PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Projektteam machte debitel-Poststelle wieder flott
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Oliver Steeger
„SOS“ aus der Poststelle: Die Briefe und Faxe stapeln sich. die Mitarbeiter des Stuttgarter Serviceproviders debitel AG werden der wachsenden Papierflut kaum noch Herr, schaffen es nicht mehr, die eingehenden Schreiben zu sortieren und im Haus weiterzuleiten. Abhilfe will ein Projektteam schaffen. Eine automatische Bearbeitung der Eingangspost soll die Flut kanalisieren. Trotz gebotener Eile lässt sich das Team in Sachen sorgfältiges Projektmanagement nicht unter Druck setzen. Es setzt bei dem Provider Projektmanagement-Maßstäbe - und schafft 2001 den Sprung ins Finale um den „Projektmanagement Award“ der GPM. Redakteur Oliver Steeger besuchte das Team in Stuttgart.
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P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 8 REPORT Projektteam machte debitel-Poststelle wieder flott debitel AG: Exzellente Projektvorbereitung und Mitarbeiterbeteiligung Oliver Steeger „SOS“ aus der Poststelle: Die Briefe und Faxe stapeln sich. Die Mitarbeiter des Stuttgarter Serviceproviders debitel AG werden der wachsenden Papierflut kaum noch Herr, schaffen es nicht mehr, die eingehenden Schreiben zu sortieren und im Haus weiterzuleiten. Abhilfe will ein Projektteam schaffen. Eine automatische Bearbeitung der Eingangspost soll die Flut kanalisieren. Trotz gebotener Eile lässt sich das Team in Sachen sorgfältiges Projektmanagement nicht unter Druck setzen. Es setzt bei dem Provider Projektmanagement-Maßstäbe - und schafft 2001 den Sprung ins Finale um den „Projektmanagement Award“ der GPM. Redakteur Oliver Steeger besuchte das Team in Stuttgart. A uf Seitentischen stapelt sich in der debitel-Poststelle ein Rest der alten Ablagekörbe, schmucklose Plastikbehältnisse, die sich hier früher dutzendweise zu Sortierbatterien türmten. Zehn Kilo Papier, so hat ein schlauer Kopf ausgerechnet, liefert die Post täglich bei debitel an: Briefe mit Fragen zu Tarifen, unterzeichnete Vertragsunterlagen und Kündigungen, Adressänderungen, Kontoauszüge und Fragen zur Handyrechnung. Für die Mitarbeiter heißt dies: Umschlag aufreißen, Inhalt überfliegen und auf den richtigen Weg zu den Fachabteilungen schicken. Kiloweise Post - bis zu 8.000 Briefe - muss der Serviceprovider in seiner Stuttgarter Poststelle an bis zu 80 Stellen fein verteilen. Besser: müsste er verteilen. Wenn das 1992 gegründete Unternehmen nicht der zeitraubenden Schneckenpost Dampf gemacht und die Sortierkörbe ausgemustert hätte. Heute helfen Computer beim Sortieren und Verteilen. Statt auf Papier treten die Briefe ihren Weg elektronisch von Bildschirm zu Bildschirm durch die Flure und Büros der debitel-Hauptverwaltung an. In einem eigenen Projekt hat debitel seine Poststelle von einer Sortierstation zur flinken Truppe getunt. Sie schickt im Sekundentakt die „White Mail“ durch Hochleistungsscanner. Die digitalisierten Dokumente werden in einem nachgeschalteten System inhaltlich analysiert, um den schreibenden Kunden mit seinem Wunsch zu identifizieren. Bei einem Viertel der Post geschieht dies vollautomatisch. Die Dokumente erreichen nach wenigen Minuten den richtigen Fachbereich. Bei dem restlichen Dreiviertel der Post hilft die Poststelle ein wenig nach. Die Informationen, die das System nicht oder nur teilweise erkannt hat, werden an Nachbearbeitungsplätzen ergänzt. Insgesamt hat sich durch das System die Produktivität der Poststelle bei der Postverteilung um einhundert Prozent erhöht, ein