PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Projektmanagement in guter Sache
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Oliver Steeger
Die „Quote“ verblüfft manchen Mittelständler: Im hohen Norden, in Rendsburg, ließ eine Organisation sage und schreibe jeden Mitarbeiter zum Projektmanagementfachmann ausbilden. Und auch der Rest des Projektmanagementprogramms kann sich sehen lassen. Ein eigens eingerichtetes Projektmanagementbüro überwachte die Projekte. Ein detaillierter Projektleitfaden beschreibt neben Prozessen auch die Projektkultur und das Miteinander in Teams. Die Projektorganisation ist aufgebaut, Multiprojektmanagement ebenfalls. Mit einem vorbildlichen Blitzstart hat das norddeutsche „Unternehmen“ binnen zwei Jahren Projektmanagement eingeführt und alle Ampeln für dieses Konzept auf Grün geschaltet. IT-Branche? Ein Ingenieurbüro? Weit gefehlt. Das Unternehmen „verkauft“ Dienst am Nächsten, von den Gedanken christlicher Nächstenliebe geleitet. Und jetzt von Projektmanagement beflügelt, wie Bernd Agge, Leiter des Projektbüros, zufrieden feststellt.
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P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 15 Projektmanagement in guter Sache „Wir sind ein ganz normales Unternehmen.“ Oliver Steeger Die „Quote“ verblüfft manchen Mittelständler: Im hohen Norden, in Rendsburg, ließ eine Organisation sage und schreibe jeden Achten ihrer Mitarbeiter zum Projektmanagementfachmann ausbilden. Und auch der Rest des Projektmanagementprogramms kann sich sehen lassen. Ein eigens eingerichtetes Projektmanagementbüro überwacht die Projekte. Ein detaillierter Projektleitfaden beschreibt neben Prozessen auch die Projektkultur und das Miteinander in Teams. Die Projektorganisation ist aufgebaut, Multiprojektmanagement ebenfalls. Mit einem vorbildlichen Blitzstart hat das norddeutsche „Unternehmen“ binnen zwei Jahren Projektmanagement eingeführt und alle Ampeln für dieses Konzept auf Grün geschaltet. IT-Branche? Ein Ingenieurbüro? Weit gefehlt. Das Unternehmen „verkauft“ Dienst am Nächsten, von dem Gedanken christlicher Nächstenliebe geleitet. Und jetzt von Projektmanagement beflügelt, wie Bernd Agge, Leiter des Projektbüros, zufrieden feststellt. P rojektmanagement in der Wohlfahrt? Weshalb denn nicht? Das „Diakonische Werk Schleswig Holstein“, so betont Bernd Agge, funktioniert wie jedes andere Unternehmen. Will meinen, in der Wohlfahrt diktieren knappe Budgets und steigende Qualitätsansprüche das Handeln. Das sei, meint der Projektfachmann, nicht anders als in anderen „Branchen“, eher schlimmer. Der Wind in der norddeutschen Wohlfahrt weht wie überall in der Republik schärfer. Und: Neue pädagogische Ansätze oder Pflegekonzepte und Entwicklungen versprechen, soziale Not und Probleme wenn nicht zu lösen, dann doch stärker zu lindern. Schnell fällt der Begriff Effektivität, allerdings mit der Einschränkung, dass es um einen humanen Anspruch geht. Und gerade zwischen diesen beiden Ansprüchen - Wirksamkeit und soziales Denken - könne Projektmanagement hervorragend vermitteln. Das ist für Bernd Agge klar wie der blaue Küstenhimmel. „Als Dachverband der Wohlfahrtspflege müssen wir betriebswirtschaftlichem und unternehmensstrategischem Denken folgen“, meint er, „nur so können wir in der heutigen Zeit wirksam helfen.“ Gleiches gelte für die 425 Einrichtungen, die Partner in dem Verband sind. Auch sie müssen, salopp pointiert, aus immer weniger Geld immer mehr „Wohlfahrt“ für die rund 55.000 Plätze im nördlichsten Bundesland machen. Bernd Agge weiß: „Wir sind ein Unternehmen.“ Und: „Wir wollen neben der Linienarbeit interne Veränderungen in Gang setzen und nach außen neue Dienstleistungen entwickeln.