über den Rhein baut. Das heißt-- schlank, aber nicht dem wachsenden Verkehr gewachsen? Weiter rheinaufwärts, in Leverkusen, gibt es mit einer alten Brücke ähnlicher Bauart Probleme. Dr. Udo Pasderski: Sie musste für den Schwerlastverkehr komplett gesperrt werden. Die alte Rheinbrücke Duisburg- Neuenkamp wurde zumindest für Fahrzeuge über 40 Tonnen offengehalten, im Hafenverkehr bis 44 Tonnen. Entscheidend für die Brücke ist nicht unbedingt das Gesamtgewicht der Fahrzeuge, sondern die Last einzelner Achsen. Manchmal sind LKWs falsch beladen. Einzelne Achsen haben damit mehr Last als erlaubt. Wir hatten am Ende eine Wiegeanlage an der Brücke. In Duisburg-Neuenkamp musste man überladene oder fehlbeladene Fahrzeuge konsequent aus dem Verkehr herauswinken. So etwas führt natürlich zu Behinderungen im Verkehr. Sprechen wir über Ihr Projekt. Es besteht aus drei Teilen-… Dr. Udo Pasderski: In der ersten Phase haben wir neben die alte Brücke eine neue Schrägseilbrücke gebaut, das erste Teilbauwerk. Sie wurde im November vergangenen Jahres freigegeben. Wir haben den Verkehr von der alten Brücke auf die neue gebracht. In der zweiten Phase bauen wir die alte Brücke zurück. Dann bauen wir an ihrer Stelle die zweite Brücke, also das zweite Teilbauwerk. Danach schieben wir diese gut 14 Meter an die andere heran. Knut Ewald: Wir bauen übrigens nicht nur die Brücken, sondern erweitern auch die Autobahn zwischen dem Kreuz Moers und dem Kreuz Duisburg-Kaiserberg auf perspektivisch vier Fahrstreifen plus Standstreifen in beide Richtungen. Das gehört mit zu unserem Projekt. Das komplette Baulos ist 4,5 Kilometer lang. Wir verbinden damit die Autobahnen A 3 und A 57 - zwei bedeutsame Nord-Süd-Achsen. Wer sich am Rhein umsieht, entdeckt dort viele verschiedene Brückenarten: Schrägseilbrücken-- aber auch Bogenbrücken, echte Hängebrücken, Fachwerkbrücken. Weshalb haben Sie sich für eine Schrägseilbrücke entschieden? Sie sagten, dass der Rhein eine der meistbefahrenen Wasserstraßen ist und freie Bahn braucht. Knut Ewald: Ein wichtiger Grund ist das Bauverfahren. Natürlich kann man Brücken komplett in einem Dock bauen und dann einschwimmen. Dafür müsste man aber den Rhein für längere Zeit sperren. Diese Möglichkeit haben wir nicht bei Europas bedeutendster Wasserstraße. Schrägseilbrücken sind eine gängige Lösung, um den Schiffsverkehr nicht zu beeinträchtigen. Weshalb nicht ein Tunnel-- wie etwa den Elbtunnel in Hamburg? Dr. Udo Pasderski: Das wurde immer wieder diskutiert. Früher hat man aus geostrategischen Gründen darauf verzichtet. Sie werden am Rhein keinen Tunnel finden. Solche Bauwerke würden zu groß zu werden. Inwiefern zu groß? Dr. Udo Pasderski: Wenn man den Tunnel bohrt, muss man tief hinab-- und das braucht sehr lange Zufahrten zum Tunnel. Und ein Absenktunnel, bei dem man Beton-Fertigteile auf den Grund des Rheins absenkt… …-ähnlich wie beim Fehmarnbelt Tunnel-… Dr. Udo Pasderski: Dies würde wiederum die Schifffahrt beeinträchtigen. Dafür würden wir niemals eine Genehmigung bekommen. Knut Ewald: Hinzu kommt, dass wir durch das regelmäßige Hochwasser oder Niedrigwasser Probleme bekommen würden. Es könnte sein, dass wir über Wochen die Elemente nicht einschwimmen können. Ein Tunnel schied also komplett aus für Sie? Knut Ewald: In Duisburg Neuenkamp-- ja! Wir haben die Option geprüft. Sie funktioniert nicht. Die neue Brücke, an der Sie arbeiten, ist anders konzipiert als die alte. Es handelt sich eigentlich um zwei Brücken, also zwei Teilbauwerke, die in ihrer Konstruktion unabhängig voneinander sind. Dr. Udo Pasderski: Dieses Konzept ist heute verbreitet. Die beiden Brücken sollen in ihrer Konstruktion voneinander getrennt sein. Dann kann man im Schadensfall eine der beiden weiterbenutzen. Ihr Projekt unterliegt einer besonderen Herausforderung. Die Rheinquerung der Autobahn A 40 bleibt während der gesamten Projektlaufzeit offen; nur an 25 Tagen wird sie gesperrt, wenn es unvermeidlich ist-… Knut Ewald: -… beispielsweise für die Anlieferung großer und schwerer Bauteile oder für die Änderung der Verkehrsführung. Dies zeigt, wie dringend die Brücke benötigt wird. Die Erwartungen an Ihr Projekt sind hoch. Bisher liegen Sie gut in der Zeit und im Budget. Um Ihre Termintreue und Budgettreue dürften Sie andere Infrastrukturprojekte beneiden. Was sind die Erfolgsfaktoren dafür? Dr. Udo Pasderski: Ein Erfolgsfaktor ist sicherlich das Risikomanagement, das wir mit unserem Team und den Partnern für unser Projekt aufgebaut haben. Wir haben damit schon während der Planungsphase begonnen. Sie sagen, dass Sie mit dem Risikomanagement zwei Ziele verfolgen. Zum einen wollen Sie früh an Analysen, Daten und Fakten kommen. Zum anderen zielen Sie auf einen Wechsel im Denken. Sie wollen, wie Sie es genannt haben, in die Diskussion reinkommen und das Team dazu bringen, in verschiedenen Szenarien zu denken. Dr. Udo Pasderski: Ich will, dass wir uns früh und proaktiv mit unterschiedlichen Alternativen beschäftigen. Wer früh nachdenkt, findet auch Lösungen, auf die er später zurückgreifen kann. Reportage | Nach sieben Jahren perfekt im Zeitplan und Budget 12 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0083 Wegen des regelmäßigen Rhein-Hochwassers haben Sie sich früh entschieden, für die Arbeiten an den Pfeilern die Spundwände zu erhöhen. Das kostet mehr Geld-… Dr. Udo Pasderski: -… aber damit ist das Risiko erledigt. Die Spundwände entsprechend einrichten kann man nur, wenn man früh an das Risiko denkt. Man muss noch vor der Planungsphase das Projekt durchdenken, diskutieren und Alternativen erwägen. Dann hat man vieles noch in der Hand. Dies klingt nach solidem Projektmanagement- Wissen, wie es in guten Lehrbüchern zu finden ist-- aber in der Praxis nicht immer ungesetzt wird. Wo sehen Sie Grenzen für dieses frühe, proaktive Risikomanagement? Hochwasser-Risiken kann man in den Griff bekommen. Was ist mit der Dauer von Genehmigungsverfahren? Kann Risikomanagement helfen? Dr. Udo Pasderski: Wie wir die Planfeststellungsbehörden mit ins Boot bekommen- - das war früh für uns ein Thema. Manchmal dauern diese Verfahren zwei, drei oder vier Jahre. Knut Ewald: Wir haben noch vor der Planfeststellung die Behörden einbezogen. Wir haben dabei planungsrechtliche Themen besprochen, also nicht schon Fragen zur Konstruktion. Es ging Ihnen also mehr um das „wie“ als das „was“? Dr. Udo Pasderski: Wir haben neue Wege der Zusammenarbeit gesucht, um frühzeitig Rechtssicherheit herzustellen. Das hat dazu geführt, dass wir nach einem Jahr das Genehmigungsverfahren abgeschlossen haben. So etwas gelingt aber nur, wenn man gemeinsam weit im Vorfeld mögliche Probleme analysiert- - und nicht erst dann Lösungen sucht, wenn das Kind fast in den Brunnen gefallen ist. Wie Sie eben sagten: Dieses Vorgehen ist kein Geheimnis. Wir haben das gemacht, was gute Lehrbücher empfehlen. Ein Risiko bringt nicht nur das Genehmigungsverfahren selbst, sondern auch der Widerstand etwa von Anwohnern. Das Ruhrgebiet ist ein äußerst dicht besiedelter Raum. Autobahn und Brücke befinden sich in unmittelbarer Nähe zu Wohnhäusern. Nicht unwahrscheinlich, dass Anwohner klagen-- und das Projekt durch Gerichtsverfahren für Jahre stillgelegt wird. Dr. Udo Pasderski: Wir haben das Risikomanagement mit dem Stakeholdermanagement verbunden. Wir haben beim Risikomanagement erkundet, wo Konflikte mit Stakeholdern entstehen können. Diese Kombination hat noch während der Machbarkeitsstudie zu wichtigen Weichenstellungen geführt. Wir sind mit betroffenen Privateigentümern schon 2016 ins Gespräch gekommen. Wirklich sehr, sehr früh. Wir haben zum Beispiel die Brücke leicht versetzt gebaut. So sind wir an den Anwohnern auf beiden Rheinseiten vorbeigekommen. Knut Ewald: Durch diesen Planungskniff haben wir einige Dutzend potenzielle Projektgegner für uns gewonnen. Aber-- es sind ja nicht nur direkte Anwohner, die Einsprüche erheben-… Knut Ewald: Das stimmt. Bei den ersten Veranstaltungen hatten wir 800 interessierte Bürger. Dr. Udo Pasderski: Interessierte Bürger- - keine Projektgegner. Danach kam es zu Beteiligungsprozessen, vieles davon online. In einem anschließenden Werkstattverfahren hatten wir noch 180 Beteiligte. Im Planfeststellungsverfahren selbst gab es noch 18 Einwendungen, die wir gut abarbeiten konnten. Das ist nicht viel-- verglichen mit anderen Projekten. Dr. Udo Pasderski: Wir haben versucht, so früh es ging Kritik zu sammeln und zu bedienen. Im Laufe der Zeit ist die Zahl der Skeptiker und Kritiker immer weiter geschrumpft. Auch, weil sie gesehen haben, dass wir sie ernst nehmen. Knut Ewald: Im Grunde bestand bei Allen Einigkeit, dass wir die Brücke brauchen. Und die Brücke hat für niemanden Die Autobahn-Rheinbrücke Duisburg Neukamp gilt als wichtige Verbindung zwischen dem Ruhrgebiet, dem Niederrhein und den Niederlanden. Im Vordergrund die neue Brücke mit den weißen Pylonen, dahinter die alte mit gelben Pylonen. Foto: Hajo Dietz Reportage | Nach sieben Jahren perfekt im Zeitplan und Budget 13 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0083 einen Nachteil. Das Leid mit der alten Brücke war sehr groß, auch bei den direkten Anwohnern. Das konnte man täglich sehen. Da hat sich niemand komplett gegen das Projekt gesperrt. Es profitiert fast jeder von dem Neubau. Auch die Anwohner: nämlich vom besseren Lärmschutz. Ein technisches Detail an Ihrem Projekt ist spannend. Wenn Sie die zweite Brücke neben die erste gesetzt haben, werden sie diese buchstäblich zusammenschieben. Ein so großes Teilbauwerk um 14 Meter zu verschieben-- wie soll das gehen? Dr. Udo Pasderski: Das geht hydraulisch nach einem uralten Prinzip. Menschen haben früher, wenn sie Möbel verschieben wollten, Speckschwarten zwischen Möbel und Boden geschoben. Speckschwarten? Im Ernst? Dr. Udo Pasderski: Ja. Der Aufbau war damals simpel: Holz-- Speckschwarte-- Holz. Wir machen das ähnlich. Allerdings nicht mit Speck? Knut Ewald: Nein. Wir bringen moderne Gleitelemente zwischen die Brücke und den Pfeiler. Dann ziehen wir die Brücke hydraulisch. Das wird Wochen dauern, vermute ich. Knut Ewald: Das Verschieben selbst wird kaum länger als einen Tag dauern. Aber die Vorbereitungen brauchen natürlich Zeit. Man muss die Brücke trennen und umlagern auf die Gleitbahnen. Es braucht die Vorrichtungen, um die Brücke zu ziehen. Und man prüft natürlich auch vorher, ob alles wie geplant funktioniert-- nicht erst dann, wenn die Presse ihre Kameras gezückt hat. Danach verbinden wir die Brücke wieder mit den Zufahrten und richten beispielsweise die Fahrstreifen wieder ein. Aber das eigentliche Schieben dürfte nach einem Tag erledigt sein. Im Jahr 2016 haben Sie angekündigt, dass Sie das erste Teilbauwerk der neuen Brücke 2023 eröffnen würden. Sie haben Wort gehalten. Wie haben Sie das Projekt so beschleunigt? Knut Ewald: Wir setzen keine Maßnahmen zur Beschleunigung ein. Wir definieren realistische Termine und Fristen. Diese haben wir uns bei der Terminplanung sorgfältig überlegt. Auch der Vertrag mit den Baufirmen ist nicht ungewöhnlich. Es handelt sich um einen normalen Einheitspreis-Vertrag mit Fristen, Prämien und Pönalen. Es gab von außen auch Störungen, etwa die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg. Da brauchte es Anpassungen bei den Terminen. Dr. Udo Pasderski: Dass wir pünktlich sind trotz der unvorhergesehen Ereignisse- - das hängt nicht nur mit der Planung zusammen, sondern auch mit dem Spirit dieses Projekts. Die Frage ist, wie der Vertrag gelebt wird. Letztlich bedeutet Vertrag im Sprachgebrauch, dass man sich verträgt, partnerschaftlich verträgt. Dieses Sich-Vertragen ist uns in diesem Projekt im Großen und Ganzen gelungen. Auf der Baustelle wollen Sie ein Miteinander-- nicht das leider häufige Gegeneinander. Sie haben einmal zu Ihren Auftragnehmern gesagt: Wenn das Projekt Leben und eine Seele hätte, sollte es am Ende allen Beteiligten auf die Schulter klopfen, weil jeder seine Sache gut gemacht hat. Dr. Udo Pasderski: Das ist eine gute Beschreibung des Spirits, den ich mir für unser Projekt wünsche. Jeder arbeitet mit am Erfolg, jeder wird am Erfolg beteiligt. Auch emotional. Die Führungskräfte von Baufirmen und anderen Beteiligten haben es buchstäblich unterschrieben, dass sie das Projekt gemeinsam nach vorne bringen wollen. Jeder bekam diese unterschriebene Urkunde in einem Rahmen. Knut Ewald: Ja, dies mag den Spirit unterstützt haben. Es hat sich eine Atmosphäre hoher Professionalität im Umgang Lückenschluss der neuen Brücke. Von beiden Ufern aus wurde die Autobahnbrücke im sogenannten Freivorbau zur Rheinmitte hin gebaut. Foto: TAKE IT MEDIA GmbH Reportage | Nach sieben Jahren perfekt im Zeitplan und Budget 14 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0083 entwickelt. Dazu gehört auch, dass wir alle gelernt haben, die Dinge auch aus der Perspektive der jeweils anderen zu betrachten. Man darf eines nicht vergessen: Wir hatten während der Corona-Pandemie kaum Gelegenheit, die üblichen Maßnahmen zur Teambildung durchzuführen-… …-beispielsweise mal ein Grillfest zu veranstalten-… Dr. Udo Pasderski: Während des Lockdowns waren persönliche Treffen sehr schwierig. Es kam vor, dass die Beteiligten für Wochen nicht gemeinsam am Tisch gesessen haben, etwa zu Meetings. Wir hatten schon 2020 auf Videokonferenzen gesetzt, also noch vor dem Lockdown. Wir waren also vorbereitet, als der Lockdown kam. Aus den vielen Videokonferenzen ergaben sich dann Chancen. Knut Ewald: Wir konnten ein viel problemspezifischeres Besprechungsregime aufbauen. Inwieweit ein problemspezifischeres Besprechungsregime? Knut Ewald: Früher hat man sich alle zwei Wochen auf der Baustelle getroffen. Es kam immer wieder vor, dass einige nicht anreisen konnten und fehlten. So etwas zögert dann die Diskussion und Lösung von Problemen hinaus. Videokonferenzen haben wir in einer viel höheren Frequenz durchgeführt, und meistens waren die Beteiligten alle am Tisch. In Videokonferenzen diskutiert man auch viel fokussierter. Kommt schneller auf den Punkt. Dr. Udo Pasderski: Wir können dank der Videokonferenzen extrem schnell zusammenkommen und Probleme ansprechen. Das dauert keine zwei oder drei Wochen mehr. Eine Abschlussfrage: Viele Fachleute sagen, dass man als Projektleiter und Ingenieur nur einmal im Leben eine Rheinbrücke baut. Den Bau von Rheinbrücken haben Sie selbst als Königsdisziplin bezeichnet. Sie sagten auch: Man solle vor dem Projekt Respekt haben, auch Demut vor der Aufgabe-- aber keine Angst. Dr. Udo Pasderski: Solch ein kühnes Projekt braucht auch Mut von allen Beteiligten, keine Frage. Die Öffentlichkeit vertraut uns, dass wir eine gute Lösung erarbeiten für die Infrastruktur. Dass wir die Verkehrsprobleme lindern, unter denen hier tausende Menschen täglich leiden. Dass wir verantwortungsvoll mit dem uns anvertrauten Steuergeld umgehen. Was bedeutet „Mut haben“ genau? Dr. Udo Pasderski: Mut zu haben, auch mal am äußersten Punkt zu stehen, ohne Puffer, ohne alles. Als wir im vergange- Dr. Udo Pasderski Dr. Udo Pasderski ist Bereichsleiter bei der DEGES und verantwortet sämtliche Projekte der DEGES in Nordrhein-Westfalen, unter anderem den Neubau der Rheinbrücke Neuenkamp und den Umbau des Autobahndreiecks Heumar. Mit seiner langjährigen Expertise im Projektmanagement ist er maßgeblich daran beteiligt, innovative Bauverfahren und moderne Technologien zu integrieren. Sein Ziel ist es, den Verkehr flüssig zu halten und die Bauarbeiten termingerecht abzuschließen. Foto: DEGES Knut Ewald Knut Ewald ist Projektleiter bei der DEGES und unter anderem verantwortlich für den Ersatzneubau der Rheinbrücke Duisburg-Neuenkamp. Mit umfangreicher Erfahrung beim Bau von Großprojekten leitet er eines der bedeutendsten Infrastrukturprojekte Westdeutschlands. Er managt die komplexen Herausforderungen des Projektes. Seine Expertise in der Koordination großer Bauprojekte trägt maßgeblich zum Erfolg des Projekts bei, das eine nachhaltige und effiziente Verkehrsverbindung sicherstellt. Foto: DEGES nen Jahr den Freigabetermin für die neuen Brücke festgelegt hatten, blieben uns noch acht Wochen, alles vorzubereiten. Eine Woche davon war Puffer. Die Erwartungen waren hoch. Mancher hätte sich da noch vier weitere Wochen Puffer gewünscht, um ganz sicher zu gehen. Knut Ewald: Irgendwann muss mal Schluss sein mit solchen Sicherheiten. Wir hatten den Terminplan sorgfältig kalkuliert. Wir haben dann einen Parforceritt geleistet. Aber es hat funktioniert! Eingangsabbildung: Der Rückbau der alten Brücken. Foto: TAKE IT MEDIA GmbH 15 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0084 Duisburger Rheinbrücken-Projekt auf der Überholspur „Wer will, der kann! “ Oliver Steeger Beim ersten Spatenstich kurz vor Weihnachten 2019 nahmen einige Gäste Dr. Udo Pasderski zur Seite. Ziemlich wichtige Leute. Sie sagten ihm, dass er seinen ambitionierten Terminplan für den Brückenneubau vergessen könne. Die langen Behördenwege. Die Querelen mit den Leuten. Die Unwägbarkeiten. Bis 2027 fertig? Ah, nein, nicht bei solch einem Projekt. „Hierzulande unmöglich“, beschieden sie süffisant dem Ingenieur. Dr. Udo Pasderski hatte, wie man im Ruhrgebiet sagt, „eine Krawatte.“ Er kochte innerlich. „Ich musste mich sehr beherrschen“, sagt er. Jetzt will er es allen zeigen. Zeigen, dass es auch in Deutschland möglich ist, bei öffentlichen Projekten Termine und Kosten zu halten. „Wer will, der kann! “, sagt er. Wir stehen in Duisburg auf der gesperrten alten Rheinbrücke, als er mir diese Episode erzählt. Dr. Udo Pasderski ist ein Mann mit gelegentlich schalkhaftem Lächeln, der so direkt und erfrischend herzhaft sprechen kann wie viele im Ruhrgebiet. Doch dieses Mal ist es ihm ernst. Den Stich hat er auch nach fünf Jahren nicht vergessen. „Wir sind im Plan“, sagt Dr. Udo Pasderski fest. Es geht um die Rheinquerung der Autobahn A 40 bei Duisburg, eine wichtige Ost-West-Verbindung ins Ruhrgebiet hinein. Notorisch bekannt aus Staudurchsagen. Künftig sollen zwei neue Schrägseilbrücken dieses Nadelöhr entschärfen, jeweils eine für jede Fahrtrichtung. Die erste Schrägseilbrücke wurde vergangenes Jahr eröffnet. Um Platz für die zweite zu schaffen, wird gerade die alte Brücke aus den 1970er Jahren demontiert. Solch ein Großprojekt ist immer eine Rechnung mit ein paar Unbekannten. Eine Unbekannte ist der Rückbau einer Rückbau der alten Schrägseilbrücke: Die Fahrbahn wurde bis auf den nackten Stahl abgetragen. Nach über 50 Jahren war die Brücke dem Verkehr nicht mehr gewachsen. Foto: Oliver Steeger Reportage | „Wer will, der kann! “ 16 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0084 fünfzig Jahre alten Schrägseilbrücke aus Stahl. Über 350 Meter freischwebende Spannweite. Das hat bisher kaum jemand in Deutschland gemacht. Buchstäblich Neuland. Was macht Dr. Udo Pasderski so zuversichtlich, dass er Termine und Kosten hält? Zusammen mit Knut Ewald will Dr. Udo Pasderski mir dies erklären. Beide tragen Bauhelme mit dem Logos der DEGES, einer Projektmanagementgesellschaft von Bund und Ländern. Dr. Udo Pasderski ist Bereichsleiter bei der DEGES, Knut Ewald Projektleiter für den Bau. Sie arbeiten Hand in Hand. Wir gehen auf denen ehemaligen Fahrbahnen bis zur Brückenmitte. Der Asphalt ist abgetragen, abgeschält bis auf den rostroten Brückenstahl. Hilfsseile halten derzeit die Brücke; die alten gelben Seile hängen durch. Wir beobachten einen Bagger mit einer mächtigen hydraulischen Schere. Mit seiner stählernen „Hummerschere“ greift er eines der Seile. Das armdicke Stahlseil knackt unter dem Druck der Schere. Dann reißt es. Seine beiden Enden fallen ins Leere, eines schlägt laut gegen den stählernen Pylonen. Auf unserem Weg zur Brückenmitte steigen wir über ein durchtrenntes Brückenseil, zerfranst wie eine gerissene Kordel. „Eine Herausforderung bei solch einem Rückbau ist, dass die Stahlbrücke unter Spannung steht“, erklärt mir Knut Ewald, „wir können nicht einfach die Seile kappen und die Brücke in der Mitte durchschneiden.“ Man muss vorher vorsichtig die Spannung herausnehmen, ohne dass die Brücke hochschnappt wie eine Feder. Die Ingenieure entschieden sich, in der Mitte einen Teil der Brücke herauszunehmen und nur einen kleinen, exakt berechneten Steg stehenzulassen. Über diesen Steg floss die Energie ab. Unter den enormen Kräften bog und drehte er sich; am Ende hob sich eine Brückenhälfte um gut 30 Zentimeter. Dann war die Energie raus. „Wir haben sie herausgebogen“, sagt Knut Ewald. Das war im April. Jetzt klafft in der Mitte der ausgedienten Brücke bereits eine Lücke. Geschätzt dreißig Meter fehlen. Wir stehen an einem Baustellen-Geländer und blicken in das Innere der Brücke. Schweißer demontieren dort Stahlplatten. „Wir nehmen die Brücke in exakt der Reihenfolge auseinander, in der sie Ende der 1960er Jahren gebaut worden ist“, sagt Knut Ewald, „zehntausend Tonnen Stahl bauen wir zurück.“ Sie landen nach dem Abriss in einem Hochofen. Nebenan, auf der neuen, strahlend weißen Brücke donnert der Verkehr. Die Pylone recken sich stolz 71 Meter empor, die Schrägseile glänzen in der Sonne. Täglich 100.000 Fahrzeuge, sagt Knut Ewald, überqueren hier den Rhein: LKWs aus den Niederlanden, Pendler vom Niederrhein ins Ruhrgebiet, der Verkehr des Duisburger Hafen, des größten Binnenhafens Europas. Der massiv gestiegene Verkehr hat die alte Brücke in die Knie gezwungen. „Es ging nicht mehr mit der alten Brücke“, sagt Dr. Udo Pasderski. Wir verlassen die Baustelle über eine Wendeltreppe. Unter der Brücke zeigt er auf die alten Streben. Sie sind sogar für mich Laien erkennbar geflickt und verstärkt worden. Wir besprechen dies im Baustellenbüro. Dieses Büro ist ungewöhnlicherweise in einem Einfamilienhaus aus den 1960er Jahren untergebracht. Es liegt direkt unter der neuen Brücke, hat einen kleinen Garten mit einer Pforte, Glasbausteine im Rückbau der alten Schrägseilbrücke: Eine mächtige hydraulische Schere durchtrennt die Seile. Foto: Oliver Steeger Das durchtrennte Seil. Der alte Stahl der Brücke wird in einem Hochofen recycelt. Foto: Oliver Steeger Reportage | „Wer will, der kann! “ 17 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0084 Treppenhaus und einen Balkon zum Rhein hinaus. Wir sitzen in einem der Büros bei Baustellenkaffee. Die Balkontüre steht offen. Man hört den Autoverkehr und das Tuckern der Rheinschiffe. Weshalb war die alte Brücke nach fünfzig Jahren verschlissen? „Die Brücke wurde in den 1960er Jahren für nur 30.000 Fahrzeuge am Tag ausgelegt, für weniger als ein Drittel des heutigen Verkehrs“, sagt Knut Ewald, „außerdem waren die Fahrzeuge damals deutlich leichter.“ Dr. Udo Pasderski ahnt, dass ich die Bedeutung dieser Zahl nur halb erkenne. „Kommen Sie mal mit“, sagt Knut Ewald. In einem Nachbarzimmer hängt ein Querschnittsplan der alten Brücke an der Wand. Mit der Spitze seines Kugelschreibers zeigt er, wie die Brückenkonstruktion zu ihrem Rand hin dünner wird. Der Rand wirkt wie angesetzt; filigrane Streben stützen ihn. Dieser empfindliche Außenbereich der Brücke war als Standstreifen geplant, der rechts der Fahrbahnen nur gelegentlich genutzt wurde. Als der Verkehr wuchs, widmete man den Strandstreifen in eine Fahrbahn um. Ausgerechnet auf dem schwächsten Teil der Brücke fuhren dann schwere LKWs. Auf Jahrzehnte gesehen machten die Achslasten der 40-Tonner den Stahl mürbe. Erhöhter Verschleiß, wie Ingenieure sagen. In zwei Sanierungsprojekten versuchte man die Brücke zu verstärken. Gewissermaßen die Wunden durch Überlastung mit Pflastern zu heilen. Zuletzt mussten LKWs über eine Wiegeanlage fahren, um die Brücke queren zu dürfen; zu schwere LKWs wurden aus dem Verkehr herausgewunken. Im August 2017 schlugen Fachleute wegen Rissen in der Seilverankerung Alarm. Die Brücke kam unter tägliche Beobachtung, wie ein moribunder Patient auf einer Intensivstation. Es war klar: Ihre Tage waren endgültig gezählt. Es eilte mit dem Ersatz. So sehr Dr. Pasderski den Beweis antreten will, dass öffentliche Projekte funktionieren- - bei diesem Projekt geht es ihm und Knut Ewald um viel mehr. Die Menschen hier brauchen unbedingt diese Brücke, das haben die beiden in vielen Gesprächen gehört. Die Autobahn A 40 und ihre Rheinbrücke sind eine wirtschaftliche Schlagader für das Ruhrgebiet. Eine Sperrung würde einen volkswirtschaftlichen Schaden von täglich 1,2 Millionen Euro bedeutet. Das wäre eine Bürde für das ohnehin strukturschwache Ruhrgebiet, vielleicht der Todesstoß für einzelne Unternehmen. Die Rheinquerung bleibt deshalb während der Bauzeit offen, mit Ausnahme weniger Tage. „Wir bauen bei rollendem Verkehr“, sagt Knut Ewald. Knut Ewald hatte über Jahre an Tunnelprojekten mitgewirkt, bevor er zu diesem Projekt stieß. Als Dr. Udo Pasderski ihn wegen der Rheinbrücke ansprach, entschloss er sich schnell. „Der Rheinbrückenbau ist in Deutschland die Königsdisziplin“, sagt er, „vielleicht sogar der Meistertitel.“ Während seines Studiums sagte ihm ein Professor, dass ein Ingenieur nur einmal im Leben die Gelegenheit habe, an einer Rheinbrücke mitzuarbeiten. Diese Chance ergriff Knut Ewald sofort. Wenn man will, dann kann man- - das gilt auch für ihn. In seinen Enthusiasmus mischt sich aber auch Respekt vor der Herausforderung. Doch letztlich steht hinter dem Bau von Schrägseilbrücken präzise Ingenieurwissenschaft. Man kann Dinge berechnen. Brückenbauer denken geometrisch und beherrschen statische Berechnung. Sie haben aber auch eine Art „siebten Sinn“ für Balance und den Umgang mit Kräften und Lasten. „Die Kunst beim Brückenbau besteht darin, die Kräfte aufzunehmen und auf den kürzesten Weg in den Untergrund abzuleiten“, sagt Dr. Udo Pasderski. Brückenbau brachte seit jeher eine besondere Herausforderung mit sich: nämlich Lücken zu schließen. Wer anderen eine Brücke baut, muss erst überlegen, wie er selbst beim Bauen die Tiefe überquert. Hier in Duisburg Neuenkamp, wo der Rhein sehr breit ist, handelt es sich um mehr als 380 Meter, die das Bauwerk freischwebend überbrücken soll. Eine enorme Tragspannweite, die längste in Deutschland. Hätte man nicht einfach ein halbes Dutzend Pfeiler in den Rhein setzen und diese mit kurzen Teilbrücken verbinden können? „Der Rhein ist Deutschlands meistbefahrene Wasserstraße“, erwidert Knut Ewald. Die Schifffahrt braucht freie Bahn. Diese Idee scheidet aus. Nächste Idee: Man kann die Brücke an Land bauen und Stück für Stück nach vorne schieben. Schon besser. „Diese Methode haben wir eingesetzt-- für das erste Stück der Brücke“, sagt Knut Ewald. Das Problem ist: Je weiter man die Brücke von Land aus nach vorne schiebt-- desto mehr bekommt der über dem Rhein schwebende Teil „Übergewicht“. Er droht in den Rhein zu kippen. „Wir konnten unsere Brücke rund 50 Meter weit vorschieben“, sagt Knut Ewald. Ja-- und dann? Wie weiter? „Freivorbau“, antwortet er. Seine Augen leuchten. Er ist in seinem Element. Die neue Autobahnbrücke von den Rheinwiesen aus. Foto: Oliver Steeger Reportage | „Wer will, der kann! “ 18 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0084 Beim Freivorbau kommen die 71 Meter hohen Pylone mit ihren Schrägseilen ins Spiel. Sie müssen als erstes stehen. „Wir bauen von beiden Ufern aus. Wir schieben jeweils die an Land montierte Brücke, soweit es geht, voran“, sagt Knut Ewald, „danach schweißen wir vorne neue Brückenteile an.“ Erst vorschieben, dann vorne neue Teile ansetzen, bis sich die beiden Brückenhälften in der Mitte treffen? „Genau“, sagt Knut Ewald. Das mag einfacher klingen als es für die Ingenieure ist. Um den beiden nach vorne wachsenden Brückenteilen Halt zu geben, werden sie mit Seilen an den Pylonen befestigt. Die Seile nehmen die Lasten der tonnenschweren vorgebauten Elemente auf. Ein komplizierter Prozess von Anspannen und Umspannen der Seile, damit die Brückenteile nach vorne wachsen können. Aber-- wenn man von beiden Seiten baut, müssen sich die beiden Brückenhälften exakt in der Mitte treffen. Punktgenau. Und zwar in Länge und in Höhe. „Bei unserer Brücke haben sich die beiden Teile bis auf 30 Zentimeter angenähert“, berichtet Knut Ewald. Präzise bis auf die Länge eines Briefbogens. Ja-- und dann? „Wir haben die Brücke etwas geschoben und die Seile nachgespannt, alles austariert- - dann passte es“, sagt er. Dann hatte die Brücke ihre schöne „Urform“, wie Ingenieure diesen physikalisch ästhetischen Zustand nennen. Die Brücke ist nicht in sich verspannt, verdreht, verkeilt oder verwindet. Das ist ähnlich einem Schwimmer im Wasser. Er braucht eine in sich harmonische Körperspannung, um sich vom Wasser tragen zu lassen. Das alles erfordert komplexe ingenieurstechnische Berechnung. Hinter jedem Schritt stehen präzise Kalkulationen, die die natürliche Biegung des Stahls unter den Lasten einkalkulieren. Bereits eine tonnenschwere Maschine, die für den Vorbau erforderlich ist, kann die Brücke deutlich „herunterdrücken“. „Die Herausforderungen ist, die statischen Annahmen zu treffen für den freien Teil der Brücke“, sagt Knut Ewald, „man muss diese Annahmen korrekt berechnen und mögliche Verformungen berücksichtigen, um mit jedem angeschweißten Teil zur klaren, einheitlichen Endform der Brücke zu kommen-- so, wie ich sie haben will.“ Man spürt, wie Knut Ewald den Moment nach dem Lückenschluss genoss. Eine Brücke ist wie eine Gleichung, die nach langen Rechenoperationen elegant aufgeht. Die Konstruktion und der Bau der Brücke ist wie die „Tagseite“ des Projekts. Mit Mathematik und Physik lässt sie alles (elegant) berechnen. Das bedeutet viel Arbeit- - doch am Ende kommt man zu verlässlichen Ergebnissen. Indes, jedes Projekt hat auch eine „Nachtseite“ mit Dingen, die sich nicht vorberechnen lassen. Unsicherheiten, die sich Formeln und Berechnungen weitgehend entziehen. Auf solche Unwägbarkeiten spielten diejenigen an, die Dr. Udo Pasderski beim Spatenstich zur Seite genommen haben: Die Zustimmung- - oder zumindest Duldung-- der Anwohner. Prozesse in Genehmigungsbehörden. Die Streitsucht der Beteiligten. Die Geduld der Autofahrer. Die Ungeduld der Wirtschaft im Ruhrgebiet. Dr. Udo Pasderski bestreitet nicht, dass es solche Aspekte gibt. Was ihn bei der Ehre packte, war die Unterstellung, dass er sie nicht bedenkt und in den Griff bekommt. Vielleicht nicht mit mathematischen Formeln. Aber ebenso elegant- - indem man drei Dinge tut. Erstens, Risiken früh entschärfen. Zweitens, aufeinander zugehen. Und drittens, Brücken bauen: dieses Mal zu Menschen. Mit der hemdsärmeligen Direktheit des Ruhrgebiets fügt er an: „Wer will, der kann.“ Wir verlassen mit unseren Helmen und Warnwesten das Baubüro und fahren im Nachmittagsverkehr über die neue Brücke zur anderen Rheinseite, auf Duisburg zu. Knut Ewald berichtet von einer der Unsicherheiten, die einen wohlberechneten Projektplan über den Haufen werfen können. Es sind Altlasten. Das Ruhrgebiet, sagen manche hier, ist auf dem Müll der Industrialisierung und den Blindgängern der Weltkriege errichtet. Solch eine Altlast hat auch die Rampe zur Brücke erwischt. Unter ihr liegt eine alte Deponie. Abtragen kann man sie nicht, aber „zukunftssicher“ abdichten. „Daran arbeiten wir gerade“, sagt er, „damit die letzte Lücke in der Rampe geschlossen werden kann. “ Das Problem ist nicht, dass es Die neue Brücke im Bau. Im Freivorbau wurde von beiden Seiten her die Brücke zur Rheinmitte hin gebaut. Im Hintergrund die alte Brücke noch in Betrieb. Foto: TAKE IT MEDIA GmbH Reportage | „Wer will, der kann! “ 19 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0084 dieses Problem gibt. Die Herausforderung besteht darin, solche Risiken so früh wie möglich zu erkennen. Risikomanagement ist für die beiden Projektmanager wie sicheres Autofahren. Man muss vorausschauend fahren-- und in Alternativen denken. Ein Beispiel dafür ist das Hochwasser. Die Fundamente für die Pylone stehen nah am Flussufer. „Wer hier lebt, weiß, dass Vater Rhein gerne über die Ufer tritt“, sagt Dr. Udo Pasderski, „Hochwasser während des Baus der Fundamente hätte uns zeitlich zurückgeworfen.“ Möglichkeit eins: Das Team hat Notfallpläne für Hochwasser. Möglichkeit zwei: Das Team plant von vornherein die Spundwände höher. Das kostet mehr Geld. Aber dafür ist das Risiko vom Tisch-- und kann einem nicht mehr auf die Füße fallen. Solche Lösungen sind elegant. Doch zu ihnen findet man nur, wenn man das Risiko früh erkennt. „Wir haben das Risikomanagement schon zu Anfang des Planungsprozesses gestartet, eigentlich sogar noch früher“, sagt Dr. Udo Pasderski, „für die Baubranche ist diese Vorgehensweise nicht ganz alltäglich.“ Noch weniger üblich in der Branche ist das, was er mit dem Risikomanagement erreichen wollte. Ihm ging es nicht nur um Risikoanalysen, Zahlen und Fakten. „Ich wollte in die Diskussion reinkommen“, sagt er, „ich wollte uns zwingen, dass wir im Team früh in Szenarien durchdenken.“ Gedanklich Türen öffnen und sie offenhalten. Fällt eine Türe zu, kann man durch die andere gehen. Direkt hinter der Brücke fahren wir von der Autobahn ab. Wir kommen in ein Industriegebiet, vorbei an Lagerhallen. Später wird die Straße schmal. Auf der linken Seite die erstaunlich hohen Schallschutzwände der Autobahn, auf der anderen Seite die Hintergärten einer Siedlung. „Das ist eine alte Siedlung“, sagt Dr. Pasderski. Er scheint die Menschen hier zu kennen. „Ihre Großeltern, manchmal ihre Urgroßeltern haben diese Häuser gebaut.“ Vielfach mit ihren eigenen Händen, nach Feierband vom Stahlkocher oder „Pütt“, wie hier die Zechen heißen. Hinter jedem Haus liegt ein großer Garten, damals zur Selbstversorgung, heute als Kleinod. Kleine Gartenhäuschen stehen auf den Parzellen. Trampolins für Kinder. Blumen in voller Blüte. Eine friedliche Idylle im Schatten der Autobahn. „Wir hätten die Gärten beinahe rasiert“, sagt Dr. Udo Pasderski. Das Problem: Die beiden Brücken sind breiter als die alte. Sie brauchen einen breiteren anschließenden Autobahndamm. Anfangs stand im Raum, diesen breiteren Damm über einen Teil der Gärten zu legen. Sehr früh verstand Dr. Udo Pasderski das Problem und spielte mit dem Planungsteam die Alternativen durch. Möglichkeit eins: Die Auffahrt durch die Gärten zu planen. Möglichkeit zwei: Den Brücken einen kleinen „Schubs“ zu geben, wie Dr. Pasderski sagt. Sie also etwas versetzt zu bauen, um Anwohnern und Gärten aus dem Weg gehen. Sondierungen und Gespräche folgten- - lange bevor Projektpläne ausgehangen, die Genehmigung gestartet und Bürger offiziell beteiligt wurden. Die Menschen in der Siedlung sahen nicht nur den Damm kritisch, sondern auch den Lärm. Eine verschworene Gemeinschaft. „Wie das gallische Dorf aus dem Comic“, sagt Dr. Udo Pasderski mit seinem schelmischen Lächeln. Man einigte sich auf den Schubs für die Brücke und auf hohe, wirksame Lärmschutzwände. „Mit einem Mal hatten wir sechzig potenzielle Projektgegner weniger“, sagt er. Seine Strategie ist simpel: Brücken zu Menschen bauen bevor sie zu Projektgegnern werden. Und bevor die Pläne gezeichnet sind. Akzeptanzmanagement nennt er das. Es zahlte sich aus. Beim Planfeststellungsverfahren waren dann nur noch 18 Einwendungen auf dem Tisch. Bei ähnlichen Projekten gehen sie oft in die Tausende. An eine Geschichte erinnert sich Dr. Udo Pasderski besonders gut. Es geht um das Haus mit Gärtchen und Glasbausteinen, in dem er mit seinem Baubüro Quartier bezogen hat. „Etwas ungewöhnlich für ein Baubüro, oder? “ schmunzelt er. Normalerweise sind die Büros in Containern untergebracht. Dann erzählt er, wie es dazu kam. Bei einer der ersten Bürgerversammlungen in einem alten Duisburger Kinosaal tauchte eine gebrechlich wirkende Dame mit Rollator auf, begleitet von ihrer Familie. Es stellte sich heraus, dass ihr Häuschen direkt unter der neuen Brücke liegen würde. „Wir haben ihr das Haus abgekauft“, sagt Dr. Udo Die Perspektive der Autofahrer auf die neue Brücke im Sommer 2024. Foto: Oliver Steeger Reportage | „Wer will, der kann! “ 20 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0084 Pasderski. Damit war Friede. Nicht auszudenken der Aufruhr, wenn die Presse die Story aufgegriffen hätte, dass er seine Brücke über dem Hausdach einer betagten Dame baut. Diese Geschichte berührt ihn noch heute. Doch er weiß auch, dass man es bei solch einem Projekt nicht jedem recht machen kann. Gewisse Dinge sind nicht verhandelbar. „Ich kann Bürgern keine Mitsprache einräumen, wie breit etwa die Brücke wird“, sagt er, „das haben wir den Menschen auch klargemacht.“ Bei aller Bereitschaft zu Gesprächen- - es dürfen keine falschen Erwartungen aufkeimen. Enttäuschte Projektgegner sind häufig die hartnäckigsten Widersacher. Auch weiß er um die günstige Großwetterlage, durch die er das Projekt manövriert. Es gibt niemanden, der die Brücke nicht will. Der Leidensdruck ist hoch. Staugeplagte Pendler können es nicht abwarten, bis der Verkehr hier wieder zuverlässig fließt. Die Wirtschaft fiebert dem Tag entgegen, an dem der Güterverkehr hier ungehindert rollt. Und sogar die Anwohner freuen sich auf den verbesserten Lärmschutz, den die neue Brücke für sie bringt. „Eigentlich haben wir durch unser Projekt nur Gewinner hier“, räumt Dr. Udo Pasderski im Gespräch ein. Sie wollen nur eines: Dass die Brücke schnell fertig wird. Aber da ist noch etwas. Die reibungslose Zusammenarbeit auf der Baustelle selbst. Ich will nicht in die Kerbe schlagen wie die Leute, mit denen er beim ersten Spatenstich sprach. Dennoch: Jeder weiß, wie unkooperativ es hierzulande auf Baustellen zugeht. Mehr gegeneinander als miteinander. Häufig nur gegeneinander. Daran kranken so viele Infrastrukturprojekte in diesem Land. Dr. Udo Pasderski nickt. Er weiß sofort, auf was ich hinauswill. Er hat kein Blatt vor den Mund genommen, als er bei seinen Auftragnehmern diesen Punkt angeschnitten hat. Wir stehen, sagte er ihnen, alle im Fokus der Öffentlichkeit. Die Menschen fragen sich, ob die Ingenieure und die Bauindustrie hierzulande noch fähig sind, solche Projekte zu meistern. „Wollen wir das alte Klischee pflegen, dass es unmöglich ist, ein solches Projekt in Deutschland pünktlich abzuschließen? “ fragte er, „oder wollen wir zeigen, dass es gemeinsam geht? “ Er fuhr fort: Wenn Ihr gut zusammenarbeitet, macht dies nicht für uns. Auch nicht, um es den Zweiflern zu zeigen. Macht es für die Menschen hier im Ruhrgebiet. Und dann schrieb er den Firmen etwas ins Stammbuch, das alle bewegte: „Wenn unser Projekt eine Seele hätte und anfangen würde zu sprechen“, sagte er ihnen, „dann wäre es doch großartig, wenn uns das Projekt am Ende allen auf die Schulter klopft und sagt, dass jeder von uns das Richtige getan hat.“ Das klang philosophisch. Doch es verfehlte nicht seine Wirkung. Es drang durch. Von der Politik bis hin zum Schweißer auf der Baustelle. In einer Feierstunde bekräftigten die Führungskräfte der beteiligten Firmen die Absicht, das Projekt gemeinsam voranzubringen. Sie setzten ihre Unterschriften unter eine Charta. Jeder hat sie gerahmt bekommen. „Das Commitment bedeutet, dass wir alle auch die Perspektive wechseln können, um offene Fragen aus dem Blickwinkel des jeweils anderen zu verstehen“, sagt Knut Ewald. Und wer Ziele teilt, teilt natürlich auch die Erfolge. Solche Projekte sind keine One-Man- Show. „Wir sagen immer wieder, dass dies nur gelingt durch die konsequente und gute Zusammenarbeit im Team mit den Planungsbüros, den Baufirmen, der Verwaltung und dem Projektmanagement.“ Wir sind mit dem Auto am Rheinufer angekommen und stehen unter der neuen Brücke. „Wir zeigen Ihnen die Brücke aus ungewöhnlicher Perspektive“, sagt Knut Ewald. Am Brücken- Im Wartungsgang der neuen Brücke-- dicht unter der Fahrbahnen. Foto: Oliver Steeger Über diese Leiter geht’s hinauf in einen der über 70 Meter hohen Pylone. Foto: Oliver Steeger Reportage | „Wer will, der kann! “ 21 pfeiler klettern wir eine Leiter zu einem Gerüst empor. Auf der einen Seite der Beton des Pfeilers, auf der anderen der Stahl der Brücke. Durch eine Luke klettern wir in die Brücke hinein. Ich bin verblüfft: Ein langer, weiß gestrichener Gang erstreckt sich hell erleuchtet vor uns. Wir sind direkt unter der Fahrbahn. „Fast futuristisch“, sage ich, „die perfekte Symmetrie.“ Über Gitterroste folgen wir dem Gang ein Stück. Links neben uns laufen Kabel in Armaturen. Wir hören den Verkehr über uns; die Fahrbahn liegt vielleicht 30 Zentimeter über der Stahldecke. Knut Ewald zeigt mir die Nähte zwischen den tonnenschweren Einzelelementen, die beim Freivorbau aneinandergeschweißt worden sind, bis sich die beiden Brückenhälften in der Mitte trafen. Wir nehmen einen Seitengang, kriechen durch niedrige Durchlässe, den Kopf geschützt durch Bauhelme. Es geht eine Leiter hinauf. Unvermittelt stehen wir vor einer Stahltür, die verriegelt ist. „Sie geht hinaus auf die Autobahn“, sagt Knut Ewald, „dahinter fahren die LKWs und Autos.“ Wir sind in einem der Pylone. Zurück am Rheinufer werfen wir nochmals einen Blick auf die Brücken. Die alte Brücke grau, gezeichnet vom Rückbau. Dahinter die neue, emporgereckt wie ein Leuchtturm. Die beiden Projektmanager räumen ein, dass sie in Sorge waren wegen der Größe ihres Bauwerks. Würde es in die Landschaft passen? „Ich hatte manchmal Zweifel“, räumt Dr. Udo Pasderski ein, „über 70 Meter hohe Pylone, eine 60 Meter breite Anlage. Hoffentlich passt das alles zur Landschaft, zu der Stadt und den Menschen hier.“ Doch sie passt, meinen viele. „Es ist wirklich ein großartiges Landschaftszeichen“, sagt Knut Ewald. Dann strahlt mich Dr. Udo Pasderski an: „Gerade diese Ästhetik macht mich stolz. Die Brücke ist ein Highlight hier! “ Nun wird die zweite Brücke folgen. Das Projekt liegt ausgezeichnet in der Zeit und im Budget. Doch den Tag nicht vor dem Abend loben. „Wir sind ja noch mittendrin“, sagen die Projektmanager, „es kann noch viel passieren.