Tempo, das sich lohnt. Schon am Eingangstag sind die Briefe bei den zuständigen Kundenbetreuern. Sie können früher antworten und erledigen. Die prompte Rückmeldung macht draußen Eindruck. Einscannen und Computer mitarbeiten lassen. Was zunächst nur Abhilfe im Engpass Posteingang schaffen sollte, weckt bei den schwäbischen Mobilfunkern Visionen. Kann der Computer Post erkennen und sortieren, kann er vielleicht noch mehr. Das Team um Projektleiter Thomas Wolf und Koordinator Peter Manias hat ganze Arbeit geleistet. Mit ihrem Projekt „ATD - Automatic Task Distribution“ steckten sie sich ein weit reichendes Ziel. Nicht nur die Post sollte elektronisch erfasst werden. Ein System sollte entstehen, das die ganze Postarbeit schrittweise automatisiert - sogar so weit, dass viele Briefe der Mobilfunk-Kunden eines Tages selbsttätig beantwortet werden. „Wir haben mit dem Projekt eine Tür geöffnet“, meint Klaus Schmieder, Leiter des Qualitätsmanagements, bedeutungsvoll. Relikte aus „alter Zeit“: Früher sortierte die Poststelle Briefe und Faxe in Körbchen. Heute nimmt IT-Technik die mühselige Arbeit ab. Foto: Steeger P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 9 Handyboom setzte Brieflawine in Gang Doch langsam. Das Post-Projekt der debitel ag wurde nicht aus Visionen, sondern aus blanker Not geboren. Der Not des Erfolgs. In den letzten vier Jahren ist der Mobilfunk-Markt rasant gewachsen. Zwei von drei Deutschen telefonieren „on air“. In jedem Haushalt gibt es rein statistisch mindestens ein Handy. Bei dem Tempo konnten Provider und Netzbetreiber organisatorisch nicht mithalten. So auch die Poststelle bei debitel. Die Post von rund zehn Millionen Kunden sprengte die Kapazität. In Spitzenzeiten aktivierte das Unternehmen alle zwei Sekunden einen neuen Kunden - und löste damit eine Flut von Briefen aus. Zudem stieß die AG in neue Kundensegemente vor: Täglich bis zu 10.000 Kunden wollten nach dem Kauf schnell telefonieren, 8.000 Kunden am Tag schickten dem Unternehmen Briefe und Faxe. 1998 registrierte die Poststelle erstmals Engpässe. Aufträge und Anfragen blieben liegen. Im Sommer 1999 häuften sich Reklamationen verärgerter Kunden: Wo bleibt die Antwort auf meine Post? Überstunden und zusätzliches Personal halfen nichts, neues Personal fand das Unternehmen nicht so schnell wie nötig. Die in der Projektleiter Thomas Wolf: „Bei unserem Projekt ging es nicht darum, eine Zwischenlösung aus dem Hut zu zaubern, sondern einen Grundstein für eine langjährige Weiterentwicklung zu legen.“ Projektkoordinator Peter Manias: „Wir haben uns in unserem Projekt nie fortbewegt, ohne die beteiligten Stakeholder ‚mitzunehmen‘.“ Klaus Schmieder vom debitel-Qualitätsmanagement: „Unser Management hat bei diesem Projekt verstanden, wie sehr Projektmanagement helfen kann.“ Fotos: Steeger P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 10 REPORT Poststelle freudig mitgeteilte Nachricht, es sei wieder Wochenendarbeit bewilligt worden, entlockte der ohnehin belasteten Besatzung nur noch Seufzen. Zuletzt schaltete sich das hausinterne Qualitätsmanagement ein und stieß das Projekt als Notbremse wider die schleppende Postbearbeitung an. Indes, entgegen der gebotenen Eile entschloss sich das Projektteam, in puncto Postbearbeitung Zukunftsweisendes zu leisten. Zeit für Zielerkundung „Trotz des Drucks haben wir viel Zeit in die Zieldefinition und Analyse der Ausgangssituation investiert und eine umfassende Antwort auf die Frage gesucht, was wir eigentlich erreichen wollen“, erläutert Klaus Schmieder. Das Team setzte durch, dass es nicht nur eine kurzfristige Problemlösung auf den Arbeitsplan nehmen durfte. Das automatische Postverteilungssystem, so Klaus Schmieder, sollte keine Sackgasse für weitere Entwicklungen werden. Daher: „Wir haben eine zukunftssichere Lösung gesucht, auf die wir später aufsetzen können, wenn wir die Postbearbeitung weiter optimieren wollen.