eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 13/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
31
2002
131 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Komplexes Projektmanagement

31
2002
Dominik Petersen
Urs Witschi
Dieser Beitrag beruht auf den Erfahrungen aus konkreten Änderungsprojekten in einem größeren Fertigungs- und einem Chemieunternehmen. Gleichzeitig knüpft er - unbeabsichtigt - an den Artikel „Systemische Konzepte für das Management von Organisationsprojekten“ von Peter M. Frieß in „Projektmanagement aktuell 3/2000“ an. Er geht von derselben theoretischen Basis aus, zeigt jedoch auf, was es ganz konkret heißt, Selbstorganisation durch Rahmenbedingungen zu steuern und Teams zu vernetzen. Er geht auch der Frage nach, wo die relevanten Unterschiede zwischen dem klassischen und dem „evolutionären“ Projektmanagement sind und welche Voraussetzungen für diesen Ansatz gegeben sein müssen.
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P R O J E K TMANA G E M E N T 1 / 2 0 0 2 25 Change-Vorhaben können nicht nach dem klassischen PM-Ansatz abgewickelt werden Umfassende betriebliche Änderungen wie die Neugestaltung von Geschäftsprozessen, Zusammenlegungen von Abteilungen, Einführung eines neuen Rechenmodells usw. werden oft nach dem herkömmlichen Projektmanagementansatz abgewickelt. Diesem klassischen Vorgehen liegt ein hoher Machbarkeits- und Exaktheitsanspruch zugrunde. Dieser Vorgehensansatz scheitert dann oft an unvorhergesehenen Reaktionen, Widerständen, Konflikten usw.; man sagt dann, der Mensch sei eben unberechenbar und eines der größten Risiken im Projektmanagement. Bei unternehmensinternen Veränderungen ist das handelnde System selbst zum „Projektgegenstand“ geworden, und das Projektumfeld reagiert äußerst sensibel und emotional auf Interventionen. Zudem haben diese Projekte inhaltlich einen geringen Bekanntheitsgrad, gewohnte Pfade müssen verlassen werden, vieles ist offen, unbekannt und muss zuerst ausprobiert werden, man lässt sich auf ein Abenteuer ein. Ein rein rationaler Ansatz kann diese Komplexität nicht auffangen, er wird dem sozialen Umfeld nicht gerecht, er kann kaum mit Emotionen und Konflikten umgehen, kann schon gar nicht zementierte Machtverhältnisse in Bewegung bringen. Harte und weiche Ziele zugleich verfolgen Oft werden in Change-Projekten entweder nur harte oder nur weiche Ziele verfolgt. So z. B. in Reengineering-Vorhaben: Diese basieren auf einer betriebswirtschaftlich-rationalen Denkhaltung und münden in meistens harte, chirurgische Eingriffe in die Organisation, um das Unternehmen z. B. schlanker und schlagkräftiger zu machen. Es bleiben dann oft Wunden und Verlierer auf der Strecke, und das Vertrauen in die Organisation sinkt. Umgekehrt in klassisch verstandenen Organisationsentwicklungsprozessen: Man will gemeinsam lernen und die Strukturen möglichst konsensual weiterentwickeln; dabei gelingt es jedoch nur schwer, die „heißen Eisen“ anzurühren, geschweige zu schmieden, und die Resultate sind meistens relativ marginal und unverbindlich. Die beiden Ansätze sind widersprüchlich und werden aus den jeweiligen Positionen heraus gegenseitig kritisiert. Wir sind in unseren Projekten zu der Auffassung gelangt, dass man beides braucht. Die harten Ziele und Vorgaben müssen vom Management gewollt und vorgegeben und durch das Projekt in die erwartete Richtung bearbeitet werden. Weiche Ziele und Themen wie Zusammenarbeit, Kommunikation, Konfliktkultur usw. müssen ins Projekt hineingenommen und gelebt werden, um dann in Verbindung mit neuen Strukturen, Prozessen, Instrumenten etabliert zu werden. Und zwar nicht als Zugabe oder Dekoration, sondern als ebenbürtiger „Bestandteil“; denn neue Strukturen oder Hard Facts bedingen neue Soft Facts. Die Projekte werden Komplexes Projektmanagement Eine Synthese aus klassischem