“ Nur weiter! Wer will, der kann! Eingangsabbildung: Stand des Rückbaus im Sommer 2024: In der Mitte die Lücke in der alten Brücke. Foto: Oliver Steeger Buchtipp Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany \ Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ info@narr.de \ www.narr.de In Verhandlungen mit Geschick punkten „Never give without taking“ ist das Verhandlungsmotto von Ludger Schneider-Störmann. Verhandlungen in gesättigten Märkten mit hartem Wettbewerb sind konfliktreich. Der Autor beschreibt gängige Konflikttypen und erläutert alle Facetten für ein erfolgreiches Management von Online- und Face-to-Face-Verhandlungen. Er gibt Anleitungen für eine perfekte Vorbereitung und Durchführung. Das Buch richtet sich an Studierende der Betriebswirtschaftslehre, des Wirtschaftsingenieurwesens sowie des Vertriebs und alle Studierende mit Interesse am Vertrieb. Es eignet sich auch hervorragend für die Praxis. Ludger Schneider-Störmann Kon ikte und Verhandlungsmanagement im Vertrieb 1. Auflage 2024, 258 Seiten €[D] 24,90 ISBN 978-3-8252-6267-9 eISBN 978-3-8385-6267-4 Anzeige 22 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0085 Olympische Spiele in Paris-- ein Großprojekt aus der Perspektive einer teilnehmenden Athletin Steffen Rietz Ein sportbegabtes Kind zu einem international erfolgreichen Leistungssportler weiterzuentwickeln, ist eine mehrjährige Herausforderung ohne Erfolgsgarantie. Neben dem sportartspezifischen Training muss viel strukturiert & organisiert, analysiert & konzipiert, koordiniert & kommuniziert, zielorientiert geplant & gesteuert werden, was sehr viele Parallelen zur professionellen Projektarbeit aufweist. Während alle vorolympischen Infrastrukturprojekte in Paris einen klaren Projektauftrag und ein Gesamtbudget von ca. 3,5 Mrd. € hatten (die Spiele insgesamt ca. 8,8 Mrd. €)[1], sind private Sportkarrieren oft auch privat zu organisieren, zu koordinieren und zu finanzieren. Diese Anwendung von Projektmanagementmethoden außerhalb klassischer Projektarbeit wurde bereits in PMA 02/ 2024, S. 59-69 am Beispiel der Dualen Karriere studierender Leistungssportler thematisiert. Inzwischen hat Sandra Paruszewski dazu ihr Buch „Projektmanagement Know-how für die Duale Karriere“ publiziert und selbst an den Olympischen Spielen in Paris teilgenommen. Ähnlich wie die Projektplanung auf der Zielgeraden eine detaillierte Feinplanung für einen fristgerechten Projektabschluss erfordert, soll ihre letzte Vorbereitungsphase genauer betrachtet werden. Wir ergründen die Details von Paruszewskis Weg seit ihrer erfolgreichen Qualifikation über vier Monate bis zu ihrem olympischen Ringerwettkampf in Paris. Neben der chronologischen Verfolgung aller Planungsnotwendigkeiten liegt ein besonderer Fokus auf den Projektmanagement-Aspekten. Frau Paruszewski, Sie waren eine von 211 Top- Athletinnen, die neben ähnlich vielen Männern das Team D bei den Olympischen Spielen vertreten haben. Am 06. April, dem Tag Ihrer erfolgreichen Qualifikation, haben Sie ein langjähriges Ziel erreicht und ein neues Ziel definieren müssen. Was hat sich an dem Tag geändert? An dem Tag selbst ist, abgesehen von der spontanen Freude, nichts mehr passiert. Da ist mir nur ein Stein vom Herzen gefallen, dass die formale Anforderung erreicht war. Richtig realisiert habe ich die Tragweite erst nach ein paar Tagen. Das war auch der erwartbare Rhythmus. Nach jedem großen Turnier hat man einige Tage Ruhe, steigt dann wieder ins Training ein und resümiert nach und nach das Erreichte und das Gelernte. Dann wurde auch die grobe Planung besprochen. Sie meinen, Sie haben begonnen bis Paris zu planen. Abbildung 1: Sandra Paruszewski-- die Olympia-Qualifikation ist oft die Erreichung eines langjährigen Ziels und gleichzeitig der Start eines neuen, noch herausfordernderen Projektes (Bild-Quelle: UWW) Reportage | Olympische Spiele in Paris-- ein Großprojekt ... 23 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0085 Nein, die grobe Planung war fertig und wurde nur noch besprochen. Die macht ohnehin der Bundestrainer und der hat aus zurückliegenden internationalen Turnieren einen Standard, wie Athleten vorbereitet werden. 2024 hatten sich schon andere Ringer vor mir für Paris qualifiziert. Für die gab es einen konkreten Wettkampfvorbereitungsplan und in den bin ich mit eingestiegen. Grobkonzept Es gab also eine Art „Schablone“, welche Schritte zu durchlaufen sind, ähnlich wie in Projekten der Bauindustrie oder der Produktentwicklung? Keine individuelle Vorbereitung? Die Grobplanung im Vorfeld großer Turniere ist immer sehr ähnlich. Es gibt eigentlich nur drei nennenswerte Gestaltungsparameter: 1.) Je nach Länge der Gesamtvorbereitungszeit fallen die einzelnen Phasen der Vorbereitung mal länger, mal kürzer aus. 2.) Man kann individuell gestalten, ob man in der Vorbereitung auf ein großes Turnier noch an anderen kleinen Turnieren teilnimmt oder eher nicht. Und 3.) müssen internationale Trainingsgegnerinnen organisiert werden. Man muss sich mit unbekannten und sehr guten Gegnerinnen auseinandersetzen, und nicht nur mit den beiden Vereinskameradinnen, deren Stärken und Schwächen ich aus zehn gemeinsamen Jahren schon in- und auswendig kenne. Oh, bitte langsam und einzeln. Beschreiben Sie uns zunächst den zugrunde liegenden Standard. Das ist ein 3-Phasen-Modell, beginnend mit der Grundlagenphase, also Krafttraining, Muskelaufbau, Konditionstraining, Aufbau von Grundschnelligkeit- - eben die Basics. Das lernt man ja nicht nur einmalig in der Jugend, sondern arbeitet daran ein Sportlerleben lang. Dann kommt die Aufbauphase, d. h. mehr Matten- und Techniktraining und die Feinkorrektur noch nicht perfekter Bewegungsabläufe. Als letztes dann die Intensitätsphase. Da werden die Matteneinheiten wieder deutlich kürzer, dafür intensiver zum Aufbau der notwendigen Wettkampfhärte. Das ist dann stark individuell skalierbar durch die Anzahl der echten Wettkämpfe, an denen man noch vorbereitend teilnimmt. Um das gesagte nicht aus dem Auge zu verlieren: Sie sprachen von der Notwendigkeit, internationale Trainingsgegnerinnen zu organisieren-- für den gesamten Prozess? Nicht vom ersten bis zum letzten Tag, aber für mehr als nur einen Tag. Es ist eine Grundsatzfrage, ob man ein eigenes internationales Trainingslager in Deutschland anbietet oder ein anderes bereits angekündigtes besucht. Wir sind z. B. zwei Mal in die Türkei gefahren, haben uns dort dem Trainingslager der türkischen und kirgisischen Ringer angeschlossen und auch selbst eine ecuadorianische Ringerin mit ihrem Trainer dorthin eingeladen. Also Ihre persönliche Vorbereitung auf das olympische Turnier war integriert in die Vorbereitung aller qualifizierten Ringerinnen für Paris und war abhängig von der Vorbereitung mehrerer anderer nationaler Verbände? Ja, genau. Aber das ist normal. Die genannten Phasen sind konzeptionell weltweit fast einheitlich. Wenn man dann in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung angekommen ist und alle Athleten bereiten sich in ähnlicher Weise auf den gleichen Wettkampf vor, auf Olympia, dann wird das sinnvollerweise mit befreundeten Verbänden koordiniert, mindestens europaweit. Anmeldung und Frühphase der Vorbereitung Lassen Sie uns die strukturellen und organisatorischen Aspekte fokussieren. Was war der erste Meilenstein? Der Wettkampfablaufplan, d. h. die zwei Wettkampftage pro Gewichtsklasse stehen schon sehr früh mit Datum und Uhrzeiten fest. Vorkämpfe zwischen 11: 00 und 14: 00 Uhr, Finalkämpfe im Abendprogramm von 18: 00 bis 20: 00 Uhr, dazwischen die Halbfinalkämpfe und Hoffnungsrunden. Der erste Schritt ist dann die Anmeldung, bei mir sogar schon vor der Qualifikation. Ist die Qualifikation nicht die Voraussetzung für die Teilnahme? Ja, aber nicht für die Anmeldung. Es wird sehr früh eine ‚Long List‘ erstellt. Für alle infrage kommenden Athletinnen wird alles eingereicht, um Richtigkeit, Vollständigkeit und Fristenwahrung frühzeitig sicherzustellen. Entstehen in Projekten die ersten Überlegungen und Dokumente nicht auch schon vor dem Projektstart? Sorry, vielleicht war ‚angemeldet‘ das falsche Wort, aber erfasst und registriert. Dazu gehören neben meinem Namen alle persönlichen Daten, ein umfangreicher Fragebogen, die Einwilligung in Datenschutzaspekte zur Digitalisierung und Verarbeitung aller Informationen, alle Anträge, Unterschriften-… Als Anfang Juli die Nominierung kam, war das administrative schon seit Mitte März abgehakt. Und dann beginnt die eigentliche Vorbereitung. Mehr oder weniger konkret, je nach Zeitpunkt der Qualifikation. Die früh qualifizierten haben fast sechs Monate Vorlauf und Gewissheit. Bei mir waren es noch vier Monate. Andere sind vielleicht lange auf einer Nachrückerposition und werden bei einem ungeplanten Ausfall anderer Sportler erst wenige Wochen oder gar Tage vor ihrem Wettkampf nachnominiert. Haben spät Nachnominierte überhaupt noch eine reale Chance? Der Bundestrainer empfiehlt jedem konkret 1-2 kleine Vorbereitungsturniere. Die Auswahl und Entscheidung trifft aber der Athlet. Wenn die Zeit dazu nicht mehr reicht, kommen die Nachrücker nicht unvorbereitet, sondern lediglich aus einer nicht Olympia-spezifischen Trainingsroutine. Die Botschaft an potenzielle Nachrücker ist immer: Haltet Euch fit! Also eine permanent begleitende Chancen- und Risikobetrachtung: Die einen können trotz ihrer Nominierung noch ausfallen und andere trotz Nichtnominierung plötzlich aktiviert werden und nachrücken. Haben Sie konkrete Beispiele? Der Zehnkämpfer Manuel Eitel hat Corona bekommen und kurzfristig Platz gemacht für Till Steinforth. Lena Oberdorf hat sich im letzten Vorbereitungsspiel verletzt. Janina Minge Reportage | Olympische Spiele in Paris-- ein Großprojekt ... 24 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0085 ist sehr kurzfristig eingesprungen und hat mit den Fußballerinnen sogar Bronze geholt. Meine Ringerkameradin Annika Wendle ist ebenfalls nachgerückt, weil die vor ihr qualifizierten Weiß-/ Russinnen nicht angetreten sind. In der Risikobetrachtung müssen also viele Aspekte gesehen und interpretiert werden. Corporate Identity Nachdem Sie von keinem der genannten Risiken betroffen waren, ging es irgendwann zur Einkleidung? Ja, aber deutlich später. Das war ein schöner Tag. Es war ein Zeitfenster von ca. 2 Wo. für alle deutschen Olympiateilnehmer auf dem Messegelände in Düsseldorf definiert. An einem Freitag sind wir dann als Ringerteam geschlossen dorthin gefahren. Über den Trainer sprachen Sie schon. Im Sinne der Stakeholderbetrachtung stellen Sie uns bitte das gerade genannte Ringerteam vor. Die Frauenmannschaft bestand aus vier Athletinnen zzgl. Trainer & Co-Trainer. Zwei Trainingspartnerinnen waren dabei, eine für die unteren, eine für die oberen Gewichtsklassen. Ein Physiotherapeut; das war schon ein Privileg. Sehr kleine Teams oder Einzelsportler müssen auf die zentralen DOSB- Physios zurückgreifen. Dann noch ein paar Betreuer und Funktionäre-- in Summe ca. 10-15 Personen. Wie müssen wir uns eine solche Einkleidung vorstellen? Jeder bekommt seine Liste mit-- es waren wohl um die 80 Dinge, die ich bekam-- und dann geht es von Station zu Station: Taschen, Rucksäcke, Trainingsbekleidung, einheitliche Kleidung für die Eröffnungs- und Abschlussfeier, Bekleidung für die Medaillenzeremonie, einheitliche Freizeitkleidung für den Aufenthalt im Olympischen Dorf, Schuhe, Badelatschen, verschiedene Mützen-- insgesamt schon sehr viel. Zu viel? Orientiert am funktionalen Bedarf vielleicht zu viel. Aber es spielen ja viele Aspekte mit rein. Ich habe es auch als Wertschätzung empfunden. All die Kleidungsstücke sind nach den Olympischen Spielen sofort zu Erinnerungsstücken geworden. An große und erfolgreiche Projekte erinnert man sich ja gern und lange. Und Olympia ist das Größte. Die Einkleidung ist auch eine Imagefrage. Wie will Deutschland sich auf dem vermutlich größten Event der Welt präsentieren? Es gab auch explizit einen Kleiderleitfaden, in dem genau geregelt ist, wann was wie zu tragen ist. Einheitlichkeit schafft Zusammenhalt- - in jedem Team. Die Sachen waren alle sehr hochwertig, identitätsstiftend und ein Motivationsschub. Abbildung 2: Das Team der deutschen Ringerinnen, einheitlich gekleidet und bereit für die Spiele (Foto: privat) (Untere Reihe: Sandra Paruszewski (rechts) und die genannte Annika Wendle (2.v.l.)) Reportage | Olympische Spiele in Paris-- ein Großprojekt ... 25 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0085 Ernährung, Wiegen und andere Risiken Als Ringerin sind Sie ja auch den Grenzen der Gewichtsklassen unterworfen. Ändert das ggf. auch temporär Ihre Konfektionsgröße oder bleibt die Einkleidung davon unberührt? Laut lachend: Wir wachsen oder schrumpfen ja nicht. In unterschiedlichen Sportarten und auch von Typ zu Typ abhängig wird das ‚Gewicht machen‘ mehr oder weniger extensiv betrieben. Ich beginne meist erst zehn Tage vor dem Wettkampf, gezielt auf das Wettkampfgewicht hinzuarbeiten. Was heißt das? Die Essensportionen werden insgesamt kleiner. Kohlenhydrate werden reduziert, der Eiweißkonsum dafür etwas hochgeschraubt. Vor allem ist die Energiezufuhr viel stärker auf die Trainingsbelastung abzustimmen, d. h. an einem Regenerationstag sollte man nicht viel essen, nur weil es gerade gut schmeckt. Das ist in der Phase dann mal kein Argument. Auch wenn man Frauen nicht auf ihr Gewicht anspricht. Darf ich das ausnahmsweise mal tun? Hatten Sie Gewichtsprobleme? Lassen Sie mich zunächst auf etwas anderes hinweisen: Typische Projektmitarbeiter sind in der Arbeitszeit oft sehr engagiert, machen oft auch Überstunden. Aber irgendwann ist Feierabend. Das Projekt Olympiateilnahme gewährt keinen Feierabend. Die Ernährung ist Teil des Trainingsplans. Der Schlafrhythmus wird a) geplant und b) überwacht. Auch wenn man nicht ununterbrochen körperlich trainiert, so ist doch das ganze Leben 24 / 7 dem Ziel untergeordnet. Damit zurück zu Ihrer „gewichtigen“ Frage: Es ist seit Jahren so, dass wir in Deutschland zwei Frauen sind, die in der 59-kg-Klasse international kämpfen. Das ist aber leider keine olympische Klasse. Immer abwechselnd, mal sie, mal ich, gehen wir dann weiter runter in die olympische 57 kg-Klasse. Die zwei Kilo sind keine große Herausforderung. Ich hatte Übergewicht in Ihrem Sport als größeres Risiko vermutet, zumal die indische Ringerin Vinesh Phogat mehrere Tage auch durch die deutsche Presse ging. In dem Einzelfall kamen mehrere Faktoren ungünstig zusammen bis hin zur Art der Darstellung in der Presse. Das sollten wir nicht verallgemeinern. Dann bleiben wir bei den Risiken, gehen aber eher in die verallgemeinerbaren Themen. Wie gehen Sie mit Risiken grundsätzlich um? Allgemein gibt es ein breites Spektrum an Risiken, allem voran die Finanzierung, d. h. Förderung oder das individuelle Einwerben von Sponsorengeldern. In meinem Buch ist vieles dazu ausgeführt. Im Vorfeld von Olympia vereinfacht sich das temporär etwas, weil fast alle Kosten vom DOSB übernommen werden. Es reduziert sich dann mehr auf die allgemeine Fitness, Verletzungen zu vermeiden und die optimale Tagesform auch am richtigen Tag zu haben. Wie gehen Sie das Thema methodisch an? Im Grunde nicht anders, als jeder gewissenhafte Projektleiter auch: Risiken identifizieren, vor großen Turnieren wie EM, WM oder Olympia ggf. noch ein ergänzender Austausch mit dem Trainer, dann Maßnahmen festlegen, sofern man das kann-… Können Sie Beispiele nennen, welche Maßnahmen möglich oder nicht möglich sind? Corona macht es sehr deutlich: 2020 war die Maßnahme, die Olympischen Spiele in Tokyo abzusagen. 2021 wurden sie dann nachgeholt, aber extrem reglementiert. Beides hatten wir Athleten nicht zu entscheiden. Ich selbst überlege mir solche Dinge zwar ganz grundsätzlich, aber nicht täglich. Wenn die Coronaprophylaxe, also das Social Distancing zum ständigen Begleiter wird, das legt sich auch aufs Gemüt und schwächt mich mental. Dann werde ich erst recht krank. Ich habe erst in der letzten heißen Phase auf Abend- und Großveranstaltungen verzichtet. Wettkampfanmeldung und die letzten Tage Kommen wir zurück zu Ihrem Vorbereitungsprozess. Wann erfolgt die eigentliche Anmeldung? Meine erste persönliche Anmeldung war die im Olympischen Dorf vor Ort. Da wird dann die vorherige Registrierung in eine Akkreditierung umgewandelt, und die ist ständig mitzuführen wie ein Betriebsausweis auf dem Firmengelände. Sie ist die Zugangskarte zum Olympischen Dorf, zur Mensa, zum Athletenbereich der Wettkampfstätten, eigentlich zu allem. Ist das Besondere am Olympischen Dorf sichtbar, oder ist es eher die Atmosphäre? Eine Kombi aus beidem. Es war ein richtiges kleines Dorf mit kleinen Straßen und Grünanlagen. Wir vier deutsche Ringerinnen waren in einem Appartement, zwei Zweierschlafzimmer, ein gemeinsamer Aufenthaltsraum; für uns genau richtig. Wer die typischen Probleme internationaler Dienstreisen kennt: Wir haben weder unsere Zeitzone, noch die Klimazone verlassen. Trotzdem waren wir von Sportlern aus aller Welt und allen Sportarten umgeben. Das war schon toll. Abbildung 3: Olympischer Ringerwettkampf mit Blick auf ausgewählte Stakeholder: die Gegnerin, Schiedsrichter, Punktrichter, Ringarzt, offizielle Turnierfotografen, Reporter, Journalisten, Kameraleute, ca. 8.500 Zuschauer in der ausverkauften Champ-de-Mars-Arena und Millionen an den TV- Geräten weltweit (Foto: privat) Reportage | Olympische Spiele in Paris-- ein Großprojekt ... 26 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0085 Noch mal einen Schritt zurück: Mit der Frage nach der Anmeldung dachte ich an die konkrete Wettkampfanmeldung. Auch die ist sehr wichtig und wird irgendwann recht kurzfristig erfolgen. Um ehrlich zu sein: so genau weiß ich das nicht. Das hat auch der Verband gemacht. Oder auch nicht. Um nochmals Pressemeldungen zu zitieren: die nigerianische Sprinterin Favour Ofili durfte nur die 200 m laufen, war aber auf den ebenfalls geplanten 100 m durch eine vergessene Anmeldung nicht startberechtigt. Die Nichterfüllung formaler Anforderungen sind in vielen Projekten K. O.-Kriterien. Solche Fälle gibt es, aber selten. In Deutschland ist jede Leistung eine Teamleistung. DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund) und DRB (Deutscher Ringerbund) als Verbände, aber auch viele einzelne Stakeholder im persönlichen Umfeld des Athleten sorgen dafür, dass man sich weitgehend auf den Wettkampf konzentrieren kann. Viel wichtiger ist das vermutlich bei den Leichtathleten oder Schwimmern, die über mehrere Distanzen oder in mehreren Disziplinen starten. Dann steigt auch der Koordinations- und Kommunikationsaufwand. Gibt es für Sie zumindest eine Kontrollmöglichkeit über die Anmeldung, damit Sie auch ruhig schlafen können? Ca. 2-4 Wochen vor dem Wettkampf gibt es Meldelisten. Man kann dann beim Ringerweltverband im Internet sehen, wer in welcher Gewichtsklasse gemeldet ist und wie das Starterfeld sich zusammensetzt. Dann wird es sicherlich spannend und auch erfolgskritisch, gegen wen man konkret kämpft? Bis zu diesem Zeitpunkt läuft eine professionelle Wettkampfvorbereitung sehr projektähnlich ab, entlang strukturierter Prozesse, mit Methoden zur Zeit- und Ressourcenplanung, meilensteinorientiert mit begleitender Statusmeldung und Leistungsmessung, stets die formalen Anforderungen im Blick inkl. der Kostendeckung und Finanzierung- … Jetzt sprechen Sie aber zwei große Unterschiede an. In welcher Form. Klären Sie uns auf! Nachdem die Weltführenden in den Kampfpaarungen gesetzt sind, werden die anderen Turnierteilnehmer zugelost. Das Losverfahren ist eine Methode, die in der „normalen“ Projektarbeit eher nicht vorkommt, sondern eher dem Glücksspiel zuzuordnen ist. Mal hat man mehr und mal weniger Glück. Auf jeden Fall gibt es keine Möglichkeit der Beeinflussung. Wir kommen darauf gleich zurück. Sagen Sie uns noch den zweiten Unterschied zwischen professioneller Wettkampfvorbereitung und professioneller Projektarbeit. Wir kennen alle das sehr breit gefächerte Verhalten der Stakeholder. Es gibt Unterstützer und Verhinderer, aktive und passive. Aber im Kern wird in der Produktentwicklung ein Produkt entwickelt, im Eventmanagement eine Veranstaltung organisiert usw. Im Sport ist der Erfolg ausschließlich auf Kosten Anderer möglich, die zwangsläufig verlieren müssen. Jeder sportliche Gegner hat das persönliche Ziel, mir das Leben schwer zu machen und meinen (Projekt-)Erfolg zu verhindern. Im Kampfsport wird das besonders deutlich. …-durch die Anwendung körperlicher Gewalt der Stakeholder? Etwas schmunzelnd: So würde ich es nicht formulieren, aber im Grunde ist es so. Wir kennen das von der Fußball-EM. Die begann am 14. Juni 2024. Auslosung für die Gruppenphase war am 02. 12. 23, auch im Losverfahren. Man hat also nur ein gutes halbes Jahr, sich auf den Gegner einzustellen. Wir Ringer müssen da deutlich schneller sein. Die Auslosung ist genau einen Tag vor dem Wettkampf. Die individuelle Einstellung auf die Gegnerin beschränkt sich dann auf einen Hinweis des Trainers in der Aufwärmphase unmittelbar vor dem Wettkampf, dass z. B. tendenziell ein Beinangriff rechts zu erwarten ist. Und dann geht es auch schon los. Abbildung 4: Sportler und ihre Fans treffen auch außerhalb der Wettkampfstätte oft aufeinander, hier im Parc des Champions (Foto: privat) Reportage | Olympische Spiele in Paris-- ein Großprojekt ... 27 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0085 Ja, und dann ging es los. Für Sie ist es aber nicht ausgegangen wie geplant, oder? Nein, leider nicht. Bis zur Olympiaqualifikation ist die Teilnahme immer das große Ziel. Wenn das geschafft ist, will man natürlich mehr. Ich habe leider gleich den ersten Kampf verloren, durchaus erwartbar gegen die Favoritin aus Moldawien, die später auch im Finale um Gold gekämpft hat. In meinem zweiten Kampf habe ich gegen eine Brasilianerin, die später im kleinen Finale um Bronze gekämpft hat, auch nicht gut ausgesehen. Wenn man zwei so starke Brocken nicht aus dem Weg räumen kann, dann hat man zwar viel Erfahrung gesammelt, aber eben nicht gewonnen. Also kein Losglück gehabt? Nein, wirklich nicht. Aber ich wollte es vorhin nicht auf den Faktor Glück reduzieren. Beide Gegnerinnen waren schon besser als ich. Aber wenn nach mehrjähriger intensiver Vorbereitung innerhalb weniger Minuten alles vorbei ist, das ist schon sehr ärgerlich. Andere entwickeln jahrelang ein Auto und dann kippt es beim Elchtest plötzlich um. Das passiert. Beleg Ihrer Leistungsfähigkeit sind ja zwei Europameisterschaftsmedaillen. Erzählen Sie uns lieber noch etwas über die bereits erwähnten Stakeholder. Stakeholder Als maßgebliche Verhinderer Ihres sportlichen Erfolgs hatten Sie schon Ihre jeweils direkte Gegnerin genannt. Gibt es dazu Videoanalysen, wie man sie aus dem Fußball kennt? Kampfanalysen gibt es. In der Weltspitze einer Gewichtsklasse reden wir nicht von hunderten Athletinnen. Der Trainer hat sein Büchlein, ich meines auch und im Laufe der Jahre schreibt man sich zu jeder Gegnerin auf, was man bei ihr schon erlebt oder beobachtet hat. Das scheint dann ja ein wichtiges Büchlein zu sein. Was steht da konkret drin? Ich nehme es zu jedem Turnier mit, um darin zu lesen, Erinnerungen zu rekapitulieren und Neues zu erfassen. Zu jeder, gegen die ich schon gerungen habe-- im Laufe der Jahre sind das weltweit fast alle nennenswerten Athletinnen meiner Gewichtsklasse-- ist notiert, was sind ihre Stärken & Schwächen? Was sind ihre Hauptangriffstechniken und welche meiner Spezialtechniken könnte ich bei ihr ggf. gut anwenden und durchkriegen. Projektleiter tun sich oft schwer mit der konkreten Benennung von Opponenten und deren Charakteristik, wie und warum sie den Projekterfolg verhindern wollen und was man selbst dagegen tun kann. Ich habe davon erfahrungsbasiert ein ganzes Buch voll. Viele andere Sportler wohl auch. Den Trainer- und Betreuerstab nannten Sie schon. Der Fernsehreporter verriet noch „… ihr Ehemann Stefan Mosmann ist dabei und Mama Brigitte.“ Familie und Freunde würden sich natürlich immer über Freikarten freuen, aber die hatte ich leider nicht. Jeder Athlet bekommt zwei Karten, die aber bezahlt werden müssen. Alle weiteren Karten müssen auf offiziellem Wege über die Ticket- APP-- und wieder mit etwas Glück im Losverfahren-- besorgt werden. Mein Mann war selbst lange Ringer, kennt die Anspannung vor dem Wettkampf und nimmt mir diese organisatorischen Kleinigkeiten oft ab. Ist der gerade zitierte Kommentator ein Stakeholder für Sie? Auf jeden Fall, spätestens wenn ARD & ZDF sich vorher bei mir melden und persönliche Details abfragen, die sie bei der Übertragung für die Fernsehzuschauer einstreuen können. Solche Termine muss man ernst nehmen. Was im Fernsehen gesagt wird, erscheint wenige Minuten später im Internet, am nächsten Tag in der Presse. Das lesen meine Sponsoren. Da muss man sich schon Zeit für die Leute nehmen, die nach außen das Bild prägen. Gab es viele Pressekontakte? Einige regionale Anfragen aus dem Heimatort, aber so lange Ringen eine Randsportart ist, hält sich das in Grenzen. Gab es analog der Kleiderordnung auch Verhaltensvorschriften im Kontakt mit der Presse? Es gab keine Verbote und auch kein Medientraining. Wir hätten reden können mit wem wir wollen, wann wir wollen und worüber wir wollen. Der Bundestrainer hat uns lediglich den persönlichen Rat gegeben, die letzten zwei Wochen vor der Olympia-Eröffnung Presseanfragen eher restriktiv zu behandeln, um sich gedanklich nicht ablenken zu lassen. Apropos gedankliche Ablenkung. Was machen Sie am letzten Abend vor dem Wettkampf? Wer ist dann für Sie da? Was macht eine Mädchen-WG vor dem großen Höhepunkt? Sich gegenseitig die Haare. (lacht) Aber im Ernst: da machen Abbildung 5: Auch Zuschauer sind Stakeholder, hier aus Polen, Chile und der Ukraine friedlich nebeneinander. Bei Olympia klatscht jeder für alle (Foto: privat) Reportage | Olympische Spiele in Paris-- ein Großprojekt ... 28 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0085 wir uns die Kampffrisur. Da werden enge Zöpfe geflochten. Das ist nicht schwer und bei allen fast gleich. Wir sitzen dabei meist vor dem Fernseher, sehen den Live-Stream anderer Wettkämpfe und können das nebenbei gleich auswerten. Das ist schon zu einem festen Vorabendritual geworden. Da wir uns aus vielen gemeinsamen Trainingslagern kennen, ist auch klar, wer eher reden möchte und wer eher seine Ruhe braucht. Das ist meist ein sehr persönlicher Abend. Der Morgen danach Das mehrjährige Ziel der Olympiateilnahme ist jetzt erreicht. Wie geht es weiter? Eine gute Frage. Ein bisschen hat sich ein Kreis geschlossen von meiner ersten Senioren-WM 2017 in Paris bis zu den Olympischen Spielen in Paris. Nochmal vier Jahre bis zu den Spielen 2028 in L. A. sind altersbedingt eher unrealistisch. Mein Vertrag als geförderte Sportsoldatin läuft zum Jahresende auch aus. Vielleicht sollte ich dem Nachwuchs Platz machen? War das eine Frage? Das klingt eher unentschlossen. In den Medien hört man dieser Tage oft von der sog. Nach-Olympia-Depression. Kennen Sie das? Ist das eine Art Naturgesetz, dass alle Athleten einholt? In meinem Buch gibt es u. a. ein Interview mit Nicole Brandes, die seit längerem Spitzensportler coacht und davon berichtet. In wenigen Extremfällen entstehen wirklich Depressionen, aber im Kern geht es darum, dass man viele Jahre auf ein Ziel hinarbeitet, und von einem Tag zum anderen ist das Ziel weg; manchmal erreicht, aber in vielen Fällen nicht mal das. Die olympischen Spiele sind einfach ohne Medaille vorbei, die Trainingsmotivation entfällt, Förderprogramme und Sponsorenverträge laufen aus. Da kommt man- - meist ungewollt- - überhaupt erst einmal zur Ruhe stellt sich zwangsläufig die Sinnfrage. Ich hoffe, Sie konnten die Sinnfrage für sich klären? Das ist nicht einfach, aber das Leben ist nach dem Sport ja nicht zu Ende. Man muss die Zeit der Erholung und des Nachdenkens aber schon bewusst mit sinnstiftenden Gedanken und neuen Zielen füllen. Bei mir ist es ein bisschen so wie auf dem T-Shirt-Spruch: ‚Für einen Burn-out habe ich gar keine Zeit'. Was heißt das? Wofür benötigen Sie jetzt Zeit? Wir haben vor ein paar Monaten ein Haus gekauft. Da ich nicht auf ein Fußballergehalt zurückblicke, sondern auf eine Ringerkarriere, ist es eine Gebrauchtimmobilie mit entsprechendem Renovierungsstau. Ich ringe jetzt mit Fugenkleber, Fußbodenleisten und Tapezierbürste und habe nur bedingt Zeit, in Gedanken zu versinken. Vielleicht ist das auch gut so. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Renovieren und beim Umzug. Vielen Dank, dass Sie ein Teil von dem waren, was wir alle als phantastische Olympische Spiele in direkter Nachbarschaft in Erinnerung behalten. Eingangsabbildung: Die Olympischen Ringe am Pariser Eiffelturm (Foto: privat) Quelle: [1] NZZ vom 29.07.24 „Die Spiele finanzieren die Spiele“ Sandra Paruszewski - 4x Deutsche Meisterin im Ringen, 2x EM-Bronze, Teilnahme an mehreren Weltmeisterschaften und den Olympischen Spielen in Paris - Absolventin der BWL der Hochschule Offenburg - Sportsoldatin der Bundeswehr UVK Verlag - Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany \ Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ info@narr.de \ www.narr.de BUCHTIPP In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu den zentralen Herausforderungen unserer Gesellschaft zählen, bietet diese Studie wertvolle Einblicke und praxisnahe Empfehlungen. Sie beleuchtet, wie Unternehmen Nachhaltigkeitsüberlegungen in ihre Projektmanagementprozesse integrieren und welche Rolle die SDGs dabei spielen. Mit einer detaillierten Analyse und fundierten Ergebnissen zeigt die Untersuchung auf, welche Fortschritte bereits erzielt wurden und wo noch Handlungsbedarf besteht. Die „Projektportfolio Sustainability Monitor 2024“-Studie untersucht den Status quo der Berücksichtigung von Nachhaltigkeit als Kriterium im Projektportfoliomanagement deutscher Unternehmen. Im Fokus steht dabei insbesondere die Integration der UN Sustainable Development Goals (SDGs). Ziel der Studie ist es zu erfassen, welche Bedeutung Nachhaltigkeitskriterien in der Projektselektion und -priorisierung haben und wie sich dies in der Einbindung der SDGs sowie in der Einhaltung relevanter Nachhaltigkeitsgesetze zeigt. GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Projektportfolio Sustainability Monitor 2024 Studie in der deutschen Unternehmenspraxis mit Fokus auf die UN Sustainable Development Goals GPM Science 1. Auflage 2024, 96 Seiten €[D] 65,00 ISBN 978-3-381-13061-0 eISBN 978-3-381-13062-7 30 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0086 Zum 35. Jahrestag der Friedlichen Revolution Changemanagement für 17 Millionen Steffen Rietz Abbildung 1: An der BAB 114 begrüßt Leipzig noch heute stolz seine Besucher mit einem Hinweis auf die Ereignisse im Herbst ʼ89 Abbildung 2: Beispielhaftes Fünf-Phasen-Modell für Change Management. Wenn nicht konkret und bewusst ein Change-Projekt gestartet wird, wird es für die Bottom-up-Agierenden unendlich schwer. Wer die deutsche Einheit miterlebt hat, weiß, es ist kein Changeprojekt mit einem Budget von 17 Mill. € gemeint, sondern ein Changeprozess, von dem 17 Mill. Menschen unmittelbar betroffen waren, indirekt noch viel mehr auf der ganzen Welt. Im Sinne des Projektmanagements und der Organisationsanalyse stellt sich rückblickend die Frage, welche Teile des hochdynamischen Wandlungsprozesses waren geplant, organisiert oder improvisiert? Da es keinen Auftraggeber und keinen Projektauftrag gab, keinen Projektleiter und kein bereitgestelltes Budget- - wie wurde dieses weltverändernde Ereignis ermöglicht? In der Retrospektive fällt die Einordnung in gängige Modelle zur Beschreibung von Change- und Transformationsprozessen sehr leicht. Die Phasen des Unfreezings und Freezings nach Levy sind eindeutig zuzuordnen. Aber waren sie planbar und steuerbar? War z. B. ein Fünf-Phasen-Modell zum Change Management nach Krüger anwendbar, wenn kein Projektstart die Konzeptphase eröffnet? Nahezu alle bekannten Vorgehensmodelle in diesem Kontext haben eines gemeinsam: sie unterstellen ein Mindestmaß an Planung, und sei sie noch so grob, bzw. zumindest den Planungswillen der Akteure. Viele Modelle unterstellen, dass die Organisation einen zumindest halbwegs planbaren und grob steuerbaren Prozess durchläuft. Wenn aber Ziele mehrfach ergänzt und dadurch deutlich geändert werden? Wenn Initiatoren, Verantwortungsträger und Hauptakteure unterschiedliche und wechselnde Personengruppen sind? Um etwas Klarheit zu bekommen, befragen wir einen Zeitzeugen. Uwe Schwabe ist einer der frühen und führenden Oppositionellen der DDR und erhält 1995 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse für seine Verdienste in der DDR und für die Demokratie in ganz Deutschland. Lesen Sie das gesamte Interview unter https: / / elibrary.projektmanagement.digital/ journal/ pm/ 2024/ 5 31 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0087 Eine Typologie für hybride Projektmanagement-Modelle Jan Christoph Albrecht, Anna Lucia Romero Müller Für eilige Leser | Mit der stark gestiegenen Verbreitung des agilen Projektmanagements hat sukzessive auch die Bedeutung des hybriden Projektmanagements, also der Kombination verschiedener Projektmanagement-Vorgehensmodelle zugenommen. Teils sind theoretisch-konzeptionelle Arbeiten in dezidiert hybriden Modellen gemündet. Teils sind hybride Vorgehensweisen in Projekten jedoch auch das Ergebnis von Austarierungsprozessen bei der Einführung agilen Projektmanagements. Zur Ordnung hybrider Vorgehensmodelle existiert bislang recht wenig Fachliteratur. In diesem Beitrag wird eine Typologie hybrider Projektmanagement-Modelle vorgeschlagen. Dabei werden die Modelle eingeordnet in diverse Kombinationen aus klassisch, lean und agil sowie in parallele, sequenzielle, integrierte und emergente Gestaltungsformen. Schlagwörter | Hybrides Projektmanagement, agiles Projektmanagement, Typologie, Vorgehensmodelle, systematische Literaturrecherche Einleitung Das agile Projektmanagement hat seit Mitte der 2010er Jahre eine stark steigende praktische Bedeutung zu verzeichnen (vgl. u. a. [1]). Es hat sich auch außerhalb der IT-Branche, in der es entstanden ist, etabliert. Übergeordnete Bedeutung hat das Modell Scrum, was auch daran liegt, dass einzelne agile Modelle sich ausschließlich im IT-Kontext (z. B. Extreme Programming) oder sich im Wesentlichen nur in bestimmten Phasen eines Projektlebenszyklus anwenden lassen und so gesehen keine ganzheitlichen Projektmanagement-Vorgehensmodelle sind (z. B. Design Thinking). Vorteile des agilen Projektmanagements sind insbesondere die Versetzung des Kunden in den Mittelpunkt aller Projektaktivitäten (customer centricity) , die iterative Vorgehensweise mit dem Fokus auf nutzbaren Zwischenergebnissen und der flexible und offene Umgang mit Veränderungen im Projektverlauf. Agil arbeitende Teams sind überzeugt davon, dass sich über den regelmäßigen und kurzzyklischen Austausch über Zwischenergebnisse (z. B. Sprint Reviews in Scrum) insgesamt ein besseres Endergebnis erreichen lässt, als mit dem klassischen Projektmanagement-Ansatz mit einem großen zeitlichen Abstand zwischen Anforderungsformulierung und Qualifizierung / Kundenabnahme. Neben diesen Vorteilen leiten auch Modelle wie die Stacey-Matrix oder Cynefin mit der Kernaussage „Je komplexer das Projekt / die Aufgabe, desto besser eignen sich agile Vorgehensweisen“ Unternehmen und Teams hin zur Anwendung agilen Projektmanagements. Bei der Implementierung eines agilen Vorgehensmodells sehen sich Organisationen einer Reihe von Herausforderungen gegenüber. Diese betreffen die Governance, die Schulung der Mitarbeiter und auch den Kulturwandel, der mit agiler Zusammenarbeit einhergehen muss. Daher ist kein „digitaler“ Umstieg von klassischem auf agiles Projektmanagement möglich. Unter anderem Diebold et al. konnten zeigen, dass Unternehmen daher die Regeln der Vorgehensmodelle (z. B. Scrum) in der Praxis stark anpassen und im Prozess der Implementierung des agilen Projektmanagements gleichsam Kompromisse eingehen [2]. Hinzukommt, dass eine rein agile Arbeitsweise nicht unter allen Randbedingungen umsetzbar ist. Dies betrifft beispielsweise Bauprojekte, die Zusammenarbeit im Rahmen von Werkverträgen, oder auch die Abstellung von Teammitgliedern und deren räumliche Konzentration (das Idealbild im agilen Projektmanagement ist die hundertprozentige Allokation der Teammitglieder auf das Projekt und die Maximierung der persönlichen Interaktion in einem Projektraum, um so Effekte der „Kommunikation im Vorbeigehen“ zu erzielen). Wissen | Eine Typologie für hybride Projektmanagement-Modelle 32 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0087 Die oben geschilderten Aspekte haben in der Praxis zu individuellen Mischformen zwischen klassischem und agilen Projektmanagement geführt, gewissermaßen zu einer „emergent practice“ des hybriden Projektmanagements. Daneben sind jedoch auch hybride Projektmanagement-Vorgehensmodelle als Ergebnis theoretisch-konzeptioneller Arbeiten entstanden. Diese beziehen sich überwiegend auf den Kontext technologie-basierter Produkt- und Service-Entwicklungen [3]. Hier sei beispielsweise das Agile-Stage-Gate-Modell genannt [4], [5]. Im Idealfall lässt sich in diesen Modellen das „Beste aus beiden Welten“ miteinander verbinden. Zu den o. g. Vorteilen des agilen Projektmanagements können Elemente / Vorteile des klassischen Projektmanagements eingebracht werden, wie das Projektrisikomanagement, ein höherer Fokus auf einer umfänglichen Dokumentation, klare Entscheidungsstrukturen sowie die einfachere Eingliederung eines Projektes in die Governance und Geschäftsprozesse einer Organisation. Neben Auflistungen hybrider Vorgehensmodelle existiert als ordnender Rahmen bzw. Klassifizierung aus Sicht der Autoren bislang nur die Einordnung der Modelle in parallele, sequenzielle und integrierte hybride Projektmanagement- Vorgehensmodelle nach Timinger [6]. Daneben hat auch Hüsselmann eine solche Einordnung vorgenommen und unterscheidet zwischen bimodalem, evolutionärem und Best-ofbreed-Vorgehensmodell [7]. Es lassen sich gewisse Parallelen zwischen bimodalem und parallelem Modell bzw. evolutionärem und sequenziellem Modell ziehen. Beim Best-of-breed- Modell werden situativ agile Praktiken in eine traditionelle Projektmanagement-Umgebung eingebettet. Angesichts der im weiteren Verlauf des Beitrags vorgestellten Ergebnisse erscheint Timingers Einordnung als erweiterbar und wird um eine weitere Dimension ergänzt. Im Sinne der Definition von Kuhrmann et al. [8] werden hier „any combination of agile and traditional (plan-driven or rich) approaches that an organizational unit adopts and customizes to its own context needs“ als hybride Vorgehensmodelle betrachtet. Das Ziel dieses Aufsatzes ist es, eine neue Typologie hybrider Projektmanagement-Modelle vorzustellen, die einerseits an die vorgenannte Definition sowie die o. g. Arbeitsergebnisse von Timinger anknüpft und andererseits eine Einordnung weiterer theoretischer Modelle und praktischer Erscheinungsformen des hybriden Projektmanagements erlaubt. Somit soll sie eine umfassende Orientierung für die Praxis ermöglichen. Die Typologie wurde mithilfe einer systematischen Literaturanalyse erarbeitet. Der Aufsatz ist wie folgt strukturiert. Nach der Einleitung erläutern wir den theoretischen Hintergrund unserer Arbeit. Anschließend gehen wir auf Details zur Methodik der systematischen Literaturrecherche ein, bevor wir unsere Ergebnisse darstellen. Der Aufsatz schließt mit einem Fazit. Hintergrund Ebenfalls als Ergebnis einer systematischen Literaturanalyse listen Reiff und Schlegel [9] die folgenden vier hybriden Modelle („hybrid methodologies“) auf: • Hybrid V-Model • Water-Scrum-Fall • Waterfall-Agile • Agile-Stage-Gate bzw. Scrum-Stage-Gate Während das Hybrid V-Model [10] und Water-Scrum-Fall [11] 2011 entwickelt wurden, fällt die Entwicklung der anderen beiden Modelle in die zweite Hälfte der 2010er Jahre. Die Modelle beziehen sich vor allem auf die Bereiche IT und Produktentwicklung, ferner auch auf den Bereich der digitalen Transformation. Über die vorgenannten Modelle hinaus entstanden und entstehen weitere; als Beispiel sei das Hybrid Construction Project Management Model [12] genannt, welches zusätzlich zu Elementen des agilen und klassischen Projektmanagements auch solche des Lean (Projekt-)Managements nutzt. Hinsichtlich der Motivation der Modellentwicklungen werden mehrfach pragmatische Gründe angeführt bzw. es wird geschildert, dass die Modelle schlicht die Realität der Abläufe in der Praxis widerspiegeln. Water-Scrum-Fall betreffend schreiben Wysocki und Orłowski [13], dass der klassische Projektmanagement-Ansatz zu belastbaren Anforderungen und einer belastbaren Planung beiträgt. In der späten Phase des Projektlebenszyklus hilft er wiederum die Qualität zu sichern und die Anzahl von Software-Releases zu begrenzen. Auch Cooper und Sommer [14] bezeichnen die Integration agiler Elemente in den Stage-Gate-Entwicklungsprozess explizit als Experiment verschiedener großer Technologiefirmen. Ziel war es angesichts kürzer werdender Produktlebenszyklen und einer immer höheren Innovationsgeschwindigkeit in dem zunehmend als starr wahrgenommenen Prozess schneller zu werden. Bringt man die oben genannten Vorgehensmodelle mit der Klassifizierung von Timinger in Verbindung, so wären das Hybrid V-Model und Water-Scrum-Fall Beispiele für sequenzielle hybride Modelle. Agile-Stage-Gate und Scrumban wären laut Timinger Beispiele für integrierte Modelle. Es werden also beispielsweise die Iterationsschleifen aus dem Modell Scrum (Sprints) in die fest definierten Phasen des Entwicklungsprozesses (Stages) integriert (Agile-Stage-Gate). „Bei parallelen hybriden Vorgehensmodellen werden unterschiedliche Teilprojekte mit unterschiedlichen Vorgehensmodellen bearbeitet.