“ Projektleiter Thomas Wolf ahnte früh: „Hier ging es nicht darum, eine Zwischenlösung aus dem Hut zu zaubern, sondern einen Grundstein für eine langjährige Weiterentwicklung zu legen.“ Für ihn stand schnell fest: „Wir müssen weit über das unmittelbar vor uns liegende Projekt hinausdenken.“ Über mehrere Wochen analysierte das Projektteam fachliche, technische und organisatorische Eckdaten und klärte Erwartungen an die neue Technik. Es holte Mitarbeiter aus der Poststelle, Qualitätsmanager, Kundenberater und IT-Fachleute in die Runde. Allein vier Wochen lang untersuchte es die Arbeitsprozesse in der Poststelle, legte dann die Rahmendaten für das System fest und überprüfte Verzahnungen mit anderen Bereichen. IT-Projekt unter Regie des Kundenbetreuers „Besonders die Schnittstellen zu den IT-Fachleuten mussten wir abstimmen“, erklärt Manias. Was mehr bedeutete, als mit den IT-Fachleuten nur über Technik zu reden und darüber, wie die neue Erkennungs-Software in die bestehende IT-Landschaft nahtlos einzupassen sei. Das Problem lag auf „politischem“, mitunter spiegelglattem Parkett. Denn: Das Team drohte sich verdächtig zu machen, den IT-Leuten ins Handwerk pfuschen zu wollen. Gewissermaßen in fremden Revieren wildern, ein Ansinnen, das in keinem Unternehmen gerne gesehen ist. „Normalerweise werden derartige Projekte von der IT-Abteilung aufgesetzt und betreut“, umreißt Klaus Schmieder das Diffizile des Projekts, „hier aber ging die Initiative von den Anwendern und dem Qualitätsmanagement aus.“ Auch hätten die gesamte Projektverantwortung und Projektabwicklung in der Verantwortung der Kundenbetreuung gelegen. Freilich, den Nutzern der neuen Technik in Poststelle und Kundenbetreuung kam es zugute, dass ihre eigene Abteilung für sie arbeitete und entwickeln ließ. Die Leute aus den eigenen Reihen wussten von den Problemen und Bedürfnissen der künftigen Nutzer. Sie waren ihre Anwälte. Den Preis dafür umschreibt Schmieder vorsichtig: „Wir mussten den DV-Bereich für unser Projekt gewinnen - und das immer wieder.“ „Kompromiss-Management“ Bei derlei bereichsübergreifenden Projekten droht der Projektleiter schnell zwischen allen Stühlen zu sitzen. Im Team kollidieren ungleiche, häufig gegensätzliche Interessen. Schnell können sich Gewitterwolken auftürmen und sich in handfesten Konflikten entladen. Sieben verschiedene Projekt-Fraktionen zählten Thomas Wolf und Projektkoordinator Peter Manias in ihrem Projekt, Parteien, zwischen denen sie vermitteln und deren teilweise gegensätzliche Interessen sie unter einen Hut bringen mussten. „Wir haben früh verstanden, dass wir den Fraktionen unser Vorhaben nicht nur schmackhaft machen mussten“, erklärt Schmieder, „wir mussten ihnen vermitteln, dass es ihr eigenes System ist.“ Erster Schritt zur Verständigung: Gemeinsam mit den Interessengruppen planten sie die Projektroute und bereiteten zusammen Entscheidungen vor. „Wir haben uns von Anfang an im Projekt, also beginnend mit Zieldefinition und Analyse, gewissermaßen nie weiter fortbewegt, ohne die verschiedenen Gruppen mitzunehmen“, betont Manias. Voraussetzung dafür war, so sein Rezept, eine jederzeit aktuelle und vollständige Projektdokumentation. Er habe, berichtet er heute, nie zuvor so viele Protokolle, Memos und Anfragen getippt. „Meine Projektbeteiligten und Stakeholder waren ständig aktuell über Projektstand, Pläne und offene Entscheidungen auf dem Laufenden.