eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 11/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
121
2000
114 Gesellschaft für Projektmanagement

Management immer wiederkehrender Projektrisiken

121
2000
Dieter Coy
Es wird versucht, die quantitative Wirkung von Risikovorsorge und -bewältigungsmaßnahmen zu ermitteln. Dazu werden die bedrohlichen Risiken identifiziert und die Maßnahmen im Ablauf eines Projektmodells beschrieben. Am Beispiel einer Neuentwicklung eines Serienproduktes wird die dramatische Zeit- und Budgetunterschreitung deutlich, wenn Risikomanagement als konsequente konstruktive Vorgehensweise betrachtet wird.
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P R O J E K T M A N A G E M E N T 4 / 2 0 0 0 24 ● Meilensteinplan, Projektstrukturplan, Ressourcenplan, Budgetierung überprüfen, Limit- und Toleranzenkontrolle, Meldezyklen definieren und einhalten, ● Informations-, Frühwarn- und Kommunikationssysteme nutzen/ pflegen. Schwierig einzuschätzen ist aber die Verhältnismäßigkeit der Mittel oder das Nutzen-Kosten-Verhältnis der jeweiligen Maßnahmen. Auch ist nicht immer klar, zu welchem Zeitpunkt im Projekt das Chancen-Risiko-Verhältnis im Projekt am besten neu optimiert werden soll. Hier hilft Erfahrung. Nur der Erfahrene erkennt und „riecht“ Quellen und Ursachen von Gefahren. Andererseits scheitern viele Projekte nicht an den Risiken mit großer Tragweite, sondern an den Risiken des täglichen Sandes im Getriebe. Es wird gern übersehen, dass man in Projekten an vielen Aufgaben nur deswegen scheitert, weil sich viele kleine Fehler in der Addition zu sehr häufen [2]. Dies Phänomen tritt umso stärker auf, je komplexer das Problem oder Risiko im Projekt ist. Hauptcharakteristikum komplexer Probleme ist Dynamik. So kann z. B. mit einer pfiffigen Maßnahme ein großes Risiko ausgeschaltet werden, die Neben- oder Fernwirkungen dieser Maßnahme bleiben aber unbeachtet, bis sie nicht mehr übersehen werden können. Es ist damit ein neues Risiko aufgetaucht, das u. U. noch schwerer beherrscht werden kann [3]. 2 EIN PROJEKTMODELL 2.1 Die Motivation für ein Projektmodell Wichtig ist in diesem Zusammenhang, vernetzt zu denken, damit eine Maßnahme so formuliert werden kann, dass deren Nebenwirkungen nicht dazu führen, dass ein Problem oder Risiko nur durch ein anderes ersetzt wird. Wir sind aber alle im kausalen Denken viel besser ausgebildet und trainiert als im vernetzten Denken. Projektteams können allerdings bei interdisziplinärer Zusammensetzung und guter Zusammenarbeit als Gruppe vernetzt denken. Für das Risikomanagement kommt es auf das Verstehen der Zusammenhänge und Spannungsfelder der Projektsituation an. Hier gilt es den zentralen Kreislauf der Vernetzung zu identifizieren und das Handeln nach Prozessen statt nach Funktionen zu organisieren. Dies ist vom Autor gemacht worden [4] mit dem Ergebnis eines Projektmodells. Dieses Modell wird nun kurz vorgestellt (Abb. 2). 2.2 Modellierung Das Projekt wird als verallgemeinerter menschlicher Aktionszyklus verstanden [4] und als „stilisierte Rennbahn“ wiedergegeben. Zugrunde gelegt ist beispielhaft die Entwicklung eines Serienproduktes. Die 9 Phasen stellen ihrerseits wieder Aktionszyklen dar, die genauer beschrieben werden: 2.2.1 Modellierung Die in den Aktionszyklen angesprochenen Themen (Tabelle 2) können auch früher begonnen werden. Spätestens in ihrem Aktionszyklus aber müssen sie konsequent bearbeitet und beendet werden. 