Projektmanagement und Organisationsentwicklung Dominik Petersen, Urs Witschi Dieser Beitrag beruht auf den Erfahrungen aus konkreten Änderungsprojekten in einem größeren Fertigungs- und einem Chemieunternehmen. Gleichzeitig knüpft er - unbeabsichtigt - an den Artikel „Systemische Konzepte für das Management von Organisationsprojekten“ von Peter M. Frieß in „Projektmanagement aktuell 3/ 2000“ an. Er geht von derselben theoretischen Basis aus, zeigt jedoch auf, was es ganz konkret heißt, Selbstorganisation durch Rahmenbedingungen zu steuern und Teams zu vernetzen. Er geht auch der Frage nach, wo die relevanten Unterschiede zwischen dem klassischen und dem „evolutionären“ Projektmanagement sind und welche Voraussetzungen für diesen Ansatz gegeben sein müssen. Als komplexe Projekte bezeichnen wir solche, bei welchen die inhaltlichen Fragestellungen sehr neu und offen sind und die gleichzeitig sehr hohe soziale Komplexität aufweisen - die also hochgradig vernetzt, nicht direkt steuerbar sind und hohe Unsicherheiten aufweisen. Daher erweist sich ein Projektmanagementansatz als praktisch, der auf einer Theorie lebender, nicht rationaler Systeme beruht - eben auf der systemischen Theorie. Für uns waren daraus u. a. die folgenden Grundsätze Weg leitend: ❏ Projekte können als soziale Systeme aufgefasst werden und sind daher selbst steuernd; die Art der Selbststeuerung kann jedoch gestaltet werden. ❏ Change-Projekte sind selbstreferenziell; die Gestaltung von Feedbacks spielt daher u. a. eine große Rolle. ❏ Soziale Systeme sind mit Kontexten vernetzt, die ihr Verhalten beeinflussen. ❏ Vernetzungen sind Beziehungen oder Dynamiken, die sich gestalten lassen. ❏ Auch der Weg ist Ziel; die Prozessgestaltung hat zentrale Bedeutung (daher auch „evolutionäre“ Projekte). Tabelle 1: Zum Begriff des systemischen Projektmanagements (siehe auch Frieß) P R O J E K TMANA G E M E N T 1 / 2 0 0 2 26 WISSEN so nach dem Grundsatz „sowohl hart als auch weich“ abgewickelt. Insofern verbinden wir damit den klassischen, ergebnisorientierten Projektmanagementansatz mit dem prozessualen Organisationsentwicklungsansatz. Ein Projektumfeld schaffen, das sich von demjenigen der Stammorganisation deutlich unterscheidet Menschen und soziale Systeme, wie es Projekte eben sind, verhalten sich sehr umweltrespektive kontextorientiert. In unterschiedlichen Umwelten mit unterschiedlichen Werten und Kulturen wirken wir entsprechend den umliegenden Normen, Regeln und Erwartungen. In einer hierarchischen Umwelt richten wir uns nach oben und nach unten aus, in einem kooperativen Umfeld gilt unser Augenmerk eher dem Miteinander. So können wir in Projekten bewusst einen Rahmen gestalten, der bestimmte Verhaltensweisen wahrscheinlicher als andere macht. Dadurch ergeben sich zwei Effekte: Erstens können wir ihn für die weichen Projektziele unterstützend gestalten (z. B. bewusste Förderung der Zusammenarbeit, auch in unterschiedlichen hierarchischen Konstellationen) und zweitens durch die gewollte Differenz der Arbeitsbedingungen das Besondere des Projektes hervorheben, was gebundene Energie befreien kann. Im klassischen Projektmanagement ist dieser Unterschied zur Stammorganisation jedoch meistens nicht bewusst gestaltet, sondern eher zufällig: Der Unterschied kann zu unbedeutend sein, kann auch mal passend, aber auch zu groß sein; im letzteren Fall wird das Projekt oft als realitätsfern abgelehnt. Welches sind denn, ganz konkret, solche Gestaltungsmaßnahmen? In unseren Projekten waren dies ❏ offene Nominierungsverfahren für Projektmitarbeitende, ❏ freie Vernetzung der Projektgremien miteinander und mit der Stammorganisation im Gegensatz zu definierten Berichtswegen, ❏ höhere Entscheidungskompetenzen in den Projektteams und damit höherer Grad an unternehmerischer Mitgestaltung, ❏ gewollte und