PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Durch „stürmische See“ zum Ziel
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Oliver Steeger
Für viele Projektleiter ein Alptraum: Trotz Bilderbuch-Projektmanagements, Sachkompetenz und engagierten Teams bleibt ihr Projekt stecken. Denn ihr Unternehmen richtet die Geschäftspolitik neu aus, organisiert sich um oder hat einen neuen Mann in der Chefetage. Plötzlich werden Prestige-Objekte zu Problemobjekten. Gestraft sind die Teams, die über Monate zugepackt haben. Ein Team um den Siemens-Mann Wolfgang Rzehak fand sich von heute auf morgen auf schwankendem Boden - und stolperte dennoch nicht. Ganz im Gegenteil, mit ihrer Arbeit stürmten sie ins Finale des „Internationalen Deutschen Projektmanagement Awards 2001“. Projektmanagement-aktuell-Redakteur Oliver Steeger besuchte die IT-Spezialisten in Fürth.
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P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 1 3 REPORT D as gerahmte Poster in der Projekt-Kaffeelounge hat sich das Team selbst ausgesucht: ein Cartoon mit einem Dutzend Comic-Enten, fröhlichen Donald Ducks, die bei sturmgepeitschter See in einem Ruderboot sitzen; um die wetterfeste Bootsbesatzung herum Blitz und Donner, meterhohe Wellen, finstere Wolken. Und was tun die Donalds? Allem Unbill trotzend singen, lachen und in gemütlicher Runde fröhlich sein. Das witzige Motiv gefiel dem Team. Darin fand es sich wieder. „Denn so haben wir uns manchmal in unserem Projekt gefühlt“, meint Projektleiter Wolfgang Rzehak. Mit seiner Mannschaft hatte er im letzten Jahr für Siemens Business Services wichtige Prozesse optimiert und dabei eine kostengünstige, automatisierte Web-Hosting- Dienstleistung eingeführt. Die Fakten: Bislang hatte der 1995 gegründete IT-Spezialist für Großkunden maßgeschneiderte E-Business-Lösungen erstellt. Zusätzlich wollte das Unternehmen nun Dienste anbieten, die es automatisch abwickeln und damit günstig auf einen neuen, größeren Markt bringen konnte. Mit seinen elf Spezialisten erstellte Wolfgang Rzehak in einem Businesspiloten Machbarkeitsstudien, entwarf Businesspläne, strickte an Serviceprozessen, wählte Software aus und richtete ein Call-Center ein - keine leichte Sache. Was wie ein Sturm über die kleine Mannschaft hereinbrach: Mitten im Projekt änderte die Siemens-Tochter ihre Organisationsstruktur und richtete sich neu aus. Das dem Ende entgegengehende Projekt wurde komplett überdacht, die Ziele wurden umdefiniert. Der Boden unter den Füßen des Teams schwankte. Allein den grundlegenden Businessplan musste es viele Male überarbeiten und anpassen. Zuletzt endete das Team mit seinem Projekt, wo es sich niemand beim Kick-off hätte träumen lassen. Sein neues IT-Produkt - trotz aller Reife - ging nicht an den Markt. Alles umsonst? Gerne hätten Rzehak und seine Mannen das Serviceprodukt am Markt gesehen und ihr „Baby“ großgezogen. Doch vergeblich war das Projekt mit seinen Mühen nicht. Im Gegenteil, das Unternehmen profitiert heute von dem Know-how, das es während des Projekts entwickelt hat. Es berät andere Provider und Dienstleister, wie sie automatisiert und günstig diese E-Business-Dienste bereitstellen können. Man hat Erfahrungen gesammelt. Jetzt verkauft man sie. Auch einige Lektionen über effizientes Projektmanagement hat das Team bei diesem „Lern-Projekt“ verstanden. Entgegen allen Widrigkeiten hatte Rzehaks Mannschaft das IT-Projekt vorbildlich auf Kurs gehalten. Sie bewarb sich