“ Zweiter Schritt bei der Verständigung: Kompromisse schließen. „Hier haben wir Größe und Grenzen des Instruments ‚Kompromiss‘ gründlich kennen gelernt“, meint Projektleiter Wolf. Projektkoordinator Manias ergänzt: „Ein Kompromiss ist ja nie eine Entscheidung, bei der man sich auf halbem Wege, quasi in der Mitte, trifft.“ Und: „Bei jedem Kompromiss ist die eine Partei gezwungen, der anderen mehr Zugeständnisse zu Post einscannen - und fertig. Häufig kann die neue Software Inhalt und Absender der Post lesen und stellt die Briefe und Faxe automatisch den Fachbereichen zu. Foto: Steeger P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 11 machen, als sie selbst bekommt.“ Letztlich sei es eben die Kunst des Projektmanagers, über alle notwendigen Kompromisse hinweg für alle Interessengruppen die klassische Win-win-Situation sicherzustellen, ohne dabei die festgelegten Projektziele aus dem Blick zu verlieren. Beispiel IT-Technik. Viele Interessenkonflikte entstehen erst im fortgeschrittenen Stadium des Projekts. So auch bei debitel: Trotz aller vorab getroffenen Analysen und Absprachen schlich sich zwischen den IT-Fachleuten (auf der einen Seite) und dem Systemlieferanten (auf der anderen Seite) ein Missverständnis ein, eine Unstimmigkeit während der Feinkonzeption, die das Verständnis einer Standard-Datenbankanbindung betraf. Als dieses Missverständnis bei der abschließenden Diskussion offenbar wurde, wollte zunächst keine Partei ihren Standpunkt räumen: Die eine hielt an ihrer Argumentation fest, weil sie schlechte Erfahrungen mit der „einfachen Lösung“ gemacht hatte. Die andere Partei beharrte auf ihrer Position, weil sie hohe Kosten und Terminverzögerungen zur Realisierung des „Hausstandards“ fürchtete. Die Fronten verhärteten sich sogar so weit, dass das Projekt an diesem Punkt fast zu kippen drohte. Die Weshalb Mobilfunk-Provider? Provider wie debitel haben kein eigenes Mobilfunknetz - und nehmen trotzdem eine bedeutende Marktposition gegenüber Platzhirschen wie Vodafone, T-Mobile & Co. ein. Als „Zwischenhändler“ führen sie ein gutes und einträgliches Leben, trotz kleiner Margen. Provider sind gesetzlich abgesichert. Die Netzbetreiber sind verpflichtet, ihnen Kapazitäten abzutreten, die sie weiterverkaufen können. Doch die eigentlichen Marktchancen der Provider liegen beim Vertrieb, Marketing, beim Service - und künftig bei neuen, mobilen Info-Diensten. ❏ Vertriebswege - Provider verfügen über eigene Vertriebswege und Kanäle zu Kunden. Sie sind beispielsweise flächendeckend mit Agenturen oder Ladenketten in den Innenstädten präsent. DaimlerChrysler und Metro, die hinter debitel stehen, haben binnen kurzer Zeit ein solches Vertriebsnetz aufgebaut und Vorsprung gegenüber den Netzbetreibern gewonnen. ❏ Marketing - Provider sind Marketingspezialisten. Sie haben aus der Not, dass sie kein eigenes Netz betreiben können, von Anfang an eine Tugend gemacht und ihre Energie auf das Marketing konzentriert. ❏ Unabhängigkeit - Provider betreiben „gemischte Flotten“. Sie stellen Großkunden günstige Angebote mit den „Rosinen“ verschiedener Netzbetreiber zusammen. ❏ „Customer Care“ und „Billing“ - Kundenfreundlichkeit und Service zählt nach Meinung vieler Provider zu den Kernkompetenzen der netzunabhängigen Anbieter. Auch gelingt es Providern, günstig die Leistungen bei ihren Kunden abzurechnen und bei dem so genannten „Billing“ Geld zu sparen. ❏ Neue Produkte - Bislang erwirtschaftet die Mobilfunkbranche den Löwenanteil ihres Umsatzes mit Telefongebühren