PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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Gesellschaft für ProjektmanagementProjektmanagement bei W.E.T. Automotive Systems AG
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Max L. J. Wolf
W.E.T. liefert Autositzheizungen, Kabelsysteme und Industrie-Heizelemente. Eine Fülle von Projekten als Kundenaufträge sind parallel zu managen und zu bewältigen. In dem Interview werden die Methoden, Vorgehensweisen und Teamaspekte in der W.E.T. erfragt und dargestellt, mit denen das umfangreiche Entwicklungsprogramm termin- und kostengerecht zu bewältigen ist. Interessant ist ferner, welche Standards und Werkzeuge genutzt werden. Dieser Beitrag aus der Automotive-Praxis zeigt auf, welche Möglichkeiten die Anwendung von Projektmanagement bietet.
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P R O J E K T M A N A G E M E N T 2 / 2 0 0 0 44 Zusammenfassung W.E.T. liefert Autositzheizungen, Kabelsysteme und Industrie-Heizelemente. Eine Fülle von Projekten als Kundenaufträ ge sind parallel zu managen und zu bewältigen. In dem Interview werden die Methoden, Vorgehensweisen und Teamaspekte in der W.E.T. erfragt und dargestellt, mit denen das umfangreiche Entwicklungsprogramm termin- und kostengerecht zu bewältigen ist. Interessant ist ferner, welche Standards und Werkzeuge genutzt werden. Dieser Beitrag aus der Automotive-Praxis zeigt auf, welche Möglichkeiten die Anwendung von Projektmanagement bietet. Abstract W.E.T. supplies carseat heaters, cablesystems and industrial heating-elements. A multitude of projects must be handled and managed parallely as customer orders. During the interview the methods, procedures and team-aspects at W.E.T. for managing the extensive development-program timeand cost-effectively are inquired into and presented. It is of further interest which standards and tools are being used. This entry from the automotive field shows which possibilities the application of project management offers. Schlagwörter Automotive, FuE -Projekte, Matrixorganisation, Multiprojektmanagement, Projektkoordination, Projektstatus, Ressourcenkonflikt Wolf: Herr von Löbbecke, Ihre Firma arbeitet in der Automobilbranche. Was liefern und leisten Sie für die Automobilbauer? Von Löbbecke: W.E.T. - das steht für Autositzheizungen, Kabelsysteme und Industrie-Heizelemente. Mit unseren Sitzheizungen sind wir groß geworden. Die automobile Kabelkonfektion einschließlich Reglern und Schaltern ist dann - produktionsbedingt - nach und nach hinzugekommen. Sie ermöglichte uns eine Diversifizierung „rund ums Auto“. Die höheren Anforderungen an die Zulieferer der Automobilindustrie hinsichtlich Preis, Qualität und Liefertreue sind die Herausforderungen für unser Projektmanagement. Zunehmend werden FuE-Aufgaben auf die Vorlieferanten verlagert. Entsprechend hoch ist der Stellenwert, den Forschung und Entwicklung in unserem Unternehmen haben. Mittlerweile liegt der Aufwand für FuE-Projekte bei einem Umsatzanteil von über 5%. Um auch in Zukunft unsere Innovationsstärke und Termintreue zu sichern, haben wir vor ca. 1 Jahr die Stelle Projektkoordination, die ich leite, eingerichtet. Unsere Fertigungsstätten befinden sich in Europa, z.B. auf Malta und in Ungarn, für die USA in Mexiko und Kanada. Wolf: Welche Methoden des Projektmanagements wenden Sie an? Von Löbbecke: Wir arbeiten im Stab von 2-4 Personen, der unter der Geschäftsführung angesiedelt ist. Unsere Aufgabe ist es, bei der Vielfalt der Projekte diese vom Start bis zum Abschluss zu begleiten. Dieses Multiprojektmanagement von ca. 75 Projekten wickeln wir nach dem Standard QS 9000 bzw. APQP (Advanced Product Quality Planning) ab. Wolf: Wie starten Sie ein Projekt? Von Löbbecke: Formell wird ein Projektantrag im Projektkreis vorgestellt und verabschiedet. Der Projektkreis besteht aus den Bereichsleitern, unserer Koordinierungsstelle und dem Vorstand. Dort wird der Projektleiter ernannt, das Team festgelegt und abgestimmt. Hier gilt es auch, die Ressourcen dem Projekt zuzuordnen und für Problemfälle Projektmanagement bei W.E.T. Automotive Systems AG Ein Interview mit Bernd von Löbbecke M A X L . J . W O L F 45 eine Plattform für den Projektleiter zu schaffen. Eine der ersten Aufgaben des Projektleiters ist es, einen Projektauftrag zu formulieren und mit dem Projektkreis abzustimmen. Wenn dieser Projektauftrag mit den Hauptakteuren abgestimmt ist, wird das Projekt mit einem Kick-off-Meeting eröffnet. Dem Projektleiter steht ein Projektmanagement-Handbuch zur Abwicklung des Projektes zur Verfügung. Dort sind Kompetenz, Aufgabenstellung und Zusammenspiel Projektleitung und Projektkreis formuliert. Ferner steht dem Projektleiter ein Standard-Projektplan als file mit den entsprechenden Dokumenten zur Verfügung. Wolf: Dies führt mich zum Thema: Wie tief planen Sie Ihre Projekte ? Von Löbbecke: Ein Projekt umfasst ca. 40-50 Arbeitspakete. Sollte dies den Rahmen sprengen, dann werden Teilprojekte gebildet. In der QS 9000 bzw. APQP sind die Meilensteine vom Lastenheft bis zum SOP detailliert beschrieben und bilden das Gerüst einer Projektstruktur für die weitere Detaillierung der Arbeitspakete. Unser Kunde übergibt uns ein Lastenheft, das wir mit ihm verfeinern und abstimmen. Daraus entwickeln wir ein textuelles Pflichtenheft. Eine grafische Visualisierung des Liefer- und Leistungsumfanges findet nicht statt. Projektleiter und Controller schätzen die Arbeitspakete auf der Basis früherer Projekte aufwandsmäßig ab. Der Preis für den Kunden wird durch Zuschlagskalkulation ermittelt. Das von uns abgegebene Angebot mit seinem technischen Konzept (Pflichtenheft) ist dann Gegenstand der Vertragsverhandlungen mit den Kunden. Die Problematik besteht darin, dass in dieser frühen Phase der Kunde für sein Fahrzeug keine exakten Daten an uns liefern kann. Dies macht uns beim Einstieg und der weiteren Abwicklung des Projektes Sorgen. Wolf: Sie haben eine Matrix-Organisation. Wie haben Sie da den Konflikt „Linie-Projekt/ Projekte“ gelöst? Von Löbbecke: Wie schon erwähnt, spielt in diesem Konfliktfeld der Projektkreis eine zentrale Rolle. Dieser Projektkreis tagt alle 14 Tage. Er definiert für die einzelnen Projekte die verfügbaren Ressourcen und nimmt je nach Kundensituation und Verlauf der Projekte eine Ressourcenkorrektur vor. Der Projektleiter kann mit der Projektkoordination im Projektkreis den Stand der Dinge darstellen und bei Ressourcenkonflikten die entsprechenden Konsequenzen aufzeigen. Der Projektleiter wird dann vom Projektkreis je nach Dringlichkeit seines Projektes die entsprechende Unterstützung bekommen. Wolf: Welche Kompetenzen hat bei dieser Matrix-Organisation ein Projektleiter bei der W.E.T? Von Löbbecke: Im Wesentlichen hat der Projektleiter die fachliche Weisungsbefugnis gegenüber dem Projektteam. Er ist verantwortlich für ein projektbezogenes Informationsmanagement. Im Zweifelsfall steht ihm ein Entscheidungsrecht für die Technik und die Arbeitseinteilung zu. Er gibt Teilaufgaben zur Bearbeitung frei und akzeptiert bzw. schließt Projektergebnisse und Teilschritte mit seinem Projektteam ab. Die Budgethoheit liegt beim Projektkreis. Wolf: Bisher haben wir nur vom Projektleiter gesprochen. Wie hoch ist denn der Anteil der Frauen in der Projektleitung? Von Löbbecke: Leider haben wir zur