PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.In Paris ticken die Projekt-Uhren anders
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Oliver Steeger
Transkontinentalflüge, Klimawechsel, exotische Kultur und Zeitverschiebung - damit verbinden viele Projektmanager die internationale Tätigkeit. Doch die Formel „je weiter, desto internationaler“ trügt. Schon innerhalb Europas unterscheiden sich Arbeitsmentalität und Projektkultur. Sogar bei gemeinsamen Projekten zwischen Nachbarländern zeichnen sich feine Differenzen ab. Missverständnisse können durchaus ein Projekt erschweren, wie Professor Lutz Michael Büchner, Leiter des „Europäischen Instituts für Arbeitsbeziehungen e.V.“, in dreizehn Jahren französisch-deutscher Projektarbeit festgestellt hat.
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P R O J E K TMANA G E M E N T 1 / 2 0 0 2 15 I n geschliffener Sprache diskutieren die französischen Teilprojektleiter ihre Pläne. Brillant im Ton geht es um Grundsätzliches. Das Team erörtert stundenlang Perspektiven, sogar abwegige Aspekte und Gesichtspunkte. „Réflexion“ nennt sich diese Phase der Besprechung, eine Generaldebatte, bei der jeder zu jedem etwas sagt - und die deutschen Projektmitarbeitern mächtig auf die Nerven gehen kann. Denn am Ende der „Réflexion“ stehen selten Entscheidungen und Beschlüsse. Es bleibt „nur“ das befriedigende Gefühl, das Thementerrain einmal umwandert zu haben. Réflexion in Deutschland? Die Projektarbeitsmentalität jenseits des Rheins drängt zu Effizienz und Entschlüssen - für die rhetorisch ambitionierten, doch endlosen Debatten mit Tiefgang ist keine Zeit. Nachbarn sind die beiden Nationen, nur durch den Rhein getrennt. Spektakuläre Gemeinschaftsprojekte wie die DASA oder Airbus verbinden Wirtschaft und Projektmanagement der beiden Länder. Und doch, die Arbeitsmentalität unterscheidet sich „en détail“, wie deutsche Projektmanager in Frankreich immer wieder feststellen. Kleinigkeiten können denn auch das Arbeitsklima in internationalen Teams belasten. Beispielsweise dann, wenn deutsche Projektleiter der „Réflexion“ mit vorgefertigten Entscheidungspapieren das Wasser abzugraben suchen. Das schneidige Vorpreschen mit Vorlagen gilt hier als Hilfe in Meetings. Franzosen allerdings fühlen sich mit derlei Papieren über den Tisch gezogen und versperren sich häufig jeder weiteren Diskussion. Irritationen beim Verstoß gegen die Etikette Mehr als nur ein Sprachenproblem: Projektmanagement mit europäisch besetzten Teams kann bereits den interkulturellen Ernstfall herbeiführen. Die gemeinsame Geschichte, die geographische Nähe und ein wenig Sprachverwandtschaft können nur schwer darüber hinwegtäuschen, dass die Arbeitswelt und die Projektwelt von Land zu Land anders ticken. In puncto Projektmanagement ist Europa zwar ein Haus, doch die Zimmer unterscheiden sich. Mitunter sind die Differenzen dezent. Indes, die Irritationen, die Verstöße gegen die Etikette auslösen, gefährden die Zusammenarbeit - zumal es sich häufig um tief verwurzelte Gepflogenheiten handelt. Die Untiefen im Binnenverhältnis zwischen Franzosen und Deutschen hat Professor Lutz Michael Büchner gründlich studiert. Der Leiter des 1997 gegründeten „Europäischen Instituts für Arbeitsbeziehungen e. V.