“ [6] Typische Beispiele sind hier (interne) Projekte, die in einer Fachabteilung / einem Funktionsbereich, wie z. B. Logistik oder Finanzen, initialisiert werden, jedoch auch einen IT-Anteil haben. Die Nicht-IT-Aufgaben können dann beispielsweise nach dem klassischen Projektmanagement-Ansatz bearbeitet werden, während im IT-Teilprojekt nach einem agilen Ansatz, z. B. Scrum, gearbeitet wird. Die Projektbearbeitung über die Teilprojekte hinweg kann über Synchronisationspunkte sinnvoll verzahnt werden. Methodik Für die strukturierte Literaturrecherche nach [15] wurden verschiedene Arbeiten aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Datenbanken wie ScienceDirect, ProQuest, IEEE und Web of Science untersucht. Um geeignete und relevante Schlüsselwörter für diese Arbeit zu finden, wurde eine „Citation Pearl Growing“-Strategie gewählt, was bedeutet, dass der Ausgangspunkt der Literaturrecherche eine hoch-relevante Publikation war, in diesem Fall der Artikel „Hybrid project management-- a systematic literature review“ von Reiff und Schlegel [9]. Anhand dieses Dokuments wurden erste Suchbegriffe definiert, darunter hybrid, traditionell, agil, Projektmanagement und Projektansatz . Ausgehend von dieser ersten Suche wurden weitere Schlüsselwörter wie lean und Projektmetho- Wissen | Eine Typologie für hybride Projektmanagement-Modelle 33 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0087 de ermittelt. Nach der Festlegung des vollständigen Pools an Schlüsselwörtern wurde die Literaturrecherche durchgeführt. Dazu wurden die Schlüsselwörter mit Booleschen Operatoren (AND, OR) verknüpft, um Suchbegriffe zu erzeugen, die in den Online-Datenbanken verwendet werden konnten. Außerdem wurden über die erweiterten Suchoptionen nur Artikel berücksichtigt, die nach 2007 veröffentlicht wurden, um sicherzustellen, dass die Ergebnisse dem aktuellen Stand der Forschung entsprechen. Die Suche wurde auf englischsprachige Literatur beschränkt, da dies die gängige Sprache in der wissenschaftlichen Forschung ist. Die Suche in den vorgeschlagenen Datenbanken ergab insgesamt 1.758 Artikel. Die Titel und Zusammenfassungen der Artikel wurden im Sinne der Definition hybriden Projektmanagements von Kuhrmann et al. [8] kurz überprüft und diejenigen, die nicht zum Zweck dieser Arbeit zu passen schienen, wurden ausgeschlossen, was zu 197 verbleibenden Artikeln führte. Der Inhalt dieser Artikel wurde eingehender geprüft, und auch hier wurden diejenigen ausgeschlossen, die nicht zum Ziel dieser Arbeit beitrugen. Diese Reduktion führte dazu, dass 44 Artikel für die weitere Betrachtung verblieben. Im letzten Schritt wurde eine Rückwärts- und Vorwärtssuche in den 44 Artikeln durchgeführt. Bei der Rückwärtssuche werden die Zitate der gefundenen Artikel gesichtet, um frühere Artikel zu ermitteln, die möglicherweise berücksichtigt werden müssen. Die Vorwärtssuche ist mit der Rückwärtssuche vergleichbar, mit dem Unterschied, dass nach Artikeln gesucht wird, die sich auf die zuvor ermittelten Artikel beziehen. Nach der Literatursuche und -auswahl wurde eine endgültige Stichprobe von 50 Artikeln ermittelt. Die ausgewählte Stichprobe wurde nach einem konzeptzentrierten Ansatz geprüft, d. h., die beim Lesen identifizierten Schlüsselkonzepte wurden gruppiert und logisch dargestellt [15]. Daraus wurde eine erste Version der Typologie erstellt. In der Folge wurde die Typologie durch weitere empirische Informationen verfeinert. Ergebnisse Ergebnisse der systematischen Literaturrecherche Die systematische Literaturrecherche brachte folgende drei Typen hybrider Projektmanagement-Vorgehensmodelle hervor (vgl. Abbildung 1). Der erste Typus hybrider Vorgehensmodelle sind solche, bei denen Elemente des klassischen Projektmanagements mit agilen kombiniert werden, häufig in Form einer Integration agiler Elemente in bestehende planungsgesteuerte Modelle. Diese Ausprägung hybriden Projektmanagements ist sicherlich die bedeutendste, in die auch die meisten Modelle eingeordnet werden können. In mehreren Modellen dieses Typs werden sequenzielle Ansätze des klassischen Projektmanagements, wie Stage-Gate oder das Wasserfallmodell, mit agilen Ansätzen kombiniert (Agile-Stage-Gate [5] und Water- Scrum-Fall [10]). Dabei werden agile Ansätze innerhalb der Entwicklungsphasen eingeführt, während die vorhergehenden und nachfolgenden Phasen klassisch durchgeführt werden. Es ist jedoch auch möglich, alle Phasen der sequenziellen klassischen Modelle mit agilen Ansätzen durchzuführen, wie es die hybride Methodik Industrial Scrum Framework vorschlägt [16]. Ferner existieren Modelle wie ScrumFall [17], die vorschlagen lediglich die Anfangsphase eines Projektes agil umzusetzen, um anschließend zu einer klassisch gemanagten Entwicklung und Validierung / Testphase überzugehen. Der zweite Typ, der in der Literatur identifiziert wurde, umfasst HPM-Methoden, die aus der Kombination von Elementen des Lean Managements und des agilen Projektmanagements resultieren. Hier ist insbesondere Scrumban zu nennen, welches die Rollen und den Ablauf (Flow) von Scrum u. a. mit dem Fokus auf der Visualisierung der Projektarbeit bzw. des -fortschritts kombiniert. Eine weitere hybride Methode, die leane und agile Ansätze kombiniert, ist Structured Kanban Interation (SKI). Sie sieht fähigkeitsbasierte Iterationen mit typischen Scrum-Rollen und -Ereignissen vor, bei denen das Team ein Board zur Visualisierung seiner Aufgaben und des Arbeitsablaufs verwendet und nach dem „Pull“-Prinzip arbeitet [18]. Neben der Kombination von Scrum und Kanban gibt es eine HPM-Methodik namens L-Scrum, die versucht, den Nachteilen von Scrum entgegenzuwirken, indem sie Lean- Prinzipien in den gesamten Lebenszyklus der Softwareentwicklung einführt [19]. Der Vollständigkeit halber sei hier darauf verwiesen, dass einige Autoren Lean Projektmanagement nicht als eigenständigen Projektmanagement-Ansatz betrachten, sondern als eine Philosophie, die ergänzend zum Beispiel zum agilen Projektmanagement genutzt werden kann. Ferner existiert auch ein Typus hybrider Vorgehensmodelle, in denen agile Modelle miteinander kombiniert werden. Das einzige zu diesem Typ identifizierte Modell kombiniert Scrum mit Extreme Programming (XP), indem sie das Scrum-Framework mit allen Schritten eines Produktentwicklungszyklus abgleicht, einschließlich nicht nur des Produktmanagement-Frameworks, sondern auch der erforderlichen Fähigkeiten [20]. Die HPM-Methodik nimmt das XP-Modell Abbildung 1: Ergebnis der systematischen Literaturrecherche-- Typologie hybrider Projektmanagement-Vorgehensmodelle Wissen | Eine Typologie für hybride Projektmanagement-Modelle 34 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0087 als Grundlage und integriert die Scrum-Aktivitäten in seine Hauptphasen, um die Qualität der Produktentwicklung zu verbessern. Den letzten Typus stellen hybride Modelle dar, die Elemente aller drei vorgenannten Projektmanagement-Ansätze, also klassisch, lean und agil, miteinander kombinieren. Im Abschnitt Hintergrund wurde hierzu bereits das Hybrid Construction Project Management Model erwähnt. Erweiterung der Typologie Die oben vorgestellte Typologie wird im Folgenden durch eine Kombination mit den Forschungsergebnissen Timingers sowie aufgrund weiterer empirischer Befunde erweitert. Timingers Ordnung paralleler, sequenzieller und integrierter Modelle lässt sich gewissermaßen als zweite Dimension in unserer Typologie ergänzen (vgl. Abbildung 2). Mit Blick auf den Typus der klassisch-agilen Modelle lassen sich für alle Kombinationen mit der Ordnung von Timinger Beispiele anführen. Die Kombination klassisch-agil und parallel wurde oben bereits erläutert (vgl. Abschnitt Hintergrund). Water- Scrum-Fall wäre ein Beispiel für klassisch-agil und sequenziell, während Agile-Stage-Gate für klassisch-agil und integriert steht. Im Typus der lean-agilen Modelle ist Scrumban ein Beispiel für ein integriertes Modell. Scrum + XP ist ebenso ein integriertes Modell im Typus agil-agiler Modelle. Abbildung 2: Erweiterte Typologie hybrider Projektmanagement-Vorgehensmodelle Abbildung 3: Emergent practice-- klassische Elemente in ansonsten agiler Projektmanagement-Umgebung Abbildung 2 ist auch zu entnehmen, dass neben parallel, sequenziell und integriert eine weitere Form des hybriden Projektmanagements existiert, die wir als „emergent“ bezeichnen. Dabei beziehen wir uns auf weitere empirische Literatur, die das Potenzial hat, unsere neue Typologie zu bereichern. Diebold et al. [2] konnten zeigen, dass einige Organisationen, die agiles Projektmanagement implementieren, den kulturellen Wandel (vgl. dazu auch Zasa et al. [21]) und / oder den damit verbundenen Schulungsbedarf unterschätzten. Dies führte zu einer „emergent practice“ des hybriden Projektmanagements. In diesem Zusammenhang sind auch die Erkenntnisse von Dittmann und Zaeri Esfahani [22] von großem Interesse, auch wenn sie eher anekdotischen als einen rein wissenschaftlichen Charakter haben. Laut ihnen haben einige Organisationen offensichtlich Schwierigkeiten ihre Governance im Hinblick auf agiles Projektmanagement zu ändern. Sie berichten, dass Projektteams gemäß den Prozessanforderungen der Organisation einen Projektmanager formell benennen sollten, obwohl sie nach einem agilen Vorgehensmodell arbeiteten, welches diese Rolle nicht vorsieht (Scrum). Im Sinne der emergent practice gibt es also Elemente („Relikte“) klassischen Projektmanagements, mit denen Teams sich konfrontiert sehen, die ansonsten nach einem agilen Modell zusammenarbeiten (vgl. Abbildung 3). Bei dem emergenten Typ des hybriden Projektmanagements handelt es sich um ein Kontinuum möglicher Ausprägungen, das von der obigen Beschreibung mit einzelnen verbliebenen Elementen des klassischen Projektmanagements in einem ansonsten agil gemanagten Projekt bis zum Gegenteil dessen reicht. Bei letzterem würden die nach klassischem Projektmanagement-Ansatz arbeitenden Teams einzelne agile Elemente und Praktiken in die Projektarbeit integrieren (vgl. Abbildung 4). Bei den agilen Praktiken kann es sich beispielsweise um Retrospektiven, d. h. Termine, in denen das Projektteam seine Wissen | Eine Typologie für hybride Projektmanagement-Modelle 35 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0087 Zusammenarbeit reflektiert, um tägliche Stand-up-Meetings, oder auch um die Nutzung von User Stories, die einem besseren Verständnis der Nutzer-Anforderungen dienlich sein können, handeln. Diese Art der emergent practice entspricht sicherlich am besten der Realität in Organisationen, die gerade erst am Anfang der Einführung agilen Projektmanagements stehen. Fazit Das agile Projektmanagement hat in den letzten zehn Jahren stark an Bedeutung auch außerhalb von IT-Abteilungen und der IT-Branche gewonnen. Damit haben sich auch Chancen für eine Kombination klassischer und agiler Herangehensweisen an das Projektmanagement ergeben. Gleichermaßen hat sich gezeigt, dass das agile Projektmanagement unter gewissen Randbedingungen an seine Grenzen stößt und dass Unternehmen gerade bei der Einführung von agilem Projektmanagement häufig Kompromisse u. a. im Hinblick auf ihre Governance eingehen. Dies führte zu einer „emergent practice“ des hybriden Projektmanagements, in der Organisationen die Elemente verschiedener Projektmanagement-Vorgehensmodelle individuell miteinander kombinieren. Das Ziel dieses Aufsatzes war es, eine neue Typologie hybrider Projektmanagement-Vorgehensmodelle vorzustellen, die diese empirischen Beobachtungen abbilden kann. Zudem sollte sie an den Arbeiten von Kurhmann et al. [8] und Timinger [6] anknüpfen. Es handelt sich hier um ein sehr dynamisches Feld, in dem immer wieder neue theoretisch-konzeptionelle (hybride) Vorgehensmodelle hinzukommen können. Beispielsweise wurde über unsere systematische Literaturrecherche kein klassisch-leanes Vorgehensmodell identifiziert. Auch gibt es in der Forschung Stimmen, die eine Betrachtung skalierbarer agiler Bezugsrahmen als hybride Vorgehensmodelle befürworten, da hier klassische Projektmanagement-Elemente mit agilen und leanen Elementen kombiniert würden [23]. Für Theorie und Praxis bietet die hier vorgestellte Typologie auch im Kontext dieser unterschiedlichen Standpunkte umfassende Möglichkeiten der Einordnung hybrider Ansätze. Literatur [1] Komus, A. / Kuberg, M.: Status Quo Agile: Studie zu Verbreitung und Nutzen agiler Methoden. 1. Auflage Eigenverlag, 2015 [2] Diebold, P. / Ostberg, J-P., Wagner, S. / Zendler, U.: What Do Practitioners Vary in Using Scrum? In: Lassenius, C., Dingsøyr, T., & Paasivaara, M. (Hrsg.): Agile Processes in Software Engineering and Extreme Programming. Springer International Publishing, 2015, S. 40-51 [3] Copola Azenha, F. / Aparecida Reis, D. / Leme Fleury, A.: The Role and Characteristics of Hybrid Approaches to Project Management in the Development of Technology- Based Products and Services. In: Project Management Journal 52(1)/ 2021, S. 90-110 [4] Cooper, R. G.: What's Next? After Stage-Gate. In: Research-Technology Management 57(1)/ 2021, S. 20-31 [5] Cooper, R. G. / Sommer, A. F.: The Agile-Stage-Gate Hybrid Model. A Promising New Approach and a New Research Opportunity. In: Journal of Product Innovation Management 33(5)/ 2016, S. 513-526 [6] Timinger, H.: Modernes Projektmanagement in der Praxis: Mit System zum richtigen Vorgehensmodell. 1. Auflage Wiley-VCH GmbH, Weinheim 2021 [7] Hüsselmann, C.: Lean Project Management: Hybride Methoden wertschöpfend anwenden. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2021 [8] Kuhrmann, M. / Diebold, P. / Münch, J.: Hybrid software and system development in practice: waterfall, scrum, and beyond. In: Bendraou, R., Raffo, D., LiGuo, H., & Maggi, F. M. (Hrsg.): Hybrid software and system development in practice: waterfall, scrum, and beyond, New York, NY, USA: ACM 2017, S. 30-39 [9] Reiff, J. / Schlegel, D.: Hybrid project management-- a systematic literature review. In: International Journal of Information Systems and Project Management 10(2)/ 2022, S. 45-63 [10] Hayata, T. / Han, J.: A hybrid model for IT project with Scrum. In: A hybrid model for IT project with Scrum. IEEE, 2017, S. 285-290 [11] West, D.: Water-scrum-fall is the reality of agile for most organizations today. [12] Lalmi, A. / Fernandes, G./ Souad, S. B.: A conceptual hybrid project management model for construction projects. In: Procedia Computer Science 181 / 2021, S. 921-930 [13] Wysocki, W. / Orłowski, C.: A multi-agent model for planning hybrid software processes. In: Procedia Computer Science 159 / 2019, S. 1688-1697 [14] Cooper, R. G. / Sommer, A. F.: Agile-Stage-Gate for Manufacturers. In: Research-Technology Management 61(2)/ 2018, S. 17-26 [15] Webster, J. / Watson, R. T.: Analyzing the past to prepare for the future: Writing a literature review. In: MIS Quarterly 26(2)/ 2002, S. xiii-xxiii [16] Sommer, A. F. / Hedegaard, C. / Dukovska-Popovska, I. / Steger-Jensen, K.: Improved Product Development Performance through Agile / Stage-Gate Hybrids: The Next- Generation Stage-Gate Process? In: Research-Technology Management 58(1)/ 2015, S. 34-45 Abbildung 4: Emergent practice-- agile Elemente in ansonsten klassischer Projektmanagement- Umgebung Wissen | Eine Typologie für hybride Projektmanagement-Modelle 36 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0087 [17] Rahim, S. / Chowdhury, A. E. / Nandi, D. / Rahman, M.: ScrumFall: A Hybrid Software Process Model. In: International Journal of Information Technology and Computer Science 10(12)/ 2018, S. 41-48 [18] Saltz, J. / Sutherland, A.: SKI: An Agile Framework for Data Science. In: SKI: An Agile Framework for Data Science. IEEE, 2019, S. 3468-3476 [19] Petricioli, L. / Fertalj, K.: Agile Software Development Methods and Hybridization Possibilities Beyond Scrumban. In: Agile Software Development Methods and Hybridization Possibilities Beyond Scrumban. IEEE, 2022, S. 1093-1098 [20] Mushtaq, Z. / Qureshi, M. R. J.: Novel Hybrid Model: Integrating Scrum and XP. In: International Journal of Information Technology and Computer Sciences 4(6)/ 2012, S. 39-44 [21] Zasa, F. P. / Patrucco, A. / Pellizzoni, E.: Managing the hybrid organization: How can agile and traditional project management coexist? In: Research-Technology Management 64(1)/ 2020, S. 54-63 [22] Dittmann, K. / Zaeri Esfahani, M.: Hybrides Projektdesign: Modernes Projektmanagement abseits von Königreichen. 1. Auflage Haufe, Freiburg 2023 [23] Alqudah, M. / Razali, R.: A Review of Scaling Agile Methods in Large Software Development. In: International Journal on Advanced Science, Engineering and Information Technology 6(6)/ 2016, S. 828 Eingangsabbildung: © iStock.com / DutchScenery Jan Christoph Albrecht Jan Christoph Albrecht ist Wirtschaftsingenieur und wurde 2014 an der Universität Kassel mit einer Arbeit zur Projektmanagementreifegradmessung promoviert. Nach siebenjähriger Laufbahn in der Industrie als Projektleiter von Produktentwicklungsprojekten im Bereich Automotive / Sonderfahrzeugbau wurde er 2022 an die Fachhochschule Dortmund berufen. Neben seiner Lehre u. a. im „European Master in Project Management (EuroMPM)“ forscht er u. a. zu Projekten als Vehikel der digitalen Transformation und zu agilen / hybriden Arbeitsweisen. jan.albrecht@fh-dortmund.de Anna Romero Müller Nach ihrem Bachelor in Wirtschaftsinformatik an der Universität Duisburg-Essen schloss Anna Romero Müller im Jahr 2023 ihr Masterstudium „European Master in Project Management- - IT“ an der Fachhochschule Dortmund ab. Sie ist aktuell als Junior IT-Projektmanagerin bei thyssenkrupp Digital Projects tätig, wo sie zuvor bereits Werkstudentin war. Die praktischen Einblicke während dieser Zeit motivierten sie zur Auseinandersetzung mit hybriden Projektmanagement-Vorgehensmodellen sowie mit digitalen Transformationsprozessen. anna.romeromueller@thyssenkrupp.com 37 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0088 Kompetenzentwicklung im Change Management-- ein Erfahrungsbericht Martin Backhaus Für eilige Leser | Auf der Suche nach Kompetenzentwicklung im Change Management ist Martin Backhaus für sein Team, aber auch für sich selbst bei der GPM zertifizierten Ausbildung „Change Manager“ fündig geworden. Der Erfahrungsbericht beschreibt ausgewählte Erkenntnisse aus der Ausbildung. Schlagwörter | Transformation, Organisationskultur, ICB4, Projektsteuerung, Change Manager Change Management gewinnt im Projektmanagement zunehmend an Bedeutung. Laut einer Studie von Porsche Consulting scheitern 69 Prozent der Transformationen an unzureichendem Veränderungsmanagement [1]. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir eine globale Vernetzung erlebt, die weiter andauert. Folge dieser Vernetzung sind wachsende Komplexität und Veränderungsgeschwindigkeit in Markt und Gesellschaft. Während früher lange Phasen der Stabilität und Routine das Arbeitsleben bestimmten, stehen heute Wandel, Projekte und daraus resultierende Veränderungen im Vordergrund. Dabei liegt die durchschnittliche Erfolgsquote im Umgang mit Veränderungen laut einer Studie von Mutaree in Jahren 2010 bis 2020 bei nur 22 Prozent [2]. Effektive und anhaltende Veränderung in einer Organisation kann nur erreicht werden, wenn der Mensch bereit ist, die Veränderungen mitzutragen und zu gestalten. Die größten Hindernisse für Veränderungen sind nicht technischer Natur, sondern betreffen die Menschen mit ihrer Einstellung, ihren Werten, ihrem Verhalten und ihrer Kultur. Der Mensch muss im Zentrum der technologischen Innovation stehen. Entsprechend ist professionelles Veränderungsmanagement (Change Management) mit dem Menschen im Mittelpunkt ein wesentlicher Erfolgsfaktor von Projekten. Mit Projektmanagement verändert man Dinge, mit Change Management verändert man das Denken und die Einstellung der betroffenen Menschen. So steigt nach PwC die Erfolgswahrscheinlichkeit von Veränderungsprojekten mit einer aktiven Veränderungsbegleitung durchschnittlich um 27 Prozent [3]. Auch die Individual Competence Baseline trägt der wachsenden Bedeutung von Change Management Rechnung und führt seit der Version 4 (ICB4) Change Management mit Practice 13 als eigenständiges Kompetenzelement [4]. Die für dieses Kompetenzelement vier definierten Kompetenzindikatoren stellen dabei wesentliche Erfolgsfaktoren und Eckpfeiler dar, mit denen das im Rahmen der Projektarbeit durchgeführte Veränderungsmanagement effektiver gestaltet wird. Die weltweit zwei größten Dachverbände, das Change Management Institute (CMI) und die Association of Change Management Professionals (ACMP), bieten mit dem „Change Management Body of Knowledge“ (CMBoK) sowie dem „Standard for Change Management“ zwei hervorragende Standards an. Sie klassifizieren Change Management als eigenständige Fachdisziplin parallel zu Projektmanagement. Das CMI fokussiert dabei auf den Ansatz der kompetenzbasierten Wissensvermittlung analog des ICB-Ansatzes. Leider ist die Präsenz beider Dachverbände in Deutschland mit den verbundenen Möglichkeiten der Weiterbildung in deutscher Sprache gering. Als Manager komplexer Organisations- und IT-Projekte begleite ich dieses Thema seit vielen Jahren und setze es um. Mit der Übernahme der Leitung des Gesamtprojektmanagements für das ARD-Strukturprojekt SAP-Prozessharmonisierung war es mir nicht mehr möglich, in der Rolle des Projektmanagers auch die Change-Management-Aufgaben umzusetzen. Das als größte Verwaltungsstrukturreform der Geschichte der ARD bezeichnete Großprojekt [5]-- das mit zeitweise über 400 internen und externen Projektmitarbeitern, knapp 200 betriebswirtschaftlichen Prozessen für 11 Rundfunkanstalten sowie 67 Töchtern und Gemeinschaftseinrichtungen harmonisierte und eine gemeinsame IT-Lösung nach einem Greenfield-Ansatz einführte- - brauchte professionelles Change Management. Nach Prosci besteht eine enge Beziehung zwischen der Wirksamkeit von Change-Initiativen und dem Anteil der Pro- Wissen | Kompetenzentwicklung im Change Management-- ein Erfahrungsbericht 38 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0088 jekte, welche ihre Ziele erreichten oder übertrafen. Gut und sehr gut bewertete Change-Initiativen hatten eine Erfolgsquote von 80 Prozent und mehr. Diejenigen, welche mit schlecht bewertet wurden, erreichten weniger als 50 Prozent [6]. Da intern noch keine Change-Management-Kompetenz existierte, richtete ich ein Einzelprojekt Veränderungsmanagement ein und integrierte eine professionelle externe Change-Beratung. Diese erarbeitete eine Change-Strategie sowie einen ersten Change-Umsetzungsplan, befähigte das Projektteam zur Ausführung des Plans und mich zu Steuerung der Strategie. Während der Ausführung wurde mir deutlich, dass meinen internen Projektmitarbeitern aufgrund des Skill-Zukaufs die Kompetenz zur Analyse und Synthese gemäß der von der ICB4 verwendeten Bloomschen Taxonomiestufen 4 bis 6 fehlte. Eine selbständige Anpassung und Weiterentwicklung des Change-Management-Plans an die sich ständig ändernden Rahmenbedingungen war somit nicht möglich. Ich entschied deshalb, mehrere Projekt-Schlüsselpersonen auf dem Gebiet des Change-Managements nach einem Standard analog der ICB4 im Projektmanagement zu entwickeln. In den folgenden Abschnitten möchte ich beispielhaft mehrere wesentliche Erkenntnisse aus dieser Teamentwicklung beschreiben: Verständnis von Change Management Als Team sind wir jetzt in der Lage, ein gemeinsames Verständnis von Change Management wie folgt zu vermitteln: Eine Veränderung (Change) umzusetzen, bedeutet für die Organisation immer Neuland zu betreten. Die Welt nach dem Change ist unbekannt, neuartig und wir wissen nicht, was auf den Weg dorthin alles passieren kann. Auf diesen Weg braucht es Unterstützung und Koordination. Change Management bezeichnet man als die Praxis, einen strukturierten Ansatz für den Übergang von einem aktuellen Zustand zu einem zukünftigen Zustand anzuwenden. Darunter lassen sich alle Aufgaben, Maßnahmen und Tätigkeiten zusammenfassen, die eine umfassende, bereichsübergreifende und inhaltlich weitreichende Veränderung- - zur Umsetzung neuer Strategien, Strukturen, Systeme, Prozesse oder Verhaltensweisen- - in einer Organisation bewirken sollen. Die Aufgabe des Change Managements ist das Führen der Mitarbeiter durch die Veränderungen (durch unbekanntes Terrain zu einem fernen Ziel) mit der Maßgabe, Spannungen, Konflikte, Ängste und Widerstände angemessen zu berücksichtigen, aufzulösen und im Idealfall zu verhindern [7]. Zur Erläuterung des Unterschieds zwischen Projektmanagement und Change Management hat uns die Ausbildung ein passendes Video [8] des CMI zur Hand gegeben, mit dem wir im Projekt mehr Klarheit zur Aufgabe des Change Managements vermitteln können. Nutzen von Change Management Nach längerer vergeblicher Suche, u. a. im GPM-Standardwerk PM4 [9], erlangte ich eine einfache Antwort auf wiederkehrende Frage des TOP-Managements zu einem nachvollziehbaren Nutzen von Change Management. Ich kann sie jetzt formulieren und auf ein Whiteboard malen. Anhand der folgenden Abbildung aus dem „Standard for Change Management“ der ACMP [10] kann ich dem TOP-Management einfach darstellen, dass wir mit Change Management den zukünftigen Zustand eher erreichen können. Dies ermöglicht, einerseits eher mit der Nutzenrealisierung starten zu können sowie andererseits die Kosten einer längeren Projektlaufzeit zu vermeiden. In meinem Großprojekt liegt die Nutzenrealisierung im zukünftigen Zustand bei 10 Mio. Euro Einsparungen jährlich und es entstehen bei einer ein Jahr längeren Projektlaufzeit Projektmehrkosten in Höhe von 1,5 Mio. Euro. Auf die essenziell wichtigen sozialen Aspekte gehe ich an dieser Stelle nicht ein. In einem anderen von mir gemanagten Projekt dauerte der Übergangsprozess vom Papierverfahren (current state) zum geplanten elektronischen Verfahren (future state) der elektronischen Dienstreisebeantragung und -abrechnung neun Monate, gemessen an dem wesentlichen Projektziel, die Erstattungszeit für Reisekosten von 7 auf 2 Wochen zu verkürzen. Interessant war, dass die weiterführende Annahme des Changes und dessen Verstetigung dazu führte, dass nach 24 Monaten die Erstattungszeit für Reisekosten bei drei Arbeitstagen lag. Die Messung einer weiteren Zielerreichung bestätigte die Dauer des Übergangsprozesses. Lag die Ablehnungsquote für Dienstreiseabrechnungen durch die zentrale Reisekostenstelle beim Papierverfahren bei 67 Prozent, so konnte sie nach drei Monaten elektronischem Verfahren auf 21 Prozent und nach 9 Monaten auf 12 Prozent gesenkt werden. Kategorien von Change-Management- Steuerungsmaßnahmen Die fünf Kategorien von Projektsteuerungsmaßnahmen in der Projektmanagementphase der Projektsteuerung, also Veränderung der Ressourcen, Reduzierung des Aufwands, Erhöhung der Produktivität, Veränderung des Leistungsumfangs, Verbesserung der Prozessqualität, sind für meine Steuerungsentscheidungen essenziell. Lange suchte ich eine ähnlich anwendbare Kategorisierung im Change Management. Die Antwort erhielt ich mit der Weiterbildung. Um die störenden Auswirkungen von Changes zu reduzieren und die Wahr- Abbildung 1: The Effect of Change Management on the Transitional Process [10] Wissen | Kompetenzentwicklung im Change Management-- ein Erfahrungsbericht 39 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0088 scheinlichkeit zu erhöhen den zukünftigen Zustand zu erreichen, kann Change Management [10]: • die Bereitschaft, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Organisation erhöhen, • das Engagement, die Moral und die Bereitschaft der Stakeholder für den neuen Weg steigern, • die Tiefe des Leistungs- und Produktivitätsrückgangs während des Wandels mindern, • den Leistungsanstieg während und nach der Änderung beschleunigen, • die Einsicht und Kompetenz der Stakeholder für die neue Art und Weise steigern, • die Lernkurve mindern und die Einführung des neuen Weges beschleunigen, • die Wahrscheinlichkeit der Realisierung von Vorteilen erhöhen, • die langfristige Nachhaltigkeit, sobald der zukünftige Zustand erreicht ist, optimieren. Mit diesen acht Maßnahmenkategorien habe ich die konkreten Ansatzpunkte, um auf die Frage der Stakeholder „Wie kann Change Management hier helfen? “ zu reagieren. Führungskräfte als essenzieller Adressat für Change Management Ein gutes Beispiel, an dem ich erkannt habe, dass meine Mitarbeiterinnen nach der Weiterbildung die Bloomschen Kompetenzstufen 4 und 5 (Analyse und Synthese) erreicht haben, ist ein durch das Team erstelltes Führungskräfte-Toolkit. Die Change-Strategie des von mir gemanagten Großprojekts mit dem Kurznamen „(D)einSAP“ adressiert sechs Handlungsfelder, wie in Abbildung 2 dargestellt: Das Handlungsfeld „Führung für den Wandel“ konzentriert sich auf die Rolle der Führungskräfte in allen Führungsebenen bei deren Unterstützung und Steuerung der Einführung der harmonisierten Prozesse und gemeinsamen IT-Lösung in ihrer Organisation. Als Vorbilder sollen die Führungskräfte die Vision und Rahmenbedingungen der Harmonisierung verinnerlichen, kommunizieren sowie die Projektbeteiligten und Mitarbeitenden motivieren, unterstützen und leiten. Mein Change-Team hat die Veränderungskurve nach Kübler-Ross in die vier Bereiche Ablehnung, Widerstand, Entdeckung und Commitment, ähnlich dem House of Change nach Abbildung 2: (D)einSAP Change Architektur-- Übersicht 6 Handlungsfelder Jannsen, abstrahiert. Diese vereinfachte Darstellung hat es erfolgreich als Basis im Rahmen des Rollouts der zweiten Welle zum 01. 01. 2024 mit fünf Rundfunkanstalten [11] verwendet, um den Führungskräften Werkzeuge zum Verhalten gegenüber Mitarbeitern in Abhängigkeit von der aktuellen Veränderungsphase zu geben. Veränderung der Organisationskultur Das für mich in dem von mir gemanagten Großprojekt am schwersten greifbare Handlungsfeld der Change Architektur war die „Transformation der Kultur“. Als Unternehmens-/ Organisationskultur verstehe ich jetzt das etablierte System akzeptierter Verhaltensweisen, Werte, Überzeugungen und Annahmen, welches innerhalb der Organisation weit verbreitet ist und dessen Ergebnis niemandem auffällt [12]. Die Weiterbildung hat mir dieses Handlungsfeld greifbar gemacht. Die Kenntnis der drei Schalen der Organisationskultur nach Trompenaars und Hampden-Turner [6] geben mir eine Strukturie- Abbildung 3: (D)einSAP-Führungskräfte-Toolkit-- Verhalten Übersicht Wissen | Kompetenzentwicklung im Change Management-- ein Erfahrungsbericht 40 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0088 rung und damit die Möglichkeit, Ansatzpunkte zu finden. Damit kann ich zwischen sichtbaren Artefakten und Produkten (erste Schale / Oberfläche), den Normen und Werten (zweite Schale) sowie den Grundannahmen (dritte Schale / Kern) differenzieren. Die Kenntnis der von Carolyn Taylor beschriebenen drei Mechanismen Verhalten, Symbole und Muster sowie Systeme, wie die Kultur geformt und weitergegeben werden kann, ermöglicht es mir, konkrete Maßnahmen zur Beeinflussung der Organisationskultur zu definieren, zu erläutern und zu initiieren. Dabei liegt der größte Hebel bei den Führungskräften, da zwischen dem Verhalten der Unternehmensführung und der Kultur eine enge Verknüpfung besteht. Die Erfahrung hat mir gezeigt, dass dort, wo die Führung dahinterstand und es vorlebte, die Mitarbeitenden Berge versetzen konnten. Aber auch die Erzeugung von mehr Offenheit und Lernbereitschaft als Teil der Unternehmenskultur gelang in der Organisation, wo auch die Organisationsführung bereit war Fehler zuzugeben, als Teil des Entwicklungsprozesses zu akzeptieren und daraus zu lernen. Fazit Meines Erachtens wird die Bedeutung von Change Management in Projekten weiter steigen. Die diesbezügliche Kompetenzentwicklung von Projektmanagern ist deshalb eine gute Investition in die Zukunft, unabhängig davon, ob die Projektmanager später selbst Change Management durchführen, mit Change Managern zusammenarbeiten oder Change-Teams führen. Mit der Ausbildung der GPM zum zertifizierten Change Manager habe ich letztendlich den für mein Vorhaben am besten geeigneten Qualifizierungsweg gefunden. Die GPM Ausbildung setzt auf den weltweit anerkannten Standards des CMI und der ACMP auf und geht keinen separaten deutschen Weg. Zudem vermittelt sie das Wissen sehr gut in deutscher Sprache und stellt gleichzeitig einen Projektmanagement- Bezug her. Der mehrstufige Ansatz mit hohem Praxisanteil, also die Grundlagen-Ausbildung, danach die Change-Agent- Ausbildung und dann erst die Change-Manager-Ausbildung, erschien mir anfangs als unschön, hat sich aber tatsächlich als absolut sinnvoll herausgestellt, da die Inhalte aufeinander aufbauen. Im Ergebnis hat die Ausbildung meinen Mitarbeiterinnen und mir nicht nur die gesuchte Kompetenz vermittelt, sondern auch eine einheitliche Sprache und viele konkrete Umsetzungsideen mitgegeben. Ich persönlich freue mich, dass die GPM eine gute Ausbildung im Change Management etabliert hat. Literatur [1] Zacherl, M., Freibichler, W., Beger, N., Christiansen, N.: Change Management Compass 2023, Porsche Consulting, Dezember 2022, S. 2, abgerufen am 10. 01. 2024 unter: porsche-consulting.com. [2] Mutaree: Change-Fitness-Studie 2020 / 2021, abgerufen am 10. 01. 2024 unter: mutaree.com / services / changefitness-studie-2020-2021. [3] Lohmann, T.; Bosch, U.: Return-on-Change- - Finanzwirtschaftliche Perspektive. PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Oktober 2012, S. 13-19, abgerufen am 14. 01. 2024 unter: store.pwc. de. [4] GPM: Individual Competence Baseline für Projektmanagement. GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement, Nürnberg, Version 4.0, Deutsche Fassung, 1. Auflage, 2017, S. 160-163. [5] ARD: Auftrag und Strukturoptimierung des öffentlichrechtlichen Rundfunks im digitalen Zeitalter-- Bericht der ARD an die Bundesländer. September 2017, S. 22, abgerufen am 10. 01. 2024 unter: ard.de. [6] Schmith, R., King, D., Sidhu, R., Skelsey, D.: The Effective Change Manager's Handbook-- Essential guidance to the Abbildung 4: (D)einSAP-Führungskräfte-Toolkit-- Verhalten bei Ablehnung Wissen | Kompetenzentwicklung im Change Management-- ein Erfahrungsbericht 41 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0088 Dr. Martin Backhaus Dr. Martin Backhaus, studierter Wirtschaftsinformatiker und Kaufmann, arbeitet seit über 20 Jahren als Ingenieur und Projektmanager für den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). Derzeit leitet er als zertifizierter Project Director (IPMA Level A) das Gesamtprojektmanagement des ARD-Strukturprojekts SAP-Prozessharmonisierung für elf öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. Zudem gibt er sein Wissen und seine Erfahrung mit einem Lehrauftrag zu kompetenzbasiertem Projektmanagement an die Studenten der Fakultät Informatik und Medien der HTWK Leipzig weiter. change management body of knowledge. Kogan Page, London, 2014, S. 5, 60-63. [7] Zwick, M.: Change-Management Handbuch. Blue Change Solutions. 2023, S. 8. [8] Change Management Institute: Change Management vs Project Management, 2021, abgerufen am 17. 01. 2024 unter: youtu.be / Zi5c9reYDFA. [9] GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement (Hrsg.): Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM4). GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement, Nürnberg, Version 4.0, 1. Auflage, 2019, S. 1621-1660. [10] ACMP: Standard for Change Management. Association of Change Management Professionals, 2019, S. 8, abgerufen am 14. 01. 2024 unter: acmpglobal.org. [11] ARD: ARD und Deutschlandradio verschlanken ihre Verwaltung. ARD-Pressestelle, 2024, abgerufen am 08. 02. 2024 unter: ard.de / die-ard / presse-und-kontakt / ard-pressemeldungen [12] Change Management Institute: The Effective Change Manager- - The Change Management Body of Knowledge, 2. Auflage, 2022, S. 30-31. Eingangsabbildung: © iStock.com / Christian Horz Jetzt online lesen in unserer neuen eLibrary www.pmaktuell.de Der Online-Zugriff ist in den Leistungen für GPM Mitglieder inbegriffen. Noch kein GPM Mitglied? Schreiben Sie uns unter mitglieder@gpm-ipma.de. Herausgeber: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. Unter Mitwirkung von: spm - Swiss Project Management Association und Projekt Management Austria P R OJ E K T M A N A G E M E N T A K T U E L L Anzeige 42 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0089 Nutzenerwartung und Anwendungsfälle von KI im Projektmanagement Helge F. Wild, Agnetha Flore Für eilige Leser | 176 Studienteilnehmende lassen uns wissen: KI-Nutzung ist vor allem im Bereich Projektkommunikation angekommen. Nutzende aller Erfahrungsstufen verwenden sie gleichermaßen. Am stärksten wird Kommunikation unterstützt. Gesteigerte Nutzung von KI im Risikomanagement scheint den größten Nutzenzuwachs zu erzeugen. Möglicherweise entstehen Anwendungsrisiken durch Diskrepanzen zwischen Digitalkompetenzen und KI-Anwendung. Junge Leute nutzen KI für andere, diversere Anwendungsfälle als ältere. Unsere Studie liefert weitere Einblicke in die erfolgreichen und erfolglosen Anwendungsversuche und beleuchtet Herausforderungen für den weiteren Vormarsch der Künstlichen Intelligenz im Projektmanagement. Wichtig ist, mehr über die Art und Weise zu lernen, wie Anwender generative KI nutzen. Schlagwörter | Künstliche Intelligenz, Projektmanagement, KI, AI, Anwendungsfälle von KI Einleitung Möglicherweise auf der Höhe des Hypes angekommen, lohnt es sich, die tatsächlichen Potentiale der Anwendung von Künstlicher Intelligenz im Projektmanagement genauer anzuschauen. Dies kann helfen zu erkennen, ob die in der Praxis häufig genannten Anwendungsfälle tatsächlich in der Breite bereits erfolgreich angewandt worden sind und welche Projektmanagement-Domänen tatsächlich am meisten profitieren. Ziel der Studie Das Hauptziel dieser Studie war es zu untersuchen, wie Künstliche Intelligenz (KI) im Projektmanagement angewendet wird. Die Studie verfolgte auch Teilziele: Zum einen sollen erfolgreiche und gescheiterte Anwendungsfälle identifiziert werden. Darüber hinaus sollte ein Überblick über genutzte Tools und Anwendungen, die zu KI-Anwendungen gezählt werden können, geschaffen werden. Letztlich sollten Erkenntnisse über die Nutzenerwartung je Projektmanagement-Handlungsgebiet erlangt und der tatsächlichen Nutzung gegenübergestellt werden. Damit soll zum einen ein Beitrag zum allgemeinen Verständnis der Bedeutung von Künstlicher Intelligenz im Projektmanagement geleistet werden. Zum anderen sollen in der Wirtschaftsinformatik bekannte Modelle der Technologieakzeptanz auf ihre Anwendbarkeit in dem spezifischen Fall von Künstlicher Intelligenz im Projektmanagement überprüft und ggf. angepasst und erweitert werden. Technologieakzeptanzmodelle sind vielfach erforscht und erfolgreich darin, die Anwendung von neuen Technologien durch einzelne Personen vorherzusagen [1]. Obwohl einzelne Studien dies nahelegten, sind Konzepte wie Digital- und Datenkompetenz bislang nicht in Modelle der Technologieakzeptanz eingeflossen. Hier soll untersucht werden, ob diese Auslassung im Bereich KI noch sinnvoll ist. Erhebung und Methodik In der Zeit von Februar bis Juni 2024 schalteten wir einen So- SciSurvey-Onlinefragebogen frei. Dieser wurde auf mehreren Veranstaltungen mit Projektmanagement-Bezug, wie Vorträge und Workshops, sowie durch die GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V., die SPM Swiss Project Management Association, der PMA Projekt Management Austria sowie den Branchenverband BITKOM (speziell die Arbeitsgruppe Projektmanagement) und Veranstaltungen an anderen Universitäten (z. B. Universität Hamburg) beworben. Wissen | Nutzenerwartung und Anwendungsfälle von KI im Projektmanagement 43 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0089 Die Fragen wurden in mehreren Workshops von Arbeitsgruppen zum Thema erarbeitet. Wo aus Perspektive der Technologieakzeptanzmodelle oder eigener digitaler Fähigkeiten Fragen gestellt wurden, wurden zuvor publizierte Fragen genutzt und angepasst. Nutzenerwartung wurde stets ausgestaltet als Trias aus Effizienzerwartung, Effektivitätserwartung und Qualitätserwartung [2, 3]. Die Auswertungen erfolgten mit einschlägigen Tools, Programmiersprachen und Bibliotheken, aber gerade im Falle qualitativer Angaben auch KI-gestützt (Modelle von OpenAI, Anthropic, Anwendung von maxQDA). Quantitativ wurde sich beschränkt auf die Errechnung von Korrelationen, die Durchführung einfacher linearer Regressionen, Gruppenvergleiche und likelihood-ratios. Ergebnisse In den Monaten von Februar bis Juni 2024 nahmen insgesamt 176 Teilnehmende an der Online-Studie teil. 120 Teilnehmende schlossen die Umfrage vollständig ab. Die Teilnehmenden wiesen eine breite Spanne an Berufserfahrung auf. Die durchschnittliche Berufserfahrung lag bei 20 Jahren (Median) und reichte bis zu 40 Jahren. Getrennt durch den Median schien es zwei Teilgruppen zu geben, deren Berufserfahrung normal verteilt war, mit Mittelwerten bei 10 bzw. 34 Jahren. Die Stichprobe zeigt auch eine vielfältige Altersverteilung, mit einem Höhepunkt zwischen den Altersgruppen von 36 bis 50 Jahren und einer Abnahme der Häufigkeit bei jüngeren und älteren Altersgruppen. Ebenfalls grob normal verteilt war die spezifische Erfahrung im Projektmanagement. Hier lag die durchschnittliche Erfahrung bei 10 Jahren, mit einem Maximum von 36 Jahren. Die Teilnehmenden der Studie verfügten über unterschiedliche Projektmanagement-Zertifizierungen. Insgesamt gaben 41 Personen an, eine IPMA D-Zertifizierung oder eine vergleichbare Qualifikation zu besitzen. 