unterstützte Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Hierarchieebenen, ❏ weniger Fremdeinwirkung, mehr Autonomie respektive mehr Selbststeuerung und ❏ stärkere Sinn- und Zielorientierung und damit höhere Identifikation. Eine Projektorganisation aufstellen, die Komplexität verarbeiten kann In unseren Projekten haben wir die in Tabelle 2 dargestellte Projektorganisation gewählt. Ein zentrales Organ ist das Unterstützungsteam (U-Team), das den eigentlichen Prozess gestaltet und die Kontinuität des Verfahrens sicherstellt. Es entspricht in etwa dem Lenkungsausschuss bzw. dem Steering Committee in klassischen Projekten. Es ist diejenige Gruppe, die das Vorhaben vorantreibt, begleitet und unterstützt - kurz: ihm die entscheidende Orientierung gibt. Daher ist es selbst fach- und hierarchieübergreifend zusammengesetzt. Freilich muss die Unternehmensleitung zumindest gewichtig vertreten sein. Die konkreten Aufgaben des Unterstützungsteams sind ❏ Projektauftrag und Zielsetzung/ Rahmenbedingungen (= Leitplanken) genau ausformulieren und mit der Geschäftsleitung vereinbaren, ❏ Nominierungsprozess für die Netzwerkteams organisieren, ❏ Aufträge an die Netzwerkteams erteilen und diese unterstützen, ❏ Reaktionen, Meinungen, Trends widerspiegeln, ❏ Prozess beobachten, allenfalls intervenieren. Bei den Netzwerkteams handelt es sich um ein bis mehre Projektteams, welche in ihren relevanten Bereichen Konzept- und Umsetzungsarbeit leisten. Wie der Name sagt, vernetzen sie sich nach innen und nach außen (also gegenseitig, mit dem U-Team und dem Manage- Abb. 1: Harte Ziele verfolgen, weiche Ziele vergegenwärtigen Abb. 2: Ein Unterschied zwischen Stamm- und Projektorganisation, der einen Unterschied macht P R O J E K TMANA G E M E N T 1 / 2 0 0 2 27 ment) selbst. Diesen Teams wird keine Projektleitung vorgesetzt - vielmehr einigen sich die Teams selbst auf die für ihre Arbeit notwendigen Rollen. Welches ist der Unterschied zum klassischen Projektmanagement? Wir wollen hier einigen organisatorischen Gestaltungsprinzipien nachgehen, wie sie im klassischen und komplexen Projektmanagement charakteristisch sein können (Tabelle 3). Im klassischen Projektmanagement ist u. a. charakteristisch, dass die Hierarchie relativ stark in die Projektgremien übertragen wird: Die Projektleitung steht über den Teams, die Steuergruppe über der Projektleitung, das Management über der Steuergruppe. Entsprechend sind die Entscheidungsverfahren und Berichtswege ausgebildet. Im komplexen Projektmanagement hingegen werden nur die Rahmenbedingungen durch das Management gesetzt; innerhalb dieses Rahmens bestehen volle Kompetenzen. Die Entscheidungsfindung erfolgt im klassischen Projektmanagement im Wesentlichen durch die Auftraggeber; im komplexen Projektmanagement werden stufengerechte Entscheide in den Teams gefällt, deren Mitglieder auch aus entsprechenden Entscheidungsträgern bestehen. Die Geschäftsleitung greift also nicht direkt in das Projekt ein, und das Unterstützungsteam ist den Netzwerkteams nicht vorgesetzt. Der markanteste Unterschied zwischen den zwei Projektarten sind die gegenseitigen kommunikativen Beziehungen zwischen den Gremien: Im klassischen Projektmanagement werden die Berichtswege vordefiniert, im komplexen Projektmanagement werden sie selbst organisiert vernetzt. Dadurch entstehen reflexive Beziehungen oder Dynamiken, die systematisch genutzt werden und ein ganzes Netzwerk von Teams unter Spannung setzen, mit der nötigen Energie versorgen und in der Arbeit voranbringen. Diese Dynamiken respektive Rückkoppelungen verlaufen grob gesagt in vier Richtungen: Die Dynamik zwischen Unternehmensöffentlichkeit und Projekt Dies ist die Hauptenergiequelle für das Projekt. Gemeint sind die Wechselwirkungen mit der Stammorganisation, d. h. mit all den Personen im Unternehmen, welche nicht direkt in den Netzwerkteams