2.2.2 Struktureigenschaften Die Folge dieser Meilensteine am Abb. 2: Aktionszyklen als Meilensteine im Entwicklungszyklus 25 Ende der Aktionszyklen hat gewisse Struktureigenschaften, die auch für die Aspekte des Risikomanagements von Bedeutung sind. Klassische Modelle ● Die Folge der Meilensteine 1-4 entspricht der klassischen Topdown-Strategie. ● Für die Folge der Meilensteine 5-8 gilt entsprechend die Bottomup-Strategie. ● Alle Meilensteine als Abschluss von Aktionszyklen zu verstehen entspricht dem bekannten Wasserfall-Modell. Simultaneous Engineering Das Modell besteht in der Darstellung aus einer äußeren Bahn, die den Entwicklungszyklus repräsentiert, und einer inneren Bahn, die phasenversetzt den Produktionszyklus reprä sentiert. Ursache / Wirkungen Eine gedachte vertikale Linie teilt das Modell in eine rechte Hälfte: im Wesentlichen Gedanken- und Papierarbeit, also die Ursachen, und in eine linke Hälfte: im Wesentlichen Werkarbeit, also die Wirkungen. Innovationen Die Meilensteine 3, 6 und 9 charakterisieren die Stellen im Ablauf, an denen neue Qualitäten oder Innovationen entstehen: ● ein neues Produkt, ● ein neues Produktionsverfahren, ● ein neuer Nutzen für den Markt. 2.2.3 Empirisch ermittelte Beziehungen zwischen den Meilensteinen Sichtweisen und psychosoziale Verhaltensweisen, die jeder Projekterfahrene schon erlebt hat, sind in den Verbindungslinien verdichtet dargestellt. Von 1 → 7 (leicht): In der Freude über den Auftrag entsteht ein erstes grobes Verständnis des Ziels. Von 1 → 4 (schwer): mulmiges Gefühl beim Blick auf die möglichen Schwierigkeiten nach Klärung der Details (Problemunterschätzung). Von 2 → 4 (leicht): klarer Blick auf die zu erwartenden Widerstände. Von 2 → 8 (schwer): klares Erkennen des Ziels nur im Augenwinkel; man muss den Kopf schon wenden (Zielorientierung). Von 4 → 1 (leicht): zurück zur Zielsetzung z. B. wegen mangelhafter Präzision oder Irrtümern. Falls dieser Weg durch den Auftraggeber verursacht wurde, ist Claim Management angesagt. Wenn dem Kunden die Ergebnisse der FMEA-Analyse vorgelegt werden, heißt es nicht selten: „So habe ich mir das nicht vorgestellt“, und der Zyklus beginnt wieder bei 1. In aller Regel ist dies auf mangelnde Kommunikation zurückzuführen und Claim Management daher schwierig (Budgetrisiko). Von 4 → 2 (schwer): Die Fülle der zu lösenden Details verstellt den Blick auf das Ziel (Risiko! ), daher macht es auch Mühe, noch einmal zurückzugehen und im Pflichtenheft P M - M E T H O D E N / I N S T R U M E N T E Aktionszyklus 1 Mit neuem Konzept akquirieren, Experten formulieren grobes LH, prüfen Herstellbarkeit und Wirtschaftlichkeit und erstellen eine Grobplanung, Angebot und Auftrag, Auftrag entgegennehmen und prüfen, Auftrag bestätigen und Kick-Off-Veranstaltung kommunizieren Aktionszyklus 2 PL und Team benennen, Objekt analysieren (QFD), Projekt planen (Pflichtenheft, Meilensteinplan, Kalkulation, Feinplanung für die überschaubare Zukunft), Planung kommunizieren (Freigabe des Projektes) Aktionszyklus 3 Sollzustand des Produktes beschreiben (Wertanalyse), Lösungsideen entwickeln (alle Kreativitätstechniken), ausgewählte Idee kommunizieren und festschreiben (Konfigurationsmanagement) Aktionszyklus 