16 Teilnehmende hatten eine IPMA C-Zertifizierung, 19 eine IPMA B-Zertifizierung und 10 eine IPMA A-Zertifizierung. Ein beträchtlicher Teil der Teilnehmenden (68 Personen) hatte keine Zertifizierung oder beantwortete diese Frage nicht. Die Mehrheit der Teilnehmenden stammt aus dem Bereich Informationstechnologie und Softwareentwicklung (38). Weitere bedeutende Branchen sind das Ingenieurwesen und die Konstruktion (jeweils 26), sowie Bildung und Forschung und Unternehmensberatung, mit jeweils 17 Teilnehmenden. Eine relevante Anzahl (14) gab keine Nennung oder Auswahl einer Branche an. Der Regierungs- und öffentliche Sektor war mit 11 Teilnehmenden vertreten, gefolgt vom Gesundheitswesen und der Pharmazie (7 Teilnehmende) sowie Energie und Umwelt (7 Teilnehmende). Weitere Branchen wie Logistik und Lieferkette (6 Teilnehmende), Produktion und Fertigung (4 Teilnehmende), Finanzdienstleistungen und Bankwesen (2 Teilnehmende), Einzelhandel und E-Commerce (2 Teilnehmende), Telekommunikation (1 Teilnehmer*in), Medien und Unterhaltung (1 Teilnehmer*in) sowie Marketing und Werbung (1 Teilnehmer*in) waren ebenfalls vertreten, jedoch in geringerer Zahl. Die Mehrheit der Teilnehmenden (110 Personen) sind angestellte Projektmanager oder Projektmitarbeitende. 24 Teilnehmende arbeiten freiberuflich auf Kundenprojekten. Ein größerer Anteil (41 Personen) gab an, dass keine der vorgegebenen Kategorien auf sie zutrifft oder beantwortete diese Frage nicht. Die Teilnehmenden der Studie kamen aus Unternehmen unterschiedlicher Größe. Die Mehrheit der Teilnehmenden (60 Personen) arbeitet in sehr großen Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitenden. 41 Teilnehmende gaben an, in kleinen Unternehmen mit 1-50 Mitarbeitenden tätig zu sein. 28 Teilnehmende arbeiten in mittleren Unternehmen mit 51-250 Mitarbeitenden und 22 Teilnehmende in großen Unternehmen mit 251-1.000 Mitarbeitenden. Ein kleiner Anteil von 3 Teilnehmenden gab keine Nennung oder Auswahl bezüglich der Unternehmensgröße an. Abbildung 1: Tatsächliche Nutzungsgründe. Je Nutzungsbereich (1 - 5, 5-= vollkommene Zustimmung zur Aussage „Ich nutze generative KI für eine gesteigerte {Grund} in {Funktion}“), Durchschnittswerte. Wissen | Nutzenerwartung und Anwendungsfälle von KI im Projektmanagement 44 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0089 Diese Vielfalt spiegelt sich auch im Alter der Unternehmen wider, aus denen die Teilnehmenden stammen. Die Mehrheit der Unternehmen, in denen die Teilnehmenden arbeiten, besteht bereits seit mehr als 25 Jahren (94 Unternehmen). 38 Unternehmen haben ein Alter von 10-25 Jahren, während 15 Unternehmen seit 2-10 Jahren bestehen. 6 Unternehmen sind jünger als 2 Jahre. Nutzung und Nutzenerwartung Die Studienteilnehmenden konnten angeben, in welchem Projektmanagement-Tätigkeitsbereich sie KI anwenden, und aus welcher Absicht heraus: Qualitäts-, Effizienz-, oder Effektivitätssteigerung. Aufgeteilt auf wesentliche Handlungsfelder im Projektmanagement und die Nutzungsgründe „Effizienz“, „Effektivität“ und „Qualität“ sehen wir zunächst ein sehr homogenes Bild (siehe Abb. 1). Grundsätzlich werden generative KI-Werkzeuge in etwa gleich verteilt und aus in etwa gleich lautenden Gründen genutzt. Abbildung 2 zeigt ein leicht abgewandeltes Bild. Hier wird je Nutzungsbereich der Maximalwert der Nutzungsgründe verwendet. So zeigt sich ein erkennbareres Muster davon, wo KI überhaupt zum Einsatz kommt. Hier stellt sich heraus, dass Projektkommunikation der herausragendste Anwendungsfall von generativer KI im Projektmanagement ist. In der Gesamtschau wird die Technologie am wenigsten für die Projektsteuerung und Ressourcenallokation verwendet. Dennoch ist festzustellen, dass in allen Bereichen Teilnehmer angaben, KI zu nutzen. Eine Ableitung der Nutzungsintensität kann aus den Daten nicht gemacht werden, da eine verlässliche Messung beispielsweise der Nutzungsart oder -dauer nicht Bestandteil der Studie war. Die große thematische Vielfalt der Anwendungsfälle (siehe Abschnitte unten) lässt jedoch vermuten, dass genau hier relevante Unterschiede zu finden sind. Diese Unterschiede könnten auch erklären, warum die Lücke zwischen aktuell wahrgenommenem Nutzen und den wahrgenommenen Nutzenpotentialen größer oder kleiner ist. Derzeit zeigt sich, dass die Nutzenpotentiale für Effizienz, Effektivität und Qualität im Projektmanagement noch deutlich vor dem realisierten Nutzen rangieren (Zustimmung, 1-5, zur Aussage „KI kann ein hilfreicher Faktor für {Effizienz-, Effektivitäts-, Qualitäts-}steigerung im Projektmanagement sein.“, Mittelwerte jeweils 4,2; 4,0; 3.8, gegenüber Mittelwert 2.5 zur Aussage „… bereits jetzt Faktor-(…) des Erfolgs“.). Korrelationen und Wahrscheinlichkeiten Kontrollen Die Daten zeigen mehrere bemerkenswerte Korrelationen (grafisch in Abb. 3). Zunächst können wir festhalten, dass potenzielle Kontrollparameter wie Alter, Projektmanagement und Berufserfahrung nicht mit anderen gemessenen Variablen signifikant korrelieren. Wahrnehmung der Nützlichkeit und potenziellen Nützlichkeit Uns interessieren am meisten die Einflüsse auf die wahrgenommene Nützlichkeit von KI im Projektmanagement. Anwendungsfallbezogen gilt: Sie scheint am stärksten beeinflusst zu sein durch die Nutzung von KI für Risiko-Management-Anwendungsfälle (Maximal-Berechnung, s. o.). Projektkommunikation und Scope Management belegen dabei den zweiten und dritten Platz. Im Allgemeinen zeigen jedoch alle Anwendungsfälle im Projektmanagement eine ausgeprägt positive Verbindung mit der wahrgenommenen Nützlichkeit von KI (rmin = 0.43, ravg = 0.5, rmax = 0.57). Nutzungsgrundbezogen gilt: Der aktuell wahrgenommene Nutzen von KI in PM-Anwendungsfällen zeigt schwache bis mäßige Korrelationen mit potenziell erwartetem Effizienz-, Effektivitäts- und Qualitätsnutzen messen (r{ei,ea,qu}=0.3, Abbildung 2: Tatsächliche Nutzungsgründe. Wie Abb. 1, jedoch Maximalwert aus Nutzungsgrund {Effizienz, Effektivität, Qualität} je Befragtem Wissen | Nutzenerwartung und Anwendungsfälle von KI im Projektmanagement 45 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0089 0.3, 0.37). Dies spiegelt die Unterschiede zwischen Abbildung 1 und 2 oben; Anwender nutzen KI aus ganz unterschiedlichen Erwägungen heraus. Bemerkenswert ist, dass die praktische KI-Nutzung keine sehr ausgeprägte, teilweise sogar gar keine signifikante Rolle für die Einschätzung von Nutzen potentialen spielt. Egal, ob effizienz-, effektivitäts-, oder qualitätsbezogen. Nutzungsabsicht Wie erwartbar, erklärt die aktuelle Nutzung aus Gründen der Effizienz, Effektivität und Qualität jeweils gut die Intention zukünftiger KI-Nutzung. Interessanterweise ist diese Verbindung aber deutlicher ausgeprägt als die zwischen Nutzungsintention und Einschätzung potenziellen Nutzens. Dies ließe sich dadurch erklären, dass mit zunehmender Nutzungsintensität sich kein Desillusionseffekt einstellt und hohe Erwartungen an die Nützlichkeit sich tatsächlich erfüllen. Unter den PM-Anwendungsfällen zeigt die geplante KI-Nutzung die stärkste Korrelation mit der aktuellen KI-Nutzung für Projektkommunikation (r- = 0.43). Projektkommunikation scheint ein verlässlicher Einstiegspfad in die PM-bezogene KI- Nutzung zu sein. Bemerkenswert ist die ausbleibende Korrelation zwischen derzeit wahrgenommenem KI-generierten Nutzen für den Projekterfolg und der Eigenwahrnehmung digitaler Problemlösungskompetenzen. Projektmanager nutzen KI nicht zur Lösung von Problemen, sondern als Werkzeug. Dies werden wir weiter unten noch genauer unter die Lupe nehmen. Tiefergehende Datenanalysen zeigen wichtige unerwartete Zusammenhänge zwischen der Informations- und Datenkompetenz von Individuen und ihrer KI-Nutzung. Personen, die im Vergleich eine niedrigere Selbsteinschätzung im Bereich der Informations- und Datenkompetenz (Suchen und Finden von Informationen) aufweisen, nutzen generative KI 2,3 bis 3,5-mal häufiger in den Bereichen Ressourcenallokation und -kontrolle sowie Umfangs- und Risikomanagement. Dies könnte zum einen bedeuten, dass KI an dieser Stelle bei der Informationsverarbeitung von besonderer Hilfe ist. Zum anderen könnte es aber auch auf ein übermäßiges Vertrauen in KI-generierte Lösungsvorschläge hindeuten. Ähnliche Rückschlüsse lässt folgende Analyse zu: Personen mit selbstattributiert geringen Fähigkeiten in der Speicherung und Organisation digitaler Inhalte fühlen sich 3,4-mal wahrscheinlicher in der Lage, generative KI im Projektmanagement gezielt zur Problemlösung zu nutzen, statt als Werkzeug. Dies legt nahe, dass diese Anwender KI gebrauchen, um ihre Defizite in der Anwendung von Computersystemen zu überkommen. Hier sollten Unternehmen sehr genau hinsehen, wem sie KI als Werkzeug anvertrauen und welche Werkzeuge sie genau zur Verfügung stellen. Leichtfertiger Umgang mit sehr generischen Systemen kann zur Übernahme ungeprüfter Lösungsvorschläge führen, mit möglichen negativen Folgen. Die Nutzer selbst sind aber auch vorsichtig: Skepsis gegenüber KI-Einsatz, mangels Wertschöpfungstiefe oder Vertrauenswürdigkeit, ist bei jenen mehr als doppelt so häufig hoch ausgeprägt, die sich geringe KI-bezogene Informations-, Daten- und Problemlösungskompetenzen zuschreiben. Diese Erkenntnisse liefern wertvolle Hinweise darauf, welche Rolle Digitalkompetenzen bei der KI-Nutzung spielen. Sie betonen die Notwendigkeit für Unternehmen, in Digitalkompetenzen zu investieren, bevor KI-Werkzeuge voreilig und breit verteilt werden. Alternativ müssen Lösungen geschaffen werden, bei denen es entweder weniger auf KI-Mensch-Kollaboration ankommt, sondern bei denen KI-Probleme an sich behoben werden, oder die klare Nutzungsgrenzen und mehr spezifische Kontextinformationen aufweisen. In der Betrachtungsweise der Wahrscheinlichkeiten differenzieren sich nun auch junge (<30) von erfahreneren (>40) Projektmanagern. Sie setzen 1,5bis 2,5-mal wahrscheinlicher KI für die Anwendungsfälle der Ressourcenallokation und Organisation / Steuerung / Koordination ein (Effizienz / Effektivität). Darüber hinaus schätzen sie sich ca. doppelt so häufig als problemlösungskompetent für die Lösung nicht- Abbildung 3: Korrelationsmatrix der gemessenen Konstrukte. Berechnung nach Maximal-Prinzip für Konstrukte der Nutzungsgründe Wissen | Nutzenerwartung und Anwendungsfälle von KI im Projektmanagement 46 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0089 technischer Probleme in KI-Umgebungen ein. Hier fühlen sie sich also grundsätzlich im Umgang mit der neuen Technologie selbstsicherer. Erfolgreiche und erfolglose Anwendungsfälle Von den 176 Teilnehmenden haben 52 angegeben (ca. 30 %), bereits erfolgreich mit KI gearbeitet zu haben. Auffällig dabei ist, dass nur 11 Personen nur einen Anwendungsfall genannt haben. Bei allen anderen waren es i. d. R. drei Anwendungsfälle aufwärts. Von den 176 Teilnehmenden haben hingegen nur 30 Personen angegeben, auch erfolglos mit KI gearbeitet zu haben. Das heißt es gibt mehr Personen, bei denen Versuche erfolgreich waren, als welche, wo die Versuche der KI-Nutzung gescheitert sind. Aber jeder, der einen erfolglosen KI-Anwendungsfall hatte, hatte auf der Gegenseite auch erfolgreiche Anwendungsfälle. Es gibt also keinen Teilnehmenden, der nur erfolglose KI-Anwendungsfälle gehabt hat und nicht einen Erfolg. Das heißt 58 % der Teilnehmenden, die bereits mit KI- Anwendungsfällen gearbeitet haben, hatten auch erfolglose Anwendungsfälle. Nur bei ca. 42 % der Teilnehmenden haben alle gewählten KI-Anwendungsfälle Erfolg ergeben. Um die Daten besser analysieren zu können und etwaige Muster zu erkennen, haben wir die Anwendungsfälle zuerst kategorisiert. Dabei haben wir sechs Hauptkategorien sondiert, die in Tabelle 1 dargestellt werden. Die Tabelle fasst zusammen und stellt gegenüber, welche KI-Anwendungsfälle im Projektmanagement erfolgreich bzw. erfolglos waren. Dies ermöglicht einen klaren Vergleich und zeigt auf, wo Stärken und Schwächen der KI-Anwendungen liegen. Aus der Analyse der Daten lassen sich im Allgemeinen einige Schlussfolgerungen ziehen. Bei den erfolgreichen KI-Anwendungsfällen zeigt die häufige Erwähnung von Kommunikations- und Dokumentationsaufgaben, dass KI-Tools besonders nützlich für die Erstellung und Optimierung von Texten sind. Dabei sind die Anwendungsfälle sehr vielfältig und decken viele Aspekte des Projektmanagements, der Datenanalyse, der Ideenentwicklung und der technischen Unterstützung ab. Es kann beobachtet werden, dass KI-Tools oft zur Effizienzsteigerung und Automatisierung verwendet werden, was darauf hinweist, dass sie helfen können, Zeit und Ressourcen zu sparen. Ebenso zeigt die Nutzung von KI zur Ideen- und Konzeptentwicklung, dass diese Technologien auch kreative Prozesse unterstützen können. Bei den erfolglosen KI-Anwendungsfällen lässt sich ablesen, dass eine fehlende Integration von KI in interne Systeme und dadurch resultierende Schnittstellenprobleme die effektive Nutzung von Automatisierung und Ressourcenplanung behindern. Ebenso sind die Qualität und Genauigkeit der Präsentationen und Grafiken oft unzureichend, was die Nutzung in professionellen Kontexten erschwert. Logische, rechtliche und technische Probleme sind komplex und erfordern verbesserte Algorithmen sowie mehr Vertrauen und Vertraulichkeitszusagen. Auch Umfangsbeschränkungen und Datenschutzprobleme schränken die Datenanalyse mit KI erheblich ein. Es kann geschlussfolgert werden, dass mangelnde Kompetenz oder Hindernisse in der automatisierten Nutzung generativer KI und schlechte Datenqualität die Nutzung und Effizienz von KI-Anwendungen behindern. Im Folgenden werden wir noch einen detaillierteren Vergleich je Hauptkategorie anstellen. In der Kategorie Kommunikation und Dokumentation lässt sich vergleichend festhalten, dass sich erfolgreiche Anwendungen auf die Erstellung und Optimierung standardisierter Dokumente und Kommunikationsinhalte konzentrieren, während erfolglose Anwendungen oft an der Komplexität und den Sicherheitsanforderungen in der Organisation scheitern. Daraus lässt sich ableiten, dass die Stärke der KI in der Automatisierung und Effizienzsteigerung bei routinemäßigen Kommunikationsaufgaben liegt, während komplexe technische Inhalte und Datenintegration noch Herausforderungen darstellen. In der Kategorie Planung und Risikomanagement zeigen erfolgreiche Anwendungsfälle, dass KI bei der strukturierten und systematischen Planung von Projekten und der Risikominderung gut funktioniert. Im Gegensatz dazu versagen die KI-Modelle oft bei komplexeren Planungsprämissen und der effizienten Ressourcenplanung, was auf die Notwendigkeit besserer Datenintegration und fortschrittlicherer Algorithmen hinweist. In der Kategorie Recherche und Analyse nutzen erfolgreiche Anwendungen die Fähigkeit der KI zur schnellen Verarbeitung und Analyse großer Datenmengen, während erfolglose Anwendungen oft an den technischen Einschränkungen der Datenverarbeitung und den Datenschutzanforderungen scheitern. Dies zeigt die Notwendigkeit, KI-Tools weiterzuentwickeln, um umfangreichere und sicherere Datenanalysen zu ermöglichen. In der Kategorie kreative Aufgaben ist KI bei der Erstellung von einfachen Bildern und Texten erfolgreich, hat jedoch Schwierigkeiten bei der Erfüllung komplexerer kreativer Anforderungen wie detaillierten Animationen und qualitativ hochwertigen Bildern. Dies deutet darauf hin, dass KI-Algorithmen weiter verbessert werden müssen, um anspruchsvollere kreative Aufgaben zu bewältigen. In der Kategorie Kompetenz und Nutzung von KI lässt sich erkennen, dass die erfolgreiche Nutzung von KI stark von der Schulung und Kompetenz der Mitarbeitenden abhängt. Während gut geschulte Teams die Vielseitigkeit der KI effektiv nutzen können, haben unzureichend geschulte Mitarbeitende Schwierigkeiten, das Potenzial der Technologie auszuschöpfen. Dies unterstreicht die Bedeutung von Schulungsprogrammen und der Benutzerfreundlichkeit von KI-Tools. In der Kategorie technische und fachliche Inhalte zeigen die erfolgreichen Anwendungsfälle, dass KI besonders nützlich bei standardisierten und strukturierten Aufgaben ist, die auf klar definierte Daten zurückgreifen, wie bei der Erstellung von Anforderungsprofilen und der Wettbewerbsanalyse. Im Gegensatz dazu scheitert die KI oft bei komplexen technischen Inhalten und präzisen Aufgaben, insbesondere wenn Datenschutzprobleme oder unzureichende Modellierungsfähigkeiten ins Spiel kommen. Um die Potenziale der KI besser zu nutzen, sollten Algorithmen weiter optimiert, Mitarbeitende intensiver geschult und die Integration der KI-Tools in bestehende Systeme verbessert werden. Besonders komplexe Aufgaben sollten in Kombination mit menschlicher Expertise angegangen werden. Genutzte KI-Tools Von den 176 Teilnehmenden haben 43 (ca. 24 %) angegeben, mit welchen KI-Tools sie gearbeitet haben. Es wurden für die Wissen | Nutzenerwartung und Anwendungsfälle von KI im Projektmanagement 47 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0089 beschriebenen Anwendungsfälle sehr verschiedene Modelle genutzt (ChatGPT, Mistral, MS Copilot usw.), was zeigt, dass die Unternehmen bereits Zugang zu verschiedenen KI-Technologien haben. Personen mit längerer Berufserfahrung (25-40 Jahre) nutzten eine Vielzahl von KI-Tools wie Mistral, Nomic, ChatGPT, DALL-E, MS Copilot und spezialisierte Tools wie Gemini, OpenAI Plugins oder Nele.ai. Dem hingegen nutzten Personen mit weniger Berufserfahrung (< 10 Jahre) eher eine kleinere Bandbreite Tools wie MS Copilot und ChatGPT. Dies kann auch wiederum auf verschiedene Nutzungsarten hinweisen, oder aber von der technischen Vorbildung abhängen. Der benannte Schulungsbedarf der Nutzergruppe älterer Nutzer variiert deutlich. Einige benötigen nur geringes zusätzliches Wissen bei der Prompt-Erstellung oder haben sehr spezifische Fragestellungen. Andere berichten von sehr hohem Schulungsbedarf hinsichtlich des Verständnisses der Funktionsweise von KI und ihrer Algorithmen. Weniger erfahrene Nutzende greifen eher auf etablierte und zugängliche Tools zurück. Nutzende mit moderater Erfahrung melden wiederum einen hohen Bedarf an professioneller Weiterbildung, insbesondere in den Bereichen der Interpretation und dem praktischen Einsatz von KI-Tools. In Summe lässt sich sagen: je spezieller die genutzten KI-Tools, desto spezieller und individueller ist auch der Schulungsbedarf. Auch scheinen die mit dem Einsatz von KI-Tools wahrgenommenen Herausforderungen sehr mit der Berufserfahrung zu korrelieren. Wo die erfahrenen Nutzenden spezielle Herausforderungen wie z. B. die Unzuverlässigkeit der KI-Ergebnisse, dem Machtgewinn bei den Betreibern der KI-Tools und der Notwendigkeit, den organisatorischen Wandel zu bewältigen, um KI effektiv einsetzen zu können, benennen, sind es bei jüngeren Nutzenden auch allgemeinere Herausforderungen, wie der Mangel an Unterstützung für die Umsetzung von KI-Lösungen. Es lässt sich daraus ablesen, dass erfahrene Anwendende i. d. R. größere strukturelle oder technische Herausforderungen sehen, während sich andere auf interne Umstellungen und Unterstützung konzentrieren. Auch der formale Bildungsstand erzeugt kein Muster bei den benannten Schulungsbedarfen. Die Analyse zeigt zum einen, dass KI in bestimmten Bereichen wie der Kommunikation Erfolge zeigt, aber technische und strategische Herausforderungen bestehen bleiben, insbesondere in Bezug auf die Automatisierung komplexer Pro- Hauptkategorie Erfolgreiche Anwendungsfälle Erfolglose Anwendungsfälle Kommunikation und Dokumentation • Erstellung von Stakeholder-Kommunikationsinhalten • Erstellung von Trainingsmaterial • Gesprächsprotokollierung • Zusammenfassung von Texten • E-Mail-Erstellung • Erstellung technischer Inhalte • Prozessanweisungen zur Automation • Zusammenführung von Informationen aufgrund IT-Sicherheitsrichtlinien Planung und Risikomanagement • Optimierung der Work Breakdown Structures (WBS) • Optimierung der Meilensteinplanung • Generierung von Risikominderungsmaßnahmen • Erstellung von Risikoplänen und Checklisten • Modelle nicht in der Lage, Planungsprämissen umzusetzen • Effiziente Ressourcenplanung aufgrund fehlender Schnittstellen und Integration Recherche und Analyse • Durchführung von Rechercheaufgaben • Textanalyse • Erstellung von Anforderungsprofilen • Wettbewerbsanalyse • Umfangsbeschränkungen bei Datenanalyse • Datenschutzprobleme bei Datenanalyse • Schwierigkeiten bei der Extraktion spezifischer Daten aus PDF-Dokumenten Kreative Aufgaben • Generierung von Bildern • Verfassen von Texten und Nachrichten • Erstellung von Präsentationen • Unterstützung bei Brainstorming und Ideengenerierung • Ungenaue und fehlerhafte Bilder • Schwierigkeiten bei der Erstellung komplexer Animationen • Qualitätsprobleme bei generierten Bildern für Präsentationen Kompetenz und Nutzung von KI • Effektive Nutzung von KI durch gut geschulte Mitarbeiter • Vielseitiger Einsatz in verschiedenen Aufgabenbereichen • Mangelnde Kompetenz der Mitarbeiter zur Nutzung generativer KI • Probleme bei der Nutzung spezialisierter Software aufgrund von Komplexität und Kosten Technische und fachliche Inhalte • Unterstützung bei der Erstellung von Anforderungsprofilen • Wettbewerbsanalyse • Generierung von Ideen • Risikomanagement • Textanalyse und Bearbeitung • Schwierigkeiten bei der korrekten Darstellung komplexer technischer Inhalte • Softwareentwicklung bei Kunden aufgrund mangelnder Vertraulichkeitszusagen Tabelle 1: Gegenüberstellung erfolgreicher und erfolgloser KI-Anwendungsfälle Wissen | Nutzenerwartung und Anwendungsfälle von KI im Projektmanagement 48 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0089 zesse, wie im Ressourcenmanagement. Zum anderen macht die Analyse aber auch deutlich, dass die Auswahlprozesse bei den KI-Tools sowie deren Erfolgskriterien oft nicht klar definiert sind. Der Mangel an klar definierten Kriterienkatalogen für die Auswahl von KI-Tools deutet auf die Unsicherheit vieler Unternehmen hin, wie sie die besten Tools für ihre Bedürfnisse identifizieren sollen. Dies könnte an der Komplexität und Vielfalt der auf dem Markt verfügbaren Tools liegen oder Folge des sehr offenen Lösungsraums sein, den KI-Werkzeuge bieten. Fazit und Diskussion Es ist wenig verwunderlich, dass gerade der Aspekt Projektkommunikation einer der stärksten Anwendungsfälle von Künstlicher Intelligenz ist, ist es doch der einfachste Einstieg in die Arbeit mit KI. Immerhin spielen sich hier die allgemeinen Stärken von generativen Textmodellen wie Zusammenfassung, Fragebeantwortung, Stiltransfer, Formulierungsüberarbeitung besonders wertvoll aus. Das Risikomanagement scheint der Hidden Champion der KI-Nutzung zu sein- - hier wird es interessant werden, die konkrete Nutzungsart von Anwendenden zu untersuchen. Um im Bereich der Projektsteuerung tatsächlich hilfreich zu sein, wird KI „agentischer“ werden müssen. Vermutlich fehlen hierzu jedoch zunächst zu viele Kontextinformationen, wie z. B. über die Organisation, über den Kunden, über die Mitarbeitenden und über die Historie. Auch der Aufbau von Corporate AIs, der sich immerhin schon in sehr großen Unternehmen vollzieht, kann diese Informationen noch nur bedingt beisteuern. Aber vielleicht zeigt sich hier perspektivisch eine Stärke größerer Unternehmen in der Einführung von KI-basierten Methoden, einfach aufgrund von Skaleneffekten. Es lässt sich festhalten, dass der Erfolg der Nutzung von KI- Tools von der Expertise der Mitarbeitenden sowie fortschreitender Daten-, System- und Lösungsintegration abhängt. Wenn diese Herausforderungen in der Organisation adressiert werden, können die Potenziale von KI künftig noch besser genutzt werden. Bereits die qualitative Auswertung der erfolgreichen und erfolglosen KI-Anwendungsfälle hat gezeigt, welche Herausforderungen implizit auf Organisationen zukommen. Dies wurde auch durch die Auswertungen mit den spezifischen Fragen nach Herausforderungen an Datenschutz, Ethik und Sonstiges bestätigt. Denn die Nutzung von KI in Unternehmen stellt erhebliche Herausforderungen in den Bereichen Datenschutz, Ethik und technische Zuverlässigkeit dar. Datenschutzprobleme ergeben sich aus der unkontrollierten Datenverteilung und der Nutzung externer Server, besonders in den USA. Ethische Bedenken betreffen die Verantwortung für Fehlerfolge, diskriminierende Tendenzen in den Trainingsdaten und die Nachvollziehbarkeit von KI-Entscheidungen. Zusätzlich erfordert die erfolgreiche Integration von KI einen organisatorischen Wandel, umfassende Schulungen und die Überwindung von Akzeptanzproblemen bei Mitarbeitenden und Führungskräften. Das heißt Organisationen müssen in Schulung von Weiterbildung der Mitarbeitenden investieren, um deren Kompetenz in der Nutzung von KI-Tools zu erhöhen. Unsere Studie hat gezeigt, dass ein wichtiger erster Schritt ist, einfach mal anzufangen. Wenn künftig in einer Organisation auch komplexere Planungsprämissen beachtet, technische Inhalte erzeugt oder kreative Aufgaben bewältigt werden sollen, müssen vorhandene, generische KI-Lösungen zu spezifischen Lösungen weiterentwickelt werden. Bis dahin ist es den Fähigkeiten und der Virtuosität einzelner Anwender überlassen, wie viel Effektivität und Effizienz diese aus der KI-Nutzung ziehen. Generell zeigt sich in der Studie ein Bild, dass wenige Unternehmen bereits eine klare KI-Nutzungsstrategie verfolgen, erst recht nicht im Projektmanagement. In einer solchen KI-Strategie würden Themen wie Vision und Ziele (Wie kann KI zur Erreichung der Geschäftsziele beitragen? ), Anwendungsfälle (Für welche Anwendungsbereiche soll KI zum Einsatz kommen? ), Datenstrategie (Können Daten aus allen Bereichen ohne Probleme zusammengeführt und genutzt werden? ), Technologie und Infrastruktur (Welches ist für das Unternehmen die geeignete KI-Technologie / Tools, wie sind diese zur Verfügung gestellt und mit vorhandenen Informationen integriert? ), Sicherheit und Datenschutz (Was sind angemessene Maßnahmen zum Cyberschutz und Missbrauch von KI-Systemen? Halte ich die Datenschutzbestimmungen ein? ), rechtliche Aspekte (Werden alle relevanten Gesetze und Vorschriften eingehalten? Muss ich Verträge und Vereinbarung an die Nutzung von KI-Tools anpassen? ), Kompetenz und Schulung (Habe ich KI-Expert*innen im Haus? Wie kann ich meine Mitarbeitenden angemessen schulen? ) sowie Ethik und Compliance (Welche Richtlinien wollen wir im Unternehmen im Umgang mit KI haben? ) adressiert. EU-Regulatorik gibt künftig ja zu Teilen dieser Fragen vor, dass und wie sie adressiert werden müssen. Ausblick Die durchgeführte Studie liefert einige erste Erkenntnisse zur Nutzung von KI im Projektmanagement. Derzeit häufen sich Studien zu diesem Thema und es wird sicherlich noch eine Zeit so bleiben, denn den tatsächlichen Nutzen und die Nutzung von KI im Projektmanagement zu erfassen und zu beschreiben, ist kompliziert. Es ist für künftige Betrachtungen entscheidend, zu erfassen wie intensiv Mitarbeitende KI nutzen, z. B. gemessen in Stunden pro Woche, und wie kompetent, kreativ und virtuos sie dabei sind, zum Beispiel mit Bezug zur Nutzung von Prompting-Techniken, Verknüpfung von Systemen und Informationen etc. Zudem muss nun untersucht werden, wie Mitarbeitende KI in co-kreativen Prozessen, d. h. im besonderen Projektteam-Kontext anwenden und ob ihr Unternehmen eine klare KI-Strategie hat und wie diese umgesetzt wird. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, wie stark Unternehmen die Nutzung von KI regulieren und ob sie ihre Mitarbeitenden aktiv bei der Anwendung von KI unterstützen, oder dies sogar unterbinden. Dabei spielen die Bereitstellung von Ressourcen und kontinuierliche Weiterbildung eine zentrale Rolle, aber auch wie risikoavers oder -affin sich Unternehmen hierzu aufstellen. Wichtig wäre zudem, in Studien vermehrt auf Repräsentativität zu achten, um objektiv sagen zu können, wer oder welche Organisation KI im Projektmanagement wie intensiv und wie gut nutzt wird und welchen Einfluss eine digitale Vorbildung in zugrundeliegenden Technologien hat. Letzteres vor allem dürfte aber nicht nur für das Projektmanagement gelten, sondern allgemein. Wissen | Nutzenerwartung und Anwendungsfälle von KI im Projektmanagement 49 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0089 Das Thema KI im Projektmanagement ist sehr breit. Offenbar gibt es noch eine große Lücke zwischen tatsächlicher Umsetzung und erwartetem Nutzen. Das Thema scheint sehr unterschiedlich „organisiert“ und strukturiert auf individueller und organisationaler Ebene angegangen zu werden. Es gibt wenig Austausch über konkrete Anwendungsfälle und wenig Informationen über Typologien der Anwendung, Risiken und Mythen. Die Studie unterstreicht jedoch, dass das Potenzial auf allen Ebenen vorhanden ist, um dem Thema Projektmanagement in Organisationen einen deutlichen Schub zu verpassen. Literatur [1] Venkatesh, Morris, Davis, & Davis. (2003). User Acceptance of Information Technology: Toward a Unified View. MIS Quarterly , 27(3), 425. doi: 10.2307 / 30 036 540 [2] Ulfert-Blank, A.-S., & Schmidt, I. (2022). Assessing digital self-efficacy: Review and scale development. Computers &Amp; Education , 191, 104 626. doi: 10.1016 / j.compedu.2022.104626 [3] Mohajan, H. K. (2017). The Roles of Knowledge Management for the Development of Organizations . Retrieved from https: / / api.semanticscholar.org / CorpusID: 55 356 306 Eingangsabbildung: © iStock.com / Jacob Wackerhausen Dr.-Ing. Agnetha Flore Dr.-Ing. Agnetha Flore ist seit April 2020 im Zentrum für digitale Innovationen Niedersachsen tätig und hat dort im Oktober 2021 die Geschäftsführung übernommen; studierte Diplom-Kauffrau und promovierte Wirtschaftsinformatikerin; über 20 Jahre Tätigkeit in der Finanzdienstleistungsbranche; 2017 zertifizierte Projektmanagerin (GPM); 2019 Zusatzzertifikat Hybrid+; seit 2023 Tutorin für Projektmanagement an der WBH; 2019 Dozentin IBS Oldenburg für agiles Projektmanagement, 2019 GPM Fachgruppe Agiles Management und seit 2021 mit in der Fachgruppenleitung tätig. Anschrift: ZDIN Escherweg 2 26 121 Oldenburg Telefon: 0441 / 9722 - 102 eMail: agnetha.flore@zdin.de https: / / orcid.org / 0000-0003-1186 - 2741 Prof. Dr. Helge F. Wild Helge F. Wild ist Vizepräsident für Qualitätsmanagement und Digitalisierung an der Wilhelm Büchner Hochschule und Dekan des Fachbereichs Informatik sowie Professor für Digital Business Engineering. Er leitet die Fachgruppe Agile Management der GPM seit 2020. Wild schaut auf mehr als 15 Jahre Erfahrung in der Managementberatung zu Digitalisierung und Projektmanagement zurück. Seit 2020 befasst er sich praktisch und in der Forschung mit dem Thema Künstliche Intelligenz im Projektmanagement, veröffentlicht und spricht auf Tagungen regelmäßig hierzu. https: / / orcid.org / 0000-0002-8835 - 676X 50 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0090 GenAI-- Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Projektleitung Qualität von Entwicklungsprojekten Batuhan Turan, Stefanie Straßer, Siegfried Zürn Für eilige Leser | Der Einsatz generativer KI in der Projektleitung eröffnet vielfältige Möglichkeiten, die Effizienz zu steigern und die Projektperformance zu verbessern. Projektleiter können Aufgaben schneller priorisieren, Verantwortlichkeiten zuweisen und den Fortschritt überwachen. Chatbots integrieren sich in bestehende Prozesse, erkennen Abweichungen automatisch und fördern die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsabläufe. Dies erhöht die Qualität und Effizienz der Projektdurchführung, wodurch Projekte präziser gesteuert werden können. Berichte und Dokumentationen lassen sich automatisiert erstellen, und LLMs (Large Language Model) identifizieren potenzielle Risiken frühzeitig. Mit detaillierten Maßnahmenplänen bieten sie eine solide Basis für die Projektleitung. Die Integration von RAG (Retrieval Augmented Generation) in LLMs eröffnet Unternehmen neue Möglichkeiten, präzisere Antworten zu erhalten, Entscheidungen schneller zu treffen und Wissen effizient zu nutzen. Schlagwörter | Generative KI, Chatbot, Projektleitung, Qualitätsmanagement, Prompting, Large Language Model (LLM), Retrieval Augmented Generation (RAG) Einleitung In der gegenwärtig sich rasch verändernden Geschäftsumgebung verfolgen Unternehmen kontinuierlich Strategien zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen und zur Steigerung ihrer Effizienz. Dabei setzen sie auf innovative Prozesse und Technologien, um ihre Marktposition zu stärken und betriebliche Abläufe zu optimieren. Untersuchungen belegen, dass mehr als zwei Drittel der Firmen, die auf Technologien der Künstlichen Intelligenz (KI) setzen, einen deutlichen Wettbewerbsvorteil verzeichnen können. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage unter Fachkräften in der Automobilbranche zeigt, dass die Integration von KI in Projektmanagementprozesse als Möglichkeit zur Effizienzsteigerung gesehen wird. Unternehmen, die bereits KI nutzen, heben insbesondere die Vermeidung menschlicher Fehler, die Prozessbeschleunigung und die Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen als Hauptvorteile hervor, KI ermöglicht aber auch eine schnellere Problemidentifikation [1]. Laut einer weiteren Studie ist der Einsatz von KI von 2018 bis 2023 von 3 % auf 15 % gestiegen, während 28 % der Unternehmen die Implementierung von KI planen oder diskutieren [2]. Während die Integration von KI in Unternehmensprozesse vielversprechende Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung und Wettbewerbsvorteilen bietet, ist der konkrete Nutzen des Einsatzes von generativer KI innerhalb des Projekt- und Qualitätsmanagements bisher nicht hinreichend untersucht worden. Ein effektives Qualitätsmanagement von Projekten identifiziert potenzielle Risiken frühzeitig und implementiert geeignete Maßnahmen, um diese Risiken zu minimieren bzw. zu vermeiden und damit Fehlerkosten zu reduzieren [3]. Die vorliegende Studie beschäftigt sich daher damit, den Nutzen des Einsatzes von LLMs in Form von Chatbots für die Projektleitung im Qualitätsmanagement von Entwicklungsprojekten zu analysieren und dabei den Fokus auf ihre Praxistauglichkeit, Implementierungsmöglichkeiten und Herausforderungen zu legen. Wissen | GenAI - Einsaz von künstlicher Intelligenz in der Projektleitung 51 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0090 Rolle des Qualitätsmanagements in Entwicklungsprojekten Die Charakteristika eines Projekts-- Komplexität, zeitliche Befristung, Ressourcenbeschränkungen, spezifische Zielvorgaben, Neuheit sowie Unsicherheit und Risiko- - erfordern ein angemessenes Überwachungssystem. Die Qualität eines Entwicklungsprojekts wird maßgeblich von den Anforderungen des Auftraggebers und den Erwartungen der Stakeholder geprägt. Dabei ist das Ziel, dass die Projektergebnisse (z. B. Prototypen) die Qualität der Serienfertigung aufzeigen können. Diese Erwartungen umfassen neben den Kundenanforderungen zahlreiche weitere Aspekte wie Umweltstandards, rechtliche Vorgaben und technische Normen. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, ist die Integration eines effektiven Qualitätsmanagementsystems in Entwicklungsprojekten von entscheidender Bedeutung. Die Implementierung eines solchen Systems umfasst verschiedene Funktionen und Aufgabenbereiche, einschließlich der Festlegung der Qualitätspolitik, der Qualitätsplanung, der Qualitätssicherung sowie der Qualitätsüberwachung und -lenkung. Diese bilden das Fundament für eine effektive Projektdurchführung im Einklang mit den definierten Qualitätszielen. Das Erfassen und Erfüllen der Kundenanforderungen bilden die Basis für den Erfolg von Entwicklungsprojekten und entscheiden damit über die Wettbewerbsfähigkeit und den langfristigen Erfolg des Unternehmens auf dem Markt. Somit ist es wichtig, die Kundenperspektive frühzeitig in die Produktentwicklung einzubinden. Oft ist es jedoch schwierig über Einzelbefragungen hinaus dafür nötige Daten zu erhalten. Die Rolle der Projektleitung im Qualitätsmanagement erstreckt sich über das gesamte Spektrum der Projektrealisierung und umfasst sowohl technische als auch administrative Aufgabenfelder. Sie startet bei der Erstellung eines Lastenhefts und begleitet und überwacht den gesamten Produktentstehungsprozess durch technische Leistungskontrollen zur Einhaltung von Qualitätsstandards und ein effektives Risikomanagement. Generative KI und Chatbots In den letzten Jahren konzentrierte sich die Diskussion zu KI stark auf wissensbasierte Systeme und maschinelles Lernen. In wissensbasierten Systemen wird menschliches Expertenwissen in einer Form modelliert, die sowohl von Menschen verstanden als auch von Computern interpretiert werden kann. Dabei kommen Verfahren wie logische Programmiersprachen zum Einsatz. Diese Systeme speichern Wissen getrennt von ihrer Verarbeitung und sind in der Lage, Schlussfolgerungen zu ziehen, die nicht explizit vorgegeben sind. Das maschinelle Lernen hingegen beschreibt Algorithmen, die entwickelt wurden, um Muster und Regelmäßigkeiten in großen Datensätzen zu identifizieren, ein Prozess, der auch als Training bekannt ist. Es entdeckt autonom Korrelationen, lernt aus Daten und kann Ereignisse basierend auf diesen Daten vorhersagen. Folglich ist die häufigste Anwendung von maschinellem Lernen in Prognosesystemen zu finden. Deep Learning, ein Teilbereich des maschinellen Lernens, verwendet künstliche neuronale Netzwerke, die darauf abzielen, menschliche Gehirnfunktionen zu imitieren. Damit sind künstliche neuronale Netzwerke in der Lage, komplexe nicht lineare Beziehungen zwischen Datenpunkten zu identifizieren und daraus zu lernen. [4] Deep Learning lässt sich besonders Abbildung 1: Basis Struktur eines Prompts für Aufgaben der Sprach- und Objekterkennung und der maschinellen Übersetzung einsetzen. Seit der Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022 hat die generative KI erheblich an Bedeutung gewonnen. Der Begriff generativ bezieht sich auf die Fähigkeit dieser Technologie, neue Inhalte, z. B. Texte, Bilder, Videos, Programmiercode, zu generieren. Die generative KI basiert auf Large Language Models (LLMs), die auf umfangreichen Datensätzen trainiert werden und durch deren Verarbeitung Fragen beantworten und Aufgaben lösen kann, für die es nicht explizit trainiert wurde. Die Eingabe in die Modelle erfolgt durch Chatbots wie ChatGPT, die in der Lage sind, Fragen in natürlicher Sprache, sogenannten Prompts, zu verstehen und zu beantworten. Ein Basisprompt besteht aus einer klar definierten Rolle, die eine spezifische Aufgabe in einem festgelegten Format ausführt (Abbildung 1). Bei der Textgenerierung mittels Chatbots besteht jedoch ein bedeutendes Problem: Im Gegensatz zu Data-to-Text-Anwendungen hat der Nutzer bei der Verwendung von GPT keine direkte Kontrolle über den generierten Text. Dies kann zu unerwarteten Ergebnissen führen, die oft nicht reale Daten wiedergeben, insbesondere wenn es an spezifischen Trainingsdaten zu den behandelten Themen mangelt. In solchen Fällen kann es dazu kommen, dass das Modell Texte generiert, die das Fehlen von Wissen durch frei erfundene, jedoch vernünftig klingende Aussagen ausgleicht, um Antworten liefern zu können. Solche Halluzinationen genannten Fehler können durch branchen- oder unternehmensspezifische Daten minimiert werden. Um dies zu erreichen, muss der Chatbot zusätzlich zu seinen eigenen Daten, auf die internen Daten des jeweiligen Unternehmens trainiert werden. Dies gelingt durch sogenannte Application Programming Interfaces (APIs), die als Schnittstelle fungieren, um dem Sprachmodell eine weitere Datenquelle zur Verfügung zu stellen. Effektives Prompting Zur Entwicklung effektiver Prompts sind folgende Aspekte zu berücksichtigen, um präzise Ergebnisse zu erzielen: Klarheit und Präzision: Die Formulierung des Prompts sollte klar und präzise sein, um sicherzustellen, dass das KI- Modell genau versteht, welche Aufgabe es zu erfüllen hat. Unklare oder mehrdeutige Formulierungen sollen vermieden werden, um Missverständnisse zu vermeiden. Spezifität: Es ist entscheidend, den Prompt so spezifisch und detailliert wie möglich zu gestalten. Durch die Bereitstellung umfassender Informationen zum gewünschten Ziel, Kontext und Stil können die Ergebnisse gezielter und relevanter werden. Role Prompting: Durch das Zuweisen einer spezifischen Rolle, um eine bestimmte Tonalität zu erhalten, kann die Ausgabe präzisiert werden. Wissen | GenAI - Einsaz von künstlicher Intelligenz in der Projektleitung 52 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0090 Angemessene Länge: Der Prompt soll nur die erforderlichen Details enthalten. Eine angemessene Länge gewährleistet, dass das KI-Modell effizient arbeiten kann, ohne durch zu viele Informationen überlastet zu werden. Kontextinformationen: Relevante Hintergrundinformationen und Kontextdetails sollen dem Modell bereitgestellt werden, um sicherzustellen, dass es die Intention hinter dem Prompt besser versteht. Dies ermöglicht präzisere Ergebnisse, da das Modell den Zusammenhang besser erfassen kann. Anpassung: Es ist wichtig, den Prompt bei Bedarf anzupassen und zu iterieren, insbesondere wenn die Ergebnisse nicht zufriedenstellend sind. Durch kontinuierliches Feedback und Anpassungen können präzisere Ergebnisse erzielt werden. Menschliche Expertise: Die Einbeziehung menschlicher Fachkenntnisse über das Thema kann dazu beitragen, den Prompt zu verfeinern und die Ergebnisse besser einzuordnen und zu bewerten. Fachwissen ermöglicht es, die Qualität der Ergebnisse zu beurteilen und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen. Implementierung von Large Language Models in die Projektleitung im Qualitätsmanagement Chatbots als Assistenzwerkzeuge für Projektleiteraufgaben Die Hauptaufgaben des Qualitätsmanagements bestehen in der Fehlerdetektion, Fehleranalyse und Fehlerbehebung bzw. langfristigen Fehlervermeidung. Projektleiter in der Entwicklung sind verantwortlich für die effiziente Planung, Koordination und Überwachung, um sicherzustellen, dass die gesteckten Ziele erreicht, aber auch die definierten Qualitätsstandards eingehalten werden. Die Integration