schließlich um den „Internationalen Deutschen Projektmanagement Award“ und kam mit ihrer Arbeit ins Finale des weltweit ausgeschriebenen Wettbewerbs um Management-Spitzenleistungen. Sommer 1999: Siemens Business Services will sich an Oliver Steeger Für viele Projektleiter ein Alptraum: Trotz Bilderbuch-Projektmanagements, Sachkompetenz und engagierten Teams bleibt ihr Projekt stecken. Denn ihr Unternehmen richtet die Geschäftspolitik neu aus, organisiert sich um oder hat einen neuen Mann in der Chefetage. Plötzlich werden Prestige-Objekte zu Problemobjekten. Gestraft sind die Teams, die über Monate zugepackt haben. Ein Team um den Siemens-Mann Wolfgang Rzehak fand sich von heute auf morgen auf schwankendem Boden - und stolperte dennoch nicht. Ganz im Gegenteil, mit ihrer Arbeit stürmten sie ins Finale des „Internationalen Deutschen Projektmanagement Awards 2001". Projektmanagement-aktuell-Redakteur Oliver Steeger besuchte die IT-Spezialisten in Fürth. Foto: Oliver Steeger Durch „stürmische See“ zum Ziel Siemens-Team bewies hervorragendes Projektmanagement Was wie ein Sturm über Projektleiter Wolfgang Rzehak und seine Mannschaft hereinbrach: Mitten im Projekt änderte die Siemens Business Services ihre Organisationsstruktur. Sein Projekt wurde komplett überdacht, die Ziele wurden umdefiniert. Der Boden schwankte unter den Füßen des Teams. P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 1 4 REPORT die Spitze des E-Business-Zuges setzen, der immer mehr Fahrt aufzunehmen verspricht. Seit fünf Jahren ist das Unternehmen beim Hosting im Geschäft, allerdings mit individuell erarbeiteten Lösungen für Großkunden. Idee nun: Künftig will es mittelgroßen und kleineren Unternehmen als IT-Service Konfektionsangebote unterbreiten - für die Spezialisten der Siemens-Rechenzentren ein bis dato wenig bekanntes Terrain. Mit neuen, standardisierten Service-Bausteinen soll beispielsweise der Mittelstand beim Einstieg ins E-Business unterstützt werden. Dafür will Siemens Business Services sein Betreiber-Know-how nutzen und die (Internet-)Anwendungen in seinen Rechenzentren betreiben, im Branchenjargon „hosten“. „Web-Hosting“ beflügelt IT-Markt Die Entscheidung, die Arena dieses ebenso aussichtsreichen wie umkämpften Markts zu betreten, stand vor zwei Jahren auf sicherem Fundament. Hintergrund: Die Arbeitsprozesse der Zukunft werden massiv auf das Internet ausgerichtet sein. Nicht nur Endverbraucher, auch Unternehmen setzen zunehmend auf elektronische Märkte. Hier können sie binnen weniger Sekunden Angebote einholen und abgeben, vergleichen, Leistungen aushandeln, einkaufen und verkaufen. Nur, diese elektronischen Märkte benötigen technische Infrastruktur und Speicherplatz. Experten schätzen, dass allein das Web-Hosting als Basisdienstleistung sich bis zum Jahr 2003 verzehnfachen wird. Dabei wird sich der Web-Hosting-Markt auf fast 19 Milliarden US-Dollar ausdehnen und zur Wachstumsrakete der gesamten Internet-Wirtschaft werden. Die Chance für Siemens Business Services: Mit hohem Sicherheitsstandard und gutem Rundum-Service könnte sich das Unternehmen mit seinen hochwertigen Service- Standard-Paketen gegen Billiganbieter behaupten und sich als zuverlässiger Qualitätspartner positionieren. So setzt Siemens Business Services Anfang 2000 hohe Erwartungen in Rzehaks Projekt „MTS Web-Hosting“ ( M aket os tock, frei übersetzt: Definition und Erstellung einheitlicher Pakete für den Markt nach dem Prinzip „einmal erstellt, vielfach verkauft“). Aufgabe: Das Team soll in diesem Pilotprojekt die nötige Infrastruktur für die Dienstleistung entwickeln und ein erstes Servicepaket aus dem Boden stampfen. Mehrere tausend Produktnamen durchgespielt Die Zeit ist knapp. Der IT-Markt bestraft jede Säumigkeit. Binnen zehn Monaten soll MTS Web-Hosting am Markt sein. Indes, nicht nur die kurze Frist bezeichnet Wolfgang Rzehak als besondere Herausforderung seines Projekts. „Unser Geschäftsbereich betrat Neuland, indem er erstmals ein Produkt für den Massenmarkt entwickelte“, erläutert er. Und auch das Projektteam betritt Neuland. Die technischen Dimensionen des Vorhabens lassen sich gut abschätzen und in den Griff bekommen. Doch die IT-Technik selbst ist bei diesem Vorhaben die halbe Miete - bestenfalls. Das Projekt war, wie das Team heute weiß, zu rund zwei Dritteln ein Organisationsprojekt. Die Mitarbeiter - alles hervorragende IT-Spezialisten - müssen grundsätzliche Lösungen suchen: Wie kann Siemens Business Services das neue Web-Hosting anbieten? Welche Strukturen sind nötig? Braucht das Unternehmen neue Mitarbeiter? Oder: Wie soll das Marketing aussehen? Einige tausend Wörter spielt das Team durch, bis es auf den Produktnamen „yucee“ stößt, ein Kunstwort, das das englische „you“ mit dem Klang von „Siemens“ verbindet und tough genug für die „Generation E-Biz“ scheint. Dann entwirft das Team eine Homepage, die Internet, Telekommunikation und E-Business - ein neues Feld für Projektmanagement. Zeitdruck und Flexibilität als Herausforderung für die Teams Foto: Siemens Goldgräberstimmung beim Web-Hosting Traumhafte Zuwachsraten verzeichnen IT-Experten für den Web-Hosting-Markt. Jährlich verdoppelt sich der Markt. Allein beim Businessto-Business nehmen Unternehmen deutschlandweit rund 180.000 Mittelständler (10-500 Mitarbeiter) ins Visier und rechnen mit rund 3 Milliarden Mark erzielbarem Umsatz. Auch die kleinen Unternehmen bis zehn Mitarbeiter machen Appetit. Hier gelten rund 800.000 Unternehmen mit rund 1,1 Milliarden Mark Umsatz als mögliche Kunden. In Frage für diese Dienstleistung kommen Unternehmen, die bislang noch keinen Webauftritt haben oder deren E-Commerce-Anwendungen auf eine stabile, gesicherte und hochverfügbare Internetplattform ausgelagert werden sollen. Der Grund für diesen Boom: Immer mehr Unternehmen - beispielsweise DaimlerChrysler - definieren sich selbst als E-Companies. Statt aber eigene Webserver in der Computerzentrale zu betreiben, geben Unternehmen immer häufiger ihren Webbetrieb an Dienstleister. Das Outsourcing halbiert die Kosten; Investitionen in Hardware und Software sowie Wartungs- und Personalkosten entfallen. Bislang bedienten eher lokal ausgerichtete Service-Provider den lukrativen Markt. Jetzt dringen auch Global Player aufs Feld und entfachen einen gewaltigen Preiskampf. Für das Jahr 2005 prognostizieren Experten einen veränderten Markt: Reine Infrastruktur-Dienstleistungen (beispielsweise die einfache Speicherung und Einspeisung der Anwendung ins Web) werden zurücktreten. Stattdessen werden zusätzliche Dienstleistungen gefragt, beispielsweise das Management der Anwendungen. P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 1 5 Experten als wegweisend für einen neuen, sachlichen Stil im Webauftritt loben. Doch kein Marktauftritt - das Aus? Ein Auftritt, der mit großem Getöse geplant ist und am Ende mäuschenstill verläuft. Die breite Kampagne wird gestrichen. Das Unternehmen entschließt sich, eine neue, wesentlich kleinere Zielgruppe ins Visier zu nehmen. Statt den Webhosting-Service auf dem Massenmarkt anzubieten, treibt es jetzt das Partnergeschäft voran und macht beispielsweise Provider fit, die Dienstleistung an den Markt zu bringen. Wolfgang Rzehak: „Gewissermaßen offerieren wir unsere Projekterfahrungen, unsere Prozessmodelle, unser Betreiber-Know-how und unsere IT-Infrastruktur.