4 Entwurf erstellen, (mit FMEA) überprüfen und kommunizieren (mit dem Kunden) Aktionszyklus 5 Ein Prototyp (Form, Fit und Funktion) wird erstellt, überprüft (DoE) und prä sentiert Aktionszyklus 6 Sollzustand für die Produktion beschreiben (WA) und Lösungsideen entwickeln (Kreativitätstechniken), ausgewählten Prozess kommunizieren und festschreiben (Änderungswesen) Aktionszyklus 7 Tests gegen das Pflichtenheft im Detail planen, durchführen und die Ergebnisse kommunizieren Aktionszyklus 8 Module fertig stellen, integrieren und das Gesamtsystem abnehmen lassen (gegen die Anforderungsspezifikation) Aktionszyklus 9 Projektreview durchführen, Dokumentation abschließen und Ergebnisse schulen Tabelle 2: 9 Aktionszyklen P R O J E K T M A N A G E M E N T 4 / 2 0 0 0 26 nachzuschlagen: „Was war eigentlich die Forderung? “ Von 5 → 8 (leicht): Nach dem Bau des Prototypen ist etwas „Anfassbares“ entstanden, d. h., die Aufgabe kann endgültig „begriffen“ werden. Das Ziel ist wieder klar im Blick und damit auch aller organisatorischer Aufwand, der alle Beteiligten auf das Ziel hin ausrichtet. Von 5 → 7 (schwer): Nachdem das „Design of Experiments“ (DoE) endgültig festgelegt worden ist, muss nun die Energie auf dessen Umsetzung gerichtet und die Tests gegen das Pflichtenheft konsequent durchgeführt werden. Von 7 → 5 (leicht): Die Ergebnisse der Tests führen zu einer Präzisierung des Prototypen und der Wiederholung von einer Reihe von Tests. Von 7 → 1 (schwer): Der Erkenntnisfortschritt „Hätten wir das doch nur schon zu Beginn gewusst“ führt in leichten Fällen zu Notizen, wie die Spezifikation in einem neuen ähnlichen Projekt aussehen sollte, in schweren Fällen zu einem Hinüberwechseln zu 1 und einem neuen Durchlaufen aller Meilensteine bis 7 (Risiko Zielverfehlung ist intern eingetreten). Von 8 → 2 (leicht): Der Erkenntnisgewinn kann klar benannt werden, der Auftraggeber nimmt die Aufgabe ggf. mit einigen Nachbesserungen ab. Wenn die Abnahme wegen „schwerer Mängel“ verweigert wird (Elchtest), muss der ganze Zyklus bei 2 beginnend neu durchlaufen werden (Risiko Zielverfehlung ist extern eingetreten). Starke Fliehkräfte (Ursachen für Risiken) Die Darstellung ist so gewählt, dass die üblichen Projekterfahrungen wiedergegeben werden können. Die Strecke (1-3) und die Strecke (6-8) kann mit relativ geringen „Fliehkräften“ durchlaufen werden. Dagegen treten bei den Strecken 3 bis 6 sowie 8 bis 9 und 9 bis 1 erhöhte „Fliehkräfte“ auf. Damit soll angedeutet werden, dass bei diesen Strecken ein Team besonders leicht aus der Bahn geworfen wird: Zu 4: Der ab 2 entstehende Druck, endlich etwas „Vorzeigbares“ auf den Tisch zu legen, lä sst keine Muße für bessere Ideen und eine sorgfältige FMEA. Das heißt, dass das Produkt- Risiko nicht beherrscht wird. Zu 5: Der Erkenntnisfortschritt für alle, auch entfernte Beteiligte wird nicht richtig „begriffen“, d. h., es gibt einen unterschiedlichen, also unausgeglichenen Informationsstand. Zu 6: Der Konsens im Simultaneous Engineering Team ist nicht hinreichend für eine effektive Prozessgestaltung und das Produkt in der Produktion damit teurer als nötig. Zu 9: Nach der Abnahme wird das Team vorzeitig auseinander gerissen und in neue Projekte gesteckt. Die Dokumentation leidet. Das Gelernte wird nicht richtig genutzt für den Aufstieg in die nächsthöhere „Spielklasse“. Der Verkauf und der Service werden nur unzureichend in den Eigenschaften des Produktes geschult. Zu 1: In der Sorge um neue Aufträge (Umsatz) unterlaufen Nachlä ssigkeiten in der Akquisition. Es werden unabgesicherte Zusagen gemacht. Der potentielle Projektleiter wird in die Angebotsbearbeitung nicht eingebunden. 