von LLMs bietet dabei verschiedene Möglichkeiten, die Aufgaben eines Projektleiters, besonders im Bereich des Qualitätsmanagements, zu unterstützen. Eine grundlegende Frage, die sich bei einer Implementierung stellt, ist die Auswahl des richtigen LLMs. Insbesondere für große Unternehmen stellt sich dabei die Frage, ob LLMs intern entwickelt oder von externen Quellen erworben werden sollen. Auf der einen Seite bietet die interne Entwicklung maßgeschneiderter Software eine hohe Anpassungsfähigkeit und fördert die Nutzung und Bewahrung von vertraulichen Daten und Wissen. Auf der anderen Seite profitieren Unternehmen von der Auslagerung, da sie das Risiko schnell veralteter Lösungen vermeiden können. Diese Strategie ermöglicht es auch, schneller und kostengünstiger zu implementieren [5]. Projektadministration Die Integration von Chatbots in die Projektadministration im Qualitätsmanagement bietet vielfältige Möglichkeiten zur Automatisierung und Optimierung von Arbeitsabläufen. Sie helfen, Aufgaben nach Wichtigkeit zu ordnen, Zuständigkeiten festzulegen und den Abgleich mit Qualitätsstandards zu gewährleisten. Daneben wird nicht nur die Projektadministration erleichtert, sondern auch die datenbasierte Entscheidungsfindung unterstützt, indem relevante Informationen und Analysen bereitgestellt werden, die auch auf die großen Datensätze der LLM zurückgreifen. Die Verbesserung von Effizienz und Effektivität ergibt sich insbesondere in der Planung sowie dem Erstellen und Individualisieren von Texten. Durch maßgeschneiderte Anpassung von Chatbots durch Integration von Unternehmensdatenbanken können Unternehmen diese gezielt auf ihre individuellen Anforderungen und die Bedürfnisse ihrer Branche einsetzen. Dies ermöglicht es, die Wettbewerbsfähigkeit in einer zunehmend digitalisierten Wirtschaft zu sichern. Projektplanung und Abweichungsanalyse Die Planung und Überwachung des Projektablaufs stellen weitere wesentliche Aufgaben eines Projektleiters dar. Die Fähigkeit eines LLM, sich durch gezieltes Role Prompting in die Rolle eines potenziellen Zielkunden zu versetzen und dessen Kundenerwartungen abzubilden, kann bei der inhaltlichen Planung der Produktfeatures genutzt werden (Tabelle 1). Chatbots können weiterhin effizient auf bisherige Planungen zurückgreifen und somit die anstehende konzeptionelle Projektplanung unterstützen. Dabei können sie die Lessons Learned aus früheren Projekten nutzen und Vorschläge zur Planung machen, die Best Practices verbindet mit der Vermeidung von Fehlern, die in ähnlichen Projekten bereits aufgetreten sind. Um eine automatische Unterstützung in der Projektplanung und -überwachung zu ermöglichen, müssen jedoch Schnittstellen implementiert werden, über die das System Zugriff auf abgeschlossene Projekte und aktuelle Projektstände erhält. Die Identifizierung von Abweichungen spielt im Projektverlauf eine Schlüsselrolle in der Projektleitung, da sie auf- Abbildung 2: KI-generierte Visualisierung eines Prompts, der in einem Satz fünf Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, vereinfachtes Chinesisch) enthält. Erstellt mit ChatGPT4.O, Prompt: "Bitte visualisiere auf einer Karte, how chatbots could simplify la communication globale en los proyectos de desarrollo 企 “ (deutsch: „Bitte visualisiere auf einer Karte, wie Chatbots die globale Kommunikation in Entwicklungsprojekten von Unternehmen vereinfachen können."). Wissen | GenAI - Einsaz von künstlicher Intelligenz in der Projektleitung 53 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0090 zeigen, an welcher Stelle ein Projekt seine Zielvorgaben nicht erreicht hat. Traditionelle Ansätze zur Abweichungsanalyse stoßen jedoch an ihre Grenzen, da sie vordefinierte Zielvorgaben erfordern und lediglich eine punktuelle Gegenüberstellung von Soll- und Istwerten ermöglichen. Die Integration von Chatbots in bestehende Prozesse des Qualitätsmanagements ermöglicht eine automatisierte Erkennung von Abweichungen und trägt damit zur kontinuierlichen Verbesserung der Prozesse bei, was dann auch wieder zu einer besseren Ablaufplanung genutzt werden kann. Risikomanagement Das Risikomanagement ist ein zentraler Bestandteil der Projektleitung im Qualitätsmanagement und zielt darauf ab, Risiken systematisch zu identifizieren, zu bewerten und zu behandeln, um Schäden zu minimieren und die Entscheidungsfindung zu verbessern. Die vier Hauptschritte des Risikomanagements umfassen Identifikation, Analyse und Bewertung, Maßnahmenplanung sowie Maßnahmenumsetzung. Tabelle 1: Wichtige Funktionen eines Infotainmentsystems aus Kundensicht generiert mittels ChatGPT4.O Tabelle 2: Generierung von potenziellen Risiken eines Elektrofahrzeugprojekts durch ChatGPT4.O. Aus Gründen der Vertraulichkeit wurde das Modell ohne Unternehmensdaten benutzt. Bereits zu Beginn eines Projekts kann durch das umfangreiche Datenspektrum eines LLM identifiziert werden, welche Risiken mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten können. Dabei ist die Kunst des richtigen Promptings entscheidend, um eine präzise Erfassung der Risiken zu gewährleisten. Eine einfache Aufforderung, Risiken aufzulisten, würde die Möglichkeit einer detaillierten Analyse einschränken. Durch die Verwendung einer strukturierten Tabelle können die identifizierten Risiken später weiterverwendet werden. Zusätzlich bietet der flexible Aufbau des Prompts die Möglichkeit, das Ergebnis individuell anzupassen und zu erweitern, wie es im dargestellten Beispiel durch die Erfassung von Ursachen und potenziellen Auswirkungen geschieht (Tabelle 2). Trotz der generischen Natur bieten Chatbots eine gute Grundlage, auf der ein Projektleiter aufbauen kann. Die strukturierte Ausgabe erlaubt eine einfache Weiterverarbeitung, beispielsweise durch Kopieren in Tabellenverarbeitungsprogrammen und bietet somit eine effiziente Unterstützung für das Risikomanagement im Qualitätsmanagement. Im nächs- Wissen | GenAI - Einsaz von künstlicher Intelligenz in der Projektleitung 54 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0090 ten Schritt soll simuliert werden, wie das Risiko durch einen Chatbot bewertet wird (Abbildung 3): Abbildung 3: Risikobewertung durch ChatGPT4.O Abbildung 4: Hinterfragen der Risikobewertung durch ChatGPT4.O Tabelle 3: Generierung eines Maßnahmenplans durch ChatGPT4.O Das Ergebnis scheint auf den ersten Blick vielversprechend. Jedoch ist es wichtig, zu hinterfragen, wie der Chatbot diese Einschätzung vornimmt, um mögliche Halluzinationen zu vermeiden. Aus diesem Grund wird diese Frage direkt an ChatGPT4.O adressiert (Abbildung 4): Die Risikoanalyse und -bewertung durch GPT4.O erfolgte zwar methodisch korrekt, jedoch fehlen unternehmensspezifische Daten, um präzisere Ergebnisse zu erzielen. Daher ist es Wissen | GenAI - Einsaz von künstlicher Intelligenz in der Projektleitung 55 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0090 unerlässlich, den Projektleiter und andere Stakeholder zu den Projektdaten einzubeziehen. Eine realistische Einschätzung von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß für das Projekt ist somit nicht sichergestellt. Nachdem die Risikobewertung durchgeführt wurde, folgt eine Maßnahmenplanung (Tabelle 3). Die Unterstützung durch ein generatives KI-Modell hat die Erstellung eines umfassenden Maßnahmenplans deutlich erleichtert. Die von ChatGPT4.O erstellte Maßnahmenplanung präsentiert eine umfassende Beschreibung der einzelnen Maßnahmen und weist klare Verantwortlichkeiten auf. Diese präzisen Informationen stellen eine solide Grundlage für die weitere individuelle Arbeit innerhalb der Projektleitung dar. Die Umsetzung der identifizierten Maßnahmen muss direkt durch den Projektleiter erfolgen, der auch die Verantwortlichkeiten abstimmt und die Umsetzung der Maßnahmen verfolgt. Diese Notwendigkeit erkennt das KI-Modell ebenfalls (Abbildung 5): Abbildung 6: SWOT-Matrix für eine effektive Implementierung von LLMs in die Projektleitung Abbildung 5: Aussage zur Maßnahmenumsetzung durch ChatGPT4.O und -integrität sicherzustellen. Dafür sind strenge Kontrollen und Überprüfungsprozesse notwendig, einschließlich der Zusammenarbeit mit menschlichen Experten zur Validierung von Ergebnissen. Chancen und Herausforderungen Die Untersuchung hat gezeigt, dass der Einsatz von LLMs die Effizienz steigern, die Projektperformance verbessern und besonders das Risikomanagement unterstützen kann. Insbesondere die Fähigkeit von LLMs, relevante Informationen bereitzustellen und Analysen durchzuführen, erweist sich als hilfreich für die Entscheidungsfindung und die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse. Zusätzlich kann der Einsatz von LLMs zur Automatisierung von Routineaufgaben Zeitersparnisse ermöglichen und die Qualität durch Konsistenz und Genauigkeit bei der Informationsverarbeitung verbessern. Bei der Integration von Large Language Models in die Projektleitung im Qualitätsmanagement ergeben sich einige herausfordernde Aspekte, die es zu berücksichtigen gilt. Eine Herausforderung liegt in der Sicherstellung der Datenqualität und -integrität bei der Nutzung von LLMs. Aufgrund der Abhängigkeit von externen Datenquellen besteht die Gefahr, dass branchenbzw. unternehmensspezifische Informationen fehlen. Um diesem Problem zu begegnen, sind Schnittstellen erforderlich, die einen Zugriff auf Unternehmensdaten und aktuelle Projektdaten ermöglichen. Die effektive Nutzung von LLMs setzt voraus, dass die Anfragen an das System klar, präzise und kontextspezifisch formuliert werden, um eine exakte Aufgabeninterpretation und damit relevante Antworten zu gewährleisten. Daher ist es wichtig, die Mitarbeiterkompetenzen im Umgang mit KI zu fördern und zu entwickeln. Um Halluzinationen von LLMs zu erkennen, ist es unabdingbar, dass die Ergebnisse durch menschliche Überprüfung und Urteilsfähigkeit validiert werden. Des Weiteren können grundlegende Aufgaben wie Teamführung, Mitarbeitermotivation und Kommunikation nicht von KI übernommen werden. Hier spielen menschliche Fähigkeiten und Einfühlungsvermögen nach wie vor eine entscheidende Rolle. Um eine fundierte Entscheidung darüber zu treffen, ob der Einsatz von LLMs in der Projektleitung im Qualitätsmanagement sinnvoll ist, ist eine umfassende Bewertung ihrer Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken erforderlich. Die fol- Berichterstattung LLMs bieten eine effiziente Möglichkeit zur Analyse und Aufbereitung von Daten. Durch die automatisierte Generierung von Berichten, Protokollen und Dokumentationen wird sichergestellt, dass alle relevanten Informationen erfasst werden. Die Kommunikation von aktuellen Ständen kann durch den Einsatz von LLMs bei der Erstellung von Executive Summaries verbessert werden. Dadurch unterstützen LLMs Entscheidungsträger, indem sie umfangreiche und komplexe Daten aggregieren, wodurch fundierte Entscheidungen auf der Grundlage aktueller, präziser und komprimierter Informationen ermöglicht werden. Es ist jedoch unerlässlich, bei der Nutzung von LLMs in der Berichterstattung die Datenqualität Wissen | GenAI - Einsaz von künstlicher Intelligenz in der Projektleitung 56 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0090 Batuhan Turan Batuhan Turan hat an der Hochschule Esslingen im Studiengang Technische Betriebswirtschaft- - Automobilindustrie einen Bachelor of Science erworben. Er plant, seine berufliche Laufbahn im Automotive Bereich fortzusetzen. Stefanie Straßer Stefanie Straßer ist Teamleiterin im Bereich Qualitätsmanagement für die Compact Cars bei der Mercedes-Benz AG. Ihr Team ist zuständig für die Reifegradsteuerung und die Qualitätsabsicherung für die künftigen Compact Cars. Dr. Siegfried Zürn Dr. Siegfried Zürn ist Professor für Operations Management mit den Schwerpunkten Qualitätsmanagement, Lean Management und Digital Transformation Management in der Fakultät Wirtschaft und Technik der Hochschule Esslingen. siegfried.zuern@hs-esslingen.de https: / / orcid.org / 0009-0008-9703 - 5811 gende SWOT-Analyse bietet eine strukturierte Übersicht über die internen und externen Faktoren, die bei der Implementierung von LLMs berücksichtigt werden müssen. Diese Analyse wurde durch Expertenbefragung entwickelt und durch eine detaillierte Literaturrecherche untermauert (Abbildung 6). Ausblick Durch das Konzept der Retrieval Augmented Generation (RAG) könnten Large Language Models künftig in der Projektleitung einen bedeutenden Fortschritt erfahren. RAG bietet die Möglichkeit, maßgeschneiderte Daten zu nutzen, um die Leistung von LLM-Anwendungen zu verbessern. Dies könnte zu einer Vielzahl neuer Anwendungsmöglichkeiten führen. Durch die Einbindung benutzerspezifischer Daten als Kontext können diese Systeme präzisere und relevantere Antworten liefern. Außerdem eröffnet die Verwendung von RAG die Möglichkeit, Chatbots so zu gestalten, dass sie konform mit Unternehmensstrategien, Compliance-Vorgaben und weiteren unternehmenskritischen Richtlinien gestaltet werden können. Zudem könnte RAG dazu beitragen, eine unternehmensspezifische, umfassende Wissensdatenbank aufzubauen, die Mitarbeitern eine schnelle und zuverlässige Informationsquelle bietet. Die Implementierung von RAG sollte daher als wichtiger Schritt in Betracht gezogen werden, insbesondere im Kontext der Eigenentwicklung von Chatbots. Literatur [1] Zürn, Siegfried; Melzer, Karin; Özdemir, Senem (2024): KI-Integration im F&E-Projektmanagement der Automobilindustrie: Leistung und Effizienz, Herausforderungen und ethische Aspekte. In Bernert, C; Scheurer, S.; Wehnes, H. (Hrsg.): KI in der Projektwirtschaft-- Eine neue Ära der Effizienz und Innovation. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag. [2] Streim, Andreas; Beerlink, Kai Pascal (2023): Deutsche Wirtschaft drückt bei Künstlicher Intelligenz aufs Tempo. Hrsg. Bitkom e. V., online verfügbar unter: https: / / www. bitkom.org / Presse/ Presseinformation / Deutsche-Wirtschaft-drueckt-bei-Kuenstlicher-Intelligenz-aufs-Tempo, Abruf 09. 04. 2024 [3] Von Känel, S. (2020). Projekte und Projektmanagement . Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH. [4] Eitner, Janis; Berkler, Katrin; Köhler, Henning; Möhlmann, Roman; Tumescheit, Anne-Marie (2017): Trends für die Künstliche Intelligenz. Hrsg. Fraunhofer-Gesellschaft e. V., Online verfügbar unter: https: / / www.fraunhofer.de / content / dam / zv / de / publikationen / broschueren / Trendsfuer-die-kuenstliche-Intelligenz.pdf, Abruf 03. 04. 2024 [5] Bodenhausen, U. (2022, March). Make or Buy Strategy for AI in Automotive: How Much “Make-AI” is Necessary to Succeed? . In 22. Internationales Stuttgarter Symposium: Automobil-und Motorentechnik (pp. 385-396). Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. Eingangsabbildung: © iStock.com / nuttapong punna 57 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0091 Eine Case Study zu einem Innovationsprojekt Innovationsmanagement nach ISO 56002 Agnetha Flore, Catharina Würdemann Für eilige Leser | Die ISO 56002 bietet Organisationen einen strukturierten Rahmen für ein effektives Innovationsmanagement. In der Fallstudie des Zentrums für digitale Innovationen Niedersachsen (ZDIN) wurde die Norm genutzt, um ein neues Geschäftsmodell zu entwickeln. Wichtige Methoden waren Design Thinking und OKR, um agil und kundenorientiert zu arbeiten. Herausforderungen wie Zeitdruck und komplexe Stakeholder-Strukturen konnten durch externe Unterstützung und eine agile Projektleitung gemeistert werden. Der Erfolg des Projekts zeigt, dass die ISO 56002 nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im wissenschaftlichen Kontext wertvolle Impulse für nachhaltige Innovationen liefern kann. Schlagwörter | Innovation, ISO 56002, Dimensionen, Design Thinking, Projektmanagement, Agile In der heutigen dynamischen und sich ständig wandelnden Geschäftswelt ist Innovationsmanagement zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor für Organisationen geworden. Dabei stehen insbesondere kleinere Unternehmen mit kleinen Teams vor großen Herausforderungen: Innovationen finden meist sporadisch statt und sind gekoppelt an einzelne Personen, die diese vorantreiben [4]. Die Internationale Organisation für Normung (ISO) hat mit der Norm ISO 56002 einen Rahmen geschaffen, der Organisationen dabei unterstützt, ein effektives Innovationsmanagementsystem (IMS) zu implementieren und zu verbessern. Dieser 2019 veröffentlichte Leitfaden führt in sieben Dimensionen die Handlungsempfehlungen für Organisationen auf. Die Besonderheit ist eine ganzheitliche Betrachtung von Organisationen und ihren Innovationsabsichten und die langfristige Ausrichtung von aufeinander abgestimmten Handlungen und einer damit verbundenen Haltung zum Chancenmanagement (siehe Abbildung-1). Aufgrund der Neuheit der ISO Norm ist die Anzahl der wissenschaftlichen Betrachtungen überschaubar, ebenso die Anzahl an veröffentlichten Use Cases [3]. Im wissenschaftlichen Kontext ist uns im deutschsprachigen Raum Stand heute kein Fall bekannt, in dem die ISO 56002 als Rahmen angewendet wurde. Mit diesem Artikel wollen wir einen Beitrag dazu leisten, die Implementierung eines IMS im wissenschaftlichen Kontext zu beleuchten und insbesondere auf die Herausforderungen dabei einzugehen. Das Zentrum für digitale Innovationen Niedersachsen (ZDIN), als wissenschaftliche Einrichtung, steht vor der Herausforderung, innovative Ansätze im digitalen Bereich zu identifizieren und erfolgreich umzusetzen. Die Anwendung der ISO 56002-Norm bietet dem ZDIN eine strukturierte Methode, um Innovationsprozesse zu gestalten, Risiken zu managen und die Zusammenarbeit im Innovationsprozess zu fördern. Die Fallstudie analysiert den Implementierungsprozess der ISO 56002 im ZDIN, beleuchtet Erfolge und Herausforderungen und gibt Einblicke in die erzielten Verbesserungen im Innovationsmanagement. Dabei werden auch spezifische Maßnahmen und Best Practices hervorgehoben, die das ZDIN auf dem Weg zu einer innovativen und zukunftsorientierten Institution unterstützen. Die Erkenntnisse dieser Fallstudie tragen nicht nur zum Verständnis der Anwendung der ISO 56002 im Kontext wissenschaftlicher Einrichtungen bei, sondern bieten auch einen praxisnahen Einblick in die Herausforderungen und Potenziale des Innovationsmanagements im digitalen Zeitalter und stellen damit eine Ergänzung zu den bereits veröffentlichten Use Cases aus der Wirtschaft dar. Organisationen, die eine effiziente Innovationsstrategie anstreben, können von den gewonnenen Erkenntnissen und Empfehlungen profitieren, um ihre eigenen Innovationsprozesse zu optimieren- - insbesondere, weil sich einige Parallelen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft in Hinblick auf die Herausforderungen zeigen. Wissen | Innovationsmanagement nach ISO 56 002 58 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0091 1 Hintergrund und Kontext des Innovationsmanagements in der Wissenschaft vor dem Hintergrund der ISO 56002 1.1 Kontextualisierung der ISO 56002 im wissenschaftlichen Umfeld Forschung steht vor einzigartigen Herausforderungen, darunter komplexe, interdisziplinäre Zusammenhänge, hohe Unsicherheiten und den Druck, sowohl grundlegende Erkenntnisse als auch anwendungsorientierte Ergebnisse zu generieren. Die ISO 56002 bietet eine Struktur, um Innovationsprozesse in diesem spezifischen Kontext zu lenken und zu optimieren, da sie die herausfordernden Aspekte Interdisziplinarität, Ressourcenmanagement und Flexibilität bzw. Anpassungsfähigkeit integriert und so einen ganzheitlichen Rahmen für effektives und konstruktives Handeln schafft. 1.2. Ziel der Integration von ISO 56002 im wissenschaftlichen Innovationsmanagement Das Ziel dieser Fallstudie besteht darin, die Implementierung der ISO 56002 im Innovationsmanagement einer wissenschaftlichen Einrichtung zu untersuchen. Ausgangspunkt war der Wunsch nach einem ausgearbeiteten Konzept für die Weiterentwicklung von Dienstleistungen und Prozessen der Geschäftsstelle des ZDIN. Bei der Reflexion des Anwendungsfalls sollen folgende Aspekte berücksichtigt werden: • Umsetzung der ISO 56002: Inwiefern wurde der Standard in den Innovationsprozessen der Einrichtung integriert und angepasst? • Herausforderungen und Chancen: Identifikation von spezifischen Herausforderungen und Chancen bei der Anwendung der ISO 56002 im wissenschaftlichen Kontext. • Verbesserungen durch ISO 56002: Bewertung, ob die Implementierung des Standards zu effektiveren Innovationspraktiken geführt hat und welche Verbesserungen erzielt wurden. Durch die Analyse dieses Kontexts soll die Fallstudie dazu beitragen, Einsichten in die Integration von ISO 56002 in das Innovationsmanagement in wissenschaftlichen Einrichtungen zu gewinnen und potenzielle Best Practices für die Branche zu identifizieren. 2. Das Innovationsmanagementsystem (IMS) als Accelerator für Innovationen? 2. 1 Die ISO 56002 als Innovations-Rahmen Die ISO 56002 ist ein internationaler Standard, der Leitlinien für das Innovationsmanagement in Organisationen bereitstellt. Er geht zum einen auf den Bedarf einer einheitlichen Struktur aufeinander abgestimmter Handlungen ein, die notwendig sind, um Innovationen kontinuierlich zu ermöglichen, bietet zum anderen zusammen mit der übergeordneten ISO 56000 eine einheitliche Definition für die Begriffe „Innovation“ und „Innovationsmanagementsystem“: Eine Innovation beschreibt hier eine „neue oder veränderte Einheit, die Wert schafft oder neu verteilt.“ (ISO 56000: 3.1.1) „Ein Innovationsmanagementsystem ist ein Satz zusammenhängender oder sich gegenseitig beeinflussender Elemente, die auf die Schaffung von Wert abzielen. Es bietet einen gemeinsamen Rahmen zum Entwickeln und Bereitstellen von Innovationsfähigkeiten, Beurteilen von Leistung und Erreichen von beabsichtigten Ergebnissen.“ (ISO 56002: 2019) Hierzu führt die ISO 56002 sieben ineinandergreifende Dimensionen auf. Zu den Sieben Dimensionen des Innovationsmanagements nach ISO 56002 gehören: 1. Führung: Ein starkes Engagement der Führungsebene für Innovation und die Integration von Innovationszielen in die Unternehmensstrategie. 2. Kontext der Organisation: Die Berücksichtigung von internen und externen Einflussfaktoren, die das Innovationspotenzial beeinflussen. Abbildung 1: Kihlander, Ingrid; Magnusson, Mats; Karlsson, Magnus (2024): Critical Factors to Consider When Designing an Innovation Management System. In: Research- Technology Management 67 (3), S. 34 - 43. DOI: 10.1080 / 08 956 3 08.2024.2 323 893. Wissen | Innovationsmanagement nach ISO 56 002 59 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0091 3. Planung: Die Entwicklung einer Innovationsstrategie, die klare Ziele, Ressourcenallokation und Risikomanagement umfasst. 4. Unterstützende Strukturen: Die Schaffung einer Organisationsstruktur, die Innovation fördert und den Innovationsprozess unterstützt. 5. Betriebsführung: Die Integration von Innovationsmanagement in normale betriebliche Abläufe. 6. Bewertung und Verbesserung: Die kontinuierliche Bewertung der Innovationsleistung und die Implementierung von Verbesserungsmaßnahmen [1]. 2.2. Innovationsmanagement im wissenschaftlichen Kontext Innovationsmanagement im wissenschaftlichen Kontext bezieht sich auf die gezielte Steuerung von Innovationsprozessen in Forschungs- und Bildungseinrichtungen. Es umfasst die Planung, Umsetzung und Kontrolle von Aktivitäten, die darauf abzielen, neue Ideen, Technologien oder Methoden zu entwickeln und erfolgreich in die wissenschaftliche Praxis zu integrieren. Im Fokus steht dabei die Förderung von Kreativität, die Optimierung von Ressourcennutzung und die Schaffung eines Umfelds, das Innovationen begünstigt. Das ZDIN als langfristig angelegtes Forschungsprojekt und wissenschaftliche Einrichtung steht auf Grund der hohen Anzahl der Konsortialpartner und der sich daraus ergebenden Interdisziplinarität vor der Herausforderung, die unterschiedlichen Bedürfnisse der heterogenen Stakeholder zu bündeln und miteinander zu verweben. Die ISO 56002 ist auf Grund seiner Branchenoffenheit daher ein geeignetes Framework für interdisziplinäre Strukturen. 2.3 Ausgewählte Dimensionen des IMS & Methoden Das Innovationsmanagementsystem (IMS) nach ISO 56002 bildete die Klammer für den Weiterentwicklungsprozess. Innerhalb des Weiterentwicklungsprozesses waren vorrangig drei der sieben Dimensionen von Bedeutung: Die Dimension „Kontext der Organisation“ als zu betrachtender und einzubindender Aspekt, die Dimension „Prozess“ als operativer Aspekt i. S. d. tatsächlichen Entwicklung des vorliegenden Konzepts sowie die Dimension „Führung“, in der der Einbezug und die Kommunikation mit Führungspersonen der unterschiedlichen Stakeholder-Gruppen fokussiert wurde. Diese Vorgehensweise ermöglichte dem Team eine ganzheitliche Sicht auf die im Pitch-Paper vorgestellten Dienstleistungen mit dem Ziel der Entwicklung eines „Minimum Viable Product“ (MVP), das auf die Wertsteigerung des ZDIN abzielt. Darüber hinaus können innerhalb des IMS verschiedene Methoden bzw. Tools miteinander kombiniert werden, was sich insofern positiv auf das Resultat auswirkt, als es alle Bezugspunkte einfließen lässt. 3. Fallstudie: Innovationsmanagement am Beispiel des ZDIN Grundsätzlich ist Innovationsmanagement- - wenn es einmal in einer Organisation etabliert ist- - ein begleitender, Dauer währender Prozess. Allerdings gibt es auch immer Situationen, in denen Innovationen projekthaft durchgeführt werden können. Das sind z. B. zum einen die Einführung, eines Innovationsmanagementsystems in die Organisation und zum anderen gezielt angestoßene und durchgeführte Innovationen auf einen speziellen Zweck hin. Im vorliegenden Fall handelt es sich um zweiteres. Es wurde also ein Projekt initiiert zur Entwicklung eines neuen Geschäftsmodells. Projektleitung hat dabei die Geschäftsführung des ZDIN übernommen und das Team der Geschäftsstelle war das Projektteam, zusätzlich begleitet und unterstützt durch einen externen Dienstleister. Das Projekt lief über ca. vier Monate „on the job“ für die Geschäftsstelle des ZDIN und hatte als harte Deadline einen Abgabetermin für ein fertiges Weiterentwicklungskonzept. 3.1. Vorbereitung auf das Projekt Es wurden zu Beginn die vorliegenden Ressourcen und Kompetenzen im Team eruiert, ob damit das Projekt in der vorgeschriebenen Zeit umgesetzt werden kann. Es sollte zur Unterstützung der Arbeit mit der ISO 56002 ein externer Dienstleister beauftragt werden. Dieser wurde von der Geschäftsführung mit dem Vorstand gemeinsam ausgesucht und beauftragt. Ebenso gab es viele Vorgespräche mit dem Team, um die Priorisierung von Aufgaben aufgrund der Kürze der Zeit zu thematisieren und zu lösen. Gut und wichtig war der Projektleitung dabei, dass es die Fürsprache vom Vorstand gab, damit alle anderen Aufgaben, die nicht zwingend notwendig waren, runter priorisiert werden konnten. Zu Beginn des Projektes gab es einen Kickoff mit dem externen Dienstleister zum gegenseitigen Kennenlernen und Vertrauen aufbauen. Da das Projekt agil durchgeführt werden sollte- - was für einige Mitarbeitende neu war- - gab es auch zu Beginn des Projekts eine umfangreiche Einführung in die Methode Object & Key Results (OKR), mit der im Laufe des Projekts gearbeitet werden sollte. Für jeden Sprint wurde in kleineren Teams jeweils an einem im Team entwickelten OKR gearbeitet. Wichtig war es dem Projektteam von Anfang an, ein Konzept zu entwickeln, welches den Kundennutzen im Fokus hat. Auch dafür war das agile Vorgehen bestmöglich geeignet. 3.2. Bedürfnisorientierte Lösungsentwicklung mit ausgewählten Methoden Zu Beginn des Projekts hat sich die Geschäftsstelle des ZDIN eingehend der Dimension „Kontext der Organisation“ gewidmet und dazu eine SWOT-Analyse durchgeführt und eine umfassende Stakeholder-Matrix erarbeitet. Während die Stakeholder-Analyse den gesamten Forschungsverbund des ZDIN-Netzwerks umfasste, fokussierte die SWOT-Analyse vorrangig die Stärken und Schwächen der Geschäftsstelle. Die Kernergebnisse der SWOT-Analyse halten fest, dass die Stärke der ZDIN-Geschäftsstelle das umfangreiche Knowhow und die Professionalität des Teams darstellt, während die größte Schwäche die Abhängigkeit von externen Faktoren bildet. Daraus ergeben sich Chancen in Hinblick auf das Weiterentwicklungskonzept und einer damit verbundenen Neu-Definition des Produktportfolios beim möglichen Besetzen einer Marktnische. Innerhalb der Dimension „Prozess“ als operativer Aspekt hat die Geschäftsstelle zusammen mit dem externen Dienstleister auf zwei Methoden gebaut: Für die Entwicklung des MVP wurde Design Thinking und zur Gewährleistung eines effizienten und zielgerichteten Arbeitens wurde- - wie zuvor bereits genannt-- das OKR- Modell (Objectives & Key Results) eingesetzt. Beide Modelle lassen sich äußerst effizient verbin- Wissen | Innovationsmanagement nach ISO 56 002 60 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0091 den und sind Methoden-offen. Das Team der Geschäftsstelle hat folgende Schritte zur Entwicklung des MVP eingesetzt: 1. Definition der Zielgruppen und Dienstleistungen: Um die Zielgruppen und deren Bedarfe für Dienstleistungen der Koordinierungsstelle zu ermitteln, führte die Koordinierungsstelle zwölf narrative Interviews mit Professor*innen und wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen aus den unterschiedlichen Forschungsdisziplinen des ZDIN von je ca. 30 Minuten durch. Die Auswahl der Interviewpartner*innen erfolgte randomisiert. Auf Basis der Interviews entwickelte die Geschäftsstelle einen Fragebogen für eine quantitative Online-Befragung, um dem gesamten Forschungsverbund die Möglichkeit zu geben, ihre Meinung zu Zielgruppen und Dienstleistungen zu äußern. An dieser quantitativen Befragung beteiligten sich insgesamt 80 Personen, darunter Professor*innen und wissenschaftliche Mitarbeiter*innen aller sieben Zukunftslabore. 2. Definition des Problemraums: Auf Basis der narrativen Interviews, der quantitativen Befragung und bisherigen Erfahrungswerte der Geschäftsstelle wurden für die relevanten Zielgruppen „Problem Statements“ formuliert. Aus diesen „Problem Statements“ gehen die Bedürfnisse und Probleme der Zielgruppen hervor, die die Geschäftsstelle mit ihren Dienstleistungen abdecken wird. 3. Wettbewerbsanalyse: Um sich einen Überblick über Akteure mit ähnlichen Zielen und Dienstleistungen zu verschaffen, wurde eine Wettbewerbsanalyse durchgeführt. Daraus wurden mögliche Bedarfe und Handlungsfelder für Dienstleistungen der Geschäftsstelle abgeleitet. 4. Ideenfindung: Aus den im Prozess gewonnenen Ergebnissen hat die ZDIN-Geschäftsstelle erste Ideen für konkrete Dienstleistungen mithilfe von ausgewählten Methoden des Design Thinking („Disney Methode“, [a]Brainstormings) entwickelt. Diese Ideen wurden mit „Value Proposition Canvas“ [b] konkretisiert. Dabei wurden für jede Zielgruppe die Bedürfnisse, Probleme und mögliche passende Dienstleistungen der Geschäftsstelle zusammengetragen und somit ein bedürfnisorientiertes Nutzenversprechen für die Zielgruppen geschärft. Der letzte Schritt bildete die Entwicklung eines Business Model Canvas [c]. Da es sich bei dem Weiterentwicklungskonzept nicht um die Entwicklung eines Geschäftsmodells handelt, wurden Aspekte, die auf Monetarisierung abzielen, folgerichtig ausgespart. Alle Handlungen wurden eingebettet in ein OKR Framework (Objectives and Key Results). Hierdurch wurde gewährleistet, dass Arbeitsfortschritte transparent und sichtbar gehalten werden konnten. Im zusätzlichen wöchentlichen Meeting (weekly) wurden Arbeitsfortschritte besprochen und Herausforderungen erläutert, so dass Unterstützung durch Führung und/ oder Teammitglieder möglich wurde. 4. Analyse der Ergebnisse und Diskussion Der gesamte Prozess der reinen Konzeptentwicklung lief über einen Zeitrahmen von vier Monaten, der Beginn der Implementierung von ausgewählten Aspekten des IMS begann fünf Monate im Voraus. Es war gut, dass diese vorbereitende Zeit zur Verfügung stand, da das Projekt sonst nicht in der Kürze der Zeit hätte umgesetzt werden können. Eine große Herausforderung war die Kürze der Zeit und die Tatsache, dass das Projekt „on the job“ durchgeführt werden musste. Damit dies überhaupt gelingen konnte, waren verschiedene Erfolgsfaktoren wesentlich. Zum einen war es gut eine externe Unterstützung zu haben, mit Erfahrung im Umgang und den Methoden der ISO 56002. Neben den vielen Kreativitätstechniken, die genutzt wurden, waren auch die Methoden wie Object & Key Results (OKR), Business Model Canvas (BMC)und Value Proposition Canvas (VPC) zielführend. Zum anderen war es folgerichtig, das Projekt agil durchzuführen, um den Kundennutzen immer im Fokus zu haben und schnell ein Kundenfeedback zu bekommen. Bspw. wurde im Laufe des Projekts eine neue Idee für ein Veranstaltungsformat entwickelt, welche im Rahmen des Value Proposition Canvas bearbeitet, ein Prototyp entwickelt und den Kunden für Feedback vorgelegt wurde. Das gegebene Feedback konnte sofort wieder in den nächsten Sprintzyklus mit einfließen. Ein weiterer Erfolgsfaktor war es auch, eine Projektleitung mit viel Erfahrung besonders auch im agilen Vorgehen mit Projekten zu haben. Dadurch konnte adäquat die Rolle des Scrum Masters eingenommen werden, das Team begleitet, unterstützt und gecoacht werden. Aber auch die Einflüsse von außen möglichst gering gehalten werden. Dies kam dem Team zugute, da der Zeitdruck erheblich war [5]. Das Framing durch die ISO 56002 und dahingehend die Fokussierung ausgewählter Dimensionen stellte die zielgerichtete Vorgehensweise sicher. Des Weiteren konnten die einzelnen Teammitglieder ihre spezifischen Fähigkeiten und Kenntnisse einbringen, so dass verschiedene Perspektiven einbezogen werden konnten. Insbesondere die Relevanz des Verständnisses von Bedürfnissen der Stakeholder wurde in der Phase „Empathize“ des Design Thinking deutlich und gab den Teammitgliedern Sicherheit, die Ideenansätze auch nach außen zu vertreten. Innerhalb der Phase „Ideation“ ist es dringend erforderlich, aufeinander abgestimmte Methoden zu wählen-- so führte die Disney Methode in Verbindung mit der Value Proposition Canvas zu Unstimmigkeiten im Prozess, was sich darin zeigte, dass Ideen aus der Disney Methode im „luftleeren Raum“ standen und nicht in den Kontext eingearbeitet wurden. Als aktivierende Methode und zur Förderung der Kreativität eignet sich die Disney Methode dagegen sehr gut. Es wurde deutlich, dass die Workshopbzw. Prozessleitende Person sich zum einen sehr gut auf die Dynamiken des Teams einstellen muss, d. h. empathisch, reflektiert und agil handeln muss und gleichzeitig durch fortwährende Transparenz und Methodenkompetenz einen Raum der Sicherheit schaffen muss, in der es jedem Teammitglied möglich wird, seine Kompetenzen bestmöglich einzubringen. Dies deckt sich mit der Beobachtung von Weber et al. [6], die innerhalb des Projekts InnoDiZ [4] die Relevanz von Sozialkompetenz in Kombination mit Methodenkompetenz beim Innovationsmanagement herausgearbeitet haben [6]. Dies geht auch einher mit der Beobachtung von Gina Colarelli O'Connor und Peter Robbins, dass Innovationsmanagement als eigenständige Profession in Organisationen verankert werden sollten. Hierfür bedarf es eines einheitlichen Verständnisses von Fähigkeiten und Kompetenzen des*der Innovationsmanager*in und demzufolge der Ausbildung [4]. Dafür ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft erforderlich, um dahingehend weitere Forschung bezüglich passender, aufeinander Wissen | Innovationsmanagement nach ISO 56 002 61 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0091 abgestimmter Innovationsmethoden und den Fähigkeiten von Innovationsmanager*innen zu erhalten. Weiterhin stellt sich die Frage nach der Nachhaltigkeit des Prozesses: Dadurch, dass die ISO 56002 hier anlassbezogen angewandt wurde und im Nachgang keine Ressourcen für eine verantwortliche Person zur kontinuierlichen Durchführung des Innovationsmanagementsystems vorhanden waren, blieb es hier bei dem projektbezogenen Einsatz der ISO 56002, was konträr zu seiner eigentlichen Ausrichtung steht, da sie ebenso wie z. B. die ISO 21 500 Projektmanagement oder ISO 9001 Qualitätsmanagement als kontinuierliche Handlungen in der Organisation eingesetzt werden soll. Fazit Die Fallstudie zeigt, dass die Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams, wie sie in wissenschaftlichen Einrichtungen häufig vorkommt, besondere Anforderungen an das Innovationsmanagement stellt. Die ISO 56002 hilft, diese Komplexität zu bewältigen, indem sie Strukturen zur Koordination schafft. Die erfolgreiche Anwendung von agilen Methoden wie OKR und Design Thinking unterstreicht die Relevanz von Flexibilität und schnellem Feedback in Innovationsprozessen. Agile Ansätze ermöglichen es, auch unter Zeitdruck schnelle Fortschritte zu erzielen. Die Durchführung einer detaillierten Stakeholder-Analyse verdeutlicht, wie wichtig es ist, alle relevanten Akteure frühzeitig einzubinden, um deren Bedürfnisse zu einzubinden und mögliche Konflikte zu vermeiden. Ein zentraler Punkt, der in Zukunft stärker berücksichtigt werden sollte, ist die Nachhaltigkeit der Innovationsprozesse. Ohne langfristige Ressourcen und eine feste Innovationsmanagementrolle besteht die Gefahr, dass positive Entwicklungen verpuffen. Der kontinuierliche Einsatz der ISO 56002 erfordert eine verantwortliche Person für das Innovationsmanagementsystem. Hierzu kann ein Projekt, das als initialer Treiber und Startpunkt fungiert, sinnvoll sein, da es den notwendigen „Einsatzdruck“ mit sich bringt. Bei der Initialzündung ist die Unterstützung durch eine extern beratene Person sinnvoll. Die Einbindung externer Expertise hat sich bei der Fallstudie als wertvoll erwiesen, um methodische Kompetenz und Objektivität in den Innovationsprozess zu bringen. Diese sollte neben einem breiten Methodenwissen vor allem kommunikative Fähigkeiten i. S. v. empathischer, kooperativer Leitungskompetenz mitbringen. Das gilt ebenso für den*die hausinterne*n Innovationsmanager*in. Für Unternehmen stellt sich also die Frage nach Ressourcen für das Schaffen einer Stelle „Innovationsmanager*in“, was in Hinblick auf den immer stärker werdenden Innovationsdruck sehr zu befürworten ist. Des Weiteren stellt sich die Frage nach der „Readyness“ von Unternehmen für die Implementierung eines Innovationsmanagementsystems. Die ISO 56002 bietet einen strukturierten Leitfaden und kann Innovationsmanager*innen dabei unterstützen, aufeinander abgestimmte Handlungen im Unternehmen zu forcieren, die das Ziel haben, fortwährende Innovationen hervorzubringen. Das kann aber nur der Fall sein, wenn bestimmte Voraussetzungen geschaffen werden, der*die Innovationsmanager*in Handlungs- und Entscheidungskompetenzen eingeräumt werden, die wiederum stark mit den bürokratischen Prozessen und der Vertrauenskultur in Zusammenhang stehen. Letztere steht und fällt mit dem gelebten Führungsstil, der Innovationsvorhaben in allen Dimensionen unterstützt [e]. Endnoten [a] https: / / xn--kreativittstechniken-jzb.info/ ideen-generieren/ walt-disney-methode/ [b] https: / / www.designabetterbusiness.tools/ tools/ value-proposition-canvas [c] siehe https: / / www.strategyzer.com/ library/ the-businessmodel-canvas [d] https: / / www.innodiz.com/ [e] vgl. ISO 56002 Literatur [1] Hyland, J., Karlsson, M., (2021). Towards a Management System Standard for Innovation- Letter from Standardization,Journal of Innovation Management, www.open-jim. org, 9(1), XI-XIX. [2] ISO. 2019. ISO 56002: 2019 Innovation management—Innovation management system—Guidance. International Organization [3] Kihlander, Ingrid; Magnusson, Mats; Karlsson, Magnus (2024): Critical Factors to Consider When Designing an Innovation Management System. In: Research-Technology Management 67 (3), S. 34-43. DOI: 10.1080 / 08 956 3 08.2024.2 323 893. [4] Robbins, Peter; O'Connor, Gina Colarelli (2023): The professionalization of innovation management: Evolution and implications. In: J of Product Innov Manag 40 (5), S. 593-609. DOI: 10.1111 / jpim.12 670. [5] Tuczek, H., Flore, A., Nuhn, H. F. R., and Schaffitzel, N.: A systematic approach to agile management and self-organization for a sustainable transformation of organizations. In: Ronggui, D; Wagner, R; Bodea, C. N. (Eds.) (2021): Research on Project, Programme and Portfolio Management. Projects as Arena for Self-organizing. London: Springer, 2021. [6] Weber, Sabrina & Reischl, Annika & Fischer, Stephan & Lang-Koetz, Claus. (2023). Kompetenzen für das Innovationsmanagement. Ergebnisse und Erfahrungen aus KMU. 10.1007 / 978-3-662-66992-1_7. Eingangsabbildung: © iStock.com / Korrawin Wissen | Innovationsmanagement nach ISO 56 002 62 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0091 Catharina Würdemann Dr. phil. Catharina Würdemann ist seit März 2019 am OFFIS tätig: Zunächst als Koordinatorin des Zukunftslabors Energie und seit Oktober 2021 als Gesamtkoordinatorin im Zentrum für digitale Innovationen Niedersachsen. Sie hat 10 Jahre Erfahrung in Projekten im Marketing, sowohl in der freien Wirtschaft, als auch im wissenschaftlichen Kontext. Zertifizierte Innovationsmanagerin nach ISO 56001 und 56002. Changemanagerin sowie diverse Weiterbildungen im Bereich Coaching und Kommunikation. OFFIS-- Institut für Informatik Escherweg 2 26 121 Oldenburg eMail: catharina.wuerdemann@offis.de Agnetha Flore Dr.