“ Das ist, als ob ein Team ein Auto mit dazugehöriger Fabrik entwirft und dann Fabrik und Know-how verkauft, um jemand anderes - beispielsweise Businesskunden - das Auto produzieren zu lassen. Der Mittelstand ist, so die Begründung für den Kurswechsel im Projekt, zwar startbereit für das neue Siemens-Produkt. Er ist aber nicht genug vorbereitet. Allein mit dem Hosting ist ihm nicht geholfen. Er benötigt mehr. Ihm fehlen Consulting, Software und eine Anpassung dieser neuen Software an seine eigene Softwarelandschaft - sprich: Er braucht umfassende Solutions. Genau hier wollen die ITler von Siemens ihre Stärke zeigen. „Wir wollen statt MTS-Paketen unsere Lösungen bieten“, erläutert der Projektleiter. Doch können die Pakete durchaus Teil einer Lösung sein. Die strategischen Akzente haben sich halt verschoben. Dass das Projekt trotz aller Hürden und Hindernisse gelingt - das schreibt Wolfgang Rzehak vor allem dem Projektmanagement zu. Von Anfang an hat das Team bewusst Projektmanagement-Kultur eingeführt. Nach den neun Kriterien des GPM-Qualitätsmodells „Project Excellence“ formte es das Management: Mitarbeiterorientierung und Ressourcenmanagement, Zielorientierung und Einbeziehung der Stakeholder, Führungsqualität und Prozessoptimierung gelten als Koordinaten für hervorragendes Projektmanagement, an denen sich Rzehak als Kenner des Modells orientiert. Beispiel: Wie geht ein Team mit den Ressourcen um, die ihm für seine Arbeit zu Verfügung stehen? Unter solcherlei Ressourcen verstehen Projektmanager nicht nur Budget und Personal, sondern auch Informationen. Wie kann man mit Informationen geschickt planen und steuern? Früh erarbeitet das Team Systeme für Information und Dokumentenablage. Damit will es der Gefahr ausweichen, mit veralteten oder fehlerhaften Informationen zu arbeiten - ein Risiko, das besonders bei Projekten unter Zeitdruck droht. Rzehaks Team hält sich strikt daran, nach diesem System alle wesentlichen Daten für das Team zentral abzulegen und erreichbar zu machen. Nur unwesentliche Dateien - beispielsweise Entwürfe - darf es auf seinen persönlichen PCs speichern. Auch nutzt das Team die hauseigene Softwarelösung „Teamplace“, eine Art Internet-Schreibtisch für jeden Mitarbeiter. Dank dieser virtuellen Arbeitsplätze (die Siemens Business Services auch als Softwarelösung anbietet) sind Mitarbeiter weltweit an das Projektbüro angeschlossen, können Nachrichten austauschen und auf gemeinsame Unterlagen zurückgreifen. „Virtuelle“ Projektarbeit Mit vorausschauender Planung und Systematik sind derlei „technische“ Aufgaben leicht zu meistern. Organisatorische Probleme sind für das Siemens-Projektteam schwieriger in den Griff zu bekommen. Es muss Siemens Business Services inside Siemens Business Services ist nach eigenen Angaben mit 33.500 Mitarbeitern in 88 Ländern und einem Umsatz von 5,8 Milliarden Euro einer der weltweit führenden Anbieter von Lösungen und Dienstleistungen auf dem Gebiet des Electronic und Mobile Business. Die Angebote des 1995 gegründeten Unternehmens umfassen IT-Dienstleistungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, von der Beratung über die