2.3 Risikomanagement im Modell Zunächst einmal liegt der Vorteil dieses Modells in der relativ einfachen graphischen Darstellung. Jedem Meilenstein sind ein bestimmter Schwerpunkt der Aktivitäten sowie Sicht- und Verhaltensweisen zugeordnet. Das heißt, nicht nur der Beginn und die Beendigung eines Projektes sind klar strukturiert, sondern auch der mittlere Bereich, die Realisierungsphase. Die gesamte Projektabwicklung wird in deterministische Phasen, nämlich in Aktionszyklen und in „Wechselwirkungszyklen“, zerlegt. Der Vorteil dieses Modells unter dem Gesichtspunkt des Risikomanagements besteht darin, zu bestimmten Meilensteinen gezielte Risikoabschätzungen konsequent durchzuführen. Man scheitert beim Lösen vieler Aufgaben ja nur deswegen, weil sich viele kleine Fehler in der Addition zu sehr häufen. Hier wurde vergessen, ein Ziel genügend zu konkretisieren, dort wurde auf die Ablaufcharakteristiken eines Prozesses nicht geachtet, da wurde übergeneralisiert, dort wurde der Schutz des eigenen Selbstwertgefühls über die Kenntnisnahme des Misserfolges gestellt, hier wurde zu viel geplant, dort zu wenig etc. [2]. An der Strukturierung dieses Modells kann man nun versuchen bewusst zu machen, in welcher Situation typischerweise welche Fehler auftreten. Die Risiken bestehen dann darin, dass die vorhandenen Wechselwirkungszyklen ein- oder mehrfach durchlaufen werden müssen. Auf 1 wirken die Wechselwirkungszyklen (jeweils einmal gez ählt) 27 4 → 1 → 2 → 3 → 4 (Vertragsschleife Auftragsspezifikation, QFD- Prozess) 4 → 2 → 3 → 4 (innere Schleife, FMEA-Prozess) 7 → 5 → 6 → 7 (innere Schleife, Design of Experiments und Verifizierungsprozess) 7 → 1 → 2 → 3 → 4 → 5 → 6 → 7 (Vertragsschleife Realisierungsspezifikation) Auf 2 wirken zus ätzlich die Wechselwirkungszyklen (jeweils einmal gez ählt) 8 → 2 → 3 → 4 → 5 → 6 → 7 → 8 (Vertragsschleife Abnahmespezifikation) 8 → 5 → 6 → 7 → 8 (innere Schleife, Fertigungsüberleitung, interner Abnahmeprozess) Diesen Durchl äufen kann ein maximaler Aufwand zugeordnet werden, nämlich der Aufwand, der dafür geplant wurde oder in ungünstigen Fällen bereits geleistet wurde. Die „Versicherungsprä mie“, die gezahlt werden müsste, um diesen Fall finanziell abzudecken, ist ein Maß für den Aufwand der Risikovorsorgemaßnahmen im Rahmen eines Risikomanagements. Alle Meilensteine tauchen somit in 6 verschiedenen Wechselwirkungszyklen auf. Alle damit verbundenen Aufwände können besser geschätzt werden. Damit kann auch der Aufwand festgelegt werden, der notwendig ist, um das Risiko zu reduzieren, d. h. um folgende Fragen sorgfältig zu beantworten [5]: Spätestens bei 1: Wer ist der Kunde? Was will er im Kern? Spätestens bei 2: Was sind die Qualitätsmerkmale? Spätestens bei 3: Wie sieht ein wertgestaltetes Design aus? Spätestens bei 4: Wie sehen die Produkt- und Prozessmerkmale unter FMEA-Gesichtspunkten aus? Wenn dies erfolgt ist, ist das Projektrisiko ab 4 zwar nicht null, aber beherrschbar. 