-Ing. Agnetha Flore ist seit April 2020 im Zentrum für digitale Innovationen Niedersachsen tätig und hat dort im Oktober 2021 die Geschäftsführung übernommen; studierte Diplom-Kauffrau und promovierte Wirtschaftsinformatikerin; über 20 Jahre Tätigkeit in der Finanzdienstleistungsbranche; 2017 Zertifizierte Projektmanagerin (GPM); 2019 Zusatzzertifikat Hybrid+; 2019 bis 2022 Dozentin IBS Oldenburg für agiles Projektmanagement, seit 2023 Tutorin für Projektmanagement an der Wilhelm Büchner Hochschule, 2019 GPM Fachgruppe Agiles Management und seit 2021 mit in der Fachgruppenleitung tätig. Zentrum für digitale Innovationen Niedersachsen c / o OFFIS-- Institut für Informatik Escherweg 2 26 121 Oldenburg eMail: agnetha.flore@zdin.de ORCID: https: / / orcid.org / 0000-0003-1186 - 2741 63 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0092 Ergebnisse der Studie Projektportfolio Sustainability Monitor 2024: Status Quo von Nachhaltigkeit als Kriterium im Projektportfoliomanagement deutscher Unternehmen Timm Eichenberg, Martina Peuser, Micha Wolf Für eilige Leser | Die Studie untersucht den Status quo der Berücksichtigung von Nachhaltigkeit als Kriterium im Projektportfoliomanagement deutscher Unternehmen. Im Fokus steht dabei insbesondere die Integration der UN Sustainable Development Goals (SDGs). Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen, dass die Integration von Nachhaltigkeit in das Projektportfoliomanagement in deutschen Unternehmen zwar Fortschritte macht, grundsätzlich aber die „klassischen“ ökonomischen Kriterien zur Projektselektion und -priorisierung weiterhin dominieren. Die SDGs werden derzeit in 40 % der Unternehmen als Kriterien im Projektportfoliomanagement verwendet und dort, wo sie verwendet werden, gelten sie oft als sehr wichtige Selektionskriterien. Schlagwörter | Projektportfoliomanagement, Projektselektion, Projektpriorisierung, Nachhaltigkeit, Sustainable Development Goals 1. Einleitung Im Rahmen des Projektportfoliomanagements gilt es, die knappen Unternehmensressourcen auf eine Vielzahl von Projektideen bzw. -vorschlägen zu verteilen und so eine Selektion von Projekten vorzunehmen. Die Projektselektion erfolgt im Regelfall kriteriengestützt. Der Begriff Nachhaltigkeit, ebenso wie die Begriffe der Corporate Social Responsibility (CSR) sowie die Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen (UN), genießen heutzutage eine große Aufmerksamkeit in der öffentlichen Wahrnehmung und spielen auch bei der Integration in Unternehmensstrategien und damit für die Auswahl von Projekten in Unternehmen eine zunehmend stärkere Rolle. Aus diesem Grund wurde die Studie „Projektportfolio Sustainability Monitor“ von der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. initiiert. Die Studie untersucht, inwiefern Unternehmen eine Nachhaltigkeitsorientierung mittlerweile auch bei der Selektion und Priorisierung von Projekten im Rahmen eines Projektportfoliomanagements (PPM) zur Anwendung kommen lassen und- - falls dies der Fall ist- - inwiefern dies auf den SDGs beruht. Ebenfalls wird aufgezeigt, wie sich dies im Detail ausgestaltet und welche allgemeinen Tendenzen aber auch Unterschiede es in der Unternehmenslandschaft gibt. Für die Studie wurden 224 Unternehmensvertreter verschiedener Branchen befragt. Dieser Beitrag gibt einige zentrale Ergebnisse wieder, ein vollständiger und wesentlich ausführlicher Ergebnisbericht findet sich in Projektportfolio Sustainability Monitor 2024- - Studie in der deutschen Unternehmenspraxis mit Fokus auf die UN Sustainable Development Goals (Erschienen 10 / 2024 im UVK-Verlag). 2. Studiendesign Als konzeptioneller Rahmen und Basis der Fragebogenentwicklung wurde zunächst eine theoretische Grundlage er- Wissen | Ergebnisse der Studie Projektportfolio Sustainability Monitor 2024 64 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0092 arbeitet. Neben den Erkenntnissen aus einer Literaturrecherche sind vor allem auch die Inhalte des Rahmenwerkes der GPM „Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM4)“ und der IPMA ICB 4.0 berücksichtigt worden. Der vollständige Fragebogen sowie dessen theoretische Fundierung kann in der Gesamtveröffentlichung der Studie nachgeschlagen werden. Die Befragung erfolgte im Zeitraum Mitte Dezember 2023 bis Ende Februar 2024 als passiv rekrutierte Online-Befragung, da keine „Liste“ der zu befragenden Grundgesamtheit existiert. Die Angabe der Position wurde doppelt, d. h. zunächst am Anfang und dann erneut am Ende des Fragebogens abgefragt und diente somit als Filterfrage und zur Konsistenzprüfung. Nach Abschluss der Datenerhebung wurden die Daten für die Auswertung zunächst einer Aufbereitung und Bereinigung nach definierten Kriterien unterzogen. Der finale Datensatz umfasste schließlich n-= 224 Befragte. 3. Strukturmerkmale der Stichprobe Die Zusammensetzung der Stichprobe wurde im Vergleich zu den nationalen Arbeitsmarktstatistiken des Statistischen Bundesamtes von 2023 untersucht (vgl. Statistisches Bundesamt, 2024). Dabei zeigt sich, dass Vertreter aus dem produzierenden Gewerbe, den Finanz- und Versicherungsdienstleistern sowie aus der Informations- und Kommunikationsbranche überrepräsentiert sind. Im Gegensatz dazu sind Sektoren wie der öffentliche Dienst, Erziehung, Gesundheit, Handel, Verkehr und Gastgewerbe unterrepräsentiert. Dies deutet darauf hin, dass in den überrepräsentierten Branchen ein professionelleres Projektmanagement und Projektportfoliomanagement vorherrscht. Unternehmensdienstleister und Baugewerbe sind in der vorliegenden Studie in etwa ihres Anteils gemäß den Angaben des Statistischen Bundesamts vertreten. Hinsichtlich der Unternehmensgröße lässt sich erkennen, dass knapp die Hälfte der Befragten aus Großunternehmen stammt, was den höheren Reifegrad und die Verbreitung von Projektmanagementmethoden in größeren Unternehmen widerspiegelt. Von den 224 befragten Unternehmensvertretern gehören etwa 57 % den Managementebenen an, darunter Geschäftsführung und Bereichs-/ Abteilungsleitung. Projektleiter bilden mit etwa 27 % die drittstärkste Gruppe. Die Zusammensetzung der Stichprobe und die Erkenntnisse sind mit der GPM-Studie „Projektifizierung 2.0“ vergleichbar (vgl. GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement (2023)). 4. Ausgewählte Studienergebnisse Bewertungskriterien und ihre Bedeutung bei der Selektion von Projektideen und Projektanträgen im Rahmen des Projektportfoliomanagements Bei der Bewertung von Projektideen und Projektanträgen wurde zunächst abgefragt, welche verschiedene Kriterien bei Entscheidungen im Projektportfoliomanagement eine Rolle spielen könnten. Es erfolgt eine Betrachtung der durchschnittlichen Werte der jeweiligen Kriterien auf der Skala von 1-= „überhaupt nicht wichtig“ bis 5-= „entscheidend“. Insgesamt zeigen diese Ergebnisse, dass Unternehmen eine mehrdimensionale Herangehensweise bei der Bewertung von Projektvorschlägen verfolgen, wobei bestimmte Kriterien wie strategische Bedeutung und finanzielle Kriterien eine dominierende Rolle spielen (siehe Abb. 1). Das Kriterium Nachhaltigkeit scheint trotz des niedrigen Mittelwerts dennoch eine grundsätzlich wichtige Rolle einzunehmen, da mehr als die Hälfte der Befragten eine hohe Bedeutung (gruppierte Antworten der Skalenwerte 5- = entscheidend und 4- = sehr wichtig) sehen und nur ein Fünftel eine geringe Bedeutung (gruppierte Antworten der Skalenwerte 2-= nicht sehr wichtig und 1-= überhaupt nicht wichtig). Anteil an Projekten zur Umsetzung expliziter Nachhaltigkeitsziele des Unternehmens Die Ergebnisse aus den Antworten zur Implementierung von Nachhaltigkeitszielen in Projektportfolios ergab ein differenziertes Bild darüber, wie Nachhaltigkeit in den Projekten der Unternehmenspraxis verankert ist. Insgesamt zeigen die Ergebnisse ein breites Spektrum an die Herangehensweisen des Themas Nachhaltigkeit in Unternehmen durch Projekte. Nachhaltigkeitsziele werden zwar in den Projektportfolios integriert, jedoch legen nur sehr wenige Unternehmen einen klaren Schwerpunkt auf Projekte mit expliziten Nachhaltigkeitszielen (siehe Abb. 2). 3,3 3,4 3,5 3,6 3,8 3,9 3,9 3,9 4,1 4,3 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 4,5 Projektdauer Nachhaltigkeit Abhängigkeiten zu anderen Projekten Risiken Erforderliches Budget Erwartete Erlöse durch das Projektergebnis Zwänge/ Muss-Kriterien Erforderliche personelle Ressourcen Wirtschaftlichkeit Strategische Bedeutung Mittelwert WIE WICHTIG SIND DIE FOLGENDEN KRITERIEN ZUR BEWERTUNG VON PROJEKTIDEEN/ PROJEKTANTRÄGEN IM RAHMEN DES PROJEKTPORTFOLIOMANAGEMENTS? (1=überhaupt nicht wichtig - 5=entscheidend) Abbildung 1: Mittelwerte der Kriterien zur Selektion von Projektideen / Projektanträgen im Rahmen des Projektportfoliomanagements (n=137) Wissen | Ergebnisse der Studie Projektportfolio Sustainability Monitor 2024 65 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0092 Bedeutung von Nachhaltigkeit als Genehmigungskriterium für Projekte im Unternehmen Auf die Frage zur Bedeutung von Nachhaltigkeit als Genehmigungskriterium für Projekte in Unternehmen (siehe Abb. 3) geben 15,2 % der Befragten an, dass Nachhaltigkeit diesbezüglich „überhaupt nicht wichtig“ ist. Weitere 21,4 % der Befragten antworten, dass Nachhaltigkeit in diesem Kontext „nicht sehr wichtig“ ist. Insgesamt wird deutlich, dass für etwas mehr als ein Drittel der Befragten (36,6 %) Nachhaltigkeit keine vorrangige Rolle bei der Entscheidung über Projektgenehmigungen spielt. Im Vergleich dazu sehen 30,8 % der Unternehmen Nachhaltigkeit als „einigermaßen wichtig“ an. Nachhaltigkeit scheint in diesen Unternehmen ein Faktor neben anderen Kriterien zu sein. Dies deutet auf eine ausgeglichene Anwendung von Kriterien hin, die ebenfalls wirtschaftliche und anderweitige Aspekte einbezieht. Ein weiteres Viertel der Befragten, 25,4 %, erachten Nachhaltigkeit als „sehr wichtig“ für die Genehmigung von Projekten im Unternehmen und 6,7 % der Unternehmen stufen Nachhaltigkeit als „entscheidend“ ein. Demnach stellt fast ein Drittel der Befragten (32,1 %) in ihrem Unternehmen Nachhaltigkeit ins Zentrum ihrer Projektbewertungs- und Genehmigungsprozesse. Zusammenfassend zeichnen die Ergebnisse eine annähernde Gleichverteilung der Prioritäten in Bezug auf Nachhaltigkeit bei Projektgenehmigungen ab: Jeweils etwa ein Drittel der Befragten berichtet, dass Nachhaltigkeit entweder ein untergeordnetes, ein gleichrangiges oder ein zentrales Kriterium bei der Genehmigung von Projekten darstellt. Bedeutung von Nachhaltigkeit als Kriterium, damit ein bereits genehmigtes Projekt im Vergleich zu anderen Projekten priorisiert behandelt wird Ein Viertel der Befragten, 26,3 %, betrachtet Nachhaltigkeit als „überhaupt nicht wichtig” bei der Entscheidung, welche genehmigten Projekte im Vergleich zu anderen bevorzugt behandelt werden sollen (siehe Abb. 3). Zusammen mit den 19,6 % der Befragten, die Nachhaltigkeit als „nicht sehr wichtig“ einstufen, zeigt dies, dass beinahe die Hälfte der Befragten dem Kriterium Nachhaltigkeit keinen entscheidenden Einfluss auf die Priorisierung von Projekten beimessen. Im Vergleich dazu sieht mehr als ein Viertel der Befragten (27,7 %) Nachhaltigkeit als „einigermaßen wichtig“ an. „Sehr wichtig“ finden Nachhaltigkeit 20,1 % der Befragten. Nur ein kleiner Anteil von 5,4 % der Befragten sieht Nachhaltigkeit als „entscheidend“ für die Priorisierung von Projekten. Die Befragten weisen dabei keine Unterschiede hinsichtlich der Unternehmensgröße oder der zugehörigen Branche auf. 12,5% 31,7% 27,7% 11,6% 9,8% 4,9% 1,8% 0,0% 5,0% 10,0% 15,0% 20,0% 25,0% 30,0% 35,0% Es gibt keine solchen Projekte Unter 10% aller Projekte 10% bis unter 25% aller Projekte 25% bis unter 50% aller Projekte 50% bis unter 75% aller Projekte 75% bis unter 100% Projekte Es gibt ausschließlich solche Projekte WIE HOCH IST DER ANTEIL AN PROJEKTEN, MIT DENEN EXPLIZIT NACHHALTIGKEITSZIELE DES UNTERNEHMENS UMGESETZT WERDEN SOLLEN? Abbildung 2: Anteil an Projekten mit expliziten Nachhaltigkeitszielen (n=224) 0% 20% 40% 60% 80% 100% Wie wichtig ist Nachhaltigkeit als Kriterium, damit ein Projekt in Ihrem Unternehmen genehmigt wird? (n = 223) Wie wichtig ist Nachhaltigkeit als Kriterium, damit ein bereits genehmigtes Projekt im Vergleich zu anderen Projekten priorisiert behandelt wird (z.B. bei der Zuordnung von Personal-, Sach- oder Finanzmitteln)? (n = 222) NACHHALTIGKEIT ALS KRITERIUM Überhaupt nicht wichtig Nicht sehr wichtig Einigermaßen wichtig Sehr wichtig Entscheidend Abbildung 3: Bedeutung von Nachhaltigkeit als Genehmigungskriterium für Projekte im Unternehmen Wissen | Ergebnisse der Studie Projektportfolio Sustainability Monitor 2024 66 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0092 Bedeutung der Sustainable Development Goals (SDGs) im Rahmen des Projektportfoliomanagements (PPM) als Kriterien zur Selektion von Projekten Die Frage danach, wie wichtig die SDGs im Rahmen des Projektportfoliomanagements als Selektionskriterien von Projekten im Unternehmen sind, wurde nur denjenigen Befragungsteilnehmern eingeblendet, welche zuvor die grundsätzliche Anwendung der SDGs im PPM bejaht hatten. Dies traf auf 40 % der Befragten zu. In Abbildung 4 ist erkennbar, dass nur eine sehr kleine Minderheit den SDGs eine geringe Bedeutung beimisst, obwohl diese ein verankertes Selektionskriterium darstellen. Ein größerer Anteil von 37,1 % der Antworten bewertet die SDGs als „einigermaßen wichtig“. „Sehr wichtig“ finden 38,2 % der Teilnehmer die SDGs. Insofern räumt eine relativ hohe Anzahl der Befragten den SDGs eine größere Bedeutung ein und integriert sie vermutlich als wesentliche Komponenten in ihre Projektbewertungsprozesse. Die Kategorie „äußerst wichtig“ umfasst 19,1 % der Antworten. D. h. fast ein Fünftel der Befragten gibt an, dass die SDGs als zentrale Kriterien bei der Auswahl und Priorisierung von Projekten im Unternehmen verwendet werden. Insgesamt zeigt sich damit, dass deutlich mehr als der Hälfte der Fälle, in denen SDGs grundsätzlich im Projektportfoliomanagement zur Anwendung kommen (57 %), die SDGs dann auch als „sehr“ oder „äußerst wichtige“ Selektionskriterien im Projektportfoliomanagement angesehen werden. Schwerpunkte in den SDGs von aktuell laufenden oder innerhalb der letzten 12 Monate abgeschlossenen Projekten Die Ergebnisse zur Beteiligung von Unternehmen an Projekten, die sich auf spezifische Sustainable Development Goals (SDGs) konzentrieren, zeigen, wie Nachhaltigkeitsziele schwerpunktmäßig in der Unternehmenspraxis umgesetzt werden. Dabei war es den Befragten möglich, mehrere Antworten zu vergeben. Abbildung 5 beinhaltet eine Gruppierung der SDG-Schwerpunkte nach sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Zielsetzungen: • Soziale Ziele: Diese Kategorie lässt das Bestreben von Unternehmen erkennen, soziale Gerechtigkeit, Bildung, Gesundheitsförderung und die Bekämpfung von Ungleichheit mittels ihrer Projekte zu fördern. • Wirtschaftliche Ziele: Diese Projekte sind auf das Wachstum und die Innovation in der Wirtschaft ausgerichtet sowie auf die Schaffung nachhaltiger urbaner Lebensräume und die Förderung verantwortungsvollen Konsums. • Ökologische Ziele: Unternehmen engagieren sich mit ihren Projekten ebenfalls für Umweltschutz, Energieeffizienz sowie für den Umgang mit den Herausforderungen des Klimawandels und des Erhalts natürlicher Ressourcen und Ökosysteme. • Eine weitere Kategorie bildet das SDG 17 (Partnerschaften zur Erreichung der Ziele). • 34 der Befragten geben an, dass ihre Projekte „in keinem“ der vorgegebenen SDGs einen Schwerpunkt haben. 5. Fazit Die ausgewählten Ergebnisse der Studie zeigen auf, dass Nachhaltigkeitsziele zwar in die Projektportfolios integriert werden, allerdings richten nur wenige Unternehmen den Fokus primär darauf. Bei der Genehmigung und Priorisierung von Projekten variiert die Bedeutung von Nachhaltigkeit stark. Etwa ein Viertel bis ein Drittel der Unternehmen betrachtet Nachhaltigkeit als entscheidend, während ein ähnlicher Anteil ihr keine wesentliche Rolle beimisst. Hinsichtlich der Verwendung der SDGs zeigt sich, dass sie von nur 40 % der Unternehmen bislang als Kriterien im Rahmen des PPM 17 34 33 5 1 WIE WICHTIG SIND DIE SUSTAINABLE DEVELOPMENT GOALS (SDGS) IM RAHMEN DES PROJEKTPORTFOLIOMANAGEMENTS (PPM) IN IHREM UNTERNEHMEN ALS KRITERIEN ZUR SELEKTION/ AUSWAHL VON PROJEKTEN? Äußerst wichtig Sehr wichtig Einigermaßen wichtig Nicht sehr wichtig Kann ich nicht sagen Abbildung 4: Bedeutung der Sustainable Development Goals (SDGs) im Rahmen des Projektportfoliomanagements (PPM) als Kriterien zur Selektion von Projekten (n=90) Wissen | Ergebnisse der Studie Projektportfolio Sustainability Monitor 2024 67 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0092 Soziale Ziele (n = 264) 73 Nennungen 56 Nennungen 49 Nennungen 36 Nennungen 25 Nennungen 15 Nennungen 10 Nennungen 93 Nennungen 63 Nennungen 47 Nennungen 46 Nennungen Wirtschaftliche Ziele (n = 249) Ökologische Ziele (n = 248) 95 Nennungen 43 Nennungen 21 Nennungen 12 Nennungen 77 Nennungen 46 Nennungen Abbildung 5: Gruppierte Schwerpunkte in SDGs von aktuell laufenden oder innerhalb der letzten 12 Monate abgeschlossenen Projekten (Mehrfachnennungen möglich; in Anlehnung an Kaminski-Nissen/ Bongwald, 2022) Prof. Dr. Timm Eichenberg Prof. Dr. Timm Eichenberg ist Professor für Personal- und Projektmanagement an der Hochschule Weserbergland in Hameln. Zuvor war er in der Personalentwicklung eines Energiekonzerns und als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Unternehmensführung und Organisation der Leibniz Universität Hannover tätig. Prof. Dr. Martina Peuser Prof. Dr. Martina Peuser ist Professorin für allgemeine BWL, insbesondere Projektmanagement und Organisation sowie Unternehmensberaterin. Seit 20 Jahren liegt ihr Schwerpunkt in Organisationsstrategien und -kulturen zur Steigerung der Unternehmensperformance. In ihrem Podcast „Business Performance“ diskutiert sie mit Geschäftsführenden, Führungskräften und Fachexperten über innovative Ansätze in Agilität, Führung und Organisationsentwicklung, um die Leistungsfähigkeit von Unternehmen zu steigern. Micha Wolf Micha Wolf ist Werkstudent bei der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. und arbeitet dort insbesondere als wissenschaftliche Projektassistenz für den „Projektportfolio Sustainability Monitor“. Er studiert angewandte Sozialwissenschaften im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Hochschule Darmstadt. verwendet werden. Wenn die SDGs jedoch verwendet werden, dann häufig als wichtige oder äußerst wichtige Selektionskriterien. Weitere Studienergebnisse finden sich im vollständigen Ergebnisbericht. Veröffentlichung: GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement/ Timm Eichenberg, Martina Peuser (2024): Projektportfolio Sustainability Monitor 2024- - Studie in der deutschen Unternehmenspraxis mit Fokus auf die UN Sustainable Development Goals, UVK. Literatur GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement (Hrsg.) (2019): Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM4): Handbuch für Praxis und Weiterbildung im Projektmanagement-- Band 1. GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement (2023): Projektifizierung 2.0: Zweite Makroökonomische Vermessung der Projekttätigkeit in Deutschland. GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement (2017): Individual Competence Baseline für Projektmanagement Version 4.0 https: / / www.gpm-ipma.de/ fileadmin/ user_upload/ Wissen/ standard-icb4-projektmanagement-deutsch. pdf, Zugriff am 31. 07. 2024. Kaminski-Nissen, M./ Bongwald, S. (2022): Mit den Sustainable Development Goals nachhaltiges Handeln in Unternehmen positionieren und gestalten; in: Schwager, B. (Hrsg.): CSR und Nachhaltigkeitsstandards: Normung und Standards im Nachhaltigkeitskontext, Springer 2022, S. 57-82. Eingangsabbildung: © iStock.com / Petmal Für GPM-Mitglieder kostenlos abrufbar unter: https: / / elibrary.projektmanagement.digital/ book/ 10.24053/ 9783381130627 68 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0093 Der 1. PM-Summit Rhein-Ruhr fand am 06. 09. 2024 im O- Werk im Innovationsquartier „Mark 51°7“ in Bochum statt und widmete sich der zentralen Rolle des Projektmanagements bei der Bewältigung des Strukturwandels. Unter dem Motto „Der Strukturwandel ist ohne Projektmanagement nicht zu bewältigen“ versammelten sich rund 80 Entscheider und Projektverantwortliche aus verschiedenen Branchen, um über die Herausforderungen und Erfolgsfaktoren im Strukturwandel zu diskutieren. Die Veranstaltung wurde von den GPM-Regionen Dortmund / Ruhrgebiet, Siegen / Lippstadt und Düsseldorf / Rhein- Ruhr in enger Zusammenarbeit und abteilungsübergreifend mit der Hauptgeschäftsstelle organisiert. Sie bot eine Plattform für den Austausch von Wissen und Erfahrungen. Neben den Referierenden brachten auch Präsident Prof. Dr. Peter Thuy, die PM-Expertinnen, die Young Crew und ein Vertreter der Trainer ihre Kompetenz mit in die Veranstaltung ein. In seiner Eröffnungsrede betonte Prof. Dr. Peter Thuy die unverzichtbare Rolle des Projektmanagements im strukturellen Wandel. „Der Strukturwandel ist ein unvermeidbarer Bestandteil der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung“, so Thuy. „Projektmanagement ist entscheidend für die erfolgreiche Planung und Umsetzung dieses Wandels. Die Kombination aus Systematik, Risikomanagement und effektivem Stakeholder-Management ist essenziell für den Erfolg“, fügte er hinzu. Thuy erläuterte die verschiedenen Treiber des strukturellen Wandels, darunter demografische Veränderungen, technologische Innovationen, Globalisierung und Klimawandel. „Die Welt verändert sich schnell. Stillstand bedeutet Rückschritt. Wir müssen die Gestaltungsspielräume nutzen, die uns der Wandel bietet“, erklärte Thuy und unterstrich die Notwendigkeit, proaktiv und flexibel auf neue Herausforderungen zu reagieren. Das Beispiel des ehemaligen Opel-Werks in Bochum, das heute als „Mark 51°7“ bekannt ist, ist eine Erfolgsgeschichte des Strukturwandels. Seit dem Ende der Opel-Produktion im Dezember 2014 haben sich die Bochumer intensiv mit der Umgestaltung des 70 Hektar großen Geländes beschäftigt. Die Herausforderungen waren groß, aber die Stadt Bochum hat sich durch innovative Ideen und eine klare Strategie neu positioniert. Der Strukturwandel hat der Stadt neue Perspektiven eröffnet und führt zu erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Vorteilen. In der Keynote von Denise Wäscher, Referentin der Geschäftsführung bei der Bochum Perspektive GmbH sowie Dominik Kluba, Referent für Strategieprojekte im Büro des Oberbürgermeisters der Stadt Bochum, wurde die Bedeutung der professionellen Strukturierung und Positionierung des Projekts hervorgehoben. Der erfolgreiche Aufbau der Bochum Perspektive GmbH und die enge Anbindung an das Büro des Oberbürgermeisters erwiesen sich als Schlüsselfaktoren für die erfolgreiche Umsetzung. Die frühzeitige Planung und die Einbindung aller relevanten Stakeholder spielten eine zentrale Rolle, ebenso wie die transparente Vergabe und das effiziente Fördermittelmanagement. Der PM-Summit bot den Teilnehmern nicht nur tiefgreifende Einblicke in das Projektmanagement, sondern auch eine Plattform für praxisnahe Diskussionen. Insgesamt acht Sessions behandelten aktuelle Themen wie Künstliche Intelligenz, IT-Security, Nachhaltigkeit und Umgang mit Komplexität. Eine ausführliche Beschreibung der Vorträge ist in einem Beitrag auf dem Blog der GPM nachzulesen. Die Veranstaltung endete mit einer Exkursion zum DHL-Frachtzentrum, und einer Gesprächsrunde mit dem Sternekoch Alexander Dressel. Die Veranstaltung zeigte eindrucksvoll, wie durch effektives Projektmanagement der Strukturwandel erfolgreich gestaltet werden kann. Der Summit bot wertvolle Impulse für die Projektmanagement-Community und ist weiter ein Leuchtturmprojekt, welches die Breitenwirkung der Zusammenarbeit von Ehren- und Hauptamt in der GPM zeigt. Eingangsabbildung: © Stephan Muennich Eröffnungsrede: Prof. Dr. Peter Thuy (Foto: Stephan Muennich) 1. PM-Summit Rhein-Ruhr-- Wandel durch Projektmanagement gestalten 69 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0094 Sebastian Wieschowski Am 7. und 8. November 2024 versammelte sich die Projektmanagement-Community virtuell zum PM Forum Digital, einem der wichtigsten Online-Events für Projektmanagement-Expertise. Mit einem vielfältigen Programm aus Keynotes, Fachvorträgen und interaktiven Sessions bot das Forum praxisnahe Impulse und exklusive Einblicke, die für alle Teilnehmenden unabhängig von ihrem individuellen Erfahrungsschatz bereichernd waren. In ihrer Begrüßung gingen Moderator Ralf Schmitt und GPM- Präsident Prof. Dr. Peter Thuy auf zwei Ereignisse ein, die kurz vor dem PM Forum Digital die tagespolitische Agenda bestimmten- - die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und der Bruch der Ampel-Koalition in Berlin. Prof. Dr. Peter Thuy verglich die aktuellen politischen Herausforderungen mit einem Projekt: „Es gab einen Projektplan, einen Koalitionsplan und den Wunsch nach Veränderung. Doch der Scope ist verrutscht, besonders durch den Ukraine-Krieg, und es ist nicht gelungen, einen neuen Scope aufzubauen.“ Thuy erklärte, dass die ursprünglichen Ziele durch unvorhergesehene Umstände beeinflusst wurden: „Gemeinsame Planungen sind empfindlich getrübt worden, und am Ende ist es manchmal besser, so ein Projekt zu beenden,“ fügte er hinzu und hob die Herausforderungen hervor, die entstehen, wenn sich Rahmenbedingungen in Projekten grundlegend ändern. Rückblick und Ausblick GPM-Präsident Prof. Dr. Peter Thuy sprach in seiner Begrüßung außerdem über das vergangene PM Forum live in Hamburg, das mit über 450 Teilnehmenden eine positive Resonanz erhielt und für seine inspirierende Atmosphäre und starken Beiträge gelobt wurde. Mit einem Blick auf das kommende Jahr kündigte er an, dass das PM Forum eine Pause einlegen werde, da der IPMA World Congress vom 17. bis 19. September 2025 in Berlin stattfinden wird. Dieser Kongress wird größer und internationaler ausgerichtet sein, wobei das Organisationsteam dennoch den besonderen Spirit des PM Forum beibehalten möchte. Abschließend gab Thuy einen kurzen Rückblick auf den PM Salon, der einen Tag zuvor in Berlin stattfand und sich mit Projektmanagement in der Filmbranche befasste- - eine passende Überleitung zum Keynote-Speaker des PM Forum Digital. Hollywood in Hamburg: Wie unterstützt Projektmanagement einen Kino-Erfolg? Erfolgsregisseur und Golden Globe Gewinner Fatih Akin beschrieb in seinem Auftakt-Vortrag auf dem PM Forum Digital die vielschichtige Rolle von Filmschaffenden, die nicht nur in der Regie, sondern auch beim Drehbuchschreiben und Produzieren tätig sind. Diese umfassende Verantwortung verlangt eine Mischung aus Kreativität und handwerklicher Präzision, wobei Akin betonte, dass Filmemacherinnen und Filmemacher vor allem künstlerisch tätig seien. Der Ausgangspunkt seiner Filmprojekte sei oft eine Beobachtung, ein Buch oder ein Gefühl, das zuerst in ihm aufsteige- - keine Bilder, sondern ein inneres Empfinden, das die Grundlage für seine Vision bildet. Sobald eine Idee Form annimmt, zeigt er sie einem kleinen Team von langjährigen Produzentinnen und Produzenten, um gemeinsam die Realisierbarkeit und Finanzierungswege zu prüfen. Er spricht von einem intimen und poetischen Prozess beim Schreiben des Drehbuchs, der die Basis für das Projekt legt und so detailliert ausgearbeitet ist, dass es den unterschiedlichen Gewerken als zentrale Orientierung dient. Die Strukturierung und Umsetzung des Films erfolgt dann in klaren Phasen, unterstützt von einem detaillierten Storyboard, das nicht nur die Drehorte und digitalen Elemente festlegt, sondern auch als wesentliches Kommunikations- und Projektmanagement-Element dient. Der Drehplan ist hierbei zentral, indem er genau festlegt, wann und wo Szenen gedreht werden, sowie konkrete Tagespläne („Dispo“), die detailliert alle Beteiligten, Requisiten und logistischen Aspekte organisieren-- bis hin zur Frage, welche Fahrerinnen und Fahrer zu welcher Uhrzeit welche Personen abholen. Akin betonte, dass er versucht, so viel wie möglich im Vorfeld zu planen und die richtigen Fachkräfte an einem Ort zu versammeln, um eine reibungslose Umsetzung zu gewährleisten. Während der gesamten Dreharbeiten bleibt er rund um die Uhr erreichbar, um auf spontane Herausforderungen oder Anpassungen reagieren zu können. Im Anschluss an den Dreh folgt die Postproduktion, bei der vieles digital realisiert wird, häufig an anderen Standorten und durch Teams, die er persönlich kaum trifft. Er verglich die Filmproduktion mit einer Sanduhr, in der die Planungsphase Großes Kino: Rückblick auf das PM Forum Digital 2024 Berichte aus der GPM | Rückblick auf das PM Forum Digital 2024 70 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0094 wie das Sammeln von Sand über dem Nadelöhr ist- - sobald alle Vorbereitungen abgeschlossen sind, wird das Nadelöhr freigegeben und der Dreh beginnt. In der Postproduktion „fällt der Sand nach unten“, wo die Arbeit an Bild- und Tonschnitt erfolgt und das Werk vollendet wird. Für Akin ist das Gefühl, das er zu Beginn eines Projekts hatte, in gewisser Weise wie ein Projektplan, das ihn durch den gesamten Prozess leitet. Wenn Probleme im Team auftreten, ist ihm eine direkte und rasche Klärung mit allen Beteiligten wichtig. Sechs Themenstreams, 30 Fachvorträge Die Keynote von Fatih Akin war einer der Höhepunkte des zweitägigen Programms. Neben Akin begeisterten Prof. Dr. Silke Schönert, Dr. Maximilian Lude und Roger Basler de Roca das Publikum mit ihren Einblicken in strategisches Projektmarketing, nachhaltige Innovationen und KI-Anwendungen in Projekten. Silke Schönert, Gründerin des Instituts für Projektmanagement-Exzellenz, erläuterte, wie Projektmarketing risikoreichen Projekten den Weg ebnet. Ob es das gesetzte Ziel sei, Mitarbeitende zu gewinnen, potenzielle Geldgebende anzuziehen oder die Öffentlichkeit zu informieren-- systematisches Projektmarketing adressiere verschiedene Zielgruppen mit spezifischen Botschaften, schaffe Vertrauen und gewinne Stakeholder, so Schönert. Der Schweizer KI-Experte Roger Basler de Roca beleuchtete, wie Künstliche Intelligenz das Projektmanagement und die Rolle der Mitarbeitenden transformiert. Der Einsatz von KI für routinemäßige Aufgaben in Marketing, Kommunikation und Social Media-Management steigert nach seiner Einschätzung die Effizienz und Produktivität auf ein neues Niveau. Automatisierte Prozesse und datengestützte Entscheidungshilfen revolutionieren die Arbeit. Das Forum überzeugte durch seine thematische Bandbreite. In sechs Themenstreams und 30 Fachvorträgen wurden Themen wie agiles Projektmanagement, Prozessoptimierung durch Digitalisierung und strategische Herausforderungen wie Nachhaltigkeit behandelt. Besonders erfreulich war die Einbindung regionaler Projekterfahrungen, die Best-Practice- Beispiele aus Hamburg und der D-A-CH-Region präsentierten. So entstand eine wertvolle Plattform für den Austausch von Wissen und neuen Perspektiven. Ausblick auf den IPMA World Congress: Die Projektmanagement-Community trifft sich in der Hauptstadt Vom 17. bis 19. September 2025 trifft sich die internationale Projektmanagement-Community in Berlin zum IPMA World Congress, dem bedeutendsten globalen Event für Projektmanagement-Profis. Unter dem Motto „Shaping the Future with Project Management“ beleuchten Keynotes, Fachvorträge, Praxisbeispiele, Fallstudien und wissenschaftliche Beiträge die zentrale Rolle von Projekten und Projektmanagement bei der Bewältigung globaler Herausforderungen. Die Veranstaltung steht zudem im Zeichen des 60-jährigen Jubiläums der International Project Management Association (IPMA). Deutsche und englische Beiträge für den IPMA World Congress werden bis zum 28. Februar 2025 entgegengenommen und von einem internationalen Programmkomitee begutachtet. Während sich der „Call for Papers“ an wissenschaftliche oder forschungsbasierte Beiträge richtet, ist der „Call for Presentations“ breiter gefasst und ideal für praxisorientierte Beiträge, Erfahrungsberichte oder anwendungsbezogene Vorträge. Bereits jetzt ist eine Ticketbestellung für Frühbucher möglich. Noch bis zum 25. Juni 2025 sind Early-Bird-Tickets mit einem Preisnachlass von rund 10 Prozent erhältlich - solange der Vorrat reicht. Mitglieder der GPM oder IPMA erhalten einen zusätzlichen Rabatt von rund 15 Prozent für das Kongressticket. Ständig aktualisierte Informationen rund um den IPMA World Congress, die Einreichung von Beiträgen und die Ticketbuchung finden Sie unter https: / / www.worldcongress-ipma.com/ . 71 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0095 Warum Kennzahlen doch Sinn machen können Effizienz und Effektivität in der öffentlichen Verwaltung Guido Bacharach, Renè Mittelstädt Für eilige Leser | Dieser Artikel beruht auf einem Vortrag, der auf dem 07. Creative Bureaucracy Festival als GPM Slot gehalten wurde. Er beleuchtet, wie die Metrik QT / OE die Leistung von Behörden verbessern kann, indem sie Durchsatz und Qualität misst und die operativen Kosten berücksichtigt. Schlagwörter | Effizienz, Effektivität, öffentliche Verwaltung, QT / OE, Theory of Constraints, Behördenoptimierung 1. Einleitung 1.1 GPM und das 7. Creative Bureaucracy Festival Am 13. 06. 2024 fand die siebte Ausgabe des Creative Bureaucracy Festivals statt- - mit der GPM als Programmpartnerin. Umrahmt von einer pulsierenden Location inmitten Berlin Kreuzbergs mit Foodtrucks und Live-Bands kamen über 1.000 Teilnehmende aus 40 Ländern zusammen. Alle hatten sie ein gemeinsames Ziel- - das Einholen frischer Impulse durch die Präsentation von Ideen, Best Practices und Konzepten für eine kreative Verwaltung. Als langjährige Partnerin des Creative Bureaucracy Festivals beteiligte sich die GPM auch bei der diesjährigen Ausgabe erneut mit einem Impuls. Der Impuls drehte sich um das Thema „Warum Kennzahlen doch Sinn machen können“. Der Sprecher Public Affairs, René Mittelstädt hielt den Impuls. Die Inhalte wurden durch Guido Bacharach aus der Fachgruppe Critical Chain Projektmanagement bereitgestellt. Im Folgenden die Inhalte des Impulses genauer beleuchten. 1.2 Problemstellung Die öffentliche Verwaltung spielt eine zentrale Rolle in der Gesellschaft. Ihre Effizienz und Effektivität sind entscheidend dafür, wie gut ein Staat funktioniert. Gut funktionierende Behörden tragen dazu bei, dass staatliche Strukturen effizient arbeiten, während ineffiziente Behörden zu einem teilweise dysfunktionalen Staat führen können. In diesem Artikel wird die Metrik QT / OE vorgestellt und analysiert, um die Leistung von Behörden zu messen und zu optimieren. 1.3 Relevanz des Themas Behörden sind öffentliche Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen, die ihnen durch materielle Gesetze zugewiesen sind. Sie gestalten unser staatliches Leben und schaffen durch ihre Aufgaben Mehrwert für die Gesellschaft. Eine im letzten Jahr veröffentlichte Forsa-Studie zeigt jedoch, dass nur noch 27 Prozent der Bürgerinnen und Bürger glauben, dass die deutsche Verwaltung ihre Aufgaben bewältigen kann [1][2]. Die Messung und Optimierung ihrer Leistung kann zur Verbesserung der staatlichen Strukturen beitragen. 2. Messbarkeit von Behördeneffektivität 2.1 Ziele und Fokus Die Idee zu diesem Artikel entstand in einer Diskussion in der GPM Fachgruppe „Critical Chain- - Fast Track for Multiple Projects“ [3]. Diese Gruppe befasst sich mit der Anwendung der Ideen der Theory of Constraints [4] auf das Projekt-, Programm- und Portfoliomanagement. In diesen Diskussionen kam immer wieder die Frage auf, auf welche Ziele Projekte und Programme gerade im öffentlichen Dienst fokussiert wer- Berichte aus der GPM | Effizienz unf Effektivität in der öffentlichen Verwaltung 72 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0095 den sollen, damit nicht nur die Projekte als solche, sondern auch in ihrer Wirkung auf die sie betreffenden Behörden erfolgreich werden. In der weiteren Diskussion gingen wir davon aus, dass Projekte genau dann für Behörden zielführend sein würden, wenn sie die Effektivität der Behörden (möglichst inklusive ihrer Effizienz) erhöhen würden. Die Effektivität von Behörden kann daran gemessen werden, wie gut sie ihre gesetzlich definierten Aufgaben erfüllen. Die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sowie die wesentlichen Arbeitsabläufe sind durch Gesetz, Verordnung, Erlass, Satzung oder Geschäftsordnung eindeutig und nachvollziehbar festgelegt (siehe z. B. [5]). Folglich sind die Ziele der Behörden durch diese Verschriftlichung weitgehend klar definiert und ihre Performance kann über den Grad der Zielerfüllung gemessen werden. 2.2 Durchsatz und Qualität Somit war der Ausgangspunkt weiterer Überlegungen, dass die oberste Priorität einer Behörde die Erfüllung ihrer Kernaufgaben, wie z. B. die Bearbeitung von Bürgeranträgen oder die Zulassung von Studierenden, sein sollte. Der Durchsatz (T) beschreibt die Anzahl der Durchläufe, mit der diese Kernaufgaben vollständig durchgeführt wurden. Dazu kommt die Qualität (Q) der Aufgabenerfüllung. Der daraus entstehende Qualitätsdurchsatz (QT- - „Qualität mal Durchsatz“) kombiniert beide Aspekte und kann durch Erhöhung des Durchsatzes oder durch Verbesserung der Qualität gesteigert werden. 2.3 Operationale Kosten Dagegen steht die Kosteneffizienz einer Behörde, die über die operativen Kosten (OE) gemessen wird. Diese operativen Kosten entstehen in den Behörden bei deren Aufgabenerfüllung durch QT. Es ist wichtig zu betonen, dass Effektivität immer vor Effizienz gehen sollte: Der Grad der Aufgabenerfüllung hat höhere Priorität als die Minimierung der operativen Kosten. 2.4 Metrik für die Behördenoptimierung: QT / OE Da Qualität und Durchsatz gesteigert und die operativen Kosten möglichst niedrig gehalten werden sollen, entsteht die Metrik QT / OE. Diese Metrik dient in erster Linie nicht dem Vergleich zwischen verschiedenen Behörden, sondern als Instrument, um das Wachstum einer Behörde in Effizienz und Effektivität über verschiedene Zeiträume zu messen. 2.5 Anwendung der Metrik QT / OE Das Verhältnis QT / OE ermöglicht einen praktischen Vergleich der Gesamtleistung einer Behörde zwischen verschiedenen Jahren und kann auch Zielvorgaben für zukünftige Jahre aufzeigen. Dr. Alan Barnard entwickelte dieses Verhältnis, basierend auf den Arbeiten von Eli Goldratt und Robert Fox, während seiner Beratertätigkeit bei Cisco Systems, Inc. im Jahr 2003. Diese Kennzahl zieht wesentliche Leistungsdaten in eine Gleichung, einschließlich Produktivität, Qualität und aller mit der Produktion verbundenen Kosten. Im US-Bundesstaat Utah wurde dieses Modell erfolgreich angewandt und zeigte über vier Jahre hinweg erhebliche Verbesserungen [6]. 2.6 Praxisbeispiele Bürgeranträge: Eine Behörde bearbeitet Anträge von Bürgern. Der Durchsatz (T) wäre hier die Anzahl bearbeiteter Anträge pro Zeiteinheit. Mögliche Maßnahmen zur Erhöhung des Durchsatzes könnten die Einstellung zusätzlicher Sachbearbeiter oder die Digitalisierung der Antragsbearbeitung sein. Die Qualität (Q) könnte durch Schulungen im Kundenverkehr oder durch barrierefreie und nutzerzentrierte Digitalisierung verbessert werden. Tabelle 1: „Mathematik“ einer Behörde Berichte aus der GPM | Effizienz unf Effektivität in der öffentlichen Verwaltung 73 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0095 Hochschulzulassung: Eine Behörde bearbeitet Bewerbungen für das Erststudium. Der Durchsatz (T) wäre die rechtssichere Bearbeitung und fristgerechte Zustellung von Zulassungen oder Ablehnungen. Maßnahmen zur Verbesserung könnten die Aufrüstung der IT-Infrastruktur oder eine bessere Konfiguration sein. Die Qualität (Q) könnte durch die digitalisierte Verarbeitung der Leistungsnachweise gesteigert werden. 2.7 Herausforderungen Obwohl die Metrik QT / OE eine effektive Methode zur Messung und Verbesserung der Behördenleistung darstellt, müssen mögliche Verzerrungen und unbeabsichtigte Folgen berücksichtigt werden. Beispielsweise können Kostenreduzierungen (OE) negative Auswirkungen auf die Qualität (Q) haben, wenn sie nicht sorgfältig umgesetzt werden. Auch Probleme wie Engpässe beim Personal oder Überlastung der IT werden durch die Metrik selbst nicht gelöst. Diese Engpässe müssen identifiziert und gemäß den Regeln der Theory of Constraints behandelt werden. Der hauptsächliche Mehrwert dieser Metrik besteht darin, dass sie hilft, die eigene Kernaufgabe zu fokussieren und zu überprüfen, ob sich die Behörde in die richtige Richtung bewegt oder nachjustiert werden muss. 3 Schlussfolgerung Die Metrik QT / OE bietet eine klare und praktische Möglichkeit, die Leistung von Behörden zu messen und zu verbessern. Durch die Fokussierung auf Durchsatz und Qualität, unter Berücksichtigung der operativen Kosten, können Behörden effizienter und effektiver arbeiten. Eine kontinuierliche Überwachung und Anpassung dieser Metrik können dazu beitragen, die öffentliche Verwaltung zu optimieren und somit einen positiven Einfluss auf die gesamte Gesellschaft zu haben. 4 Literatur [1] Forsa. (2023). dbb Bürgerbefragung Öffentlicher Dienst 2023. Der öffentliche Dienst aus Sicht der Bevölkerung. In: https: / / www.dbb.de / fileadmin / user_upload / globale_elemente / pdfs / 2023 / 230 815_dbb_Buergerbefragung_2023_final.pdf. Stand: 06. 07. 2024 [2] DBB (2023). Vertrauen in staatliche Handlungsfähigkeit auf Tiefpunkt- - Gewaltbereitschaft steigt. In: https: / / www.dbb.de / artikel / vertrauen-in-staatliche-handlungsfaehigkeit-auf-tiefpunkt-gewaltbereitschaft-steigt.html. Stand: 06. 07. 2024 [3] Critical Chain-- Fast Track for Multiple Projects. In: https: / / www.gpm-ipma.de / netzwerk / facharbeit / critical-chainfast-track-for-multiple-projects. Stand: 06. 07. 2024 [4] Theory of Constraints- - Wikipedia. In: https: / / de.wikipedia.org / wiki / Theory_of_Constraints. Stand: 06. 07. 2024 [5] Zielorientierung der Behörde. In: https: / / www. o r g h a n d b u c h . d e / We b s / O H B / D E / O r g a n i s a t i o n s h a n d b u c h N E U / 2 _ O r g a n i s a t i o n s m a n a g e ment / 2_4_Ressourcen / 2_4_4_Alternatives_Verfahren_ oberste_Bundesbehoerden / 2_4_4_2_Wesentliche_Ziele / 2_4_4_2_1_Zielorientierung / zielorientierung-node. html. Stand: 06. 