“ Für ihn ist Projektmanagement nicht nur ein Werkzeug, sondern ein Führungskonzept, in dem Stammorganisation und Linie gleichberechtigt nebeneinander existieren. Bernd Agges erste Bilanz für seinen Verband, der in Rendsburg direkt am Nord-Ostsee-Kanal sein moder- Macht sich stark für Projektmanagement im „Diakonischen Werk Schleswig-Holstein“: Bernd Agge, Leiter des Projektbüros. Foto: Diakonie P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 16 REPORT nes Domizil hat, ist vielversprechend. Die Projektorganisation steht. Sie ergänzt die Linienorganisation. Gemeinsam mit dem Vorstand gelang es sogar, die anderswo viel gefürchtete „Linie“ von den Methoden und Werkzeugen des Projektmanagements zu überzeugen. Berührungsängste gab es selten. Heute will selbst die Linie die Segnungen des Projektmanagements nicht mehr missen. Agge weiß aber auch, wie die Startbedingungen seine Arbeit beflügelt haben: In der Wohlfahrtspflege, generell in der „Sozialen Branche“, ist die Kooperation zwischen Mitarbeitern ausgeprägt. Über vieles wird hier offen gesprochen, was anderswo still bekämpft oder unter den Teppich gekehrt wird. Sachlicher, auch kontroverser, immer aber respektvoller Umgang verhindert das schädliche Kästchen- und Abteilungsdenken. Das kam Agges Werben für Projektmanagement entgegen. Was ihm beim Diakonischen Werk ebenfalls Wind unter die Flügel gab, als er Projektmanagement einführte: Der Dachverband mit seinen knapp 80 Mitarbeitern war in seinen Schlüsselpositionen soeben mit neuen, aufgeschlossenen Mitarbeiterinnen besetzt worden. Sogar der Vorstand war neu - derweil Bernd Agge sein „Unternehmen“ seit rund zwanzig Jahren kannte. Projektmanager qualifizieren, die Organisation „projektfit“ machen, Leitlinien und Prozesse bestimmen - er nutzte den klassischen Dreischritt, den Experten für alle Branchen empfehlen. Mit Cornelia Stehr, die ihre Arbeit auf Gesundheit und Soziales konzentriert, nahm er eine Beraterin an Bord. Erste entscheidende Projektmanagement beim „Dienst am Nächsten“: Experten halten Projektmanagement für eine gute Methode, mit wenig Mitteln viel zu helfen. Projektmanagement kann, so betonen Experten, effektive Arbeitsweisen und den humanen Anspruch der Wohlfahrtsorganisationen zusammenführen. Foto: Alzheimer-Hilfe Foto: Otto Bock, HealthCare P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 17 Weichenstellung: Der Verbandsvorstand macht „Projektmanagement“ zur Chefsache. Statt jemanden am Rande damit zu beschäftigen, richtet das Diakonische Werk ein eigenes Büro ein. Das Signal wirkt - auch in Richtung der 425 Partner im Verband, in Behinderteneinrichtungen, Pflegeheimen, Altenhilfe oder Einrichtungen der Psychiatrie. Bislang hatten sich nur wenige ansatzweise mit Projektmanagement beschäftigt. Heute registriert Agge steigende Nachfrage von der Basis, die rund 28.000 Arbeitsplätze in Schleswig- Holstein stellt. „Unsere Mitglieder scheinen darauf zu warten, dass vom Landesverband der Funke überspringt und dass wir Konzepte entwickeln.“ Doch langsam. Zunächst zehn Mit- GPM-Fachgruppe gegründet Zum Projektmanagement im Bereich „Gesundheit, Soziales und Umwelt“ hat sich eine eigene GPM-Fachgruppe gebildet. Hintergrund: Die so genannten „Non-Profit-Unternehmen“ benötigen Projektmanagement, um den anstehenden Wandel zu bewältigen. Steigendes Qualitätsbeswusstsein in den Organisationen, zunehmend individuelle Kundenanforderungen, ein sich verschärfender Wettbewerb, knappe Ressourcen sowie politische Veränderungen erfordern ein erweitertes Repertoire an Methoden und Werkzeugen. So hat sich die im November 2001 gegründete GPM-Fachgruppe auf die Fahnen geschrieben, Projektmanagement für diesen Bereich zu entwickeln und zu fördern. Zudem will sie Netzwerk und Know-how der GPM für Non-Profit-Unternehmen nutzen. „Wir werden in der nächsten Zeit die PM-Methoden den Kunden anpassen und die Unternehmen unterstützen, Projektmanagement einzuführen“, erklärt Cornelia Stehr (Cornelia Stehr Projektmanagement - Beratung und Fortbildung für Projektarbeit, Hamburg). Auch Erfahrungsaustausch und Publikationen stehen auf dem Programm der Fachgruppe, die sich vier Mal im Jahr trifft. Bislang haben sich Petra Bickelbacher (Diakonie Neuendettelsau), Bernd Hannemann (Diakonisches Werk Schleswig-Holstein, Rendsburg), Sylke Känner (Universität Bielefeld) sowie Stefan Schartzkopff (Unternehmensberater, Berlin) der Gruppe angeschlossen. Weitere Aktive können sich bei Cornelia Stehr (Tel. 040/ 32 87 13 53) melden. Mit Projektmanagement neue Angebote für ältere Menschen entwickeln: Das „Diakonische Werk Schleswig-Holstein“ hat Projektmanagement eingeführt, um sich für Zeiten knapper Kassen und steigender Anforderungen zu rüsten. Foto: DRK P R O J E K TMANA G E M E N T 3 / 2 0 0 2 18 REPORT arbeiter ließ der Verband zu Projektmanagementfachleuten