3 ERGEBNISSE 3.1 Erläuterung der Vorgehensweise Bei der Beschreibung des Modells wird deutlich, dass das Durchlaufen eines Wechselwirkungszyklus dem Eintritt eines Risikos entspricht. Die Kosten, die dabei entstehen, sind die Risikobewältigungskosten. In Abb. 3 ist das Durchlaufen des Projektmodells dargestellt: Die etwa unter 45° verlaufenden Stücke stellen den Arbeitsfortschritt des jeweiligen Aktionszyklus in Richtung Ziel bzw. P M - M E T H O D E N / I N S T R U M E N T E Abb. 3: Effekte einer Verkürzung der Zeitkonstante (Vergleichsprojekt) P R O J E K T M A N A G E M E N T 4 / 2 0 0 0 28 den Kostenhochlauf dar, die waagrecht verlaufenden Stücke modellieren das Überprüfen der Meilensteinergebnisse, das eventuelle Nacharbeiten und auch das Warten auf die Freigabe für den nächsten Aktionszyklus. Wenn Risiken eintreten, also Wechselwirkungszyklen durchlaufen werden, ergibt sich kein Arbeitsfortschritt, nur Zeitverbrauch (Lernkurve Projekt 1) und zus ätzlich Mittelverbrauch (Kostenkurve Projekt 1). In dieser Darstellung wird ohne Beschränkung der Allgemeinheit angenommen, dass der Zeitverbrauch für das Durchlaufen der Wechselwirkungszyklen, also der Risikobewältigung, 50 % der Zeit beträ gt, die für das ordentliche Durchlaufen des Aktionszyklus erforderlich ist. Es kommt durchaus vor, dass Wechselwirkungszyklen 3bis 5-mal in der Nacharbeit iterativ durchlaufen werden. Ferner wird angenommen, dass die Teamgröße, die Fehlerrate des Teams und der zeitliche Abstand der Meilensteine über die ganze Zeit konstant sind. Die Praxis zeigt, dass diese Annahmen realistisch sind, wenn ein Projekt nach dem Beginn auch wirklich durchgeführt wird. 3.2 Die Wirkung In Abb. 4 ist nun in gleicher Weise der Durchlauf des Projektmodells für Projekt 2 dargestellt. Alle Annahmen sind dieselben bis auf eine: Der Zeitverbrauch für das Durchlaufen der Wechselwirkungszyklen beträgt wegen Vorsorgemaßnahmen statt 50 % (Projekt 1) nur 25 % der Zeit, die für das ordentliche Durchlaufen der Aktionszyklen erforderlich ist. Die Risiken treten also etwa nur halb so oft ein. Der Vergleich der beiden Projekte ergibt Folgendes: Eine „Halbierung“ der Risiken führt zu einer gesamten Zeitersparnis von 34 % und zu einer gesamten Kostenersparnis von 28 %. Sind das realistische Zahlen? Nun, es gibt ein Ereignis, an dem das Modell geeicht werden kann. Die im Zusammenhang mit dem Elchtest bekannt gewordene Auslieferungsverzögerung der A-Klasse um 6 Monate kann hier mit den Wechselwirkungszyklen am Meilenstein 8 von Lernkurve-Projekt-2 modelliert werden, indem sie auf die Länge von Lernkurve-Projekt-1 am Meilenstein 8 ausgedehnt wird. Wenn die graphische Verlängerung der Lernkurve- Projekt-2 sechs Monaten entspricht, errechnet sich die ursprüngliche Dauer der Lernkurve-Projekt-2 dann zu 3 Jahren, ein Wert, der für die Hauptentwicklung eines Automobils bekannt ist. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Lernkurven ist die Verkürzung der das System bestimmenden Zeitkonstante bei Projekt 2. 