Systemintegration bis hin zur Übernahme von kompletten Geschäftsprozessen oder der Verwaltung gesamter firmeninterner IT-Systeme. Dabei erwirtschaftet es knapp die Hälfte seines Umsatzes in Deutschland, in Europa weitere 37 Prozent. Nach Branchen tätigt das Unternehmen seinen größten Umsatz für den Siemens-Konzern (26 Prozent). Jeweils 23 Prozent entfallen auf die Finanzdienstleistung und auf öffentliche Auftraggeber, 19 Prozent auf die Industrie sowie 9 Prozent auf Telekommunikation, Verkehr und Versorgungsunternehmen. Projektaufgabe Kommunikation: „Communicationer“ Frank Preuss nennt sich selbst „Projekt-Mama“, andere beschreiben ihn als „Kümmerer“ und gute Seele des Teams. Mit Engelsgeduld schlichtet er Konflikte und wirkt integrierend auf die Mannschaft. „Wir haben für unser Haus Know-how erarbeitet“, meint Georg Pessler, Teilprojektleiter „Call-Center“. Know-how nicht nur zu Make-to-stock-Produkten, sondern auch zum Projektmanagement. Foto: Oliver Steeger Foto: Oliver Steeger P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 1 6 REPORT während der ersten sechs Projektmonate virtuell arbeiten. Die Schreibtische der Teammitglieder stehen nicht nur in verschiedenen Büros, sondern sind auf München, Fürth und Paderborn verteilt. Schlimmer noch: Die Teammitglieder sind „in der Linie“ mit anderen Aufgaben betraut, haben neben ihrer Projektarbeit weitere Pflichten im Unternehmen. Das Team als Diener zweier Herren - ein Handicap für Projektleiter Wolfgang Rzehak. Verhalten wertet er heute das Konzept virtueller Projektarbeit. Zumindest müsse man es an einigen Ecken und Kanten nachschleifen, beispielsweise nochmals über Wege der Kompetenzverteilung und Ressourcenzuordnung diskutieren. „Die ganze Idee klingt zunächst verlockend“, meint er. Aber: „Wir haben festgestellt, dass virtuelle Projektarbeit für die Mitarbeiter kaum möglich ist. Sobald der Arbeitsaufwand in der Linie steigt, haben Sie als Projektleiter keinen Zugriff mehr auf ihre Leute.“ Zwischen den Fronten von Linie und Projekt zerreiben sich schnell Arbeitskraft und Motivation des Teams. Rzehak: „Der Zeitraum, über den man so arbeiten kann, ist sehr begrenzt.“ Lösen könne sich der Konflikt, wenn die Mitarbeiter dem Projekt eindeutig und verbindlich zugeordnet werden. Doch diese Zuordnung beseitigt das Gesamtdilemma manchmal nur halb. Örtliche Trennung macht vielen virtuellen Teams zu schaffen, ein eher arbeitspsychologisches Problem. „Muss man unter Zeitdruck arbeiten, ist es problematisch, die Leute bei der Stange zu halten, wenn man nicht in einem gemeinsamen Büro arbeitet“ - von Anfang an in einem gemeinsamen Büro arbeitet. Denn als Rzehak endlich nach kräftezehrender virtueller Phase auf einer freistehenden Büroetage in Fürth ein gemeinsames Büro einrichten lässt und ein erstes echtes „Start-up“-Gefühl aufkommt, sind die Probleme längst noch nicht gelöst. Sommer 2000: Das Projekt läuft auf Hochtouren. Bislang traf sich Rzehaks virtuelles Team nur zu Telefonkonferenzen. Jetzt arbeitet es unter einem Dach, Schreibtisch an Schreibtisch. Der Projektleiter tut alles, um die Büroetage herzurichten. Er lässt das Büro hell, farbig und schick ausstatten. Sogar eine schmucke Kaffeelounge wird eingerichtet. Dennoch droht das Klima in der Mannschaft zu kippen. Die Mitarbeiter finden nur mühsam zusammen. Sie kommen von weither, aus verschiedenen Unternehmensbereichen, einige sogar von ganz „draußen“. Konfliktpotenzial, an dem sich Streit entzündet, gibt es genug. Rzehak