Zeit nur eine Frau als Projektleiterin. Wir hätten gerne mehr Frauen. Wir würden uns dadurch eine Steigerung der sozialen Kompetenz erwarten. Gute Teamführung und Einfühlungsvermögen sind unsere positiven Erfahrungen mit unserer Projektleiterin. Wolf: Kommen wir zur Projektverfolgung. Wie organisieren Sie Ihre Projektstatusbesprechungen? Von Löbbecke: Im vorgegebenen Entwicklungsprojektablauf sind drei Meilensteinfreigaben vorgesehen: QB1 bis QB3 (Quality Briefing). Bei diesen drei Design-Meilensteinen werden die Ergebnisse in Form eines Reviews mit definierten Formblättern überprüft und ein SOLL- IST-Vergleich durchgeführt. Neben diesem Meilenstein-Check findet im Abstand von 14-30 Tagen innerhalb der jeweiligen Phase eine Projektstatusbesprechung mit dem Projektteam statt. Diese Formblätter werden auch von den Projektteams unterschrieben. Unsere Projektdokumentation und Ablage sind DV-gestützt. Alle Projektbeteiligten haben das Leserecht und für die Projektleiter und die Koordinationsstelle gibt es eine Schreibberechtigung. Wolf: Welche Erfahrungen haben Sie mit der Teamarbeit gemacht? Von Löbbecke: Die Teams werden vom Projektleiter festgelegt und im Projektauftrag namentlich genannt. Der jeweilige Bereichsleiter gibt die Ressourcen frei. Was den Zusammen- P M - I N T E R V I E W P R O J E K T M A N A G E M E N T 2 / 2 0 0 0 46 halt und die Motivation der Mitarbeiter anbelangt, haben wir sehr gute Erfahrungen mit Teamarbeit gemacht. Wolf: Wir haben gesehen, dass in dem Projektgeschehen Ihre Koordinationsaufgabe scheinbar eine sehr zentrale Rolle spielt. Welche Aufgabe hat Ihre Koordinierungsstelle ? Von Löbbecke: Ein zentrales Ziel der Koordinierungsstelle ist, die Anwendung des Multiprojektmanagements sicherzustellen. Dazu gehört, dass im Bereich Projektmanagement geeignete Methoden und DV-lnstrumente zur Verfügung gestellt werden. Durch Simulation von Kapazitätsplanungs-Varianten wird die optimale Nutzung der Kapazitäten/ Ressourcen ausgelotet. Im Besonderen ist es unsere Aufgabe, Disharmonien aufzuzeigen und an der Erarbeitung von Lösungsvorschlägen mit den Beteiligten mitzuarbeiten. Im Kern geht es um die Beratung der Projektleiter. Neben dem Vorchecking gehört zum Projektcontrolling auch der SOLL-IST-Vergleich aller Projektdaten. Wir prüfen bei den einzelnen Projekten die Ressourcenauslastung und rechnen dies dann auf das gesamte Unternehmen hoch. Aus der Fülle der Daten stellen wir Projektmanagement-Kennzahlen auf, um diese z.B. bei der Kalkulation neuer Angebote zu nutzen; so weit die Innenwirkung unserer Koordinationsstelle. Gegenüber von Entscheidungsgremien (Projektkreis), Geschäftsführung und Linienverantwortlichen, verdichten wir die Informationen und tragen zur Entscheidungsfindung bei. Zur Koordinationsstelle gehört auch entsprechenden Weiterbildungsbedarf zu ermitteln und entsprechende Schulungen zu initiieren. Wolf: Nach der Beschreibung Ihrer Koordinationsstelle möchte ich zur Projektverfolgung zurückkehren. Welche Instrumente wenden Sie dort an? Von Löbbecke: Unser standardisierter Terminplan wird als MS-Project-Basisplan hinterlegt. Damit lassen sich terminliche SOLL-IST-Vergleiche durchführen. Ferner setzen wir die Meilenstein-Trendanalyse ein. Der kostenmäßige SOLL-IST-Vergleich wird durch unsere Projektdatenbank geregelt. Wolf: Welche Software setzen Sie bei der Projektarbeit ein? Auf welche Software können Sie nicht verzichten und warum? Von Löbbecke: Wir setzen MS Project für die Terminplanung und -verfolgung ein. Für die Kostenplanung und -verfolgung verwenden wir eine Access-Datenbank. Wolf: Wie ist bei Ihnen das Änderungswesen geordnet? Von Löbbecke: Wir haben