3.3 Wie geht man damit um? Aus dem Modell ist ersichtlich, dass die wesentlichen Risiken in den Wechselwirkungszyklen stecken, welche die Meilensteine 1 und 2 beinhalten. D. h., die Fehler, die bei 1 und 2 gemacht werden, oder die Risiken, die dort nicht erkannt werden, schlagen am stärksten zu Buche. Aus dem Qualitätsmanagement ist diese Gesetzmäßigkeit bereits bekannt. Den Vorsorgemaßnahmen, die den ersten Meilensteinen zugeordnet sind, muss also besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Diese Maßnahmen sind: ● Die Ziele müssen ganz klar sein: Eine Anforderungsspezifikation, eine Abnahmespezifikation, eine Bedienungsanleitung des Produktes liegen vor. ● Die gesamte Planung liegt vor: Projektstrukturplan, Meilensteinplan, Budget und Qualitätsplan, d. h., die Kundenforderungen, sind mittels QFD in quantitative Abb. 4: Effekte einer Verkürzung der Zeitkonstante (mittels Risikomanagement) 29 Qualitätskriterien übersetzt worden. ● Lösungsalternativen aus lateralem Denken liegen vor [6]. ● Die Qualitätskriterien sind mittels QFD für diese Alternativen in Designkriterien übersetzt worden. ● Die beiden besten Alternativen werden entworfen/ konstruiert und mittels FMEA überprüft. ● Die Designanforderungen sind mittels QFD in Fertigungsanforderungen übersetzt worden. ● Die zuletzt verbliebene Alternative wird als Prototyp gebaut. Jeder Beteiligte und Betroffene fasst ihn an und gibt Kommentare. ● Eine Prüfplanung und Prüfmittelplanung liegen vor. Diese Liste macht deutlich, dass in frühen Projektphasen die geistige Durchdringung der Zielsetzung und der möglichen Realisierungsalternativen sehr viel intensiver stattfinden muss, um Risiken zu beherrschen und wirtschaftlich erfolgreich zu sein. ■ Literatur [1] Projektmanagement-Fachmann. RK W, Eschborn 1996 [2] Dörner, Dietrich: Die Logik des Misslingens. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1991 [3] Gomez, Peter/ Probst, Gilbert: Die Praxis des ganzheitlichen Problemlösens. Paul Haupt Verlag, Stuttgart 1995 [4] Coy, Dieter: Die Gliederung von technischen Projekten in Aktionszyklen. In: Lange, Dietmar (Hrsg.): Deutsches Projektmanagement Forum 1999, Dokumentationsband. GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement, Nürnberg 1999 [5] Klein, Bernd: QFD Quality Function Deployment. expert verlag, Renningen-Malmsheim 1999 [6] Coy, Dieter: Team Expert Choice - Praxiserfahrungen. Unveröffentlichtes Manuskript Autor Dr.-Ing. Dieter Coy, Jahrgang 1947, studierte Nachrichtentechnik an der TH Darmstadt. Nach einer erfolgreichen Industrietätigkeit in Entwicklung und Vertrieb gründete er 1998 die Gesellschaft für Innovation und Beratung. Kernkompetenzen sind Projektmanagement, Innovationsmanagement und Entscheidungsfindungen. Er berät mittelstä ndische und große Unternehmen insbesondere im Sinne „schnelle und bessere Entscheidungen von Anfang an“ u. a. mit Hilfe der Software „Team Expert Choice“. Die Firmen erhöhen damit ihre Fä higkeit, in komplexen Situationen die richtigen Lösungsalternativen zu finden. Anschrift Gesellschaft für Innovation und Beratung Belchenweg 22 D -71088 Holzgerlingen Tel.: 0 70 31/ 74 55 63 Fax: 0 70 31/ 74 55 59 E -Mail: DieterCoy@t-online.de P M - M E T H O D E N / I N S T R U M E N T E P R O J E K T M A N A G E M E N T 4 / 2 0 0 0 30 Zusammenfassung Die Bewahrung und Nutzung von Wissen werden für Unternehmen zunehmend wettbewerbskritisch. Insbesondere wenn Erfahrungen und Wissen in Projekten gewonnen werden, ist Vorsorge dafür zu tragen, dass Folgeprojekte davon profitieren können. Vorhaben werden in Unternehmen ja gerade zur Lösung von innovativen und interdisziplin ä ren Fragestellungen eingesetzt; die dabei im