“ hat, gemeinsam mit seiner französischen Partnerorganisation, der „Université Européenne du Travail (UET)“, grenzübergreifende Seminarprogramme auf die Beine gestellt. Gemeinsam mit dem Spezialisten von der Seine sowie spanischen Partnern entwickelte Professor Lutz Michael Büchner beispielsweise europäische Konferenzen. Themen waren die Umstrukturierung von Unternehmen, die damit verknüpften Veränderungen der Arbeit sowie der soziale Dialog. Neben einer spanischen Bank und einem französischen Elektronikkonzern beteiligte sich die Deutsche Telekom an diesem vierteiligen Workshop, Oliver Steeger Transkontinentalflüge, Klimawechsel, exotische Kultur und Zeitverschiebung - damit verbinden viele Projektmanager die internationale Tätigkeit. Doch die Formel „je weiter, desto internationaler“ trügt. Schon innerhalb Europas unterscheiden sich Arbeitsmentalität und Projektkultur. Sogar bei gemeinsamen Projekten zwischen Nachbarländern zeichnen sich feine Differenzen ab. Missverständnisse können durchaus ein Projekt erschweren, wie Professor Lutz Michael Büchner, Leiter des „Europäischen Instituts für Arbeitsbeziehungen e. V.“, in dreizehn Jahren französisch-deutscher Projektarbeit festgestellt hat. In Paris ticken die Projekt-Uhren anders Ohne „Generaldebatte” startet in Frankreich selten ein Projekt Professor Lutz Michael Büchner, Leiter des „Europäischen Instituts für Arbeitsbeziehungen e. V.“: „Es gehören Fingerspitzengefühl und Erfahrung dazu, die Mentalität der anderen Kultur und die eigene Kultur mit den Erfordernissen des Projekts in Einklang zu bringen.“ Foto: privat P R O J E K TMANA G E M E N T 1 / 2 0 0 2 16 REPORT der 120 Teilnehmer von Stuttgart über Straßburg nach Madrid führte, wo sie auch in den Unternehmen die Probleme erörterten. Bis zu fünfzehn Mitarbeiter saßen in Büchners Team, davon über die Hälfte Franzosen. Haarspalterei oder sinnvolle Diskussionen? „Schon die Herangehensweisen an dieses Projekt unterschieden sich gründlich voneinander“, erläutert Professor Lutz Michael Büchner mit Hinweis auf die Phasen der „Réflexion“. Stundenlang diskutierte er mit seinen französischen Partnern über den Schlüsselbegriff der Maßnahme, die „Restructuration“ (deutsch: Umstrukturierung). „Solche Begrifflichkeiten sind beliebte Gesprächsthemen“, weiß Büchner. Seiner Erfahrung nach neigen die Deutschen in solchen Fällen eher zu Kompromissen, die Franzosen zielen auf hundertprozentige Stimmigkeit. Trotz der Weitschweifigkeit der Diskussion findet Büchner Sympathie für die „Réflexion à la française“, die der 53-jährige Projektprofi aus seiner Arbeit mit Franzosen beispielsweise an der Elfenbeinküste, in Guinea oder in Südafrika kennt. „Ich habe über die unterschiedlichen Herangehensweisen und die Erwartungshaltungen in Projekten eine Menge erfahren und gelernt“, berichtet er. „Vor allem der Kulturenmix und die interkulturellen Arbeitsergebnisse verblüffen mich häufig.“ Die Réflexion hat er als Element seiner Arbeit akzeptiert und manchmal auch verinnerlicht - so lange zumindest, wie sie das Projekt voranbringt. In Meetings wenig Beschlüsse Indes, nicht nur die Generalaussprache verdrießt deutsche Kollegen. Sie beklagen auch, dass viele Franzosen vergleichsweise unvorbereitet in die Sitzung kommen und am Ende der Diskussion wenig Entscheidungen stehen. Das Problem der Nachbarn: Entscheidungen darf nur der Vorgesetzte treffen, der tatsächlich „den Hut aufhat“, wie Experten pointieren. Will meinen: Diejenigen, die in Besprechungen sitzen, fassen ihre Arbeit zwar in Zwischenergebnissen zusammen. Das endgültige Votum gibt allerdings der Vorgesetzte - häufig erst nach dem Meeting. „Die französische Wirtschaft ist in ihrer Hierarchie eher nach dem Patronatsprinzip gegliedert“, betont Professor Lutz Michael Büchner. Schlimmer noch. Vielen Franzosen fällt es schwer, über ihre Kompetenzen zu sprechen und Flagge zu zeigen, wieweit sie überhaupt Entscheidungen treffen dürfen. Die deutschen Projektmitarbeiter, die Effizienz