und Gesprächszeiten. An die Seite dieses klassischen Produkts treten neuerdings weitere lukrative Dienstleistungen. Kostenpflichtige Info-Dienste und SMS-Service erhalten zunehmend Gewicht. Verbreitet ist, sich aktuelle Wirtschaftsnachrichten, Sportergebnisse oder Staumeldungen aufs Handy schicken zu lassen. Mit der UMTS-Technik, die neben den Telefongesprächen auch Multi-Media-Service ermöglicht, wird dieses neue Produktsegment einen weiteren Schub erhalten. Vorteil für die Provider: Sie können selbständig in diesen Markt einsteigen und eigene Inhalte bieten. So betreibt debitel heute schon ein eigenes SMS-Zentrum und kooperiert mit dem Info-Anbieter Midray. Mobilfunker wollen nicht warten: Binnen weniger Tage erhalten Kunden Antwort auf ihre Post. In einem preisgekrönten Projekt hat das Stuttgarter Unternehmen seine Postbearbeitung revolutioniert. Foto: T-Mobile P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 12 REPORT Situation eskalierte bis zum Lenkungsausschuss. Die Projektziele vor Augen, einigten sich die Parteien schließlich darauf, es trotz aller Vorbehalte mit dem einfacheren Standard der Datenbankanbindung zu versuchen - verbunden mit der strengen Auflage, dass die IT-Fachleute alle Schnittstellenmodule des Systemlieferanten vor dem Einsatz bei debitel einer zusätzlichen internen Prüfung unterziehen und die Module bei Bedarf nachzubessern seien. Ein Mehraufwand im Projekt, der aber im Rahmen blieb. Für Projektleiter Thomas Wolf steht fest: „So konnten in der Realisierung die besonderen Anforderungen der debitel berücksichtigt werden.“ Sowohl Systemlieferant als auch IT-Fachleute der debitel sahen ihre Interessen gewahrt. „Sie erarbeiteten eine für alle Seiten zufrieden stellende Lösung. Und Probleme mit dieser Schnittstelle gab es im Systembetrieb bislang nicht.“ Projektprobleme moderierend lösen Fazit für Peter Manias: „In kritischen Situationen müssen Projektleiter die Beteiligten ‚abholen‘.“ Will meinen: Projektleiter müssen Die debitel-Kundenbetreuer erhalten Post binnen weniger Stunden. Allerdings nicht mehr auf Papier, sondern elektronisch auf den Bildschirm. Die in einem erfolgreichen Projekt neu organisierte Poststelle bereitet die Briefe und Faxe vor und scannt sie ein. Foto: debitel Externer Projektleiter - ja oder nein? Neues Projekt, neues Unternehmen und neue Kollegen: Projektkoordinator Peter Manias stieß als externer Fachmann zum Projekt. Branchenwissen, Projektmanagementwissen und Marktkenntnis brachte Manias mit nach Stuttgart - genau die drei Kompetenzen, die debitel suchte. Doch Unternehmen kalkulieren mit weiteren Vorteilen, wenn sie freie Fachleute für Projekte an Bord nehmen. Einige Beispiele: ❏ Externe Projektleiter bringen Objektivität mit. Sie stehen gewissermaßen über den Dingen, können sie aus anderer Perspektive betrachten und neue Lösungen entwickeln. Auch die Moderation von Prozessen fällt Externen leichter als Kollegen, die bereits im Sozialgefüge des Unternehmens eingegliedert sind und Rücksichten nehmen müssen. ❏ Externe Kräfte schlagen - auf den ersten Blick - in der Kostenrechnung deutlich zu Buche. Doch sie rechnen sich. Sie gewährleisten bei internen Ressourcenengpässen im Projektmanagement, dass das Projekt termingerecht und kostengerecht verläuft. So helfen sie, unkalkulierbare Folgekosten eines in die Länge gezogenen Projekts zu vermeiden. ❏ Anwalt für das Projekt: Externe Projektleiter fühlen sich nur dem Projekt verpflichtet. Das Umfeld des Projektes interessiert sie nur, sofern sie das Projekt berühren. Politische Verpflichtungen und „Altlasten“ spielen kaum eine Rolle. ❏ Externe