eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 14/4

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
121
2003
144 Gesellschaft für Projektmanagement

„In einigen Bereichen noch gravierender Nachholbedarf“

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2003
Oliver Steeger
Kai M. Morscheck ist Co-Autor des „Severn Project Assessment Benchmarking Report 2003“. Der 41-jährige Bankfachmann und Management-Experte beobachtet die Finanzdienstleistungsbranche seit über zwanzig Jahren. Der Frankfurter war bei Commerzbank, Hypo-Vereinsbank Luxembourg, etb, KPMG Consulting sowie Brokat Technologies tätig. Heute ist er Senior Manager bei Severn Consultancy in Frankfurt, einer Unternehmensberatung, zu deren Mandanten Allianz, Dresdner Bank, Crédit Suisse, Morgan Stanley und SEB gehören.
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14฀฀ REPORT P R O J E K TMANA G E M E N T ฀ 4 / 2 0 0 3 15฀฀ ฀ P R O J E K TMANA G E M E N T ฀ 4 / 2 0 0 3 „In฀einigen฀Bereichen฀noch฀ gravierender฀Nachholbedarf“ Kai฀M.฀Morscheck฀über฀Projektmanagement฀in฀der฀Finanzdienstleistung Oliver฀Steeger Kai฀M.฀Morscheck฀ist฀Co-Autor฀des฀„Severn฀Project฀Assessment฀Benchmarking฀Report฀ 2003“.฀Der฀41-jährige฀Bankfachmann฀und฀Management-Experte฀beobachtet฀die฀Finanzdienstleistungsbranche฀seit฀über฀zwanzig฀Jahren.฀Der฀Frankfurter฀war฀bei฀Commerzbank,฀Hypo- Vereinsbank฀Luxembourg,฀etb,฀KPMG฀Consulting฀sowie฀Brokat฀Technologies฀tätig.฀Heute฀ist฀ er฀Senior฀Manager฀bei฀Severn฀Consultancy฀in฀Frankfurt,฀einer฀Unternehmensberatung,฀zu฀ deren฀Mandanten฀Allianz,฀Dresdner฀Bank,฀Crédit฀Suisse,฀Morgan฀Stanley฀und฀SEB฀gehören. Die Ergebnisse Ihrer Studie scheinen in einigen Punkten überraschend ... Kai M. Morscheck: ... ja, vielleicht. Für den Außenstehenden mag das gelten. Letztlich passen die Ergebnisse aber gut in unsere eigenen Beobachtungen der letzten Zeit. Also nichts Neues unter der Sonne? Kai M. Morscheck: Die Studie erhärtet viele individuelle Beobachtungen. Fakt ist, dass das Projektmanagement auf dem Finanzdienstleistungssektor einen kräftigen Schub bekommen hat und eklatant verbessert wurde. Beispielsweise haben die Bereiche Projektorganisation und Reporting einen hohen Standard erreicht. ... aber? Kai M. Morscheck: In einigen Bereichen herrscht durchaus noch gravierender Nachholbedarf. Dadurch ist das Projektmanagement insgesamt noch nicht konsistent. Welche Bereiche sind dies? Kai M. Morscheck: Wir haben festgestellt, dass beispielsweise Risikomanagement in vielen Projekten zu kurz kommt. Notfallpläne liegen häufig vor, doch gibt es keine systematische Ermittlung von Risiken und entsprechende Vorsorge. Angesichts von strengen Branchenregelungen, wie sie in Basel II verankert sind, wundert dies. Kai M. Morscheck: Ja und nein. Basel II verstärkt den Druck, hier etwas zu tun. Ohne Basel II wäre das Projekt-Risikomanagement noch deutlicher im Argen ... ... was möglicherweise für andere problematische Ergebnisse Ihrer Studie zutrifft? Kai M. Morscheck: ... lassen Sie es mich so sagen: Risiken, aus denen keine Schadensfälle werden, können ebenso leicht ignoriert werden wie entgangene Chancen. Tendenziell zeichnet sich ab, dass sich viele Finanzdienstleister in Scheinsicherheit wiegen, wenn sie ihre Projekte durchführen. Positiv ausgedrückt: Es gibt hohe Potenziale, um die Qualität des Projektmanagements noch weiter voranzubringen und sich dadurch im derzeit schwierigen Umfeld Wettbewerbsvorteile zu sichern. Welche Potenziale könnten das über das Risikomanagement hinaus sein? Kai M. Morscheck: Die Projektpriorisierung ist nicht eindeutig genug. Traditionell stehen in der