nach den GPM-Richtlinien ausbilden. Cornelia Stehr mischt in ihren Lehrgängen gerne Teilnehmer aus dem Sozialwesen mit Teilnehmern aus Industrie und Wirtschaft, eine Synthese, die sie für sehr befruchtend hält. Ihre Projektmanager schlossen den Lehrgang rundum gut ab, die unterschiedlichen Mentalitäten ergänzten sich. In Pilotprojekten entwickelte das Diakonische Werk Arbeitszeitmodelle, schob Qualitätsentwicklungen an, baute Datenbanken auf und erarbeitete Marketing- Unterlagen. Zweite Weichenstellung: Das „Diakonische Werk“ wertete die Erfahrungen aus diesen fünf Pilotprojekten systematisch aus, eine Basis, auf die der Verband seine PM-Leitlinie stellte. Klare Zieldefinition sowie sorgfältige Auswahl von Projektleiter und Team stehen obenan. Neben der Organisation, Zielen der Projektarbeit, Aufgaben des Vorstands, Steuerung und Schnittstellenklärung machte das Diakonische Werk auch die Projektkultur zum Thema: Die Leitlinien betonen offenes, angstfreies Arbeitsklima und respektvolles Miteinander. Niemand wird zur Projektarbeit „gezwungen“. Konflikte sprechen Teams und Linienmitarbeiter offen an und schlichten sie lösungsorientiert. „In unserer Organisation haben wir uns das Leitbild zu Eigen gemacht, dass der Mensch mit seinen Stärken und auch seinen Schwächen im Zentrum unseres Handelns steht“, erläutert Agge. Zwar spielen betriebswirtschaftliche Erwägungen eine wichtige Rolle, sind aber nicht ausschließliches Maß der Entscheidungen. „Der Gedanke christlicher Nächstenliebe prägt unser Miteinander“, sagt Agge, ein Anspruch, der nicht immer leicht zu erfüllen ist. Ob er sich mit dem Führungsbild verträgt, das Projektmanagement heute vermittelt? Bernd Agge ist sich sicher: „Beides passt ausgezeichnet zueinander. Humanes Handeln und die Optimierung von Arbeitsabläufen sind kein Widerspruch.“ Viele Projektmanagementmethoden, so hat er festgestellt, bringen die Mitarbeiter voran - ungeachtet der Kosten- Nutzenrechnung. Projektmanagement sei auch persönliche Bereicherung, eröffne seinen Kollegen Freiräume und führe zu mehr Mitarbeiterzufriedenheit. Dritte Weichenstellung auf dem Weg zum Projektmanagement: Das Diakonische Werk baute eine eigene Projektmanagementorganisation auf. Das Projektbüro koordiniert die Projekte, hilft Projektleiter und Team auszuwählen, schlägt die Finanzierung der Projekte vor, bereitet Vorstandsentscheidungen vor und übernimmt das Controlling. Die klassischen Aufgaben des Multiprojektmanagements und Project Office. Und nach allen Regeln der Kunst wurde das Büro direkt dem Verbandsvorstand unterstellt. Es machte Agge nur wenig Schwierigkeiten, „the way of project management“ im eigenen Haus der Linie zu vermitteln. Ganz im Gegenteil, er fand es „relativ leicht“, die Kollegen von dem neuen Führungskonzept zu überzeugen. In einem Nutzenpapier machte er „Public Relations“ in eigener Sache und argumentierte für das Konzept. Die Eigenverantwortung der Mitarbeiter, so schrieb er, werde gestärkt, die Arbeit in Richtung Zielorientierung verbessert. Und nicht zuletzt lernen Mitarbeiter im Team wichtige Kniffe und Techniken zur Selbstorganisation und Arbeitsgestaltung - Lektionen, die sich auch in der Linie bezahlt machen. Zugleich weiß Agge, dass er bislang im günstigen Wind gesegelt ist. Den sonst häufig beklagten Konflikt zwischen Linie und Projektorganisation stellt Agge nur selten fest. Nicht, dass der Arbeitsalltag - bei allem respektvollem Miteinander - mit ewig währender Harmonie gesegnet sei. Streitigkeiten und sich widersprechende Interessen gibt es immer wieder, dann beispielsweise, wenn die Linie Mitarbeiter für Projekte freistellen soll. Doch Gefechte und schwelende Kleinkriege bleiben aus, auch hinderliches „Kästchendenken“ stellt er selten fest. „Wir lösen die Konflikte im Konsens“, meint Agge, „und diese Konsensfindung ist Aufgabe meines Büros.“ Bei dieser Konsenssuche allerdings kommt ihm dann doch der spezielle Auftrag seines „Unternehmens“ entgegen. Das gemeinsame Ziel, für die Wohlfahrt im hohen Norden tätig zu sein, verbindet und verschweißt viele Mitarbeiter - gleich, ob in Linie oder Projekt. ■ Die Zahl pflegebedürftiger Menschen steigt. Projektmanagement hilft, so meinen Sozialexperten, neue Angebote und Pflegekonzepte zu entwickeln. Foto: Alzheimer-Hilfe