mitarbeiten. Das Vorgehen, mit welchem wir die Weichen für eine wirksame Querdynamik stellen können, ist ein selbst gesteuerter Nominierungsprozess (siehe Schritt 5 der Vorgehensschritte in Tabelle 4). Er richtet sich nach den folgenden Gesichtspunkten: ❏ Die Mitarbeit ist freiwillig. ❏ Grundsätzlich sind alle Menschen im Unternehmen angesprochen; einschränkende Bedingungen für die Mitarbeit sind rein funktiona- Gremium Rolle, Aufgaben, Kompetenzen Top-Management ❏ bekundet unmissverständlich die Notwendigkeit des Projektes ❏ entwirft klares Zukunftsbild, erarbeitet die generelle Projektidee und erteilt den Auftrag für das Veränderungsvorhaben ❏ unterstützt das Projekt und gibt Sicherheit ❏ führt die notwendigen Meilensteinentscheide herbei Unterstützungsteam ❏ nimmt das Gesamtcontrolling wahr ❏ formuliert einen präzisen Projektauftrag mit den Leitplanken ❏ klärt prozessuale Fragen und stellt den organisatorischen Rahmen bereit ❏ unterstützt die Netzwerkteams ❏ fängt Meinungen, Stimmungen, Trends ein und spiegelt sie wider Netzwerkteams ❏ erarbeiten Konzepte und entscheiden in ihren Arbeitsbereichen ❏ setzen die Maßnahmen um ❏ „netzwerken“, d. h. kommunizieren und kooperieren mit den anderen Teams Tabelle 2: Projektorganisation Abb. 3: Projektorganisation P R O J E K TMANA G E M E N T 1 / 2 0 0 2 28 WISSEN ler Natur (z. B. Know-how, Repräsentanz verschiedener Gruppen, zur Verfügung stehende Plätze usw.). ❏ Die Nominierung der Delegierten erfolgt in einem freien Diskussionsprozess, bei welchem jede Stimme das gleiche Gewicht besitzt. ❏ Die Führungskräfte übernehmen dabei zwei Rollen: Einmal üben sie wie alle anderen sozusagen das passive und aktive Wahlrecht aus. Dann übernehmen sie die Rolle des „Fascilitators“, der sicherstellt, dass die Diskussionsprozesse bei hinderlichen Rahmenbedingungen (z. B. Schichtarbeit) tatsächlich stattfinden können. Voraussetzung für diese Nominierungen ist ein Mobilisierungsprozess (siehe auch Schritt 4 der Vorgehensschritte in Tabelle 4). Um die richtigen Delegierten zu finden, muss von allen verstanden sein, um was es geht. Der Mobilisierungsprozess wird durch Informationen (z. B. Kurzworkshops) stimuliert. Dabei geht es um die Veröffentlichung der Leitplanken und der Projektziele; das Vorgehen und die Organisation werden vorgestellt und diskutiert. Dieses Wahlverfahren setzt das Gesamtsystem Unternehmen aus verschiedenen Gründen unter Spannung: etwa dadurch, dass die selbst organisierte Teilnehmerauswahl die formalen Korsette beiseite schiebt und das tatsächliche Beziehungsnetz der Menschen in den Vordergrund rückt. Wie stehe ich zu wem? Welche Rolle spiele ich im Netzwerkteam? Werde ich wahrgenommen und respektiert? usw. Auch für die Führungskräfte werden Fragen beantwortet wie: Stimmt meine Einschätzung der verschiedenen Personen? Gibt es Überraschungen? usw. Außerdem werden die Nominierten genau daraufhin beobachtet, was sie im Projekt entwickeln und welche Lösungen sie vorschlagen werden. Die Beziehung zwischen der Unternehmensöffentlichkeit und den Netzwerkteams ist somit eine selbst organisierte, welche durch Regeln des Wahlverfahrens, aber auch durch die weitere Kommunikation bewusst gestaltet werden kann. Ziel ist es, Aufmerksamkeit für das Projekt zu erreichen, Energien freizusetzen, Vertrauen zu bilden und Akzeptanz im Unternehmen zu erreichen. In klassischen Projekten In komplexen Projekten Gesamtarchitektur hierarchische Anlage: Entscheidungsgremium, Lenkungsausschuss und Projektleitung in hierarchischen Unterstellungsverhältnissen vernetzte Anlage: Projektteams mit weitgehenden Kompetenzen; hoher Grad an Unterstützung durch die Geschäftsleitung und das Unterstützungsteam Entscheidung ausgeprägte Trennung zwischen Entscheidung, Vorentscheidung, Management und Bearbeitung die Entscheidungskompetenzen werden weitgehend