ein gesteuertes Änderungswesen über Baan/ PPS-System. Auf der Basis eines Änderungsantrages werden die Änderungen beurteilt und gegebenenfalls in einen Änderungsauftrag überführt. Wolf: Wie gehen Sie beim „Claimen“ vor? Von Löbbecke: Wir setzen zunächst auf die Verhütung von Claims, indem wir die Lastenhefte klar definieren und die Herstellbarkeit analysieren. Bei eigenen Claims versuchen wir höchste Kompensation eigener Nachteile zu erreichen. Bei fremden Claims werden diese, falls sie berechtigt sind, vorbehaltslos akzeptiert. Wenn sie nicht berechtigt sind, werden sie grunds ätzlich in Frage gestellt. Klare Abläufe bei Claims sichern das Änderungswesen ab. Wolf: Woran scheitern Projekte bei Ihnen? Von Löbbecke: Durch den hohen Kundeneinfluss sind wir stark fremdgesteuert. Die Zeitvorgaben des Kunden sind trotz APQP sehr eng. Ferner ist die Projektvielfalt auch nicht förderlich. Bei ca. 75 Entwicklungsprojekten und einigen Organisationsprojekten ist die Mannschaft stark gefordert. Wolf: Was zeichnet Ihrer Meinung nach erfolgreiche Projekte aus ? Von Löbbecke: Den Erfolg der Projekte stellen wir durch den Projektleiter und definierte Teams sicher. Die soziale Kompetenz des Projektleiters ist dabei der ausschlaggebende Faktor. Hinzu kommt noch die Verfügbarkeit der entsprechenden Projektmanagement-Verfahren und -Tools. Wir setzen auf ein klar definiertes Lastenheft. Auch muss das Umfeld für die Projekte in der Firma stimmen. Die Kultur unseres Unternehmens ist durch „Projektmanagement-Leadership“ geprägt. Wir achten auf intensives Ressourcenmanagement und Portfolio- Management. Wolf: Welches Know-how-Profil sollte eine Projektleitung mitbringen? Von Löbbecke: Von der Teamfähigkeit und sozialen Kompetenz habe ich schon gesprochen. In Systemen zu denken erscheint mir auch wichtig. Das Anwenden von Problemlösungsmethoden ist ebenso hilfreich wie das gute Darstellen der Projekte. Am Ball bleiben, seinen Standpunkt vertreten können sind auch wichtige Know-how-Gesichtspunkte. 47 Wolf: Nun zu meiner letzten Frage. Wie schließen Sie die Projekte ab, z.B. durch ein Abschlussgesprä ch? Von Löbbecke: Nach dem SOP gibt es einen Abschlussbericht. Dieser Bericht wird vom Team erstellt. Die Erfahrungen aus abgelaufenen Projekten sammeln wir in einer Wissensdatenbank. Diese Kerngrößen helfen uns, neue Projekte zu bewerten und auf Kiel zu legen. Wolf: Herr von Löbbecke, ich danke Ihnen für das Interview. Interviewter Bernd von Löbbecke, Dipl.-Ing. (FH); Maschinenbaustudium an der FH München, anschließend Postgraduierten- Studium Systems Engineering. Berufseinstieg als Projektingenieur bei der W.E.T. Automotive Systems AG, ab September 1998 Leiter der Projektkoordination; seit Januar 2000 als Werksleiter Operations im Werk Schlüchtern der W.E.T. AG tätig. Anschrift W.E.T. Automotive Systems AG Gesch ä ftsbereich Kabeltechnik Werksleiter Operations Breitenbacher Straße 40 D -36381 Schlüchtern Tel.: 0 66 61/ 9 63-6 36 Fax: 0 66 61/ 9 63-6 35 Interviewer Max L. J. Wolf, Dipl.- Volkswirt, Jahrgang 1949; seit zehn Jahren als Berater, Trainer und gesch ä ftsführender Gesellschafter von Wolf Prozessmanagement- Training GmbH auf den Gebieten „Know-how trainieren“, „Projekte managen“ und „Prozesse gestalten“ tätig. Er bringt Erfahrung aus den Bereichen SW-Entwicklung, Anlagen- und Maschinenbau und Elektronik mit. Max L. J. Wolf hat mehrere Artikel zur Projektplanung und -verfolgung herausgegeben. Sein Buch „Projektmanagement live“ ist in der 2. Auflage erschienen. Anschrift Wolf Prozessmanagement-Training GmbH Wiesenweg 17 D -85716 Unterschleißheim Tel: 0 89/ 3 10 79 92 Fax: 0 89/ 3 10 48 52 P M - I N T E R V I E W