steuert gegen. Auf zwei Teamworkshops mit einem externen Trainer kommt das „Staffing“ mühsam in Gang. „Wir haben stundenlang geredet und uns einfach ausgesprochen“, erzählt Rzehak. Allein der Austausch über Befindlichkeiten hilft bereits. Dann bearbeitet das Team seine Probleme, beweist zähen Willen zu Ausgleich und Konsens. Es spürt, wie wichtig Kommunikation und Informationsfluss sind. Je mehr die Zeit drängt und je enger die Meilensteine gesteckt sind, desto schrankenloser müssen Informationen fließen. Das Team umfasst sieben feste Mitarbeiter, zwei Diplomanden und zwei Werkstudenten. Hinzu kommen dreißig beteiligte Mitarbeiter in verschiedenen Siemens-Abteilungen und fünf externe Partnerunternehmen. So bestallt Rzehak offiziell einen Mitarbeiter zum „Communicationer“, zum Sprecher der Gruppe. Communicationer als „Projekt-Mama“ Er ist der Fels in der Brandung. Communicationer Frank Preuss nennt sich selbst „Projekt-Mama“, andere beschreiben ihn als Kümmerer und gute Seele des Teams. Mit Engelsgeduld schlichtet er Konflikte, wirkt integrierend auf die Mannschaft, sichert den Kontakt zu den Projektpartnern und zum Projektleiter, wenn er unterwegs ist. Offenheit wird Pflicht. Rzehak fordert von seinem Team Feedback auf seinen eigenen Führungsstil ein. Das Projektteam von Siemens Business Services: Klaus Kettner, Automatisierung & Programmierung; Markus Hanke, Security; Frank Preuss, Communication Manager; Georg Pessler, TPL CallCenter. Stehend von links: Roland Bernreuther, Navigation & Web-Design; Wolfgang Rzehak, Project Director. Nicht auf dem Bild: Gerald Zinnegger, Marketing & Vertrieb, stellv. PD; Carsten Dobschat, Technik; Klaus Gruber, Web-Design; Simon Schmidt, Controlling; Heinz Laumann, TPL Billing Hochsicherheitstrakt mit „Bodyguards“ für Daten Mehr als nur eine „externe Festplatte“: Server im Internet müssen rund um die Uhr verfügbar sein. Ausfallminuten kosten Geld und ramponieren das Image. Noch schlimmer: Hacker dringen ins System ein, stehlen vertrauliche Daten oder manipulieren sie. So hat Siemens Business Services beispielsweise sein Rechenzentrum in Fürth strengen Bestimmungen unterworfen. Rund um die Uhr ist das Zentrum erreichbar und helfen Fachleute bei Problemen. Ein Fünf- Zonen-Sicherheitssystem mit Infrarotüberwachung hält Eindringlinge fern. Wer sich per Datenleitung Zugang verschaffen möchte, wird mit dreifachem Firewall-System aufgehalten. Foto: Oliver Steeger Foto: Oliver Steeger P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 1 7 Für Wolfgang Rzehak sind Motivation und Eigenverantwortung ein Schlüssel zum Projekterfolg. Öffentliches Lob, stellt er fest, ist ein großer Motivator. Und Eigenverantwortung heißt für ihn: Seine Mitarbeiter nehmen selbstständig Arbeitspakete in Angriff, treffen in eigener Regie Entscheidungen, stehen zu ihren Ergebnissen. Von Kontrolle und umständlichen Abstimmungsschleifen hält er wenig, die Zeit fehlt ihm dafür. Beispiel: Ein Mitarbeiter prüft ein Softwareangebot und erarbeitet eine Expertise. Seine Entscheidungsanalyse geht „ungefiltert“ an den Lenkungsausschuss. Dort löst sie unbeabsichtigt Diskussionen aus - was den Mitarbeiter beunruhigt. Immerhin war das Papier „nur“ für den Projektleiter gedacht. Der Teamchef stellt sich hinter den Mitarbeiter, fängt den Konflikt auf. „Ich habe bewusst mein Team beauftragt, Qualität, Risiken und Erfolg seiner Arbeit zu erkennen“, erläutert Rzehak. Das führte am Anfang zu Irritationen. Er muss eigenverantwortliches