07. 2024 [6] Mycue, A. and Schragenheim, E. Unique Features of Government and How Governance Could be Assisted by the Theory of Constraints. In: https: / / www.tocico. org / page / TOCBodyofKnowledgeUniqueFeaturesofGovernmentandHowGovernanceCouldbeAssisted. Stand: 06. 07. 2024 Eingangsabbildung: © iStock.com / Nuthawut Somsuk Guido Bacharach Guido Bacharach, hat langjährige Erfahrungen in internationalen Projektlandschaften, ist in der GPM Leiter der GPM Fachgruppe Critical Chain Projektmanagement und in mehreren nationalen und internationalen Projekten zur Digitalisierung und Optimierung der Verwaltung tätig. https: / / orcid.org / 0000-0002-7945 - 9118 René Mittelstädt René Mittelstädt leitet seit 2022 die Stabsstelle Public Affairs bei der GPM. Zuvor war er zehn Jahre im Parlamentswesen tätig. Er studierte Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Oldenburg, Bristol, Bremen und Mailand. 74 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0096 Buchbesprechung Radikal beteiligen, 30 Erfolgskriterien und Gedanken zur Vertiefung demokratischen Handelns Thor Möller Kristina Nauditt und Gerd Wermerskirch: EHP-Verlag Andreas Kohlhage, 2018, 167 Seiten; Abb.; ISBN: 978-3-89 797-102-8 Projektmanager sollten die Bedeutung von Stakeholdern kennen. Die Form und Intensität der Stakeholderbeteiligung können enorme Auswirkungen auf den Projekterfolg haben, positiv und negativ. Grundsätzlich kann ein solides Stakeholdermanagement durchaus als Erfolgsfaktor- - wenn nicht gar als Schlüsselerfolgsfaktor-- für Projekte gelten. Was in der Theorie aber so gut und plausibel klingt, wird in der Praxis dennoch oft vernachlässigt. Solides Stakeholdermanagement benötigt vor allem Kapazitäten und Zeit. Beides ist heutzutage Mangelware. Auch wenn nahezu jeder bestätigt, dass in den frühen Projektphasen investierte Kapazität und Zeit in Stakeholdermanagement in den späteren Projektphasen häufig mehrfach eingespart werden kann, wird das Stakeholdermanagement gerne „runtergespart“. Als ich das erste Mal von diesem Buch hörte und es dann in den Händen hielt, hatte ich große Erwartungen daran entwickelt. Und-- um es vorwegzusagen-- sie wurden größtenteils erfüllt. Meine Ideen und mein Wissen haben sich gefestigt und erweitert. Ich konnte viele Argumente, Gedanken und Methoden bestätigen und neue Informationen und Impulse erhalten. Dieses Buch informiert und gibt eine leidenschaftliche Argumentation für Basisdemokratie und umfassende Beteiligung, ohne dabei in irgendeiner Form dogmatisch zu sein. Eine gründliche Einführung zeigt die Bedeutung der demokratischen Beteiligung auf und verweist auf historische Entwicklungen von politischen Vorgehensweisen bei der Beteiligung. Darauf aufbauend beschreibt es Beteiligungsstufen, Netzwerke und Bündnisse sowie Skizzen zur Beteiligung mit konkreten Erfolgsbeispielen von radikaler Beteiligung. Auf dieser Basis stellt es 30 Erfolgsfaktoren vor. Sie sind in vier Bereiche unterteilt: interne und externe soziale Faktoren sowie interne und externe sachliche Faktoren. Ein umfangreiches Fazit fasst die Bedeutung radikaler Beteiligung nochmal zusammen. Im Anhang gibt das Buch einen Überblick über 26 Methoden und Konzepte zur Beteiligung. Das Buch ist damit sowohl eine Inspiration als auch Argumentationshilfe sowie ein Nachschlagewerk für Werkzeuge mitsamt Vorgehensbeschreibungen. Ich kann dieses Buch jedem Projektmanager empfehlen, denn „wir dürfen nicht Schlafwandler in einem erschlafften Europa sein“ (Emmanuel Macron, Staatspräsident Frankreich). Und was auf Staatsebene gilt, das gilt ebenso auf Unternehmens- und Projektebene. Dieses Buch kann uns allen dabei helfen in unseren Projekten fortschrittlicher zu arbeiten. Bei den im Titel angekündigten „30 Erfolgskriterien-…“ handelt es sich allerdings um Erfolgsfaktoren. Ein Erfolgskriterium ist eine Messgröße, um in der Definition bzw. Projektplanung Ziele vorzugeben und in der Umsetzung und beim Abschluss eines Projekts den Erfolgseintritt beurteilen zu können. Erfolgsfaktoren hingegen sind Maßnahmen, die den Erfolg steigern können. Eingangsabbildungen: © iStock.com / nicolamargaret 75 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0097 Buchbesprechung Projektmanagement Know-How für die Duale Karriere-- Leistungssport und Studium erfolgreich verbinden Steffen Scheurer Sandra Paruszewski. Hrsg.: Steffen Rietz; ISBN: 978-3- 95 935-626-8; disserta Verlag, Hamburg 2024 Um es gleich vorwegzunehmen: Hier liegt kein gewöhnliches Projektmanagementbuch vor. Weder geht es hier um die Beschreibung eines typischen Projekts noch um ein Lehrbuch, das uns die komplette Methodik des Projektmanagements näherbringt. Trotzdem lohnt es sich einen genaueren Blick auf das Buch zu werfen. Wieso? Das Buch passt sehr gut ins Jahr 2024: Ein Jahr, in dem in Deutschland die Handball-EM, die Fußball-EM und in Frankreich die Olympischen Sommerspiele stattgefunden haben. Natürlich haben alle diese Ereignisse viel mit Projektmanagement zu tun. Aber um die Projekte zur Organisation solcher Großereignisse geht es in diesem Buch nicht, sehr wohl aber um die Sportler, die wir bei diesen Events für Ihre Leistungen auf höchstem Niveau bestaunen. Eine dieser Sportlerinnen, Sandra Paruszewski, Olympiateilnehmerin in Paris 2024 und Ringerin zeigt in diesem Buch auf, wie es gelingen kann die Herausforderungen einer anspruchsvollen Ausbildung mit den Herausforderungen des Leistungssports im Spitzenbereich zu vereinbaren. Und jetzt wird es für Projektmanagementinteressierte interessant, zeigt sich doch, dass die Methodik des Projektmanagements und die Techniken, die uns als ProjektmanagerInnen vertraut sind auch in Bereichen, in denen wir nicht typischerweise von einem Projekt, oder sogar von Multiprojektmanagement sprechen würden, gewinnbringend zum Einsatz kommen können. Genau genommen wird es viele Bereiche im privaten Umfeld geben, in denen anspruchsvolle Aufgabenstellungen auf uns zukommen, die wir neben dem Beruf und familiären Verpflichtungen bewältigen müssen. Diese Aufgabenstellungen sind oftmals keine typischen Projekte mit allen Projektmerkmalen. Trotzdem kann es sich lohnen darüber nachzudenken, ob wir nicht Anleihen, bei dem uns bekannten „Methodenbaukasten“ des Projektmanagements machen können. Hierfür kann das Buch von Sandra Paruszewski Anregungen liefern. Die Autorin zeigt an ihrem eigenen Beispiel auf, wie der Einsatz von Projektmanagementkompetenzen dabei hilft ein Studium parallel zu einer Karriere im Spitzensport zu bewältigen. In diesem Zuge betrachtet sie verschiedene Kompetenzbereiche des Projektmanagements wie Zielbildung, Anforderungsmanagement, Ressourcenmanagement, Planung und Steuerung, Kosten- und Liquiditätsmanagement, Risikomanagement und Krisenmanagement sowie Stakeholdermanagement. Zudem geht Sie auf Fragestellungen wie Compliance und Kultur und Werte ein. Dass Projektmanagement in einem Umfeld mit multiplen Anforderungen zwischen Studium und Spitzensport sinnvoll angewendet werden kann, zeigt sich auch in den zusätzlichen Interviews, die die Autorin mit anderen Spitzensportlerinnen führt und über deren Ergebnisse sie in dem Buch berichtet. Als Fazit bleibt festzuhalten: Dies ist kein Buch, das sich mit der Weiterentwicklung des Projektmanagements oder seiner Methoden beschäftigt. Es ist jedoch ein Buch, das zeigt, dass Projektmanagement in vielen Umfeldern einen echten Nutzen generieren kann. Und dies sogar in Umfeldern, in denen dies nicht unbedingt zu erwarten ist. Insofern kann das Buch als Anregung verstanden werden einmal selbst darüber nachzudenken, wo sich im privaten Umfeld Projektmanagement gewinnbringend einsetzen lässt. 76 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0098 Kolumne Agentenaustausch mal ganz anders Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. Sein Spezialgebiet ist die Regulation sozialer Komplexität zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung von Projektteams. Anschrift: BASF SE, RGQ / IM, 67 056 Ludwigshafen, eMail: Jens.Koehler@basf.com Jens Köhler Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch-- Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben. Priesberg trifft Ehrlich vor dem Aufzug. „Eigentlich sollten wir die Treppe hochsteigen“, spricht Priesberg seinen Kollegen an. Ehrlich entgegnet: „Aufs Knöpfchen gedrückt ist allemal einfacher, als die vielen Stufen zu nehmen.“ Während sie auf den Aufzug warten, fängt Priesberg an zu reden: „In meinem Projekt fällt es einigen Leuten schwer, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die zu tun sind. Sie schieben wichtige Aufgaben vor sich her. Der gesamte Projekterfolg ist gefährdet.“ Der Aufzug kommt und beide steigen ein. Ehrlich antwortet: „Die beste Medizin zur Selbstüberlistung ist ein gutes Wissensmanagement im Projektteam.“ Priesberg entgegnet entsetzt: „Bitte? Wissensmanagement ist doch eine Zusatzaktivität und langweilig obendrein.“ „Wetten, dass nicht? “, widerspricht Ehrlich: „Wie wir uns selbst überlisten können, lässt sich mit dem sogenannten Direktoren-Agentenmodell [1] beschreiben. Einem Direktor, der das große Ziel im Blick hat, arbeiten verschiedene Agenten zu. Diese haben allerdings nur ihren eigenen beschränkten Horizont im Blick und der besteht aus der Maximierung des eigenen Gewinns, also der Lust.“ „So wie bei uns beiden“, fordert ihn Priesberg heraus. Beide haben den Aufzug verlassen, gehen am Ziel, einem Konferenzraum vorbei zu einer großen Dachterrasse. „Wenn es unser großes Ziel ist, Bewegungsmangel vorzubeugen, haben uns jetzt die Fortbewegungsagenten einen Strich durch die Rechnung gemacht und uns Aufzug fahren lassen. Das macht halt mehr Spaß, als mühselig Stufe um Stufe zu nehmen. Unsere Direktoren haben die Agenten wohl nicht im Griff.“ Ehrlich entgegnet: „Es geht nicht darum, die Agenten mit ‚Command and Control‘ zu steuern oder womöglich Ziele zu vereinbaren. Es geht vielmehr darum, die Agenten dorthin zu bewegen, wo sie ihren Lustgewinn maximieren und dem Direktor trotzdem nützlich sein können.“ Sie spüren die warme Herbstsonne und einen lauen Wind. Beide sind motiviert, auf der Dachterrasse ein paar Runden zu drehen. „Merkst Du was“, legt Ehrlich los: „Unser Sonnentank- Agent hat übernommen. Und dabei ganz automatisch das Ziel ‚Bewegung‘ unterstützt. Unsere Direktoren brauchten nur dafür sorgen, dass der Sonnentank-Agent schnell übernimmt.“ Sie drehen noch viele Runden und steuern etwas erschöpft den Konferenzraum an. „Und bevor der jeweilige Ausruh-Agent dafür sorgt, dass wir unsere Kalorien weiter im Schlaf verbrennen, möchte ich dich doch an dein Eingangsstatement erinnern: Was hat Wissensmanagement mit Selbstüberlistung zu tun? “ Ehrlich geht an das Whiteboard und zeichnet darauf drei Ebenen. „Das erste ist die Ziel-Ebene. Damit sollte jedes Projekt beginnen. Hier wird das Gesamtziel festgehalten, in einer einfachen Skizze oder einem Slogan. Das ist gleichbedeutend mit der Direktorenebene.“ Priesberg übernimmt: „Jetzt sehe ich den Zusammenhang“, er steht auf und nimmt Ehrlich den Stift aus der Hand: „Auf der Was-Ebene, der Ebene der Meilensteine und Komponenten, treffen sich die Agenten der Umsetzer wie auf dem Marktplatz und rangeln sich um die Einzelaufgaben, die auf der Wie-Ebene festgehalten werden.“ Ehrlich stimmt zu: „Genauso ist es. Und da die meisten Menschen Lieblingsthemen haben, an denen sie gerne werkeln, ohne vom ‚großen Ganzen‘ gestört zu werden, sollten wir sie doch gleich an dem arbeiten lassen, an dem sie am meisten Spaß haben und ihre Stärken einbringen können. Im Übrigen ist das genau der Kern des agilen Ansatzes.“ Priesberg überlegt: „Das Dreischichtmodell des Collective Mind [2] stellt also sicher, dass die Agenten im Sinne des Projektziels arbeiten….was ist mit den Menschen, die sich per se um die großen Zusammenhänge kümmern und die Details gerne außer Acht lassen? “ „Das ist doch einfach“, erläutert Ehrlich, „diese Sternengucker fühlen sich auf der Ziel-Ebene pudelwohl. Wir müssen nur sicherstellen, dass ihre Agenten nicht ständig neue Ziele anpeilen.“ „Das hört sich einfacher an, als es tatsächlich sein wird“, widerspricht Priesberg. Ehrlich schüttelt den Kopf: „Die Agenten der Sternengucker werden peinlich genau darauf achten, dass die Agenten der Umsetzer das Projektziel im Blick haben, sonst müsste ja ein neues Ziel mit dem Projektteam abgestimmt werden. Und das bedeutet Arbeit! “ „Agentenaustausch mal ganz anders-- durch die drei Ebenen sind die Agenten mit Spaß und Wissensaustausch an der Sache“, grinst Priesberg. [1] Rieck, C.: Anleitung zur Selbstüberlistung , Yes Publishing [2] Köhler, J.; Oswald A., Die Collective Mind Methode , Springer Eingangsabbildung: © iStock.com / Comeback Images 77 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0099 Aus den DACH-Verbänden | GPM intern Neue Firmenmitglieder stellen sich vor-… Firma Hauptgeschäftsgebiet PM-Aufgaben und -Bedeutung Erwartungen an die GPM AGVALIO GmbH www.agvalio.de Neil Schweden, neil.schweden@agvalio.de AGVALIO ist eine inhabergeführte unabhängige Management- und Technologieberatung, die sich auf die digitale Transformation im deutschen Mittelstand spezialisiert hat. Wir begleiten Unternehmen durch den gesamten Veränderungsprozess und entwickeln menschenzentrierte Strategien für nachhaltigen Erfolg. Projektmanagement ist eine zentrale Säule unserer Tätigkeit, insbesondere im Bereich der Digitalisierungsprojekte. AGVALIO übernimmt für seine Kunden sowohl das Coaching von Projektleitern wie auch das vollständige Management von Projekten, mit besonderem Fokus auf Change Management. Wir freuen uns auf den fachlichen Austausch sowie inspirierende Impulse in der GPM Community. Zudem sind Networking und Weiterbildung für uns sehr wertvolle Aspekte der Mitgliedschaft. provalida GmbH https: / / www.provalida.de Attila Mozes, attila.mozes(at)provalida.de, Die provalida GmbH ist ein Team aus vielen Experten für digitale Beziehungen (CRM und Marketing), digitale Prozesse (Service, IT und Projektportfolio) und digitale Transformation. Egal ob Development, Implementierung, Marketing, Vertrieb und Projektmanagement- - wir haben ein gemeinsames Ziel: Unsere Kunden mit unserem Digital Success Management mit ihren Projekten, Teams und Kunden zu verbinden. Wir erfüllen unsere Kundenprojekte mit der Expertise unserer zertifizierten Projektleiter, um die beste Qualität und Termintreue für unsere Auftraggeber zu erreichen. Unsere Erwartungen an die Mitgliedschaft sind, für unsere Projektleiter eine Quelle für ihre Weiterentwicklung und Perfektion zu erschließen. SANDRA STAMER Unternehmensberaterin www.sandra-stamer.de info@sandra-stamer.de Beratung & Projektmanagement Dipl.-Ökonomin Sandra Stamer begleitet als selbstständige Beraterin und Projektleiterin seit vielen Jahren (Digitalisierungs-) Projekte unter anderem im Kundenservice von Unternehmen unterschiedlichster Branchen. Gemeinsam mit meinem Team unterstütze ich Unternehmen, denen es an Zeit oder Expertise fehlt, um ein Projekt oder Change umzusetzen. Mit 25+ Jahren Erfahrung, u. a. als Führungskraft in kundennahen (IT)-Projekten, norddeutscher Gelassenheit und einem umfangreichen Praxis-Know-how bringe ich Sie sicher zum Ziel. Informieren über Trends im Projektmanagement, Ausbau des Netzwerks in ganz Deutschland, qualifizierte Weiterbildungsmöglichkeiten im Projektmanagement. Die GPM Fach- und Regionalgruppen Die derzeit 39 Regionalsowie 32 Fachgruppen der GPM bieten eine Plattform zum branchenübergreifenden Networking und Erfahrungsaustausch. Sie leisten damit wichtige fachliche Basisarbeit innerhalb des Vereins. Die Regional- und Fachgruppen bieten darüber hinaus ein breites Angebot von in der Regel kostenlosen Veranstaltungen zum Projektmanagement. Weitere Informationen und Ansprechpartner der einzelnen GPM Fach- und Regionalgruppen finden Sie auf der GPM Website unter: www.gpm-ipma.de / know_how / fachgruppen.html bzw. www.gpm-ipma.de / ueber_uns / regionen.html 78 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0100 Beim PM Salon der GPM in Berlin am 6. November 2024 widmeten sich Expert*innen der Verbindung von Film und Projektmanagement. René Mittelstädt, Sprecher der GPM, und GPM Präsident Prof. Dr. Peter Thuy eröffneten das Event, das in der Atmosphäre eines Kinos stattfand. Sie betonten die universelle Bedeutung des Projektmanagements, das von der Konzeptionsphase eines Films bis zur Fertigstellung klare Strukturen und Prozesse erfordert. Björn Böning, Geschäftsführer der Allianz Deutscher Produzenten - Film & Fernsehen, erklärte, wie Projektmanagement integraler Bestandteil der Filmbranche ist. Schon seit den Anfängen des Films beeinflusst das Management komplexer Projekte die Produktionsprozesse. Böning hob hervor, dass technische Präzision und die Nutzung von KI-gestützten Tools, besonders in der Vorproduktion, Effizienz bringen. Projekte wie „Babylon Berlin“ nutzen Simulationen und moderne Visual Effects, um kosteneffizient große Szenen darzustellen. Produzent Michael Polle von X Filme Creative Pool gab Einblicke in die Herausforderungen der Stoffentwicklung, die von hoher Flexibilität und Risikobereitschaft geprägt ist. Die Planung muss dynamisch sein, da sich unvorhersehbare Ereignisse wie Krankheiten oder Wetterverhältnisse jederzeit auf den Drehablauf auswirken können. Die Postproduktion verlangt ein koordiniertes Zusammenspiel aller kreativen und technischen Elemente, um ein begeisterndes Endergebnis zu erzielen. Nach positiven Rückmeldungen zum PM Salon plant die GPM bereits den nächsten „PM Salon“ in der Hauptstadtrepräsentanz zum Thema „Sport.“ Aus den DACH-Verbänden | GPM intern Auszeichnung für GPM Ehrenmitglied Bernd-J. Madauss Rückblick auf den PM Salon zum Thema „Film“ Prof. Dr. Bernd-J. Madauss wurde von der International Space University (ISU) in Straßburg für seine langjährige Lehr- und Beratertätigkeit in der Raumfahrt mit einer besonderen Auszeichnung geehrt: Der akademische Rat der ISU ernannte ihn auf Lebenszeit zum Mitglied der „ISU Emeriti Fakultät“. Seit 2004 lehrte Madauss als Gastprofessor an der ISU, wobei er klassische und innovative Projektmanagement-Ansätze vermittelte. Zudem leitete er Projekte wie das ASTRA-Satellitensystem und trug zur internationalen Zusammenarbeit in der Raumfahrt bei. Madauss ist zudem Autor des Fachbuchs „Projektmanagement“, das erstmals 1984 erschienen ist und bereits in der 8. Auflage publiziert wird. 79 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0101 Aus den DACH-Verbänden | pma intern Kooperation statt Polarisierung Was haben demokratische Prozesse und Projektmanagement gemeinsam? pma Präsidentin Brigitte Schaden über gutes Projektmanagement als Vorbild für demokratische Prozesse. Brigitte Schaden, Präsidentin von Projekt Management Austria (pma) © pma / Schedl Mitglied vor den Vorhang BIG-- Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H. Trabrennstraße 2c, 1020 Wien www.big.at Hauptgeschäftsgebiet Die Bundesimmobiliengesellschaft BIG entwickelt, baut, erhält und revitalisiert mehr als 2.000 Liegenschaften. Sie ist eine der größten Immobilieneigentümerinnen Österreichs. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf Schulen und Universitäten. Das große Bild ist geprägt von vielen gleichzeitigen Krisen und Herausforderungen: Kriege, Klimawandel, Desinformation. Geopolitisch erscheint vieles unsicher und das stellt unsere Demokratien auf eine harte Probe, meint pma Präsidentin Brigitte Schaden. Projekte sind eine hervorragende Möglichkeit, um lebendige demokratische Prozesse konkret zu erleben und zu sehen, wie sich damit etwas zum Besseren verändert. „Das lässt die Beteiligten dann positiver in die Zukunft blicken“, so Schaden. Welche demokratischen Elemente haben Sie im Blick? Brigitte Schaden: Jedes Projektteam besteht heute aus verschiedenen Expert*innen mit unterschiedlichen Spezialisierungen, Kulturen und Sprachen. Das Projektteam muss sich einigen, denn Diktatur ist in Projekten nicht möglich. Dieser Einigungsprozess ist das Wertvollste, um Lösungen zu finden und die gesteckten Projektziele gemeinsam zu erreichen. Klar ist, dass die Zusammenarbeit im Projekt nur gemeinsam und mit gemeinsam definierten Spielregeln funktioniert. Der Umgang mit steigender Heterogenität ist für Projektmanager*innen ein absolutes Muss, in unserer Gesellschaft insgesamt aber nicht so gewohnt. Über welche Grundlagen muss sich ein Projektteam einigen? Brigitte Schaden: Ein Beispiel: Der Termin „neun Uhr“ kann in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Bedeutungen haben. Ob das als „Punkt neun“ oder „ab neun Uhr“ verstanden wird, hat Auswirkungen auf die Arbeit. Damit umzugehen und sich auf ein gemeinsames Verständnis zu einigen, ist notwendig. In einem internationalen Team habe ich erlebt, wie das spielerisch gelernt werden kann, wenn definiert wurde: „Neun Uhr wie Deutsche“. Andere Sichtweisen zu erleben, Vor- und Nachteile zu erkennen und Kompromisse zu schließen, das ist echte Demokratieschule! Welche Rolle spielen Ethik und Moral in Projekten? Brigitte Schaden: Es ist wichtig, dass Projektverantwortliche ihr Handeln an ethischen Grundwerten ausrichten. Unethisches Verhalten kann jedes Projekt zum Scheitern bringen. Als Projektmanager*in sollte man nie davon ausgehen, dass alle Stakeholder und Teammitglieder das gleiche Verständnis von Ethik haben. Wenn Ethikwelten zu weit auseinanderklaffen, ist eine gute Zusammenarbeit schwer möglich. PM-Aufgabe und Bedeutung Erfolgreiche Bauprojekte sind bedeutend für die BIG. Sie erweitern unser Portfolio, tragen maßgeblich zur Wertschöpfung bei und stärken unsere Position als führender Immobilieneigentümer Österreichs. Unsere IT- und Organisationsprojekte tragen wesentlich zur Professionalisierung und Digitalisierung des Konzerns bei. 80 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0102 Aus den DACH-Verbänden | spm intern Projektmanagement im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz: Weiterbildung als Schlüssel zum Erfolg In einer zunehmend digitalisierten Welt wird die Weiterentwicklung von Projektmanager: innen zu einem zentralen Erfolgsfaktor. Die Anforderungen an Führungskräfte im Projektmanagement verändern sich rasant, nicht zuletzt durch den Einfluss von künstlicher Intelligenz (KI). Diese technologischen Entwicklungen stellen Projektmanager: innen vor neue Herausforderungen, bieten aber auch enorme Chancen, die es zu nutzen gilt. Vor diesem Hintergrund wird die Verknüpfung von Weiterbildung, IPMA-Zertifizierung und dem Erwerb von KI-Kompetenzen zu einer unverzichtbaren Grundlage, um langfristig erfolgreich zu sein. gen ermöglicht. Dies erfordert von Projektmanager: innen umfassende Kompetenzen in den Bereichen Datenanalyse, Automatisierung und agile Methoden, um den vollen Nutzen aus diesen Technologien ziehen zu können. Die Rolle der Weiterbildung als Erfolgsfaktor für die IPMA-Zertifizierung Eine fundierte Weiterbildung spielt im Projektmanagement- - insbesondere im Hinblick auf die IPMA Zertifizierung- - eine entscheidende Rolle. Die IPMA legt grossen Wert auf fundiertes Fachwissen, aber auch auf persönliche Kompetenzen wie Führungs-, Kommunikations- und Problemlösungsfähigkeiten. In einer Welt, die zunehmend von KI und Digitalisierung geprägt ist, wird die kontinuierliche Weiterentwicklung auch dieser Fähigkeiten immer wichtiger. Im Rahmen der IPMA-Zertifizierung wird von den Teilnehmenden erwartet, dass sie nicht nur fachlich auf dem neuesten Stand bleiben, sondern auch zukunftsorientierte Themen wie KI in ihre Kompetenzentwicklung integrieren. Damit dient die Weiterbildung nicht nur der Bewältigung aktueller Herausforderungen, sondern auch dem Erwerb von Kompetenzen, die in einer sich rasch verändernden Technologielandschaft benötigt werden. Die Verknüpfung von klassischen Projektmanagementkompetenzen mit Zukunftsthemen wie KI und Digitalisierung wird damit zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Veränderte Anforderungen an Projektmanager durch KI Die Digitalisierung hat das Projektmanagement nachhaltig verändert. Wo früher vor allem klassische Methoden und Prozesse im Vordergrund standen, sind heute zunehmend datengetriebene Entscheidungen und der Einsatz von Automatisierungstechnologien entscheidend. Projektmanager: innen sehen sich mit neuen Aufgaben und Rollen konfrontiert: Sie müssen Projekte nicht nur effizient steuern, sondern auch die Chancen und Herausforderungen der Technologie in ihre Strategien integrieren. Die Rolle der Projektleitung wird dadurch komplexer. Traditionelle Aufgaben wie Zeit- und Ressourcenmanagement bleiben wichtig, werden aber zunehmend durch technologiegestützte Prozesse ergänzt. KI-gestützte Tools übernehmen Routineaufgaben und unterstützen bei der Analyse grosser Datenmengen, was fundiertere, datengestützte Entscheidun- IPMA/ GPM/ pma/ spm | Projektmanagement im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz 81 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0102 Wir haben eine neue Fachgruppe zum Thema KI. Wer sich dafür interessiert, bitte melden bei der Fachgruppenleiterin Elsbeth Dünki: Elsbeth.duenki@spm.ch Neue Lerninhalte im Projektmanagement im Zeitalter von KI Mit der zunehmenden Relevanz von KI im Projektmanagement verändern sich auch die Inhalte der Weiterbildung. Projektmanager: innen müssen sich mit neuen Technologien auseinandersetzen, insbesondere in den Bereichen Datenanalyse, maschinelles Lernen und Automatisierung. Diese Fähigkeiten ermöglichen es ihnen, KI-gestützte Systeme effektiv zu nutzen und datenbasierte Entscheidungen zu treffen, die den Projekterfolg massgeblich beeinflussen. Neben den technischen Kompetenzen sind auch Soft Skills von wachsender Bedeutung. Im Zusammenspiel mit intelligenten Systemen sind menschliche Fähigkeiten wie Entscheidungsfindung, Kreativität und ethische Verantwortung unerlässlich. Projektmanager: innen müssen nicht nur die technischen Aspekte der KI verstehen, sondern auch in der Lage sein, diese sinnvoll in den Projektalltag zu integrieren. Agilität und Resilienz sind dabei zentrale Zukunftskompetenzen, die es Projektmanager: innen ermöglichen, sich in einem dynamischen Umfeld erfolgreich zu behaupten. Zukunftsperspektiven In Zukunft wird KI im Projektmanagement eine immer grössere Rolle spielen. Die Weiterbildung wird sich zunehmend auf die Integration neuer Technologien konzentrieren, während die IPMA-Zertifizierung langfristig den Wandel im Berufsfeld widerspiegeln muss. KI wird nicht nur die Art und Weise verändern, wie Projekte durchgeführt werden, sondern auch die Anforderungen an die Zertifizierung und die Kompetenzen, die für eine erfolgreiche Karriere im Projektmanagement notwendig sind. Es wird unerlässlich sein, dass sich die Inhalte der IPMA- Zertifizierung kontinuierlich an technologische Trends anpassen. Projektmanager: innen, die die Bedeutung von KI und Digitalisierung frühzeitig erkennen und in ihre berufliche Entwicklung integrieren, werden einen klaren Wettbewerbsvorteil haben. Die zunehmende Bedeutung von KI stellt das Projektmanagement vor neue Herausforderungen, bietet jedoch auch enorme Chancen. Kontinuierliche Weiterbildung ist der Schlüssel, um den Anforderungen einer KI-dominierten Arbeitswelt gerecht zu werden und langfristig erfolgreich zu sein. Die IPMA-Zertifizierung bleibt dabei ein wichtiger Qualitätsstandard, der sicherstellt, dass Projektmanager: innen sowohl fachlich als auch persönlich bestens auf diese neuen Entwicklungen vorbereitet sind. Letztlich wird KI nicht nur die Projektlandschaft verändern, sondern auch als Katalysator für lebenslanges Lernen und erfolgreiche Zertifizierungen im Projektmanagement dienen. Martin Bialas Martin Bialas ist Geschäftsführer der diventis GmbH, die sich auf Beratung und Training im Bereich Projektmanagement spezialisiert hat. Er leitet das Unternehmen seit 2003 und verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung in diesem Bereich. Er verfügt über fundierte Kenntnisse der internationalen Projektmanagementstandards wie IPMA, PMI und PRINCE2. Neben seiner Tätigkeit bei diventis ist er als Honorarprofessor an der HEX Hochschule für Exzellenz tätig, wo er sich auf die Themen Projektmanagement und Künstliche Intelligenz konzentriert. Zudem ist er als Assessor für den VZPM tätig und unterstützt die Zertifizierung von Projektmanagern. Martin Bialas legt grossen Wert auf die praktische Umsetzung theoretischer Konzepte und fördert sowohl den technischen als auch den kulturellen Wandel in Organisationen. Termine für weitere spm Veranstaltungen siehe: https: / / spm.ch/ veranstaltungen/ Unbedingt schon vormerken! Unsere nächste Frühjahrstagung findet am 20. 5. 2025 in Zürich statt: https: / / spm.ch/ veranstaltung/ spm-fruehjahrstagung-2025/ 82 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0103 Auf ein Wort mit-… Jean Marc Bonn, Project Management Officer bei der Continental AG in Hannover. Zur Person | Jean Marc Bonn begann seine Karriere mit einem dualen Studium bei der Continental AG und entwickelte sich vom Project Manager im HR-Bereich zum Project Management Officer in der Konzernrevision. Wie sind Sie zum Projektmanagement gekommen? Projektmanagement war bereits in meinem dualen Studium in Business Administration wichtig. Ich absolvierte das Basiszertifikat im Projektmanagement (GPM)® und war Projektleitung in einem einjährigen Praxisprojekt. Welches Projekt hat Sie besonders geprägt oder war für Sie besonders wichtig? Geprägt hat mich das bislang größte Projekt, das ich leiten durfte: die Aufsichtsratswahlen im Continental-Konzern und der Tochtergesellschaften. Das Projekt dauerte etwa ein Jahr, hatte rund 250 Projektmitarbeitende an über 50 Standorten. Es war von einer hohen Sichtbarkeit im Konzern geprägt und ich konnte erste Führungserfahrungen sammeln. An welchem Projekt arbeiten Sie gerade? Derzeit bin ich in der Konzernrevision in verschiedenen Projekten tätig. Insbesondere bin ich für das Projektmanagement-Office für laufende Untersuchungen zuständig und entwickle zudem Grundstrukturen, Prozesse und Standards für das Projektmanagement in der Revision. Gelten in Ihrem Bereich bestimmte Standards und Methoden? Wir nutzen zumeist das klassische Wasserfallmodell und kombinieren es mit agilen Elementen. Die Continental hat einen eigenen Standard, der den Vorgehensweisen der GPM ähnelt. In der Entwicklung und im IT-Umfeld wird oft SCRUM verwendet. Was wäre Ihr Traumprojekt? Eine Wunschvorstellung wären möglichst viele Ressourcen, ein hochmotiviertes Team sowie Projektergebnisse, die einen entscheidenden Mehrwert bieten und wirklich genutzt werden. Was zeichnet Sie als Projektmanager besonders aus? Meine strukturierte Arbeitsweise und Flexibilität auf Änderungen. Ich beziehe das Projektteam stark mit ein und lege großen Wert auf einen Kontakt auf Augenhöhe. Was motiviert Sie, in Projekten zu arbeiten und Projekte zu leiten? Martina Peuser Die Abwechslung und Vielfalt durch die starke Dynamik sowie die cross-funktionalen, internationalen Teams motivieren mich sehr. Welche Tipps haben Sie für den Projektmanagement-Nachwuchs? Involviert das Projektteam und seht es als Kern des Projekts. In den meisten Fällen ist man nicht der Experte im Projekt, sondern das Team. Dies motiviert zudem das Team sehr. Welche Eigenschaften schätzen Sie an Projektmanagern*innen am meisten? Gut ist, wenn sie sich als Führungskraft nicht übergeordnet, sondern als koordinierende Funktion sehen. Was ist für Sie als Projektmanager das größte Glück? Ein Projektteam, das motiviert und kompetent ist und sich auch von Rückschlägen nicht abhalten lässt. Was ist für Sie als Projektmanager das größte Unglück? Unklarheiten oder spontane Änderungen in den Anforderungen der Auftraggeber. Als Projektleiter ist eine klare Zielvorstellung essenziell, um das Projekt und die Ressourcen zu planen und ein optimales Team zusammenzustellen. Was sind zukünftige Trends? Klassisches Projektmanagement wird aufgrund der hohen Dynamik im Umfeld zunehmend mit agilen Elementen durchmischt und ergänzt. Was geben Sie den Lesern mit auf den Weg? Ich ermutige alle, in Projekten tätig zu sein. Sie bieten eine große Chance, sich nicht nur beruflich, sondern auch persönlich weiterzuentwickeln. Prof. Dr. Martina Peuser ist Professorin mit den Schwerpunkten Projektmanagement und Organisation, Unternehmensberaterin und Keynote Speakerin. Als Entwicklerin des Multi Top Performance Radar (MTPR ©) begleitet sie Unternehmen bei der Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit zu agilen und absolut kundenorientierten Marktführern. In ihrer Kolumne gibt sie spannende Kurzeinblicke in Lebensläufe und Gedanken von im Projekt tätigen Personen. Jahresinhaltsverzeichnis 2024 Jahrgang 35, Heft 1 bis 5 Inhalte nach Rubriken Editorial Scheurer, Steffen: Digitalisierung und KI im Projektmanagement 1/ 24, S. 2 Scheurer, Steffen: Nachhaltigkeit im Projektmanagement 2/ 24, S. 2 Scheurer, Steffen: Infrastrukturprojekte im Tourismus 3/ 24, S. 2 Scheurer, Steffen: Projektmanagement und Wandel 4/ 24, S. 2 Scheurer, Steffen: Vielfalt des Projektmanagements 5/ 24 S. 2 Scheurer, Steffen: In eigener Sache: PM-AKTUELL - Themen 2025 5/ 24 S. 4 Reportage Scheurer, Steffen, Oliver Steeger: „Wir verstehen uns als Start-up! “. Mit dem „DigiLab“ zur Mobilitätswende in Hamburg 1/ 24, S. 10 Scheurer, Steffen: Der Königsweg über der Klippe 3/ 24, S. 4 Scheurer, Steffen, Steeger, Oliver: Minutiöse Planung für ein Mammutprojekt 3/ 24, S. 22 Scheurer, Steffen: Die rote Insel will grün werden 4/ 24, S. 22 Scheurer, Steffen: Interview mit Professor Dr. Peter Thuy - Präsident der GPM 5/ 24, S. 6 Steeger, Oliver: Ein „Hilfsmotor“ mit Start-up-Feeling. Wie ein DigiLab die öffentliche Verwaltung verändert 1/ 24, S. 4 Steeger, Oliver: Die Kunst, die Wogen zu glätten. Mit einem Projektmanager auf der Deichkrone am Sperrwerk 2/ 24, S. 4 Steeger, Oliver: „Die Sturmfluten bleiben heute länger“. Projektleiter Jan Stolzenwald im Gespräch 2/ 24, S. 10 Steeger, Oliver: „Der Steg sollte möglichst filigran bleiben“ 3/ 24, S. 10 Steeger, Oliver: Das Projekt im Märchenschloss 3/ 24, S. 15 Steeger, Oliver: „Viel Kompetenz für Wasserstoff-Projekte“ 4/ 24, S. 4 Steeger, Oliver: Windstrom, Wasserstoff, Waterkant 4/ 24, S. 10 Steeger, Oliver: Eine ganze Stadt für Wasserstoff 4/ 24, S. 16 Steeger, Oliver: Fünf „Macher: innen“ machen die Integration einfacher 4/ 24, S. 28 Steeger, Oliver, Scheurer, Steffen: Nach sieben Jahren perfekt im Zeitplan und Budget 5/ 24, S. 10 Steeger, Oliver: „Wer will, der kann! “ 5/ 24, S. 15 Wissen Albrecht, Jan Christoph, Müller, Anna Lucia Romero: Eine Typologie für hybride Projektmanagement-Modelle 5/ 24, S. 31 Altfeld, Hans-Henrich: Gefragt: Projektmanager für technische Produkte 2/ 24, S. 52 Barth, Martin, Sarstedt, Margit: Die Projektcharakteristik determiniert das Potenzial der KI-Einsatzmöglichkeiten 1/ 24, S. 15 Bacharach, Guido: Erfahrung mit KI in einem Forschungsprojekt: Anwendungen, Grenzen und Perspektiven 3/ 24, S. 55 Backhaus, Martin: Kompetenzentwicklung im Change Management - ein Erfahrungsbericht 5/ 24, S. 37 Bernert, Christian: Benötigen wir einen Booster für Start-ups im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI)? 1/ 24, S. 36 Boxheimer, Michael: KI und Projektmanagement-Governance 1/ 24, S. 48 Braun, Timo, Gerstle, Joana, Lächelt, Vincent: Die Entfesselung des Project Management Office? 4/ 24, S. 48 Drilling, Clemens, Klausing, Helmut: Digitaler Wandel: Wie MS Teams und KI das Arbeiten in Projekten revolutionieren 1/ 24, S. 24 Eichenberg, Timm, Peuser, Martina, Wolf, Micha: Ergebnisse der Studie Projektportfolio Sustainability Monitor 2024: Status Quo von Nachhaltigkeit als Kriterium im Projektportfoliomanagement deutscher Unternehmen 5/ 24, S. 63 Feldmüller, Dorothee, Ortner, Gerhard: Projekt-Governance von klassisch bis agil 2/ 24, S. 39 Fiebeler, Patrick: Krisenbewältigung und Krisenarten 4/ 24, S. 53 Flore, Agnetha, Würdemann, Catharina: Innovationsmanagement nach ISO 56002 5/ 24, S. 57 Gaida, Vivien-Jana, Kulalic, Mahir: Zwischen Hype und Realität: Künstliche Intelligenz im Projektmanagement 1/ 24, S. 20 Glitscher, Wolfgang: Mission NullEmission - Ein Programm zur Dekarbonisierung von Produktionsstandorten und der Weg zur Kreislaufwirtschaft und der Steuerung durch ein PMO 2/ 24, S. 12 Gnädinger, Hännes, Glitscher, Wolfgang: Ganzheitliches, neues Verständnis im Projekt 2/ 24, S. 22 Hollwedel, Julia, Preuss, Peter: Vorgehensmodell für Business-Analytics-Projekte - ein hybrider Ansatz aus klassischen und agilen Methoden 2/ 24, S. 34 Jung, Christian B., Schreiber, Till: Innovatives Projektmanagement: Wie aus dem magischen Dreieck ein Hexagon wird 2/ 24, S. 19 Komischke, Patrick, Müller, Thorben, Meisenbacher, Fabian, Ast, Jörn Hendrik, Wild, Helge: Agile Transformation im Infrastrukturbau für die Energiewende: Ein Fallbeispiel zur Zusammenarbeit von Vorhabenträger und Lieferant 3/ 24, S. 28 Krull, Dennis: Projektmanagement-Softwaresysteme - KI - Groupware: Eine kybernetische Betrachtung 3/ 24, S. 43 Lächelt, Vincent, Portillo, Jose Arroyo, Braun, Timo: Einsatz von KI entlang des Risikomanagement-Prozesses von Projekten: Spezifische Tools, Anwendungsszenarien und Barrieren 1/ 24, S. 41 Liebermann, Frank: Neue Perspektiven für Projektleiter. Künstliche Intelligenz im Projektmanagement 2/ 24, S. 28 Liebermann, Frank: Einsatzmöglichkeiten und Potenziale 4/ 24, S. 43 Oldenburg-Tietjen, Florian, Krehbiel, Rüdiger: Theory of Constraints zur Optimierung des Multiprojektmanagements 3/ 24, S. 35 Richter, Christoph, Weiterbildungs-Return-on-Investment: Vermeidung von Bildung im Blindflug! 2/ 24, S. 45 Rietz, Steffen: Projektmanagement ist so viel mehr als das Managen von Projekten 2/ 24, S. 59 Rietz, Steffen, Paruszewski, Sandra: Duale Karriere - Projektmanagement ohne Projekt, aber mit Aussicht auf doppelten Erfolg 2/ 24, S. 62 Rietz, Steffen: Gewissenhafte Projektplanung - eine Frage des Alters? 3/ 24, S. 62 Rietz, Steffen: Olympische Spiele in Paris - ein Großprojekt aus der Perspektive einer teilnehmenden Athletin 5/ 24, S. 22 Rietz, Steffen: Changemanagement für 17 Millionen 5/ 24, S. 30 Sasse, Miriam: Wie du dein Team auf das nächste Level bringst 2/ 24, S. 70 Schwab, Bernhard Konrad: Durch die Nutzung von „Bordmitteln“ eine Zeitersparnis in den Administralitäten erreichen 3/ 24, S. 49 Schweifler, Ralf, Wehnes, Harald: Handlungsempfehlungen zur sicheren und digital souveränen Nutzung generativer KI-Systeme 1/ 24, S. 30 Tuczek, Hubertus C., Flore, Agnetha, Wild, Helge F., Schaffitzel, Norbert, Lang, Rüdiger: Agile Management Maturity Map AM3 - Reifegradlandkarte für agile Organisationen 4/ 24, S. 32 Turan, Batuhan, Straßer, Stefanie, Zürn, Siegfried: GenAI - Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Projektleitung Qualität von Entwicklungsprojekten 5/ 24, S. 50 Waldkirch, Karl: Chinas neue Herausforderungen im F&E-Projektmanagement 1/ 24, S. 51 Wild, Helge F., Flore, Agnetha: Nutzenerwartung und Anwendungsfälle von KI im Projektmanagement 5/ 24, S. 42 Kolumne Köhler, Jens: Der mentale Energietrunk 1/ 24, S. 67 Köhler, Jens: Im Hamsterrad der Prozesse 2/ 24, S. 74 Köhler, Jens: Über Regeln, Beschränkungen und Medien 3/ 24, S. 71 Köhler, Jens: Nicht das Beste, oder? 4/ 24, S. 67 Köhler, Jens: Agentenaustausch mal ganz anders 5/ 24, S. 76 Aus den DACH-Verbänden Bacharach, Guido, Mittelstädt, René: Effizienz und Effektivität in der öffentlichen Verwaltung 5/ 24, S. 71 Bäumel, Katja: PM Forum live in Hamburg: Ein Rückblick auf das Highlight-Event der GPM 4/ 24, S. 60 Bäumel, Katja: Kraft der Diversität: Ein Rückblick auf die 16. GPM Aktiv 2024 4/ 24, S. 62 Bäumel, Katja: Projektmanagement für eine effiziente Verwaltung - Die GPM beim 10. Zukunftskongress 4/ 24, S. 64 Glitscher, Wolfgang: Projektmanagement in der Ära ESG - Herausforderungen und Chancen 2/ 24, S. 75 GPM: Gute Bildung braucht Projekte! 3/ 24, S. 60 GPM: 1. PM-Summit Rhein-Ruhr - Wandel durch Projektmanagement gestalten 5/ 24, S. 68 GPM: Auszeichnung für GPM Ehrenmitglied Bernd-J. Madauss; Rückblick auf den PM Salon zum Thema „Film“ 5/ 24, S. 78 Hahn, Maximilian: Die GPM auf dem KGSt-Forum in Hamburg 1/ 24, S. 54 Hahn, Maximilian: re: publica 2024 - Who cares? 4/ 24, S. 65 Hoffmeister, Anne, Leitert, Antje, Pürckhauer, Peter, Uhlig-Schoenian, Jürgen: Die GPM setzt ein Zeichen für innovative Bildung 1/ 24, S. 58 Mittelstädt, René: KGSt-Vorstand Dr. Klaus Effing im Interview 1/ 24, S. 56 pma: Erfolgreiche IPMA® Validierung stärkt pma als Vorreiter im Projektmanagement 1/ 24, S. 69 pma: pma Podcast: Projektmanagement zum Hören 2/ 24, S. 77 pma: Neue Zertifizierung für Trainer*innen 3/ 24, S. 73 pma: pma focus 2024: Starten wir das Projekt Zukunft 4/ 24, S. 69 pma: Kooperation statt Polarisierung 5/ 24, S. 79 Ruchti, Stefan: 24. spm. Frühjahrstagung in Zürich 4/ 24, S. 70 Saoudi, Nadia: GPM Baumspende - Gemeinsam den Wald der Zukunft gestalten 1/ 24, S. 63 spm: Warum sich bei der IPMA® in Agile Leadership zertifizieren lassen? 