Fachleute arbeiten sehr zielorientiert und segeln hart am Wind. Ihr Erfolg wird am Projekterfolg gemessen, andere Parameter für die Leistungsbewertung spielen eine untergeordnete Rolle. Zugleich gilt: Sie dürfen den Erfolg nicht mit der Brechstange, ohne Rücksicht auf Verluste erzwingen. Sie tragen beispielsweise Verantwortung dafür, dass das System, das am Ende des Projekts produktiv genutzt wird, die Anforderungen aller Beteiligten erfüllt. P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 13 in die Rolle der Beteiligten „schlüpfen“ können, sie verstehen und einbinden lernen - statt die Konfrontation zu wagen. Weiteres Beispiel, wie Kompromiss und vertrauensbildende Maßnahmen Konfrontation verhindern: Die debitel fordert vor der Übergabe eines IT-Systems eine umfassende, nach internen Richtlinien zu erstellende Systemdokumentation. Dies war dem Projektteam im eng gesteckten Terminplan während der ersten Stufe der Systemeinführung nicht möglich. „Wir haben uns verpflichtet, die Dokumentation nachzureichen, und durften das System schon vorher in Betrieb nehmen“, erklärt Wolf. Indes, zu dieser Zeit war das Vertrauen zwischen den Partnern bereits gewachsen, ein Erfolg, den Manias auch seiner Moderation zuschreibt. Heute vertritt er umso entschiedener die These, es sei Aufgabe des Projektleiters, die Parteien immer wieder an einen Tisch zu holen, zu vermitteln, sich in die Positionen der Beteiligten einzufinden und Diplomatie zu üben: Konflikten vorzubeugen, bevor Fronten entstehen. Vorbildlich: Vorstand förderte Projekt „Unter der Moderation verstehe ich aber nicht, eine weiche Linie zu fahren“, betont Manias, „es geht ganz wesentlich darum, dass ein Kompromiss zu Gunsten einzelner Interessengruppen nie die Projektziele außer Acht lässt oder sie gar verändert.“ Und: „Veränderungen der Projektziele sind nur mit Zustimmung aller Interessengruppen möglich.“ Wichtiger Vorteil des Prinzips „Management by Moderation“: Einmal gelungene Kompromisse bauen Vertrauen auf. Dieses Vertrauen wiederum mindert den Abstimmungsaufwand zwischen den Beteiligten und ermöglicht weitere Kompromisse. Eine beflügelnde Aufwärtsspirale. Die Parteien gehen schlichtweg davon aus, dass der andere das Richtige tut - und im Sinne der Sache agiert. Klaus Schmieder, Thomas Wolf und Peter Manias wissen aber auch: Das harmonische Miteinander der Abteilungen gelingt nur, wenn das Top- Management ein Auge auf Projekt und Fortschritt hält. Ein gewisser Druck „von oben“, so stellen Projektmanager fest, reduziert unnötige Diskussionen. Überflüssig scheinende Probleme kommen seltener auf den Tisch, die Beteiligten denken schnell an die Sache - und verschwenden kaum Zeit damit, ihre Reviere zu verteidigen. „Eine gewisse Aufmerksamkeit von oben ist guter Rückenwind für zielorientiertes Arbeiten“, weiß Schmieder, „deshalb ist die geschickte Wahl des Lenkungsausschusses wichtig.“ So fand das Projekt unter dem Dach des Vorstandsressorts „Operations“ statt, ein Ressort, das rund zwei Drittel aller Mitarbeiter der debitel AG umfasst. Handy - jeder hat’s, überall bimmelt’s. Der Mobilfunk-Markt boomt. Netzbetreiber und Provider konnten dem Wachstum organisatorisch nicht immer folgen. In einem eigenen Projekt machte debitel seine Poststelle flott und sieht sich für die Zukunft optimal gerüstet. Mit seinem Projektmanagement gelang dem Stuttgarter Unternehmen 2001 der Sprung ins Finale um den „Projektmanagement Award“ der GPM. Foto: Nokia P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 14 REPORT Aufwändiges Testverfahren für neue Software Indes, die debitel-Projektprofis werten nicht