Finanzdienstleistung viele Projekte begrenzten Ressourcen gegenüber. Früher fehlte es primär an Knowhow-Trägern, heute zudem an Geld. Wir haben kürzlich in einer Workshop-Reihe bei einer Bank eine solche Priorisierung vorgenommen. Mit welchen Ergebnissen? Kai M. Morscheck: Große Projekte, die über lange Zeit scheinbar lebenswichtig erschienen, hatten plötzlich überhaupt keinen Sponsor mehr. Auf andere Projekte, die einzelnen Abteilungsleitern lebenswichtig erschienen, konnte auch verzichtet werden. Einige Abteilungsleiter haben ihre Projekte sogar zugunsten anderer, für die Geschäftsstrategie bedeutsamer, Projekte zurückgestellt. Eben diese Priorisierung gemäß Gesamtstrategie des Unternehmens ... Kai M. Morscheck: ... geschieht noch zu selten. Da kommt noch zu häufig das Signal: „Macht alle Projekte, auch wenn es eigentlich nicht geht.“ Mangels Ressourcen ziehen sich die Vorhaben hin, und die Motivation der Mitarbeiter schwindet. Kai฀M.฀Morscheck฀(Severn฀Consultancy): ฀„Viele฀Finanzdienstleister฀wiegen฀ sich฀in฀Scheinsicherheit,฀wenn฀sie฀ ihre฀Projekte฀durchführen.“ Foto: ฀privat 14฀฀ REPORT P R O J E K TMANA G E M E N T ฀ 4 / 2 0 0 3 15฀฀ ฀ P R O J E K TMANA G E M E N T ฀ 4 / 2 0 0 3 Was hat Sie noch an Ihrer Studie überrascht? Kai M. Morscheck: Bemerkenswert finde ich den Sachverhalt, dass die kritische Erfolgsbeurteilung am Ende eines Projektes nicht stattfindet. Wie darf ich das verstehen? Kai M. Morscheck: Viele Finanzdienstleister erarbeiten anfänglich Business Cases und stellen Nutzenerwartungen auf. Nach Projektende aber wird der Business Case nicht mehr angefasst. Nutzen und Aufwand werden nicht mehr betrachtet. Hier gehen Lernchancen und Kosteneinsparungspotenziale verloren. Haben Sie eine Erklärung dafür? Kai M. Morscheck: Wer ein Projekt erfolgreich abschließt, wendet sich möglichst schnell einem neuen Projekt zu. Für Nachbetrachtungen bleibt da keine Zeit. Und wenn das Projekt ungünstig verlief, wird man die Schlussbetrachtung nur zu gerne umgehen? Kai M. Morscheck: Ja. Vielleicht ist dies ganz menschlich. Trotzdem, welchen Sinn macht die Definition eines Business Case, wenn nach Projektende nicht geprüft wird, ob das Ziel erreicht wurde. Sie haben eben von einer Scheinsicherheit gesprochen, auf die sich viele Projektleiter, aber auch ihre Vorgesetzten stützen. Kai M. Morscheck: Ich würde die Situation differenziert beurteilen. Ich halte die erwähnten Punkte für Aufgaben, die von den „Innovatoren“ der Branche als Nachholbedarf erkannt sind und auch in der nächsten Zeit angegangen werden. Die anderen werden nachziehen müssen. Und, wie gesagt, die Branche hat schon einiges erreicht. Wir sprachen eben von der verbreiteten Entwicklung der Business Cases. Vor wenigen Jahren noch war das, was heute Regel ist, die rühmliche Ausnahme. Ihr Urteil weckt den Eindruck, dass es vor fünf oder zehn Jahren schlecht bestellt war um das Projektmanagement in der Finanzdienstleistung? Kai M. Morscheck: Jein. Aber heute sind in den Unternehmen die notwendigen Strukturen für das Projektmanagement geschaffen, und es wurde auf breiter Front eingeführt. Früher hing der Projekterfolg wesentlich deutlicher von der persönlichen Erfahrung des Projektleiters ab. Das heißt, Projektauftraggeber haben sich früher mehr auf ihre Projektleiter als auf das implementierte Projektmanagement verlassen? Kai M. Morscheck: Sagen wir es anders. Die Branche hat bei dem implementierten Projektmanagement aufgeholt. Heute kann sich die Geschäftsführung immer mehr auf beides verlassen, sowohl auf die Kunst erfahrener Projektleiter als auch auf die organisatorischen Strukturen im Hause. 