Handeln mehrmals auf dem Jour fixe einfordern. Die Freiheit ist ungewohnt, manchmal auch belastend. Mit Teilprojekten Komplexität beherrschen Bislang unbekannte Aufgaben, starke Verzahnung mit anderen Abteilungen im Unternehmen, Pionierposition im eigenen Unternehmen - derart komplexe Projekte drohen unter ihrer eigenen Last erdrückt zu werden. Sie wachsen dem Team über den Kopf, auch dann, wenn es mit System zu Werke geht und die großen Ziele in kleine Arbeitspakete zerlegt. Um den Rahmen nicht zu sprengen, gliedert Rzehak kurzerhand zwei Projekte aus. Mit dem „Call-Center (Customer Care)“ und dem „Billing“ (Account und Abrechnungsverfahren) betraut er zwei Teilprojektleiter mit eigenem Team. Dank dieses „Outsourcings“ parallelisiert er wichtige Arbeiten, ein enormer strategischer Vorteil. Die Arbeiten gewinnen Fahrt. „Nehmen Sie unseren Jour fixe als Beispiel“, erläutert Georg Pessler, Teilprojektleiter „Call-Center“, „mein Team musste nicht die ganze Zeit über anwesend sein, sondern als eigenständige Einheit nur dann, wenn die Diskussion unser Projekt betraf.“ Strategische Planung für die Zukunft: Jetzt werden die „Claims“ im E-Business abgesteckt. Siemens Business Services ist bereits seit 1995 im Geschäft. Foto: Siemens Anzeige P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 1 8 REPORT Zudem hat Pessler Glück: Er gewinnt für seine Arbeiten Sponsoren im Unternehmen, die ihm zusätzliche Ressourcen geben. Indes, derlei Teilprojekte bergen auch Risiken, schleichende Gefahren, die das Vorhaben unbemerkt vom Kurs bringen können. Sind die Schnittstellen zwischen dem Mutterprojekt und dem Teilprojekt schlecht definiert, passen später die Ergebnisse nicht zusammen. Die Projekte laufen zu weit auseinander, schlimmstenfalls verselbstständigt sich das Tochterteam und bildet eine Projektinsel - eine Klippe, die das Siemens-Team auch dank des Communicationers umschifft hat. Externer Projektmanager entlastet das Team Wolfgang Rzehak kann seine Kräfte gut abschätzen. Er weiß: Dieses Projekt kann in der Abwicklung keine One-Man-Show sein. So holt er einen versierten Projektmanager als Berater ins Team und gibt ihm die Rolle des „Projektmanagers“, gewissermaßen eines Lotsen an Bord. Der Externe kümmert sich um das Technische, um Methoden, Werkzeuge und Pläne. Rzehak selbst vertritt als „Projektleiter“ sein Team nach innen und außen und entwirft zudem die Strategien. Diese Lösung geteilter Aufgaben hat sich im Projektmanagement bewährt. Mal ist von „Kapitän und Steuermann“, mal von „Diplomat und Stratege“ die Rede. „Wichtiger als derlei Titulierung ist, dass die Rollen und Kompetenzen exakt verteilt sind“, erklärt der Siemens-Mann. Reizvoller Nebeneffekt: Der externe Consulter trägt zusätzliches Know-how ins Haus. Das Team lernt „by training-on-the-job“ Projektmanagement-Techniken. „Eignen sich Teams das fremde Know-how an, so müssen sie in großen Unternehmen darauf achten, dass sich ihre Vorgehensweisen und Werkzeuge nicht zu sehr von den Unternehmensgrundsätzen entfernen“, meint Rzehak. Denn: „Konformität ist notwendig, damit das Projekt im eigenen Hause akzeptiert wird.“ Anderenfalls zieht sich das Team auf eine Insel zurück und kappt alle Brücken. „Man darf ja auch nicht vergessen, dass es auch noch eine Zeit nach Projektende gibt.