und Tempo gewöhnt sind, müssen dann möglicherweise „Kröten schlucken“ und nach dem Meeting unverrichteter Dinge heimkehren. „Man muss natürlich aufpassen, dass man nicht alle Franzosen über einen Kamm schert und Vorurteile zementiert“, meint Büchner. Gerade beim Patronatsprinzip, das Projektmitarbeitern und manchmal auch Projektleitern vergleichsweise geringen Spielraum lässt, zeichnet sich ein Wandel ab. Er schätzt aber, dass die alten Muster noch zu 75 Prozent vertreten sind. Vorsicht vor (ungewollter) Arroganz Auch die französische Wirtschaft hat längst erkannt, dass die Uhren in Berlin oder Frankfurt anders ticken als in Paris. Sie pflegen das Bonmot vom „Outre Rhin“, das die Teutonen sprachlich fast auf Überseedistanz rückt. Mit dem Wortspiel treten sie allerdings eher die Flucht nach vorne an. Die in ihrer Sprache geschmeidigen Franzosen fühlen sich von der deutschen Mixtur aus Nüchternheit, Pünktlichkeit und Effizienz häufig über den Tisch gezogen - ein Gefühl, das die Nadelstreifenträger von „Outre Rhin“ durchaus weiter nähren. „Man braucht sich nur einmal im Flieger nach Paris umzuhören. Manager aus dem zweiten Glied brüsten sich auf dem Heimflug, wie sie mit ihren französischen Kollegen umgehen“, klagt Büchner. Auch warnt er davor, mit den deutschen Errungenschaften wie Sozialstaatlichkeit und Mitbestimmung in Betrieben beim Nachbarn hausieren zu gehen. „Die Arroganz, die dann den Deutschen unterstellt wird, baut die historisch bedingte Distanz nicht gerade ab.“ Die Differenzen erstrecken sich nicht nur auf die tägliche Kommunikation in Projektteams. Auch bei der Projektarbeit selbst gehen die Mentalitäten auseinander. Beispiel Terminarbeiten. Die Deutschen sind in Frankreich als preußische Pünktlichkeitsfanatiker berüchtigt. Wer sich als Deutscher verspätet, wird von Franzosen mit spöttischem Blick auf die Uhr abgestraft. Indes, auch die Franzosen arbeiten verlässlich und termingerecht, nur machen sie um derlei Planungen kein Aufhebens. Das Land, das sich die Philosophie des „Laisserfaire“ auf die Fahne schreibt, nimmt es mit den Endterminen sehr ernst. Zeitplanungen, Meilensteine und Zwischenschritte werden allerdings nicht ganz so penibel gesehen. Franzosen, so scheint es vielen Experten, arbeiten tendenziell eher „auf den letzten Drücker“. In Sachen Planung und Strukturierung sind ihnen die Deutschen mitunter eine Nasenlänge voraus. Franzosen liefern hervorragende Projektarbeit Längst enthalten sich Experten jeder Wertung, welche Nation beim Projektmanagement nun „besser“ sei. „Tatsache ist, dass die Franzosen mit ihrer Herangehensweise ganz außerordentliche Leistungen vollbringen“, hat Büchner festgestellt. Er warnt Kollegen, die vor Kooperationen mit Franzosen stehen, vor Scheu und Berührungsangst, auch was die Sprache betrifft. Wichtig dagegen sei die Frage, wie Projektleiter mit den kulturellen Unterschieden umgehen. „Die eigene Kultur auszublenden ist dabei ebenso schlecht wie sie durchzusetzen.“ Mit Patentrezepten komme man nicht weit. Paradebeispiel „Réflexion“: Die Debatten könne der Projektmanager nicht vermeiden. Doch könne er mehr und frühere Ergebnisse und Entscheidungen einfordern. „Es gehören Fingerspitzengefühl und Erfahrung dazu, die Mentalität der anderen Kultur und die eigene Kultur mit den Erfordernissen des Projekts in Einklang zu bringen“, erklärt Büchner, „das gilt natürlich nicht nur für Frankreich.“ Vorangehen allerdings müsse eines: ein offenes Auge für andere Arbeitsstile zu haben. „Im Idealfall werten Projektmanager die Unterschiede nicht als Hemmnis, sondern als Bereicherung und spannende Herausforderung.“ ■