an das U-Team und die Projektteams delegiert Gesamtsteuerung der Lenkungsausschuss nimmt die übergeordnete Steuerung von Terminen, Kosten und Zielerreichung wahr das U-Team nimmt eher eine prozessorientierte Steuerung wahr: Es unterstützt die Netzwerkteams Projektmanagement wird durch die Projektleitung (allenfalls Teilprojektleitung) wahrgenommen wird in den Netzwerkteams selbst organisiert Projektteam eher an Fachkompetenz orientiert; oft Einzelarbeit und Koordination im Team Fach- und Sozialkompetenz haben gleichen Stellenwert, simultane Zusammenarbeit herrscht vor Beziehungen relativ hierarchisch geregelte Berichtswege und Kommunikation relativ offene, vernetzte, selbst gesteuerte Kommunikation Tabelle 3: Projektorganisation in klassischen und komplexen Projekten Abb. 4: Dynamiken als Gestaltungsmerkmal von Projektorganisationen P R O J E K TMANA G E M E N T 1 / 2 0 0 2 29 Die Dynamik zwischen dem Projekt und dem Management Diese Beziehung ist vor allem gekennzeichnet durch die Leitplanken respektive Rahmenbedingungen für das Vorgehen, welche zwischen Auftraggebern und U-Team ausgehandelt werden. Diese Leitplanken haben folgende Charakteristika: ❏ Sie decken zwei Dimensionen ab: Auf der Sachebene definieren sie den inhaltlichen Auftrag, auf der Prozessebene regeln sie die Organisation und die Kommunikation. ❏ Sie werden dynamisch gehandhabt, d. h., sie sind offen für neue Erkenntnisse und können laufend präzisiert, angepasst oder geändert werden. ❏ Sie markieren die generelle Zielrichtung, sind aber von den Lösungen her offen. ❏ Sie sorgen für „Zielvergegenwärtigung“, d. h., dass Ziele bereits im Projekt gelebt und Vorschläge laufend ausprobiert und umgesetzt werden können. Arbeit in dieser Konstellation muss erlernt werden. Das U-Team ist Teil eines Lernprozesses, welchen es auf das Gesamtunternehmen auszudehnen gilt, auch wenn dieses Team von externen Beratern begleitet wird - jedes Ergebnis, jede Entscheidung muss aus dem Team selbst kommen. Dem Team wird dies gelingen, wenn es den eigenen Gruppenprozess versteht und auch nach außen modellhaft arbeitet: Transparenz und Öffentlichkeit sind das A und O, dass die Gruppe später erfolgreich mobilisieren kann. Sie wird also nicht nur Leitplanken erarbeiten, sondern auch Kommunikationsarbeit leisten und die Ergebnisse reflektieren. Die Dynamik zwischen den Teams Oft erfordern Change-Projekte mehrere Teams, die gleichzeitig arbeiten. So schälte sich in einem unserer Beispiele rasch heraus, dass sich die Organisation künftig nach fünf Geschäftsprozessen ausrichten würde. Also wurden fünf Teams gebildet, die nach Themen aufgeteilt an die Arbeit gingen. An sich ist das nichts Besonderes. Neu ist jedoch, dass sich die Teams direkt vernetzten. In einem klassischen Projekt würden die Teams als „Teilprojekte‘“ vom übergeordneten Gesamtprojekt zusammengefasst, hier koordinieren sie sich selbst, hier stellen sie selbst die Synergien her. Die Anregung dazu kam eigentlich von den Teams selbst: Sie waren sehr groß (bis zu zwölf Mitglieder), so dass sie in Eigenorganisation eine Zellteilung vornahmen und so ein inneres Netzwerk aufbauten. Diese Dynamik setzte sich folgerichtig nach außen fort. Die Vernetzung von Teams ergibt sich demnach einerseits aus der Sachlage, zum andern aus der Spielregel, die nötigen Kommunikationswege selbst zu organisieren. Das fördert auch die Gesamtsicht und weniger die Eigenoptimierung. Die Dynamik innerhalb der Teams Je näher der Projektstart rückt, desto eher verschiebt sich das Interesse der gewählten Mitglieder nach innen, ins Team. Bis jetzt wurde die Aufmerksamkeit dem Management geschenkt. Ist es mit dem neuen Projektmanagementansatz (Wahl der Teammitglieder, selbst gesteuerte Diskussionen an den Arbeitsplätzen, informelle Freiräume usw.) ernst gemeint? Wie soll das funktionieren? usw. Jetzt