“ Und heute? Neue Aufgaben mit altem Teamgeist März 2001: Zum Jahreswechsel ging das Projekt zu Ende, den Anschluss an das Unternehmen hat Rzehaks Team längst wieder gefunden. „Seine“ Büroetage hat es noch heute. Weitere Mitarbeiter sind hinzugekommen, Wolfgang Rzehak leitet jetzt die neu eingerichtete Abteilung Servicemanagement im Geschäftssegment „EBO ElectronicBusinessOperations“, ein innovatives Feld mit sonnigen Zukunftsaussichten sowohl fürs Geschäft als auch für die Weiterentwicklung des Teams. Geblieben ist der alte Teamgeist. Man fühlt sich wie in einer Familie. Und das Team ist sich sicher, dem Unternehmen mit seinem Projekt den Widrigkeiten zum Trotz einen Dienst erwiesen zu haben. „Wir haben für unser Haus Know-how erarbeitet“, meint Georg Pessler - nicht nur zu Make-to-stock-Produkten, sondern auch zum Projektmanagement. Schon früh hatte Rzehak sein Projekt als „unternehmensinternen Eisbrecher“ erkannt, seine Mannschaft fühlt sich heute noch als Projekt-Pfadfinder, als Scouts oder Piloten. In der Versenkung verschwunden ist „MTS Web-Hosting“ nicht. Ganz im Gegenteil: Siemens Business Services vermarktet einzelne Komponenten und bringt - so Rzehak - die „Filetstücke“ an den Markt. So entwarf das Team einen Businessplan für das „Mobile Backup“, ein Verfahren, bei dem auch kleine Kunden im Rahmen eines Standardprodukts Kopien ihrer Daten sicher auf den Zentralrechner von Siemens Business Services auslagern können. Das Produkt „Auto-Web“, das aus „MTS Web-Hosting“ hervorging, scheint heute interessant. Es kommt wieder etwas in Bewegung. „Vielleicht kriegen wir so unsere Projektergebnisse stückweise an den Markt“, sagt Rzehak. Er ist sich sicher: „Wir haben mit unserem Projekt unser Unternehmen vorangebracht.“ Auch in „stürmischen Zeiten“. ■ Siemens Business Services mit eigenem PM-Karrieresystem Ein eigenes Karrieresystem für Projektmanager hat Siemens Business Services (weltweit 33.500 Mitarbeiter) entwickelt. In einem eigenen Projekt entwarf der IT-Dienstleister seinen neuen, dreistufigen Karrierepfad. So unterscheidet das Unternehmen zwischen Projektleitern, Projektmanagern und Senior-Projektmanagern. In einem Assessment-Verfahren werden Mitarbeiter mit Projekterfahrung den jeweiligen Stufen „zugeordnet“. „Dabei entscheidet in erster Linie die Erfahrung darüber, welche Ebene die Kandidaten erreichen“, erklärt Rüdiger Koschel, bei dem Unternehmen in München zuständig für Projektmanagement. Das Prinzip: Siemens Business Services lässt Mitarbeiter zunächst außerhalb dieser neuen Hierarchie Projekte führen. Äußern sie den Wunsch, dem neuen Karrierepfad zu folgen, nehmen sie an dem internen Assessment teil. Bislang haben von 900 Projektleitern 400 Manager das Angebot des Unternehmens genutzt. Koschel: „Wir haben damit neben der Fachlaufbahn und der Führungslaufbahn eine dritte, eigene und echte Laufbahn installiert.“ Er hat festgestellt: „Vor allem Mitarbeiter um die fünfzig Jahre, die wieder flexibel sind, gehen diesen Weg und sind dank ihrer Erfahrung häufig hervorragende Projektleiter.“ Diesem neuen System angeglichen hat Siemens Business Services seine Vergütung. Heute sind Projektleiter an dem Erfolg ihres Projektes beteiligt. Incentives belohnen sie, wenn sie bei ihrem Projekt beispielsweise das festgelegte Budget nicht ausschöpfen müssen oder vor Termin die Arbeiten abschließen. „Die Ziele werden individuell vereinbart“, erklärt Koschel, „als Kriterium kann alles zählen, was Kosten senkt und die Produktivität erhöht.“ So könne die Arbeit für Projektmanager eine durchaus lukrative Tätigkeit werden. Auch in dieser Hinsicht stehe die Projektleiter- Laufbahn der klassischen Führungslaufbahn in nichts nach.