Projektteam aufgebaute Kompetenz muss nach Projektende erhalten und anderen Projektteams zur Verfügung gestellt werden. Dafür müssen wä hrend des Projektabschlusses gezielte Schritte und Maßnahmen eingeleitet werden, von denen hier einige vorgestellt werden. Abstract For more and more companies the systematic acquisition, synthesis, and sharing of knowledge and experiences is an important enabler for ongoing business success. Especially knowledge and experiences gained in projects are valuable, because project organisations are chosen because of the underlying innovative and diverse nature of the given problems. During the close-down of such projects, systematic steps of experience retention are necessary to keep some of the knowledge and experiences within project profiles, lessons-learned etc. Schlagwörter Erfahrungstransfer, Lessons-Learned, Organisation, Projektabschluss, Projektmanagement, Projektsteckbrief, Wissensmanagement D er Begriff Wissensmanagement fasst alle Tätigkeiten zum organisierten, systematischen und kontrollierten Umgang mit dem Wissen eines Unternehmens zusammen. Dabei werden nur wenige Fachvertreter behaupten, dass diese Tätigkeiten alle grunds ätzlich neu sind. Eher setzt sich die Einschätzung durch, dass die heutige große Bedeutung der Ressource Wissen die Unternehmen zwingt, den Umgang mit unternehmensinternem Wissen zu bündeln, zu intensivieren und zu systematisieren. Damit sollen Planung und Steuerung der Bereitstellung und der Nutzung von Wissen und Erfahrungen im Unternehmen verbessert werden. Dabei birgt die Projektorganisation einige besondere Probleme. In einer „normalen“ Organisation gibt es stabile Institutionen wie Abteilungen, Bereiche, Werke u. Ä., in denen Wissen und Erfahrungen gesammelt und abgefragt werden können. Dabei können die Sammlungen durchaus unterschiedlich aussehen, z. B. Dokumentationen, Archive, kompetente Mitarbeiter oder in Arbeitsabläufen verborgen. Dies bietet in vielen einfachen Situationen, in denen Wissen nachgefragt wird, schnelle und von Einzelpersonen unabhängige Hilfe: Frage: „Wer weiß bei uns etwas über abc? “ Antwort: „Geh mal zu den Logistikern“, „… in die Anlaufplanung“, oder „… in den Einkauf “, oder „… zu denen im Werk Schleswig“. Diese Möglichkeiten gibt es in der Regel nicht zu Wissen und Erfahrungen, die in Projekten gesammelt werden. Projekte sind definitionsgemäß temporäre, zeitlich begrenzte Organisationen, die für besondere Tätigkeiten eingesetzt werden. Nach dem Projektende ist keine Institution oder kein Korpus mehr da, der als Sammelpunkt von Wissen und Erfahrungen angesehen werden kann. Anlaufstellen (wie Abteilungen, Bereiche, Werke), wo Unterlagen eingesehen oder Wissende getroffen werden können, existieren nach Projektende nicht mehr. Das Projekt wird nach Projektende aufgelöst und existiert nicht mehr (siehe Abb. 1). Nicht ohne Aufwand ist herauszufinden, welche Mitarbeiter bei einem vergangenen Projekt mitgearbeitet haben, wer von ihnen für was zu- Wissensmanagement in Projekten G E O R G D I S T E R E R 31 ständig war und ob/ wo diese Mitarbeiter noch im Unternehmen arbeiten. Dabei wird hier der Klarheit der Darstellung halber von der vereinfachten Situation ausgegangen, dass in einem Unternehmen nur ein Projekt zurzeit läuft. Selbstverständlich werden die genannten Probleme nur