verändern die immensen Erwartungen die Richtung: Jeder weiß, dass es nun auf ihn selbst ankommt, dass er sich auf den anderen einlassen muss, dass gegenseitig Rollen geklärt, Spielregeln vereinbart werden müssen. Das ist Gruppendynamik, die wir in Projekten bereits kennen, die hier aber deshalb intensiver wirkt, weil kein so genannter Teilprojektleiter, keine Teamleader, keine Teamsprecher usw. vorbestimmt sind. Meist brauchen die Gruppen nur eine relativ kurze Einführung in die praktische Gruppendynamik, z. B. in einer Startklausur, um das Thema der Rollenverteilung als eine ihrer wichtigen methodischen Aufgaben zu verstehen und anzuwenden. Das macht situative bzw. verteilte Führung möglich und ist damit der Hauptimmunfaktor gegen „politische Unterwanderung“: Heimlich gesetzte Teammitglieder treffen damit auf einen völlig anderen Kontext, in dem gesetzte Karten völlig neu gemischt werden … Der Ablauf: Phasen und Vorgehensschritte Das Change-Projekt läuft - wie auch klassische Projekte - in Phasen und Schritten ab. Für unsere Projekte haben wir die folgenden drei Phasen gewählt: 1. Orientierungsphase: Bevor die Geschäftsleitung über einen Change-Ansatz entscheidet, muss sie einige grundsätzliche Fragen klären: ❏ Leuchtet das Vorgehen des Change-Ansatzes ein? ❏ Passt es in unser Unternehmen, zu den Menschen, zu unserer Kultur? Abb. 5: Zyklisches Vorgehen im Phasenkonzept mit den je sieben Schritten P R O J E K TMANA G E M E N T 1 / 2 0 0 2 30 WISSEN ❏ Können wir uns die Zusammenarbeit mit einem bestimmten Beraterteam vorstellen? ❏ Wird das Projekt wirklich gewollt, und sind die Bereitschaft für volles Engagement der Geschäftsleitung und die entsprechenden Investitionen vorhanden? In dieser Phase muss ein bewusster Entscheid provoziert werden, mit welcher Grundhaltung und Vorgehensmethodik das Projekt abgewickelt werden soll. Das hier beschriebene Vorgehen muss jedenfalls als passend einleuchten und braucht die volle Unterstützung der Geschäftsleitung - andernfalls wird es nicht zur erwünschten Veränderung kommen. Auch ist es von Vorteil, bei diesen Abklärungen den Betriebsrat respektive die Betriebskommission einzubeziehen. Da es vorteilhaft ist, bei einem derartigen Vorhaben mit externer Hilfe vorzugehen, werden diese Fragen mit dem Beraterteam zusammen geklärt werden müssen. Vor allem müssen die Beratenden das Vorgehensmodell genau erklären und vorstellbar machen, auf was sich das Kundensystem einlässt. 2. Optimierungsphase: In dieser Phase werden Konzepte erarbeitet, in unserem Beispiel die Ablaufprozesse optimiert. Da hier die wesentlichen Weichen für Veränderungen gestellt werden sollen, ist es ganz wichtig, dass die vorhin erwähnten Dynamiken einsetzen können, d. h., dass die Projektorganisation und die Vorgehensprozesse ganz sorgfältig installiert werden. Die Optimierungsphase wird in sieben Schritten durchlaufen (Tabelle 4). Dabei ist augenfällig, dass diese Schritte im Wesentlichen die Organisation, die Installation der Selbststeuerung und den Prozess beinhalten; lediglich Schritt 6 bezieht sich auf die inhaltliche Bearbeitung. Zeitlich ist natürlich Schritt 6 der längste; bedeutungsmäßig sind aber die anderen Schritte ganz zentral: Das Wichtigste passiert davor! 3. Implementierungsphase: Diese Phase läuft in denselben Schritten wie die Optimierungsphase ab. Das Schwergewicht liegt hier jedoch auf Schritt 6, d. h., die Anforderungen an die indirekte Steuerung reduzieren sich. Dadurch, dass Konzepte in permanente Strukturen umgesetzt werden, liegt diese Phase näher bei der Kultur der Stammorganisation, d. h. bei der Hierarchie, und ist wesentlich betriebsspezifischer und fachlich geprägt. In den Phasen 2 und 3 werden also dieselben Schritte - mit unterschiedlichem Gewicht - zyklisch durchlaufen. 