nur den „Human Factor“ als Erfolgsbaustein ihrer Arbeit. Da gibt es Weiteres, was ihr Projektmanagement auszeichnet. Beispielsweise die konsequent phasenorientierte Vorgehensweise. Einen Schritt nach dem anderen tun: Erst wenn der vorausgegangene Schritt zuverlässige und belastbare Ergebnisse erbracht hatte, genehmigte Projektleiter Wolf den nächsten Schritt. So beim Systemtest. Wer neue IT-Elemente in ein bestehendes System integrieren will, muss die neuen Elemente mehrfach testen. Erst dann ist sichergestellt, dass es später nicht zu unliebsamen Pannen kommt. Nach einem Vier-Schritt-Modell ging das debitel-Team vor. Erstens: Abnahmetest. Das System wird in der Testumgebung beim Systemlieferanten getestet. Hat es diese Probe bestanden, wird es in seine künftige Umgebung „eingebaut“. Zweitens: Integrationstest. Grundsätzlich betrachtet, funktioniert das neue System auch in seiner künftigen Umgebung? Drittens: Akzeptanztest. Nach der technischen Belastungsprobe die Probe bei den künftigen Nutzern. So genannte Key-User - ausgewählte Testnutzer - prüfen das System. Viertens: Stresstest, die Feuertaufe. Das System ist an seinem Platz, die Verbindungen zur Umgebung sind geschaltet. Jetzt wird es hochgefahren und bei maximaler Belastung getestet. Bleiben Bearbeitungsgeschwindigkeit und Datendurchsatz stabil? „Dieses hierarchisch organisierte Testverfahren war zwingend vorgeschrieben“, erläutert Peter Manias, „alle Tests wurden mit Checklisten durchgeführt und protokolliert.“ Ähnlich kompromisslos und systematisch verfuhr das Projektteam bei seinem Projekthandbuch. Es legte in dem Buch seine komplette Projektorganisation sowie sämtliche Phasen, Meilensteine und Termine fest. Auch Qualitätsmanagement, Berichtswesen, Änderungsmanagement, Ressourceneinsatz sowie Kommunikationswege fixierte es auf Papier. Pilot-Projekt für künftige Vorhaben „Vom Aufwand und Budget her war das Projekt eher klein“, weiß Klaus Schmieder. Die debitel AG habe allemal umfangreichere Vorhaben gestemmt. Dennoch, der Qualitätsmanagement-Fachmann bezeichnet das Post-Projekt als richtungweisend. „Wir haben in unserem Unternehmen einiges damit angestoßen“, meint er. Es setzte generelle Standards beim Projektmanagement. So sammelte das Team in Reviews seine Erfahrungen und zog seine Lehren aus dem Projekt, Know-how, das Maßstab für künftige Projektarbeit ist. „Auch das Management hat verstanden, wie sehr Projektmanagement helfen kann“, beschreibt Schmieder den Referenzcharakter des Projekts. Weiterer positiver Verstärker: Dem Team glückte mit seinem Projekt im letzten Jahr der Sprung ins Finale um den „Internationalen Deutschen Projektmanagement Award“ der GPM. Unabhängige Assessoren bescheinigten den Stuttgartern Spitzenleistungen im Projektmanagement. Bei aller Euphorie für Projektmanagement warnt Schmieder davor, in Unternehmen „Projektitis“ ausbrechen zu lassen. „Es ist die Frage, ab wann es sich lohnt, eine anstehende Aufgabe Projekt zu nennen.“ Es sei nicht sinnvoll, beim Projektmanagement mit Kanonen auf Spatzen zu schießen, auch dann nicht, wenn die „klassischen“ Projektkriterien gegeben sind: Einmaligkeit, Ziele, Termine, Kosten. Schmieder: „Eine Aufgabe ist manchmal schon erledigt, bevor in einer größeren Organisation ein entsprechendes Projekt aufgesetzt ist.“ Sei jedoch kar, dass eine Aufgabe mehrere, möglicherweise konkurrierende Gruppen berühre, führe kein Weg an einer „sauberen Projektdefinition“ vorbei. ■ Foto: debitel Erfolgreich vor einem Jahr beim Projektmanagement Award der GPM platziert: Ein Team der debitel AG bewies Spitzenleistungen bei der Projektarbeit.