größer, wenn ständig mehrere Projekte nebeneinander abgewickelt werden - der Bedarf nach systematischer Handhabung von gesammeltem Wissen und Erfahrungen wird nur größer. Damit besteht die Gefahr, dass mit dem Projektende das neu gesammelte Wissen und die Erfahrungen dem Unternehmen verloren gehen. Bestenfalls nehmen die beteiligten Projektmitarbeiter die Erfahrungen mit und besitzen damit individuelle Erfahrungen, die sie zukünftig (vielleicht) nutzen können. Im Folgenden wird daher die besondere Bedeutung des Wissensmanagements für Projekte beschrieben, einige zu beachtende Besonderheiten erläutert und Maßnahmen detailliert, die im Projektmanagement ergriffen werden können, um die Nutzung von Wissen und Erfahrungen aus Projekten zu verbessern. 1 WISSENS- UND ERFAHRUNGS- TRANSFER ZUR EFFIZIENZSTEIGERUNG Seit Jahren werden in Unternehmen in stark zunehmendem Maß Aufgaben in Form von Projekten durchgeführt. Ein Ende dieses Trends ist nicht abzusehen, eher wird in Zukunft noch häufiger die spezielle Organisationsform „Projekt“ genutzt werden, da Schlüsseleigenschaften von Projekten hohe Bedeutung haben: flexibel, interdisziplinär, innovationsfördernd, übergreifend. Dabei steigt der Druck, Projekte effizient durchzuführen. Die Projektdauer wird oft zur erfolgskritischen Größe. Bei Entwicklungsprojekten zwingt „time-to-market“ zur Eile, bei internen Verbesserungsprojekten soll der Nutzen, den ein Projekt verspricht, möglichst schnell realisiert werden. Zugleich steigt die Bedeutung der Projektkosten durch den hohen wirtschaftlichen Druck und die starke Wettbewerbssituation, in der sich viele Unternehmen sehen. Projektarbeit ist häufig Entwicklungsarbeit; den Entwicklungskosten jedoch kommt gegenüber den Fertigungskosten in vielen Bereichen eine immer höhere Bedeutung zu [2, S. 435]. Möglichkeiten zu Effizienzsteigerungen in der Projektarbeit werden an vielen Stellen gesucht. Dem Wissensmanagement wird der Ansatz zugeordnet, in einem Unternehmen vorhandenes Wissen und von den Mitarbeitern gesammelte Erfahrungen systematisch aufzunehmen und weiterzuleiten. Das „Wiedererfinden des Rads“ stellt das abschreckende Beispiel dafür dar, vorhandenes Wissen nicht zu nutzen, sondern noch einmal neu aufzubauen. Die zunehmende Komplexität von Projekten aufgrund der steigenden Anzahl zu beachtender technischer und sozialer Zusammenhänge und Schnittstellen lä sst den Wert des vorhandenen Wissens zur Bewältigung von Komplexität und zur Effizienzverbesserung weiter steigen. 2 WISSENS- UND ERFAHRUNGS- TRANSFER ZWISCHEN PROJEKTEN Zur unmittelbaren Effizienzsteigerung müssen Projekte Wissen und Erfahrungen aus der Routinetätigkeit eines Unternehmens und aus vorhergehenden Projekten im Unternehmen aufnehmen (siehe Abb. 2). Für Wissen und Erfahrungen aus der Routinetätigkeit können die Projektmitarbeiter wesentliche Träger sein, die diesen Input mitbringen: So werden beispielsweise in Projekten zur Softwareentwicklung zukünftige Benutzer dieser Software aus der Fachabteilung in die Projektarbeit einbezogen („Benutzerbeteiligung“), oder in einem technischen Entwicklungsprojekt arbeiten Mitarbeiter aus der Arbeitsvorbereitung und der Produktion mit. Ebenso beinhalten interne Dokumentationen und Arbeitsunter- P M - M E T H O D E N / I N S T R U M E N T E Abb. 1: Projekte als temporäre Organisationen