4. Projektabschluss: Es ist wichtig, dass das Projekt formell abgeschlossen wird. Die Projektzeit ist relativ kurz (einige Monate) und der Sonderaufwand aller Beteiligten enorm. Daher muss an einem Punkt gesagt werden: Jetzt sind wir vom Projekt entlastet, jetzt kommt das Kundengeschäft. Der Unterschied zum klassischen Projektmanagement wird hier evident: Das große Gewicht liegt hier auf der Aufgleisung und Organisation, auf der Orientierung und Vereinbarung, auf der Öffentlichkeitsarbeit und breiten Mobilisierung, also auf der Prozessgestaltung, während im klassischen Projektmanagement die Phasen eher von der inhaltlichen Problemlösungsmethodik geprägt sind. Ebenfalls im Gegensatz zu den meisten klassischen Projekten wird am Anfang ein klarer Managemententscheid, eine klare Absicht, wohin die Reise gehen soll, gefällt und kommuniziert. Demgegenüber werden Managemententscheide in klassischen Projekten oft erst aufgrund von Projektresultaten (Varianten) getroffen. Grenzen dieser Vorgehensweise Diese sehr stark von der systemischen Grundhaltung beeinflusste Vorgehensweise darf nicht als die einzig richtige betrachtet werden. Jede Vorgehensweise muss in die Situation passen, z. B. in welcher Phase die Organisation steht, welche Kultur vorherrscht, wie die Beziehungen zwischen Mitarbeitenden und Unternehmung sind usw. Im Folgenden einige mögliche Voraussetzungen, da man dieses Vorgehen der breiten Mitwirkung Schritt 1: Projekt definieren: Die Geschäftsleitung macht selbst eine Standortbestimmung und entscheidet aufgrund ihres Zukunftsbildes, ob und was für eine unternehmerische Weiterentwicklung respektive Änderung sie in die Welt setzen möchte. Dazu holt sie auch die Sicht der Belegschaft ein. Methode: Startworkshop Schritt 2: Unterstützungsteam installieren: Die Geschäftsleitung hat sich für eine wesentliche strukturelle Änderung entschieden und gründet nun das zentrale Projektleitungsgremium, das Unterstützungsteam. Dieses wird über das Vorhaben informiert und erarbeitet ein Vorgehenskonzept. Methode: Klausur I Schritt 3: Leitplanken erstellen: Zwischen der Geschäftsleitung und dem Unterstützungsteam wird eine Projektvereinbarung (Leitplanken) getroffen. In dieser Vereinbarung sind auch prozessuale Spielregeln enthalten. Auf einer Betriebsversammlung wird die ganze Belegschaft über das Projekt informiert. Methode: Klausur II Schritt 4: Mobilisieren der Belegschaft: Das U-Team organisiert sich, plant seine Vorgehensweise und das Zustandekommen der Netzwerkteams. Gleichzeitig wird die Belegschaft auf die Nominierung der Teammitglieder und das Projekt vorbereitet. Methode: Info-Workshop Schritt 5: Nominieren der Teammitglieder: Die Belegschaft bestimmt/ wählt die Mitglieder für die Netzwerkteams. Methode: Auswahlrunden Schritt 6: Konzeptionelle Erarbeitung, Netzwerken: Die Teams bearbeiten das Thema: Sie führen Analysen durch, entwickeln Ideen, stellen Konzepte auf, probieren aus, realisieren usw. Gleichzeitig nimmt das U-Team seine unterstützende Funktion wahr. Methode: Arbeitstreffen, Workshops, Untergruppen-Arbeiten Schritt 7: Reflexion, Auswerten: Die Ergebnisse werden in Bezug auf Zielerreichung, Prozess und Lerneffekt ausgewertet; gleichzeitig wird das weitere Vorgehen festgelegt. Methode: Großworkshop/ Town-Meeting, eventuell Umfragen Tabelle 4: Die sieben Vorgehensschritte P R O J E K TMANA G E M E N T 1 / 2 0 0 2 31 und der hochgradigen Selbstorganisation mindestens in Frage stellen muss: ❏ Unternehmen mit einer ausgeprägten Hierarchie, einer zentralistischen Steuerung und damit Fremdbestimmungskultur und einem wenig differenzierten Angebot an Dienstleistungen und Produkten, wenig interner Lernbereitschaft usw. müssten sich wirklich zu einem beabsichtigten Kulturwandel entschließen, falls sie diese Methode anwenden wollen. ❏ Das oberste Management muss geschlossen hinter dem Änderungsprojekt stehen. Allzu oft sind