1/ 24, S. 70 spm: Generalversammlung 2024: Von Schatzkisten, Nähkästchen und Projekterfahrungen … 2/ 24, S. 78 spm: spm.unterwegs am 9. April 2024 bei der Rega 3/ 24, S. 74 spm: 24. spm. Frühjahrstagung in Zürich 4/ 24, S. 70 spm: Projektmanagement im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz: Weiterbildung als Schlüssel zum Erfolg 5/ 24, S. 80 Wieschowski, Sebastian: Großes Kino: Rückblick auf das PM Forum Digital 2024 5/ 24, S. 69 Buchbesprechungen Möller, Thor: Kluge Personalentscheidungen für die neue Arbeitswelt 1/ 24, S. 65 Möller, Thor: Radikal beteiligen, 30 Erfolgskriterien und Gedanken zur Vertiefung demokratischen Handelns 5/ 24, S. 74 Scheurer, Steffen: Projektmanagement verstehen 3/ 24, S. 70 Scheurer, Steffen: Projektmanagement Know-How für die Duale Karriere - Leistungssport und Studium erfolgreich verbinden 5/ 24, S. 75 Wehnes, Harald: Modernes Projektmanagement: Traditionelles, agiles und hybrides Vorgehen 2/ 24, S. 73 Auf ein Wort mit … Peuser, Martina: Lars Nielsen 1/ 24, S. 72 Peuser, Martina: Inge Schottkowski-Bähre 2/ 24, S. 80 Peuser, Martina: Wibke Jellinghaus 3/ 24, S. 76 Peuser, Martina: Barg, Michael 4/ 24, S. 72 Peuser, Martina: Jean Marc Bonn 5/ 24, S. 82 85 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0104 IntervIew Zum 35. Jahrestag der Friedlichen Revolution Changemanagement für 17 Millionen Steffen Rietz Für eilige Leser | Gemeint ist nicht ein Changeprojekt mit einem Budget von 17 Mill. €. Gemeint ist ein Changeprozess, von dem 17 Mill. Menschen unmittelbar betroffen waren, indirekt noch viel mehr auf der ganzen Welt. Doch das größte Changeprojekt der deutschen Geschichte hatte keinen Auftraggeber, keinen Projektauftrag, keinen Projektleiter und kein bereitgestelltes Budget. Das ‚Projektmanagement ohne Projekt‘ (siehe PMA 2 / 2004, S. 59 ff.) soll an einem weiteren Beispiel untersucht werden. Eine Handvoll Initiatoren leitete in den 1980er Jahren im Osten Deutschlands aus einer persönlichen pragmatischen Umfeldanalyse Wünsche und Ziele ab, die nach unzähligen Planänderungen und Zielkorrekturen zu einem Ergebnis führten, das heute als weltverändernd bezeichnet werden muss. Die Einordnung und Bewertung des Geschehenen überlassen wir Historikern und Politologen. Für geschichtlich Interessierte werden Daten, Personen- und Ortsnamen nachfolgend mit einem Hinweispfeil [↗] versehen und können so individuell nachgearbeitet werden. Uns interessiert zunächst nur die Art & Weise der Umsetzung. Was und wie wurde strukturiert, organisiert oder improvisiert? Im Zeitzeugen-Interview mit Uwe Schwabe, einem der frühen und führenden Vertreter der DDR-Opposition, wird deutlich, dass die äußeren Umstände günstig waren. Auf das Momentum und das Verhalten aller Beteiligten kam es an. Es gibt sehr schöne Vorgehensmodelle, wie Change und Transformation ablaufen (sollten). Der Kontext politischer Umbrüche ist aber doch eine eher selten anzutreffende Dimension. Und dann ging es plötzlich sehr schnell. Es entwickelte sich deutlich dynamischer, hoch komplex, mit überraschender Geschwindigkeit und kaum noch steuerbar. Teilweise waren selbst die Initiatoren vom Verlauf und auch vom Ergebnis überrascht. Und doch ist das Geschehene weit mehr als ein ‚Wir probieren es einfach mal‘. Anhand ausgewählter Projektmanagement-Aspekte wollen wir das Geschehene zum 35. Jahrestag mit etwas Abstand nochmals aufbereiten. Schlagwörter | Change Management, Verantwortung, Zieldiskussion, Entscheidung, Vertrauen, Archivierung Steffen Rietz: Der Herbst 1989 begann meteorologisch am 01.09. und kalendarisch am 23.09. Wann begann der politische Herbst ‘89 in der DDR? Uwe Schwabe: Am 08. November 1981. Oh, fast ein Jahrzehnt früher und doch so präzise zu beziffern? Opposition und Widerstand gibt es immer, in allen Diktaturen-- mehr oder weniger, lauter oder leiser. Seit der Gründung der DDR gab es Leute, die mitgestalten wollten. Dazu gab es aber keine Möglichkeit außerhalb der vorgegebenen Parteilinie. Die Leute sind daher in Opposition und Widerstand gegangen, in Leipzig konkret Anfang der 1980er Jahre. Und was war konkret im November 1981? Jeden Herbst gab es eine Friedensdekade [↗] der Evangelischen Kirche. Zehn Tage wurde über Frieden gesprochen, konkret vom 08. bis 18. November 1981 in der Nikolaikirche [↗] unter dem Oberthema „Gerechtigkeit-- Abrüstung-- Frieden“. Ein von der Sowjetunion für den New Yorker UN-Park gestiftetes Denkmal „Schwerter zu Pflugscharen“ [↗] wurde ab Herbst 1981 dafür als Aufnäher symbolhaft auf Jacken getragen, später auch von Teilen der westdeutschen Friedensbewegung als systemübergreifendes Symbol. Das würden Sie also als den Startschuss bezeichnen? Durch das Tragen der Aufnäher war die Aktion mit Ende der Friedensdekade nicht beendet. 1981 haben junge Leute erstmals gesagt: Wir müssen diese Möglichkeit des Austauschs immer haben, nicht nur 10 Tage im Herbst. Das wurde dann konkretisiert und verstetigt. Immer am selben Tag: Montag, immer zur gleichen Zeit: 17: 00 Uhr gab es Friedensgebete [↗]. Damit war es für jeden kalkulierbar und jeder konnte sich beteiligen. Es war also ein Ziel definiert und eine vereinende Symbolik geschaffen. Und was später als Montags- Demo bekannt wurde, war anfangs eher ein Montagsgespräch? Genau. Der Tag war reiner Zufall, weil Montag um 17: 00 Uhr der einzige Termin war, an dem der Pfarrer Christian Führer [↗] Zeit hatte, sich kümmern konnte und die Verantwortung mit übernahm. Aus den Friedensgebeten wurden öffentliche Friedensgespräche [↗], dann anschließende Spaziergänge außerhalb der Kirche, mit wachsender Teilnehmerzahl dann die Montagsdemonstrationen [↗]. Der Rest ist Geschichte. Interview | Changemanagement für 17 Millionen 86 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0104 Es braucht also jemanden, der initial Verantwortung übernimmt, Interessen bündelt und ihnen Raum gibt. Ja. Angefangen hat das Ganze mit 10-20 Jugendlichen. Im Gegensatz zum „normalen“ gesellschaftlichen Leben in der DDR haben in der Kirche erstmals Leute offen, frei, ohne Scheu diskutiert. Das waren keine kirchlichen Themen. Ich habe dort gelernt, mich mit den Meinungen anderer auseinanderzusetzen, Argumente zu finden, sich wertschätzend auf Augenhöhe in einem polarisierenden Meinungsstreit zu bewegen. Eine richtige Schule der Demokratie. Zielfindung & -harmonisierung: Wenn Sie von Opposition & Widerstand sprechen, dann bedeutet das, gegen etwas zu sein. Aber wofür waren Sie? Gab es konkret formulierte Ziele? In unserem ersten Flugblatt forderten wir ganz klar: 1. Pressefreiheit, 2. Meinungsfreiheit und 3. Die Möglichkeit der politischen Teilhabe inkl. dem Gründen von Parteien und Initiativen außerhalb der gegebenen Strukturen. Es mussten Mitbestimmungsmöglichkeiten in diesem Land geschaffen werden. So oder so ähnlich würde auch jeder Projektleiter beginnen. Für einen echten Umbruch werden aber mehr als die genannten 10-20 Beteiligten benötigt. Waren die Ziele Konsens unter allen Akteuren? (lacht): Natürlich nicht! Unterschiedliche Leute haben unterschiedliche Ziele. Einige wollten den Staat reformieren, andere wollten ihn verlassen oder gar abschaffen. Dazu gab es regelmäßig Diskussionen innerhalb der Opposition. Eine der wiederkehrenden Kernfragen war, wie mit Ausreisewilligen umzugehen ist. Werden sie integriert oder aus reformorientierten Gruppen ausgeschlossen? Wir investierten viel Zeit für die Abwägung von Zielen, Interessen, Argumenten und Meinungen. Immer wieder vermischten sich sachliche und emotionale Aspekte, wie auch objektive und subjektive Darstellungen. Sie deuten den Plural an. Gab es weitere heiß diskutierte Knackpunkte? Ja, immer mal wieder. Ein anderer Dauerbrenner war z. B. der Umgang mit den westlichen Medien: Kooperieren? Oder ihre Unterstützung nutzen? Oder sie meiden, um selbst nicht in den Verdacht zu kommen, vom Westen beeinflusst und gesteuert zu sein. Darauf kommen wir gern zurück. Die westlichen Medien haben ja noch eine wesentliche Rolle gespielt. Aber wurde nicht zunächst die Harmonisierung der Interessen schwieriger, je größer die Gruppe wurde? Am Ende waren mehrere 100.000 Menschen auf der Straße. Wie wurde deren Meinungsbild harmonisiert? Der Zuwachs in den Gruppen von Woche zu Woche hat sie auch etwas entzweit. Kritisch wurde es, als die Ausreisewilligen nicht nur an den Montagsdemos, sondern auch an unseren Versammlungen und den Friedensgebeten teilnahmen. Vielen ging es nicht darum, das Land zu verändern, sondern ihren Ausreiseantrag zu beschleunigen. Wie hat man die divergierenden Interessen dann wieder zusammengebracht? Teilweise gar nicht. Einige gingen einfach nicht mehr in Leipzig auf die Straße, sondern z. B. in die Prager Botschaft. Das war ein anderer Weg, aber auch ein hilfreicher Baustein im großen Puzzle. Die in der DDR verbliebenen haben sich auf das gemeinsame Ziel konzentriert, eine Massenbasis zu bilden, die nicht mehr zu ignorieren war. Es ist ein Unterschied, ob 1981 nur 20-30 Menschen in der Nikolaikirche waren, oder 1988 schon bis zu 600, die wiederum 1989 von tausenden vor der Kirche Wartenden empfangen wurden, um sich dem Demonstrationszug anzuschließen. Organisation und Kommunikation Den großen Bogen haben wir jetzt gespannt. Wie ist dann aber aus den Friedensgesprächen in der Kirche die Oppositionsbewegung außerhalb der Kirche entstanden? Am Anfang waren wir nur eine kleine WhatsApp-Gruppe. (lacht) Nein, natürlich nicht. Aber das war genau die Herausforderung. Das Internet gab es noch nicht, entsprechend keine sozialen Netzwerke, keine E-Mails, nicht mal Computer, keine Smartphones. Selbst Festnetztelefone waren im privaten Bereich nur wenigen, oft den Systemtreuen vorbehalten. So wurde es also nicht organisiert, aber wie lief es denn? Aus der flächendeckenden Unzufriedenheit sind zeitlich parallel mehrere kleine oppositionelle Gruppen entstanden. Ich habe z. B. mit Freunden und Gleichgesinnten die Initiativgruppe Leben [↗] gegründet. Wir waren anfangs ca. 10, später ca. 20 Mitglieder mit einem harten Kern von genau vier Leuten. Kommunikationsknoten war anfangs das Jugendpfarramt. Dort wusste ich, da treffe ich immer jemanden an. Später haben wir ein Haus besetzt in der Mariannenstraße 46 [↗]. Kurze Zwischenfrage: Wie müssen wir uns eine Hausbesetzung vorstellen? Eher unspektakulär, insbesondere gewaltfrei. Wir haben in einem fast leerstehenden Haus einfach zwei Wohnungen entdeckt und genutzt, eine in der untersten und eine in der obersten Etage. Dort haben sich zwei WGs (Wohngemeinschaften) mit jeweils vier Leuten häuslich niedergelassen. Von den acht Leuten war dann immer jemand da. Das war unser Anlaufpunkt für alles zu besprechende und zu organisierende. Hatten andere Gruppen ähnliche Hot Spots? Ja, und es wurden auch mehr. Wir haben in der Nikolaikirche einen Aushang gemacht: „Die ‚Initiativgruppe Leben‘ beschäftigt sich mit aktuellen Fragen rund um Umweltschutz, Wehrdienst und Perestroika [↗]. Interessierte melden sich gern in der Zweinaundorfer Straße 20a“ [↗]. Dort hatten wir später auch einen Standort, an dem auch die Leipziger Bezirksgruppe des Neuen Forums [↗] gegründet wurde. Interview | Changemanagement für 17 Millionen 87 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0104 Einen durchgehend funktionierenden Kommunikationsknoten zu schaffen, war sicherlich hilfreich. Aber ein öffentlicher Aushang heißt, auch die Stasi [↗, MfS, Ministerium für Staatssicherheit] hat das gelesen und den Standort recht schnell gekannt. Andere Möglichkeiten der Publikation gab es einfach nicht. Dass man nie wusste, wer zu den quasi-öffentlichen Gruppentreffen kam und dass sehr bald auch IMs [↗, Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi] dabei waren, das war uns sehr bewusst, aber auch egal. Vielleicht war es auch etwas Glück, dass die Stasi nicht jeden sofort festnahm, sondern einiges einfach laufen ließ, nur verdeckt ermittelte, um die Organisation und Funktionsweise der Opposition besser zu verstehen. Sie hatten also einen festen Standort, de facto einen Besprechungs- oder Projektraum, und haben so zwischen den Leipziger Gruppen wechselseitig Kontakt gehalten. …-und bei den Friedensgebeten. Jeden Montag um 17: 00 Uhr hat man dort übergreifend alle Leute getroffen, die man treffen musste. Da haben wir dann, heute kann ich es ja zugeben, nur noch halb zugehört, sondern immer ganz hinten gestanden und schon die nächsten Aktionen besprochen und vorbereitet. Wie haben Sie sich überregional, z. B. mit der Berliner Opposition koordiniert? Über die 1986 gegründete Umweltbibliothek [↗] in Berlin. Die hatte täglich geöffnet, war also personell auch immer besetzt und jede oppositionelle Gruppe hatte dort einen Briefkasten. Das war ein Regal mit über vierzig Fächern. Dort wurden alle Informationen, Erklärungen, Samisdat-Schriften, Demonstrationsaufrufe usw. verteilt. Wir sind fast wöchentlich nach Berlin gefahren und haben dort unseren Briefkasten geleert und auch selbst Post verteilt. Es war also alles von der kleinen Gruppe bis zur landesweiten Synchronisation gut strukturiert. Und sogar darüber hinaus. Wir hatten ganz große Vorbilder im Ausland und auch konkrete persönliche Kontakte zur Charta 77 [↗, seit 1977 in der CSSR] und zur Solidarnosc [↗, seit 1980 in Polen]. Erfahrungsaustausch in internationalen Netzwerken? Das klingt hoch professionell. War es das auch? Bei denen ja. Das hatte Vorbildcharakter. Bei uns eher-… na ja. Noch bevor wir selbst wirklich professionell werden konnten, hatten uns die Ereignisse schon überrollt. Die innerdeutsche Grenze war letztlich sehr plötzlich geöffnet. Der Schrei nach Freiheit wurde fast gegenstandslos und durch das Verlangen nach Wohlstand und Konsum ersetzt. Aus dem Sprechchor „Wir sind das Volk“ wurde „Wir sind ein Volk“. Das Erreichte in Art und Umfang hatte also starken Einfluss auf die Konkretisierung der nächsten Ziele. Auf diesen Changeprozess im Changeprozess kommen wir später zurück und bleiben bitte noch bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit vor der Maueröffnung. Wir sind z. B. oft zu Petr Uhl [↗] nach Prag gefahren, einem Mitbegründer der Charta 77. Wir haben die neuesten Samisdat-Schriften in die DDR geholt und übersetzt. So haben wir sowohl von deren Arbeitsweise gelernt als auch aus deren Inhalten. Abbildung 1: Originaldokumente zur Ankündigung und Einladung früher Umweltaktivitäten (links) und deren Nachbereitung (rechts) zur Dokumentation der wachsenden Anzahl von Unterstützern. Interview | Changemanagement für 17 Millionen 88 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0104 Also abgucken bei den Besten, so wie es viele Unternehmen heute noch tun. In welcher Auflage wurden die tschechischen Originale dann vervielfältigt? In dem Zusammenhang ist ‚vervielfältigt‘ ein großes Wort. Die limitierenden technischen Möglichkeiten zwangen uns oft, 99 Originale handschriftlich oder mit Schreibmaschine und wenigen Durchschlagbögen zu erzeugt. Ab 100 Exemplaren wäre der Druck genehmigungspflichtig gewesen. Auf solche und ähnliche Kleinigkeiten zu achten, haben wir auch von der Solidarnosc gelernt, in Teilen von Fidisz [↗]. Wissen Sie, wer 1988 Gründungsmitglied der ungarischen Opposition Fidisz war? Leider Nein. Wer? Viktor Orban [↗]. Der hat sogar ein Solidaritätsschreiben zur Freilassung von uns damals Inhaftierten unterzeichnet und nach Leipzig gesendet. Und heute? Unglaublich wie sich Menschen ändern. Changeprozesse ändern nicht nur Hierarchien, Prozesse und Zustände-… …-Es werden auch Handlungs- und Entscheidungsspielräume geschaffen. Und wenn Menschen diese nutzen, werden auch sie sich weiterentwickeln in die eine oder andere Richtung. Entscheidungen treffen, Verantwortung übernehmen, aktiv werden Aber lassen Sie uns von der europäischen auf die Leipziger Bühne zurückkehren, um die Anfänge des Widerstands zu verstehen. Mit Rückblick auf die vielschichtigen Ziele: Wie haben Sie Entscheidungen getroffen. Ganz einfach, durch Abstimmung. Gerade in den Anfängen waren wir ja noch kein Verein, hatten keine Satzung und kaum formale Regeln. Aktivitäten, die eine Mehrheit fanden, wurden umgesetzt. Sie hatten also keine Hierarchie in der Gruppe und die überstimmte Minderheit hat sich dann untergeordnet? Nein. Minderheiten haben an Aktionen, von denen sie nicht überzeugt waren, nicht teilgenommen. Wir wollten z. B. am 15. Januar ‘89 [↗] zum 70. Jahrestag der Ermordung von Karl Liebknecht & Rosa Luxemburg [↗] zu einer Demo aufrufen und diese vorab mit Flugblättern ankündigen. Wir haben ca. 20 Leute eingeladen, grob die Idee skizziert und gefragt, wer mitmacht. Jeder konnte für sich selbst entscheiden, gehe ich das Risiko ein oder nicht. Letzteres war kein Problem. Der war dann eben raus und es sind auch nur 12 Mitstreiter übriggeblieben. Das heißt, auch die von der Richtigkeit in der Sache Überzeugten mussten von jeder Einzelaktion von neuem überzeugt werden? Das macht bottomup-initiierte Changeprojekte sehr zäh. Konkret in Ihrem Fall: Wenn sich einige im entscheidenden Moment zurückziehen und man ahnt, dass man sehr wahrscheinlich mindestens einen Stasi-Spitzel in der Gruppe hat-… Jetzt wird es kompliziert. Nein, gar nicht. Wer nicht mitmachen wollte, kannte nur den Inhalt des Flugblattes, wusste aber nicht, was wann wo und wie genau organisiert wird. Und dann haben wir uns getrennt. Was heißt: getrennt? …- also uns temporär räumlich getrennt. Wir haben alle die Wohnung verlassen und sind in alle Himmelsrichtungen auseinandergelaufen, um die vor dem Haus wartende Stasi abzuschütteln. Die Zwölf, die bei der konkreten Aktion mitmachen wollten, haben sich eine Stunde später an einer anderen Adresse wieder getroffen. Erst dann wurde es konkret. Dann werden Sie bitte konkret. Was ist dann passiert? Im harten Kern der vier Leute hatten wir schon alles vorgedacht und am Umsetzungsort auch schon alles vorbereitet. Insbesondere hatten wir schon mehrere Monate überregional Papier zusammengetragen. Wer alleine mehrere 10.000 Blatt Papier kauft, machte sich ja schon verdächtig. (schmunzelt) Und das meiste gab es ja auch nicht zu kaufen, wenn man es brauchte. Wie nennen Sie das heute in der Projektarbeit? Ressourcenplanung und -bereitstellung? Eben Papier besorgen. Dann nennen wir Ihren vierköpfigen Kern bitte auch Projektkernteam. Von denen kannte also jeder den kompletten Plan und alle Details? So ganz dann doch nicht. Das war wiederum eine Frage der Sicherheit. Wo z. B. die Druckmaschine stand, wusste nur Michael Arnold. Wenn jemand in Untersuchungshaft kam und unter Druck gesetzt wurde, dann haben viele zwangsläufig etwas erzählt. Deshalb war wichtig, dass nicht jeder alles weiß. Was Du nicht weißt, kannst Du nicht erzählen. Und wenn Michael Arnold verhaftet worden wäre? Dann wäre die Druckmaschine weg gewesen. Selbst wenn er im Verhör noch eine Weile hätte widerstehen können, wir hätten die Maschine in der Zeit nicht retten können. Keiner sonst wusste, wo sie steht. Aber dazu kam es ja zum Glück nicht. Sie waren also acht Leute-… …- und haben vier Zweierteams gebildet. Es ist nie einer alleine gegangen. Wir haben dann die Leipziger Stadtbezirke aufgeteilt, wer wo Flugblätter verteilt. Jedes Team hat eine Nummer bekommen, von 1 bis 4, und eine Telefonnummer. Die sollte man sich nicht aufschreiben, sondern merken, und nach erfolgreicher Flugblattverteilung wurde angerufen: „Nr. 1 meldet sich zurück.“ Dann wusste z. B. nur der Angerufene: Team Nr. 1, bestehend aus Michael Arnold [↗] und Gesine Oltmanns [↗] haben die Flugblattverteilung im Stadtbezirk XY erfolgreich abschlossen. Interview | Changemanagement für 17 Millionen 89 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0104 Die MfS-Telefonüberwachung konnte dem mitgehörten Anruf aber nichts entnehmen. Welchen Planungshorizont ermöglicht diese Vorgehensweise? Die geschilderte Aktion für den 15. Januar ‘89 wurde im November ‘88 geboren, also etwa zwei Monate vorher. Wir haben uns fast jeden Abend in einer anderen Wohnung getroffen: etwa drei Wochen für die Detailplanung, drei Wochen Matrizen schreiben und Vervielfältigungsvorbereitung. Die eigentliche Verteilung der Flugblätter war dann nur eine Nacht. Jetzt wird es sehr spannend, aber sind die-- ich will sie fast Geheimdienstmethoden nennen-- noch auf heutige Arbeitsweisen übertragbar? Sicherlich nicht in der Brisanz und Konsequenz. Ich weiß nicht, in welchen Projekten heute noch jemandem Gefängnis oder schlimmeres droht. Zwei führende Mitarbeiter eines deutschen Autokonzerns wurden im Rahmen des Diesel- Abgasskandals in den USA zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Da ging es auch darum, wer was wann von wem wusste, ob man Arbeitsanweisungen ausgeführt oder selbst Entscheidungen getroffen hat. Das war sicher ein einmaliger Fall. Auch bei Demonstrationen, Gegendemonstrationen, Aktionen von Umweltaktivisten, auch Streiks im Bahn- oder Luftverkehr-- all das wird lange intern geplant, aber erst sehr kurzfristig kommuniziert. Dann haben Sie Ihre Frage doch selbst schon beantwortet. Die richtige Kommunikation ist entscheidend. Auch heute noch gilt: die richtigen Unterstützer rechtzeitig informieren und aktivieren, unnütze zeitraubende Kommunikation vermeiden und insbesondere potenzielle Störer und Verhinderer nicht zu früh aufschrecken. Verantwortung und Risikomanagement Kommen wir zurück zu Ihren Vorbereitungen des 15. Januar ‘89. Gab es über diesen Termin hinausgehende Gedanken? Nur im Sinne einer persönlichen Risikoabschätzung. Wird man festgenommen, verhört, eingesperrt, vielleicht sogar gefoltert- - physisch oder psychisch? All das war nicht abzuschätzen. Haben Sie sich auf solche Szenarien vorbereitet? Kann man das überhaupt? Oder haben Sie einfach gehofft, dass alles gut geht? Wirksam vorbeugen kann man dem kaum. Primär muss im Falle einer Festnahme schnell Öffentlichkeit hergestellt werden. Wir haben die Freunde bei der Charta 77 und Solidarnosc informiert. Bei denen und auch bei einigen westlichen Journalisten waren Namen und Porträtfotos aller potenziell Beteiligten hinterlegt. Wenn die Namen der Verhafteten in Ost und West in den Medien schnell und konkret erscheinen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie a) überleben und b) vielleicht sogar schnell wieder freigelassen werden. Die westlichen Fernsehbilder waren Teil unserer Sicherheitsstrategie für Verfolgte und Verhaftete. Es gab also keine allumfassende Risikobetrachtung, sondern einen Fokus auf das persönliche Hauptrisiko, d. h. die Vermeidung bzw. schnelle Beendigung einer möglichen Haft. Im Grunde hat es sich darauf konzentriert. Wenn man verhaftet wurde, hatte man alles Weitere sowieso nicht mehr in der Hand. Das war übrigens auch etwas, was die Berliner Opposition uns Leipzigern vorwarf. Bei der Auswertung nach unserer Freilassung sagten sie, wir hätten uns gar nicht auf die Haft vorbereitet. Wie verhalte ich mich dem Vernehmer gegenüber? Welche Aussagen mache ich? Kann ich die Aussage verweigern? Welche Rechte habe ich? Welche sind durchsetzbar? Habe ich einen Anwalt? Usw. Man hat uns vorgeworfen, unvorbereitet und naiv zu sein. Und waren Sie es nicht auch ein bisschen? (schmunzelnd): Nicht nur ein bisschen. Mit jeder neuen Aktion übernimmt man natürlich auch ein Stück Verantwortung, für sich und für andere, oder? Oh, das müssen wir jetzt differenzieren. Uns wurde regelmäßig vorgeworfen, dass wir dafür verantwortlich sind, dass andere an unseren Demonstrationen teilnehmen und sich so in Gefahr begeben. Das war die rhetorische Keule, mit der die Kirche uns ein schlechtes Gewissen machen wollte. Wir haben jede Verantwortung für die freie Entscheidung Anderer abgelehnt. Der Staat sollte nicht für uns denken und wir wollten nicht für Andere denken. Wir haben lediglich versucht zu ändern, was uns nicht gefiel. Wir haben eigenverantwortliche Denkprozesse angeregt und für alle permanent sichtbar und kalkulierbar Angebote gemacht, sich uns anzuschließen. So funktionieren Change Prozesse. …-auch heute noch. Man muss viel Überzeugungsarbeit leisten, aber letztlich entscheidet jeder selbst, welchen Aktionen man sich mit welchem Eigenanteil anschließt. Aber zurück zur Differenzierung. Welchen Aspekt der Verantwortung gab es denn noch? Im Herbst ‘89 hat sich die Lage ja dramatisch schnell, fast wöchentlich geändert. Mit der Entstehung des Neuen Forums gab es auch sehr schnell eine Bezirksgruppe in Leipzig. Zu dem Zeitpunkt war die Situation schon so weit gekippt, dass ich bedenkenlos meine private Adresse in Leipzig Grünau für Sprechstunden angegeben hatte. Was war das Problem? Die Transparenz hat doch sicherlich Vertrauen geschaffen. Die Leute haben Schlange gestanden vor meiner Wohnung, von der vierten Etage den ganzen Hausflur runter, draußen bis zur nächsten Hausecke und weiter. Ich konnte aus meinem Fenster das Ende der Schlange nicht mehr sehen. (lacht laut.) Die Privatadresse anzugeben, war vielleicht etwas unüberlegt. Interview | Changemanagement für 17 Millionen 90 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0104 Was heißt das? Welcher Schaden ist entstanden? Zum Glück ist kein wirklicher Schaden entstanden. Es war nur ein Beispiel unserer mangelnden Professionalität. Die Ost-CDU und -SPD hatten jeweils große Schwesterparteien im Westen. Die inzwischen in PDS [↗] umbenannte SED hatte eine etablierte Infrastruktur mit hauptamtlichem Personal. Wir hatten weder das Eine, noch das andere, sondern kein Geld / keine Einnahmen / auch keine Rücklagen-… einfach nichts. Wir sprachen schon vom Change im Change. Hatten sich die Forderungen des inzwischen mobilisierten Volkes vielleicht auch etwas von den Zielen der Ur-Opposition aus dem Beginn der 80er Jahre entfernt? Die Sprechchöre auf der Straße verdeutlichen das recht gut. Sie haben sich fast wöchentlich geändert. „Wir sind keine Rowdies“, war der erste, um Massenfestnahmen zu vermeiden. „Wir wollen raus! “, war dann der Ruf nach Freiheit, gefolgt von „Wir bleiben hier! “, weil die unbequem gewordenen sich nicht abschieben lassen wollten. Sie wollten nur „Visafrei bis Hawaii“. Nach wenigen Wochen hieß es schon: „Kommt die D-Mark, bleiben wir. Kommt sie nicht, gehen wir zu ihr.“, also die Forderung nach einer Währungsunion und erstmals mit einer Drohung verbunden. Sinnbildlich wurde mal gesagt: Wir waren die ersten, die sich mit ganzer Kraft gegen die Mauer gestemmt haben. Sie stürzte tatsächlich ein und die Nachfolgenden überrannten uns, Zielen entgegen, die wir nicht mehr beeinflussen konnten. Kalkulierbarkeit und Terminierung Das ist natürlich bitter. Die bereits angesprochenen Modelle zum Changemanagement sind eher konzeptioneller Natur und gehen von einer zumindest weitgehenden Planbarkeit und Steuerbarkeit aus. Bis zur Phase der Mobilisierung hat es ja auch gut funktioniert. In den für uns wesentlichen Belangen auch darüber hinaus. Bitte nicht falsch verstehen. Ich bin nicht unzufrieden mit dem Verlauf der friedlichen Revolution. Erinnern wir uns an die eingangs genannten Ziele: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, politische Teilhabe durch die Möglichkeit der Gründung von Parteien- … usw. haben wir alles erreicht, wenn auch in einem anfangs nicht absehbaren Gesamtzusammenhang. Was einem einfach klar sein muss: Wenn die Mobilisierung funktioniert, vervielfachen sich die Akteure. Damit steigen die Vielzahl und Vielfalt der Ziele und Interessen. Darauf muss man vorbereitet sein und es moderieren. Schon in Goethes Zauberlehrling ist die Rede von „… den Geistern, die ich rief“. Die Mobilisierung ist vermutlich nur bedingt planbar und insbesondere nicht terminierbar, oder? Ich kann mich nur zur Veränderung im Rahmen politischer Umbrüche äußern. Das sind große Systeme, langlaufende Prozesse und extrem viele Wechselwirkungen mit dem Umfeld. Die langfristorientierte Projektsicht hatten wir damals auch nicht. Wir hatten ja keinen Projektauftrag. Jede Terminierung kommt daher schnell an ihre Grenzen. Was aber funktioniert und auch wichtig ist, günstige Zeitpunkte mit begünstigenden Rahmenbedingungen suchen und auch nutzen. Haben Sie ein Beispiel? Wir sprachen mehrfach über den 15. Januar 1989. An dem Tag fand das KSZE-Folgetreffen [↗] in Wien statt. Da sind der bundesdeutsche und der US-Außenminister auf die Delegation der DDR getroffen und haben Menschenrechtsverletzungen konkret angesprochen. Als Zeichen des guten Willens hat die DDR dann einige inhaftiere Oppositionelle wieder freigelassen. Das kann man nicht planen, schon gar nicht beauftragen. Aber man kann die Zusammenhänge kennen und hoffen, dass sie unterstützend wirken. Manchmal hilft eben auch der Faktor Glück-… …- umso öfter, je mehr Zusammenhänge man erkennt. Die Montags-Demo am 04. September 1989 [↗] war nach den Sommerferien bewusst gewählt und nicht nur zufällig unübersehbar. Was heißt unübersehbar? Die Demo- Teilnehmerzahlen lagen doch zu der Zeit noch ganz deutlich unter den letztlich vielen 100.000. Richtig, aber in Leipzig war die Herbstmesse [↗]. Es waren viele Pressevertreter in der Stadt, auch akkreditierte westliche. Es war klar, dass sie die Demonstration filmen werden. Und dann war es über das Westfernsehen auch im Osten zu Abbildung 2: Fünf-Phasen-Modell für Change Management. Wenn nicht konkret und bewusst ein Change-Projekt gestartet wird, wird es für die Bottom-up-Agierenden unendlich schwer Interview | Changemanagement für 17 Millionen 91 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0104 sehen. Deshalb sagte ich: unübersehbar. Das hat auch die letzten gezwungen sich zu positionieren: Bin ich systemtreu oder denkfauler Mitläufer? Will ich auch in den Westen flüchten oder im Osten etwas ändern? Erst fragten einige hinter vorgehaltener Hand, dann kamen sie zur Demo als Zuschauer, dann wurde applaudiert und am Ende mitmarschiert. Dieser Prozess der persönlichen Meinungsbildung verlief bei einigen früher und schneller, bei anderen später und langsamer. Wichtig für jeden Changeprozess ist ein gut und dauerhaft funktionierender Kristallisationskern, der Vorbildcharakter entfaltet und immer größere Wellen schlägt. Vom 04. September bis zum 09. Oktober 1989 ist die Zahl der Montagsdemo-Teilnehmer wöchentlich exponentiell gestiegen, auch, weil sie fortan medial begleitet wurde. Apropos Leipziger Messe: Warum hat der in der ganzen DDR vorherrschende Unmut gerade in Leipzig seinen Weg an die Oberfläche gefunden? Auch eine Frage der aus Terminierung resultierenden Kalkulierbarkeit für alle potenziellen Mitstreiter. Das Erfolgsrezept war Kontinuität. Jeden Montag um 17: 00 Uhr! Und das über fast 10 Jahre! Das gab es in keiner anderen Stadt. So kamen von Woche zu Woche auch mehr überregionale Teilnehmer. Leipzig wurde großräumig zum Magnet für Unzufriedene, die demonstrieren wollten. Zugereiste haben Losungen und Sprechchöre oft 1: 1 übernommen. Die inhaltliche Synchronisation mit anderen Städten war gleichzeitig eine Frage der Effektivität in deren Planung. Dokumentation & Erfahrungssicherung Wir haben viele Beispiele Ihrer Vorgehensweise verstanden, weil die Geschehnisse im Herbst ´89 keinen Auftraggeber und keinen verantwortlichen Projektleiter hatten. Es erübrigt sich also nach einem Projektabschussbericht und einer dokumentierten Erfahrungssicherung zu fragen. Ein Abschlussbericht? -- was auch immer Projektmanagementexperten darunter verstehen mögen. Aber es gibt das Archiv Bürgerbewegung. Wir sammeln und bewahren Hinterlassenschaften von Opposition & Widerstand als Pendant zu staatlichen Archiven. Wer ist Ihre Zielgruppe? Bis heute kommen viele Historiker aus allen Teilen der Welt in die ehemalige DDR und forschen zu dem Thema. Da sie anfangs kaum Unterlagen fanden, haben sie zwangsläufig und fast ausschließlich auf staatliche Protokolle zurückgegriffen, die eine sehr einseitige Sicht auf die Dinge haben. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die gerade angesprochene einseitige Sicht kann doch nach der Wende keine DDR-Sicht mehr gewesen sein. Oder worauf wollen Sie hinaus? Doch, genau das! Staatliche Archive bewahren- - zumindest größtenteils- - Dokumente von der SED, der DDR-Polizei und dem MfS. Einige DDR-Museen sind geeignet, sich über Konsumgüterknappheit zu informieren und verkaufen aus falsch verstandener (N)Ostalgie FDJ-Fahnen [↗] und DDR-Militärorden. Das Frauengefängnis Hoheneck [↗] und einige rekonstruierte Stasi-Verhörräume zeigen die Geschichte zumindest in einer gewissen Ernsthaftigkeit, aber auch nur die negativen Seiten. Wir wollen zeigen, wie die Opposition gedacht hat und organisiert war. Der historische Hintergrund leuchtet ein. Aber zieht ein Archiv Besucher an? Ja. Schüler und Lehrer, Studenten und Dozenten, Forscher und Promovierende, Journalisten, privat Interessierte, auch Oppositionelle aus anderen Ländern. Viele wollen entweder konkrete Themen aus dem deutschen Herbst ´89 recherchieren oder allgemein auf realen Dokumenten basierend verstehen, wie eine Diktatur funktioniert und wie man sich dagegen wehren kann. Das kann ja auch jederzeit wiederkommen. Zumindest Montagsdemonstrationen tauchen immer mal wieder auf. Und wem gehört diese Bezeichnung? Auch das populäre „Wir sind das Volk“ ist vereinzelt immer mal wieder zu hören. Man kann so etwas leider nicht schützen. Allein um zu dokumen- Abbildung 3: An der BAB 114 begrüßt Leipzig noch heute stolz seine Besucher mit einem Hinweis auf die Ereignisse im Herbst ´89 Interview | Changemanagement für 17 Millionen 92 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0104 tieren, in welchem Kontext welche Formulierungen, Symbole und Werte entstanden sind und über missbräuchliche Nachnutzung aufzuklären, sind Archive nicht zu unterschätzen. Sie nannten auch ausländische Besucher. Ich erinnere mich in Nikosia auf Zypern zwischen dort heute noch stationierten UN-Soldaten Plakate gesehen zu haben „Vergesst die letzte geteilte Hauptstadt Europas nicht! “ Ja, auch. Öfter hatten wir aber z. B. Besuch aus Südkorea. Die suchen selten Artefakte, sondern eher das Gespräch, eine Information, einen Rat. Wie geht das mit der Wiedervereinigung? Was können wir an der Schnittstelle zu Nordkorea tun? Was können wir ggf. falsch machen? Es waren auch mindestens vier Amerikaner hier, die anschließend jeweils ein Buch geschrieben haben. Die wollten dann wiederum primär konkrete Quellen recherchieren. Und jüngst erinnere ich mich an den Besuch eines Künstlers, der die Menschen in Taiwan mit provokativen Kunst-Installationen zwingt, sich immer wieder mit den Verbrechen in Taiwan auseinanderzusetzen. Der deutsche Herbst ‘89 war- - ohne Übertreibung- - weltverändernd. Das interessiert Leute in allen Teilen der Welt. Sie arbeiten heute deutlich strukturierter, professioneller, besser geplant und vor allem langfristiger, als das früher in der Opposition möglich war. Erzählen Sie uns etwas über Ihre jetzige Arbeit. Es ist wichtig, dass es überhaupt die Möglichkeit gibt, Dokumente von und über Leute zu sammeln, die in der Opposition und im Widerstand waren. Neben der Dienstleistung der Archivierung (siehe Info-Box, Abbildung 5) arbeiten wir auch mit den Materialien. Das ist unseren Input-Gebern wichtig, dass wir ihr Gedächtnis nicht nur wegschließen, sondern damit arbeiten und Ergebnisse erzeugen. Haben Sie ein Beispiel? Was machen Sie konkret? Wenn Schulklassen zu uns kommen, erklären wir, was ein Archiv ist und wie man recherchiert. Selbst fortgeschrittene InternetUser, die mehr als TikTok machen und Musik streamen, können selten eine Sachinformation von Fake News sicher unterscheiden. Auch unsere Zeitzeugeninterviews reichen nicht aus, wenn sie die einzige Quelle sind. Ein Einzelner kann sich irren, etwas vergessen, kann über- oder untertreiben. Es ist immer eine subjektive Einzelmeinung. Wie erfährt man die Wahrheit und wie erkennt man sie? Wie ist mit Wahrscheinlichkeiten, unsicheren und unvollständigen Informationen umzugehen? Oh ja, das ist für jeden Projektmitarbeiter wichtig, nicht nur sicher in der Methodenanwendung zu sein, sondern auch unter Unsicherheit Entscheidungen treffen zu können. Also fassen wir zusammen: Quellen-- im Plural-- auswerten, Erkenntnisse ziehen, sich dann eine Meinung bilden und daraus eine Aktivität ableiten. Genau das vermitteln wir unseren Besuchern mit einer sehr kleinen Mannschaft in angespannter Finanzlage. Aber ich will nicht klagen. Wir sind ein motiviertes Team (Anm.: 30 Vereinsmitglieder und z. Zt. 11 Mitarbeiter inkl. Praktikanten und Hilfskräfte, fast alle projektfinanziert, einige sogar ehrenamtlich) und nicht vergleichbar mit manch traumatisiertem Einzelschicksal, dass wir hier erleben. Abbildung 4: Uwe Schwabe im Leipziger Archiv Bürgerbewegung Interview | Changemanagement für 17 Millionen 93 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 05/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0104 Traumatisiert im medizinischen und psychologischen Sinne oder reden Sie von Demotivation und Desillusionierung Einzelner? Können Sie und vor allem dürfen und möchten Sie das näher ausführen? Es gibt nicht nur die unzähligen selbsternannten „Helden“, die nach eigener Aussage die Wende höchstpersönlich im Alleingang herbeigeführt haben. Ich rede von denen, die wirklich zu einem sehr frühen Zeitpunkt schon sehr aktiv waren. Sie haben über Monate, teilweise über Jahre unter höchster Anspannung am Rande der Legalität und darüber hinaus agiert, haben durch ihre Aktionen oft auch Familie und Freunde in Gefahr gesehen, haben oft Hafterfahrung, hatten nach der Haftentlassung oft einen gesellschaftlichen Makel und wurden als Ex-Häftlinge als kriminell abgestempelt, haben in Verhören xfach stundenlang psychologisch top-geschulten Vernehmerteams gegenübergesessen und unter hohem Druck nicht selten Informationen verraten, die sie versprochen hatten, niemals zu verraten, was Ihnen bis heute viel Scham bereitet-… Verantwortung übernehmen muss man wollen UND können. Das hat vielfältige Konsequenzen. In der Form ist das wohl den wenigsten Außenstehenden bewusst. Großprojekte werden häufig als Karrieresprungbrett, aber selten als persönliche Belastung wahrgenommen. Haben Sie für solche Gespräche geschultes Personal? Ich kenne viele dieser Situationen aus eigener Erfahrung und kann in Gesprächen gut Vertrauen aufbauen. Aber auch ich brauche in einigen Fällen viele Monate, die Geber zu motivieren, ihre Hinterlassenschaft in professionell archivierende Hände zu geben. Und wer Ihr Archiv so kennen und schätzen lernt, der gibt dann trotz erster Bedenken seine Hinterlassenschaft in Ihre Hände? Ja, oft, weil die Geber teils heute noch aktiv mitarbeiten können, wie sie es damals aus der Opposition heraus gefordert haben. In unserem letzten Projekt haben wir ein eigenständiges Kleinarchiv integriert. Ca. 25.000 Seiten waren schon zu bröselig für den automatischen Blatteinzug und mussten manuell aufgelegt einzeln gescannt werden. Zwei Hilfskräfte der Hochschule waren fast ein Jahr beschäftigt. Aber jetzt diesen Schatz anbieten und damit immer wieder arbeiten zu können, das motiviert alle Beteiligten und nützt vielen. Wir bedanken uns für das Gespräch, auch bei Frau Dr. Saskia Paul, der Leiterin des Archivs, die aus dem Hintergrund immer wieder Informationen ergänzt und Anschauungsmaterial reicht. Weiterführende Literaturempfehlung: Peter Wensierski „Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution: Wie eine Gruppe junger Leipziger die Rebellion in der DDR wagte“, SPIEGEL-Buchverlag 2017 (gleichnamig verfilmt) Uwe Schwabe * 04. Mai 1962 in Leipzig • DDR-typische Kindheit und Jugendzeit in der Pionierorganisation, FDJ, Wehrdienst in der NVA • beruflicher Einstieg in die DDR-Handelsflotte verwehrt (→ persönliche Eignung für den grenzüberschreitenden Verkehr wurde ihm abgesprochen) „Und dann war es einfach: a) sich anpassen und in der Masse mitschwimmen. Das wollte ich nicht. b) einen Ausreiseantrag stellen und meine Heimat verlassen. Das wollte ich auch nicht. Also c) Gleichgesinnte suchen und ausloten, was man erreichen kann.“ • Gründungsmitglied der Initiativgruppe Leben, eine der frühen, aktiven und bedeutenden Leipziger Oppositionsgruppen in den 1980er Jahren • seit 1991: Vorstandsvorsitzender im Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V. (https: / / www.archiv-buergerbewegung. de) im Haus der Demokratie, Leipzig • zahlreiche Ehrungen für beispielhafte Zivilcourage u. a. Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (1995) und Deutscher Nationalpreis (2014) • Intensive recherche nach relevanten Dokumenten und Zeitzeugen • Erstgespräche mit Gebern, gemeinsame Langfristziele vereinbaren, zur Bestandsfortführung in professioneller Archivierung motivieren • Übergabe von Informationen, Dokumenten, Artefakten,- … inkl. Vorsortierung und Beschriftung (inzwischen sind es >1.000 Samisdat-Schriften, >250 Plakate, >100 Audio- und Videoaufnahmen, >180 Objekte, zzgl. >300 Zeitzeugeninterviews) • Entfernen von Büro- und Heftklammern, Aktendullis und allem Metallischem, auch Folienhüllen etc. • Inventarisierung mit säurefreiem Papier in säurefreien Kartons • Digitalisierung (neben physischer Lagerung recherchierbar in Datenbanken ablegen) und Verschlagwortung • Bereitstellung der Artefakte während der Öffnungszeiten; ergänzend elektronisch in online-Archiven • Wissenschaftliche verwertung der Inhalte (Bücher/ Broschüren/ Veröffentlichungen, Veranstaltungen, Ausstellungen, Gesprächskreise/ Zeitzeugen-Interviews, Bereitstellung von über 30.000 Fotos für Journalisten, Forscher, etc.) • Regelmäßige Begleitung von Medienbrüchen, d.h. ca. alle 10 Jahre geänderte Dateiformate und Speichermedien In Summe ca. 140 persönliche Sammlungen und ein Dutzend Nachlässe. In der Aufarbeitung ist das meiste sehr arbeitsintensiv. Das wenigste wird institutionell gefördert. Abbildung 5: Projekte zur Archivierung und Nutzung der Hinterlassenschaften Oppositioneller Studium und Beruf Körperausdruck in erfolgreich einsetzen www.narr.de 92% 93% Verschaffen Sie sich mit dem aktuellen Assessment einen Überblick über den Funktionsumfang unserer Software. Ein kleiner Schritt im Assessment, ein großer Sprung für PLANTA Experten-Assessment durch Le Bihan und projektmagazin Mit 93 % bewertet - Unsere Software begleitet Sie von der Planung bis zum Abschluss und wird stetig verbessert, für Ihren Projekterfolg. Funktionalität, Usability, Flexibilität - für Teams und Management. Vertrauen Sie den PM-Experten aus Karlsruhe. Jetzt testen: www.planta.de Verschaffen Sie sich mit dem aktuellen Assessment einen Überblick über den Funktionsumfang unserer Software. 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