Führungsgremien uneinig oder sogar zerstritten, sodass der so wichtige Managementsupport widersprüchlich ist oder sogar fehlt. Auch sollte während des Projektes eine gewisse Kontinuität im Management vorhanden sein; die Auswechslung der halben Führungscrew wäre eine schlechte Voraussetzung. ❏ Das Verhältnis zwischen Verändern und Bewahren muss einigermaßen ausbalanciert sein: Bei ständigen umfassenden Änderungen würde das Engagement der Belegschaft überstrapaziert, und es würde sich eine Gleichgültigkeit gegenüber derartigen Projekten einstellen. Ein Änderungsprojekt, das außerordentlicher Anstrengungen bedarf, muss mit einem konzentrierten Ressourcenaufwand und in einer relativ kurzen Zeit (einige Monate) durchgeführt werden und darf nicht durch ein ähnliches Projekt gleich wieder abgelöst werden. ❏ Die Gestaltung des Prozesses, vor allem der Organisation der Selbststeuerung, braucht eine Außensicht, d. h. eine diesbezüglich kompetente Beratung. Nach unseren Erfahrungen kann diese Beratung jedoch sehr schlank gestaltet werden. ■ Literatur [1] Bateson, Gregory: Geist und Natur, eine notwendige Einheit. Frankfurt am Main 1982 [2] Heintel, Peter/ Krainz, Ewald E.: Projektmanagement: Eine Antwort auf die Hierarchiekrise? Gabler, Wiesbaden 1994 [3] Königswieser, Roswita/ Exner, Alexander: Systemische Intervention. Klett- Cotta, Stuttgart 1999 [4] Petersen, Dominik: Wandel durch Vernetzung. In: Organisationsentwicklung 2/ 2000 [5] Witschi, Urs/ Schlager, Gerwig/ Scheutz, Uwe: Vom Nutzen des systemischen Ansatzes beim Projektmanagement. Organisationsentwicklung 1/ 1998 Schlagwörter Change-Management, Komplexes Projektmanagement, Netzwerke, Organisationsdynamik, Projektkontext, Selbstorganisation, Systemisches Projektmanagement Autor Dominik Petersen, geb. 1951, ist Psychologe und - nach praktischen Erfahrungen als Trainer für Führungskräfte und als praktizierender Unternehmer - Organisationsberater. Er begleitet insbesondere große Veränderungsprozesse und Reorganisationen wie Dezentralisierungsmaßnahmen, Prozess- und Qualitätsverbesserungsprojekte, aber unterstützt auch kleinere Einheiten bei Konfliktlösungen, Strategieentwicklungsaufgaben usw. Als selbstständiger Berater ist er Partner des DRIFT-Netzwerkes, das er im Wesentlichen aufgebaut hat. Anschrift Via Pessina 3 I-22015 Gravedona Tel.: ++39/ 3 44/ 8 96 76 E-Mail: dominik.petersen@drift.it Autor Urs Witschi, 1941, Architekt und Betriebswissenschafter, ist heute Ausbilder sowie Berater von Projektleitern, Projektteams und Geschäftsleitungen in Fragen des Projektmanagements. Seine Klienten sind privatwirtschaftliche Betriebe, öffentliche Verwaltungen und Nonprofit-Organisationen. Er ist Teilhaber des ONION- Netzwerkes für Beratung, Partner des DRIFT-Netzwerks und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Projektmanagement. Anschrift Hirschlistraße 6 CH-5400 Baden Tel.: ++41/ 56/ 2 10 32 25 E-Mail: uwitschi@onion.ch Bei dem einen Projekt handelt es sich um einen weltweit tätigen Maschinenindustriekonzern mit Hauptsitz in Deutschland. In einem Geschäftsbereich (4.500 MA) wurde die funktional gegliederte Organisation in zwei Geschäftsbereiche geteilt,und diese in prozessorientierte Organisationen weiterentwickelt. Das Projekt konnte nach ca. 1½ Jahren erfolgreich abgeschlossen werden. Das zweite Projekt - in einem mittelständischen Chemieunternehmen - hatte den Umbau der bestehenden Organisation in eine prozessorientierte Matrixorganisation zum Thema. Es wurden fünf Hauptprozesse definiert, die quer zur funktional gegliederten Struktur liegen sollten. Die Projektziele - kürzere Durchlaufzeiten, mehr Flexibilität, bessere Kundenorientierung, bessere Rahmenbedingungen für Innovationen usw. - wurden nach ebenfalls 1½ Jahren erreicht. Tabelle 5: Die zwei konkreten Projekte, die den Anstoß zu diesem Artikel gaben